AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2020:W203.2182728.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gottfried SCHLÖGLHOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.11.2017, Zl. 1094372200 - 151750604, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.07.2020 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, stellte am 10.11.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Am 11.11.2015 wurde der Beschwerdeführer durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer Erstbefragung unterzogen. Dabei gab er an, dass er am XXXX in XXXX geboren worden und traditionell verheiratet sei. Er habe sieben Jahre lang die Grundschule in XXXX besucht und einen dreimonatigen Computerkurs im Iran absolviert. Zuletzt habe er als Feldarbeiter gearbeitet. Sein familiäres Netzwerk bestehe aus seiner Mutter und seiner Ehefrau, die er aber noch nie in seinem Leben gesehen habe. Den letzten Kontakt mit seiner Mutter habe er vor eineinhalb Jahren gehabt. Sein Vater sei bereits vorverstorben.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er an, dass unbekannte Personen ein Grundstück übernehmen hätten wollen, welches seinem Vater und seinem Onkel gehört habe. Anschließend sei es zu einem Streit gekommen, bei dem sein Cousin ermordet worden sei. Der Mörder sei verhaftet worden und nach einem Monat wieder freigelassen worden. Nach ca. zwei Jahren sei dann auch der Vater des Beschwerdeführers ermordet worden. Es gebe in seinem Ort keine Polizei und keine Hilfe. Eines Tages seien unbekannte Personen in das Haus der Familie des Beschwerdeführers eingebrochen und hätten nach ihm gesucht. Deswegen sei er in den Iran geflohen.
3. Am 26.07.2017 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen. Im Zuge der Einvernahme legte er unter anderem mehrere Teilnahmebestätigungen, Deutschzertifikate (Caritas, A1 - erfolgreich teilgenommen; ÖSD, A2 - gut bestanden), mehrere Schulbesuchsbestätigungen und ein Zeugnis der Hochschule für Informatik vor und gab an, dass er am XXXX in XXXX geboren worden und gesund sei. Er gehöre der Volksgruppe der Paschtunen an.
Seine Familie bestehe aus seiner Mutter, seiner Ehefrau, einem Bruder und einer Schwester. Seine Frau habe er vor elf Jahren – als er noch ein Kind gewesen sei - nach islamischem Recht geheiratet. Zu seiner Familie habe er keinen Kontakt mehr.
Er sei zwölf Jahre lang zur Schule gegangen und habe anschließend zwei Jahre lang Informatik in Kabul studiert.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der Beschwerdeführer an, dass sein Vater und sein Onkel ein Grundstück von einem Mann namens XXXX gekauft hätten, welcher sich wegen dieses Grundstückes in einem Streit mit einem Herrn namens XXXX , welcher ein Kommandant der Taliban sei, befunden habe. Seine Familie habe nichts von dieser Auseinandersetzung gewusst. XXXX habe gemeint, dass das Grundstück ihm gehöre. Als XXXX die Familie darauf aufmerksam gemacht habe, dass das Grundstück ihm gehöre, habe der Vater des Beschwerdeführers diese Behauptung mit Dokumenten widerlegen können. Als XXXX daraufhin diese Dokumente zerrissen habe, habe sich sein Cousin XXXX auf ihn gestürzt und sei im Zuge des Gefechts mit einem Gewehr erschossen worden. Anschließend hätten sie auch seinen Onkel väterlicherseits namens XXXX erschossen. In diesem Moment sei auch er zu dem Geschehen dazu gestoßen. Anschließend hätten ihn XXXX und seine Leute ebenfalls erschießen wollen, er habe jedoch fliehen können. Der Vater des Beschwerdeführers habe am selben Tag einen Anruf von seinem Onkel mütterlicherseits erhalten, wonach der Beschwerdeführer seinen Onkel väterlicherseits, seinen Cousin und den Sohn des XXXX erschossen haben solle. XXXX habe nur den Streit schlichten wollen. Laut diesem Anruf habe es drei Zeugen gegeben und sei XXXX bereits mit anderen Männern unterwegs, um den Beschwerdeführer und dessen Vater aus Rache zu töten. Daraufhin sei die ganze Familie geflüchtet. Im Zuge der Flucht sei auf das Auto der Familie geschossen worden. Sie hätten jedoch Glück gehabt und nach XXXX fliehen können. Einige Tage später habe sein Vater mit seinem Cousin telefoniert. Der Cousin sei davon überzeugt gewesen, dass der Beschwerdeführer für den Mord verantwortlich gewesen sei. Anschließend habe sein Cousin den Vater des Beschwerdeführers als Feigling beschimpft und diesem, dem Beschwerdeführer und dessen Bruder mit dem Tod gedroht. Der Beschwerdeführer sei dann nach Kabul gegangen, um dort zu studieren. Nach ca. eineinhalb Jahren hätten mehrere Cousins von ihm seinem Vater aufgelauert, diesen erschossen und dessen Auto mitgenommen. Er sei daraufhin nach XXXX zu seiner Tante zurückgegangen. Als die Verwandten die Adresse des Beschwerdeführers und seiner restlichen Familien erfahren hatten, habe er seine Familie zuerst nach Kabul und anschließend nach Pakistan zu seinem Schwiegervater gebracht. Er sei in den Iran gegangen. Dort habe er als Bauarbeiter gearbeitet.
Zudem gab der Beschwerdeführer an, dass sein Bruder Dolmetscher „bei den Amerikanern“ gewesen sei und die Familienmitglieder daher als Verräter und Abtrünnige beschuldigt worden seien. Er sei deshalb auch mehrere Male von den Taliban aufgehalten und verprügelt worden. Diese hätten zu ihm gesagt, dass sie ihn umbringen würden, wenn er weiterhin nach Kabul fahre.
4. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 24.11.2017 (im Folgenden: angefochtener Bescheid) wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen, da er eine Verfolgung nicht glaubhaft machen habe können. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV). Im Bescheid wurde weiters festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) und es wurde dem Beschwerdeführer eine Frist zur freiwilligen Ausreise in der Dauer von zwei Wochen gewährt (Spruchpunkt VI.).
Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine asylrelevanten Fluchtgründe glaubhaft machen habe können. Das Vorbringen des Beschwerdeführers sei zudem erheblich um einen weiteren Fluchtgrund gesteigert worden und seine Angaben hätten widersprüchliche Geschehnisse, welche nicht der Erfahrung eines gewöhnlichen menschlichen Verhaltens entsprechen, geschildert. Für die belangte Behörde seien die vorgebrachten Fluchtgründe daher nicht glaubhaft.
Hinsichtlich einer Rückkehr des Beschwerdeführers stellte die belangte Behörde fest, dass eine solche in dessen Heimatprovinz derzeit für diesen nicht zumutbar, eine Rückkehr nach Mazar-e Sharif oder Kabul demgegenüber aber „absolut zumutbar“ sei. Es bestehe bezüglich ihm als einem jungen, gesunden und motivierten Mann kein Zweifel, dass er sich auch in Kabul selbst versorgen könne, zumal er dort studiert habe und das urbane Gebiet daher kenne. Zudem verfüge er über Familienangehörige in Afghanistan, die die Deckung seiner Grundbedürfnisse gewährleisten könnten.
Es bestehe hinsichtlich des Beschwerdeführers auch kein schützenswertes Privatleben in Österreich. Eine Rückkehrentscheidung stelle daher keinen Eingriff in sein Privatleben dar.
Der nunmehr angefochtene Bescheid wurde am 05.12.2017 zugestellt.
5. Gegen den angefochtenen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 30.12.2017 fristgerecht Beschwerde. In dieser wurde im Wesentlichen angeführt, dass der Beschwerdeführer ein ausführliches, detailliertes und eigenständiges Vorbringen erstattet habe. Sein Vorbringen sei stimmig, authentisch und glaubwürdig. Die belangte Behörde habe es verabsäumt, die im Asylverfahren geforderte Einzelfallprüfung vorzunehmen. Dabei habe sich die belangte Behörde zwar auf aktuelle Länderberichte berufen, doch sei deren Würdigung äußerst abstrakt geblieben. Die belangte Behörde verfüge über kein ausreichendes Fachwissen zur afghanischen Lebensrealität.
Zudem sei die Beurteilung der Rückkehrsituation seitens der belangten Behörde insgesamt untauglich, unbrauchbar und der afghanischen Realität entfremdet. Die belangte Behörde übersehe, dass in einem seit Jahren von kriegerischen Auseinandersetzungen geprägten Land wie Afghanistan kein normales Verhalten der Menschen erwartet werden könne. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei weder nachvollziehbar, noch ergebe sich eine solche aus der Berichtslage. Aus den Länderberichten gehe hervor, dass eine Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr einer Verletzung von Grundrechten iSd Art 2 und 3 EMRK in sich berge.
Zudem habe sich der Beschwerdeführer bereits bemüht, sich in Österreich „einzugliedern“. Er habe schon viele Kurse besucht und an interessanten Projekten teilgenommen.
6. Einlangend am 12.01.2018 wurde die Beschwerde - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - samt zugehörigem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
7. Mit Schreiben vom 21.08.2018 wurde der Landespolizeidirektion Wien eine Meldung des Stadtpolizeikommandos Landstraße übermittelt, wonach der Beschwerdeführer wegen § 127 StGB (Diebstahl) auf freiem Fuß angezeigt worden ist.
8. Mit Schreiben vom 04.06.2020 wurde der Landespolizeidirektion Wien eine Meldung des Stadtpolizeikommandos Döbling übermittelt, wonach der Beschwerdeführer im Besitz einer geringen Menge Canabiskraut (§ 27 Abs 1 SMG) angetroffen wurde.
9. Am 28.07.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, zu der der Beschwerdeführer und die belangte Behörde als Parteien geladen waren. Ein Vertreter der belangten Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil.
Im Rahmen der Verhandlung gab der Beschwerdeführer an, dass er seit sechs oder sieben Monaten unter Juckreiz leide. Er nehme deswegen auch Medikamente, diese würden aber nicht helfen. Ansonsten sei er gesund. Er stamme aus der Provinz Parwan, Distrikt XXXX und gehöre der Glaubensgemeinschaft des sunnitischen Islam und der Volksgruppe der Paschtunen an. Er habe in Afghanistan 12 Jahre die Schule besucht und anschließend zwei Jahre lang eine IT-Ausbildung gemacht. Seine Familie habe in Afghanistan Grundstücke besessen, auf denen er ab und zu ausgeholfen habe. Hier in Österreich habe er ca. 1 Jahr für eine Firma mit dem Fahrrad Essen ausgeliefert, dann sei diese Firma geschlossen worden.
Er habe mit ca. 17 Jahren traditionell seine Cousine geheiratet, seine Frau halte sich derzeit in Pakistan auf.
Der Beschwerdeführer gab an, dass er Afghanistan im Jahr 2013 verlassen habe. Danach habe er sich vorübergehend im Iran und in der Türkei aufgehalten, bevor er 2015 nach Österreich gekommen sei.
Von seiner Kernfamilie lebe niemand mehr in Afghanistan, hier in Österreich habe er keine Familienangehörigen, aber viele Freunde.
Befragt nach einem typischen Tagesablauf gab der Beschwerdeführer an, dass er in der Früh laufen gehe, danach sei er zu Hause und erledige den Haushalt wie etwa Putzen und Kochen. Er treffe sich auch mit Freunden und gehe spazieren. Er habe auch schon sehr oft versucht, eine Arbeit zu finden, was aber nicht möglich sei. Er könne alle Arten von Arbeiten erledigen und würde auch gerne selbständig im IT-Bereich tätig sein. Er lebe von der Grundversorgung. Alle seine Mitbewohner seien aus Afghanistan, er habe aber auch iranische und viele österreichische Freunde, sowohl Männer als auch Frauen. Auch mit seinen Lehrern habe er viel Kontakt. Eine spezielle Bezugsperson hier in Österreich habe er nicht, aber viele Freunde.
Einige auf Deutsch und ohne Übersetzung durch den Dolmetscher gestellte Fragen des Richters konnte der Beschwerdeführer nur schleppend, grammatikalisch sehr fehlerhaft und unter Verwendung eines geringen, einfachen Wortschatzes beantworten. Auf die Frage, was ihm an Wien, der Stadt, in der er schon seit mehreren Jahren lebt, besonders gefalle, beantwortete der Beschwerdeführer dahingehend, dass die Leute hier sehr nett wären und dass Wien ein schönes Bundesland in Österreich sei. Besonders würden ihm der 20. Bezirk und der Tiergarten Schönbrunn gefallen. An bekannten österreichischen Persönlichkeiten konnte der Beschwerdeführer lediglich Mozart, dessen Musik ihm gut gefalle, und „jemanden mit Nachnamen Tichy“ nennen, der ein Buch über Afghanistan geschrieben habe. Von den aktuellen österreichischen Politikern kenne er Kurz, der „Bundesmeister“ sei.
Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, dass er einmal wegen Diebstahl eines Kopfhörers angezeigt worden sei. Dies sei ebenso ein Fehler gewesen wie das Konsumieren von Drogen. Er sei aber nie ein Drogendealer gewesen.
Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er das Land verlassen habe, weil er in Afghanistan von den Taliban gesucht werde. Ihm werde vorgeworfen, dass er spioniert und drei Personen getötet habe. Sein Vater sei bereits von seinen Cousins väterlicherseits getütet worden, die seine Feinde wären und auch den Beschwerdeführer töten würden. Diese Feindschaft sei entstanden, weil bei einer Grundstücksstreitigkeit ein Onkel des Beschwerdeführers und dessen Sohn getötet worden seien, die anderen Kinder dieses getöteten Onkels würden den Beschwerdeführer für den Tod der beiden verantwortlich machen.
Das streitgegenständliche Grundstück habe der Vater des Beschwerdeführers gemeinsam mit einem Onkel des Beschwerdeführers im Jahr 2011 oder 2012 gekauft. Das Grundstück, auf dem Gemüse angebaut worden sei, sei ca. ein Hektar groß gewesen und im Distrikt XXXX , ca. eine halbe Stunde Gehzeit vom Haus der Eltern des Beschwerdeführers entfernt gelegen. Ca. ein Jahr nach Kauf des Grundstücks hätten die Streitigkeiten darum begonnen. Er sei damals um die Mittagszeit gemeinsam mit seinem Onkel und einem Cousin auf dem Feld gewesen, um dieses zu bewässern. Ein Mann namens XXXX sei gemeinsam mit seinem Sohn und drei anderen Personen gekommen und habe zu streiten begonnen. Der Beschwerdeführer selbst habe sich zu diesem Zeitpunkt auf einem angrenzenden Grundstück aufgehalten. Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, dass er ca. „von hier (gemeint: Verhandlungssaal 2 des BVwG) bis zur U-Bahnstation Erdbergstraße“ entfernt gewesen sei. Da die dort liegenden Felder flach seien habe er alles gesehen und mitbekommen, so auch, dass die ankommenden Männer bewaffnet gewesen seien und laut gestritten hätten. Der Cousin des Beschwerdeführers habe daraufhin die Besitzurkunde betreffend das streitgegenständliche Grundstück von zu Hause geholt und sei mit dieser ca. eine halbe Stunde danach zurückgekommen. Die Männer um XXXX hätten die Urkunde aber zerrissen, woraufhin der Streit eskaliert wäre. Der Beschwerdeführer habe sich gerade auf die Gruppe der Streitenden zubewegt, als die Gegner auf dessen Onkel und Cousin geschossen hätten. Bei dem Handgemenge sei auch der Sohn des XXXX mit einer Heugabel verletzt worden und später an diesen Verletzungen gestorben. Daraufhin sei er, der unbewaffnet und alleine gewesen sei, vor der bewaffneten Übermacht geflohen. Er sei von den verbleibenden vier Personen verfolgt worden, diese hätten ohne etwas zu sagen mit Kalaschnikows auf ihn geschossen. Er sei dann über eine Mauer gesprungen und nach Hause gegangen, während die Verfolger aufgegeben hätten. Von dem Vorfall gebe es keine Zeugen, und selbst für den Fall, dass es jemand gesehen hätte, würde niemand aus Angst etwas darüber sagen. Zu Hause habe der Beschwerdeführer seinem Vater erzählt, was passiert sei. Der Vater des Beschwerdeführers habe daraufhin zusammen mit diesem zur Moschee gehen wollen, um zu berichten, was passiert sei, XXXX und seine Leute seien aber schon vor ihnen dort gewesen und hätten erzählt, dass der Beschwerdeführer seinen Onkel und Cousin im Streit um das Grundstück getötet und den Sohn des XXXX verletzt habe. Ein Onkel mütterlicherseits habe die Mutter des Beschwerdeführers angerufen und erzählt, dass XXXX in der Moschee gewesen sei und gegen den Beschwerdeführer ausgesagt habe. Diese Personen hätten auch angedroht, zusammen mit den Brüdern des getöteten Cousins des Beschwerdeführers zum Haus der Familie des Beschwerdeführers zu kommen, um diese anzugreifen. Daraufhin sei die Familie mit dem Auto des Vaters des Beschwerdeführers geflüchtet. Tatsächlich sei die Gruppe um XXXX auch mit einem Pickup gekommen und habe das Auto mit der Familie des Beschwerdeführers bis zu einem bestimmten Ort verfolgt und auch auf dieses geschossen. Die Frage, wieso es der Familie des Beschwerdeführers möglich war, zu entkommen, beantwortete dieser dahingehend, dass sie einen „ziemlichen Vorsprung“ gehabt hätten. Die Familie sei dann zu einer Tante nach XXXX , das in der Nähe von XXXX liege, geflüchtet, dieser Ort sei vom Heimatort des Beschwerdeführers ca. „eineinhalb Stunden schnelle Autofahrt“ entfernt. Die Familie habe sich dort versteckt und das Problem friedlich lösen wollen. Der Beschwerdeführer sei nach Kabul gegangen, dessen Vater habe ab und zu als „Fahrer“ gearbeitet. Die Leute um XXXX bzw. die Cousins des Beschwerdeführers hätten weiterhin nach ihnen gesucht und den Vater des Beschwerdeführers schließlich nach ca. eineinhalb Jahren in XXXX auch gefunden und getötet. Auch der Beschwerdeführer selbst sei in Kabul von den Gegnern gefunden und attackiert worden. Er habe daraufhin seinen Wohnsitz gewechselt, es sei aber weiter nach ihm gesucht worden. In Afghanistan sei es so, dass – wenn jemand seinen Vater verloren habe – der vermeintlich dafür Schuldige von den Hinterbliebenen nie in Ruhe gelassen werde. Nachgefragt, was inzwischen mit dem Grundstück passiert sei, gab der Beschwerdeführer an, dass er das nicht wisse und auch nie mehr dorthin zurückgekehrt sei. Der Familie des Beschwerdeführers sei alles – das Haus und der Garten – weggenommen worden.
Als weiteren Fluchtgrund nannte der Beschwerdeführer, dass ihm in Afghanistan vorgeworfen worden sei, dass er spioniere, weil dessen Bruder für „die Ausländer“ als Dolmetscher tätig gewesen sei. Der Beschwerdeführer und dessen Vater seien deswegen von den Taliban vorgeladen worden, um herauszufinden, wo sich der für die Ausländer tätige Bruder aufhalte. Der Beschwerdeführer sei auch geschlagen worden, habe aber nicht zugegeben, dass sein Bruder für die Ausländer arbeite, sondern habe angegeben, dass sich dieser im Iran aufhalte. Nachgefragt gab der Beschwerdeführer an, dass er nicht wisse, wie lange sein Bruder diese Tätigkeit für die Ausländer ausgeübt habe, da es keine Unterlagen darüber gebe und sein Bruder, der eine eigene Familie habe, nicht darüber spreche. Auch der Bruder des Beschwerdeführers selbst sei wegen dessen Tätigkeit beschimpft und als „Ungläubiger“ bezeichnet worden. Dieser sei – nachdem seine Frau und seine Kinder getötet worden seien – glaublich in die Türkei geflüchtet.
Nachgefragt, wie oft er selbst Kontakt mit den Taliban gehabt habe, gab der Beschwerdeführer an, dass die Taliban „dort an der Macht“ seien und es gefährlich wäre, wenn man diesen kein Geld als eine Art „Steuer“ gebe. Die Familie des Beschwerdeführers sei aber nicht so reich gewesen und habe den Taliban deswegen kein Geld geben können. Die Taliban würden plötzlich mit ca. 20 Mann zu einem ins Haus kommen und man müsse dann für sie kochen. Man müsse den Taliban einfach Geld geben – das sei mit dem Steuersystem in Österreich vergleichbar - sonst werde man getötet. Dieses Problem habe alle Bewohner des Heimatdorfes des Beschwerdeführers betroffen, da die Taliban dort an der Macht wären. Die Taliban würden die Dorfbewohner auch nach Gebeten fragen, und wenn jemand nicht bete, werde er geschlagen. Auch XXXX sei ein Kommandant der Taliban. Der Beschwerdeführer habe Probleme mit den Taliban und würde im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan ebenso wie sein Vater getötet werde. Drei Personen hätten bezeugt, dass er seinen Onkel, seinen Cousin und den Sohn des XXXX getötet habe, deswegen würde der Beschwerdeführer von den Taliban gesucht werden.
In Afghanistan sei es für ihn lebensgefährlich. XXXX würde dem Beschwerdeführer die Morde unterschieben, um sich selbst zu schützen. Der Beschwerdeführer gab an, dass die Taliban überall in Afghanistan wären und dass es überall – auch in Kabul und in den großen Städten – gefährlich sei. Nachgefragt zur Person des XXXX gab der Beschwerdeführer an, dass dieser der Anführer einer Gruppe von mehreren bewaffneten Personen sei, die für ihn arbeiteten und die er befehlige.
Abschließend gab der Beschwerdeführer an, dass in den Länderinformationen zu Afghanistan stehe, dass dort viele Menschen sterben würden, weil die Lage sehr unsicher sei. Zusätzlich habe er persönliche Feinde in Afghanistan. Niemand könne ihm garantieren, dass ihm im Falle einer Rückkehr nichts passieren würde. Er sei verheiratet und habe eine Familie, wenn ihm etwas passieren würde, könne niemand für seine Familie sorgen. Inzwischen seien die Taliban überall, praktisch in jeder Provinz und auch schon in der Nähe von Kabul. Niemand könne dort mehr sicher leben. Der Beschwerdeführer gab an, dass er keine Kraft mehr habe und nicht mehr „weiterflüchten“ wolle. Er habe schlaflose Nächte und leide unter Magenproblemen und Stress.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seiner Familie:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX im Distrikt XXXX , Provinz Parwan, geboren. Er ist afghanischer Staatsbürger, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und ist sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Paschtu. Er ist verheiratet und hat Kinder, seine Familie hält sich in Pakistan auf.
Der Beschwerdeführer hat Afghanistan im Jahr 2013 verlassen und ist spätestens am 10.11.2015 illegal in Österreich eingereist.
Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan ca. 12 Jahre die Grundschule besucht, danach hat er zwei Jahre lang eine Ausbildung im IT- Bereich absolviert. Neben seiner Ausbildung hat er gelegentlich auch bei der Arbeit auf den der Familie gehörenden Grundstücken mitgeholfen.
Der Beschwerdeführer hält sich seit ca. vier Jahren und neun Monaten in Österreich auf. Er hat diesen Zeitraum nicht bzw. nur wenig genutzt, um sich in Österreich sozial zu integrieren.
Der Beschwerdeführer verbringt seine Zeit mit der Erledigung des Haushalts, besucht Deutschkurse, betätigt sich sportlich und geht mit Freunden spazieren. Er ist in keinem Verein Mitglied. Ca. ein Jahr lang war er in Österreich als Fahrrad-Essenslieferant tätig. Er bestreitet seinen Lebensunterhalt vor allem durch die Grundversorgung.
Der Freundeskreis des Beschwerdeführers besteht sowohl aus Afghanen als auch aus Österreichern. Er verfügt in Österreich über keine familiären Anknüpfungspunkte, lebt nicht in einer Partnerschaft und hat in Österreich keine spezielle Bezugsperson.
Der Beschwerdeführer ist kaum – und wenn, dann nur in sehr einfachen Sätzen und grammatikalisch fehlerhaft – in der Lage, auf Deutsch kommunizieren. Er verfügt – bezogen auf seine bereits sehr lange Aufenthaltsdauer in Österreich - über nur mäßige Deutschkenntnisse. Er kennt – mit ganz wenigen Ausnahmen – keine aktuellen oder historischen österreichischen Persönlichkeiten oder Politiker.
Der Beschwerdeführer leidet seit etwa einem halben Jahr an Juckreiz, die dagegen eingesetzten Medikamente wirken nicht. Ansonsten ist der Beschwerdeführer gesund.
Es ist nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan mit hoher Wahrscheinlichkeit mit für ihn schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen an Covid-19 erkranken wird.
Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer hat Afghanistan im Jahr 2013 aufgrund der im Land herrschenden allgemein schwierigen Situation und infolge einer Grundstücksstreitigkeit verlassen.
Dem Beschwerdeführer droht im Falle einer Rückkehr nicht die Gefahr, aufgrund einer – tatsächlichen oder ihm unterstellten - gegen die Taliban gerichteten oppositionellen politischen Gesinnung verfolgt zu werden.
Dem Beschwerdeführer droht im Falle einer Rückkehr keine konkrete, gegen ihn als Einzelperson gerichtete Verfolgung durch die Taliban.
Dem Beschwerdeführer droht im Falle einer Rückkehr auch keine Verfolgung aus einem sonstigen in der GFK genannten asylrelevanten Grund.
1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:
Dem Beschwerdeführer könnte bei einer Rückkehr in seine Heimatprovinz Parwan aufgrund der dort herrschenden Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen.
Der Beschwerdeführer ist im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung bzw. Abschiebung nach Afghanistan nicht in seinem Recht auf Leben gefährdet, Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.
Der Beschwerdeführer leidet an keinen derart schwerwiegenden oder chronischen Krankheiten, dass diese einer Rückkehr nach Afghanistan entgegenstehen würden.
Der Beschwerdeführer ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.
Bezugnehmend auf die sonstigen Verfahrensergebnisse sind vor dem Hintergrund der aktuellen Lage in Afghanistan keine Hinweise auf eine allfällige Gefährdung des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr in seinen Heimatstaat hervorgekommen.
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif ist der Beschwerdeführer in der Lage, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft zu befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Herat oder Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich mit den daraus zu erzielenden Einkünften selbst erhalten.
Es ist dem Beschwerdeführer möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.
1.4. Zur aktuellen Lage in Afghanistan:
Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan, zuletzt gesamtaktualisiert am 13.11.2019 und mit der zuletzt eingefügten Kurzinformation vom 18.05.2020, wird auszugsweise und beschränkt auf die relevanten Abschnitte wie folgt angeführt:
1.4.1. Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 3). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B).
Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 5).
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus (LIB, Kapitel 3).
1.4.2. Allgemeine Wirtschaftslage
Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 21).
Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB, Kapitel 21).
In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
In Afghanistan gibt es neben der Zentralbank auch mehrere kommerzielle Banken. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses Systemfunktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 21).
Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können (gemäß der Definition von UN-Habitat) als Slums eingestuft werden. Der Zugang zu angemessenem Wohnraum stellt für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung dar (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Städte die Möglichkeit von „Teehäusern“, die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. „Teehäuser“ werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
1.4.3. Zur aktuellen Lage hinsichtlich Covid-19:
In 30 der 34 Provinzen Afghanistans wurden mittlerweile COVID-19-Fälle registriert (NYT 22.4.2020). Nachbarländer von Afghanistan, wie China, Iran und Pakistan, zählen zu jenen Ländern, die von COVID-19 besonders betroffen waren bzw. nach wie vor sind. Dennoch ist die Anzahl, der mit COVID-19 infizierten Personen relativ niedrig (AnA 21.4.2020). COVID-19 Verdachtsfälle können in Afghanistan aufgrund von Kapazitätsproblemen bei Tests nicht überprüft werden – was von afghanischer Seite bestätigt wird (DW 22.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; NYT 22.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Auch wird die Dunkelziffer von afghanischen Beamten höher geschätzt (WP 20.4.2020). In Afghanistan können derzeit täglich 500 bis 700 Personen getestet werden. Diese Kapazitäten sollen in den kommenden Wochen auf 2.000 Personen täglich erhöht werden (WP 20.4.2020). Die Regierung bemüht sich noch weitere Testkits zu besorgen – was Angesicht der derzeitigen Nachfrage weltweit, eine Herausforderung ist (DW 22.4.2020).
Landesweit können – mit Hilfe der Vereinten Nationen – in acht Einrichtungen COVID-19-Testungen durchgeführt werden (WP 20.4.2020). Auch haben begrenzte Laborkapazitäten und -ausrüstung einige Einrichtungen dazu gezwungen, Testungen vorübergehend einzustellen (WP 20.4.2020). Unter anderem können COVID-19-Verdachtsfälle in Einrichtungen folgender Provinzen überprüft werden: Kabul, Herat, Nangarhar (TN 30.3.2020) und Kandahar. COVID-19 Proben aus angrenzenden Provinzen wie Helmand, Uruzgan und Zabul werden ebenso an die Einrichtung in Kandahar übermittelt (TN 7.4.2020a).
Jahrzehntelange Konflikte in Afghanistan machen das Land anfällig für den Ausbruch von Krankheiten: nach wie vor ist Polio dort endemisch (als eines von drei Ländern weltweit) (WP 20.4.2020) außerdem ist das Gesundheitssystem fragil (AnA 21.4.2020; vgl. QA 16.4.2020; ARZ KBL 7.5.2020). Beispielsweise mangelt es an adäquaten Medikamenten für Patient/innen, die an COVID-19 erkrankt sind. Jedoch sind die wenigen Medikamente, die hierfür zur Verfügung stehen, kostenfrei (ARZ KBL 7.5.2020). Der landesweite Mangel an COVID-19-Testkits sowie an Isolations- und Behandlungseinrichtungen verdeutlichen diese Herausforderung (AnA 21.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Landesweit stehen 10.400 Krankenhausbetten (BBC 9.4.2020) und 300 Beatmungsgeräte zur Verfügung (TN 8.4.2020; vgl. DW 22.4.2020; QA 16.4.2020). 300 weitere Beatmungsgeräte plant die afghanische Regierung zu besorgen. Weiters mangelt es an geschultem Personal, um diese medizinischen Geräte in Afghanistan zu bedienen und zu warten (DW 22.4.2020; vgl. ARZ KBL 7.5.2020). Engpässe bestehen bei den PPE (personal protective equipment), persönlichen Schutzausrüstungen für medizinisches Personal; außerdem wird mehr fachliches Personal benötigt, um Patient/innen auf den Intensivstationen zu betreuen (ARZ KBL 7.5.2020).
Aufgrund der Nähe zum Iran gilt die Stadt Herat als der COVID-19-Hotspot Afghanistans (DW 22.4.2020; vgl. NYT 22.4.2020); dort wurde nämlich die höchste Anzahl bestätigter COVID-19-Fälle registriert (TN 7.4.2020b; vgl. DW 22.4.2020). Auch hat sich dort die Anzahl positiver Fälle unter dem Gesundheitspersonal verstärkt. Mitarbeiter/innen des Gesundheitswesens berichten von fehlender Schutzausrüstung – die Provinzdirektion bestätigte dies und erklärtes mit langwierigen Beschaffungsprozessen (TN 7.4.2020b). Betten, Schutzausrüstungen, Beatmungsgeräte und Medikamente wurden bereits bestellt – jedoch ist unklar, wann die Krankenhäuser diese Dinge tatsächlich erhalten werden (NYT 22.4.2020). Die Provinz Herat verfügt über drei Gesundheitseinrichtungen für COVID-19-Patient/innen. Zwei davon wurden erst vor kurzem errichtet; diese sind für Patient/innen mit leichten Symptomen bzw. Verdachtsfällen des COVID-19 bestimmt. Patient/innen mit schweren Symptomen hingegen, werden in das Regionalkrankenhaus von Herat, welches einige Kilometer vom Zentrum der Provinz entfernt liegt, eingeliefert (TN 7.4.2020b). In Hokerat wird die Anzahl der Beatmungsgeräte auf nur 10 bis 12 Stück geschätzt (BBC 9.4.2020; vgl. TN 8.4.2020).
Beispiele für Maßnahmen der afghanischen Regierung
Eine Reihe afghanischer Städte wurde abgesperrt (WP 20.4.2020), wie z.B. Kabul, Herat und Kandahar (TG 1.4.2020a). Zusätzlich wurde der öffentliche und kommerzielle Verkehr zwischen den Provinzen gestoppt (WP 20.4.2020). Beispielsweise dürfen sich in der Stadt Kabul nur noch medizinisches Personal, Bäcker, Journalist/innen, (Nahrungsmittel)Verkäufer/innen und Beschäftigte im Telekommunikationsbereich bewegen. Der Kabuler Bürgermeister warnte vor "harten Maßnahmen" der Regierung, die ergriffen werden, sollten sich die Einwohner/innen in Kabul nicht an die Anordnungen halten, unnötige Bewegungen innerhalb der Stadt zu stoppen. Die Sicherheitskräfte sind beauftragt zu handeln, um die Beschränkung umzusetzen (TN 9.4.2020a).
Mehr als die Hälfte der afghanischen Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (WP 22.4.2020): Aufgrund der Maßnahmen sorgen sich zehntausende Tagelöhner in Kabul und Herat um ihre Existenz. UNICEF zufolge arbeiten allein in Kabul mindestens 60.000 Kinder, um das Familieneinkommen zu ersetzen (TG 1.4.2020). Offiziellen Schätzungen zufolge können z.B. in Herat-Stadt 150.000 Tagelöhner aufgrund des Lockdowns nicht arbeiten und haben somit kein Einkommen. Weil es in Herat an Ressourcen mangelt, um Hunderttausende zu ernähren, nimmt die Bevölkerung die Bedrohung durch das Virus nicht ernst. Zwar hat die Bevölkerung anfangs großzügig gespendet, aber auch diese Spenden werden weniger, nachdem die langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen auf Unternehmen sichtbar werden (NYT 22.4.2020).
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die International Organization for Migration (IOM) unterstützen das afghanische Ministerium für öffentliche Gesundheit (MOPH) (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020); die WHO übt eine beratende Funktion aus und unterstützt die afghanische Regierung in vier unterschiedlichen Bereichen während der COVID-19-Krise (WHO MIT 10.5.2020): 1. Koordination; 2. Kommunikation innerhalb der Gemeinschaften 3. Monitoring (durch eigens dafür eingerichtete Einheiten – speziell was die Situation von Rückkehrer/innen an den Grenzübergängen und deren weitere Bewegungen betrifft) und 4. Kontrollen an Einreisepunkten – an den 4 internationalen Flughäfen sowie 13 Grenzübergängen werden medizinische Kontroll- und Überwachungsaktivitäten durchgeführt (WHO MIT 10.5.2020; vgl. IOM 11.5.2020).
Taliban und COVID-19
Ein Talibansprecher verlautbarte, dass die Taliban den Konflikt pausieren könnten, um Gesundheitsbehörden zu erlauben, in einem von ihnen kontrollierten Gebiet zu arbeiten, wenn COVID-19 dort ausbrechen sollte (TN 2.4.2020; vgl. TD 2.4.2020). In der nördlichen Provinz Kunduz, hätten die Taliban eine Gesundheitskommission gegründet, die direkt in den Gemeinden das öffentliche Bewusstsein hinsichtlich des Virus stärkt. Auch sollen Quarantänezentren eingerichtet worden sein, in denen COVID-19-Verdachtsfälle untergebracht wurden. Die Taliban hätten sowohl Schutzhandschuhe, als auch Masken und Broschüren verteilt; auch würden sie jene, die aus anderen Gebieten kommen, auf COVID-19 testen (TD 2.4.2020). Auch in anderen Gebieten des Landes, wie in Baghlan, wird die Bevölkerung im Rahmen einer Informationsveranstaltung in der Moschee über COVID-19 informiert. Wie in der Provinz Kunduz, versorgen die Taliban die Menschen mit (Schutz)material, helfen Entwicklungshelfern dabei zu jenen zu gelangen, die in Taliban kontrollierten Gebieten leben und bieten sichere Wege zu Hilfsorganisationen, an (UD 13.3.2020).
Der Umgang der Taliban mit der jetzigen Ausnahmesituation wirft ein Schlaglicht auf den Modus Operandi der Truppe. Um sich die Afghanen in den von ihnen kontrollierten Gebieten gewogen zu halten, setzen die Taliban auf Volksnähe. Durch die Präsenz vor Ort machten die Islamisten das Manko wett, dass sie kein Geld hätten, um COVID-19 medizinisch viel entgegenzusetzen: Die Taliban können Prävention betreiben, behandeln können sie Erkrankte nicht (NZZ 7.4.2020).
Aktuelle Informationen zu Rückkehrprojekten
IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer/innen im Rahmen der freiwilligen Rückkehr. Aufgrund des stark reduzierten Flugbetriebs ist die Rückkehr seit April 2020 nur in sehr wenige Länder tatsächlich möglich. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei, wie bekannt, Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (IOM AUT 18.5.2020).
IOM Österreich bietet derzeit, aufgrund der COVID-19-Lage, folgende Aktivitäten an:
Qualitätssicherung in der Rückkehrberatung (Erarbeitung von Leitfäden und Trainings)
Unterstützung bei der freiwilligen Rückkehr und Reintegration im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten (Virtuelle Beratung, Austausch mit Rückkehrberatungseinrichtungen und Behörden, Monitoring der Reisemöglichkeiten) (IOM AUT 18.5.2020).
Das Projekt RESTART III – Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems und der Reintegration freiwilliger Rückkehrer/innen in Afghanistan“ wird bereits umgesetzt. Derzeit arbeiten die österreichischen IOM-Mitarbeiter/innen vorwiegend an der ersten Komponente (Unterstützung des österreichischen Rückkehrsystems) und erarbeiten Leitfäden und Trainingsinhalte. Die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan ist derzeit aufgrund fehlender Flugverbindungen nicht möglich. IOM beobachtet die Situation und steht diesbezüglich in engem Austausch mit den zuständigen Rückkehrberatungseinrichtungen und den österreichischen Behörden (IOM AUT 18.5.2020)
Mit Stand 18.5.2020, sind im laufenden Jahr bereits 19 Projektteilnehmer/innen nach Afghanistan zurückgekehrt. Mit ihnen, als auch mit potenziellen Projektteilnehmer/innen, welche sich noch in Österreich befinden, steht IOM Österreich in Kontakt und bietet Beratung/Information über virtuelle Kommunikationswege an (IOM AUT 18.5.2020).
Informationen von IOM Kabul zufolge, sind IOM-Rückkehrprojekte mit Stand 13.5.2020 auch weiterhin in Afghanistan operativ (IOM KBL 13.5.2020).
1.4.4. Allgemeine Menschenrechtslage
Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 11).
Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).
Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).
1.4.5. Regierungsfeindliche Gruppierungen
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv – insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB, Kapitel 2).
Taliban:
Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten bestehen die Taliban bereits überwiegend aus Nicht-Paschtunen, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB, Kapitel 2).
Die Gesamtstärke der Taliban betrug im Jahr 2017 über 200.000 Personen, darunter ca. 150.000 Kämpfer, davon rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten und der Rest ist Teil der lokalen Milizen. Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB, Kapitel 2).
Zwischen 01.12.2018 und 31.05.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zum Ziel – die Taliban beschränken ihre Angriffe weitgehend auf Regierungsziele und afghanische und internationale Sicherheitskräfte (LIB, Kapitel 2).
Die Taliban haben eine Vielzahl von Personen ins Visier genommen, die sich ihrer Meinung nach "fehlverhalten", unter anderem Angehörige der afghanischen Sicherheitskräfte jeden Ranges, oder Regierungsbeamte und Mitarbeiter westlicher und anderer „feindlicher“ Regierungen, Kollaborateure oder Auftragnehmer der afghanischen Regierung oder des ausländischen Militärs, oder Dolmetscher, die für feindliche Länder arbeiten. Die Taliban bieten diesen Personen grundsätzlich die Möglichkeit an, Reue und den Willen zur Wiedergutmachung zu zeigen. Die Chance zu bereuen, ist ein wesentlicher Aspekt der Einschüchterungstaktik der Taliban und dahinter steht hauptsächlich der folgende Gedanke: das Funktionieren der Kabuler Regierung ohne übermäßiges Blutvergießen zu unterminieren und Personen durch Kooperationen an die Taliban zu binden. Diese Personen können einer „Verurteilung“ durch die Taliban entgehen, indem sie ihre vermeintlich „feindseligen“ Tätigkeiten nach einer Verwarnung einstellen. (Landinfo 1, Kapitel 4)
1.4.6. Rekrutierung durch die Taliban
Menschen schließen sich den Taliban zum einen aus materiellen und wirtschaftlichen Gründen zum anderen aus kulturellen und religiösen Gründen an. Die Rekruten sind durch Armut, fehlende Chancen und die Tatsache, dass die Taliban relativ gute Löhne bieten, motiviert. Es spielt auch die Vorstellung, dass die Behörden und die internationale Gemeinschaft den Islam und die traditionellen Standards nicht respektieren würden, eine zentrale Rolle, wobei sich die Motive überschneiden. Bei Elitetruppen sind beide Parameter stark ausgeprägt. Sympathisanten der Taliban sind Einzelpersonen und Gruppen, vielfach junger Männer, deren Motiv der Wunsch nach Rache, Heldentum gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen sind (Landinfo 2, Kapitel 4.1). Die Billigung der Taliban in der Bevölkerung ist nicht durch religiöse Radikalisierung bedingt, sondern Ausdruck der Unzufriedenheit über Korruption und Misswirtschaft (Landinfo 2, Kapitel 4.1.1).
Die Taliban sind aktiver als bisher bemüht, Personen mit militärischem Hintergrund sowie mit militärischen Fertigkeiten zu rekrutieren. Die Taliban versuchen daher das Personal der afghanischen Sicherheitskräfte auf ihre Seite zu ziehen. Da ein Schwerpunkt auf militärisches Wissen und Erfahrungen gelegt wird, ist mit einem Anstieg des Durchschnittsalters zu rechnen Landinfo 2, Kapitel 3). Durch das Anwerben von Personen mit militärischem Hintergrund bzw. von Mitgliedern der Sicherheitskräfte erhalten Taliban Waffen, Uniformen und Wissen über die Sicherheitskräfte. Auch Personen die über Knowhow und Qualifikationen verfügen (z.B. Reparatur von Waffen), können von Interesse für die Taliban sein (Landinfo 2, Kapitel 5.1).
Die Mehrheit der Taliban sind Paschtunen. Die Rekrutierung aus anderen ethnischen Gruppen ist weniger üblich. Um eine breitere Außenwirkung zu bekommen, möchte die Talibanführung eine stärkere multiethnische Bewegung entwickeln. Die Zahl der mobilisierten Hazara ist unerheblich, nur wenige Kommandanten der Hazara sind mit Taliban verbündet. Es ist für die Taliban wichtig sich auf die Rekruten verlassen zu können (Landinfo 2, Kapitel 3.3).
Die Taliban waren mit ihrer Expansion noch nicht genötigt Zwangsmaßnahmen zur Rekrutierung anzuwenden. Zwangsrekrutierung ist noch kein herausragendes Merkmal für den Konflikt. Die Taliban bedienen sich nur sehr vereinzelt der Zwangsrekrutierung, indem sie männliche Dorfbewohner in von ihnen kontrollierten Gebieten, die mit der Sache nicht sympathisieren, zwingen, als Lastenträger zu dienen (Landinfo 2, Kapitel 5.1). Die Taliban betreiben eine Zwangsrekrutierung nicht automatisch. Personen die sich gegen die Rekrutierung wehren, werden keine rechtsverletzenden Sanktionen angedroht. Eine auf Zwang beruhende Mobilisierungspraxis steht auch den im Pashtunwali (Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen) enthaltenen fundamentalen Werten von Familie, Freiheit und Gleichheit entgegen. Es kommt nur in Ausnahmefällen und nur in sehr beschränktem Ausmaß zu unmittelbaren Zwangsrekrutierungen durch die Taliban. Die Taliban haben ausreichend Zugriff zu freiwilligen Rekruten. Zudem ist es schwierig einen Afghanen zu zwingen, gegen seinen Willen gegen jemanden oder etwas zu kämpfen (Landinfo 2, Kapitel 5.1).
Im Kontext Afghanistans verläuft die Grenze zwischen Jungen und Mann fließend. Ausschlaggebend für diese Beurteilung sind Faktoren wie Pubertät, Bartwuchs, Mut, Unabhängigkeit, Stärke und die Fähigkeit die erweiterte Familie zu repräsentieren. Der Familienälteste ist das Oberhaupt, absolute Loyalität gegenüber getroffenen Entscheidungen wird vorausgesetzt. Kinder unterstehen der Obrigkeit der erweiterten Familie. Es stünde im Widerspruch mit der afghanischen Kultur, würde man Kinder gegen den Wunsch der Familie und ohne entsprechende Entscheidung des Familienverbandes aus dem Familienverband „herauslösen“ (Landinfo 2, Kapitel 6).
1.4.7. Provinzen und Städte
1.4.7.1. Provinz Balkh
Balkh liegt im Norden Afghanistans. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Die Provinz hat 1.475.649 Einwohner (LIB, Kapitel 3.5).
Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Afghanistans. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Im Jahr 2018 gab es 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 3.5).
In der Provinz Balkh – mit Ausnahme der Stadt Mazar- e Sharif – kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).
Die Hauptstadt der Provinz Balkh ist Mazar-e Sharif. In dieser Stadt findet willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden, da sie den Antragsteller in risikoreichere Situationen bringen könnten (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).
1.4.7.2. Provinz Herat
Herat liegt im Westen Afghanistans. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Die Provinz hat 2.095.117 Einwohner. Die Provinz ist über einen Flughafen in der Nähe von Herat-Stadt zu erreichen (LIB, Kapitel 3.13).
Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, in dem die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen. Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte. Im Jahr 2018 gab es 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 3.13).
In der Provinz Herat - mit Ausnahme in der Stadt Herat - kommt es zu willkürlicher Gewalt, jedoch nicht auf hohem Niveau. Dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich ist, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).
Die Hauptstadt der Provinz ist Herat-Stadt. In dieser Stadt findet willkürliche Gewalt auf einem niedrigen Niveau statt. Im Allgemeinen besteht kein reales Risiko, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie persönlich betroffen wird. Es müssen jedoch immer individuelle Risikoelemente berücksichtigt werden (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).
1.4.7.3. Provinz Parwan
Letzte Änderung: 22.4.2020
Parwan liegt im zentralen Teil Afghanistans. Die Provinz grenzt an Baghlan im Norden, Panjshir und Kapisa im Osten, Kabul und Wardak im Süden und Südosten und Bamyan im Westen (NPS o.D.pw; vgl. UNOCHA 4.2014pw). Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Bagram, der Provinzhauptstadt Charikar, Syahgird (oder Ghurband), Jabulussaraj, Koh-e-Safi, Salang, Sayyid Khel, Shaykh Ali, Shinwari und Surkhi Parsa (CSO 2019; vgl. UNOCHA 4.2014pw, OPr 1.2.2017pw, IEC 2018pw). Die afghanische zentrale Statistikorganisation (CSO) schätzte die Bevölkerung von Parwan für den Zeitraum 2019-20 auf 724.561 Personen (CSO 2019); diese besteht hauptsächlich aus Paschtunen, Tadschiken, Usbeken, Qizilbash, Kuchi und Hazara (NPS o.D.pw).
Der 2,7 km lange Salang-Tunnel zwischen den Provinzen Parwan und Baghlan verbindet Kabul mit Nordafghanistan (TN 1.9.2018; vgl. TN 18.6.2018; WP 22.1.2018; TD 21.10.2015). Die Zulaufstrecken sind in schlechtem Zustand und die Straßenerhaltungsarbeiten mangelhaft (TN 18.6.2018). Es gibt ein Projekt, den Salang-Pass mittels neuem, 12 km langem Tunnel zu durchqueren (TN 18.6.2018; vgl. SPT 8.2.2019).
Die Autobahn durch den Salang-Tunnel führt von Kabul durch die Distrikte Charikar, Jabulussaraj und Salang zur Provinz Kunduz; außerdem verbindet eine weitere Straße die Provinzen Parwan und Bamyan durch die Distrikte Charikar, Shinwari, Syahgird, Shaykh Ali und den Shibar-Pass (UNOCHA 4.2014pw; vgl. MoPW 16.10.2015; AAN 19.10.2011).
In der Provinz Parwan befindet sich die Bagram Air Base, die größte NATO-Militärbasis in Afghanistan (LWJ 5.8.2018).
Laut dem UNODC Opium Survey 2018 ist Parwan seit 2013 Schlafmohn frei (UNODC/MCN 11.2018).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Im Mai 2019 zählte eine Quelle die Provinz Parwan zu den relativ friedlichen Provinzen Afghanistans, in deren abgelegenen Distrikten Aufständische oftmals den Versuch unternehmen, terroristische Aktivitäten auszuführen (KP 8.5.2019). Im Juni 2019 berichtete dieselbe Quelle jedoch, dass sich die Sicherheitslage in manchen Distrikten der Provinz in den vergangenen Jahren verschlechtert hätte (KP 12.6.2019). So waren im August 2018 Taliban-Aufständische in den Distrikten Koh-e-Safi, Sayyid Khel, Shinwari, Siyahgird und Surkhi Parsa aktiv, von wo aus sie Angriffe auf die Provinzhauptstadt Charikar und die Luftwaffenbasis Bagram planten (LWJ 5.8.2018).
In Bezug auf die Anwesenheit von regulären staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Parwan in der Verantwortung des 201. ANA Corps, das der Task Force East angehört, die von US-amerikanischen und polnischen Truppen geleitet wird (USDOD 6.2019).
Im Jahr 2019 dokumentierte UNAMA 246 zivile Opfer (65 Tote und 181 Verletzte) in der Provinz Parwan. Dies entspricht einer Steigerung von 500% gegenüber 2018. Die Hauptursachen für die Opfer waren Selbstmordangriffe, gefolgt von Kämpfen am Boden und Suchoperationen (UNAMA 2.2020).
In der Provinz werden Sicherheitsoperationen durch die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeführt (z.B. KP 25.6.2019; KP 12.6.2019; KP 8.5.2019; KP 28.4.2019; KP 18.4.2019; KP 2.9.2018). Bei manchen dieser Operationen wurden auch Zivilisten getötet (z.B. RAWA 23.11.2018; XI 13.10.2018; PAJ 23.11.2018). Auch kommt es immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Aufständischen und afghanischen Streitkräften (z.B. KP 22.12.2018; 1TV 6.11.2018; BN 30.7.2018; AJ 5.8.2018; vgl. WP 5.8.2018, LWJ 5.8.2018). Außerdem greifen Aufständische der Taliban, manchmal auch gemeinsam mit al-Qaida, in regelmäßigen Abständen das Bagram Airfield an (z.B. LWJ 5.8.2018; KP 17.5.2019; abc 9.4.2019).
Immer wieder kommt es auf den Straßen der Provinz Parwan zu sicherheitsrelevanten Vorfällen wie z.B. Entführungen (TKG 30.7.2018) oder Verhaftungen (PAJ 31.1.2019) durch die Taliban, aber auch durch nicht identifizierte Militante (PAJ 17.1.2019).
Während der zweitägigen Wahlen im Oktober 2018 wurden von Aufständischen Straßenblockaden errichtet, um die Bevölkerung von der Wahl abzuhalten und den Transport von Wahlmaterial zu verzögern (UNAMA 11.2018).
1.4.7.4. Stadt Mazar-e Sharif
Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 3.5).
Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).
Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 21). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Während Mazar-e Sharif im Zeitraum Juni 2019 bis September 2019 noch als IPC Stufe 1 „minimal“ (IPC - Integrated Phase Classification) klassifiziert wurde, ist Mazar-e Sharif im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 in Phase 2 „stressed“ eingestuft. In Phase 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwenigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI, Kapitel 3.1).
In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 – teils öffentliche, teils private – Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB, Kapitel 22).
1.4.7.5. Stadt Herat
Herat-Stadt ist die Provinzhauptstadt der Provinz Herat. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen. Sie hat 556.205 Einwohner (LIB, Kapitel 3.13).
Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen sicher und legal erreichbar (LIB, Kapitel 3.13). Der Flughafen Herat (HEA) liegt 13 km südlich der Stadt im Distrikt Gozara. Die Straße, welche die Stadt mit dem Flughafen verbindet wird laufend von Sicherheitskräften kontrolliert. Unabhängig davon gab es in den letzten Jahren Berichte von Aktivitäten von kriminellen Netzwerken, welche oft auch mit Aufständischen in Verbindung stehen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten auszuüben. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).
Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB, Kapitel 21).
Die Unterkunftssituation stellt sich in Herat, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Herat besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Die meisten Menschen in Herat haben Zugang zu Elektrizität (80 %), zu erschlossener Wasserversorgung (70%) und zu Abwasseranlagen (30%). 92,1 % der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen und 81,22 % zu besseren Wasserversorgungsanlagen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).
Herat ist im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 als IPC Stufe 2 klassifiziert (IPC - Integrated Phase Classification). In Phase 2, auch „stressed“ genannt, weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentlich, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI, Kapitel 3.1.).
1.4.8. Medizinische Versorgung
Seit 2002 hat sich die medizinische Versorgung in Afghanistan stark verbessert, dennoch bleibt sie im regionalen Vergleich zurück (AA 2.9.2019). Die Lebenserwartung ist in Afghanistan von 50 Jahren im Jahr 1990 auf 64 im Jahr 2018 gestiegen (WHO o.D.; vgl. WHO 4.2018). Im Jahr 2018 gab es 3.135 funktionierende Gesundheitseinrichtungen in ganz Afghanistan und 87% der Bevölkerung wohnten nicht weiter als zwei Stunden von einer Einrichtung entfernt (WHO 12.2018). Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen (AA 2.9.2019).
Der afghanischen Verfassung zufolge hat der Staat kostenlos medizinische Vorsorge, ärztliche Behandlung und medizinische Einrichtungen für alle Bürger/innen zur Verfügung zu stellen. Außerdem fördert der Staat die Errichtung und Ausweitung medizinischer Leistungen und Gesundheitszentren (BFA 4.2018; vgl. MPI 2004, AA 2.9.2019). Eine begrenzte Anzahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung an. Die Voraussetzung zur kostenfreien Behandlung ist der Nachweis der afghanischen Staatsbürgerschaft mittels Personalausweis bzw. Tazkira. Alle Staatsbürger/innen haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten (BFA 4.2018). Die Verfügbarkeit und Qualität der Grundbehandlung ist durch Mangel an gut ausgebildeten Ärzten, Ärztinnen und Assistenzpersonal (v.a. Hebammen), mangelnde Verfügbarkeit von Medikamenten, schlechtes Management sowie schlechte Infrastruktur begrenzt. Dazu kommt das starke Misstrauen der Bevölkerung in die staatlich finanzierte medizinische Versorgung. Die Qualität der Kliniken variiert stark. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen (AA 2.9.2019). Die medizinische Versorgung in großen Städten und auf Provinzlevel ist sichergestellt, auf Ebene von Distrikten und in Dörfern sind Einrichtungen hingegen oft weniger gut ausgerüstet und es kann schwer sein, Spezialisten zu finden. Vielfach arbeiten dort KrankenpflegerInnen anstelle von ÄrztInnen, um grundlegende Versorgung sicherzustellen und in komplizierten Fällen an Provinzkrankenhäuser zu überweisen. Operationseingriffe können in der Regel nur auf Provinzlevel oder höher vorgenommen werden; auf Distriktebene sind nur erste Hilfe und kleinere Operationen möglich. Auch dies gilt allerdings nicht für das gesamte Land, da in Distrikten mit guter Sicherheitslage in der Regel mehr und bessere Leistungen angeboten werden können als in unsicheren Gegenden (IOM 2018; vgl. WHO 3.2019, BDA 18.12.2018). Zahlreiche Afghanen begeben sich für medizinische Behandlungen – auch bei kleineren Eingriffen – ins Ausland. Dies ist beispielsweise in Pakistan vergleichsweise einfach und zumindest für die Mittelklasse erschwinglich (BDA 18.12.2018).
Die wenigen staatlichen Krankenhäuser bieten kostenlose Behandlungen an, dennoch kommt es manchmal zu einem Mangel an Medikamenten. Deshalb werden Patienten an private Apotheken verwiesen, um diverse Medikamente selbst zu kaufen. Untersuchungen und Laborleistungen sind in den staatlichen Krankenhäusern generell kostenlos (IOM 2018). Gemäß Daten aus dem Jahr 2014 waren 73% der in Afghanistan getätigten Gesundheitsausgaben sogenannte „Out-of-pocket“-Zahlungen durch Patienten, nur 5% der Gesamtausgaben im Gesundheitsbereich wurden vom Staat geleistet (WHO 12.2018).
Berichten von UN OCHA zufolge haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan keinen oder nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Grundversorgung. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf. Die Kosten von Diagnose und Behandlung dort variieren stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden. Daher ist die Qualität der Gesundheitsbehandlung stark einkommensabhängig (AA 2.9.2019). Berichten zufolge können Patient/innen in manchen öffentlichen Krankenhäusern aufgefordert werden, für Medikamente, ärztliche Leistungen, Laboruntersuchungen und stationäre Behandlungen zu bezahlen. Medikamente sind auf jedem afghanischen Markt erwerbbar, die Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes. Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren (BFA 4.2018).
90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (AA 2.9.2019).
Beispielsweise um die Gesundheitsversorgung der afghanischen Bevölkerung in den nördlichen Provinzen nachhaltig zu verbessern, zielen Vorhaben im Rahmen des zivilen Wiederaufbaus auch auf den Ausbau eines adäquaten Gesundheitssystems ab – mit moderner Krankenhausinfrastruktur, Krankenhausmanagementsystemen sowie qualifiziertem Personal. Seit dem Jahr 2009 wurden insgesamt 65 Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen gebaut oder renoviert. Neben verbesserten diagnostischen Methoden kommen auch innovative Technologien wie z.B. Telemedizin zum Einsatz (BFA 4.2018).
Auch die Sicherheitslage hat erhebliche Auswirkungen auf die medizinische Versorgung (AA 2.9.2019; vgl. WHO 4.2018).
Zugangsbedingungen für Frauen
Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen. Lag die Müttersterblichkeit laut Weltbank 1990 bei 64,7 Todesfällen auf 1.000 Geburten, belief sie sich im Jahr 2017 auf 29,4 Todesfälle pro 1.000 Geburten. Es gibt allerdings Berichte von einer deutlich höheren Dunkelziffer (AA 2.9.2019). Trotz der Fortschritte sind diese Zahlen immer noch kritisch und liegen deutlich über dem regionalen Durchschnitt. Im Bereich Säuglingssterblichkeit hat Afghanistan auch weiterhin die weltweit dritthöchste Sterblichkeitsrate (AA 2.9.2019). Dies kann insbesondere darauf zurückgeführt werden, dass Geburten zunehmend in medizinischen Einrichtungen, bzw. unter Betreuung von ausgebildetem medizinischem Personal stattfinden und auch die Nachversorgung nach Geburten zugenommen hat. Während die Mehrheit der Frauen im städtischen Raum bei der Geburt durch geschultes Personal betreut wird, trifft dies in ländlichen Gebieten allerdings immer noch auf weniger als die Hälfte der Geburten zu (CSO 2018). Frauen sind beim Zugang zur Gesundheitsversorgung mit spezifischen Problemen konfrontiert, darunter beispielsweise einem geringen Wissen über Gesundheitsprobleme, einer niedrigen Alphabetisierungsrate (AAN 2.12.2014), Einschränkungen in ihrer Bewegungsfreiheit und einem beschränkten Zugang zu finanziellen Mitteln (AAN 2.12.2014; vgl. UNOCHA 11.2018, BFA 13.6.2019). Verbote von medizinischen Untersuchungen von Patientinnen durch männliches medizinisches Personal wirken sich aufgrund des niedrigeren Anteils von Frauen in medizinischen Berufen negativ auf den Zugang von Frauen zu medizinischen Leistungen aus (UNOCHA 11.2018).
Afghanistan gehört zu den wenigen Ländern, in welchen die Selbstmordrate von Frauen höher ist als die von Männern. Die weite Verbreitung psychischer Erkrankungen unter Frauen wird von Experten mit den rigiden kulturellen Einschränkungen, welchen Frauen unterworfen sind und welche ihr Leben weitgehend auf das eigene Heim beschränken, in Verbindung gebracht (BDA 18.12.2018).
Medizinische Versorgung in den Städten Herat und Mazar-e Sharif
Herat:
Das Jebrael-Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt Herat bietet für rund 60.000 Menschen im dicht besiedelten Gebiet mit durchschnittlich 300 Besuchern pro Tag grundlegende Gesundheitsdienste an, von denen die meisten die Impf- und allgemeinen ambulanten Einheiten aufsuchen (WB 1.11.2016). Laut dem Provinzdirektor für Gesundheit in Herat verfügte die Stadt im April 2017 über 65 private Gesundheitskliniken. Die Anwohner von Herat beklagen jedoch, dass „viele private Gesundheitszentren die Gesundheitsversorgung in ein Unternehmen umgewandelt haben.“ Auch wird die geringe Qualität der Medikamente, fehlende Behandlungsmöglichkeiten und die Fähigkeit der Ärzte, Krankheiten richtig zu diagnostizieren, kritisiert. Infolgedessen entscheidet sich eine Reihe von Heratis für eine Behandlung im Ausland (TN 7.4.2017).
Mazar-e Sharif:
In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es zwischen 10 und 15 Krankenhäuser; dazu zählen sowohl private als auch öffentliche Anstalten. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer; jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken; 20% dieser Gesundheitskliniken finanzieren sich selbst, während 80% öffentlich finanziert sind (BFA 4.2018).
Das Regionalkrankenhaus Balkh ist die tragende Säule medizinischer Dienstleistungen in Nordafghanistan; selbst aus angrenzenden Provinzen werden Patient/innen in dieses Krankenhaus überwiesen. Für das durch einen Brand zerstörte Hauptgebäude des Regionalkrankenhauses Balkh im Zentrum von Mazar-e Sharif wurde ein neuer Gebäudekomplex mit 360 Betten, 21 Intensivpflegeplätzen, sieben Operationssälen und Einrichtungen für Notaufnahme, Röntgen- und Labordiagnostik sowie telemedizinischer Ausrüstung errichtet. Zusätzlich kommt dem Krankenhaus als akademisches Lehrkrankenhaus mit einer angeschlossenen Krankenpflege- und Hebammenschule eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung des medizinischen und pflegerischen Nachwuchses zu. Die Universität Freiburg (Deutschland) und die Mashhad Universität (Iran) sind Ausbildungspartner dieses Krankenhauses (BFA 4.2018). Balkh gehörte bei einer Erhebung von 2016/2017 zu den Provinzen mit dem höchsten Anteil an Frauen, welche einen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen haben (CSO 2018).
1.4.9. Situation für Rückkehrer/innen
In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 kehrten insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB, Kapitel 23).
Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke – der Familie, der Freunde und der Bekannten – ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 23).
Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 23).
Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 23).
Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 23).
Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 23).
Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 23).
Die „Reception Assistance“ umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB, Kapitel 23).
Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, Kapitel 23).
2. Beweiswürdigung
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.
2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Herkunftsregion, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Familienstand, seinem Lebenslauf, seiner familiären Situation in Afghanistan, seiner Schul- und Berufsausbildung und seiner Berufserfahrung gründen sich auf seine diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer nicht ausgeprägt in Österreich sozial integriert ist, beruht darauf, dass dieser trotz seines mehrjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet kaum über das Land Bescheid weiß – so konnte er beinahe keine historischen oder aktuellen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens nennen – und auf dem Umstand, dass er der deutschen Sprache nur in sehr geringem Ausmaß mächtig ist, wovon sich das erkennende Gericht im Rahmen der mündlichen Verhandlung selbst überzeugen konnte. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Stresssituation, in der er sich während der Verhandlung befand, vermag daran nichts zu ändern, da einerseits mit Hilfe des Dolmetschers sehr wohl einer geregelte Kommunikation zwischen Gericht und Beschwerdeführer möglich war und andererseits es jeder Lebenserfahrung widerspricht, dass eine erwachsene Person vor Gericht in eine derart gestresste Situation versetzt wird, dass er eine an sich bereits gelernte und verinnerlichte Sprache plötzlich gar nicht mehr beherrscht. Schließlich verfügt der Beschwerdeführer auch nicht über einen besonders ausgeprägten österreichischen Freundeskreis und ist auch nicht Mitglied in einem Verein.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde und auf den im Rahmen der mündlichen Verhandlung persönlich gewonnen Eindrücken, die sich der Richter vom Beschwerdeführer machen konnte.
Die Feststellung, dass die Wahrscheinlichkeit für den Beschwerdeführer, im Falle einer Rückkehr schwerwiegend an Covid-19 zu erkranken, sehr gering ist, beruht zum einen auf den in den Länderinformationen enthaltenen aktuellen Berichten zur Lage betreffend Covid-19 und den aktuellen Fallzahlen der Weltgesundheitsorganisation und zum anderen darauf, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen jungen Mann ohne einschlägige Vorerkrankungen handelt, sodass selbst für den – unwahrscheinlichen – Fall, dass er sich mit Covid-19 infizieren sollte, nicht davon ausgegangen werden kann, dass er deswegen schwerwiegende, nachhaltige gesundheitliche Schäden erleiden würde. Gemäß den aktuellen Statistiken der Weltgesundheitsorganisation zur Covid-19-Pandemie (Stand 10.08.2020) bewegt sich die Anzahl der Neuerkrankungen seit etwa vier Wochen auf gleichbleibendem Niveau in der Höhe von durchschnittlich ca. 50 - 200 Fällen pro Tag und weist die Anzahl der täglichen Todesfälle nach einem Höchststand von 49 am 15.07.2020 seither eine sinkende Tendenz mit zuletzt maximal 10 Todesopfern pro Tag auf. Demnach gab es mit Stand 10.08.2020 bei 1.354 Todesfällen 37.345 bestätigte Fälle, von denen wiederum 26.694 Personen inzwischen genesen sind. Auch das aktuelle LIB der Staateninformation geht – mit Stand 21.04.2020 - davon aus, dass – obwohl viele Nachbarländer stark von der Pandemie betroffen sind - dennoch die Anzahl der in Afghanistan mit COVID-19 infizierten Personen vergleichsweise relativ niedrig ist. Aufgrund des Umstandes, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen Mann im Alter von 27 Jahren handelt, der keine maßgeblichen Vorerkrankungen aufweist und auch keiner Risikogruppe zuzuordnen ist, und aufgrund der Fallzahlen in Relation zur Einwohnerzahl des Landes ist davon auszugehen, dass für den Beschwerdeführer zwar ein Restrisiko im Promillebereich besteht, schwer an Covid-19 zu erkranken, dass aber mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass das nicht der Fall sein wird.
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.
2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer Afghanistan auch auf Grund der dortigen allgemeinen Situation und der dort herrschenden allgemein schwierigen Lebendbedingungen verlassen hat bzw. dass er vor allem aus diesem Grund nicht willens ist, dorthin zurückzukehren, beruht darauf, dass dieser in seiner abschließenden Stellungnahme im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vor allem betont hat, dass – wie auch aus den Länderberichten ersichtlich sei – dort „die Lage sehr unsicher“ sei, viele Menschen sterben würden und niemand dort sicher leben könne. Lediglich ergänzend führte er in diesem Statement aus, dass er „zusätzlich persönliche Feinde“ habe.
Dass als weiteres Motiv für das Verlassen des Landes auch Grundstücksstreitigkeiten maßgeblich waren, ergibt sich daraus, dass der Beschwerdeführer dieses Fluchtvorbringen von Anfang an und während des gesamten Verfahrens im Wesentlichen gleichlautend tätigte und dass notorisch ist, dass derartige Streitigkeiten im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers häufig vorkommen. Der Beschwerdeführer konnte auch Details über das Grundstück selbst, dessen Nutzung, Lage und Größe ebenso benennen wie die Namen der Streitgegner und den Ablauf jener Situation, in der die Lage eskalierte. Die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers waren weitgehend nachvollziehbar, plausibel und frei von Widersprüchen. Das erkennende Gericht geht daher davon aus, dass es tatsächlich zu Streitigkeiten um ein Grundstück zwischen der Familie des Beschwerdeführers und einer anderen Gruppe von Personen, die dieses Grundstück ebenfalls für sich beanspruchen wollten, gekommen ist.
Dass dem Beschwerdeführer keine konkret gegen ihn als Einzelperson gerichtete Gefahr einer Verfolgung durch die Taliban wegen einer – tatsächlichen oder ihm unterstellten – oppositionellen politischen Gesinnung droht, ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Der Beschwerdeführer hat selber in der mündlichen Verhandlung vorgebracht, dass ihn die Leute um den aus dem Heimatdorf des Beschwerdeführers stammenden Talibankommandanten namens XXXX nicht etwa deswegen verfolgen würden, weil er nach außen erkennbar eine gegen die Taliban gerichtete Gesinnung gezeigt habe, sondern deswegen, um dem Beschwerdeführer von dieser Personengruppe begangene Tötungen „unterzuschieben“. Es handelt sich demnach um eine private Auseinandersetzung zwischen den involvierten Personen, die in keinem Zusammenhang mit einer etwaigen politischen Gesinnung steht. Der Beschwerdeführer stellt somit aus Sicht der Taliban keinesfalls ein sogenanntes „High-Level-Target“ dar, weswegen davon auszugehen ist, dass dieser nicht derart in das Visier der Taliban geraten ist, dass ihm in ganz Afghanistan Verfolgung wegen oppositioneller politischer Gesinnung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.
Dass dem Beschwerdeführer auch aus keinem sonstigen in der GFK genannten asylrelevanten Grund Verfolgung droht, ergibt sich daraus, dass im gesamten Verfahren nichts Derartiges hervorgekommen ist. Insbesondere sind – wie nachstehend im Rahmen der rechtlichen Beurteilung näher ausgeführt wird – private Grundstücksstreitigkeiten asylrechtlich nicht relevant.
2.3. Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat
Die Feststellungen zu den möglichen Folgen einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsprovinz Parwan ergeben sich aus den oben angeführten Länderberichten. Auch wenn die Länderberichte diese Provinz als „zu den relativ friedlichen“ zu zählenden wertet, ist dennoch festzuhalten, dass sich die Sicherheitslage in manchen Distrikten in den letzten Jahren wieder verschlechtert hat. So weist auch die Anzahl der zivilen Opfer im Jahr 2019 mit 65 Toten und 181 Verletzten im Vergleich zum Jahr davor eine Steigerung von 500% auf.
Die Feststellungen zu den Folgen einer Ansiedlung des Beschwerdeführers in den Städten Herat und Mazar-e Sharif ergeben sich - unter Berücksichtigung der von UNHCR und EASO aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan - aus den oben angeführten Länderberichten und aus den Angaben des Beschwerdeführers. Die Feststellung zur Prognose, dass sich der Beschwerdeführer in den genannten Städten eine Existenz aufbauen kann, ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Aus den Länderinformationen ergibt sich, dass die Städte Herat und Mazar-e Sharif als relativ sicher gelten und unter der Kontrolle der Regierung stehen. Sie sind auch sicher erreichbar. Die Versorgung der Bevölkerung ist in diesen Städten grundlegend gesichert.
Der Beschwerdeführer ist mit der afghanischen Kultur und den afghanischen Gepflogenheiten sozialisiert. Er kann sich daher in den Städten Mazar-e Sharif und Herat gut und ohne größere Probleme zurechtfinden. Der Beschwerdeführer verfügt über eine mehrjährige schulische und eine – zumindest kurze – hochschulische Ausbildung sowie über eine kurzfristige Berufserfahrung als Essenslieferant. Er ist im erwerbsfähigen Alter, volljährig und anpassungsfähig. Er kann in Afghanistan auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.
Das Bundesverwaltungsgericht geht daher davon aus, dass sich der Beschwerdeführer – zumindest nach Überwindung von möglichen anfänglichen Schwierigkeiten – in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat niederlassen und sich dort eine Existenz ohne unbillige Härte aufbauen kann.
2.4. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln. Die den Feststellungen zugrundeliegenden Länderberichte sind in Bezug auf die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan aktuell. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich durch Einsichtnahme in die jeweils verfügbaren Quellen (u.a. laufende Aktualisierung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation) davon versichert, dass zwischen dem Stichtag der herangezogenen Berichte und dem Entscheidungszeitpunkt keine wesentliche Veränderung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan eingetreten ist.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da eine Senatsentscheidung in den einschlägigen Bundesgesetzen nicht vorgesehen ist, liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer eheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
3.2. Zu Spruchpunkt A)
3.2.1. Zur Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (keine Zuerkennung des Status des Asylberechtigten):
3.2.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“
Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Bei der Entscheidung, ob eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung besteht, handelt es sich immer um eine Prognoseentscheidung, die eine auf die Zukunft gerichtete Verfolgung verlangt. Das Wort „Furcht“ bezieht sich dabei nicht nur auf Personen, die tatsächlich verfolgt wurden, sondern auch auf solche, die einer Situation aus dem Wege gehen möchten, die eine Gefahr der Verfolgung in sich birgt. (vgl. UNHCR, Ergänzende aktuelle Länderinformationen Syrien: Militärdienst, vom 30.11.2016, S. 1)
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 23.07.1999, 99/20/0208; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).
Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. zB VwGH 24.03.1999, 98/01/0352 mwN; 15.03.2001, 99/20/0036). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen – mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates – im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwSlg. 16.482 A/2004). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer „internen Flucht- oder Schutzalternative“ (VwSlg. 16.482 A/2004) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 08.09.1999, 98/01/0614, 29.03.2001, 2000/20/0539; 17.03.2009, 2007/19/0459).
3.2.1.2. Zu prüfen ist gegenständlich, ob dem Beschwerdeführer in Afghanistan Verfolgung aus einem asylrelevanten Grund mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht.
Insofern der Beschwerdeführer die Verfolgungsgefahr aufgrund der Grundstücksstreitigkeiten vorbringt ist festzuhalten, dass Grundstücksstreitigkeiten nicht unter einen der in der GFK abschließend genannten Gründe wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung zu subsumieren sind, weil kein Kausalzusammenhang zwischen der Verfolgung und einem dieser Gründe besteht. Die Verfolgungshandlung basiert in diesem Fall lediglich auf kriminellen Motiven und würde den Beschwerdeführer auch dann betreffen, wenn dieser einer anderen politischen Gesinnung anhinge oder einer anderen Rasse, Nationalität, Religionsgemeinschaft oder sozialen Gruppe angehörte. Eine Verfolgung rein aus kriminellen Motiven bedeutet für den Beschwerdeführer jedoch per se keine Verfolgung im Sinne der GFK (VwGH 31.01.2002, 99/20/0497). Somit kommt auch bei Annahme der Glaubhaftigkeit der vorgebrachten Rückkehrbefürchtung eine Gewährung von Asyl aus diesem Grund nicht in Betracht.
Dass dem Beschwerdeführer wegen etwaiger gegen die Taliban gerichteter oppositioneller politscher Gesinnung im Falle einer Rückkehr Verfolgung droht, erweist sich aus den bereits oben im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegten Erwägungen als nicht glaubhaft.
Die belangte Behörde hat somit den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten zu Recht abgewiesen.
3.2.2. Zur Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides (keine Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten):
3.2.2.1. Wird ein Asylantrag „in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten“ abgewiesen, so ist dem Asylwerber gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, „wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde“. Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung dieses Status mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 AsylG 2005 zu verbinden.
Die Zuerkennung subsidiären Schutzes setzt voraus, dass die Rückkehr des Asylwerbers in seine Heimat entweder die reale Gefahr einer Verletzung insbesondere von Art. 2 oder 3 EMRK bedeuten würde oder für ihn eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Um von der realen Gefahr einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen werde (VwGH 21.2.2017, Ra 2016/18/0137; 27.5.2019, Ra 2019/14/0153, Rn. 120).
Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, dass exzeptionelle Umstände vorliegen (VwGH 18.3.2019, Ra 2018/18/0538, mwN; 27.5.2019, Ra 2019/14/0153, Rn. 120).
Es ist zu prüfen, ob in Afghanistan eine solch extreme Gefährdungslage besteht, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung iSd § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ausgesetzt wäre, und ob es einen Hinweis auf „außergewöhnliche Umstände“ gibt, die eine Abschiebung unzulässig machen könnten.
Insgesamt ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu beachten, dass eine schwierige Lebenssituation für den Asylwerber im Fall seiner Rückführung in den Herkunftsstaat, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht, primär gestützt auf mangelnde tragfähige Beziehungen bzw. fehlende Ortskenntnisse in Großstädten, oder eine schwierige Situation bei der Wohnraum- oder Arbeitsplatzsuche nicht ausreicht, um eine reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse und somit eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu begründen. Auch eine fehlende Schul- und Berufsausbildung bzw. -erfahrung sind im Fall einer Rückkehr keine exzeptionellen Umstände (VwGH 18.3.2016, Ra 2015/01/0255; 25.5.2016, Ra 2016/19/0036; 8.9.2016, Ra 2016/20/0063; 25.4.2017, Ra 2017/01/0016; 8.8.2017, Ra 2017/19/0118; 10.8.2017, Ra 2016/20/0369; 20.9.2017, Ra 2017/19/0190; vgl. dazu auch – unter Berücksichtigung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes – VfSlg. 20.228/2017).
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits mehrfach erkannt, dass – um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können – es dem Asylwerber möglich sein muss, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Ob dies der Fall ist, erfordert eine Beurteilung der allgemeinen Gegebenheiten im Herkunftsstaat und der persönlichen Umstände des Asylwerbers. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 11.03.2010, Ra 2019/18/0443 mit Verweis auf VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001, mwN).
3.2.2.2. Entsprechend der Judikatur des VfGH (Erkenntnis vom 13.09.2013, U370/2012) ist zunächst die Heimatregion des Beschwerdeführers für eine allfällige Rückkehr zu prüfen.
Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt erweist sich die Herkunftsprovinz Parwan des Beschwerdeführers aktuell nicht als ausreichend sicher.
Eine allfällige Rückführung des Beschwerdeführers in seine Heimatprovinz könnte daher mit ernstzunehmender Gefahr für Leib und Leben verbunden sein.
Eine derartige Gefahr besteht für den Beschwerdeführer jedoch nicht für ganz Afghanistan, da für diesen „innerstaatliche Fluchtalternativen“ bestehen, und zwar aus folgenden Erwägungen:
Berücksichtigt man die Kriterien für eine „interne Flucht-, Neuansiedlungs- oder Schutzalternative“ für Afghanistan, wie sie der Flüchtlingshochkommissär der Vereinten Nationen in seinen Richtlinien vom 30.08.2018 und EASO in der Country Guidance aufgestellt haben, weiters die aktuellen Länderberichte und die persönlichen Umstände des Beschwerdeführers, so ergibt sich, dass er in zumutbarer Weise auf die Übersiedlung in die Städte Mazar-e Sharif und Herat verwiesen werden kann.
Was die in diesen Städten bestehende Versorgungslage und die allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung betrifft, so können grundlegende soziale und wirtschaftliche Bedürfnisse wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wasser, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, (auch) dort häufig nur sehr eingeschränkt verwirklicht werden; wer sich ohne jegliche familiäre oder sonstige soziale Anknüpfungspunkte, Fachausbildung oder finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten durch Dritte in den beiden Städten ansiedelt, ist mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert. Aus den Länderfeststellungen ist jedoch auch ersichtlich, dass sich die Region um Mazar-e Sharif grundsätzlich gut entwickelt, indem neue Arbeitsplätze entstehen, sich Firmen ansiedeln und der Dienstleistungsbereich wächst; zudem wurde 2017 ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, das darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren. Auch die Provinz Herat ist eine relativ entwickelte Provinz.
Im vorliegenden Fall gelangt man daher zu dem Ergebnis, dass beim Beschwerdeführer, bei dem es sich um einen jungen, arbeitsfähigen Mann mit langjähriger Schulausbildung und – wenn auch nicht besonders ausgeprägter - Berufserfahrung handelt, keine besonderen individuellen Gefährdungsfaktoren vorliegen und er in der Lage sein wird, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten in den Städten Herat oder in Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein relativ normales Leben ohne unangemessene Härten zu führen.
Dem Beschwerdeführer, bei dem keine Hinweise über das Immunsystem beeinträchtigende Vorerkrankungen vorliegen, droht – wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt - im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht die Gefahr, durch eine etwaige Ansteckung mit dem Corona-Virus schwer oder sogar lebensbedrohlich zu erkranken.
Die belangte Behörde hat daher zu Recht den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen.
3.2.3. Zur Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides (Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen):
3.2.3.1. § 57 AsylG 2005 steht unter der Überschrift „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“; sie ist zu erteilen, wenn eine der drei folgenden Voraussetzungen zutrifft: (Z 1) wenn – neben weiteren Voraussetzungen – der Aufenthalt des Fremden im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist; (Z 2) um die Strafverfolgung gerichtlich strafbarer Handlungen zu gewährleisten oder damit zivilrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen geltend gemacht und durchgesetzt werden können; oder (Z 3) wenn – neben weiteren Voraussetzungen – der Fremde Opfer von Gewalt geworden ist und eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen worden ist oder hätte erlassen werden können.
3.2.3.2. Da es keinen Hinweis darauf gibt, dass einer dieser Fälle vorläge, kommt ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 nicht in Betracht.
3.2.4. Zur Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides (Erlassung einer Rückkehrentscheidung):
3.2.4.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach dem AsylG 2005 mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Asylantrag abgewiesen und dem Fremden weder Asyl noch subsidiärer Schutz gewährt wird und wenn nicht von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt wird. Nach § 52 Abs. 2 Z 2 FPG ist in diesem Fall – mit hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen – eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Ob eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, richtet sich nach § 9 BFA-VG.
Eine Rückkehrentscheidung ist mithin gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 dann zu erlassen, wenn § 9 BFA-VG dem nicht entgegensteht und wenn überdies nicht von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt wird.
Nach § 9 Abs. 1 BFA-VG ist eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn durch sie in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, (nur dann) zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. § 9 Abs. 2 BFA-VG zählt Umstände auf, die dabei insbesondere zu berücksichtigen sind.
Bei der Abwägung, die durch Art. 8 EMRK vorgeschrieben wird, stehen die Interessen des Fremden an seinem Verbleib im Inland, die durch Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützt sind, dem öffentlichen Interesse an der Beendigung seines Aufenthaltes gegenüber.
Ist zu beurteilen, ob es aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zulässig ist, eine aufenthaltsbeendende Maßnahme zu erlassen, so sind das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung und das persönliche Interesse des Fremden an seinem weiteren Verbleib in Österreich zu gewichten und einander gegenüber zu stellen. Das persönliche Interesse nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles va. zu prüfen, inwieweit der Fremde die Zeit, die er in Österreich verbracht hat, dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen Bedacht zu nehmen, die es auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, wenn sein Aufenthalt beendet würde (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/19/0247, mwN).
Ob eine Rückkehrentscheidung unverhältnismäßig in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden eingreift, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles zu beurteilen. Dabei muss das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden in Form einer Gesamtbetrachtung gewichtend abgewogen werden, im Rahmen derer insbesondere die in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien zu berücksichtigen und in die die sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen einzubeziehen sind (VwGH 5.6.2019, Ra 2019/18/0078, mwN).
Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für diese Interessenabwägung zukommt (VwGH 5.6.2019, Ra 2019/18/0078, mwN).
3.2.4.2. Die belangte Behörde hat die durch Art. 8 Abs. 2 EMRK bzw. durch § 9 Abs. 2 BFA-VG vorgeschriebene Interessenabwägung mängelfrei vorgenommen.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Beschwerdeführer bisher nur auf Grund eines Asylantrages zum Aufenthalt berechtigt war, der sich letztlich als nicht begründet erwiesen hat, sodass er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen sein musste. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG maßgeblich relativierend, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt worden sind, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (ausführlich VwGH 28.2.2019, Ro 2019/01/0003, mwN; 10.4.2019, Ra 2019/18/0049; 10.4.2019, Ra 2019/18/0058; 5.6.2019, Ra 2019/18/0078).
Dem Beschwerdeführer kommt auch kein nicht auf das AsylG 2005 gestütztes Aufenthaltsrecht zu.
Der Beschwerdeführer hält sich seit ca. vier Jahren und neun Monaten in Österreich auf. Diesen Zeitraum nutzte der Beschwerdeführer jedoch kaum, um sich sozial zu integrieren. Er geht keiner geregelten Beschäftigung nach und lebt vor allem von staatlichen Unterstützungsleistungen, von einer Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers kann nicht gesprochen werden. Er verfügt auch nur über unterdurchschnittliche Deutschkenntnisse, also keine solchen Kenntnisse, wie sie von einer Person mit einer derart langen Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet üblicherweise erwartet werden könnten. Ebenso verfügt der Beschwerdeführer trotz seines bereits mehrjährigen Aufenthalts über praktisch keine Kenntnisse über österreichische Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, über die praktisch täglich in den diversen Medien berichtet wird. Familiäre Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers in Österreich sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Er verfügt auch über keinen umfangreichen österreichischen Freundeskreis, sondern verbringt seine Freizeit sowohl mit aus Österreich als auch aus Afghanistan stammenden Personen. Er ist auch nicht Mitglied in einem Verein.
Gegenständlich liegt zusammengefasst eine „derart außergewöhnliche Konstellation", wie sie von der Judikatur in zahlreichen Entscheidungen gefordert wird, um davon ausgehen zu können, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Recht darstellen würde (vgl. z.B. VwGH 10.04.2020, Ra 2019/18/0058), nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht vor. Es besteht keine derartige Verdichtung der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers, dass bereits von "außergewöhnlichen Umständen" gesprochen werden könnte und ihm schon deshalb unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ein dauernder Verbleib in Österreich ermöglicht werden müsste.
Unter diesen Umständen kommt dem öffentlichen Interesse daran, dass der Beschwerdeführer das Land verlässt, größere Bedeutung zu als seinem persönlichen Interesse an einem Verbleib in Österreich. Daran vermag auch die strafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers nichts zu ändern (vgl. z.B. VwGH 19.04.2012, 2011/18/0253).
Da einer Rückkehrentscheidung weder § 9 BFA-VG entgegensteht noch von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 zu erteilen ist, hat die belangte Behörde zu Recht eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer erlassen.
3.2.5. Zur Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides (Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung):
3.2.5.1. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG ist mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, der Drittstaat könnte aus Gründen, die der Drittstaatsangehörige zu vertreten hat, nicht festgestellt werden. Ob eine Abschiebung zulässig ist, richtet sich nach § 50 FPG, dessen erste beiden Absätze weitgehend den Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 und den Verfolgungsgründen der GFK entsprechen; der dritte Absatz betrifft den Fall, dass der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
3.2.5.2. Aus dem bisher Gesagten ergibt sich, dass der Abschiebung keine derartigen Gründe entgegenstehen; dass keine Konventionsgründe und keine Gründe nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 vorliegen, ist bereits oben geprüft und festgestellt worden. Es liegt derzeit auch keine Empfehlung des Europäischen Gerichtshofes für Menschrechte im Sinne des 3. Absatzes des § 50 FPG vor.
Die belangte Behörde hat daher zu Recht festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig ist.
3.2.6. Zur Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides (Festlegung einer 14-tägigen Frist für die freiwillige Ausreise):
3.2.6.1. Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.
Diese Frist beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, „sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.“ Diese Zuständigkeit kommt hier dem Bundesverwaltungsgericht zu.
3.2.6.2. Solche Gründe wurden im Verfahren weder vorgebracht noch kamen sonst hervor. Daher ist die Frist mit 14 Tagen ab Rechtskraft der vorliegenden Entscheidung festzulegen.
3.2.7. Die Beschwerde war daher abzuweisen und gemäß Spruchpunkt A) zu entscheiden.
3.3. Zu Spruchpunkt B):
3.3.1. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
3.3.2. Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
3.3.3. Es war daher gemäß Spruchpunkt B) zu entscheiden.
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