AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
EMRK Art. 2
EMRK Art. 3
EMRK Art. 8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W226.2210284.1.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX (BF1), geb. XXXX , 2.) XXXX (BF2), geb. XXXX , 3.) XXXX (BF3), geb. XXXX , 4.) XXXX (BF4), geb. XXXX und 5.) XXXX (BF5), geb. XXXX , alle StA: Ukraine, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie Flüchtlingsdienst, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.10.2018, Zlen. 1.) 1082985705-151117812, 2.) 1082985607-151117825, 3.) 1082985509-151118339, 4.) 1082985400-151118410 und 5.) 1082985204-151118444 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.06.2019 zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerden werden gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, § 8 Abs. 1
AsylG 2005, § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, § 52 Absatz 9 FPG § 46 FPG, § 55 Absatz 1 bis 3 FPG, als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1.1 Der Erstbeschwerdeführer (im Folgenden: BF1) und die Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2) sind Ehegatten, der Drittbeschwerdeführer (im Folgenden: BF3) ist der Sohn der BF2 aus erster Ehe (Stiefsohn des BF1), die Viert- und Fünftbeschwerdeführerinnen (im Folgenden: BF4 und BF5) sind die minderjährigen Töchter von BF1 und BF2. Das Vorbringen der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist untrennbar miteinander verknüpft bzw. beziehen sich die BF auf dieselben Verfolgungsgründe, weshalb die Entscheidung unter Berücksichtigung des Vorbringens aller BF abzuhandeln war.
Die BF sind Staatsangehörige der Ukraine und gehören der ukrainischen Volksgruppe an. Der BF1 bekennt sich zum christlich-orthodoxen Glauben, die restlichen BF sind Mitglieder der israelitischen Kultusgemeinde.
1.2. Die BF reisten am 02.08.2015 per Flugzeug - über Griechenland - und in Besitz von griechischen Touristenvisa ins Bundesgebiet ein und stellten am 05.08.2015 Anträge auf internationalen Schutz.
1.3. Am 18.08.2015 fand eine Erstbefragung des BF1 und der BF2 vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt.
Der BF1 gab zum Grund für das Verlassen des Herkunftslandes an, dass die ukrainische Regierung gegen ihn ein Strafverfahren eröffnet habe, dies als Helfer für eine terroristische Organisation. Tatsächlich habe er denen nur Lebensmittel geliefert. Er fürchte um sein Leben und das Leben seiner Familie. Für die ukrainische Regierung seien die Seperatisten Terroristen. Es gebe einen Haftbefehl, dieser befinde sich in der Ukraine. Ihre Reisepässe habe er weggeworfen.
Weiters gab der BF1 an, er sei in XXXX (Deutschland) geboren und sei bereits einmal verheiratet gewesen. Aus dieser ersten Ehe stamme ein Sohn, dieser lebe bei der Mutter in XXXX . Er habe elf Jahre lang die Grundschule besucht und sei 5 1/2 Jahre auf eine Universität gegangen und habe dort Landwirtschaft studiert. Zuletzt habe er als Fleisch- und Tierfutterhändler gearbeitet. Seine Muttersprache sei Russisch/Ukrainisch, er spreche auch schlechtes Englisch. Seine Eltern und ein Bruder würden in der Ukraine ( XXXX ) leben.
Die Reise habe am XXXX von XXXX aus mit dem Flugzeug begonnen, sie seien zuerst nach XXXX (Griechenland) geflogen. Von XXXX aus seien sie dann nach Wien geflogen und hier am 02.08.2015 angekommen. In Griechenland hätten sie in einem Hotel gewohnt. Sie hätten zuerst von dort wieder nach Hause gewollt, aber aufgrund der Situation in der Ukraine hätten sie beschlossen nach Österreich zu fahren und nicht mehr nach Hause zurückzukehren.
Die BF2 gab im Zuge ihrer Erstbefragung zum Grunde für das Verlassen des Herkunftsstaates an, dass sie wegen ihrem Mann mitgekommen sei. Sie selbst habe keine eigenen Gründe. Sie würden als Familie zusammenleben wollen. Bei einer Rückkehr fürchte sie um das Leben ihres Mannes und ihrer Familie. Befragt, ob es konkrete Hinweise gebe, dass ihr bei einer Rückkehr unmenschliche Behandlung, Strafe oder die Todesstrafe drohe, gab sie an: "Um Druck auf den Mann auszuüben, könnten sie auch auf mich und die Familie Druck ausüben. Ich weiß nicht, was denen einfallen kann."
Weiters gab die BF2 an, sie sei in XXXX geboren und bereits einmal verheiratet gewesen, aus dieser Ehe stamme ein Sohn (BF3). Sie habe neun Jahre die Grundschule, drei Jahre ein Technikum und fünf Jahre eine Landwirtschaftshochschule besucht. Zwei Jahre sei sie auch auf der Finanzfakultät gewesen. Ein Jahr sei sie auf die Sporthochschule gegangen, diese habe sie nicht beendet. Zuletzt sei sie Direktionsassistentin gewesen. Ihre Muttersprache sei Russisch/Ukrainisch. Ihr Vater sei bereits verstorben. Ihre Mutter und eine Schwester würden in der Ukraine leben.
Die Kopien einzelner Seiten der ukrainischen Inlandsreisepässe der BF wurde sichergestellt.
1.4. Am 08.06.2016 legte der BF1 die Kopie seines ukrainischen Führerscheins samt beglaubigter Übersetzung vor.
1.5. Am 07.09.2017 wurden der BF1 und die BF2 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen.
Der BF1 gab zu seinen persönlichen Verhältnissen ergänzend an, dass es ihm gesundheitlich gut gehe. Zuletzt habe er in XXXX gewohnt. Er habe zu seinen Eltern etwa einmal pro Woche Kontakt, mit dem Bruder etwa einmal in ein paar Monaten. Der Vater habe einen eigenen Betrieb (Wäscherei), der Bruder biete Dienstleistungen an. Er habe in der Ukraine zuletzt bei " XXXX " als stellvertretender Direktor im Verkauf gearbeitet. Vorher habe er als Verkaufsmanager bei verschiedenen Firmen in der Landwirtschaft gearbeitet
Zu seinem Fluchtgrund gab er zusammengefasst an, dass er ufgrund seiner beruflichen Erfahrung und seiner zweiten Hochschulausbildung (Maschinenbau an der Universität XXXX ) verschiedene Kontakte geknüpft habe. Er habe auch in XXXX gearbeitet und sei zwischen Kiew und XXXX hin und her gependelt. Als er angefangen habe mit Zusatzfutter (für die Schweinezucht) zu arbeiten, habe er die Zuteilung zu verschiedenen Gebieten ( XXXX ) erhalten. Als der Krieg im XXXX -Gebiet angefangen habe, hätten sich Bekannte betreffend die Organisation von Fleischlieferungen nach XXXX an ihn gewandt. Einige Generäle hätten ihm vorgeworfen Seperatisten zu unterstützen. Diese Tätigkeit (Fleischlieferung) habe nicht jedem gefallen. Er habe dann einige Anrufe des Geheimdienstes (SBU) bekommen und sei ihm gesagt worden, er solle seine Dienste einstellen. Im Juni 2015 habe er dann eine Ladung zur Miliz bekommen, wonach er eine Aussage bezüglich seiner Mittätigkeit bei den Seperatisten machen solle. Er sei in die Milizabteilung XXXX gegangen und dort befragt, geschlagen und erst am nächsten Tag entlassen worden. Man habe ihm auch gedroht ihn in die Kriegszone einzuberufen. Nicht einmal eine Woche später habe er eine Ladung zur Einberufung zum Wehrdienst bekommen, angeblich zur Kontrolle von Unterlagen. Aus diesen Gründen habe er beschlossen zu fliehen. Anfang Juli habe er die Reise nach Griechenland gebucht und das Visum beantragt. Als er schon in Griechenland gewesen sei, habe er telefonisch erfahren, dass nach ihm gesucht worden sei. Es sei bereits ein Strafverfahren angelegt worden, wonach er bei den Seperatisten mitgeholfen habe. Ein paar Tage zuvor sei seine Wohnung ausgeraubt worden.
Bei einer Rückkehr in die Ukraine befürchte er entweder ins Gefängnis zu kommen oder ansonsten umgebracht zu werden.
Weiters gab der BF1 an, dass sein Bruder Mitglied einer politischen Partei sei, er aber nicht sagen wolle, in welcher Partei der Bruder tätig sei.
Zu seinen persönlichen Verhältnissen in Österreich gab er an, eine Wohnung gemietet zu haben, diese werde von der Caritas bezahlt. Er habe Deutschkurse besucht und sei kein Mitglied in Vereinen. Er habe hier Freunde und Bekannte.
Die BF2 gab in ihrer niederschriftlichen Einvernahme zu ihren persönlichen Verhältnissen ergänzend an, keine Eltern mehr zu haben. Ihre Schwester lebe in der Ukraine. Mit dieser habe sie alle zwei bis drei Monate Kontakt. Sie habe in der Ukraine als Assistentin des Direktors gearbeitet. Sie sei auch Fitnesstrainerin. Zu ihrer Volksgruppe befragt, gab sie an, dass ihr Vater Ukrainer sei, ihre Mutter Jüdin. Nach ihrer Religion befragt, führte sie aus an sich selbst zu glauben. Sie sei Atheist. Neben der Ukrainischen und Russischen Sprache habe sie auch Englisch und Deutschkenntnisse.
Zu ihrem Fluchtgrund gab sie an, dass weder sie, noch ihre Kinder eigenen Fluchtgründe hätten. Sie stelle den Asylantrag, weil im Mai bei ihrem Mann Unannehmlichkeiten in der Arbeit aufgetreten seien. Er sei im Juni festgehalten, geschlagen und psychisch unter Druck gesetzt worden. Dann seien Anrufe und Drohungen gekommen. Ihr Mann habe auch Einberufungen zum Militärdienst bekommen. Da sie als Familie mit vielen Kindern registriert seien und in der Ukraine auch Krieg sei, würden sie ihn nicht einberufen dürfen. Da sie in dieser Situation gewesen seien, hätten sie sich entschlossen ihr Leben zu retten. Am schnellsten habe man die Ausreise nach Griechenland organisieren können. In Griechenland habe der Schwiegervater Kontakt aufgenommen und gesagt, dass man ihn kontaktiert habe und gegen ihren Mann ein Strafverfahren eingeleitet worden sei. Fast gleichzeitig habe der Schwiegervater wieder angerufen und mitgeteilt, dass ihre Wohnung ausgeraubt worden sei. Da die Situation in Griechenland nicht einfach gewesen sei und es dort nicht einfach gewesen sei Schutz zu bekommen, hätten sie sich entschieden in ein deutschsprachiges Land zu gehen.
Persönlich sei sie nur am Telefon bedroht worden. Sie sei am Tag oder in der Nacht angerufen worden. Sie hätten gesagt, wenn der Mann nicht zur Vernunft komme, dann könne es passieren, dass der Sohn einmal nicht nach Hause komme oder man ihn bzw. die Tochter mit dem Auto überfahre. Sie sei nicht regelmäßig angerufen worden. Nicht jeden Tag. Sie habe nur mehr abgehoben, wenn sie die Nummer gekannt habe. Persönlich sei sie zwei- oder dreimal erwischt worden. Das Datum wisse sie nicht. Es sei nach der Festnahme ihres Mannes, im Juni oder Juli gewesen. Bei einer Rückkehr in die Ukraine habe sie Angst. Ihr Mann würde eingesperrt oder im schlimmsten Fall umgebracht werden. Wenn sie ihn nicht bekommen, würden sie versuchen über die Familie an ihn ranzukommen.
Weiters gab die BF2 an, dass der Bruder ihres Mannes ein Mandat einer Partei innehabe, sie wisse aber nichts Genaueres.
Zu ihren persönlichen Verhältnissen in Österreich gab sie an, an Deutschkursen teilgenommen zu haben und ein Zertifikat erworben zu haben. Sie sei Mitglied der jüdischen Kultusgemeinschaft. Sie habe hier Freunde und Bekannte, die Kinder würden seit einem Jahr in den Kindergarten gehen. Alle Kinder würden Deutsch sprechen.
Im Zuge der Einvernahme legten die BF folgende Unterlagen vor:
- Österreichischer Führerschein des BF1 in Kopie;
- Ukrainische Heiratsurkunde samt Übersetzung in Kopie;
- Teilnahmebestätigung Deutschlerngruppe für den BF1 und die BF2;
- Strafregisterbescheinigung des BF1;
- Arbeitszusage für den BF1 als Verkaufsmanager bei Erteilung einer Arbeitsbewilligung, datiert mit 01.09.2017;
- Unterschriftenliste der Nachbarn für die BF;
- Mehrere Unterstützungsschreiben für die BF;
- Ukrainischer Hochschulabschluss (Management und Maschinenbau) des BF1 in Kopie samt Übersetzung;
- Ladung, wonach der BF zur Bundeswehr einberufen werden sollte, samt Übersetzung in original (AS 97 und 98 im Akt des BF1);
- Bestätigung kinderreicher Familien in der Stadt Kiew samt Übersetzung in Kopie;
- Bestätigung vom 08.06.2016, wonach die BF2, der BF3 und die BF5 als Mitglieder der israelischen Kultusgemeinde XXXX registriert sei;
- Zertifikate, wonach die BF2 diverse Sportkurse in der Ukraine absolviert habe bzw. eine Ausbildung zur Fitnesstrainerin gemacht habe;
- Diplome betreffend die Hochschulausbildungen der BF2 für die Fachrichtungen Management, Buchführung/Buchprüfung und Sport sowie eine Spezialisierung in Finanzen samt Übersetzung;
- Ukrainischer Gerichtsbeschluss, wonach die BF2 die Obsorge für den BF3 innehabe;
- Ukrainische Geburtsurkunden des BF3, der BF4 und der BF5 in Kopie samt Übersetzung;
- Flyer einer Volksschule betreffend eine kreative Kinder- und Jugendtanzaufführung;
- Bestätigung einer Neuen Mittelschule mit musikalisch-kreativem Schwerpunkt, wonach der BF3 im Schuljahr 2017/18 die zweite Klasse besucht hat;
- Bestätigung vom 07.09.2017, wonach der BF3 in einem Sport- und Kulturverein Judo trainiere;
- Urkunde des BF3 betreffend die Teilnahme an einem Eishockeycamp im Juli 2017;
- Urkunden, wonach der BF3 im Sommer 2016 und 2017 erfolgreich an Deutschkursen teilgenommen hat;
- Vorläufiger Entlassungsbericht vom 27.08.2017 für den BF3. Die Entlassungsdiagnose lautet "Abdominalgie und Appendizitisaussschluss".
1.6. Am 20.09.2017 brachten die BF eine Stellungnahme zu den Länderfeststellungen ein. Es wurde ausgeführt, dass die Länderinformationen veraltet seien und wurde bezüglich der Situation der Menschenrechte sowie der allgemeinen Situation in der Ukraine ergänzend auf mehrere Artikel der UNO verwiesen. Zudem wurde für den BF1 eine Bestätigung vorgelegt, wonach dieser einen Deutschkurse auf den Niveau A2 erfolgreich absolviert habe.
1.7. Am 02.10.2018 führte das BFA eine ergänzende Einvernahme von BF1 und BF2 durch.
Der BF1 und die BF2 gaben an, gesund zu sein und nicht in ärztlicher Behandlung zu stehen. Es gebe seit der letzten Einvernahme keine neuen Sachverhalte und würde es auch keine Veränderungen in den Lebensumständen geben.
1.8. Am 12.10.2018 brachten die BF erneut eine Stellungnahme ein. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die BF in Österreich bestens integriert seien. Der BF1 habe bereits Arbeitszusagen erhalten, aber aufgrund fehlender Asylberechtigungsdokumente wieder eine Absage bekommen. Der BF1 fördere auch den BF3 in schulischen und sportlichen Belangen. Der BF3 sei nunmehr auch Mitglied in einer U14 Fußballmannschaft. Die BF würden am Leben der israelitischen Kultusgemeinde aktiv teilnehmen, die BF2-BF5 seien dort registrierte Mitglieder und würden die BF an den religiösen Bräuchen und Feiern aktiv teilnehmen. Die BF würden weiters von der psychosozialen Beratung der ESRA bei der israelischen Kultusgemeinde betreut werden. Die BF2 sei seit 2017 registriertes Mitglied einer Eissportvereinigung geworden. Sie verfüge in der Ukraine über das Zertifikat (Sportmeisterin im Eiskunstlauf), könne aber mangels positivem Bescheid nicht einmal Aushilfstätigkeiten ausüben und keine Lizenz erhalten. Der BF3 habe in Österreich ein Jahr die Volksschule besucht, seit zwei Jahren gehe er in eine öffentliche Neue Mittelschule. Er sei sportbegeistert und beherrsche die deutsche Sprache schon sehr gut. In diesem Jahr habe er die Bar Mitzwa bei der israelitischen Kultusgemeinde gehabt und besuche er auch den Religionsunterricht bei einem Rabbi. Die BF4 besuche den Kindergarten und sei eine begabte Tänzerin. Sie besuche das dritte Jahr ein Tanzstudio und tanze bereits seit zwei Jahren mit einem Tanzpartner. Sie trainiere für den österreichischen Tanzwettbewerb. Weiters sei sie talentierte Malerin und seien ihre Bilder im Juni 2018 bei einer Kunstausstellung ausgestellt worden. Sie spreche und verstehe Deutsch gut. Auch die BF5 gehe in den Kindergarten und beginne Deutsch zu sprechen. In diesem Jahr werde sie die Bezirksschwimmschule besuchen. Zur allgemeinen Situation in der Ukraine wurde erneut darauf hingewiesen, dass sich die Situation laut den neusten UNO-Dokumenten noch verschärft habe. Dies betreffe ua. Menschenrechtsverletzungen, Gesetzlosigkeit, Willkür der SBU-Beamten, Folter, Verhaftungen, Verfehlungen des Justizsystems und Korruption. Auch in den Gefängnissen würden lebensbedrohliche Zustände herrschen.
1.9. Mit den im Spruch angeführten Bescheiden wurde jeweils unter Spruchteil I. die Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und unter Spruchteil II. gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 leg. cit. diese Anträge auch bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Ukraine abgewiesen. Unter Spruchteil III. wurde den BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der BF in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchteil V.) und in Spruchteil VI. gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt.
Das BFA führte aus, dass die Identität der BF stehe fest. Sie seien ukrainische Staatsangehörige und würden der Volksgruppe der Ukrainer angehören. Der BF1 bekenne sich zum christlich-orthodoxen Glauben, die BF2 sei Atheistin. Die BF seien im Juli 2015 legal in Besitz eines griechischen Visums nach Griechenland und dann nach Österreich eingereist.
Es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF1 in der Ukraine einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei, oder eine solche in Zukunft eine zu befürchten habe.
Eine asylrelevante Verfolgung habe er nicht glaubhaft gemacht. Er habe lediglich ein vages und abstraktes Vorbringen erstattet. Zudem hätten sich Widersprüche in seinen Angaben und jenen seiner Frau ergeben. So habe die BF2 angegeben, sie sei bei den Telefonaten jedes Mal bedroht worden, während der BF1 schilderte, dass man die BF2 lediglich zu einer Umstimmung bewegen habe wollen und die Anrufe in korrekter Tonlage stattgefunden hätten. Weiters habe der BF1 angegeben, die BF2 sei lediglich einmal am Festnetz und einmal am Mobiltelefon angerufen worden, während die BF2 selbst angab regelmäßig Anrufe erhalten zu haben. Auch hinsichtlich der Ladung zur Miliz hätten sich Ungereimtheiten ergeben. Zunächst habe der BF1 angegeben, in der Ladung sei gestanden, dass er eine Aussage bezüglich seiner Mittätigkeit machen hätte sollen, dann habe er aber angegeben, es habe sich dabei um eine einfache Zeugenaussage gehandelt. Verwunderlich sei weiters, dass der BF1 angab, man habe ihm während des Gespräches nicht Konkretes vorgeworfen, ihm am Ende des Gespräches aber mitgeteilt worden wäre, dass ein Unfall passieren könne oder irgendwas vorfallen könne. Zudem habe er die erhaltene Ladung auch nicht vorlegen können. Auch einen Einberufungsbefehl habe er nicht vorlegen können. Weiters sei verwunderlich, dass der BF1 angab, von zu Hause aus gearbeitet zu haben, seine Frau aber über seine Tätigkeit dennoch nichts gewusst habe. Da der BF1 angab in der Ukraine nicht strafrechtlich verurteilt worden zu sein, sei insgesamt nicht nachvollziehbar, weswegen er einen Haftbefehl erhalten haben soll, zumal ihm laut seinen eigenen Angaben während der Einvernahme nichts Konkretes vorgeworfen worden sei. Darüber hinaus sei die Ukraine mittlerweile ein sicherer Herkunftsstaat und verfüge über einen funktionierenden Rechtsstaat. Die vom BF1 geschilderten Fluchtgründe hätten sich bereits 2015 ereignet und hätte sich seither in der Ukraine eine wesentliche Veränderung zugetragen. Zusammengefasst habe der BF1 bloß einen höchst abstrakten und unkonkreten Sachverhalt behautet. Eine Verfolgung sei nicht glaubhaft.
Die BF2-BF5 hätten keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht, sondern sich lediglich auf die Fluchtgründe des BF1 bezogen.
Zu Spruchpunkt II. wurde ausgeführt, dass die BF an keinen Krankheiten leiden würden. Die erwachsenen BF hätten Schul- bzw. Universitätsbildung sowie Berufserfahrung in der Ukraine. Bei einer Rückkehr in die Ukraine habe keine die Existenz bedrohende Notlage festgestellt werden können. Die erwachsenen BF würden für den Lebensunterhalt der minderjährigen Kinder sorgen können. Die erwachsenen BF seien arbeitsfähig und -willig. Es sei ihnen zuzumuten sich ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit und durch familiäre Unterstützung zu sichern.
Hinsichtlich der Rückkehrentscheidung kam die belangte Behörde zu Schluss, dass die öffentlichen Interessen an der Ausreise der BF gegenüber den persönlichen Interessen überwiegen würden und nicht von einer umfassenden Integration ausgegangen werden könne.
1.10. Gegen diese Bescheide haben die BF fristgerecht vollinhaltliche Beschwerden wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, falscher Beweiswürdigung sowie unrichtiger Beurteilung erhoben. Der BF1 habe seine Fluchtgründe vor dem BFA sehr wohl im Detail geschildert und habe sich die belangte Behörde mit seinen Aussagen nicht hinreichend beschäftigt. Weiters wurde in der Beschwerde - wie schon in der Stellungahme - auf Berichte verwiesen. Die Beweiswürdigung der Behörde sei standardisiert und würde nicht auf den gegenständlichen Akt Bezug nehmen. Zudem seien verschiedene Personen an den Einvernahmen beteiligt gewesen. Soweit sich die Behörde auf Widersprüche zwischen BF1 und BF2 berufe, so werde angemerkt, dass diese nicht essentiell seien bzw. für die Glaubwürdigkeit nicht von Relevanz seien.
1.11. Der BF1 und die BF2 wurden im Zuge einer Beschwerdeverhandlung vom 06.06.2019 durch das erkennende Gericht nochmals ergänzend zu ihren Verwandten und den Lebensumständen in der Ukraine, der beruflichen Tätigkeiten und den Fleischlieferungen des BF1 in das Gebiet der Ostukraine, der Ladung und dem Haftbefehl des BF1 sowie der Einvernahme des BF1 bei der ukrainischen Behörde, den Drohanrufen sowie zur ihrem Leben in Österreich befragt. Weiters wurden in der Verhandlung zwei Zeugen hinsichtlich der Integration der BF in Österreich sowie deren Fluchtgründen befragt. Abschließend wurde mit dem BF1 und der BF2 das aktuelle LIB der Staatendokumentation (Stand 24.04.2019) sowie der Bericht des Auswärtigen Amtes Berlin zur Ukraine vom 22.02.2019 erörtert.
Im Zuge der Verhandlung legten die BF folgende Unterlagen vor:
- Schreiben des Vaters und des Bruders des BF betreffend die Vorfälle in der Ukraine samt Übersetzung;
- Arbeitsvertrag des BF1 datiert mit 01.06.2019 (Arbeitsbeginn 01.07.2019 bzw. ab Erteilung des Zuganges zum österreichischen Arbeitsmarkt) für eine Tätigkeit als Lagerarbeiter bei einer Firma für Autoteile für 38,5h/Woche mit einem Monatsgehalt von EUR 1.625,-
brutto;
- Antrag auf Erstausstellung einer Trainer-Lizenz für die BF2;
- Ukrainisches Zertifikat der BF2, wonach diese Sportmeisterin der Ukraine im Eiskunstlauf sei und ihr dieser Titel am 17.07.1997 verliehen worden sei.
1.12. Am 27.06.2019 brachten die BF eine Stellungnahme ein. Darin wurde ausgeführt, dass die Länderberichte das Vorbringen des BF1 untermauern würden. Dass die Verfolgung des BF1 weiterhin aktuell sei, werde durch das Schreiben des Bruders des BF1 belegt. Die BF2 wolle ergänzend zu den in der mündlichen Verhandlung getätigten Angaben noch anführen, dass sie befürchte in der Ukraine von ihrem Ex-Mann aufgesucht und bedrängt zu werden. Weiters wurde die umfassende Verwurzelung - vor allem des vierzehnjährigen BF3 - hervorgehoben.
Zudem legten die BF folgende Unterlagen vor:
- Lohnzettel des BF1 für die Monate März bis Mai 2019 (Firma für Autoteile), wonach dieser einen Lohn von 445,85 EUR brutto/Monate erhalte;
- Zeugnisse der BF2 für die Deutschkurse A2.1. und A2.2.;
- Anmeldebestätigung des BF1 für einen Deutsch Intensivkurs (Kursstufe A2.2.);
- Zeugnis zur Integrationsprüfung des ÖIF für die BF2 (Niveau A2) vom 05.04.2019;
- Schulnachricht des BF3 für das Schuljahr 2018/19 (öffentliche Neue Mittelschule mit musisch-kreativem Schwerpunkt) sowie ein Bericht des Klassenvorstandes samt der zu erwartenden Noten im Jahreszeugnis für das Schuljahr 2018/19;
- Spielerprofil des BF3 im Fußballverein;
- Schreiben einer Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde/Kinder- und Jugendneuropsychiatrie vom 26.06.2019, wonach der BF3 seit Kleinkindalter an Enuresis nocturna leide und alle durchgeführten organischen Untersuchungen (zuletzt am 26.06.2019) unauffällige Befunde ergeben hätten. Solange der BF3 sich in einer stabilen Umgebung ohne Stresssituation befinde, komme es zu einer deutlichen Verbesserung der Symptome, ab dem Zeitpunkt wo der BF3 mit einer neuen und unsicheren Situation konfrontiert sei (neue Klasse, Klassenfahrt, Wohnortwechsel) komme es zu seiner massiven Verschlechterung der Symptome. Aus Sicher der Ärztin wäre es für den BF3 wichtig in einer ihn vertrauten und bekannten Situation sowie Umgebung zu bleiben;
- Bestätigungen über den Besuch eines Kindergartens für die BF4 und BF5;
- Urkunden über die Teilnahme an Kunstausstellungen für die BF4;
- Empfehlungsschreiben eines Tanzvereins vom 05.06.2019, wonach die BF4 seit zwei Jahren im Verein sei und an diversen Veranstaltungen teilgenommen habe;
- Mehrere Unterstützungsschreiben für die BF.
1.13. Am 03.07.2019 wurde das Jahreszeugnis des BF3 einer öffentlichen Neuen Mittelschule für das Schuljahr 2018/19 sowie ein Fragebogen betreffend die Kompetenzen des BF3 in Vorlage gebracht.
1.14. Am 29.08.2019 wurde ein Zeugnis zur Integrationsprüfung des BF1 (Niveau A2) vom 16.08.2019 sowie ein weiteres Empfehlungsschreiben für die BF in Vorlage gebracht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung wie folgt erwogen:
Beweis wurde erhoben durch den Inhalt der vorliegenden Verwaltungsakte der BF, beinhaltend die niederschriftlichen Einvernahmen von BF1 und BF2 vor dem BFA, die Beschwerden, die Stellungnahmen der BF, durch Einsicht in die vor dem BFA und im Beschwerdeverfahren vorgelegten Unterlagen, durch Einholung von Auszügen aus ZMR, GVS, IZR und Strafregister und schließlich durch Berücksichtigung aktueller Länderinformationen zum Herkunftsstaat (Stand 24.04.2019) sowie dem Bericht des Auswärtigen Amtes Berlin zur Ukraine vom 22.02.2019.
1. Feststellungen:
Feststellungen zu den BF:
Die BF sind Staatsangehörige der Ukraine und gehören der ukrainischen Volksgruppe an. Der BF1 bekennt sich zum christlich-orthodoxen Glauben, die restlichen BF sind Mitglieder der israelitischen Kultusgemeinde.
Die Identität der BF steht fest.
Die BF reisten am 02.08.2015 per Flugzeug - über Griechenland - und in Besitz von griechischen Touristenvisa ins Bundesgebiet ein und stellten am 05.08.2015 Anträge auf internationalen Schutz.
Die BF haben vor ihrer Ausreise nach Europa in der Hauptstadt XXXX gelebt. Der BF1 wurde in XXXX (Deutschland) geboren und hat auch eine Zeit lang in der Ostukraine gelebt bzw. studiert.
Die BF konnte nicht glaubwürdig dartun, dass ihnen in der Ukraine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung maßgeblicher Intensität gedroht hat oder ihnen aktuell droht.
Nicht festgestellt werden kann, dass die BF im Fall der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine in ihrem Recht auf Leben gefährdet wären, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen würden oder von der Todesstrafe bedroht wären.
Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass die BF im Fall ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre.
Die BF leiden an keinen physischen oder psychischen Krankheiten, welche eine Rückkehr in die Ukraine iSd. Art. 3 EMRK unzulässig machen würden.
Die BF waren in der Ukraine in der Lage sich ihren Lebensunterhalt - zuletzt durch die berufliche Tätigkeit des BF1 im Landwirtschaftssektor - zu sichern. In der Ukraine halten sich zudem zahlreiche Verwandte der BF (unter anderem die Eltern, ein Bruder und ein Sohn des BF1 sowie die Schwester der BF2) auf.
Die unbescholtenen BF halten sich nunmehr seit etwa vier Jahren und drei Monaten im Bundesgebiet auf. Die BF leben in einem gemeinsamen Haushalt in XXXX , die Mietkosten werden von der Caritas bezahlt. Der BF1 geht seit Oktober 2018 einer geringfügigen Beschäftigung (10h/Woche für 445,85 EUR netto) in einem Autohandel nach und konnte für die selbe Firma auch einen Arbeitsvertrag (datiert mit 01.06.2019) für die Tätigkeit als Lagerarbeiter in Vorlage bringen. Weiters legte er eine (veraltete) Arbeitszusage als Verkaufsmanager (datiert mit 01.09.2017) vor. Er war während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet nicht selbsterhaltungsfähig und hat - sowie auch die restlichen BF - laufend Leistungen aus der Grundversorgung in Anspruch genommen. Die BF2 hat in Österreich keine gemeinnützigen oder entgeltlichen Arbeiten geleistet und ist ebenfalls nicht selbsterhaltungsfähig. Sie hat lediglich einen Antrag auf Erstausstellung einer Trainer-Lizenz gestellt. Sowohl der BF1, als auch die BF2 haben zwar Deutschkurse bzw. Deutschlerngruppen besucht und die Integrationsprüfung des ÖIF Niveau A2 am 05.04.2019 bzw. 16.08.2019 positiv abgeschlossen, die in der mündlichen Verhandlung an sie auf Deutsch gerichteten Fragen konnten sie jedoch nicht hinreichend verstehen bzw. keine Antworten darauf geben. Der BF3 besuchte in Österreich im Rahmen der Schulpflicht eine Klasse der Volksschule, hat zuletzt die dritte Klasse einer neuen Mittelschule abgeschlossen und besucht nunmehr die vierte Klasse der Neuen Mittelschule. Er hat in den Sommerferien Deutschkurse besucht, an einem Eishockeycamp teilgenommen und Judo trainiert. Derzeit spielt er in seiner Freizeit in einem Verein Fußball. Die BF4 besuchte in Österreich den Kindergarten und hat nunmehr das schulpflichtige Alter erreicht. Sie ist begeisterte Tänzerin, nimmt an diversen Veranstaltungen teil und ist künstlerisch begabt. Die BF5 besucht in Österreich den Kindergarten. Die BF2-BF5 sind Mitglieder der israelitischen Kultusgemeinde und besuchen die BF diesbezüglich auch Veranstaltungen. Die BF2 ist weiters Mitglied in einem Eisverein. Die BF konnten zwar Empfehlungsschreiben in Vorlage bringen, jedoch bestehen in Österreich keine engen sozialen Beziehungen. Es halten sich auch keine Verwandten der BF im Bundesgebiet auf. Eine nachhaltige Integration der BF im Sinne einer tiefgreifenden Verwurzelung im Bundesgebiet kann nicht erkannt werden.
Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat der BF:
Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen
KI vom 24.04.2019, Präsidentschaftswahlen (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage)
Der ukrainische Schauspieler, Jurist und Medienunternehmer Wolodymyr Oleksandrowytsch Selenskyj gewann laut vorläufigem Endergebnis am 21. April die Präsidentschaftsstichwahl der Ukraine gegen den Amtsinhaber Petro Poroschenko mit 73,2% zu 24,5% der abgegebenen Stimmen (Wahlbeteiligung: 61,4%) (DS 21.4.2019; ZO 21.4.2019; ZDF 23.4.2019). Beobachtern zufolge verlief die Wahl im Großen und Ganzen frei und fair und entsprach generell den Regeln des demokratischen Wettstreits. Kritisiert wurden unter anderem die unklare Wahlkampffinanzierung und die Medienberichterstattung in der Wahlauseinandersetzung (KP 22.4.2019).
Es ist ziemlich unklar, wofür der designierte Präsident Selenskyj steht, bzw. was man politisch von ihm erwarten darf. Bekannt geworden ist Selenskyj durch die beliebte ukrainische Fernsehserie "Diener des Volkes", in der er einen einfachen Bürger spielt, der eher zufällig Staatspräsident wird und dieses Amt mit Erfolg ausübt. Tatsächlich hat Selenskyj keine nennenswerte politische Erfahrung, ist dadurch jedoch auch unbefleckt von politischen Skandalen. Eigenen Aussagen zufolge will er den Friedensplan für den umkämpften Osten des Landes wiederbeleben und strebt wie Poroschenko einen EU-Beitritt an. Über einen Nato-Beitritt der Ukraine soll jedoch eine Volksabstimmung entscheiden (DS 21.4.2019; ZO 21.4.2019). Selenskyj hat sich vor allem den Kampf gegen die Korruption auf seine Fahnen geschrieben (UA 27.2.2019).
Kritiker sehen Selenskyj als Marionette des Oligarchen Igor Kolomojskyj, dessen weitgehende Macht unter Präsident Poroschenko stark beschnitten wurde, und auf dessen Fernsehsender 1+1 viele von Selenskyjs Sendungen ausgestrahlt werden. Diesen Vorwurf hat Selenskyj stets zurückgewiesen (UA 27.2.2019; CNN 21.4.2019; Stern 23.4.2019).
- Quellen: - CNN - Cable News Network (21.4.2019): Political newcomer Volodymyr Zelensky celebrates victory in Ukraine's presidential elections,
https://edition.cnn.com/2019/04/21/europe/ukraine-election-results-intl/index.html , Zugriff 24.4.2019 - DS - Der Standard (21.4.2019): Politikneuling Selenski wird neuer Präsident der Ukraine, https://derstandard.at/2000101828722/Politik-Neuling-Selenski-bei-Praesidenten-Stichwahlin-der-Ukraine-vorn , Zugriff 24.4.2019 - KP - Kyiv Post (22.4.2019): Election watchdog Opora: Presidential election free and fair, https://www.kyivpost.com/ukraine-politics/election-watchdog-opora-presidential-election-freeand-fair.html , Zugriff 24.4.2019
- - Stern (23.4.2019): Ihor Kolomojskyj, der milliardenschwere Strippenzieher hinter der Sensation Selenskyj, https://www.stern.de/politik/ausland/ukraine-ihor-kolomojskyj--derstrippenzieher-hinter-der-sensation-selenskyj-8678850.html , Zugriff 24.4.2019 - UA - Ukraine Analysen (27.2.2019):
Präsidentschaftswahlen 2019, per E-Mail - ZDF - Zweites Deutsches Fernsehen (23.4.2019): Ukraine: Vorläufiges Ergebnis. Selenskyj gewinnt Wahl mit 73 Prozent,
https://www.zdf.de/nachrichten/heute/nach-der-wahl-in-derukraine-vorlaeufiges-ergebnis-steht-fest-100.html , Zugriff 24.4.2019 - ZO - Zeit Online (21.4.2019): Komiker Wolodymyr Selenskyj gewinnt Präsidentschaftswahl, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-04/ukraine-wahl-komiker-wolodymyr-selenskyj-liegtlaut-prognosen-vorne , Zugriff 24.4.201
KI vom 09.01.2019, Kriegsrecht beendet (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)
Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hat wie angekündigt, das für Teile der Ukraine verhängte 30-tägige Kriegsrecht, nicht verlängert. Es lief damit wie geplant am 26.12.2018 um 13 Uhr (MEZ) aus. Der Präsident betonte, das Kriegsrecht habe in keiner Weise den Alltag der Zivilbevölkerung beeinflusst (ZO 26.12.2018; vgl. DW 26.12.2018).
Quellen: - DW - Deutsche Welle (26.12.2018): Poroschenko beendet das Kriegsrecht,
https://www.dw.com/de/poroschenko-beendet-das-kriegsrecht/a-46868008 , Zugriff 9.1.2019 - ZO - Zeit Online (26.12.2018): Kriegsrecht in der Ukraine ist beendet,
https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-12/petro-poroschenko-ukraine-kriegsrechtbeendet , Zugriff 9.1.2019
KI vom 28.11.2018, 30 Tage Kriegsrecht für bestimmte Oblaste verhängt (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage)
Das ukrainische Parlament hat am 26. November dem Antrag von Präsident Poroschenko zugestimmt, in Teilen des Landes für 30 Tage das Kriegsrecht zu verhängen. Betroffen sind die "gegenüber russischer Aggression verwundbarsten Regionen" des Landes (siehe Karte) (RFE/RL 26.11.2018).
...
Das Kriegsrecht ermöglicht in den genannten Oblasten eine teilweise Mobilisierung, eine Stärkung der Luftverteidigung sowie eine nicht näher spezifizierte Stärkung des Konterspionage-, Konterterrorismus- und Kontersabotage-Regimes und der Informationssicherheit. Von den 450 Abgeordneten der Obersten Rada (ukrainisches Parlament) stimmten nach hitziger Debatte 276 für und 30 gegen den Antrag. Zuerst hatte Poroschenko die Maßnahme noch für 60 Tage gefordert, das aber später reduziert (RFE/RL 26.11.2018).
Anlass für diesen in der ukrainischen Geschichte beispiellosen Schritt, war ein Vorfall in der Meerenge von Kertsch (der einzigen Zufahrt zum Asowschen Meer) vom vergangenen Wochenende, bei dem die russische Küstenwache Patrouillenboote der ukrainischen Marine erst beschoss, einen Schlepper rammte und die Boote danach festsetzte und insgesamt 23 ukrainische Seeleute inhaftierte. Russland behauptet, die ukrainischen Seefahrzeuge hätten illegal russische Gewässer befahren. Seit die ukrainische Krimhalbinsel von Russland annektiert worden ist, gibt es gehäuft Probleme beim freien Zugang zum Asowschen Meer und damit zum für die ukrainische Wirtschaft so wichtigen Hafen Mariupol. Mittlerweile hat Russland auch eine Brücke über die Meerenge von Kertsch gebaut (RFE/RL 26.11.2018).
Präsident Poroschenko sagte vor der Debatte im Parlament, die Verhängung des Kriegsrechts sei nötig, damit die Ukraine unverzüglich die Verteidigung stärken kann, um im Falle einer Invasion schnell reagieren zu können. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Ukraine offensive Operationen unternehmen wolle; es gehe ausschließlich um den Schutz des Territoriums und die Sicherheit der Bürger. Das Kriegsrecht sieht Dutzende Handlungsoptionen vor, die ergriffen werden können - aber nicht müssen. Diese müssen vor Inkrafttreten von der Regierung festgelegt werden. So gehen die Polizeiaufgaben in Kampfgebieten an die Armee über. Das Militär erhält erweiterte Rechte und ist beispielsweise berechtigt, Ausgangssperren zu verhängen sowie Wohnungsdurchsuchungen und Verkehrs- und Personenkontrollen vorzunehmen. Männer im wehrpflichtigen Alter unterliegen Meldeauflagen. Auch ist es während des Kriegsrechts verboten, Verfassungsänderungen, Parlaments- oder Präsidentenwahlen durchzuführen. Das Kriegsrecht lässt aber keine Folter zu. Bei Rechtsverstößen können nur reguläre Gerichte urteilen. Zusätzlich können weitere Maßnahmen getroffen werden wie Einschränkung der Pressefreiheit, Kontrollen oder Einschränkungen der Kommunikationsmittel usw. Im Gesetz ist festgehalten, dass das Kriegsrecht nach dem festgelegten Zeitraum enden muss. Eine Verlängerung würde dementsprechend einen erneuten Antrag des Präsidenten erfordern. Allerdings kann das Kriegsrecht auch frühzeitig beendet werden. Das derzeit geltende Kriegsrecht gilt für 30 Tage. Es trat am 28. November 2018, 9 Uhr morgens in Kraft und endet am 27. Dezember 2018 (SO 27.11.2018).
Präsidentschaftswahlen in der Ukraine sind für den 21. März 2019 angesetzt und sollen wie geplant stattfinden (RFE/RL 26.11.2018).
- Quellen: - RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (26.11.2018): Ukraine Backs Martial Law After Gunfire At Sea, https://www.rferl.org/a/ukrainian-lawmakers-to-considermartial-law-proposal-after-russia-opens-fire-on-ships-in-black-sea/29620128.html ?
ltflags=mailer, Zugriff 28.11.2018 - RFE/RL - Radio Free Europe / Radio Liberty (27.11.2018): Ukraine's Martial Law, https://www.rferl.org/a/ukraines-martial-law/29623833.html?ltflags=mailer , Zugriff 28.11.2018 - SO - Spiegel Online (27.11.2018): So weitreichend ist das ukrainische Kriegsrecht, http://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-was-bedeutet-das-kriegsrecht-a1240658.html , Zugriff 28.11.201
KI vom 19.12.2017, Antikorruption (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage, Abschnitt 4/Rechtsschutz/Justizwesen und Abschnitt 7/Korruption)
Die Ukraine hat seit 2014 durchaus Maßnahmen gesetzt, um die Korruption zu bekämpfen, wie die Offenlegung der Beamtenvermögen und die Gründung des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU). Gemeinsam mit dem ebenfalls neu geschaffenen Antikorruptionsstaatsanwalt kann das NABU viele Fälle untersuchen und hat einige aufsehenerregende Anklagen vorbereitet, u.a. wurde der Sohn des ukrainischen Innenministers festgenommen. Doch ohne ein spezialisiertes Antikorruptionsgericht läuft die Arbeit der Ermittler ins Leere, so die Annahme der Kritiker, da an normalen Gerichten die Prozesse erfahrungsgemäß eher verschleppt werden können. Das Antikorruptionsgericht sollte eigentlich bis Ende 2017 seine Arbeit aufnehmen, wurde aber noch immer nicht formell geschaffen. Präsident Poroschenko äußerte unlängst die Idee, eine auf Korruption spezialisierte Kammer am Obersten Gerichtshof sei ausreichend und schneller einzurichten. Diesen Vorschlag lehnte jedoch der Internationale Währungsfonds (IWF) ab. Daher bot Poroschenko eine Doppellösung an: Zuerst solle die Kammer eingerichtet werden, später das unabhängige Gericht. Der Zeitplan dafür ist jedoch offen (NZZ 9.11.2017).
Kritiker sehen darin ein Indiz für eine Einflussnahme auf die Justiz durch den ukrainischen Präsident Poroschenko. Mit Juri Luzenko ist außerdem Poroschenkos Trauzeuge Chef der Generalstaatsanwaltschaft, welche von Transparency International als Behörde für politische Einflussnahme bezeichnet wird. Tatsächlich berichtet die ukrainische Korruptionsstaatsanwaltschaft von Druck und Einflussnahme auf ihre Ermittler (DS 30.10.2017).
Ende November 2017 brachten Abgeordnete der Regierungskoalition zudem einen Gesetzentwurf ein, der eine "parlamentarische Kontrolle" über das NABU vorsah und heftige Kritik der westlichen Partner und der ukrainischen Zivilgesellschaft auslöste (UA 13.12.2017). Daraufhin wurde der Gesetzesentwurf wieder von der Tagesordnung genommen (DS 7.12.2017), dafür aber der Vorsitzende des Komitees der Werchowna Rada zur Korruptionsbekämpfung entlassen, welcher die Ernennung des von der Regierung bevorzugten Kandidaten für das Amt des Auditors im NABU blockiert hatte (UA 13.12.2017).
Im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew haben zuletzt mehrere Tausend Menschen für eine Amtsenthebung von Präsident Petro Poroschenko demonstriert. Die Kundgebung wurde von Micheil Saakaschwili angeführt - Ex-Staatschef Georgiens und Ex-Gouverneur des ukrainischen Odessa, der ursprünglich von Präsident Poroschenko geholt worden war, um gegen die Korruption vorzugehen. Saakaschwili wirft Poroschenko mangelndes Engagement im Kampf gegen die Korruption vor und steht seit einigen Wochen an der Spitze einer Protestbewegung gegen den ukrainischen Präsidenten. Mit seinen Protesten will er vorgezogene Neuwahlen erzwingen. Saakaschwili war Anfang Dezember, nach einer vorläufigen Festnahme, von einem Gericht freigelassen worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Organisation eines Staatsstreiches (DS 17.12.2017).
Die EU hat jüngst die Auszahlung eines Hilfskredits über 600 Mio. €
an die Ukraine gestoppt, und der Internationale Währungsfonds (IWF) ist ebenfalls nicht zur Gewährung von weiteren Hilfskrediten bereit, solange der Kampf gegen die grassierende Korruption nicht vorankommt (NZZ 18.12.2017). Der IWF hat die Ukraine aufgefordert, die Unabhängigkeit von NABU und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu gewährleisten und rasch einen gesetzeskonformen Antikorruptionsgerichtshof im Einklang mit den Empfehlungen der Venediger Kommission des Europarats zu schaffen (UA 13.12.2017).
Quellen:
- DS - Der Standard (17.12.2017): Tausende fordern in Kiew Amtsenthebung von Poroschenko,
http://derstandard.at/2000070553927/Tausende-fordern-in-Kiew-Amtsenthebung-von-Poroschenko?ref=rec , Zugriff 19.12.2017
- DS - Der Standard (7.12.2017): Interventionen verhindern Gesetz gegen ukrainisches Antikorruptionsbüro, http://derstandard.at/2000069775196/Ukrainischer-Antikorruptionsbehoerde-droht-Verlust-an-Unabhaengigkeit , Zugriff 19.12.2017
- DS - Der Standard (30.10.2017): Die ukrainische Justizfassade bröckelt noch immer,
http://derstandard.at/2000066853489/Die-ukrainische-Justizfassade-broeckelt-noch-immer?ref=rec , Zugriff 19.12.2017
- NZZ - Neue Zürcher Zeitung (18.12.2017): Das politische Risiko in der Ukraine ist zurück,
https://www.nzz.ch/finanzen/das-politische-risiko-in-der-ukraine-ist-zurueck-ld.1340458 , Zugriff 19.12.2017
- NZZ - Neue Zürcher Zeitung (9.11.2017): Der ukrainische Präsident verschleppt längst überfällige Reformen, https://www.nzz.ch/meinung/ukraine-revolution-im-rueckwaertsgang-ld.1327374 , Zugriff 19.12.2017
- UA - Ukraine Analysen (13.12.2017): Ukraine Analysen Nr. 193, http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen193.pdf?utm_source=newsletterutm_medium=emailutm_campaign=Ukraine-Analysen 193newsletter=Ukraine-Analysen 193, Zugriff 19.12.2017
1. Politische Lage
Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Ihr Staatsoberhaupt ist seit 7.6.2014 Präsident Petro Poroschenko. Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das Parlament (Verkhovna Rada) der Ukraine besteht aus einer Kammer; 225 Sitze werden über ein Verhältniswahlsystem mit Listen vergeben, 225 weitere Sitze werden in Mehrheitswahl an Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben. 27 Mandate bleiben aufgrund der Krim-Besetzung und des Konflikts in der Ost-Ukraine derzeit unbesetzt. Im Parlament sind folgende Fraktionen und Gruppen vertreten (mit Angabe der Zahl der Sitze):
Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka) | 142 |
Volksfront (Narodny Front) | 81 |
Oppositionsblock (Oposyzijny Blok) | 43 |
Selbsthilfe (Samopomitsch) | 26 |
Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka) | 20 |
Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna) | 20 |
Gruppe Wolja Narodu | 19 |
Gruppe Widrodshennja | 24 |
Fraktionslose Abgeordnete | 48 |
(AA 2 .2017a)
Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt seither mit unterschiedlichen Koalitionen eine europafreundliche Reformpolitik. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassung- und Justizreform. Die Parteienlandschaft ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Die Regierung Hrojsman, die seit April 2016 im Amt ist, setzt den euroatlantischen Integrationskurs der Vorgängerregierung unter Arseni Jazenjuk fort und hat trotz zahlreicher koalitionsinterner Querelen und zum Teil großer Widerstände wichtige Reformen erfolgreich durchführen können. Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen bei weitem nicht befriedigt (AA 7.2.2017).
Die Präsidentenwahlen des Jahres 2014 werden von internationalen und nationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft (USDOS 3.3.2017a).
Ukrainische Bürger können seit 11. Juni 2017 ohne Visum bis zu 90 Tage in die Europäische Union reisen, wenn sie einen biometrischen Pass mit gespeichertem Fingerabdruck besitzen. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden. Die Visabefreiung gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands (DS 11.6.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf , Zugriff 31.5.2017
- AA - Auswärtiges Amt (2.2017a): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ukraine_node.html , Zugriff 31.5.2017
- DS - Der Standard (11.6.2017): Ukrainer feierten Aufhebung der Visapflicht für die EU,
http://derstandard.at/2000059097595/Ukrainer-feierten-Aufhebung-der-Visapflicht-fuer-die-EU , Zugriff 19.6.2017
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html , Zugriff 31.5.2017
2. Sicherheitslage
Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).
Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2 .2017c).
Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).
Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon
9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).
Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf , Zugriff 31.5.2017
- AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html , Zugriff 31.5.2017
- AA - Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html , Zugriff 31.5.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html , Zugriff 12.7.2017
2.1. Halbinsel Krim
Die Halbinsel Krim wurde 2014 von der Russischen Föderation besetzt. Das "Referendum" über den Anschluss an Russland, welches auf der Krim durchgeführt wurde, wurde von der Generalversammlung der Vereinten Nationen für ungültig erklärt. Die Resolution 71/205 der Generalversammlung der UN bezeichnet die Russische Föderation als Okkupationsmacht auf der Krim. Seit 2014 sind konstant Menschenrechtsverletzungen seitens der Machthaber zu beobachten:
Gefangene legen Geständnisse ab, die durch Misshandlung und Folter erreicht wurden. Individuen bestimmter Gruppen werden in psychiatrische geschlossene Anstalten zwangseingewiesen. Anwälte können nicht uneingeschränkt ihrer Arbeit nachgehen. Menschen, die keinen russischen Pass haben, wird der Zugang zu staatlichen Dienstleistungen verwehrt. Weiters bestehen Diskriminierungen aufgrund von sexueller Orientierung und Genderidentität. Menschen mit anderer politischer Meinung werden verhaftet und unter Bezugnahme auf russische "Anti-Terror"-Gesetze zu Haftstrafen verurteilt. Auch werden Individuen entführt oder verschwinden plötzlich. Wenige bis keine dieser Fälle werden ausreichend investigativ und juristisch verfolgt. Besonders die ethnische Gruppe der Krimtataren, aber auch Ukrainer anderer ethnischer oder religiöser Gruppen, sind von Menschenrechtsverletzungen betroffen. Der Mejlis, die krimtatarische gewählte Versammlung zur Repräsentation der Krimtataren, wurde am 18. April 2016 durch die lokalen Behörden suspendiert und am 26. April vom Russischen Obersten Gerichtshof als "extremistisch" eingestuft und verboten. Menschenrechtsorganisationen sowie Journalisten haben keinen uneingeschränkten Zugang zur Krim. Bestimmte Webseiten werden blockiert und unabhängige Medien mussten auf das ukrainische Festland übersiedeln. Die Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wird massiv eingeschränkt. Am 7. März 2016 wurden in Simferopol alle öffentlichen Versammlungen verboten, die nicht von den Machthabern organisiert wurden (ÖB 4.2017).
Auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Auf der Krim werden seit der völkerrechtswidrigen Annexion durch Russland im März 2014 staatliche Aufgaben von russischen Behörden ausgeübt. Die Einwohner wurden pauschal eingebürgert, es wurde begonnen, sie mit russischen Inlandspässen, seit September 2014 auch mit russischen Reisepässen, auszustatten. Einwohner der Krim, die ihr Widerspruchsrecht nutzten haben damit u.
a. den Anspruch auf kostenlose medizinische Versorgung verloren. Die Minderheit der Krimtataren unterliegt erheblichen Restriktionen. Besorgniserregend sind weiterhin Meldungen, wonach exponierte Vertreter der tatarischen Minderheit verschwinden, nicht mehr auf die Krim reisen dürfen bzw. vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Außerdem werden tatarische Vereine in ihrer Handlungsfähigkeit beschnitten und unter Druck gesetzt, teilweise auch kriminalisiert oder zur Auflösung gezwungen. Die gewählte Versammlung der Krimtataren, das Selbstverwaltungsorgan Medschlis, wird von den de-facto-Behörden als terroristische Vereinigung eingestuft, seine Mitglieder werden verfolgt. Versuche, die tatarische Minderheit in eine den de-facto-Behörden willfährige Parallelstruktur einzubinden, blieben bisher ohne nennenswerten Erfolg. Medien stehen unter Druck, eine offene Zivilgesellschaft gibt es nicht mehr. Dem unabhängigen Fernsehsender der Tataren ATR wurde die Lizenz entzogen; er hat seinen Sitz nach Kiew verlegt. Seine Sendungen können auf der Krim nur noch im Internet und dort sehr eingeschränkt verfolgt werden. Auch jüngste Berichte von UNHCR sowie Amnesty International listen eine Reihe von Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten auf der Krim auf, die von einer Einschränkung des Versammlungsrechts über willkürliche Verhaftungen bis hin zu Entführungen, Folter und Ermordung reicht. Versuche der Vereinten Nationen, der OSZE oder des Europarats eine kontinuierliche Beobachtung der Menschenrechtssituation auf der Krim vorzunehmen, sind bisher gescheitert (AA 7.2.2017).
Auf der Halbinsel Krim sind Dissidenten das Ziel systematischen Missbrauchs und der Verfolgung durch die russischen Behörden. Es gibt Berichte über Fälle von Verschwindenlassen. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise auf die Krim verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung (USDOS 3.3.2017a).
Im Feber 2014 besetzten russische Truppen die Halbinsel Krim militärisch. Im März wurde die Krim nach einem Scheinreferendum schließlich annektiert und zum Teil der Russischen Föderation erklärt. Die Vereinten Nationen verurteilten diesen Schritt und riefen Staaten und internationale Organisation auf, dies nicht anzuerkennen. Auf der Krim gilt seither de facto russisches Recht, es wurde eine russische Regierung installiert. Die russischen Sicherheitsbehörden konsolidieren ihre Kontrolle der Halbinsel weiterhin und beschränken die Menschenrechte durch unverhältnismäßige Anwendung repressiver russischer Gesetze. Abweichende und Meinungen und Opposition zur Annexion der Krim werden von den russischen Behörden durch Einschüchterung unterdrückt. Dazu gehören Entführungen, Verschwindenlassen, Misshandlung, politische Prozesse, wiederholte grundlose Vorladungen durch die Sicherheitsbehörden, gegenstandslose Festnahmen, usw. Bestimmte Gruppen, vor allem ethnische Ukrainer und Krimtataren werden systematisch diskriminiert und ihre Menschenrechte eingeschränkt. Der Selbstverwaltungskörper der krimtatarischen Minderheit, der demokratisch gewählte Mejlis, wurde als extremistische Organisation verboten. Personen, welche die Annahme der russischen Staatsbürgerschaft verweigern, werden beim Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und Arbeitsmarkt diskriminiert. Es gibt auch Eingriffe in die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit, speziell durch Behinderung bei der Pflege des kulturellen Erbes und durch Einschränkung des Zugangs zu Unterricht in ukrainischer und krimtatarischer Sprache. Die Medienfreiheit auf der Krim wird ebenfalls eingeschränkt, unabhängige Medien gibt es nicht mehr. Die wenigen verbleibenden unabhängigen bzw. kritischen Journalisten wurden eingesperrt und wegen Extremismus angeklagt. Es kommt zu politischer Einmischung in gerichtliche Verfahren, Einschränkung der Bewegungsfreiheit und Diskriminierung ethnischer und sexueller Minderheiten. Tausende Personen flüchteten als Binnenvertriebene in die Ukraine. Bei den russischen Behörden auf der Krim herrscht betreffend Menschenrechtsverletzungen ein Klima der Straflosigkeit. Fälle von Entführung oder Tötung von Einwohnern der Krim in den Jahren 2014 und 2015 werden nicht angemessen untersucht (USDOS 3.3.2017b).
Die Rechte der Bevölkerung der Krim, besonders der Krimtataren, werden weitgehend verletzt. Der krimtatarische Mejlis wurde verboten und krimtatarische Führungspersönlichkeiten dürfen die Krim nicht betreten oder sind inhaftiert (FH 29.3.2017).
Auf der Krim setzten die de-facto-Behörden ihre Maßnahmen zur Unterdrückung jeglicher pro-ukrainischer Opposition fort, wobei sie zunehmend auf russische Gesetze zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus zurückgriffen und Strafverfolgungsmaßnahmen gegen Dutzende Personen anstrengten, die als illoyal betrachtet wurden. In keinem der Fälle von Verschwindenlassen, die sich im Anschluss an die russische Besetzung ereignet hatten, gab es gründliche Ermittlungen. Die russischen Behörden hielten Parlamentswahlen auf der Krim ab, die international nicht anerkannt wurden. Die bereits stark eingeschränkten Rechte auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wurden 2016 noch weiter beschnitten. Die Websites einiger unabhängiger Medienkanäle, die in den Jahren zuvor gezwungen waren, ihren Sitz auf das ukrainische Festland zu verlegen, wurden von den De-facto-Behörden auf der Krim gesperrt. Am 7. März 2016 verbot der Bürgermeister von Simferopol, der Hauptstadt der Krim, alle öffentlichen Versammlungen, die nicht von den Behörden organisiert wurden. Ethnische Krimtataren waren von dem Bestreben der De-facto-Behörden zur Beseitigung jeglicher pro-ukrainischer Opposition nach wie vor besonders stark betroffen. Am 18. April wurde der Medschlis, eine von der krimtatarischen Volksversammlung Kurultai gewählte Vertretung, aufgelöst und am 26. April von einem Gericht als "extremistisch" verboten. Das Verbot wurde am 29. September vom Obersten Gerichtshof der Russischen Föderation bestätigt (AI 22.2.2017).
Russland setzt Kritiker der Krim-Okkupation weiterhin politischer Strafverfolgung aus und schränkt die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit weiter ein. Krimtataren werden unter dem Vorwand der Extremismusbekämpfung verfolgt (HRW 12.1.2017).
Die im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim bzw. im Zuge der Kampfhandlungen im Osten bekanntgewordenen und nicht zuletzt durch OSZE-Beobachter wiederholt thematisierten Verschleppungen von Journalisten durch Separatisten sowie die Behinderung objektiver Berichterstattung gaben ebenfalls zu verstärkter Sorge Anlass (ÖB 4.2017).
Seit der russischen Annexion der Halbinsel Krim häufen sich Berichte über den Versuch der systematischen Einschränkung der Versammlungsfreiheit unter dem Vorwand sicherheitspolitischer Erwägungen. Dies wirkt sich insbesondere auf die Aktivitäten der Krimtataren aus. Exemplarisch sei auf das Argument verwiesen, wonach Parkflächen während der Schulferien für Kinderaktivitäten freizuhalten und dementsprechend öffentliche kulturelle Veranstaltungen der Krimtataren aus Anlass des Tags der Flagge der Krimtataren in Simferopol am 26. Juni 2014 zu untersagen seien (ÖB 4.2017).
Quellen:
- AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336532/479204_de.html , Zugriff 1.6.2017
- FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html , Zugriff 1.6.2017
- HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/334769/476523_de.html , Zugriff 6.6.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html , Zugriff 31.5.2017
- USDOS - US Department of State (3.3.2017b): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine (Crimea), https://www.ecoi.net/local_link/337269/480036_de.html , Zugriff 1.6.2017
2.2. Ostukraine
Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland im März 2014 rissen pro-russische Separatisten in einigen Gebieten der Ost-Ukraine die Macht an sich und riefen, unterstützt von russischen Staatsangehörigen, die "Volksrepublik Donezk" und die "Volksrepublik Lugansk" aus. Der ukrainische Staat begann daraufhin eine sogenannte Antiterroroperation (ATO), um die staatliche Kontrolle wiederherzustellen. Bis August 2014 erzielten die ukrainischen Kräfte stetige Fortschritte, danach erlitten sie jedoch - bedingt durch militärische Unterstützung der Separatisten aus Russland - zum Teil schwerwiegende Verluste. Die trilaterale Kontaktgruppe mit Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE bemüht sich darum, den militärischen Konflikt zu beenden. Das Minsker Protokoll vom 5. September 2014, das Minsker Memorandum vom 19. September 2014 und das Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 sehen unter anderem eine Feuerpause, den Abzug schwerer Waffen, die Gewährung eines "Sonderstatus" für einige Teile der Ost-Ukraine, die Durchführung von Lokalwahlen und die vollständige Wiederherstellung der Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze vor. Die von der OSZE-Beobachtermission SMM überwachte Umsetzung, etwa des Truppenabzugs, erfolgt jedoch schleppend. Die Sicherheitslage im Osten des Landes bleibt volatil (AA 2 .2017b).
In den von Separatisten kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Berichte der OSZE-Beobachtermission, von Amnesty International sowie weiteren NGOs lassen den Schluss zu, dass es nach Ausbruch des Konflikts im März 2014 in den von Separatisten kontrollierten Gebieten zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Dazu zählen extralegale Tötungen auf Befehl örtlicher Kommandeure ebenso wie Freiheitsberaubung, Erpressung, Raub, Entführung, Scheinhinrichtungen und Vergewaltigungen. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte spricht von einem "vollständigen Zusammenbruch von Recht und Ordnung", von einem "unter den Bewohnern vorherrschenden Gefühl der Angst, besonders ausgeprägt in der Region Lugansk", sowie einer durch "fortgesetzte Beschränkungen der Grundrechte, die die Isolation der in diesen Regionen lebenden Bevölkerung verschärft, sowie des Zugangs zu Informationen" gekennzeichneten Menschenrechtslage. Die Zivilbevölkerung ist der Willkür der Soldateska schutzlos ausgeliefert, Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit sind faktisch suspendiert. Nach UN-Angaben sind seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen umgekommen. Es sind rund 1,7 Mio. Binnenflüchtlinge registriert und ca. 1,5 Mio. Menschen sind in Nachbarländer geflohen. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt: Die Sicherheitslage hat sich verbessert, auch wenn Waffenstillstandsverletzungen an der Tagesordnung bleiben. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt jedoch trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt neben den Lokalwahlen im besetzten Donbas der Dezentralisierungsprozess für den Donbas, den die Rada noch nicht abgeschlossen hat. In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Lugansk wird die staatliche Ordnung erhalten oder wieder hergestellt, um Wiederaufbau sowie humanitäre Versorgung der Bevölkerung zu ermöglichen (AA 7.2.2017).
Die von Russland unterstützten Separatisten im Donbas verüben weiterhin Entführungen, Folter und unrechtmäßige Inhaftierung, rekrutieren Kindersoldaten, unterdrücken abweichende Meinungen und schränken humanitäre Hilfe ein. Trotzdem dies offiziell weiterhin abgestritten wird, kontrolliert Russland das Ausmaß der Gewalt in der Ostukraine und eskaliert den Konflikt nach eigenem politischen Gutdünken. Die separatistischen bewaffneten Gruppen werden weiterhin von Russland trainiert, bewaffnet, geführt und gegebenenfalls direkt im Einsatz unterstützt. Die Arbeit internationaler Beobachter wird dabei nach Kräften behindert. Geschätzte 70 Quadratkilometer landwirtschaftlicher Flächen in der Ostukraine wurden von den beiden Seiten vermint, speziell nahe der sogenannten Kontaktlinie. Diese Verminungen sind oft schlecht markiert und stellen eine Gefahr für Zivilisten dar. Bis zu 2.000 Zivilisten sollen im ostukrainischen Konfliktgebiet umgekommen sein, meist durch Artilleriebeschuss bewohnter Gebiete. Die Zahl derer, die durch Folter und andere Menschenrechtsverletzungen umgekommen sein dürften, geht in die Dutzende. 498 Personen (darunter 347 Zivilisten) bleiben vermisst. Die von Russland unterstützten Separatisten begingen systematisch zahlreiche Menschenrechtsverletzungen (Schläge, Zwangsarbeit, Folter, Erniedrigung, sexuelle Gewalt, Verschwindenlassen aber auch Tötungen) sowohl zur Aufrechterhaltung der Kontrolle als auch zur Bereicherung. Sie entführen regelmäßig Personen für politische Zwecke oder zur Erpressung von Lösegeld, besonders an Checkpoints. Es kommt zu willkürlichen Inhaftierungen von Zivilpersonen bei völligem Fehlen jeglicher rechtsstaatlicher Kontrolle. Diese Entführungen führen wegen ihrer willkürlichen Natur zu großer Angst unter der Zivilbevölkerung. Von einem "Kollaps von Recht und Ordnung" in den Separatistengebieten wird berichtet. Internationalen und nationalen Menschenrechtsbeobachtern wird die Einreise in die Separatistengebiete verweigert. Wenn Gruppen versuchen dort tätig zu werden, werden sie zum Ziel erheblicher Drangsale und Einschüchterung. Journalisten werden willkürlich inhaftiert und misshandelt. Die separatistischen bewaffneten Gruppen beeinflussen direkt die Medienberichterstattung in den selbsternannten Volksrepubliken. Freie (kritische) Meinungsäußerung ist nicht möglich. Da die separatistischen Machthaber die Einfuhr von humanitären Gütern durch ukrainische oder internationale Organisationen stark einschränken, sind die Anwohner der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk mit starken Preisanstiegen konfrontiert. An Medikamenten herrscht ein erheblicher Mangel. Das erschwert auch die Behandlung von HIV und Tuberkulose. Mehr als 6.000 HIV-positive Personen in der Region leiden unter dem Mangel an Medikamenten und Medizinern (USDOS 3.3.2017a).
In den ostukrainischen Konfliktgebieten begingen Berichten zufolge auch Regierungstruppen bzw. mit ihnen verbündete Gruppen Menschenrechtsverletzungen. Der ukrainische Geheimdienst (SBU) soll Personen geheim festhalten bzw. festgehalten haben (USDOS 3.3.2017a). Nach einem Bericht über illegale Haft und Folter, sowohl durch den ukrainischen SBU sowie durch prorussische Separatisten, reagierte im Juli 2016 der SBU mit der Entlassung von 13 Personen aus der Haft (die Illegalität der Haft wurde aber abgestritten). Von der separatistischen Seite ist nichts dergleichen berichtet, obwohl deren Vergehen viel zahlreicher waren (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).
Trotz des Abkommens von Minsk ist in der Ostukraine immer noch kein tragfähiger Waffenstillstand zustande gekommen. Russland liefert weiterhin Waffen und stellt militärisches Personal als "Freiwillige". 2016 haben sich die lokalen Verwaltungen in den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk institutionell konsolidiert und der Aufbau russisch kontrollierter Staatsgebilde ist überwiegend abgeschlossen. Unabhängige politische Aktivitäten und politische Parteien sind jedoch verboten, NGOs arbeiten dort nicht, und eine freie Presse ist nicht vorhanden (FH 29.3.2017).
Nach wie vor kam es im Osten der Ukraine auf beiden Seiten zu sporadischen Verstößen gegen den vereinbarten Waffenstillstand. Sowohl die ukrainischen Streitkräfte als auch die pro-russischen Separatisten verübten Verletzungen des humanitären Völkerrechts, darunter Kriegsverbrechen wie Folter, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. In der Ukraine und den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk wurden Personen, die der Unterstützung der jeweils anderen Seite verdächtigt wurden, rechtswidrig inhaftiert, auch zum Zwecke des Gefangenenaustauschs. Sowohl seitens der ukrainischen Behörden als auch der separatistischen Kräfte im Osten der Ukraine kam es auf den von der jeweiligen Seite kontrollierten Gebieten zu rechtswidrigen Inhaftierungen. Zivilpersonen, die als Sympathisanten der anderen Seite galten, wurden als Geiseln für den Gefangenenaustausch benutzt. Wer für einen Gefangenenaustausch nicht in Frage kam, blieb häufig monatelang inoffiziell in Haft, ohne Rechtsbehelf oder Aussicht auf Freilassung. In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk setzten lokale "Ministerien für Staatssicherheit" die ihnen im Rahmen lokaler "Verordnungen" verliehenen Befugnisse dazu ein, Personen bis zu 30 Tage lang willkürlich zu inhaftieren und diese Haftdauer wiederholt zu verlängern. Die ukrainischen Behörden schränkten den Personenverkehr zwischen den von den Separatisten kontrollierten Regionen Donezk und Lugansk und den von der Ukraine kontrollierten Gebieten weiterhin stark ein (AI 22.2.2017).
In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk agieren lokale Sicherheitsdienste in einem vollkommenen rechtlichen Vakuum, wodurch die von ihnen festgenommenen Personen jeglicher Rechtssicherheit oder Beschwerdemöglichkeiten beraubt (HRW 12.1.2017).
In den von pro-russischen Kräften besetzten Gebieten im Osten der Ukraine kann in keinster Weise von einer freien, gar kritischen Presse die Rede sein. Die im Zuge der Annexion der Halbinsel Krim bzw. im Zuge der Kampfhandlungen im Osten bekanntgewordenen und nicht zuletzt durch OSZE-Beobachter wiederholt thematisierten Verschleppungen von Journalisten durch Separatisten sowie die Behinderung objektiver Berichterstattung gaben ebenfalls zu verstärkter Sorge Anlass (ÖB 4.2017).
Pro-russische Separatisten in der Ostukraine entführen, inhaftieren, schlagen und bedrohen Mitglieder der ukrainisch-orthodoxen Kirche Kiewer Patriarchats, Zeugen Jehovas und Angehörige protestantischer Kirchen. Auch antisemitische Rhetorik und Handlungen werden berichtet. Sie verwüsten oder beschlagnahmen weiterhin Kirchenvermögen und geben vor, nur "offizielle Kirchen" dürften tätig werden. Faktisch werden religiöse Gruppen außer der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats systematisch diskriminiert (USDOS 10.8.2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html , Zugriff 31.5.2017
- AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336532/479204_de.html , Zugriff 1.6.2017
- FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html , Zugriff 1.6.2017
- FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336975/479728_de.html , Zugriff 22.6.2017
- HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/334769/476523_de.html , Zugriff 6.6.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html , Zugriff 31.5.2017
3. Rechtsschutz/Justizwesen
Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering (USDOS 3.3.2017a).
Nach einer langen Phase der Stagnation nahm die Justizreform ab Juli 2016 mit Verfassungsänderungen und neuem rechtlichem Rahmen Fahrt auf. Für eine Bewertung der Effektivität der Reform ist es noch zu früh (FH 29.3.2017).
Die Reform der Justiz war eine der Kernforderungen der Demonstranten am sogenannten Euro-Maidan. Das größte Problem der ukrainischen Justiz war immer die mangelnde Unabhängigkeit der Richter von der Exekutive. Auch die Qualität der Gesetze gab stets Anlass zur Sorge. Noch problematischer war jedoch deren Umsetzung in der Praxis. Auch Korruption wird als großes Problem im Justizbereich wahrgenommen. Unter dem frisch ins Amt gekommenen Präsident Poroschenko machte sich die Regierung daher umgehend an umfassende Justizreformen. Mehrere größere Gesetzesänderungen hierzu wurden seither verabschiedet. Besonders hervorzuheben sind Gesetz Nr. 3524 betreffend Änderungen der Verfassung und Gesetz Nr. 4734 betreffend das Rechtssystem und den Status der Richter, die Ende September 2016 in Kraft traten. Mit diesen Gesetzen wurden die Struktur des Justizsystems reformiert und die professionellen Standards für Richter erhöht und ihre Verantwortlichkeit neu geregelt. Außerdem wurde der Richterschaft ein neuer Selbstverwaltungskörper gegeben, der sogenannte Obersten Justizrat (Supreme Council of Justice). Dieser ersetzt die bisherige Institution (Supreme Judicial Council), besteht hauptsächlich aus Richtern und hat ein Vorschlagsrecht für Richter, welche dann vom Präsidenten zu ernennen sind. Ebenso soll der Oberste Justizrat Richter suspendieren können. Die besonders kritisierte fünfjährige Probezeit der Richter wurde gestrichen und ihr Einkommen massiv erhöht. Auf der anderen Seite wurden die Ernennungskriterien für Richter erhöht, bereits ernannte Richter müssen sich einer Überprüfung unterziehen. Die Antikorruptionsregelungen wurden verschärft und die richterliche Immunität auf eine rein professionelle Immunität beschränkt. Richter, die die Herkunft ihres Vermögens (bzw. das enger Angehöriger) nicht belegen können, sind zu entlassen. Besonders augenfällig ist auch die Umstellung des Gerichtssystems von einem viergliedrigen zu einem dreigliedrigen System. Unter dem ebenfalls reformierten Obersten Gerichtshof als höchster Instanz, gibt es nun nur noch die Appellationsgerichte und unter diesen die lokalen Gerichte. Die zuvor existierenden verschiedensten Gerichtshöfe (zwischen Appellationsgerichten und Oberstem Gerichtshof) wurden abgeschafft. Außerdem wurde ein spezialisierter Antikorruptionsgerichtshof geschaffen, wenn auch dessen genaue Zuständigkeit noch durch Umsetzungsdekrete festzulegen ist. Die Kompetenz Gerichte zu schaffen oder umzuorganisieren etc., ging vom Präsidenten auf das Parlament über (BFA/OFPRA 5.2017).
Die andere große Baustelle des Justizsystems ist die Reform des Büros des Generalstaatsanwalts, der bislang mit weitreichenden, aus der Sowjetzeit herrührenden Kompetenzen ausgestattet war. Im April 2015 trat ein Gesetz zur Einschränkung dieser Kompetenzen bei gleichzeitiger Stärkung der Unabhängigkeit in Kraft, wurde in der Praxis aber nicht vollständig umgesetzt. Große Hoffnungen in diese Richtung werden in den im Mai 2016 ernannten neuen Generalstaatsanwalt Juri Lutsenko gesetzt. Eine neu geschaffene Generalinspektion soll die Legalität der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft überwachen. Die praktische Umsetzung all dieser Vorgaben erfordert allerdings die Verabschiedung einer Reihe begleitender Gesetze, die es abzuwarten gilt. Etwa 3.400 Posten in der Staatsanwaltschaft, die neu besetzt wurden, gingen überwiegend an Kandidaten, die bereits vorher in der Staatsanwaltschaft gewesen waren. Alle Kandidaten absolvierten eingehende und transparente Tests, aber am Ende waren unter den Ernannten nur 22 neue Gesichter, was in der Öffentlichkeit zu Kritik führte. Für die Generalinspektion ist aber neues Personal vorgesehen. Die schlechte Bezahlung der Staatsanwälte ist ein Einfallstor für Korruption. Der Antikorruptions-Staatsanwalt bekommt als einziger Staatsanwalt höhere Bezüge, obwohl gemäß Gesetz alle Staatsanwälte besser bezahlt werden müssten (BFA/OFPRA 5.2017; vgl. FH 29.3.2017).
Mit 1. Oktober 2016 hat die Generalstaatsanwaltschaft sechs Strafverfahren gegen Richter eingeleitet. Richter beschweren sich weiterhin über eine schwache Gewaltenteilung zwischen Exekutive und Judikative. Einige Richter berichten über Druckausübung durch hohe Politiker. Andere Faktoren behindern das Recht auf ein faires Verfahren, wie langwierige Gerichtsverfahren, vor allem in Verwaltungsgerichten, unzureichende Finanzierung und mangelnde Umsetzung von Gerichtsurteilen. Diese liegt bei nur 40% (USDOS 3.3.2017a).
Der unter der Präsidentschaft Janukowitschs zu beobachtende Missbrauch der Justiz als Hilfsmittel gegen politische Mitbewerber und kritische Mitglieder der Zivilgesellschaft ist im politischen Prozess der Ukraine heute nicht mehr zu finden. Es bestehen aber weiterhin strukturelle Defizite in der ukrainischen Justiz. Eine umfassende, an westeuropäischen Standards ausgerichtete Justizreform ist im September 2016 in Kraft getreten, deren vollständige Umsetzung wird jedoch noch einige Jahre in Anspruch nehmen (ÖB 4.2017).
Laut offizieller Statistik des EGMR befindet sich die Ukraine auf Platz 1 in Bezug auf die Anzahl an anhängigen Fällen in Strassburg (18.155, Stand 1.1.2017). 65% der anhängigen Fälle betreffen die nicht-Umsetzung von nationalen Urteilen. Wiederkehrende Vorwürfe des EGMR gegen die Ukraine kreisen auch um die überlange Dauer von Zivilprozessen und strafrechtlichen Voruntersuchungen ohne Möglichkeit, dagegen Rechtsmittel ergreifen zu können; Verstöße gegen Art. 5 der EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit); Unmenschliche Behandlung in Haft bzw. unzulängliche Untersuchung von derartig vorgebrachten Beschwerden; Unzureichende Haftbedingungen und medizinische Betreuung von Häftlingen (ÖB 4.2017).
Quellen:
- BFA/OFPRA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Office français de protection des réfugiés et apatrides (5.2017): Fact Finding Mission Report Ukraine
- FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, http://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html , Zugriff 6.6.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html , Zugriff 31.5.2017
4. Sicherheitsbehörden
Die Sicherheitsbehörden unterstehen effektiver ziviler Kontrolle. Der ukrainischen Regierung gelingt es meist nicht Beamte strafzuverfolgen oder zu bestrafen, die Verfehlungen begangen haben. Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen bemängeln aber die Maßnahmen angebliche Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsbehörden zu ermitteln bzw. zu bestrafen, insbesondere angebliche Fälle von Folter, Verschwindenlassen, willkürlichen Inhaftierungen etc. durch den ukrainischen Geheimdienst (SBU), speziell wenn das Opfer verdächtig war/ist "pro-separatistisch" eingestellt zu sein. Straflosigkeit ist somit weiterhin ein Problem. Gelegentlich kam es zu Anklagen, oft aber blieb es bei Untersuchungen. Der Menschenrechtsombudsmann hat die rechtliche Möglichkeit, Ermittlungen innerhalb der Sicherheitsbehörden wegen Menschenrechtsverletzungen zu initiieren. Die Sicherheitsbehörden verhindern generell gesellschaftliche Gewalt oder reagieren darauf. In einigen Fällen kam es aber auch zu Fällen überschießender Gewaltanwendung gegen Demonstranten oder es wurde versäumt Personen vor Drangsale oder Gewalt zu schützen (USDOS 3.3.2017a).
Die Sicherheitsbehörden haben ihre sowjetische Tradition überwiegend noch nicht abgestreift. Reformen werden von Teilen des Staatsapparats abgelehnt. Staatsanwaltschaft und Sicherheitsdienst (SBU) waren jahrzehntelang Instrumente der Repression; im Bereich von Gefahrenabwehr und Strafverfolgung gibt es weiterhin überlappende Kompetenzen. Die 2015 mit großem Vertrauensvorschuss neu geschaffene und allseits für ihre Integrität gelobte Nationalpolizei muss sich auseinandersetzen mit einer das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung beeinträchtigenden Zunahme der Kriminalität infolge der schlechten Wirtschaftslage und der Auseinandersetzung im Osten, einer noch im alten Denken verhafteten Staatsanwaltschaft und der aus sozialistischen Zeiten überkommenen Rechtslage. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, einige wenige Personen in der Konfliktregion (Ostukraine) unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).
Nach einem Bericht über illegale Haft und Folter, sowohl durch den ukrainischen Geheimdienst SBU als auch durch prorussische Separatisten, reagierte im Juli 2016 der SBU mit der Entlassung von 13 Personen aus der Haft (die Illegalität der Haft wurde aber abgestritten). Bezüglich der Polizeigewalt gegen Maidan-Demonstranten im Jahre 2014 wurden vier Berkut-Beamte wegen der Tötung von drei Demonstranten und Verletzung 35 weiterer angeklagt (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).
Da die alte ukrainische Polizei, die sogenannte Militsiya, seit Ende der Sowjetunion mit einem sehr schlechten Ruf als zutiefst korrupt zu kämpfen hatte und sie nach den Ereignissen des sogenannten Euromaidan zu sehr mit - zum Teil tödliche r- Gewalt gegen Demonstranten gleichgesetzt wurde, reagierte die neue Regierung in der post-Janukowitsch-Ära sehr schnell und präsentierte bereits Ende 2014 eine Strategie zur Einführung einer neuen Polizeieinheit, welche korruptionsfrei, weniger militaristisch und serviceorientierter sein sollte. Die relevante Gesetzgebung konnte schließlich im November 2015 in Kraft treten. Die neue Nationalpolizei nahm ihre Tätigkeit aber bereits Anfang Juli 2015 auf, als die ersten 2.000 neuen Beamten nach nur drei Monaten Ausbildung ihren Eid ablegten. Diese kurze Ausbildungszeit erklärt sich auch aus der Notwendigkeit heraus, die neuen Beamten rasch auf die Straße zu bekommen, wo sie wohlgemerkt ohne Anleitung durch erfahrene (Militsiya‑)Beamte Dienst taten, sozusagen als Verkörperung des Wandels. Die etwa 12.000 Nationalpolizisten tun derzeit Dienst in den Großstädten, inklusive Odessa, Kharkiv, Kiew und Lemberg, sowie in 32 Oblast-Hauptstädten im ganzen Land, inklusive der ukrainisch kontrollierten Teile der Ostukraine. Es ist geplant, dass sie danach schrittweise auf den Autobahnen und im ganzen Land tätig werden sollen. Geplant und durchgeführt wurde die Polizeireform v.a. von georgischen Experten, die bereits in ihrer Heimat einschlägige und international beachtete Erfahrungen gesammelt hatten. Um die Trennung vom alten System zu verdeutlichen, wurde die Militsiya angewiesen nicht mehr auf den Straßen präsent zu sein. Dort patrouilliert nur noch die Nationalpolizei. In den Revieren jedoch wird Innendiensttätigkeit weiterhin von der Militsiya verrichtet, deren Ende praktisch besiegelt ist. Die Kooperation zwischen den beiden Wachkörpern ist folglich eher problembeladen. Die neuen Polizisten verrichten praktisch ausschließlich Patrouillentätigkeiit. Wenn sie jemanden festnehmen wird die weitere Ermittlungsarbeit - auch mangels Erfahrung der Nationalpolizisten - weiter von der Militsiya gemacht, bevor es zu einer Anklage kommen kann. Die Reform der Kriminalpolizei und weiterer Einheiten, mit ihren etwa 150.000 Beamten in der gesamten Ukraine, steht erst bevor und wird als der wahre Belastungstest für die Polizeireform gesehen. Mit dem Eintritt der ersten neuen Nationalpolizisten in den Kriminaldienst wird frühestens nach drei Jahren gerechnet. Bewerber für die Nationalpolizei müssen sich eingehender Fitness- und Persönlichkeitstest unterziehen. Angehörige der Militsiya können in den neuen Wachkörper wechseln, müssen aber die Vorgaben erfüllen und sich den Eignungstest unterziehen. Ende 2015 hatten sich 18.044 Milizionäre diesem Prozess gestellt und 62% davon haben die ersten zwei (von drei) Testrunden überstanden (General Skills Test, Professional Skills Test und kommissionelles Interview). An diesem Auswahlprozess sind Vertreter der Zivilgesellschaft beteiligt und die EU beobachtet diesen. Nationalpolizisten werden im Vergleich zur Militsiya sehr gut bezahlt, was Korruption vorbeugen soll. In den ersten zwei Monaten wurden 28 der neuen Beamten entlassen, zwei davon wegen Korruptionsvorwürfen. Trotz dem Mangel an Erfahrung der neuen Polizisten, der immer wieder kritisiert wurde, werden die ersten Monate in denen die neue Nationalpolizei Dienst tat, als Erfolg betrachtet. Im Vergleich zur Militsiya wurden die neuen Beamten öfter gerufen, reagierten aber trotzdem schneller. Die Zahl der Notrufe vervierfachte sich binnen kurzer Zeit, was als Beweis des Vertrauens der Bürger in die Polizei gewertet wird. 85% der Kiewer Bevölkerung halten die Polizei für glaubwürdig, aber nur 5% sagen dasselbe über die Militsiya. In anderen Großstädten sind die Werte ähnlich. Der Anstieg der Kriminalität (+20% in Kiew im Jahre 2015 gegenüber dem Jahr davor) wird von Kritikern in Zusammenhang mit der neuen Polizei gebracht. Jedoch werden auch der Konflikt im Osten des Landes, die allgemein schlechte ökonomische Lage, sowie die Anwesenheit zahlreicher Personen aus der Ostukraine, die aufgrund des Konflikts ihren Lebensmittelpunkt nach Kiew verlagert haben (IDPs und andere) als relevante Faktoren genannt. Auch angeführt wird, dass der Anstieg der Kriminalität eher damit zu tun haben könnte, dass in der Nationalpolizei die Statistiken nicht mehr frisiert und die neuen Polizisten aufgrund höheren Bürgervertrauens schlicht öfter zur Hilfe gerufen werden. Der Wandel der Polizei geht auch einher mit einem Wandel des Innenministeriums, das nach den Worten des Innenministers von einem "Milizministerium" zu einem zivilen Innenministerium europäischer Prägung wurde. Der Rücktritt von Vize-Innenministerin Ekaterina Zguladze-Glucksmann und von Polizeichefin Khatia Dekanoidze, zwei der zahlreichen georgischen Experten, die zur Durchsetzung von Reformen engagiert worden waren, im November 2016, gab bei einigen Beobachtern Anlass zur Sorge über die Zukunft der ukrainischen Polizeireform. Dekanoidze beklagte bei ihrem Abgang, dass, trotzdem es ihr gelungen sei die Grundlagen für einen Polizeikörper westlichen Zuschnitts zu legen, man ihr nicht genug Kompetenzen für eine noch radikalere Reform in die Hand gegeben hätte (BFA/OFPRA 5.2017).
Das sichtbarste Ergebnis der Polizeireform der Ukraine, die am 2. Juli 2015 beschlossen wurde, ist sicherlich die (Neu‑)Gründung der Nationalen Polizei, die im selben Monat noch in drei ausgewählten Regionen und insgesamt 32 Städten (darunter auch Kiew, Lemberg, Kharkiv, Kramatorsk, Slaviansk und Mariupol) ihre Tätigkeit aufnahm. Als von der Politik grundsätzlich unabhängiges Exekutivorgan, das anhand von europäischen Standards mit starker Unterstützung der internationalen Gemeinschaft aufgebaut wurde, stellt die neue Nationale Polizei jedenfalls einen wesentlichen Schritt vorwärts dar. Mit 7. November 2015 ersetzte die neue Nationale Polizei der Ukraine offiziell die bestehende und aufgrund von schweren Korruptionsproblemen in der Bevölkerung stark diskreditierte Militsiya. Alle Mitglieder der Militsiya hatten grundsätzlich die Möglichkeit, in die neue Struktur aufgenommen zu werden, mussten hierfür jedoch einen "Re-Attestierungs-Prozess" samt umfangreichen Schulungsmaßnahmen und Integritäts-Prüfungen durchlaufen. Mit 20 Oktober 2016 verkündete die damalige Leiterin der Nationalen Polizei den erfolgreichen Abschluss dieses Prozesses. Im Zuge dessen wurden 26% der Polizeikommandanten im ganzen Land entlassen, 4.400 Polizisten befördert und im Gegenzug 4.400 herabgestuft. Allgemein wird der vorläufig große Erfolg dieser Reform oft als Aushängeschild der allgemeinen Reformvorhaben gesehen. Nach dem Rücktritt der ehemaligen georgischen Innenministerin Khatia Dekanoidze wurde, im Zuge eines offenen und transparenten Verfahrens, Serhii Knyazev als neuer Leiter der Nationalen Polizei ausgewählt und am 8. Februar 2017 ernannt. Eine gewisse Verlangsamung der Reformen im Polizeibereich ist zu bemerken (ÖB 4.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf , Zugriff 6.6.2017
- BFA/OFPRA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Office français de protection des réfugiés et apatrides (5.2017): Fact Finding Mission Report Ukraine
- FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336975/479728_de.html , Zugriff 22.6.2017
- HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/334769/476523_de.html , Zugriff 6.6.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html , Zugriff 6.6.2017
5. Folter und unmenschliche Behandlung
Obwohl Folter laut Verfassung und Gesetzen verboten sind, gibt es Berichte, dass Sicherheitsbehörden solche Praktiken anwenden. Der ukrainischen Regierung gelingt es meist nicht Beamte strafzuverfolgen oder zu bestrafen, die Verfehlungen begangen haben, was zu einem Klima der Straflosigkeit beiträgt.
Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen bemängeln aber die Maßnahmen angebliche Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsbehörden zu ermitteln bzw. zu bestrafen, insbesondere angebliche Fälle von Folter, Verschwindenlassen, willkürlichen Inhaftierungen etc. durch den ukrainischen Geheimdienst (SBU), speziell wenn das Opfer verdächtig war/ist "pro-separatistisch" eingestellt zu sein. Menschenrechtsorganisationen berichten von Todesfällen in Gefängnissen, u.a. wegen Folter. Während der ersten neun Monate 2016 eröffnete die Generalstaatsanwaltschaft 35 Verfahren wegen Vorwürfen von Folter oder erniedrigender Behandlung unter Beteiligung von staatlichen Sicherheitsorganen. Gemäß ukrainischem Innenministerium wurden im selben Zeitraum 133 Ermittlungen bezüglich verschiedener Vergehen gegen Polizisten aufgenommen, davon fünf wegen Folter. 20 Beamte wurden disziplinarisch bestraft und zehn weitere entlassen.
Aus der Ostukraine wird berichtet, dass Regierungstruppen und regierungstreue Gruppen dort im Zuge von militärischen Operationen Menschenrechtsverletzungen begehen, auch Folter (USDOS 3.3.2017a).
Der "Parliament commissioner for Human Rights" (Ombudsmann) der Ukraine fungiert gleichzeitig als Nationaler Präventivmechanismus (NPM) des Optionalen Protokolls des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (ÖB 4.2017).
Im Februar 2016 wurde die neue Ermittlungsbehörde zur Untersuchung mutmaßlicher Straftaten von Ordnungskräften und Militär offiziell ins Leben gerufen. Der UN-Unterausschuss zur Verhütung von Folter brach seinen Besuch in der Ukraine am 25. Mai 2016 vorzeitig ab, nachdem der Inlandsgeheimdienst der Ukraine (Sluschba bespeky Ukrajiny - SBU) ihm den Zugang zu einigen seiner Einrichtungen in der Ostukraine verweigert hatte. Berichten zufolge werden dort Gefangene in geheimer Haft gehalten, gefoltert und anderweitig misshandelt. Der Unterausschuss setzte seinen Besuch schließlich im September 2016 fort und erstellte einen Bericht, dessen Veröffentlichung von den ukrainischen Behörden jedoch nicht genehmigt wurde (AI 22.2.2017).
Der Menschenrechtskommissar des Europarats besuchte die Ukraine im März 2016 und berichtet von Fällen von Misshandlung durch pro-ukrainische Freiwilligenbataillone und den SBU im Konfliktgebiet der Ostukraine. Im Falle des SBU geschahen diese Misshandlungen meist in Hafteinrichtungen in Kharkiv, Kramatorsk und am Flughafen Mariupol (CoE 11.7.2016).
Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe besuchte die Ukraine im November 2016 und berichtete, dass die Mehrheit der Personen, die kürzlich in Haft waren, darauf hinwies, dass die Polizei sie korrekt behandelt hat und es gab keine weiteren Berichte über Misshandlung durch SBU-Beamte oder durch Polizeibeamte in Polizeigefangenenhäusern. Die grundlegenden Rechte (auf einen Arzt, auf einen Anwalt, auf Information) werden vor allem von der Polizei nicht immer gewährt. Es gibt weiterhin Berichte über Gewaltanwendung durch Beamte bei Verhören, um Geständnisse zu erhalten. Obwohl seit 2013 die Schwere der Vorfälle abgenommen hat, ist die Zahl der Vorwürfe immer noch bedenklich. Die Situation in den Untersuchungsgefängnissen ist generell schlechter als in den Justizanstalten, sie sind immer noch stellenweise überbelegt und auch Gewalt unter den Häftlingen ist dort präsenter als in den Justizanstalten (CoE 19.6.2017).
Quellen:
- AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336532/479204_de.html , Zugriff 19.6.2017
- CoE - Europarat (11.7.2016): Report by Nils Muižnieks Commissioner for Human Rights of the Council of Europe Following his Visit to Ukraine from 21 to 25 March 2016, https://www.ecoi.net/file_upload/1226_1468486683_commdh-2016-27-en.pdf , Zugriff 20.6.2017
- CoE - Council of Europe (19.6.2017): Report to the Ukrainian Government on the visit to Ukraine carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 21 to 30 November 2016, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1498028007_2017-15-inf-eng-docx.pdf , Zugriff 26.6.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html , Zugriff 19.6.2017
6. Korruption
Korruption ist in der Ukraine endemisch. Dies findet sich nicht zuletzt im Corruption Perception Index von Transparency International reflektiert, der die Ukraine im Jahr 2016 auf Platz 131 von 176 untersuchten Ländern einstuft. Im Jahr 2007 rangierte die Ukraine im selben Ranking noch auf Platz 118 von 179 untersuchten Ländern. Vor allem seit dem Sturz des Janukowitsch-Regimes zeigt der Trend aber wieder in eine positive Richtung. Die endemische Korruption war einer, wenn nicht der Grund für den Sturz des alten Regimes und vereint weiterhin große Teile der Bevölkerung und vor allem auch der Zivilgesellschaft hinter einem gemeinsamen Ziel. Am 14. Mai 2013 verabschiedete das ukrainische Parlament ein neues Antikorruptionsgesetz, nicht zuletzt aufgrund einer im Aktionsplan zur Liberalisierung des Visaregimes für die Ukraine vorgesehen Vorgabe. Das Gesetz fordert u.a. verstärkte Berichtspflichten für (Neben‑)Einkünfte und Aufwendungen von öffentlich Bediensteten und von Bediensteten staatlicher Betriebe sowie ihrer Familien. Das Gesetz sieht außerdem den Schutz von Personen vor, die Korruption anzeigen. Als positiver Schritt wird die Verabschiedung eines neuen Gesetzes "Über öffentliche Auftragsvergaben" am 10. April 2014 gewertet. Insbesondere die neuen Publizitätskriterien sollen den Vergabeprozess transparenter und damit kontrollierbarer machen. Vor dem Hintergrund der am 26 .Oktober 2014 abgehaltenen vorzeitigen Parlamentswahlen wurde am 14. Oktober 2014 ein neues umfassendes Reformpaket zur Bekämpfung der Korruption vorgelegt, durch das neue Institutionen geschaffen bzw. neue Verfahren zur Korruptionsverhütung und -bekämpfung eingeführt wurden. So wurde die Schaffung des Nationalen Anti-Korruptions-Büros (NABU) beschlossen und am 16. April 2015 eröffnet. Hauptziel des NABU ist es, v.a. Korruption auf höchster (politischer) Ebene zu bekämpfen. Besetzt wurde das Büro infolge eines strikten und offenen Auswahlverfahrens. Die Ausstattung des Büros mit vollwertigen Ermittlungsbefugnissen ist jedoch weiterhin ausständig und innenpolitisch sehr umstritten. Ende 2015 wurde ebenfalls eine gesonderte Antikorruptionsstaatsanwaltschaft geschaffen, die alle Korruptions-Fälle von der Generalstaatsanwaltschaft übernehmen soll. Als drittes neues Element wurde auch die Nationale Behörde für die Korruptionsprävention (NAPC) ins Leben gerufen. Politisch oft heikle Korruptionsfälle sollen dadurch auf neue, unabhängige Strukturen ausgelagert werden. Vom Leiter des NABU, Artem Sytnyk, sowie zahlreichen im Bereich der Korruptionsbekämpfung tätigen NGOs, als auch von der EU und anderen internationalen Partnern, wird ebenfalls die Schaffung eigener Anti-Korruptionsgerichte gefordert, womit von Ermittlung über Anklage bis hin zum Urteil die Kette bei der Korruptionsbekämpfung durch neue, in der Theorie unabhängigere Institutionen geschlossen wäre. Die Schaffung eines solchen Antikorruptionsgerichtes ist grundsätzlich in der in Kraft getretenen Justizreform vorgesehen, die Vorstellung von Gesetzesentwürfen hierzu verläuft jedoch nur schleppend. Seitens des Präsidenten wird teils öffentlich an der Notwendigkeit zusätzlicher "Parallelstrukturen" gezweifelt. Es kommt auch immer wieder, zuletzt im Herbst 2016 sehr öffentlich, zu Auseinandersetzung zwischen den traditionellen und den neu-geschaffenen Institutionen im Bereich Korruptionsbekämpfung, vor allem auch deshalb, da trotz der Gründung der neuen Institutionen die alten weiterhin viele ihrer Kompetenzen behalten haben. Ein großer Erfolg war nach mehrfacher Verschiebung und mit anfänglichen technischen Schwierigkeiten die Einführung eines umfassenden, der gesamten Öffentlichkeit zugänglichen elektronischen Vermögenserklärungssystems. Mit Stichtag 31. Oktober 2016 mussten alle Politiker und hohen Beamten der Ukraine verpflichtend ihre Vermögenserklärung online abgeben. Es wurden über 100.000 elektronische Vermögenserklärungen registriert. Das System gilt als Schlüsselelement im Kampf gegen die Korruption im Lande und wurde in erster Linie auf massiven internationalen Druck hin eingeführt. Die Veröffentlichung des enormen Reichtums vieler Politiker - die Gesamtsumme der deklarierten Bargeldbestände der 413 Parlamentsabgeordneten beläuft sich auf über €430 Mio. - löste aber auch breite Empörung innerhalb der Bevölkerung aus. Weiterhin problematisch bleibt, dass die mit der Überprüfung der Erklärung beauftragten Behörden nicht in der Lage sind, die enorme Menge an Daten zu verarbeiten. Die bisher eingeleiteten Untersuchungen seitens des NAPC, die mittlerweile teilweise auch schon wieder eingestellt wurden, schienen weiters den Fokus auf regierungskritische Oppositionspolitiker zu legen, anstatt systematisch mit einer Überprüfung der Erklärungen zu beginnen. In den letzten Wochen äußerte vor allem der Premierminister der Ukraine öffentlich und starke Kritik an der Leitung des NAPC (ÖB 4.2017).
Trotz Anstrengungen der Regierung zu ihrer Bekämpfung, sind Korruption und die Straflosigkeit in diesem Zusammenhang weiterhin ein Problem auf allen Ebenen der Exekutive, Legislative und Judikative und in der Gesellschaft. Entsprechende Gesetze werden nicht effektiv umgesetzt. 2016 traten einige hohe Amtsträger zurück, die mit dem Auftrag eingesetzt worden waren, die Korruption zu bekämpfen. Es gibt zwei Antikorruptionsbehörden, die National Agency for Prevention of Corruption (NAPC) und das National Anticorruption Bureau of Ukraine (NABU). Das NAPC ist verantwortlich für die Entwicklung der nationalen Antikorruptionspolitik, Beobachtung der Einhaltung der Gesetzgebung und die Überprüfung der Einkommensdeklarationen hoher Beamter. Es ist seit Mai 2015 tätig. Im August 2016 wurde ein e-declaration-System geschaffen, bei dem Beamte ihre Vermögensverhältnisse offenlegen müssen. Bis November hatten 120.000 hohe Beamte davon Gebrauch gemacht. Die Ergebnisse sind öffentlich zugänglich. Verdachtsfälle werden zur Ermittlung an NABU weitergeleitet. Das NABU ist die Hauptermittlungsbehörde in Korruptionsfällen betreffend hohe Amtsträger (u.a. Präsident, Minister, Abgeordnete, Gouverneure, etc.). Es ist nur zuständig für Delikte, die nach seiner Gründung 2015 begangen wurden. 25.000 offene Altfälle liegen noch bei der Generalstaatsanwaltschaft. Unterstützt von der ebenfalls neu gegründeten Antikorruptionsstaatsanwaltschaft, wurden jedenfalls bis 1. Oktober 2016 243 Korruptionsverfahren eröffnet. 31 Fälle betreffend 70 Personen, darunter Richter, Staatsanwälte und Beamte, kamen zur Anklage. Viele der Vergehen waren aber eher geringfügig. Als hochrangiger Fall ist die Anklage des Parlamentsabgeordneten Oleksandr Onyshchenko zu nennen, dessen Immunität dafür eigens aufgehoben wurde. Onyshchenko ist aber weiterhin flüchtig. Zwischen Juli 2015 und Juli 2016 wurden in der Ukraine 952 Personen wegen Korruption verurteilt. Davon wurden 312 mit Bußgeldern belegt (70% der Bußgelder blieben unter UAH 20.000), 336 Personen erhielten Bewährungsstrafen und 137 Verurteilungen wurden wieder aufgehoben. 128 Personen wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt, wogegen in 95 Fällen noch Rechtsmittel anhängig sind. Nur drei dieser 952 Personen waren Beamte in nennenswerter Position. Generalstaatsanwaltschaft und Justiz stehen in der öffentlichen Kritik, weil so wenig hochrangige Korruptionsfälle verfolgt werden. Es gibt Berichte, dass die Generalstaatsanwaltschaft NABU absichtlich behindert. Im August 2016 gab es gar einen Zugriff von Organen der Generalstaatsanwaltschaft auf das NABU-Hauptquartier in Kiew wegen angeblicher illegaler Abhöraktionen des NABU gegen die Generalstaatsanwaltschaft. Später gab es in dem Zusammenhang noch eine widerrechtliche Festnahme von NABU-Beamten. Der Fall wurde später untersucht und drei Mitglieder des Büros des Generalstaatsanwalts suspendiert. Das Lustrationsgesetz von 2014 zur Entfernung von politisch belasteten Mitarbeitern aus dem ukrainischen Staatsdienst ist gemäß Justizministerium zu 99% umgesetzt. Etwa 70.000 Beamte und Amtsträger waren auf der Lustrationsliste. Die Überprüfungen führten zur Entlassung von etwa 1.000 Beamten. Laut parlamentarischem Antikorruptionskomitee wurden 80% der Amtsträger der Ära Janukowitsch von ihren Posten entfernt. Die rigorose Anwendung des Gesetzes wurde aber vermieden. Im SBU wurden etwa nur 50 Beamte der Lustration unterzogen, in der Justiz nur 40 Richter (acht von ihnen bekämpften das Ergebnis und wurden wieder eingesetzt) (USDOS 3.3.2017a).
Auch die Finanzierung der politischen Parteien, die Energietarife und das Management der öffentlichen Unternehmen wurden in Angriff genommen. Mit den Antikorruptionsmaßnahmen des Jahres 2016 wurde eine gute Basis gelegt, aber weitere Verbesserungen sind nur mit ausreichendem Willen der politischen Führung möglich (FH 29.3.2017).
Quellen:
- FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, http://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html , Zugriff 20.6.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html , Zugriff 19.6.2017
7. Ombudsmann
Der Parlamentarische Menschenrechtskommissar (Ombudsmann) der Ukraine, Valeriya Lutkovska, fungiert gleichzeitig als Nationaler Präventivmechanismus (NPM) des Optionalen Protokolls des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe. Der Ombudsmann arbeitet beim Monitoring von Haftbedingungen regelmäßig mit NGOs zusammen. Beobachter bewerten sie als effektive Förderin der Menschenrechte. Der Ombudsmann arbeitet als Partner mit führenden Menschenrechtsgruppen zusammen und engagiert sich für die Rechte von Krimtataren, IDPs, Romas, Behinderten, LGBTI-Personen und Häftlingen. Der Ombudsmann kann Untersuchungen von Verfehlungen der Sicherheitsbehörden initiieren (USDOS 3.3.2017a; vgl. ÖB 4.2017).
Quellen:
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html , Zugriff 20.6.2017
8. Wehrdienst und Rekrutierungen
Am 1.5.2014 wurde die zuvor beschlossene Aussetzung der Wehrpflicht widerrufen (AA 7.2.2017).
Die Wehrpflichtigen in der Ukraine werden folgendermaßen unterteilt:
* Stellungspflichtige (Pre-conscripts)
* Wehrpflichtige (Conscripts)
* aktive Soldaten
* zum Wehrdienst verpflichtete Personen (persons liable for military service) - sie haben bereits den Grundwehrdienst geleitet und können nötigenfalls wieder temporär mobilisiert werden
* Reservisten - zum Wehrdienst verpflichtete Personen, die freiwillig regelmäßige Waffenübungen absolvieren.
(BFA/OFPRA 5.2017)
Die Pflicht zur Ableistung des Grundwehrdienstes besteht für physisch taugliche Männer im Alter zwischen 18 und 27 Jahren. Der Grundwehrdienst dauert grundsätzlich eineinhalb Jahre, jedoch für Akademiker nur 12 Monate. Binnenvertriebene (IDPs) sind ebenso wehrpflichtig, sie stellen für das Verteidigungsministerium aber keine Priorität dar, nicht zuletzt wegen etwaiger Sicherheitsbedenken (Gegenspionage). Das System der Wehrpflicht in der Ukraine funktioniert und ist gerecht, aber nur eine kleine Zahl der Wehrpflichtigen wird auf einmal einberufen (16.000 bis 20.000), denn viele Wehrpflichtige sind aus verschiedenen Gründen untauglich (gesundheitliche oder familiäre Gründe, Verurteilungen, usw.). Der Wehrdienst kann aus bestimmten familiären, beruflichen oder Gründen der Bildung verschoben werden (BFA/OFPRA 5.2017). Merkmale wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung spielen bei der Mobilisierung/Einberufung keine Rolle. Klagen von Vertretern der ungarischen und rumänischen Minderheit, diese Gruppen würden überproportional zum Wehrdienst herangezogen, sind mittlerweile entkräftet und werden nicht mehr wiederholt (AA 7.2.2017).
Wehrpflichtige wurden bis Mitte November 2016 ausschließlich auf freiwilliger Basis und nach der sechsmonatigen Grundausbildung im ATO-Gebiet (Teil der Ostukraine, in denen es zu Kämpfen mit den Separatisten kommt) eingesetzt; seither geschieht dies nicht mehr (AA 7.2.2017). Wehrpflichtige dienen hauptsächlich in der Einsatzunterstützung in rückwärtigen Diensten oder Depots, die aber auch innerhalb der ATO-Zone liegen können. Ihr Kampfeinsatz in der ATO-Zone wäre jedoch gesetzeswidrig. Viele Wehrpflichtige dienen in Marine und Luftwaffe, nur wenige hingegen in Nationalgarde (bewacht z. B. öffentliche Gebäude) und Armee (BFA/OFPRA 5.2017).
An den Wehrpflichtigen ergeht ein Einberufungsbescheid des regional zuständigen Militärkommissariats postalisch oder durch persönliche Zustellung (BFA/OFPRA 5.2017).
Im Dezember 2014 wurde vom ukrainischen Verteidigungsministerium verlautbart, dass die Streitkräfte von 130.000 auf einen Personalstand von 250.000 aufgestockt werden sollen. Um dies zu erreichen wurde der Sold für Zeitsoldaten attraktiviert. Ende 2014 lag er bei UAH 3.453 und wurde 2016 nochmals auf UAH 7.000 angehoben (BFA/OFPRA 5.2017). Zum Vergleich: der ukrainische Durchschnittslohn lag im Jänner 2017 bei 6.008 Hrywnja (ca. 206 €) (ÖB 4.2017). Diese Verträge sind derart beliebt (2016 bis September 53.000 Verpflichtungen), dass 2014-2016 40-60% der ukrainischen Soldaten Zeitsoldaten waren, 50% Mobilisierte und 10% Grundwehrdiener. Wehrdiener werden, ebenso wie kampferfahrene Mobilisierte ermutigt, sich als Zeitsoldaten weiter zu verpflichten. 2015 waren 4,4% derer, die Zeitverträge abschlossen Grundwehrdiener, 24,2% waren Mobilisierte und 71,4% waren Zivilisten. Gemäß Gesetz können sich Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren und Frauen zwischen 20 und 50 Jahren verpflichten (BFA/OFPRA 5.2017).
Es gibt Berichte über Schikane im Militär. Es gab 2016 deswegen einen Selbstmord, der von der Polizei mittlerweile als Tötungsdelikt verfolgt wird (USDOS 3.3.2017a).
Frauen mit militärisch nutzbaren Spezialkenntnissen und körperlicher Eignung (und geeigneter familiärer Situation) gelten ebenso als zum Wehrdienst verpflichtete Personen. Im Kriegsfalle, können sie einberufen werden. In Friedenszeiten können sie freiwillig aktiven oder Reservedienst leisten (BFA/OFPRA 5.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf , Zugriff 13.6.2017
- BFA/OFPRA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Office français de protection des réfugiés et apatrides (5.2017): Fact Finding Mission Report Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html , Zugriff 13.6.2017
8.1. Wehrersatzdienst
Das Gesetz über den Ersatzdienst vom 12.12.1991 (Nr. 1975-XII) regelt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung und die Möglichkeit, den Ersatzdienst unter Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abzuleisten. Die Wehrpflichtigen durchlaufen bei der Stellung sämtliche Untersuchungen im jeweils zuständigen Militärkommissariat. Spätestens zwei Monate vor dem Einberufungstermin muss der Wehrpflichtige bei der für den jeweiligen Wohnort zuständigen Behörde einen begründeten Antrag auf Wehrersatzdienst einreichen. Als Grund ist nur die religiöse Überzeugung bei entsprechender Zugehörigkeit zu einer anerkannten Religionsgemeinschaft zulässig (AA 7.2.2017), und zwar
1. Adventists-Reformists
2. Seventh Day Adventists
3. Evangelical Christians
4. Evangelical Christians-Baptists
5. "The Penitents" - the Slavic Church of the Holy Ghost
6. Jehovah's Witnesses
7. Charismatic Christian Churches (and churches assimilated to them according to registered statutes)
8. Union of Christians of the Evangelical Faith - Pentecostals (and churches
assimilated to them according to registered statutes)
9. Christians of Evangelical Faith;
10. Society for Krishna Consciousness
(BFA/OFPRA 5.2017)
Im Kriegsfalle oder Ausnahmezustand kann das Recht auf den Ersatzdienst gesetzlich für bestimmte Zeit eingeschränkt werden. Der Ersatzdienst dauert 27 Monate, für Hochschulabsolventen 18 Monate. Er wird in staatlichen Sozial-, Gesundheits- und Kommunaleinrichtungen oder beim Roten Kreuz abgeleistet. Der Ersatzdienst hat in der Ukraine kaum Tradition und ist in der Gesellschaft noch wenig verankert. Über die Zahl der Ersatzdienstleister macht das ukrainische Verteidigungsministerium keine offiziellen Angaben. NGO-Vertreter gehen von bislang 7.500 Anträgen aus (AA 7.2.2017).
Es gibt Berichte, dass der Wehrersatzdienst auch in der Praxis zugänglich ist, wenn die nötigen Dokumente vorgelegt werden. Es gibt aber auch Berichte, dass Bestechungsgelder verlangt worden wären, um diesen Zugang zu erhalten. Rechtlich ist es auch möglich, wenn auch mit engen Zeitfenstern, dass nach der Einberufung konvertierte Wehrpflichtige noch in den Genuss des Ersatzdienstes kommen können (BFA/OFPRA 5.2017).
Kleriker sind nicht grundsätzlich von der Wehrpflicht ausgenommen. Seit Anfang 2016 ist der militärseelsorgerische Dienst neue geregelt und genaue Auswahlkriterien, Rechte und Pflichten und die rechtliche Stellung der Militärkapläne festgelegt (USDOS 10.8.2016).
Das Recht auf religiöse Verweigerungsgründe im Mobilisierungsfalle ist aber nicht eindeutig geregelt. Trotzdem verständigte man sich darauf, die Friedensbestimmungen sinngemäß anzuwenden und informierte die Militärkommissariate entsprechend. Aber es gab dennoch Fälle, in denen dieses Recht verletzt wurde. Gerichtsurteile in solchen Fällen sind uneinheitlich - es gab zumindest einen Freispruch, aber auch mehrere Verurteilungen wegen Nichtbefolgung der Mobilisierung trotz Vorliegens religiöser Verweigerungsgründe. Es ist jedoch nicht ersichtlich, ob in diesen Fällen eine Bestätigung einer der in der Verfassung festgelegten Religionsgemeinschaft vorlag (BFA/OFPRA 5.2017; vgl. IRF 22.6.2016).
Es gab Beschwerden von Religionsgemeinschaften an den Präsidenten und den Premier, dass die Armee versucht Verweigerer aus Gewissengründen trotzdem einzuziehen. Letzteres wird auf Gesetzeslücken zurückgeführt, die im Falle der Mobilisierung keinen Ersatzdienst vorsehen. Die Regierung wurde gebeten das zu reparieren. Im Juni 2016 bestätigte der High Specialized Court of Ukraine das Urteil eines Bezirksgerichts von 2014, dass Verweigerer aus Gewissensgründen auch im Falle der Mobilisierung das Recht auf einen Ersatzdienst haben. Es gab keine weiteren Strafverfolgungen bezüglich des Ersatzdienstes. Im September 2016 wurde vom selben Gerichtshof ein Urteil aufgehoben, mit dem ein Verweigerer aus Gewissensgründen wegen Flucht vor der Mobilisierung zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Im Juni 2016 unterstütze der Kharkiv District Administrative Court die Beschwerde eines Verweigerers aus Gewissensgründen, der zum Wehrdienst einberufen werden sollte. (USDOS 10.8.2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf , Zugriff 13.6.2017
- BFA/OFPRA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Office français de protection des réfugiés et apatrides (5.2017): Fact Finding Mission Report Ukraine
- IRF - Institute for Religious Freedom (22.6.2016), Freedom of thought, conscience and religion in Ukraine - Human Rights Report 2015,
http://www.irf.in.ua/eng/index.php?option=com_content&view=article&id=444:1&catid=36:com&Itemid=55 , Zugriff 16.6.2017
- USDOS - US Department of State (10.8.2016): 2015 Report on International Religious Freedom - Ukraine, http://www.ecoi.net/local_link/328420/455696_en.html , Zugriff 23.6.2017
8.2. Mobilisierung
Gemäß Gesetz können zum Wehrdienst verpflichtete Männer (also solche, die den Grundwehrdienst bereits abgeleistet haben) im Alter von 18 bis 60 Jahren und zum Wehrdienst verpflichtete Frauen zwischen 20 und 50 Jahren dienen. Umfang und Ausgestaltung einer (Teil‑)Mobilisierung sind vom Staatspräsidenten festzulegen. Sie gelten für das gesamte Staatsgebiet mit Ausnahme der Krim. Grundsätzlich gibt es vier Stufen, abhängig von der Eskalation des Konflikts. In der ersten Stufe werden Freiwillige, Reserveoffiziere und -unteroffiziere aus besonders benötigten militärischen Bereichen einberufen. In der zweiten Stufe werden Reserveoffiziere und -unteroffiziere aller militärischen Bereiche einberufe. In der dritten Stufe werden auch Ungediente und Frauen (Ärztinnen, Krankenschwestern, Technikerinnen) einberufen. In der vierten und letzten Stufe muss alles diesen, was eine Waffe halten kann. Am 21. August 2014 beschränkte der Präsident die Mobilisierung auf Reservisten mit Spezialkenntnissen (Fallschirmjäger, Granatwerfertruppen, Artilleristen, Logistiker und andere Spezialisten (Ärzte, Elektriker, Mechaniker, Fahrer), sowie Personen mit Kampferfahrung. Für eine Mobilisierung infrage kamen nur Personen im Alter von 25 bis 46 Jahren. 8% der Mobilisierten waren Frauen, meist Medizinerinnen oder Funkerinnen (BFA/OFPRA 5.2017).
Am 1.Mai.2014 wurde die zuvor beschlossene Aussetzung der Wehrpflicht widerrufen. Danach erfolgten insgesamt sechs Mobilisierungswellen (Teilmobilisierungen), die hauptsächlich Reservisten betrafen. Aber auch Grundwehrdienstleistende wurden zur sechsmonatigen Grundausbildung einberufen. Richter, Vollzeitstudenten, Post-Graduate-Studenten, Priester, Väter mit drei und mehr minderjährigen Kindern, Parlamentsabgeordnete und Straftäter sind von der Mobilisierung ausgenommen. Ende Oktober 2016 wurde die 6. Mobilisierungswelle abgeschlossen. Weitere Mobilisierungswellen sind bislang nicht vorgesehen. Wehrpflichtige wurden bis Mitte November 2016 ausschließlich auf freiwilliger Basis und nach der sechsmonatigen Grundausbildung im ATO-Gebiet (Teil der Ostukraine, in denen es zu Kämpfen mit den Separatisten kommt) eingesetzt; seither geschieht dies nicht mehr (AA 7.2.2017).
Hintergrund für die Mobilisierungswellen war die Notwendigkeit zusätzliches qualifiziertes Personal in die Armee zu holen und eine Rotation der Truppen zu ermöglichen. Von den sechs Mobilisierungswellen in der Ukraine zwischen 2014 und 2016, war die
4. mit ca. 150.000 Einberufenen die umfangreichste. Aber nach den medizinischen Tests wurde nur knapp die Hälfte tatsächlich mobilisiert. Mobilisierte wurden frühestens nach einem dreimonatigen Training in die ATO-Zone geschickt. Es gibt aber auch Berichte, dass die Dinge in der Praxis etwas anders gehandhabt wurden, etwa telefonische Einberufungen, nichterfolgte medizinische Untersuchungen was dazu führte, dass Kranke (Tuberkulose, Epilepsie) einberufen wurden. Einige sollen auch ohne die dreimonatige Vorbereitung in die ATO-Zone verlegt worden sein. Es gibt aber auch Berichte über bewusste Falschinformationen, die von Russland im Internet lanciert werden, um den Mobilisierungsprozess zu stören. Hatte es 2014 noch Beschwerden über die schlechte Ausrüstung gegeben, wurde dieses Problem 2015 gelöst. (BFA/OFPRA 5.2017).
Wehrpflichtige dienen hauptsächlich in der Einsatzunterstützung in rückwärtigen Diensten oder Depots, die aber auch innerhalb der ATO-Zone liegen können. Ihr Kampfeinsatz in der ATO-Zone wäre jedoch gesetzeswidrig. Viele Wehrpflichtige dienen in Marine und Luftwaffe, nur wenige hingegen in Nationalgarde (bewacht z.B. öffentliche Gebäude) und Armee (BFA/OFPRA 5.2017).
Merkmale wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung spielen bei der Mobilisierung/Einberufung keine Rolle (AA 7.2.2017). Binnenvertriebene (IDPs) sind nicht ausgenommen, sie stellen für das Verteidigungsministerium aber keine Priorität dar, nicht zuletzt wegen etwaiger Sicherheitsbedenken (Gegenspionage) (BFA/OFPRA 5.2017).
Wehrpflichtige haben einen Wohnortwechsel binnen einer Woche zu melden. Im Fall einer Vollmobilisierung, wäre ein Wohnortwechsel durch die Wehrüberwachungsbehörde vorab zu genehmigen. Bei den bisherigen Mobilisierungswellen war die Vorgehensweise folgendermaßen: An den Wehrpflichtigen ergeht per Post ein Einberufungsbescheid des regional zuständigen Militärkommissariats. Bei Unzustellbarkeit wird der Bescheid persönlich zugestellt oder hinterlegt (etwa bei einem Concierge) (BFA/OFPRA 5.2017). Es gibt auch Berichte, dass die Einberufung an die Arbeitsstätte gesandt oder der Betreffende direkt an der Arbeitsstätte abgeholt wurde (AA 7.2.2017).
...
Foto einer sogenannten draft notice (Mobilisierungsbefehl) aus einem online zugänglichen Zeitungsartikel (KP 27.8.2016).
Der Betreffende muss zu einer Gesundheitsüberprüfung erscheinen und wird je nach Ergebnis für tauglich, teiltauglich oder untauglich befunden. Wer gesundheitlich untauglich ist, kann nach 6 Monaten zu einer erneuten Untersuchung geladen werden. Es ist ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Tauglichkeitskommission möglich. Nicht mobilisiert werden u.a. bestimmte Funktionsträger, Väter mit fünf oder mehr Kindern unter 16 Jahren und Personen, die sich um Pflegefälle kümmern, Studenten, Lehrer usw. Im Falle einer allgemeinen Mobilisierung ist auch kein Ersatzdienst mehr möglich. Die Bezahlung ist geregelt. Wird ein Mobilisierter verwundet, ist eine Kompensation vorgesehen, die sich am Grad der Behinderung orientiert. Wir ein Soldat getötet, erhält die Familie eine Einmalzahlung von UAH 609.000. Die soziale Absicherung der Soldaten und ihrer Familien wurde legislativ abgesichert, wenn auch der ukrainische Sozialminister Mitte 2016 verlautbarte kaum mehr Mittel für die Kompensationszahlungen für die Einkommen der Mobilisierten zu haben (BFA/OFPRA 5.2017).
Durch die Attraktivierung des Dienstes als Zeitsoldat verpflichteten sich derart viele Personen, dass nach der 6. Mobilisierungswelle auf eine (bereits angekündigte) 7. Welle verzichtet werden konnte. Im November 2016 versicherte Präsident Poroschenko, dass es nach Abschluss der Demobilisierung der 6. Welle keine Mobilisierten mehr an der Front der ATO-Zone geben würde. Die Demobilisierten werden in die Reserve übernommen, wobei diejenigen mit einer guten Akte im Notfall auch als erste wieder mobilisiert würden (BFA/OFPRA 5.2017).
Im Juli 2016 verabschiedete das ukrainische Parlament ein umstrittenes Amnestiegesetz, das die in der ATO-Zone in der Ostukraine eingesetzten Kämpfer für minderschwere Verbrechen der Strafverfolgung ausnehmen würde. Präsident Poroschenko legte aber sein Veto gegen das Gesetz ein. Im Juli verhafteten die Behörden den Chef des Freiwilligenbataillons Aidar wegen Entführungen, Raub und anderen Gewaltverbrechen gegen Zivilisten. Bei der Anklage blockierten Bataillonsangehörige das Gerichtsgebäude und mehrere Parlamentsabgeordnete forderten seine Freilassung. Das Gericht setzte ihn schließlich zur weiteren Untersuchung auf freien Fuß (FH 1.2017; vgl. HRW 12.1.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf , Zugriff 13.6.2017
- BFA/OFPRA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Office français de protection des réfugiés et apatrides (5.2017): Fact Finding Mission Report Ukraine
- FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336975/479728_de.html , Zugriff 22.6.2017
- HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/334769/476523_de.html , Zugriff 6.6.2017
- KP - Kyiv Post (27.8.2016): Draft Dodgers, http://www.kyivpost.com/content/ukraine/draft-dodgers-396690.html , Zugriff 14.7.2017
8.3. Wehrdienstverweigerung / Desertion
Die Entziehung vom Wehrdienst wird nach Art. 335 des ukrainischen Strafgesetzbuches mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. Eine Mobilisierungsentziehung kann gemäß Art. 336 des ukrainischen Strafgesetzbuches mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden. Für Entziehung von der Wehrerfassung sieht Art. 337 eine Geldstrafe bis zu 50 Mindestmonatslöhnen oder Besserungsarbeit bis zu zwei Jahren oder Freiheitsentziehung bis zu sechs Monaten vor. Für Entziehung von einer Wehrübung ist Geldstrafe bis zu 70 Mindestmonatslöhnen oder Freiheitsentziehung bis zu sechs Monaten vorgesehen (AA 7.2.2017).
Desertion ist gemäß Art. 408 des ukrainischen Strafgesetzbuches mit Freiheitsstrafe von zwei bis fünf Jahren strafbar. Wenn sie organisiert in einer Gruppe oder mit Waffe erfolgt, liegt das Strafmaß bei fünf bis zehn Jahren. Wenn die Desertion unter der Geltung von Kriegsrecht oder im Gefecht erfolgt, liegt das Strafmaß bei fünf bis zwölf Jahren. Es gibt eigene Strafen für Soldaten im Falle von Selbstverstümmelung oder anderen Formen sich dem Dienst zu entziehen, die in Art. 409 beschrieben sind. Gemäß Art. 210 des Code of Ukraine ist Vermeidung der Mobilisierung durch Reservisten eine Straftat (BFA/OFPRA 5.2017).
Aufgrund des Problems der Wehrdienstverweigerung regeln seit Jänner 2015 Gesetzesänderungen die Auslandreisen von Personen, die unter die Teilmobilisierungen fallen. Ukrainische Bürger im wehrfähigen Alter müssen demnach ein Dokument eines Militärkommissariats vorweisen, wenn sie ins Ausland reisen wollen (GS 9.2.2017). Demgegenüber besagt der aktuelle Bericht des Auswärtigen Amts, dass derzeit keine Erkenntnisse vorliegen, dass bei männlichen Reisenden an der Grenze der Status ihrer Wehrpflicht überprüft wird (AA 7.2.2017).
Die Mobilisierungswellen waren in der Ukraine nicht sehr beliebt und die Ukrainer unternahmen einiges, um die Mobilisierung zu vermeiden. Viele Personen hatten legale Verweigerungsgründe, aber selbst wenn man diese nicht hatte, war/ist die Verweigerung auch innerhalb der Ukraine recht einfach. Das Ausmaß des Problems ist umstritten. Generell nennen offizielle Stellen eher geringere Zahlen, als andere Quellen. Im März und April 2014 wurde inoffiziellen Zahlen zufolge die Einberufung von 70 bis 95% der Reservisten in Kiew ignoriert. Hunderte ukrainische Männer sollen vor der Wehrpflicht ins Ausland geflohen sein. Es gibt sogar Berichte über Ukrainer die auf der Flucht vor der Mobilisierung in Sri Lanka gestrandet sind. Offiziellen Zahlen zufolge sind 2014 85.792 im Rahmen der Teilmobilisierung Einberufene, nicht erschienen und 9.969 haben erwiesenermaßen den Dienst verweigert. 2015 waren rund 40.000 Mobilisierungsbefehle nötig, um 1.000 Personen tatsächlich einzuziehen. Viele Verweigerer verstecken sich aktiv unter einer anderen als ihrer offiziellen Meldeadresse, während es Fälle geben mag, in denen die Betreffenden ohne Meldung unter einer anderen Adresse leben, verreist sind, etc. Um die Einberufung zu verweigern gibt es de facto viele Wege, zur Not Bestechung, welche in den Militärkommissariaten ein massives Problem darstellt. Es soll sogar Unternehmen möglich gewesen sein Mitarbeiter vom Dienst freizukaufen. Es gibt aber auch Berichte über Rigorose Kontrollen an Straßen, Grenzübergängen und Arbeitsplätzen bei der Suche nach Wehrdienstverweigerern (BFA/OFPRA 5.2017).
Es gibt Berichte über einen korrupten Handel mit medizinischen Untauglichkeitsbescheinigungen in dessen Zusammenhang es zur Verhaftung eines Militärbeamten kam (Reuters 3.2.2015).
Darüber hinaus haben 2014 bis zu 30% der Soldaten ihre Posten verlassen, was auf mangelnde Vorbereitung/Ausbildung oder mangelnde geistige Stabilität zurückgeführt wurde. Gegen diese Probleme wurde aber etwas unternommen und später sank die Rate der Soldaten, die den Dienst in der ATO-Zone verweigerten, auf unter 1%. Die ukrainische Armee wird heute als besser geführt und disziplinierter wahrgenommen, als früher. Die Furcht vor der Mobilisierung hat auch dazu geführt, dass sich viele männliche Binnenflüchtlinge nicht aktiv als IDPs registrierten (BFA/OFPRA 5.2017).
8.490 Soldaten wurden 2014 Wehrvermeidung strafverfolgt, 2.287 gemäß Art. 407 des Strafgesetzbuches (unerlaubte Abwesenheit), 4.880 wegen Desertion, (Art. 408) und 1.323 wegen Art. 409 (Selbstverstümmelung etc.). 2015 wurden bis Mitte April 7.560 Ermittlungen gegen Soldaten begonnen, davon 1.964 wegen Art. 407, 948 wegen Art. 408 und 107 wegen Art. 409. 2015 wurde ein 40 Jahre alter Mann aus der Ostukraine wegen Nichtbefolgung zweier Mobilisierungsbefehle gemäß Art. 336 zu 3 Jahren Haft verurteilt. 2016 gab es weitere Ermittlungen wegen Wehrdienstverweigerung. Die Gerichte bewerten jeden Fall gesondert, um die individuelle Schwere der Schuld zu bewerten. Wenn der Betreffende mit den Behörden zusammenarbeitet, sind die Gerichte geneigt Strafen zu verhängen, die den Betreffenden nicht von der Gesellschaft isolieren (BFA/OFPRA 5.2017).
Der 6. Mobilisierungswelle haben sich insgesamt 26.800 Personen entzogen, etwa 1.500 davon wurden strafverfolgt. Die Korruption im Militärapparat wird von Verweigerern immer wieder als Schlupfloch genützt. Menschenrechtsanwälte bezweifeln aufgrund der nie erfolgten Ausrufung des Kriegsrechtes generell die Legalität der Mobilisierungen. In Kiew liefen im August 2015 47 Verfahren gegen Wehrdienstverweigerer und ca. 400 Personen verbüßten deshalb Haftstrafen (KP 27.8.2015).
2015 hat die Regierung die Strafverfolgung bezüglich Wehrdienstverweigerung verstärkt, wobei sich das Strafmaß oft auf Bewährungsstrafen beschränkte (UNHCR 9.2015; VB 10.12.2015). Viel größer war aber das Problem der ukrainischen Behörden, die Verweigerer bzw. Deserteure aufzufinden. Es war für sie leicht, sich der Strafverfolgung zu entziehen. Die Polizei verabsäumte es schlichtweg, Deserteure zu Hause aufzuspüren und festzunehmen (die Ukraine verfügt über keine Militärpolizei, Anm.). Bei den Personen, die sich der Einberufung entziehen, ist es meist so, dass diese nach unbekannt verzogen sind oder das Land überhaupt verlassen haben. Auch medizinische Untauglichkeit war ein zunehmendes Problem (IBT 5.10.2015). Da die Einberufungen an den Ort der aufrechten Meldung gesendet werden, genügt es bereits, sich nicht zu melden und/oder schwarz zu arbeiten, um sich der Zustellung zu entziehen. Aber auch die Korruption ist ein Problem. Zum Teil fordern korrupte Militärbeamte Bestechungsgelder aktiv ein (WP 25.4.2015).
Grundsätzlich ist es möglich, dass Ukrainer bei Rückkehr aus dem Ausland strafverfolgt werden, weil sie sich der Mobilisierung entzogen haben, da diese Personen in ein Einheitliches Staatsregister der Personen, die sich der Mobilisierung entziehen, eingetragen wurden. Zugriff auf dieses Register haben der Generalstab der Streitkräfte der Ukraine und auch das Innenministerium. In der Praxis gibt es trotz zahlreicher Fahndungen jedoch nur wenige Anklagen und kaum Verurteilungen (VB 21.3.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf , Zugriff 13.6.2017
- GS - Global Security (9.2.2017): Military Personnel, http://www.globalsecurity.org/military/world/ukraine/personnel.htm , Zugriff 19.6.2017
- IBT - International Business Times (5.10.2015): Ukraine War Deserters: 16,000 Troops Abandoned Military Since Conflict Began, Kiev Official Says,
http://www.ibtimes.com/ukraine-war-deserters-16000-troops-abandoned-military-conflict-began-kiev-official-2127502 , Zugriff 19.6.2017
- KP - Kyiv Post (27.8.2016): Draft Dodgers, http://www.kyivpost.com/content/ukraine/draft-dodgers-396690.html , Zugriff 8.1.2016
- Reuters (3.2.2015): Bravado, resentment and fear as Ukraine calls men to war,
http://www.reuters.com/article/us-ukraine-crisis-army-idUSKBN0L71PW20150203 , Zugriff 8.1.2016
- UNHCR - Office of the United Nations High Commissioner for Refugees (9.2015): International Protection Considerations related to developments in Ukraine - Update III, http://www.refworld.org/docid/56017e034.html , Zugriff 19.6.2017
- VB des BM.I in Kiew (10.12.2015): Bericht des VB, per E-Mail
- VB des BM.I in Kiew (21.3.2017): Bericht des VB, per E-Mail
- WP - Washington Post (25.4.2015): Ukraine's military mobilization undermined by draft dodgers,
https://www.washingtonpost.com/world/europe/ukraines-military-mobilization-undermined-by-draft-dodgers/2015/04/25/fc3a5818-d236-11e4-8b1e-274d670aa9c9_story.html , Zugriff 19.6.2017
9. Allgemeine Menschenrechtslage
Der Grundrechtskatalog der Verfassung enthält neben den üblichen Abwehrrechten eine große Zahl von Zielbestimmungen (z. B. Wohnung, Arbeit, Erholung, Bildung). Die Ukraine ist Vertragsstaat der meisten Menschenrechtskonventionen. Extralegale Tötungen sind nach den Ereignissen auf dem Euromaidan zwischen November 2013 und Februar 2014 außerhalb der Konfliktgebiete im Osten des Landes nicht mehr bekannt geworden (AA 7.2.2017).
Die signifikantesten Menschenrechtsprobleme der Ukraine sind, neben konfliktbezogenen Missbrauchshandlungen in der Ostukraine, Korruption und damit verbundene Straflosigkeit, mangelnde Unterstützung von IDPs, Haftbedingungen, Diskriminierung und Missbrauchshandlungen durch Beamte des Staates und damit verbundene Straflosigkeit. Eine Reihe nationaler und internationaler Menschenrechtsgruppen arbeiten in der Regel ohne Beschränkungen durch die Regierung, untersuchen Menschenrechtsfälle und publizieren ihre Ergebnisse. Die Regierung ist kooperativ und lädt Menschenrechtsgruppen aktiv zu überwachenden Tätigkeiten, Mitarbeit bei Gesetzesentwürfen etc. ein. Nationale und internationale Menschenrechtsgruppen arbeiteten 2015 mit der Regierung beim Entwurf der Nationalen Menschenrechtsstrategie und dem diesbezüglichen Aktionsplan zusammen. Der Ombudsmann kritisierte aber die langsame Umsetzung der Strategie und den Widerstand bestimmter Ministerien dagegen, besonders wenn die Rechte von IDPs betroffen sind. Das wird auch von anderen Beobachtern bestätigt (USDOS 3.3.2017a).
Die Zivilgesellschaft ist weiterhin das stärkste Element in der ukrainischen demokratischen Transition. Sie spielt eine wichtige Rolle indem sie Reformen vorantreibt, durch die Phase der Gesetzwerdung begleitet, der Bevölkerung kommuniziert und ihre Umsetzung in der Praxis beobachtet. So geschehen im Falle der Antikorruptionsmaßnahmen oder durch Teilnahme an Kommissionen zur Auswahl neuer Beamter im Zuge der Reform des öffentlichen Dienstes usw. (FH 29.3.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf , Zugriff 31.5.2017
- FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html , Zugriff 20.6.2017
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html , Zugriff 20.6.2017
10. Meinungs- und Pressefreiheit
War die Medienlandschaft während der Präsidentschaft von Janukowitsch durch eine merkliche Ausdünnung im Angebot unabhängiger und kritischer Fernsehsender und Zeitungen gekennzeichnet, die nicht zuletzt auf eine fortschreitende Konzentrierung der Eigentumsverhältnisse in den Händen weniger regierungsnaher Vertreter zurückzuführen war, haben die seit Februar 2014 stattgefundenen Umwälzungen spürbare Fortschritte in Richtung einer pluralistischeren und von behördlichen Zwangsmaßnahmen freien Berichterstattung in Radio und Fernsehen geführt. An der strukturellen Abhängigkeit der populären Medien von einigen wenigen, finanzkräftigen Magnaten konnte die neue politische Lage bislang jedoch nichts zu ändern. Laut dem World Press Freedom Index 2016 liegt die Ukraine weltweit auf Rang 107 in Sachen Medienfreiheit - eine signifikante Verbesserung um insgesamt 22 Plätze seit 2015. Zahlreiche Gesetze, etwa das Gesetz über transparente Eigentumsverhältnisse von Medien und die Umwandlung des staatlichen Rundfunks in einen tatsächlichen öffentlichen Rundfunk wurden seit dem Euromaidan erlassen, deren Umsetzung geht jedoch nur langsam voran (ÖB 4.2017).
Meinungs- und Pressefreiheit unterliegen keinen staatlichen Restriktionen, leiden jedoch unter der wirtschaftlichen Schwäche des unabhängigen Mediensektors und dem Übergewicht von Medien, die Oligarchen gehören oder von ihnen finanziert werden (AA 7.2.2017).
Verfassung und Gesetze garantieren Rede- und Pressefreiheit. Die Regierung respektiert diese Rechte jedoch nicht immer. Die Regierung setzt gelegentlich Maßnahmen zur Zensur von Informationen, die als Bedrohung für die nationale Sicherheit, Souveränität oder Integrität wahrgenommen werden. Weiter Probleme waren Selbstzensur, gekaufte Berichterstattung und enge Verbindungen zwischen Medienbesitzern und politischen Parteien. In der Ukraine (außerhalb der Krim und den separatistischen Gebieten der Ostukraine) ist freie Meinungsäußerung und Kritik an der Regierung mit wenigen Ausnahmen möglich. Kommunistische und nationalsozialistische Symbole sind verboten, es gab aber diesbezüglich keine Fälle von Strafverfolgung. Äußerungen gegen die nationale Sicherheit, Souveränität oder Integrität, sowie zur Anstachelung von rassistischer oder religiöser Gewalt etc. sind verboten. Unabhängige Medien und Internetseiten sind in der Ukraine aktiv und bringen eine breite Palette von Meinungen zum Ausdruck. Die erfolgreichsten privaten Medien gehören einflussreichen Oligarchen, was sich auf deren Berichterstattung auswirkt. Unabhängige Medien haben außerdem Schwierigkeiten, wirtschaftlich mit diesen zu konkurrieren. Gewalt gegen Journalisten ist weiterhin ein Problem, nimmt aber ab. Die Täter sind Private, keine Staatsorgane. Beklagt wird trotzdem, dass mangelnde Aufklärung solcher Vorfälle einer Kultur der Straflosigkeit Vorschub leiste. Es gibt Berichte über Angriffe auf Journalisten, die zu Behördenkorruption recherchieren. Online-Drohungen gegen Journalisten, vor allem wenn diesen unpatriotische Berichterstattung vorgeworfen wird, ist ein Problem. Gegen den als pro-russisch wahrgenommenen Fernsehsender INTER gab es mehrere gewalttätige Angriffe. Bezüglich eines Brandanschlags laufen behördliche Ermittlungen. Der bekannte Journalist Pavel Sheremet wurde im Juli 2016 in Kiew Opfer einer Autobombe. Die Hintergründe sind unklar. Selbstzensur geschieht meist zum Schutz politischer Verbündeter oder aus Angst, als unpatriotisch zu gelten bzw. Berichterstattung zu liefern, die von Russland als Propaganda genützt werden könnte. Auch die strengen Gesetze bezüglich übler Nachrede werden oft benutzt, um Journalisten einzuschüchtern. Die Regierung verbietet weiterhin gelegentlich Werke angeblich pro-russischer Künstler (Filme, Fernsehsendungen, etc.) oder verhängt Einreisverbote gegen russische Journalisten. Die Signale der meisten russischen Fernsehsender werden blockiert. Anfang 2016 wurde die illegale Beschlagnahme von Material oder Ausrüstung von Journalisten unter Strafe gestellt. Sie illegal von ihrer Arbeit abzuhalten oder zu stören, kann demnach mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden. Der Zugang zum Internet wird nicht eingeschränkt, wird aber gelegentlich vom Staat überwacht. Es gibt Berichte, dass Nutzer sozialer Medien für angebliche separatistische oder extremistische Aussagen von den ukrainischen Behörden mit Geldstrafen oder gar Gefängnis sanktioniert wurden (USDOS 3.3.2017a).
Die ukrainische Medienlandschaft ist pluralistisch und Regierungskritik ist weit verbreitet. Die größten Medien befinden sich unter Kontrolle von Oligarchen, was sich in deren Linie äußert. Ein neuer öffentlicher Rundfunksender wurde offiziell gegründet, budgetäre Probleme und bürokratischer Widerstand verzögerten jedoch seine Inbetriebnahme. Sein Direktor trat wegen des mangelnden Willens der Regierung ihn zu unterstützen zurück. Die Bedeutung des Fernsehens als Informationslieferant ist immer noch groß, nimmt aber ab. Die Nutzung des Internets nimmt zu. Die Medienfreiheit in der Ukraine wird von Freedom House als "partly free" bewertet (FH 29.3.2017).
Medien, deren Ausrichtung als pro-russisch oder pro-separatistisch wahrgenommen wurde oder die sich besonders kritisch über die Behörden äußerten, wurden unter Druck gesetzt, u. a. indem man ihnen mit dem Entzug der Zulassung oder mit physischer Gewalt drohte. Das Innenministerium drohte dem Fernsehsender Inter mehrfach mit Schließung. Dem beliebten Fernsehmoderator Savik Shuster, der die italienische und die kanadische Staatsbürgerschaft besitzt, wurde von der ukrainischen Einwanderungsbehörde unter Verletzung geltender Bestimmungen die Arbeitserlaubnis entzogen. Das Berufungsgericht in Kiew setzte die Erlaubnis am 12. Juli 2016 wieder in Kraft. Im Anschluss leiteten die Steuerbehörden ein Strafverfahren gegen Savik Shusters Fernsehsender 3S.TV ein. Am 1. Dezember gab Savik Shuster angesichts des Drucks und fehlender finanzieller Ressourcen bekannt, den Betrieb des Senders einzustellen. Ruslan Kotsaba, ein freiberuflicher Journalist und Blogger aus Iwano-Frankiwsk, wurde am 12. Mai 2016 wegen "Behinderung der rechtmäßigen Aktivitäten der ukrainischen Streitkräfte in einem bestimmten Zeitraum" zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Er war 2015 festgenommen worden, nachdem er in einem YouTube-Video ukrainische Männer aufgefordert hatte, sich der Einberufung in die Armee zu widersetzen. Am 12. Juli wurde er in einem Rechtsmittelverfahren freigesprochen und unverzüglich auf freien Fuß gesetzt. Im Fall der Ermordung des Journalisten Oles Buzina, der 2015 von zwei maskierten Tätern erschossen worden war, blieben die Ermittlungen ohne Ergebnis (AI 22.2.2017).
Die Regierung setzte weiterhin in Bezug auf die Medienfreiheit umstrittene Maßnahmen, um Russlands Propaganda zu begegnen (HRW 12.1.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf , Zugriff 20.6.2017
- AI - Amnesty International (22.2.2017): Amnesty International Report 2016/17 - The State of the World's Human Rights - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336532/479204_de.html , Zugriff 20.6.2017
- FH - Freedom House (29.3.2017): Nations in Transit 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/338537/481540_de.html , Zugriff 20.6.2017
- HRW - Human Rights Watch (12.1.2017): World Report 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/334769/476523_de.html , Zugriff 20.6.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html , Zugriff 20.6.2017
11. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
2013 stellte der EGMR fest, dass die ukrainische Verfassung zwar in allgemeiner Form die Versammlungsfreiheit garantiere, dass eine zufriedenstellende Spezifizierung auf einfachgesetzlicher Basis jedoch fehle. Aufgrund der weiterhin bestehenden rechtlichen Unsicherheit wird die Abhaltung von friedlichen Versammlungen von den Behörden regelmäßig abgelehnt. Als gängigen Begründungen dienen die zu späte Ankündigung der Demonstration, der Mangel an verfügbaren Polizisten, um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten, der gleichzeitige Besuch einer offiziellen ausländischen Delegation oder das gleichzeitige Stattfinden einer anderen Veranstaltung am gleichen Ort. Zu den Verpflichtungen des Veranstalters von friedlichen Versammlungen zählt unter anderem die Anmeldung dieser Veranstaltung im Vorfeld bei den örtlich zuständigen Behörden. Die Fristen, die in diesem Zusammenhang anzuwenden sind, scheinen beispielsweise jedoch nicht rechtlich klar geregelt zu sein, und variieren je nach vertretener Auffassung zwischen drei und zehn Tagen. Diese Unklarheit lässt den öffentlichen Behörden auch einen relativ großen Freiraum, Versammlungen zu untersagen. Auch viele andere Elemente auf diesem Bereich sind von einer relativen Rechtsunsicherheit gezeichnet, etwa die Definition der "Friedlichkeit" einer Versammlung. Ende 2015 wurden zwei Gesetzesentwürfe "über die Garantien der Versammlungsfreiheit" in die Rada eingebracht, jedoch vorerst nicht weiter behandelt. Die Verabschiedung eines mit 1. Jänner 2013 in Kraft getretenen Vereinsgesetzes durch das ukrainische Parlament ist als positiver Schritt zu werten, das Gesetz ist unverändert gültig und räumt bislang bestehende administrative Hürden bei der Registrierung und beim Betrieb eines Vereins aus dem Weg. Sowohl natürliche als auch juristische Personen können einen Verein gründen. Registrierte Vereine können ihre Tätigkeit nunmehr auf das gesamte Territorium der Ukraine ausdehnen. Die Vereinsgründung kann nur aus eng definierten Gründen untersagt werden, und eine Entscheidung über eine allfällige Untersagung der Aufnahme der Vereinstätigkeiten hat innerhalb von sieben Tagen ab Registrierung zu erfolgen. Sofern die Aktivitäten des Vereins dem in den Statuten festgelegten Vereinszweck entsprechen, kann dieser auch wirtschaftlich tätig werden (ÖB 4.2017).
Die Versammlungsfreiheit wurde im Euromaidan 2013/2014 unter erheblichen Opfern verteidigt. Sie ist seither unangefochten (AA 7.2.2017).
Versammlungsfreiheit ist laut Verfassung garantiert und die Regierung respektiert dieses Recht generell, aber einfachgesetzlich haben die Behörden breite Möglichkeiten das Demonstrationsrecht einzuschränken. 2016 waren die Demonstrationen generell friedlich, zum Teil aber von erheblichen Polizeiaufgeboten begleitet, um die Ordnung aufrecht zu erhalten. Die Fähigkeit der Nationalpolizei die Sicherheit von Demonstrationen zu gewährleisten, hat sich verbessert. Es gibt Berichte über Gewalt gegen LGBTI-Demonstrationen. Auch die Vereinigungsfreiheit ist laut Verfassung garantiert, und die Regierung respektiert dieses Recht generell. Lediglich Mitglieder der Kommunistischen Partei sind gewissen Schikanen unterworfen. Kommunistische (und nationalsozialistische) Symbole sind verboten (USDOS 3.3.2017a).
Drohungen und Gewalt nichtstaatlicher Akteure halten gelegentlich Gruppen davon ab Demonstrationen abzuhalten, speziell wenn es um LGBTI-Belange geht. Die Zivilgesellschaft floriert seit 2014 (FH 1.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf , Zugriff 21.6.2017
- FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336975/479728_de.html , Zugriff 21.6.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html , Zugriff 21.6.2017
12. Haftbedingungen
Unzureichende Haftbedingungen und medizinische Betreuung von Häftlingen sind immer wieder Gegenstand von Klagen gegen die Ukraine vor dem EGMR. Die Haftbedingungen in ukrainischen Gefängnissen werden weiterhin von Menschenrechtsorganisationen kritisiert. Als Teil der allgemeinen Reformbemühungen der Ukraine ist derzeit jedoch auch eine Reform des Strafvollzugs im Gange, die auch aktiv von der EU unterstützt wird. Dennoch bleiben die Bedingungen weit hinter europäischen Standards. Als Prioritäten für die anstehende Gefängnisreform nennt die Regierung eine bessere Bezahlung und Ausbildung des Gefängnispersonals, transparente Auswahlverfahren und eine "Demilitarisierung" der Personalstrukturen. Für eine tatsächliche und merkbare Verbesserung der Haftbedingungen in der Ukraine fehlen jedoch in erster Linie die budgetären Mittel. 2014 wurde ein Gesetz angenommen, dass NGOs, Medienvertretern, Parlamentariern etc. den Zugang zu Strafvollzugsanstalten sowie das Führen von vertraulichen Gesprächen mit Häftlingen erlaubt (ÖB 4.2017).
Die Haftbedingungen in ukrainischen Untersuchungshaftanstalten und Gefängnissen verbessern sich nur langsam und in den verschiedenen Anstalten nur sehr ungleichmäßig. Fortschritte in einigen Vollzugseinrichtungen kontrastieren mit weiterhin schlechten Zuständen in einigen U-Haftanstalten und unerträglichen Bedingungen in psychiatrischen Einrichtungen. Immerhin ist die Zahl der Insassen nach einer Reform der Strafprozessordnung deutlich rückläufig. Mit Stand 1.9.2016 gab es in der Ukraine ca. 60.000 Häftlinge bei rund 100.000 Haftplätzen. Das stellt einen erheblichen Rückgang im Vergleich zu 2002 (215.000 Häftlinge) dar. Trotz erheblicher Fortschritte sind schlecht bezahltes und unzureichend ausgebildetes Wachpersonal, überbelegte Großraumzellen, mangelhafte Ernährung, unzureichende medizinische Betreuung, unzulängliche hygienische Verhältnisse sowie unverhältnismäßig starke Beschränkungen von Kontakten zur Außenwelt weiterhin nicht völlig verschwunden (AA 7.2.2017).
Misshandlung Strafgefangener und Festgenommener durch Polizei und Gefängnispersonal ist weiterhin weit verbreitet. Die Haftbedingungen sind weiterhin schlecht, erreichen nicht internationale Standards und sind bisweilen eine ernste Gefahr für Gesundheit und Leben von Insassen. Misshandlung, Mangel an angemessener medizinischer Betreuung und Ernährung, schlechte hygienische Verhältnisse und Lichtmangel sind anhaltende Probleme. In Polizei- und Untersuchungsgefängnissen sind die Bedingungen schlechter als in Gefängnissen niedriger und mittlerer Sicherheitsstufe. Erwachsene und Jugendliche werden generell getrennt untergebracht, es gibt aber gegenteilige Berichte hierzu aus manchen Untersuchungsgefängnissen. Trotz Reduktion der Häftlingszahlen, ist Überbelegung in Untersuchungsgefängnissen weiterhin ein Problem. Es gibt Berichte von Häftlingen über unbezahlte (Zwangs‑) Arbeit und auch über Gewalt unter Häftlingen. Viele Gefängnisse am Rande der Konfliktzone im Donbas wurden nicht rechtzeitig evakuiert. Seite September 2016 wurden 17 Gefangene von den Separatisten wieder in regierungskontrolliertes Gebiet überstellt. In der Ukraine können Gefangene Beschwerden an den Ombudsmann richten. Dieser hat 2016 bis Oktober 1.114 Beschwerden von Gefangenen oder deren Angehörigen erhalten. Menschenrechtsorganisationen zufolge demotivieren oder zensurieren Gefängnisverwaltungen bisweilen Beschwerden von Insassen bzw. bestrafen diese. Es gibt Beschwerden, dass tuberkulosekranke Häftlinge nicht von anderen Häftlingen getrennt werden. Unabhängige Überwachung der Hafteinrichtung durch nationale und internationale Menschenrechtsgruppen ist erlaubt (USDOS 3.3.2017a).
Seit Annahme des Gesetzes über die Nationalpolizei wurden auch viele Substandard-Polizeigefangenenhäuser (temporary holding facilities) zeitweilig geschlossen und sollen renoviert werden. Die Abläufe bei der medizinischen Versorgung der Gefangenen wurden überarbeitet, und erste Schritte zur Einführung eines umfassenden Gefangenenüberwachungssystems gesetzt. Die Mehrheit der Personen, die kürzlich in Haft waren, wies darauf hin, dass die Polizei sie korrekt behandelt hat, und es gab keine weiteren Berichte über Misshandlung durch SBU-Beamte oder durch Polizeibeamte in Polizeigefangenenhäusern. Die grundlegenden Rechte (auf einen Arzt, auf einen Anwalt, auf Information) werden vor allem von der Polizei nicht immer gewährt. Es gibt weiterhin Berichte über Gewaltanwendung durch Beamte bei Verhören, um Geständnisse zu erhalten. Obwohl seit 2013 die Schwere der Vorfälle abgenommen hat, ist die Zahl der Vorwürfe immer noch bedenklich. Die Haftbedingungen in den Polizeigefangenenhäusern sind für die 72 Stunden, welche die Polizei Personen maximal festhalten darf, zufriedenstellend. Die Praxis Personen aber länger dort festzuhalten, anstatt sie in Untersuchungsgefängnisse zu überstellen, besteht aber weiterhin. Die Reform des Gefängnissystems, einschließlich Maßnahmen zur Reduzierung der Zahl der Häftlinge und Stärkung ihrer Rechte, geht weiter. Diese Reformen haben jedoch noch nicht auf die Untersuchungsgefängnisse durchgeschlagen. Sie sind immer noch stellenweise überbelegt und das Regelwerk veraltet. Dort ist auch Gewalt unter den Häftlingen präsenter als in den Justizanstalten. Die medizinische Versorgung wurde als Problem erkannt, und es gibt intensive Bemühungen zu ihrer Verbesserung, auch die Verbesserung der Koordinierung und Kooperation mit dem Gesundheitsministerium. Es gibt aber immer noch zu wenig Wachpersonal, die Gehälter sind niedrig und die Arbeitsbelastung hoch (CoE 19.6.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf , Zugriff 22.6.2017
- CoE - Council of Europe (19.6.2017): Report to the Ukrainian Government on the visit to Ukraine carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 21 to 30 November 2016, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1498028007_2017-15-inf-eng-docx.pdf , Zugriff 26.6.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html , Zugriff 22.6.2017
13. Todesstrafe
Die Todesstrafe wurde im Jahr 2000 abgeschafft und durch lebenslange Haft ersetzt. Die Ukraine ist Vertragsstaat des 13. Zusatzprotokolls zur EMRK (AA 7.2.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf , Zugriff 22.6.2017
14. Religionsfreiheit
Gesellschaftliche Diskriminierung ethnischer und religiöser Minderheiten ist ein Problem (USDOS 3.3.2017a).
Von den geschätzt 44,4 Millionen Ukrainern sind Umfragen zufolge etwa 73.7% orthodoxe Christen (37,9% gehören zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Kiewer Partiartchats (UOC-KP), 19,6% zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Partiartchats (UOC-MP), 1,3% zur ukrainisch autokephalen orthodoxen Kirche (UAOC), 39,1% sind ungebundene Orthodoxe), 8,1% der Ukrainer sind griechisch-katholisch, 0,8% römisch-katholisch, 0,9% Protestanten und 0,7% gehören anderen religiösen Gruppen an (Pfingstbewegung, Siebten-Tags-Adventisten, Zeugen Jehovas, Mormonen usw.). Die Zahl der Muslime wird auf 500.000 geschätzt, die meisten davon (300.000) sind Krimtataren. Die Muslime selbst schätzen ihre Zahl auf 2 Millionen. Der Volkszählung von 2001 zufolge gibt es 103.600 Juden im Land. Die Juden selbst schätzen ihre Zahl auf 370.000. Es gibt auch Buddhisten, Hare Krishnas etc. Die Religionsfreiheit ist in der Verfassung festgeschrieben. Religiöse Gruppen mit mindestens zehn Mitgliedern müssen sich beim Justizministerium und im Kulturministerium oder einer regionalen Regierungsbehörde registrieren lassen, um Rechtspersönlichkeit zu erlangen. Das ist nötig, damit sie Konten eröffnen, Besitz anhäufen und Informationsmaterial publizieren dürfen. Im Gegensatz zu solchen lokalen Gruppen können sich überregionale, landesweite Gruppen nicht eigens registrieren lassen. 2016 erhielten religiöse Gruppen einige Steuervorteile. Religiöse Gruppen dürfen eigene Schulen gründen, die staatlich anerkannt werden, sie dürfen aber nicht an öffentlichen Schulen tätig werden. Religiöse Gruppen mit Sitz im Ausland werden in ihren Aktivitäten in der Ukraine gesetzlich eingeschränkt. Religiöse Führer und Menschenrechtsaktivisten fordern weiterhin eine Vereinfachung des Registrierungsprozesses für religiöse Gruppen. Die Nationale Menschenrechtsstrategie enthält Vorhaben in diese Richtung. Die UOC-MP beschwerte sich, dass es in letzter Zeit zu Fällen komme, in den sich die UOC-KP ihrer Kirchen bemächtige, zum Teil unter Mithilfe von Vertretern des Rechten Sektors. Tatsächlich wechselten einige Gemeinden der UOC-MP unter die Hoheit der UOC-KP. Diese Wechsel erfolgen offiziellen Angaben zufolge auf den mehrheitlichen Wunsch der betreffenden Gemeinden, die UOC-MP spricht hingegen von Zwang. In bestimmten Teilen der Ukraine beschweren sich kleinere religiöse Gruppen weiterhin über diskriminierendes Verhalten durch lokale Behörden beim Kauf von Bauland. In der Zentral- und Südukraine betrifft das mitunter auch die UOC-KP, in der Westukraine auch die UOC-MP, im ganzen Land berichten Muslime u. a. ähnliches. Alle Religionsgemeinschaften beschweren sich über schleppende Verfahren zur Restitution von Besitz, der unter Sowjetherrschaft enteignet worden war. Zeugen Jehovas berichteten 2015 von etwa 31 Fällen von Gewalt gegen ihre Mitglieder. In manchen Fällen verweigerte die Polizei die Untersuchung der Fälle. In zumindest einem Fall gab es eine gerichtliche Verurteilung des Täters. 2015 gab es eine antisemitische Gewalttat, gegenüber vier Vorfällen im Jahr 2014. Vandalismus gegen Zeugen Jehovas und deren Einrichtungen (2015: 56) bzw. gegen Juden und deren Einrichtungen (2015: 22; 2014: 15) waren häufiger. In den letzten Jahren konnten nach antisemitischen Handlungen keine Täter ausfindig gemacht oder angeklagt werden. Krimtatarische IDPs konnten in Lemberg einen Gebetsraum im Islamischen Kulturzentrum einrichten; die Errichtung einer Moschee wurde von der Stadt nicht genehmigt (USDOS 10.8.2016).
Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und der ungestörten Religionsausübung wird von der Verfassung garantiert und von der Regierung in ihrer Politik gegenüber Kirchen und Religionsgemeinschaften respektiert. Antisemitische Vorfälle sind seit Jahren rückläufig und bewegen sich auf einem stabil niedrigen Niveau. Zwar hat sich die allgemeine Sicherheitslage verschlechtert, jedoch sind davon alle Bürger insgesamt betroffen. Eine spezifische Bedrohungslage der jüdischen Gemeinden und ihrer Mitglieder besteht nicht. Es gibt rund 20 Vandalismusvorfälle pro Jahr gegen jüdische Einrichtungen (AA 7.2.2017).
Der Konflikt mit Russland hat die Spannungen zwischen rivalisierenden orthodoxen Kirchen erhöht. Kleinere religiöse Gemeinschaften berichten weiterhin von einem gewissen Maß an Diskriminierung (FH 1.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf , Zugriff 22.6.2017
- FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336975/479728_de.html , Zugriff 22.6.2017
- USDOS - US Department of State (10.8.2016): 2015 Report on International Religious Freedom - Ukraine, http://www.ecoi.net/local_link/328420/455696_en.html , Zugriff 23.6.2017
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html , Zugriff 22.6.2017
15. Ethnische Minderheiten
Gesellschaftliche Diskriminierung ethnischer und religiöser Minderheiten ist ein Problem. Es gibt aber keine Gesetze, welche die Teilhabe von Minderheiten am politischen Prozess beschränken. Schikane gegen Fremde nicht-slawischen Äußeren ist weiterhin ein Problem. NGOs zufolge nahmen fremdenfeindliche Zwischenfälle während des Jahres leicht ab. Anstachelung zu Hass oder Diskriminierung aufgrund von Nationalität, Ethnie oder Religion, ist verboten. Die Gesetze sehen für Verbrechen mit einem solchen Hintergrund erhöhte Strafen vor. Der Nachweis, insbesondere des Vorsatzes, ist jedoch derart schwierig, dass in der Praxis solche Verbrechen als Hooliganismus strafverfolgt werden. Das Büro des Generalstaatsanwalts registrierte in den ersten neun Monaten des Jahres 2016 58 Ermittlungen bezüglich Hassmotive, von denen 13 geschlossen und 15 an die Gerichte weitergeleitet wurden. IOM registrierte bis Oktober zehn Fälle (mit 17 Opfern) von Gewalt mit Hassmotiv. Die Opfer stammten aus Afghanistan, Afrika, Syrien und Tadschikistan oder waren jüdischer bzw. moslemischer Herkunft. Die meisten Vorfälle gab es in Dnipropetrowsk, Kiew, Kharkiv und Odessa. Die Zahl der Roma wird auf 200.000 bis 400.000 geschätzt, während ihre offizielle Zahl bei 47.600 liegt. Diese Diskrepanz wird zumeist darauf zurückgeführt, dass Roma oft keine Papiere besitzen. Roma sind weiterhin Diskriminierung durch Behörden und die Gesellschaft ausgesetzt. Es gibt über 100 Roma-NGOs, aber die meisten haben nicht die Kapazität, um effektiv als Garanten der Roma-Rechte oder Servicestellen zu agieren. Aufgrund diskriminierender Einstellungen haben Roma erhebliche Schwierigkeiten beim Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung, sozialen Diensten und Arbeit. Es gibt Berichte über Fälle von Gewalt gegen Roma, in denen die Polizei nicht einschritt bzw. über Fälle, bei denen festgenommene Roma Opfer von Polizeigewalt wurden. Der 2013 angenommene Aktionsplan zur Integration der Roma in die Gesellschaft, hat gemäß European Roma Rights Center (ERRC) bislang zu keinen Verbesserungen für Roma geführt. Die Regierung hat zu seiner Umsetzung auch keine Mittel bereitgestellt. 24% der Roma besuchten nie eine Schule, nur 1% hat einen akademischen Grad erworben. Geschätzte 31% der Roma-Kinder besuchen keine Schule. Roma-NGOs zufolge werden Roma-Kinder von lokalen Behörden in eigene Schulen bzw. minderqualitative Klassenräume segregiert. Die Arbeitslosigkeit der Roma liegt bei über 60%. Aus den separatistischen Gebieten in der Ostukraine sind viele Roma geflohen und haben sich in anderen Teilen der Ukraine niedergelassen. Unter den vulnerabelsten IDPs sollen sich etwa 10.000 Roma befinden. Da sie oft keine Dokumente haben, ist für sie der Zugang zu einer IDP-Registrierung und der damit verbundenen Unterstützung besonders schwierig (USDOS 3.3.2017a).
Eine staatliche Diskriminierung von Minderheiten findet nicht statt. Roma stellen eine schwer quantifizierbare Minderheit dar. Nach offizieller Zählung umfasst sie 48.000 Personen, nach Schätzungen von Roma-NGOs sollen es 400.000 sein. Diese Diskrepanz ist zum Teil durch das Bedürfnis vieler sozial integrierter Roma erklärbar, sich nicht zu erkennen zu geben. Unstrittig ist, dass große Teile der Roma-Bevölkerung sozial marginalisiert und benachteiligt sind (z. B. führt wie andernorts fehlende Geburtsregistrierung zu Benachteiligungen bei der Gesundheitsversorgung und Schulbildung). Es liegen keine Erkenntnisse für eine staatliche Diskriminierung vor. In der Bevölkerung bestehen teilweise erhebliche Vorurteile gegen Roma. Ende August 2016 kam es im Dorf Loschtschyniwka (Gebiet Odessa) zu pogromartigen Ausschreitungen gegen Angehörige der lokalen Roma-Minderheit und der Vertreibung von ca. 60 Roma aus dem Dorf (AA 7.2.2017).
Die Diskriminierung von Roma ist in der gesamten Ukraine verbreitet. Im August 2016 kam es in der Region Odessa zu einem Angriff auf Häuser von Roma. Im Westen des Landes kam es zur Segregation von Roma in Schulen und medizinischen Einrichtungen. Einerseits wurden sie in separaten Räumen behandelt (Mukatschewe und Svaliava) und in anderen Fällen wurde ihnen medizinische Versorgung verweigert, was einen Verstoß gegen ukrainisches Recht darstellt (ÖB 4.2017).
Ethnische Minderheiten können unbeschränkt am politischen Prozess in der Ukraine teilhaben. Ihre Repräsentation und die Ausübung ihres Wahlrechts sind jedoch eingeschränkt durch Faktoren wie den Konflikt im Donbas, Analphabetismus, Fehlen von Identitätsdokumenten bei vielen Roma usw. Obwohl die Regierung die Rechte der Minderheiten generell beschützt, werden die Roma weiterhin diskriminiert. Sie leben oft in Substandard-Häusern in marginalisierten Gebieten (FH 1.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf , Zugriff 22.6.2017
- FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336975/479728_de.html , Zugriff 22.6.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html , Zugriff 22.6.2017
16. Relevante Bevölkerungsgruppen
16.1. Frauen
Durch den bewaffneten Konflikt und die Menschenrechtsverletzungen kommt es vermehrt zu häuslicher Gewalt und Gender Based Violence (GBV), von der vor allem Frauen betroffen sind. Ein neues Gesetz, das häusliche Gewalt als Straftatbestand deklariert, wird 2017 erwartet. Es gibt nicht ausreichend psychosoziale und medizinische (Notfall‑) Einrichtungen mit geschultem Personal. Aufgrund der fehlenden Rechtsstaatlichkeit in den separatistischen Teilen der Ostukraine sind dort Frauen besonders gefährdet Opfer von Missbrauch, Sexsklaverei und Human Trafficking zu werden (ÖB 4.2017).
Die Verfassung schreibt die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ausdrücklich vor. Auch im Übrigen gibt es keine rechtlichen Benachteiligungen. Nach ukrainischem Arbeitsrecht genießen Frauen die gleichen Rechte wie Männer. Tatsächlich werden sie jedoch häufig schlechter bezahlt und sind in Spitzenpositionen unterrepräsentiert. Die Ukraine ist noch immer Herkunftsland für grenzüberschreitenden Menschenhandel (AA 7.2.2017).
Vergewaltigung ist gesetzlich verboten, Vergewaltigung in der Ehe wird aber nicht ausdrücklich erwähnt. Es gab 2016 bis September 355 Anzeigen wegen (versuchter) Vergewaltigung, von denen 47 vor Gericht kamen. Häusliche Gewalt ist ebenfalls verboten, aber weiterhin ein ernstes Problem. Man kann dafür unmittelbar für fünf Tage von der Polizei festgenommen werden. Es gab 2016 bis September 922 Anzeigen wegen häuslicher Gewalt, von denen 833 vor Gericht kamen. Die Situation im Donbas führte zu einem Anstieg der Gewalt gegen Frauen, sei es durch posttraumatischen Stress unter IDPs oder unter heimkehrenden Kämpfern. Für weibliche IDPS gibt es keine speziellen sozialen Dienstleistungen in diese Richtung. Das Sozialministerium gibt an, in einem halben Jahr ca. 38.000 Verwarnungen und Schutzbefehle wegen häuslicher Gewalt ausgestellt zu haben. Etwa 65.000 Personen sind wegen solcher Vergehen unter Polizeibeobachtung. Staatliche Schutzzentren haben 2016 bis Juli 423 Familien mit 3.934 Personen unterstützt. Sozialzentren überwachen Familien in Zusammenhang mit Missbrauch und NGOs betreiben zusätzliche Zentren in einigen Regionen. NGOs zufolge mussten aber viele staatliche Zentren wegen Geldmangel schließen. Ressourcenknappheit und administrative Hürden (z.B. aufrechte Wohnsitzmeldung, Kapazitäten, etc.) können den Zugang zu Schutzeinrichtungen in der Praxis schmälern. Entlang der Kontaktlinie in der Ostukraine gibt es von beiden Seiten Berichte über sexuelle Gewalt gegen Frauen aber auch Männer (USDOS 3.3.2017a).
Geschlechterdiskriminierung ist verboten, dem Problem wird von amtlicher Seite aber wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Arbeitgeber diskriminieren Beobachtern zu folge offen nach Geschlecht, Alter und äußerer Erscheinung. Etwa 12% der Parlamentsabgeordneten sind Frauen und laut Gesetz müssen 30% der Listenplätze bei Wahlen für Frauen reserviert werden. Es gibt aber keine Sanktionen bei Zuwiderhandlung, wohl aber finanzielle Anreize für Parteien (FH 1.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf , Zugriff 12.7.2017
- FH - Freedom House (1.2017): Freedom in the World 2017 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/336975/479728_de.html , Zugriff 12.7.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html , Zugriff 12.7.2017
17. Bewegungsfreiheit
Die Verfassung und Gesetze garantieren die Freiheit sich innerhalb und außerhalb des Staates frei zu bewegen. Die Regierung schränkt diese Rechte in der Praxis jedoch ein, besonders nahe der Konfliktzone in der Ostukraine (USDOS 3.3.2017a).
Die Kontaktlinie zwischen den von der Regierung kontrollierten Gebieten der Ostukraine und den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Lugansk (DNR und LNR), ist mittlerweile de facto zu einer Grenze geworden. Bis zu 700.000 Personen oder mehr überqueren diese Grenze im Monat in beide Richtungen, um Sozialleistungen zu konsumieren, medizinische Versorgung in Anspruch zu nehmen, Verwandte zu besuchen oder einzukaufen. Es gibt sogar einige Arbeitspendler. Seit Jänner 2015 ist zum Überqueren der Kontaktlinie an einem der fünf offiziellen Übertrittspunkte eine eigene Erlaubnis (propusk) nötig, um in die regierungskontrollierten Gebiete (government controlled areas, GCA) einzureisen. Diese werden vom ukrainischen Geheimdienst SBU ausgestellt. Seit im Juli 2015 ein elektronisches System eingeführt wurde, ist es aber leichter geworden. An den Übertrittspunkten sind auf ukrainischer Seite Vertreter verschiedener Behörden vertreten: Grenzwache, Armee, Polizei und Finanzbehörden. Freiwilligenbataillone sind dort nicht mehr vertreten. Es wird gegenüber der Krim und der DNR/LNR von der ukrainischen Grenzwache dasselbe Regime angewendet wie an einer Außengrenze. Papiere der selbsternannten "Behörden" der DNR/LNR werden zur Einreise in die Ukraine nicht anerkannt. Wer nur solche Dokumente besitzt, muss sich ukrainische Dokumente ausstellen lassen. Dazu sind ukrainische Notare an den Übertrittspunkten anwesend. Es besteht hierzu andauernder Kontakt zwischen der Grenzwache und dem staatlichen Migrationsdienst. Die Anwesenheit so vieler Behördenvertreter an den Übertrittspunkten garantiert generell die Einhaltung der Gesetze, es gibt aber Berichte über Korruption. Von den Checkpoints der Armee gibt es Beschwerden über rüdes Verhalten der dort eingesetzten Soldaten. Es gibt Beschwerdemechanismen, wie etwa die Anti-Terrorist Operation Hotline, aber diese sind nicht allen bekannt. Auf der NGCA-Seite gibt es Berichte über Beleidigungen. Außerdem sammeln die separatistischen Kräfte Berichten zufolge die International Mobile Station Equipment Identity (IMEI) von Zivilisten (das ist eine eindeutige 15-stellige Seriennummer, anhand derer jedes Mobiltelefon weltweit eindeutig identifiziert werden kann, Anm.) und prüfen Bilder und SMS auf deren Mobiltelefonen. Die Übertrittspunkte haben im Sommer in der Regel von 6-20 Uhr geöffnet; im Frühjahr/Herbst von 7-18:30 und im Winter von 8-17:00 Uhr. Aber sie werden immer wieder spontan geschlossen, oft wegen Sicherheitsbedenken. Im Sommer kann der Übertritt so bis zu 36 Stunden in Anspruch nehmen. Manchmal müssen Reisende über Nacht warten. Infrastruktur (Wasser, Toiletten) gibt es kaum. Ungeräumte Landminen abseits der Straßen sind ebenfalls eine Gefahr für Reisende. Zusätzlich erschwert wird der Reiseverkehr dadurch, dass öffentliche Transportmittel (Busse, Züge) nicht die Kontaktlinie überqueren dürfen, wodurch die Reisenden gezwungen den Übertritt zu Fuß hinter sich zu bringen und auf der anderen Seite mit einem anderen Verkehrsmittel weiterzufahren (BFA/OFPRA 5.2017).
Am 4. April 2016 trat das Gesetz Nr. 888-19 "On Amendments to Several Legislative Acts of Ukraine on Extension of Authorities of Local Self-Government Agencies and Optimization of Administrative Services" vom 10. Dezember 2015 in Kraft Es enthebt den Staatlichen Migrationsdienst der Ukraine von seiner Kompetenz, die Wohnsitze der Bürger zu registrieren (Wohnsitzmeldung und -abmeldung) und legt diese Aufgabe in die Hände der lokalen Verwaltungskörper. Die Resolution des Ministerkabinetts Nr. 207 vom 2. März 2016 enthält nähere Bestimmungen zur Wohnsitzmeldung. Gemäß der neuen Rechtslage müssen Ukrainer einen Wohnsitzwechsel binnen 30 Tagen melden. Mit 1. Oktober 2016 trat das Gesetz "On the Uniform State Demographic Register and Documents Confirming Citizenship of Ukraine, ID or Personal Status" in Kraft. Auch dieses Gesetz brachte erhebliche Neuerungen. War es bis dahin verpflichtend, sich mit vollendetem 16. Lebensjahr einen Inlandspass ausstellen zu lassen, ist dies seither mit vollendetem 14. Lebensjahr zu tun. Der Inlandspass hat nunmehr die Form einer ID-Karte. Zuständig ist nach wie vor der Staatliche Migrationsdienst (NRC 2016). Auf der neuen ID-Karte ist ein Chip auf dem die Wohnsitzmeldung gespeichert wird. Wenn die lokale Behörde das nicht bewerkstelligen kann, erhält man stattdessen eine Meldebestätigung und muss auf die Bezirksbehörde gehen und den Wohnsitz dort im Chip speichern lassen (GP o.D.).
Als Wohnsitz gilt der Ort, an dem man für mehr als sechs Monate im Jahr lebt (SMS 31.5.2016). Ein Ukrainer oder legal aufhältiger Fremder muss sich binnen 30 Kalendertagen ab Abmeldung seines vorherigen Wohnsitzes am neuen Wohnort anmelden. Früher waren lediglich zehn Tage vorgesehen. Man kann dafür nur noch einen Wohnsitz anmelden. Die Information über Ab- und Anmeldung werden von den lokalen Behörden dem Staatlichen Migrationsdienst weitergegeben, welcher die in das Unified State Demographic Register einträgt (Lexology 19.4.2016).
Ein normaler ukrainischer Bürger kann die Meldeadresse einer anderen Person legal nicht in Erfahrung bringen, da es dem Gesetz über den Schutz der persönlichen Daten widersprechen würde. Das Gesetz schreibt vor welche Behörden in welchen Fällen (etwa die Polizei im Rahmen einer Ermittlung) die Meldeadresse einer Person abfragen darf. Ob es möglich ist diese Regelungen durch Korruption zu umgehen, kann nicht eingeschätzt werden (VB 21.7.2017). (Es sei dazu allgemein auf die Kapitel 7. Korruption und 5. Sicherheitsbehörden dieses LIB hingewiesen, Anm.)
Quellen:
- BFA/OFPRA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Office français de protection des réfugiés et apatrides (5.2017): Fact Finding Mission Report Ukraine
- GP - GetPassport (o.D.): New procedure for registration of residence citizens of Ukraine in 2016, http://getpass.com.ua/en/news/novyiy-poryadok-registratsii-mesta-prozhivaniya-grazhdan-v-ukraine-2016g/ , Zugriff 13.7.2017
- Lexology (19.4.2016): Steps towards decentralization: new rules approved for registering place of residence, http://www.lexology.com/library/detail.aspx?g=1d291a7f-342c-4bc0-8239-7e45af5534ca , Zugriff 13.7.2017
- NRC - Norwegian Refugee Council (2016): Voices from the East. Challenges in Registration, Documentation, Property and Housing Rights of People Affected by Conflict in Eastern Ukraine, https://www.nrc.no/globalassets/pdf/reports/voices-from-the-east_report_ukraine-des-2016.pdf , Zugriff 13.7.2017
- SMS - State Migration Service (31.5.2016): Registration of residence,
http://en.migraciya.com.ua/news/migraciinepravo/en-registration-of-residence/ , Zugriff 13.7.2017
- USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html , Zugriff 12.7.2017
- VB des BM.I in Kiew (21.7.2017): Bericht des VB, per E-Mail
18. IDPs und Flüchtlinge
Die Zahl der registrierten Binnenflüchtlinge (Internally Displaced Persons - IDPs) ist bis Januar 2017 auf 1.650.410 Personen gestiegen. Nach Angaben von UNHCR halten sich darüber hinaus
1.481.377 Ukrainer in Nachbarländern auf (Asyl und andere legale Formen des Aufenthalts) auf. Die Registrierung, Versorgung und Unterbringung von IDPs erfolgt auf Basis des 2014 in Kraft getretenen IDP-Gesetzes (AA 7.2.2017).
Zwar versucht die ukrainische Regierung die Situation der IDPs zu verbessern und hat seit Ausbruch des Konflikts auch einiges an Fortschritten erzielt, dennoch bleibt beispielsweise der Zugang zu Wohnmöglichkeiten und sozialen Leistungen oft schwierig. Die Integration der IDPs, die über die ganze Ukraine verteilt sind, wird mangels Budgetmittel hierfür oft nur unzureichend gefördert und in vielen Fällen nur dank intensiven Bemühungen der Zivilgesellschaft vorangetrieben (ÖB 4.2017).
Im Zuge der Entwicklungen um die Annexion der Krimhalbinsel durch Russland wurden schon geschätzte 50-60.000 Personen innerhalb der Ukraine vertrieben. Viele davon wollen oder können nicht auf die Krim zurückkehren, solange diese in russischer Hand ist. Der Konflikt um den Donbas hatte noch größere Auswirkungen. 1,7 Millionen Menschen sind in der Ukraine offiziell als Binnenvertriebene (Internally Displaced Persons, IDPs) registriert. Es wird angenommen, dass es viel mehr Betroffene gibt, da viele sich nicht registriert haben. Gründe für die Nichtregistrierung sind vielfältig: fehlende Papiere, Angst vor der Wehrpflicht, Angst vor Diskriminierung, Abneigung gegen die Behörden, etc. Jedenfalls können nur registrierte IDPs die entsprechende Unterstützung erhalten. Von diesen 1,7 Mio. leben aber nur 800.000 bis 1 Mio. dauerhaft in den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebieten (government controlled areas, GCA, im Gegensatz non-government controlled areas, NGCA). Der Rest lebt (wieder in den NGCA bzw. pendelt regelmäßig hin und her. Von den IDPs in der Ukraine registrierten sich die meisten im Osten des Landes, in der Nähe ihrer Herkunftsorte. Die meisten sind privat untergebracht (Familie, Freunde, Freiwillige) oder eingemietet, obwohl leistbare private Unterbringung oft von schlechter Qualität ist. Viele suchen die offizielle Hilfe angeblich gar nicht. Nur die ärmsten oder schwächsten bleiben in den kollektiven Zentren (weniger als 5%), die eigentlich als kurzzeitige Unterbringung intendiert waren. Meist handelt es sich um Ferienanlagen, Sanatorien, etc. Meist sind sie eher abgelegen und daher unattraktiv. Eine übergreifende nationale Strategie zur Unterbringung oder Integration der IDPs gibt es nicht. Ende 2016 gab es 270 derartige Zentren für etwa 10.000 IDPs, die meist keine Mittel für eine alternative Unterbringung haben. Die Unterbringungsdauer ist zwar nicht begrenzt, wenn die Zentren aus Geldmangel schließen müssen, sind die Leute oft gezwungen in die NGCA zurückzukehren. NGOs beliefern die Zentren oft mit Nahrungsmitteln. In den Zentren ist in der Regel Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung gegeben. Grundsätzlich haben IDPs ein Recht auf medizinische und psychologische Behandlung in den kommunalen medizinischen Einrichtungen am Ort der Wohnsitzmeldung. Hier ist oft die Finanzierung ein Problem, welche die Kommunen stemmen müssen, da die Regierung keine zusätzlichen Gelder für die Krankenversorgung der IDPs an die Gemeinden ausgeschüttet hat. Ein weiteres Problem ist die im medizinischen Sektor weit verbreitete Korruption, wodurch vieles selbst zu bezahlen ist. Wenn IDPs arbeitsfähig sind, sind sie dazu angehalten sich Arbeit zu suchen.
Sie bekommen dann für sechs Monate Beihilfen: UAH 880 für die ersten zwei Monate, UAH 440 für die nächsten zwei Monate und UAH 220 für die letzten zwei Monate. (Familien erhalten so bis zu UAH 2.000 im Monat. Wer dies nicht erhält (aus welchen Gründen auch immer, lebt von Erspartem und/oder NGO-Hilfe. Auch die Integration in den Arbeitsmarkt ist problematisch. 38% der IDPs waren im September 2016 arbeitslos. In einigen Städten gibt es Pilotprojekte, um IDPs bei der Jobsuche und Integration zu unterstützen. Seit April 2016 ist ein eigenes Ministerium für die Belange der IDPs zuständig, das Ministry of Temporarily Occupied Territories and IDPs (MTOT&IDPs), aber in der Anfangsphase sind der Migrationsdienst und das Sozialministerium noch involviert. Die ukrainischen Gesetze sehen vor, dass jeder Bürger am Ort des Wohnsitzes gemeldet sein muss, um dort Zugang zu sozialen Leistungen zu haben. Üblicherweise wird dies mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt. IDPs hingegen benötigen ein IDP-Zertifikat, um Zugang zum Sozialsystem zu erhalten (das beinhaltet auch Auszahlung von Pensionen, Beihilfen, Kindergeld, Zugang zu Schulen, Kindergärten, medizinischer Versorgung, etc.). Widersprüchliche und schlecht umgesetzte Gesetzesänderungen rund um IDPs und ihre Registrierung und Versorgung führten in der Vergangenheit dazu, dass diese uneinheitlich gehandhabt wurden (BFA/OFPRA 5.2017).
Ende 2014 wurde beschlossen, Pensions- und Sozialgelder nur noch an Personen auszuzahlen, die in BCA leben. Die Auszahlung von Pensions- und Sozialgeldern an IDPs wurde folglich an die Verifizierung des Orts des Aufenthalts gekoppelt, um zu verhindern, dass sie diese Leistungen beziehen, tatsächlich aber in NGCA leben. 500.000-600.000 IDPs waren im Feber 2016 von vorübergehenden Suspendierungen ihrer Zahlungen betroffen. Wartezeiten betrugen bis zu zwei Monate. Das Sozialministerium muss nunmehr den Aufenthaltsort von IDPs halbjährlich verifizieren, was einen erheblichen Aufwand bedeutet und zum Teil mit Verzögerungen von bis zu vier Monaten verbunden ist, in denen keine Gelder ausbezahlt werden. Es gibt Fälle, in denen IDPs aufgrund dessen Mieten in GCA nicht mehr bezahlen konnten und in NGCA zurückkehrten. Viele IDPs, speziell Pensionisten, sind auf soziale Transferzahlungen als einzige Einnahmequelle angewiesen (BFA/OFPRA 5.2017; vgl. PCU 3.2017).
Ein einheitliches Register für IDPs wurde erst im September 2016 gesetzlich vorgesehen und soll beim Sozialministerium angesiedelt sein. Andere Behörden müssen den Zugriff auf dieses Register schriftlich beantragen.
Weitere Probleme bezüglich IDPs sind, dass sie bislang an drei Wahlen nur eingeschränkt teilnehmen konnten. Es wird aber an einer Lösung dieses Problems gearbeitet. Während es relativ einfach ist, sich beim Staatlichen Migrationsdienst der Ukraine Duplikate verlorener Dokumente ausstellen zu lassen, auch um sich als IDP registrieren zu können, ist es komplizierter Änderungen eintragen zu lassen, die sich in NGCA zugetragen haben, z.B. Geburten, Todesfälle, etc. Diese müssen nämlich von einem Gericht bestätigt werden, was bis zu zwei Monate dauern kann. Schulbesuch für Kinder von IDPs ist kein Problem, es wurden sogar mehr Lehrer eingestellt, um den erhöhten Bedarf zu decken. Unterricht in den Kollektivzentren für IDPs findet eher sporadisch statt. Generell hängt bei diesem Thema viel vom Engagement der Eltern ab. Studenten hatten gewisse Probleme sich in neuen Universitäten zu immatrikulieren, hierzu wurden aber spezielle rechtliche Voraussetzungen geschaffen (BFA/OFPRA 5.2017).
Die IDPs von der Krim ließen sich meist im Westen der Ukraine nieder. Da sie unter den ersten und aktivsten Gegnern der russischen Besetzung der Krim waren, haben sie gute und freundliche Beziehungen mit den Aufnahmegemeinden aufgebaut. Aber dennoch stoßen sie als IDPs auf gewisse Probleme, wie Schwierigkeiten eine Unterkunft zu finden (hier sind die hohen Kosten und mangelnde staatliche Unterstützung ein Problem), sowie das Fehlen eines klaren Verständnisses für die Bedürfnisse der Krimtataren (z.B. im kulturellen und sozialen Bereich). Es gab isolierte Zwischenfälle mit Krimtataren, aber sie stellen keinen allgemeinen Trend dar. IDPs aus dem Donbas blieben eher im Osten. Mehr als die Hälfte der IDPs lebt in der Ostukraine bei Familie oder Freunden. Die Solidarität der ukrainischen Zivilgesellschaft ist immer noch stark, aber mit zunehmender Dauer tendenziell abnehmend. Die Angaben zum Bild der IDPs in der Aufnahmegesellschaft sind abweichend. In manchen Fällen wird eine neutrale oder freundliche Haltung gegenüber den Binnenvertriebenen behauptet, Mitgefühl und Verständnis der schwierigen Situation wird ausgedrückt und Hilfsbereitschaft erklärt. Auf der anderen Seite gibt es Hinweise auf Diskriminierung und Vorurteile gegen Binnenvertriebene sowie negative Stereotype und die Existenz versteckter und potenzieller sozialer Konflikte. Je näher Menschen in der Konfliktzone leben, desto höher ist ihr Verständnis für die Binnenvertriebenen. Im Westen der Ukraine gibt es mehr negative Stereotypen gegen IDPs, auf der andren Seite sind IDPs gerade im Westen sehr gut integriert. Negative Ansichten basieren meist nur auf Hörensagen, nicht jedoch auf persönlicher Erfahrung, und echte Konflikte zwischen Anwohnern und IDPs sind sehr selten. Es gibt aber regionale Unterschiede. Die meisten IDPs gibt es neben der Ostukraine in der Hauptstadt Kiew, und dort ist die Meinung über IDPs am schlechtesten. Besonders der Anstieg der Kriminalität wird ihnen angelastet und angesichts der allgemein schlechten wirtschaftlichen Situation werden IDPs in Kiew besonders als Konkurrenz um immer teurer werdenden Wohnraum und um Arbeitsplätze wahrgenommen. Die Tatsache, dass IDPs meist Russisch sprechen, ist hingegen kein Grund für Diskriminierung. Generell hat die Diskriminierung von Binnenvertriebenen eher ökonomische Gründe. (BFA/OFPRA 5.2017; vgl. UN 20.9.2016).
Die Binnenvertriebenen sind fortgesetzt mit Schwierigkeiten konfrontiert, juristische Dokumente sowie Zugang zu Bildung, Renten, sowie zu Finanzinstituten und zur Gesundheitsversorgung zu erhalten. 2016 sperrte die Regierung alle Sozialzahlungen an Binnenvertriebene bis zur Überprüfung ihrer Anwesenheit in staatlich kontrollierten Gebieten, angeblich zur Bekämpfung von betrügerischen Zahlungen. Die Suspendierung der Zahlungen erfolgte oftmals ohne jegliche Vorankündigung und betraf ca. 85% der IDPs in den unter ukrainischer Kontrolle befindlichen Gebieten und 97% in den Separatistengebieten. Speziell ältere oder behinderte Menschen waren oft nicht in der Lage, den Weg auf sich zu nehmen, um ihren Status zu überprüfen. Diese Vorgangsweise der ukrainischen Regierung führte zu heftiger Kritik u.a. des Europarats. Bemühungen, die IDPs zu integrieren, werden durch das Fehlen einer entsprechenden staatlichen Strategie und einen Mangel finanzieller Ressourcen erschwert. Dies drängt die IDPs wirtschaftlich und sozial an den Rand der Gesellschaft. Die angespannte Arbeitsmarktsituation und die insgesamt schwache Wirtschaft zwingen viele IDPs dazu, in inadäquaten bzw. Gemeinschaftsunterkünften zu wohnen. Finanziell leistbare Privatunterkünfte sind oft in schlechtem Zustand. Auch bei der Arbeitssuche kommt es zu Diskriminierung. Insbesondere Krimtataren wird darüber hinaus von Banken nur ein eingeschränkter Zugang zu Finanzdienstleistungen gewährt, obwohl der ukrainische Verwaltungsgerichtshof eine Entscheidung der Nationalbank aufgehoben hat, wonach Krimtataren non-residents wären. Die Regierung gewährt nur jenen Personen Unterstützung, die sich als Binnenvertriebene registrieren lassen. Der gesetzlich vorgesehenen Verpflichtung, Binnenvertriebenen Unterkünfte zuzuweisen, wird von den Behörden oftmals nicht nachgekommen (USDOS 3.3.2017a).
Mietkosten und Betriebskosten sind seit dem Ausbruch der Krise massiv gestiegen, was es sowohl den Binnenvertriebenen als auch den Ortsansässigen erschwert, geeignete Unterkünfte zu finden. Dies wiederum verstärkt die Spannungen zwischen den Bevölkerungsgruppen, zumal oftmals den IDPs die Schuld für die schwierige Situation zugeschrieben wird. Viele IDPs beklagen, dass man ihnen Wohnungen nicht vermieten möchte, oder dass die Vermieter hohe Kautionen verlangen, aus Angst, die Mieter könnten die Miete nicht regelmäßig begleichen. Es kommt auch immer wieder vor, dass sich Vermieter aus steuerlichen Gründen weigern, Verträge zu unterzeichnen. Ohne Vertrag und ohne offizielle Registrierung am Wohnsitz führen dazu, dass manche IDPs keine Wohnsubventionen in Anspruch nehmen können. Es sind aber keine Fälle von Obdachlosigkeit unter IDPs bekannt (OSZE 7.2016; vgl. BFA/OFPRA 5.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf , Zugriff 12.7.2017
- BFA/OFPRA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl / Office français de protection des réfugiés et apatrides (5.2017): Fact Finding Mission Report Ukraine
- OSZE - Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (7.2016): Special Monitoring Mission to Ukraine, Thematic report, conflict-related displacement in Ukraine: Increased Vulnerabilities of Affected Populations and Triggers of Tension within Communities, http://www.osce.org/ukraine-smm/261176?download=true , Zugriff 13.7.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
- PCU - Protection Cluster Ukraine (3.2017): UPDATE ON IDP ACCESS TO
SOCIAL BENEFITS AND PENSIONS,
https://www.humanitarianresponse.info/system/files/documents/files/2017_02_idp_access_to_social_benefits_pensions_en.pdf , Zugriff 14.7.2017
- UN - Ukraine Nachrichten (20.9.2016): Krimtataren in der Ukraine, https://ukraine-nachrichten.de/krimtataren-ukraine-wie-zweieinhalb-jahre-ohne-heimat-durchzuhalten_4496 , Zugriff 13.7.2017
19. Grundversorgung und Wirtschaft
Die Ukraine erbte aus dem Restbestand der ehemaligen Sowjetunion bedeutende eisen- und stahlproduzierende Industriekomplexe. Neben der Landwirtschaft spielt die Rüstungs-, Luft- und Raumfahrt- sowie die chemische Industrie eine große Rolle im ukrainischen Arbeitsmarkt. Nachdem die durchschnittlichen Verdienstmöglichkeiten weit hinter den Möglichkeiten im EU-Raum, aber auch in Russland zurückbleiben, spielt Arbeitsmigration am ukrainischen Arbeitsmarkt eine nicht unbedeutende Rolle. Für das erste Quartal 2016 lag die Arbeitslosenquote in der Ukraine bei 10,3%. 2016 waren 688.200 Arbeitsmigranten, 423.800 langzeitig und 264.400 kurzzeitig, im Ausland beschäftigt. Der ukrainische Arbeitsmigrant verdient mit durchschnittlich 930 US-Dollar pro Monat rund dreimal mehr als der Durchschnittsukrainer daheim. Der Durchschnittslohn lag in der Ukraine im Jänner 2017 bei 6.008 Hrywnja (ca. 206 €). Dies ist eine Steigerung von 50 Euro zum Jahr davor. Das Nettogehalt beträgt etwa 166 Euro. In der Hauptstadt Kyiv liegt der Durchschnittslohn bei ca. 223 Euro und in den nordöstlichen Regionen sowie in Czernowitz und Ternopil bei etwa 160 Euro. Der Mindestlohn wurde mit 2017 verdoppelt und beträgt nun brutto 110 Euro, netto 88 Euro. Das Wirtschaftsministerium schätzt den Schattensektor der Wirtschaft derzeit auf 35%, anderen Schätzungen zufolge dürfte dieser Anteil aber eher gegen 50% liegen. Das Existenzminimum für eine alleinstehende Person wurde im Jänner 2017 mit 1.544 Hrywnja (aktuell ca. 53 Euro), ab 1. Mai 2017 mit 1.624 Hrywnja (ca. 56 Euro) und ab 1. Dezember 2017 mit 1.700 Hrywnja (ca. 59 Euro) festgelegt (ÖB 4.2017).
Die Wirtschaftslage konnte - auf niedrigem Niveau - stabilisiert werden, die makroökonomischen Voraussetzungen für Wachstum wurden geschaffen. 2016 ist die Wirtschaft erstmals seit Jahren wieder gewachsen (gut 1 %). Die Jahresinflation sank 2016 auf gut 12 % (nach ca. 43 % im Vorjahr). Die Realeinkommen sind um einige Prozent gestiegen, nachdem sie zuvor zwei Jahre lang jeweils um zweistellige Prozentzahlen gefallen waren. Der (freie) Wechselkurs der Hrywnja ist etwa seit dem Frühjahr 2015 weitgehend stabil, Zahlungsbilanzungleichgewichte nahmen deutlich ab. Ohne internationale Finanzhilfen durch IWF und andere wäre die Ukraine aber vermutlich weiterhin mittelfristig zahlungsunfähig. Regierung und Nationalbank bemühen sich bislang erfolgreich, die harten Auflagen, die mit den IWF-Krediten einhergehen, zu erfüllen (u. a. Sparhaushalt auch für 2017 verabschiedet; Abbau der Verbraucherpreissubventionen für Energie; erhebliche, Konsolidierung des Bankensektors, marktwirtschaftliche Reformen, Deregulierung) (AA. 7.2.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf , Zugriff 14.7.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
19.1. Sozialsystem
Die Existenzbedingungen sind im Landesdurchschnitt knapp ausreichend. Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gesichert. Vor allem in ländlichen Gebieten stehen Strom, Gas und warmes Wasser z. T. nicht ganztägig zur Verfügung. Die Situation gerade von auf staatliche Versorgung angewiesenen älteren Menschen, Kranken, Behinderten und Kinder bleibt daher karg. Ohne zusätzliche Einkommensquellen bzw. private Netzwerke ist es insbesondere Rentnern und sonstigen Transferleistungsempfängern kaum möglich, ein menschenwürdiges Leben zu führen. Sozialleistungen und Renten werden zwar in der Regel regelmäßig gezahlt, sind aber größtenteils sehr niedrig (AA 7.2.2017).
Das ab der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eingeführte ukrainische Sozialversicherungssystem umfasst eine gesetzliche Pensionsversicherung, eine Arbeitslosenversicherung und eine Arbeitsunfallversicherung. Aufgrund der Sparpolitik der letzten Jahre wurde im Sozialsystem einiges verändert, darunter Änderungen in den Anspruchsanforderungen, in der Finanzierung des Systems und der Versicherungsfonds. Die Ausgaben für das Sozialsystem im nicht-medizinischen Sektor sanken von 23% des BIP 2013 auf 18,5% 2015 weiter auf 17,8% vor allem wegen der Reduktion von Sozialleistungen besonders im Bereich der Pensionen. Alleinstehende Personen mit Kindern können in Form einer Beihilfe für Alleinerziehende staatlich unterstützt werden. Gezahlt wird diese für Kinder, die jünger als 18 Jahre alt sind (bzw. Studenten unter 23 Jahren). Die Zulage orientiert sich am Existenzminimum für Kinder (entspricht 80% des Existenzminimums für alleinstehende Personen) und dem durchschnittlichen Familieneinkommen. Außerdem existiert eine Hinterbliebenenrente. Der monatlich ausgezahlte Betrag beträgt 50% der Rente des Verstorbenen für eine Person, bei zwei oder mehr Hinterbliebenen werden 100% ausgezahlt. Für Minderjährige gibt es staatliche Unterstützungen in Form von Familienbeihilfen, die an arme Familien vergeben werden. Hinzu kommt ein Zuschuss bei der Geburt oder bei der Adoption eines Kindes sowie die oben erwähnte Beihilfe für Alleinerziehende. Der Geburtszuschuss beträgt ab Mai 2017 46.680 Hrywnja (ca. 1.400 Euro). Der Adoptionszuschuss (der sich nicht nur auf Adoption, sondern auch auf Kinder unter Vormundschaft bezieht) beläuft sich ab Mai 2017 auf bei Kindern von 0-5 Jahren auf monatlich 1.167 Hrywnja (ca. 40€) und für Kinder von 6-18 Jahren auf 1.455 Hrywnja (ca. 50 Euro). Der Mutterschutz beginnt sieben Tage vor der Geburt und endet in der Regel 56 Tage danach. Arbeitende Frauen erhalten in dieser Periode 100% des Lohns. Bis das Kind 3 Jahre alt ist bekommt die Mutter zwischen 130 (ca. 4,5 Euro) und 1.450 Hrywnia (ca. 50 Euro). Eine Vaterschaftskarenz gibt es nicht. Versicherte Erwerbslose erhalten mindestens 975 Hrywnja (ca. 39 Euro) und maximal 4.872 Hryvnja (169 Euro) Arbeitslosengeld pro Monat. Nicht versicherte arbeitslose erhalten mindestens 544 Hryvnja (ca. 19 Euro). Das Arbeitslosengeld setzt sich wie folgt zusammen: mit weniger als zwei Beschäftigungsjahren vor dem Verlust der Arbeit beträgt die Berechnungsgrundlage 50% des durchschnittlichen Verdienstes; bei zwei bis sechs Jahren sind es 55%; bei sieben bis zehn Jahren 60% und bei mehr als zehn Jahren 70% des durchschnittlichen Verdienstes. In den ersten 90 Kalendertagen werden 100% der Berechnungsgrundlage ausbezahlt, in den nächsten 90 Tagen sind es 80%, danach 70%. Die gesetzlich verpflichtende Pensionsversicherung wird durch den Pensionsfonds der Ukraine verwaltet, der sich aus Pflichtbeiträgen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer, aus Budgetmitteln und diversen Sozialversicherungsfonds speist. Arbeitsmigranten können sich freiwillig an diesem Pensionsfonds beteiligen. Spezielle Pensionsschemata existieren u.a. für Öffentlich Bedienstete, Militärpersonal, Richter und verschiedene Berufsgruppen aus der Schwerindustrie. Neben der regulären Alterspension kommen Invaliditäts- und Hinterbliebenenrenten zur Auszahlung. Mit dem am 6. September 2011 im ukrainischen Parlament verabschiedeten "Gesetz zur Pensionsreform" wird sich das ursprüngliche Pensionsantrittsalter für Frauen von 55 Jahren in einem Übergangszeitraum auf das der Männer, welches bei 60 Jahren liegt, angleichen. Private Pensionsvereinbarungen sind seit 2004 gesetzlich möglich. Eine vor allem von internationalen Geldgebern geforderte neue Pensionsreform zur Reduzierung des großen strukturellen Defizits des staatlichen Pensionsfonds ist derzeit in Arbeit und wurde von der Regierung mehrmals versprochen, vorerst jedoch noch nicht angenommen. Im Jahr 2016 belief sich die Durchschnittspension auf 1699,5 Hrywnja (ca. 59 Euro), die Invaliditätsrente auf 1545,2 Hrywnja (ca. 53,5 Euro) und die Hinterbliebenenpension 1640,3 Hrywnja (ca. 57 Euro) . Die meisten Pensionisten sind daher gezwungen weiter zu arbeiten. Die Ukraine hat mit 12 Millionen Pensionisten (entspricht knapp einem Drittel der Gesamtbevölkerung) europaweit eine der höchsten Quoten in diesem Bevölkerungssegment, was sich auch im öffentlichen Haushalt wiederspiegelt: 2009 wurde mit 18% des Bruttoinlandsprodukts der Ukraine, das für Pensionszahlungen aufgewendet wurde, ein Rekordwert erreicht. Zum Stand 2014 sank diese Zahl immerhin auf 17,2%, bleibt jedoch weiterhin exorbitant hoch (ÖB 4.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf , Zugriff 14.7.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
20. Medizinische Versorgung
Die medizinische Versorgung ist der Regel nach kostenlos und flächendeckend. Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen, in denen überlebenswichtige Maßnahmen durchgeführt und chronische, auch innere und psychische Krankheiten behandelt werden können, existieren sowohl in der Hauptstadt Kiew als auch in vielen Gebietszentren des Landes. Landesweit gibt es ausgebildetes und sachkundiges medizinisches Personal. Dennoch ist gelegentlich der Beginn einer Behandlung korruptionsbedingt davon abhängig, dass der Patient einen Betrag im Voraus bezahlt oder Medikamente und Pflegemittel auf eigene Rechnung beschafft. Neben dem öffentlichen Gesundheitswesen sind in den letzten Jahren auch private Krankenhäuser beziehungsweise erwerbswirtschaftlich geführte Abteilungen staatlicher Krankenhäuser gegründet worden. Die Dienstleistungen der privaten Krankenhäuser sind jedoch für den größten Teil der ukrainischen Bevölkerung nicht bezahlbar. Fast alle gebräuchlichen Medikamente werden im Land selbst hergestellt. Die Apotheken führen teilweise auch importierte Arzneien. In den Gebieten Donezk und Lugansk (unter Kontrolle der ukrainischen Regierung) leidet die medizinische Versorgung jedoch unter kriegsbedingten Engpässen: so wurden einige Krankenhäuser beschädigt und/oder verloren wesentliche Teile der Ausrüstung; qualifizierte Ärzte sind nach Westen gezogen. Im Donezker Gebiet gibt es zurzeit keine psychiatrische Betreuung, da das entsprechende Gebietskrankenhaus vollständig zerstört ist. Das Gebietskrankenhaus des Lugansker Gebiets musste sämtliche Ausrüstung zurücklassen und konnte sich nur provisorisch in Rubeschne niederlassen. Eine qualifizierte Versorgung auf sekundärem Niveau (oberhalb der Versorgung in städtischen Krankenhäusern) ist dort zurzeit nicht gegeben (AA 7.2.2017).
Gemäß Verfassung haben ukrainische Bürger kostenlosen Zugang zu einem umfassenden Paket an Gesundheitsdienstleistungen in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen. Es gibt kein beitragsgestütztes staatliches Krankenversicherungsschema. Das System wird durch allgemeine Steuern finanziert, aber es herrscht chronischer Geldmangel (BDA 13.7.2015).
Die öffentlichen Ausgaben für das Gesundheitswesen orientieren sich am Erhalt der Infrastruktur und der Belegschaft der Krankenhäuser, nicht aber an der notwendigen Behandlung. Da in der ukrainischen Verfassung zwar für alle Bürger der freie Zugang zur Gesundheitsfürsorge garantiert ist, jedoch keine spezifischen Verpflichtungen für den Staat und die Krankenhäuser genannt werden bzw. die Verteilung der zugewiesenen Budgetmittel den konkreten Gesundheitseinrichtungen obliegt, ist der Nährboden für Intransparenz und die Notwendigkeit für informelle Zuwendungen durch die Patienten gelegt. Die Patienten müssen somit in der Praxis die meisten Leistungen selbst bezahlen: Behandlungen, Medikamente, selbst das Essen und oft auch das Krankenbett. Patienten, die diese Kosten nicht aufbringen können, werden in der Regel schlecht oder gar nicht behandelt (ÖB 4.2017).
Aufgrund der wirtschaftlichen Lage hat die Regierung mehrere Versuche unternommen, den Umfang der garantierten medizinischen Leistungen einzuschränken. Hierzu wurde es staatlichen Gesundheitseinrichtungen erlaubt für bestimmte nicht lebensnotwendige Leistungen vom Patienten (oder dessen etwaiger privater Krankenversicherung) eine Gebühr zu verlangen. Die Entscheidung, welche Leistungen kostenlos erfolgen, obliegt dem Gesundheitsdienstleister. Dies führte zu mangelnder Transparenz des Systems und zu einer Erhöhung der bereits bestehenden informellen Zahlungen. Es gibt keine klare Linie zwischen kostenlosen und kostenpflichtigen medizinischen Leistungen. Zahlungen aus eigener Tasche machten 2012 42,3% der gesamten Gesundheitsausgaben aus, und sie nehmen in allen Bereichen zu: offizielle Servicegebühren, Medikamente und informelle Zahlungen. Schätzungen zufolge sind zumindest 10% aller Geldflüsse im ukrainischen Gesundheitswesen unter dem Begriff "informelle Zahlungen" zu subsumieren. In der Regel werden derartige Zuwendungen vor der entsprechenden Behandlung geleistet. Die Höhe der Zuwendung bestimmt in der Folge die Qualität und die Schnelligkeit der Behandlung (BDA 13.7.2015; vgl. ÖB 4.2017).
Während die medizinische Versorgung in Notsituationen in den Ballungsräumen als befriedigend bezeichnet werden kann, bietet sich auf dem Land ein differenziertes Bild: jeder zweite Haushalt am Land hat keinen Zugang zu medizinischen Notdiensten. Die hygienischen Bedingungen vor allem in den Gesundheitseinrichtungen am Land sind oftmals schlecht. Aufgrund der niedrigen Gehälter und der starken Motivation gutausgebildeter Mediziner, das Land für bessere Verdienst- und Karrieremöglichkeiten im Ausland zu verlassen, sieht sich das ukrainische Gesundheitssystem mit einer steigenden Überalterung seines Personals und mit einer beginnenden Ausdünnung der Personaldecke, vor allem auf dem Land und in Bereichen der medizinischen Grundversorgung, konfrontiert (ÖB 4.2017).
Medikamente sollten grundsätzlich kostenlos sein, mit der Ausnahme spezieller Verschreibungen im ambulanten Bereich - und selbst hier gibt es gesetzliche Ausnahmen, die Angehörige bestimmter Gruppen und Schwerkranke (Tbc, Krebs, etc.) offiziell von Kosten befreien. In der Realität müssen Patienten die Medikamente aber meist selbst bezahlen. Dies trifft vor allem auf Verschreibungen nach stationärer Aufnahme in Spitälern zu. Viele Ukrainer zögern aus finanziellen Gründen Behandlungen hinaus bzw. verzichten ganz darauf. Andere verkaufen Eigentum oder leihen sich Geld, um eine Behandlung bezahlen zu können (BDA 13.7.2015; vgl. ÖB 4.2017).
Das Budget für den staatlichen Gesundheitssektor deckt z.B. die Behandlungskosten nur für 30% der Patienten mit HIV, für 37% der Patienten mit Tuberkulose, für 9% der Patienten mit Hepatitis, für 66% der Kinder mit Krebserkrankung und für 27% der erwachsenen Patienten mit Hämophilie. Die Finanzierung ist kompliziert, was zu Unterbrechungen und damit zu ernsthaften Risiken für die Patienten führen kann (OHCHR 3.6.2016).
Eine umfangreiche Reform des Gesundheitssystems ist derzeit in Planung bzw. befindet sich in einem sehr frühem Stadium der Umsetzung, schreitet jedoch nur langsam voran. Geplant sind unter anderem Schritte in Richtung einer stärkeren Dezentralisierung, eine gesetzliche Krankenversicherung, stärkere Autonomie von Kliniken, Krankenhäusern und Ärzten usw. (ÖB 4.2017).
Private medizinische Behandlung und private Krankenversicherungen sind vorhanden, vor allem in den urbanen Zentren. Diese sind teuer, die Qualität ist dafür oft höher als in öffentlichen Krankenhäusern. Der Privatsektor ist klein und besteht überwiegend aus Apotheken, stationären und ambulanten Diagnoseeinrichtungen, und privat praktizierenden Ärzten. Beratungsgebühren variieren zwischen 180 UAH (Allgemeinmediziner) und 210 UAH (Spezialist). Private Krankenversicherungen werden üblicherweise von Personen mit gesundheitlichen Problemen abgeschlossen, um die Kosten der Behandlung in Bezug auf Direktzahlungen zu reduzieren, ein höheres Maß an Komfort zu erhalten, oder Wartelisten zu vermeiden. In der Regel sind ältere Menschen (60-70 Jahre) und Personen mit Krebs, Tuberkulose, Diabetes, HIV usw. aber ausgeschlossen. Es gibt auch Krankenfonds, eine Art nicht-kommerzielle private Krankenversicherung, die 2013 1,4% der ukrainischen Bevölkerung umfassten und für ihre Mitglieder die Direktzahlungen bzw. Kosten für Medikamente usw. ganz oder teilweise übernehmen (BDA 13.7.2015).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf , Zugriff 14.7.2017
- BDA - Belgian Immigration Office via MedCOI (13.7.2015): Question Answer, BDA-6152
- OHCHR - UN Office of the High Commissioner for Human Rights (3.6.2016): Report on the human rights situation in Ukraine - 16 February to 15 May 2016,
http://www.ecoi.net/file_upload/1930_1470296708_ukraine-14th-hrmmu-report.pdf , Zugriff 14.7.2017
- ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine
21. Rückkehr
Es sind keine Berichte bekannt, wonach in die Ukraine abgeschobene oder freiwillig zurückgekehrte ukrainische Asylbewerber wegen der Stellung eines Asylantrags im Ausland behelligt worden wären. Um neue Dokumente zu beantragen, müssen sich Rückkehrer an den Ort begeben, an dem sie zuletzt gemeldet waren. Ohne ordnungsgemäße Dokumente können sich - wie bei anderen Personengruppen auch - Schwierigkeiten bei der Wohnungs- und Arbeitssuche oder der Inanspruchnahme des staatlichen Gesundheitswesens ergeben (AA 7.2.2017).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf , Zugriff 14.7.2017
Beweiswürdigung:
Die Identität und Staatsangehörigkeit der BF konnte - wie schon vom BFA - durch die Vorlage von Kopien diverser Dokumente (Geburtsurkunden, Heiratsurkunde und einzelne Seiten ihrer ukrainischen Inlandsreisepässe) festgestellt werden.
An ihrer Volksgruppenzugehörigkeit sowie ihrem Wohnort in der Ukraine haben sich aufgrund ihrer durchgehend gleichbleibenden Angaben vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht keine Zweifel ergeben.
Der Umstand, dass der BF1 sich zum christlich-orthodoxen Glauben bekennt, ergibt sich aus dessen gleichbleibenden Angaben im Verfahren. Die Tatsache, dass die restlichen BF Mitglieder der israelitischen Kultusgemeinde sind, ergibt sich aus den vorgelegten Mitgliedsbestätigungen.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand der BF gründen sich auf die Angaben der BF im Verfahren und die vorgelegten Unterlagen. Bezüglich des BF3 wurden im Verfahren medizinische Unterlagen vorgelegt. Dieser war im August 2017 wegen dem Verdacht einer Blinddarmentzündung in einem Krankenhaus vorstellig, wurde in weiterer Folge aber wieder entlassen. Zudem leidet der BF3 laut dem vorgelegten Schreiben einer Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde/Kinder- und Jugendneuropsychiatrie vom 26.06.2019 an Enuresis nocturna (Bettnässen), weshalb es aus Sicht der Ärztin für den BF3 wichtig sei, in einer vertrauten und bekannten Situation bzw. Umgebung zu bleiben. In dem ärztlichen Schreiben wurde weiters festgehalten, dass alle durchgeführten organischen Untersuchungen des BF3 unauffällig geblieben sind. Medikamente wurden darin nicht verordnet. Da der BF3 schon in der Ukraine deswegen untersucht worden ist und auch in Österreich keine Medikamente, sondern lediglich homöopathische Mittel einnimmt (vgl. S. 22 Verhandlungsprotokoll), ist nicht davon auszugehen, dass der BF3 an derartigen gesundheitlichen Problemen leidet, die einer Rückkehr in die Ukraine entgegenstehen würden.
Der BF1 gab in der mündlichen Verhandlung an, einen Sporn am Fersen zu haben und deshalb Beschwerden beim Gehen zu haben (vgl. S. 12 Verhandlungsprotokoll). Befunde dazu brachte er nicht in Vorlage.
Ansonsten gaben die BF während des Verfahrens stets an, dass es ihnen gesundheitlich gut gehen würde und wurde lediglich in einer Stellungnahme darauf hingewiesen, dass die BF eine psychosoziale Beratung der ESRA bei der israelitischen Kultusgemeinde in Anspruch nehmen würden. Diesbezügliche Bestätigungen oder medizinische Befunde wurden aber nicht in Vorlage gebracht, weshalb auch bei den restlichen BF nicht davon ausgegangen werden kann, dass diese ein schweren oder lebensbedrohlichen gesundheitlichen Problemen leiden, welche einer Rückkehr in die Ukraine entgegenstehen würden.
Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass in den Gebieten der Zentral- und Westukraine (bzw. Kiew) eine ausreichende Gesundheitsversorgung vorhanden ist. Aus den Länderberichten ergibt sich, dass die medizinische Versorgung in der Regel nach kostenlos und flächendeckend ist, wenn auch viele Leistungen bzw. Medikamente selbst bezahlt werden müssen. Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen in denen überlebenswichtige Maßnahmen durchgeführt und chronisch (auch innere und psychische) Krankheiten durchgeführt werden können, existieren sowohl in Kiew, als auch in vielen Gebietszentren. Landesweit gibt es ausgebildetes und sachkundiges Personal. Fast alle gebräuchlichen Medikamente werden im Land selbst hergestellt bzw. führen Apotheken auch importierte Arzneimittel.
Die Feststellungen über die Lebensverhältnisse der BF in ihrem Herkunftsstaat beruhen auf ihren gleichbleibenden Angaben im Asylverfahren.
Die Feststellung, dass die BF über Familienangehörige in der Ukraine verfügen, ergibt sich ebenfalls aus den Angaben der BF im Asylverfahren (insbesondere in der mündlichen Beschwerdeverhandlung).
Die Feststellungen über die allgemeine Lebenssituation der BF in Österreich beruhen auf den Angaben der BF im Verfahren, den vorgelegten Unterlagen sowie den eingeholten aktuellen IZR, GVS und ZMR-Auszügen. Die Feststellung, dass die BF strafgerichtlich unbescholten sind ergibt sich aus dem amtswegig eingeholten Strafregisterauszügen.
Hinsichtlich der von den BF vorgebrachten Fluchtgründe kommt auch der zuständige Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes nach nochmaliger Befragung der erwachsenen BF im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 06.06.2019 zur Überzeugung, dass den BF bei einer Rückkehr in die Ukraine keine aktuelle asylrelevante Verfolgung droht.
Für das Bundesverwaltungsgericht ist nicht glaubwürdig, dass dem BF1
- wegen einer Tätigkeit als Fleischverkäufer zwischen Kiew und XXXX
- vom ukrainischen Staat eine Unterstützung der pro-russischen Seperatisten unterstellt wird bzw. dem BF1 daher eine aktuelle Verfolgungsgefahr oder eine Inhaftierung/Haftstrafe in der Ukraine droht. Weiters ist nicht glaubwürdig, dass der BF1 bzw. die BF2 telefonische Drohungen bekommen haben, der BF1 wegen des Verkaufes von Fleisch von der SBU geladen und einvernommen wurde und in weiterer Folge gegen den BF1 ein Einberufungsbefehl des Militärs sowie ein Haftbefehl erlassen wurde.
In den Angaben des BF1 zu seinen Fluchtgründen fällt zunächst auf, dass der BF1 diese in seiner niederschriftlichen Einvernahme massiv steigerte.
So sprach der BF1 in seiner Erstbefragung am 18.08.2015 lediglich davon, dass die ukrainische Regierung gegen ihn - als Helfer einer terroristischen Organisation (Separatisten) - ein Strafverfahren eröffnet habe bzw. es gegen ihn einen Haftbefehl gebe (vgl. AS 19 im Akt des BF1), während er seine Fluchtgründe in der niederschriftlichen Einvernahme am 07.09.2017 steigerte und erstmals auch ausführte, dass es telefonische Drohungen gegen ihn und seine Frau gegeben habe, er im Juni 2015 eine Ladung zur Miliz bekommen habe, er dann in die Milizabteilung gegangen, dort festgehalten, geschlagen, bedroht und schließlich wieder freigelassen worden wäre. Weiters habe er auch einen Einberufungsbefehl zum Wehrdienst bekommen und sei dann mit seiner Familie nach Griechenland gereist. Dort habe er per Telefon von seinem Vater erfahren, dass nach ihm gesucht werde und bereits ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet worden sei, wonach er bei den Separatisten mitgeholfen habe. Weiters habe er erfahren, dass seine Wohnung ausgeraubt worden sei (vgl. AS 78 und 79 im Akt des BF1).
Auch die BF2 erwähnte in ihrer Erstbefragung die Festhaltung ihres Mannes, die telefonischen Bedrohungen oder den Raub in ihrer Wohnung mit keinem einzigen Wort, sondern sprach nur davon, sich auf die Fluchtgründe ihres Mannes zu beziehen bzw. man auf die ganze Familie Druck ausüben könne (vgl. AS 19 im Akt der BF2).
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass die Erstbefragung insbesondere der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden dienen soll und sich nicht auf die näheren Fluchtgründe zu beziehen hat, dennoch ist von einem Asylwerber aber zu erwarten, dass er zumindest die Eckpunkte seiner Fluchtgeschichte gleichbleibend im Verfahren schildert. Im vorliegenden Fall hat der BF1 aber sein Fluchtvorbringen erheblich gesteigert und erst in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA von den telefonischen Drohungen gegen ihn und seine Frau, die Ladung bzw. die Einvernahme, dem Einberufungsbefehl zum Wehrdienst und dem Raub in ihrer Wohnung berichtetet. Da der BF1 aber auch von körperlichen Schlägen bzw. mündlichen Drohungen seitens der SBU - somit von traumatischen Erlebnissen - sprach, wäre jedenfalls zu erwarten gewesen, dass der BF1 diese einschneidenden Geschehnisse schon in der Erstbefragung kurz zur Sprache bringt. Diesbezüglich wäre auch von der BF2 zu erwarten gewesen, dass diese die ihr gegenüber ausgesprochenen telefonischen Bedrohungen schon in der Erstbefragung erwähnt, zumal es sich dabei um die einzigen direkt gegen sie gerichteten Bedrohungen gehandelt hat und diese der BF2 somit vorrangig im Gedächtnis geblieben sein müssen.
Weiters waren aber auch die Angaben des BF1 und der BF2 zum kausalen Ausreisegrund bzw. zur Ausstellung ihrer Reisepässe massiv widersprüchlich.
So schilderte der BF1 in seiner Erstbefragung, sie hätten in Griechenland in einem Hotel gewohnt und hätten sie zuerst wieder von dort nach Hause gewollt, aber auf Grund der Situation in der Ukraine hätten sie dann beschlossen nach Österreich zu reisen und nicht mehr nach Hause zurückzukehren (vgl. AS 17 im Akt des BF1).
In der niederschriftlichen Einvernahme schilderte der BF1 dann wiederum, dass der kausale Grund für die Ausreise die Ladung zur Polizei - als er dort Tag und Nacht verbracht habe - gewesen sei (11.06.2015). Als weiteren Grund nannte er die Ausstellung des Haftbefehls und den Raub in der Wohnung (vgl. AS 81 im Akt des BF1).
Auch die BF2 nannte in ihrer niederschriftlichen Einvernahme als kausalen Grund für die Ausreise an erster Stelle die Festnahme ihres Mannes bzw. danach den Umstand, dass sie Telefonanrufe mit Bedrohungen für die ganze Familie bekommen hätten. Da hätten sie verstanden, dass es keinen Schutz für sie in der Ukraine gebe. Hinzu komme noch die Einberufung zum Bundesheer (vgl. AS 173 im Akt der BF2).
In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sprach der BF1 dann anfangs davon, dass er und seine Frau in den folgenden Tagen nach der Einvernahme am 11.06.2015 versucht hätten, eine geeignete Vorgangsweise zu finden, um damit zurechtzukommen. Sie hätten dann gemeinsam den Entschluss gefasst, hätten für alle Familienmitglieder Pässe ausstellen lassen und eine Firma für die Ausstellung der Visa finden müssen. Sie hätten dann ein Touristenvisum bekommen (vgl. S. 8 Verhandlungsprotokoll).
Nach Vorhalt seiner Angaben in der Erstbefragung, versuchte der BF1 dies dadurch zu erklären, indem er ausführte, sie hätten sich mehrere Varianten durchgedacht und hätten dann beschlossen nach Österreich zu gehen. Als sie erfahren hätten, dass man nach ihm suche, hätten seine Frau und er gemeinsam entschlossen nicht zurückzukehren, sondern nach Österreich zu fahren (vgl. S. 8 und 9 Verhandlungsprotokoll).
Diese Angaben des BF1 stehen allerdings mit den Ausstellungdaten der Reisepässe der BF im Widerspruch, denn aus diesen geht eindeutig hervor, dass die Reisepässe am 09.06.2015 - sohin schon vor der angeblichen Einvernahme des BF1 - ausgestellt wurden. (vgl. Kopie der Reisepässe AS 25 im Akt des BF1 und AS 23 im Akt der BF2).
Nach diesbezüglichem Vorhalt des Richters, versuchte der BF1 dies dadurch zu erklären, indem er ausführte, er habe das doppelte bezahlt, damit man den Pass rückdatiert ausgestellt habe und habe er - um das Visum zu bekommen - den Pass schon mindestens zwei Wochen haben müssen (vgl. S. 10 Verhandlungsprotokoll).
In auffälliger Weise tätigte auch die BF2 zu den Reisepässen bzw. deren Ausstellungdaten völlig widersprüchliche Angaben. So bestätigte sie nach Befragung in der mündlichen Verhandlung zum Ausstellungsdatum der Reisepässe, dass (auf der vorgelegten Kopie ihres Reisepasses) der 09.06.2015 stehe, sie dies aber früher unterschrieben habe. Das Blatt werde laminiert und deshalb unterschreibe man früher. Sie hätten ungefähr eine Woche vor dem 09.06.2015 beim Passamt unterschrieben (vgl. S. 18 Verhandlungsprotokoll). Nach dem Grund befragt, warum sie eine Woche vor dem 09.06.2015 für die ganze Familie Reisepässe beantragt habe, gab die BF2 an: "Ja, mein Mann hatte Probleme bekommen." Die Frage des Richters, ob es so gewesen sei, dass der BF1 Probleme bekommen habe und sie dann die Reisepässe beantragt habe, bejahte die BF2 (vgl. S. 18 Verhandlungsprotokoll).
Nach konkretem Vorhalt des Richters, weshalb die Reisepässe am 09.06.2015 ausgestellt worden seien, wenn der BF1 aber davon spreche, dass der Vorfall auf der Polizeistation erst am 11.06.2015 gewesen sei, gab die BF2 überhaupt nur lapidar an: "Die Pässe haben wir vorbereitet und die Reisedokumente haben wir danach bestellt."
Nach nochmaligem Vorhalt des Richters, dass der BF1 gesagt habe, er habe am 11.06.2015 den Termin bei der Polizei in XXXX gehabt und es daher nicht verständlich sei, weshalb die BF schon zwei Tage vor diesem Vorfall einen Reisepass ausgestellt habe, konnte die BF2 darauf gar keine Antwort geben, sondern blickte sie nur fragend zum Richter. Auch nach weiterem Vorhalt des Richters, wonach sie am 09.06.2015 den Reisepass spätestens erhalten habe und sie an diesem Tag noch nicht wissen habe können, dass ihr Mann zwei Tage später bei der Polizei in XXXX vom Geheimdienst unter Druck gesetzt werde, versuchte die BF2 dies dann - völlig unglaubwürdig - dadurch zu erklären, indem sie plötzlich angab, dass der BF1 bereits im Mai angerufen worden wäre, ganz nervös gewesen sei und sie schon damals beschlossen hätten sich die Pässe ausstellen zu lassen, da sie ohnehin auf Urlaub fahren hätten wollen. Ihr Pass sei abgelaufen gewesen, die Kinder hätten überhaupt keine Pässe gehabt. Vielleicht habe er ein Vorgefühl gehabt, dass irgendwas passieren könne und hätten sie vielleicht deshalb die Reisepässe beantragt (vgl. S. 20 Verhandlungsprotokoll).
Für den erkennenden Richter war weiters auch nicht nachvollziehbar, weshalb der BF1 zwar angab, dass er bei der Einvernahme der SBU in die Niere geschlagen worden wäre, er allfällige Verletzungen aber nicht medizinisch in einem Krankenhaus dokumentieren hat lassen. Seine diesbezügliche Rechtfertigung in der niederschriftlichen Einvernahme, wonach er diese nicht besorgt habe, weil er nicht gewusst habe, wem er diese vorlegen solle (vgl. AS 82 im Akt des BF1) vermochte jedenfalls nicht zu überzeugen.
Auch die Angaben des BF1 betreffend die vorgelegte Ladung waren völlig widersprüchlich und kann aufgrund des fehlenden Empfangsdatums auch nicht davon ausgegangen werden, dass diese Ladung echt ist.
Vor dem BFA gab der BF1 dazu an, er habe eine Ladung bekommen, dass er zur Miliz gehen müsse um eine Zeugenaussage zu machen (vgl. AS 81 im Akt des BF1), während auf der vorgelegten Ladung (Übersetzung AS 98 im Akt des BF1) aber als Zweck "Datenprüfung, medizinische Untersuchung" vermerkt ist.
Aber auch in der mündlichen Verhandlung konnte der BF1 in auffälliger Weise keine plausiblen Angaben zu dieser Ladung machen. Befragt, wann er diese Ladung zur Militärbehörde bekommen habe, gab der BF1 anfangs überhaupt an, dass dies "der Einberufungsbefehl, nicht die Musterung" gewesen sei. Als der Richter dem BF1 die Ladung (AS 97 im Akt des BF1) in der Verhandlung vorzeigte, gab dieser dann an "Hier steht nichts von einer medizinischen Untersuchung, woher soll ich das dann wissen". Als der Richter dem BF1 dann die Übersetzung der Ladung (AS 98 im Akt des BF1) vorzeigte und den BF1 befragte, wann er dies bekommen habe, gab der BF1 überhaupt nur lapidar an: "Das wurde in den Postkasten geworfen". Der BF1 konnte dem erkennenden Richter in der Verhandlung in weiterer Folge auch nicht erklären, weshalb die vorgelegte Ladung kein Empfangsdatum enthält, sondern versuchte er dies lediglich auf die Kampfhandlungen in der Ukraine im Jahr 2014 zurückzuführen (vgl. S. 9 Verhandlungsprotokoll).
Gegen Ende der mündlichen Verhandlung wurde der BF1 dann nochmal von seinem Rechtsvertreter zur Ladung zur Polizei befragt, wobei der BF1 dazu anfangs wiederum ausführte, dass dies ein Haftbefehl gewesen sei. Erst als der Rechtsvertreter dann angab, dass er von der Zeit vor der Anhaltung bei der Polizei spreche, gab der BF1 dann an, er habe sich gedacht, als Zeuge geladen zu sein, weil man Erklärungen brauche und habe zuerst nicht verstanden, warum man ihn vorlade. Er habe sich überhaupt nichts zum Zwecke der Ladung vorgestellt und als er dann hingekommen sei und man ihn beschuldigt habe Separatisten zu unterstützen, sei das ein Schock für ihn gewesen (vgl. S. 14 und 15 Verhandlungsprotokoll). Auf die Frage des Richters, was aus der Ladung geworden sei, gab der BF1 dann an: "Ich legte die Ladung der Polizei vor, als ich hinkam, sie wurde mir dann abgenommen" (vgl. S. 15 Verhandlungsprotokoll).
Ebenso haben sich hinsichtlich der angeblichen Drohanrufe Ungereimtheiten bzw. Widersprüche in den Angaben des BF1 und der BF2 ergeben.
Der BF1 gab in seiner niederschriftlichen Einvernahme an, seine Frau sei vielleicht einmal am Festnetz und einmal am Mobiltelefon angerufen worden (vgl. AS 80 im Akt des BF1), während die BF2 in ihrer Einvernahme vor dem BFA davon sprach, dass man sie persönlich zwei oder drei Mal erwischt habe, sie aber versucht habe nicht abzuheben (vgl. AS 170 im Akt der BF2). Die BF2 konnte aber - in auffälliger Weise - auch kein genaues Datum angeben, an dem die Anrufe gekommen sind, sondern gab sie zunächst an, dies nicht zu wissen, da es schon zwei Jahre her sei. Auf Nachfrage des BFA führte sie lediglich vage aus, die Anrufe seien nach der Festnahme ihres Mannes gewesen. Es sei Juni, Juli gewesen (vgl. AS. 170 im Akt der BF2).
Auch die in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgelegte "Zeugenaussage" bzw. "Erklärung" des Vaters des BF1 betreffend die Vorfälle im Juli 2015 (wo man beim Vater nach dem BF1 gesucht habe bzw. den Haftbefehl vorgezeigt habe) bei einem ukrainischen Anwalt vermochte den erkennenden Richter nicht von der Glaubwürdigkeit der Fluchtgründe des BF1 zu überzeugen. Es ist nicht verständlich, weshalb der BF1 dieses Schreiben erst in der mündlichen Verhandlung im Jahr 2019 - sohin vier Jahre nach seiner Asylantragstellung - in Vorlage bringen kann und wäre auch zu erwarten, dass der BF1 seine Verwandten in der Ukraine bittet - allenfalls mit anwaltlicher Hilfe - Einsicht in den angeblich seit 2015 bestehenden Haftbefehl zu nehmen und er eine Kopie dieses Haftbefehls an das erkennende Gericht übermitteln kann oder er mit Hilfe eines Anwaltes den Haftbefehl zu bekämpfen versucht. Der BF1 konnte nach diesbezüglichem Vorhalt des Richters auch keine konkrete Erklärung dafür abliefern, sondern gab er anfangs nur die ausweichenden Antworten, in der Ukraine keinen Rechtsanwalt zu haben bzw. er dies nicht ganz verstanden habe (vgl. S. 4 und 5 Verhandlungsprotokoll). Nach nochmaligem Vorhalt des Richters gab er dann schließlich - völlig unglaubwürdig - an, mit seinem Vater darüber gesprochen zu haben, dieser einen Anwalt beauftragt habe, aber die ganzen Bemühungen des Anwalts beim Geheimdienst erfolglos geblieben seien. Auch die Suche nach den Mitarbeitern der Behörde sei erfolglos geblieben. Auf Nachfrage nach dem Namen des Anwalts, konnte der BF1 diesen - in auffälliger Weise - nicht nennen, sondern gab er nur an, dies nicht zu wissen, da dieser ja der Rechtsanwalt des Vaters und nicht seiner gewesen sei. Dieser habe Anfragen geschickt, die ohne Antworten geblieben seien (vgl. S. 5 Verhandlungsprotokoll).
Aufgrund dieser massiv aufgetretenen Ungereimtheiten und Widersprüche war auch das gleichfalls in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Schreiben des Bruders des BF1, wonach dieser im April 2019 angeblich von Mitarbeiterin der SBU aufgesucht worden wäre und sie nach dem BF1 gefragt bzw. nach ihm gesucht hätten völlig unglaubwürdig. Das erkennende Gericht geht davon aus, dass der BF1 mit Vorlage dieses Schreibens seinen Fluchtgründen einen aktuellen Aspekt hinzufügen wollte.
Der BF1 konnte dem erkennenden Richter in der mündlichen Verhandlung aber nicht einmal seine genaue Tätigkeit betreffend seine angeblichen Fleischlieferungen in die Ostukraine erklären, sondern gab er danach befragt anfangs lediglich vage an: "Ich war der Organisator dieser Lieferungen" (vgl. S. 5 Verhandlungsprotokoll). Erst nach mehreren Aufforderungen des Richters, er solle erzählen, was konkret sein Beitrag in den Jahren 2014 und 2015 betreffend die Fleischtransporte gewesen sei, führte er dann aus, er habe Verhandlungen mit mehreren Direktoren von Schweinezuchtbetrieben geführt und das Fleisch dann nach XXXX weiterverkauft. Nach weiterer Befragung des Richters, gab er dann - im Widerspruch zu seinen bisherigen Angaben - an, es sei im September 2015 das erste Auto mit 10 Tonnen losgefahren, wobei er dieses Datum erst nach Vorhalt des Richters auf das Jahr 2014 ausbesserte (vgl. S. 6 Verhandlungsprotokoll).
Weiters war für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar, weshalb der BF1 keine Beweismittel betreffend die Fleischtransporte (etwa Rechnungen, Kontoauszüge mit Abbuchungen/Überweisungen etc.) in Vorlage bringen konnte und versuchte dies der BF1 auch lediglich auf den Raub in seiner Wohnung zurückzuführen.
Diesbezüglich ist weiters auch nicht nachvollziehbar, weshalb der BF1 keinen Beweis betreffend den Raub in seiner Wohnung vorlegen konnte bzw. der Vater oder der BF1 deswegen keine Anzeige bei der Polizei gemacht haben. Befragt, warum es keine Anzeige gegeben habe, gab der BF1 auch lediglich an, Angst gehabt zu haben, weil man sich nicht vorstellen könne, zu was die Leute sonst noch fähig seien (vgl. S. 7 Verhandlungsprotokoll).
Ebenso konnte die BF2 in der mündlichen Verhandlung - selbst nach mehrfacher Nachfrage durch den Richter - nur auffallend vage und ungenaue Angaben zur Tätigkeit des BF1 in den Jahren vor der Ausreise machen (vgl. S. 16 und 17 Verhandlungsprotokoll).
Letztlich war für den erkennenden Richter auch nicht logisch nachvollziehbar, weshalb der BF1 als Lieferant von Lebensmitteln über den Geheimdienst bedroht werden soll, zumal das Gebiet um XXXX zur damaligen Zeit ohnehin abgeriegelt war und naheliegender wäre, wenn ukrainische Soldaten einem LKW mit einer Lebensmittellieferung vor Ort die Durchfahrt verweigern und den Lenker so zur Umkehr bewegen können.
Selbst wenn der BF1 tatsächlich Fleischlieferungen zwischen Kiew und XXXX organisiert hat bzw. eine Ladung zur Militärbehörde erhalten hat, ist dennoch nicht davon auszugehen, dass dem BF1 deswegen eine aktuelle Verfolgungsgefahr/Inhaftierung in der Ukraine droht bzw. gegen ihn ein Haftbefehl besteht, zumal sich der BF1 selbst nie an Kampfhandlungen beteiligte und auch keine militärische Funktion innehatte.
Soweit der BF1 in seiner Einvernahme vor dem BFA vorbrachte, dass sein Bruder in der Ukraine politisch tätig sei bzw. Mitglied einer politischen Partei sei, er aber nicht sagen wolle, bei welcher Partei er tätig sei (vgl. AS 83 im Akt des BF1) und auch die BF2 in ihrer Einvernahme angab, dass der Bruder ihres Mannes in der Politik tätig sei, sie aber nicht wisse, welche Position dieser innehabe bzw. dieser ein Mandat irgendeiner Partei innehabe, sie genaueres aber nicht wisse (vgl. AS 170 im Akt der BF2); so haben die BF durch dieses Vorbringen keinen Sachverhalt aufgezeigt, welcher die Gewährung internationalen Schutzes erforderlich werden ließe.
Wenn in der Stellungnahme vom 27.06.2019 vorgebracht wurde, dass die BF2 befürchte, dass sie oder der BF3 von ihrem Ex-Mann (leiblichem Vaters des BF3) in der Ukraine ausgesucht und bedrängt werden würden, so ist darauf hinzuweisen, dass sich die BF2 im Falle dessen an die ukrainischen Behörden wenden kann und polizeiliche Hilfe in Anspruch nehmen kann. Eine aktuelle Verfolgungsgefahr kann aus diesen Angaben jedenfalls nicht abgleitet werden.
Auch wenn die BF2-BF5 in Österreich Mitglieder der israelitischen Kultusgemeinde sind, so kann auch daraus keine asylrelevante Verfolgung abgeleitet werden und geht aus den Länderfeststellungen eindeutig hervor, dass die Religionsfreiheit in der ukrainischen Verfassung festgeschrieben ist.
Die Feststellungen zur Situation in der Ukraine beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand 24.04.2019) sowie den in der mündlichen Verhandlung sowie dem in der mündlichen Verhandlung erörterten Bericht des Auswärtigen Amtes Berlin zur Ukraine vom 22.02.2019 und den dort angeführten Quellen. Bei den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender Institutionen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in der Ukraine ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln. Des Weiteren ist darauf zu verweisen, dass die vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Quellen nach wie vor aktuell bzw. mit späteren Quellen inhaltlich deckungsgleich bzw. zum Teil sogar nahezu wortident sind.
Die BF haben vor ihrer Ausreise nach Europa in der Hauptstadt XXXX gelebt. Aus den Länderfeststellungen ist nicht zu entnehmen, dass im Gebiet um XXXX eine Verschlechterung der Sicherheitslage eingetreten wäre bzw. Kiew unmittelbar von den Konflikten in der Ostukraine betroffen wäre.
Eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der BF, einem Ehepaar mit drei minderjährigen Kindern, infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist trotz der derzeitigen Zustände in Regionen der Ostukraine nicht anzunehmen, weil die BF in XXXX gelebt haben. Es halten sich sowohl die Eltern, der Bruder sowie ein Sohn des BF und die Schwester der BF2 in der Ukraine auf.
Wie bereits erwähnt, haben die BF im Herkunftsstaat keine asylrelevante Verfolgung zu befürchten und auch nicht in der Vergangenheit zu befürchten gehabt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zuständigkeit, Entscheidung durch Einzelrichter:
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.
Anzuwendendes Verfahrensrecht:
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl. 51/1991 (AVG) mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung BGBl. Nr. 194/1961 (BAO), des Agrarverfahrensgesetzes BGBl. Nr. 173/1950 (AgrVG), und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 BGBl. Nr. 29/1984 (DVG), und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG (Bundesgesetz, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden, BFA-Verfahrensgesetz, BFA-VG), BGBl I 87/2012 idF BGBl I 144/2013 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.
Gemäß §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Zu A)
Asyl:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 hat die Behörde einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Flüchtling iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH v. 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; VwGH v. 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH v. 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde.
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH v. 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; VwGH v. 25.01.2001, Zl. 2001/20/011). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH v. 26.02.1997, Zl. 95/01/0454; VwGH v. 09.04.1997, Zl. 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH v. 18.04.1996, Zl. 95/20/0239; vgl. auch VwGH v. 16.02.2000, Zl. 99/01/097), sondern erfordert eine Prognose.
Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH v. 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH v. 09.09.1993, Zl. 93/01/0284; VwGH v. 15.03.2001, Zl. 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorherigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH v. 16.06.1994, Zl. 94/19/0183; VwGH v. 18.02.1999, Zl. 98/20/0468). Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH v. 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; VwGH v. 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).
Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. zB VwGH 24.3.1999, 98/01/0352 mwN; 15.3.2001, 99/20/0036; 15.3.2001, 99/20/0134). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/20/0539).
Eine Verfolgung, dh. ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen, kann nur dann asylrelevant sein, wenn sie aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen (Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung) erfolgt, und zwar sowohl bei einer unmittelbar von staatlichen Organen ausgehenden Verfolgung als auch bei einer solchen, die von Privatpersonen ausgeht (VwGH vom 27.01.2000, 99/20/0519, VwGH vom 22.03.2000, 99/01/0256, VwGH vom 04.05.2000, 99/20/0177, VwGH vom 08.06.2000, 99/20/0203, VwGH vom 21.09.2000, 2000/20/0291, VwGH vom 07.09.2000, 2000/01/0153, u.a.).
Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).
Eine Bürgerkriegssituation (bzw. die eines sonstigen bewaffneten Konfliktes) in der Heimat des Antragstellers schließt eine aus asylrechtlich relevanten Gründen drohende Verfolgung zwar nicht generell aus. Der Antragsteller muss in diesem Zusammenhang jedoch behaupten und glaubhaft machen, dass die Ereignisse in seiner Heimat, die zu seiner Flucht geführt haben, als eine individuell gegen seine Person aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität etc. gerichtete Verfolgung zu werten wären und nicht als mehr oder weniger zufällige Folge im Zuge der Bürgerkriegshandlungen (VwGH 8.7.2000, 99/20/0203).
Um asylrelevante Verfolgung vor dem Hintergrund einer Bürgerkriegssituation erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten eines Bürgerkrieges hinausgeht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
Aus den Gesamtangaben der BF ist nicht ableitbar, dass sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt bzw. in Zukunft im Herkunftsstaat Ukraine konkrete Verfolgungsmaßnahmen von gewisser Intensität zu befürchten hätte. Eine an asylrelevanten Merkmalen anknüpfende Verfolgung haben die BF nicht vorgetragen und kann eine individuelle Verfolgung aus ihren Angaben nicht abgeleitet werden.
Dass der BF 1 eine allfällige Einberufung zum Militärdienst aus asylrelevanten Gründen ablehnen würde bzw. er überhaupt angesichts der Länderfeststellungen Bedenken haben müsste, aus asylrelevanten Gründen nicht Teil der Streitkräfte der Ukraine sein zu wollen, lässt sich nicht erkennen. Ernsthafte und echte Gewissensgründe liegen nicht vor, es gibt auch keine Hinweise, dass der BF1 sich bei - unwahrscheinlicher - Ableistung des Wehrdienstes an Kriegsverbrechen etc. beteiligen müsste (vgl. dazu VwGH vom 23.01.2018, Ra 2017/18/0330).
Den BF ist es sohin nicht gelungen, eine Furcht vor Verfolgung aus den Gründen, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannt sind, darzulegen. Für die BF war dementsprechend auch keine Furcht vor Verfolgung aus den Gründen, die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannt sind, fassbar.
Daher war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides abzuweisen.
Subsidiärer Schutz:
Wird einem Fremden der Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt, hat die Behörde von Amts wegen zu prüfen, ob dem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist.
§ 8 Abs. 3 iVm. § 11 Abs. 1 AsylG 2005 beschränkt den Prüfungsrahmen auf den Teil des Herkunftsstaates des Antragstellers, in dem für den Antragsteller keine begründete Furcht vor Verfolgung und keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht. Gemäß § 1 Abs. 1 Z 17 AsylG ist unter dem Herkunftsstaat der Staat zu verstehen, dessen Staatsangehörigkeit der Fremde besitzt oder im Falle der Staatenlosigkeit, der Staat seines früheren gewöhnlichen Aufenthaltes.
Wird der Antrag auf internationalen Schutz eines Fremden in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, ordnet § 8 Abs. 1 AsylG 2005 an, dass dem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist, wenn eine mögliche Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat für ihn eine reale Gefahr einer Verletzung in seinem Recht auf Leben (Art. 2 EMRK iVm den Protokollen Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe) oder eine Verletzung in seinem Recht auf Schutz vor Folter oder unmenschlicher Behandlung oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (Art. 3 EMRK) oder für den Fremden als Zivilperson eine reale Gefahr einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit seiner Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes mit sich bringen würde.
Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. etwa VwGH vom 19.02.2004, Zl. 99/20/0573, mwN auf die Judikatur des EGMR). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus.
Nach der Judikatur des EGMR obliegt es der betroffenen Person, die eine Verletzung von Art. 3 EMRK im Falle einer Abschiebung behauptet, so weit als möglich Informationen vorzulegen, die den innerstaatlichen Behörden und dem Gerichtshof eine Bewertung der mit einer Abschiebung verbundenen Gefahr erlauben (vgl. EGMR vom 05.07.2005 in Said gg. die Niederlande). Bezüglich der Berufung auf eine allgemeine Gefahrensituation im Heimatstaat, hat die betroffene Person auch darzulegen, dass ihre Situation schlechter sei, als jene der übrigen Bewohner des Staates (vgl. EGMR vom 26.07.2005 N. gg. Finnland).
Das Vorliegen eines tatsächlichen Risikos ist von der Behörde im Zeitpunkt der Entscheidung zu prüfen (vgl. EGMR vom 15.11.1996 in Chahal gg. Vereinigtes Königsreich).
Gemäß der Judikatur des VwGH erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH vom 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, Zl. 2005/20/0095). Dabei kann bei der Prüfung von außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegender Gegebenheiten nur dann in der Außerlandesschaffung des Antragsstellers eine Verletzung des Art. 3 EMRK liegen, wenn außergewöhnliche, exzeptionelle Umstände, glaubhaft gemacht sind (vgl. EGMR, Urteil vom 06.02.2001, Beschwerde Nr. 44599/98, Bensaid v United Kingdom; VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Ob die Verwirklichung der im Zielstaat drohenden Gefahren eine Verletzung des Art. 3 EMRK durch den Zielstaat bedeuten würde, ist nach der Rechtsprechung des EGMR nicht entscheidend.
Das Bundesverwaltungsgericht hat somit zu klären, ob im Falle der Verbringung des Asylwerbers in sein Heimatland Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter) oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung der relevanten Rechtsgüter glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (vgl. VwGH vom 26.06.1997, Zl. 95/18/1291). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann.
Die Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen, die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen.
Den Fremden trifft somit eine Mitwirkungspflicht, von sich aus das für eine Beurteilung der allfälligen Unzulässigkeit der Abschiebung wesentliche Tatsachenvorbringen zu erstatten und dieses zumindest glaubhaft zu machen. Hinsichtlich der Glaubhaftmachung des Vorliegens einer derartigen Gefahr ist es erforderlich, dass der Fremde die für diese ihm drohende Behandlung oder Verfolgung sprechenden Gründe konkret und in sich stimmig schildert und, dass diese Gründe objektivierbar sind.
Weder aus den Angaben der BF zu den Gründen, die für die Ausreise aus dem Herkunftsstaat maßgeblich gewesen sein sollen, noch aus den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens ist im konkreten Fall ersichtlich, dass jene gemäß der Judikatur des EGMR geforderte Exzeptionalität der Umstände vorliegen würde, um die Außerlandesschaffung eines Fremden im Hinblick auf außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegende Gegebenheiten im Zielstaat im Widerspruch zu Art. 3 EMRK erscheinen zu lassen (VwGH vom 21.8.2001, Zl. 2000/01/0443).
Ausgehend von den dargestellten allgemeinen Länderberichten zum Herkunftsstaat besteht kein Grund davon auszugehen, dass jeder zurückgekehrte Staatsangehörige der Ukraine einer reellen Gefahr einer Gefährdung gemäß Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre.
Eine völlige Perspektivenlosigkeit für die gesunden BF für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat kann somit schlichtweg nicht erkannt werden. Wie bereits oben dargelegt, haben die BF in der Hauptstadt XXXX gelebt und haben der BF1-BF3 den überwiegenden Teil ihres Lebens dort verbracht. Sie stammen somit aus einem Gebiet, welches von den Konflikten in der Ostukraine nicht unmittelbar betroffen ist. Den BF ist es zumutbar in die Hauptstadt XXXX zurückzukehren.
Der BF1 ist in Deutschland geboren und lebte bzw. studierte auch in der Ostukraine, die Jahre vor seiner Ausreise lebte er mit seiner Familie in der Hauptstadt XXXX in einer Eigentumswohnung. Die BF2-BF5 sind in XXXX geboren. Die erwachsenen BF haben in der Ukraine die Schule/Universität abgeschlossen und dort auch Berufserfahrung gesammelt. Der BF1 hat Landwirtschaft bzw. Maschinenbau studiert und im Landwirtschaftssektor als Händler gearbeitet. Die BF2 hat eine Landwirtschaftshochschule, eine Finanzfakultät und eine Sporthochschule besucht, sie hat zuletzt als Direktionsassistentin gearbeitet. Sie ist ausgebildete Fitness-/Eiskunstlauftrainerin. Aufgrund der Arbeitswilligkeit und -fähigkeit, dem Bildungsgrad und der Berufserfahrung von BF1 und BF2 ist davon auszugehen, dass sie in der Ukraine - wie in der Vergangenheit - den Lebensunterhalt für die Angehörigen ihrer Kernfamilie durch eigene und notfalls auch wenig attraktive Arbeit bestreiten können werden. Zu den regelmäßig zumutbaren Arbeiten gehören dabei auch Tätigkeiten, für die es keine oder wenig Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen, etwa weil sie keine besonderen Fähigkeiten erfordern und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, auch soweit diese Arbeiten im Bereich einer Schatten- oder Nischenwirtschaft stattfinden. Der BF1 und die BF2 sprechen sowohl die ukrainische als auch die russische Sprache und sind mit den herrschenden Gepflogenheiten in der Ukraine vertraut. Weiters leben mehrere Verwandte der BF (Eltern, Bruder und ein Sohn aus erster Ehe des BF1 sowie die Schwester der BF2) in der Ukraine, welche den BF unterstützend zur Seite stehen können. Die BF verfügen darüber hinaus in XXXX über eine Eigentumswohnung. Der BF1 und die BF2 sind aufgrund ihres Alters und Gesundheitszustandes zu einer Teilnahme am Erwerbsleben fähig, überdies stünde ihnen als ukrainische Staatsbürger Zugang zu staatlichen Unterstützungsleistungen offen. Der vierzehnjährige BF3 wurde in der Ukraine geboren und hat seine Sozialisation dort begonnen. Er hat in der Ukraine schon die Schule besucht und spricht Russisch. Ein weiterer Schulbesuch wäre für den BF3 in XXXX möglich. Die siebenjährige BF4 ist in einem anpassungsfähigen Alter, sie wurde in der Ukraine geboren und ist als Kleinkind mit etwa drei Jahren nach Österreich gekommen. Die fünfjährige BF5 ist ebenfalls in einem anpassungsfähigen Alter, ist in XXXX geboren und war bei der Reise nach Österreich noch nicht einmal ein Jahr alt. Es ist auch der minderjährigen BF4 und BF5 zumutbar in XXXX die Schule bzw. den Kindergarten zu besuchen. Auch die BF4 und die BF5 sprechen die russische Sprache.
Den BF wird eine behördliche Registrierung infolge ihrer Rückkehr möglich sein, sodass ihnen - falls nötig- auch Zugang zu staatlichen Gesundheits- und Sozialleistungen offensteht. In der Hauptstadt XXXX ist - wie bereits oben ausführlich dargelegt - eine ausreichende Gesundheitsversorgung bzw. Medikamente vorhanden.
Auch der gesundheitliche Zustand der BF rechtfertigt im Hinblick auf den strengen Maßstab der Judikatur die Gewährung von subsidiärem Schutz nicht, zumal im Verfahren eine lebensbedrohliche Erkrankung der BF nicht hervorgekommen ist. In diesem Zusammenhang hat nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR und des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder suizidgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland (einer Abschiebung oder Überstellung) nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. den hg. Beschluss vom 21. Februar 2017, Ra 2017/18/0008 und 0009, mit Hinweis auf das Urteil des EGMR vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 183 und 189 ff).
Für eine akute lebensbedrohende Krankheit der BF, welche eine Überstellung in die Ukraine gemäß der dargestellten Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte verbieten würde, liegen im konkreten Fall aus der Aktenlage heraus keine Hinweise vor. Im Hinblick auf den Gesundheitszustand der BF ist festzuhalten, dass es sich dabei - wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt - weder um eine schwere, noch lebensbedrohliche Erkrankung handelt, sodass die BF keiner akuten Behandlungsbedürftigkeit in Österreich unterliegen. Auch wurde nicht hinreichend konkret dargelegt, dass sich der Gesundheitszustand der BF (insbesondere des BF3) im Falle einer Überstellung derartig verschlechtern würde, sodass eine Überstellung iSd o.a. Judikatur als unzulässig anzusehen wäre. Abgesehen davon werden von der Fremdenpolizeibehörde anlässlich einer Abschiebung auch der aktuelle Gesundheitszustand und insbesondere die Transportfähigkeit der Betroffenen beurteilt sowie gegebenenfalls bei gesundheitlichen Problemen die entsprechenden Maßnahmen gesetzt.
Für den erkennenden Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes haben sich unter diesen Aspekten keine Hinweise ergeben, dass die BF für den Fall einer Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Situation geraten würden.
Ziel des Refoulementschutzes ist es nicht, Menschen vor unangenehmen Lebenssituationen, wie es die Rückkehr in die Ukraine sein wird, zu beschützen, sondern einzig und allein Schutz vor exzeptionellen Lebenssituationen zu geben.
Unter Verweis auf die zitierten Länderinformationen und jene im angefochtenen Bescheid kann für die Ukraine zum gegenwärtigen Zeitpunkt schlichtweg nicht festgestellt werden, dass dort eine dermaßen schlechte wirtschaftliche Lage bzw. eine allgemeine politische Situation herrschen würde, die für sich genommen bereits die Zulässigkeit der Rückbringung in den Herkunftsstaat iSd. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen ließe.
Im Rahmen einer Gesamtschau ist sohin davon auszugehen, dass die BF im Falle einer Rückkehr in die Ukraine ihre dringendsten Bedürfnisse befriedigen können werden und nicht in eine über allfällige Anfangsschwierigkeiten hinausgehende dauerhaft aussichtslose Lage geraten würden. Sonstige außergewöhnliche Umstände, die eine Abschiebung unzulässig machen könnten, sind im gegenständlichen Verfahren weder hervorgekommen noch wurde ein derartiges Abschiebehindernis vorgebracht.
Den BF ist es daher nicht gelungen, darzulegen, dass sie im Falle einer Abschiebung in die Ukraine in eine "unmenschliche Lage" versetzt würden. Daher verstößt eine allfällige Abschiebung nicht gegen Art. 2, Art. 3 EMRK oder gegen die Zusatzprotokolle zur EMRK Nr. 6 und Nr. 13 und auch nicht gegen Art. 15 lit. c StatusRL.
Auch aufgrund des vorliegenden Familienverfahrens der BF gemäß § 34 Abs. 4 iVm. § 2 Z 22 AsylG 2005 war kein anderes Ergebnis begründbar, da keinem der BF Asyl oder subsidiärer Schutz gewährt worden ist.
Es ergibt sich somit kein reales Risiko, dass es durch die Rückführung der BF in die Ukraine zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde. Der BF1 hat einzig eine Ladung zu einer medizinischen Untersuchung in Vorlage gebracht. Dass dem BF1 allein wegen einer allfälligen Nichtbefolgung einer solchen Ladung eine Haftstrafe und damit einhergehend eine unmenschliche Behandlung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen würde, lässt sich aus den Feststellungen keinesfalls ableiten.
Somit war auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide des BFA abzuweisen.
Rückkehrentscheidung:
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird.
Der Antrag auf internationalen Schutz wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tag sowohl hinsichtlich des Status von Asylberechtigten als auch von subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen.
Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
Die BF befinden sich etwa seit vier Jahren und drei Monaten durchgehend im Bundesgebiet. Ihr Aufenthalt ist jedoch nicht im Sinne der soeben dargelegten Bestimmung geduldet. Sie sind auch nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch nicht Opfer von Gewalt geworden. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde.
Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
Die BF sind als Staatsangehörige der Ukraine keine begünstigte Drittstaatsangehörigen und es kommt ihnen kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.
§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:
"(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des VfGH und VwGH jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.
Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).
Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR vom 14.03.1980, B 8986/80; EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (EKMR vom 06.10.1981, B 9202/80; EuGRZ 1983, 215; VfGH vom 12.03.2014, U 1904/2013). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt.
Die BF, die unzweifelhaft ein Familienleben miteinander führen, sind allesamt im selben Umfang von aufenthaltsbeendenen Maßnahmen betroffen, sie verfügen darüber hinaus über keine Familienangehörigen oder sonstigen engen Nahebeziehungen in Österreich. Ein Eingriff in ihr Recht auf Familienleben iSd Art. 8 EMRK ist somit auszuschließen. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls lediglich in das Privatleben der BF eingreifen.
Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts auf Familienleben und Privatleben statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig und in diesem Sinne auch verhältnismäßig ist.
Zweifellos handelt es sich sowohl beim Bundesamt als auch beim ho. Gericht um öffentliche Behörden im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK und ist der Eingriff aufgrund der bereits zitierten gesetzlichen Bestimmungen gesetzlich vorgesehen.
Es ist in weiterer Folge zu prüfen, ob ein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens der BF im gegenständlichen Fall durch den Eingriffsvorbehalt des Art. 8 EMRK gedeckt ist und ein in einer demokratischen Gesellschaft legitimes Ziel, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung iSv. Art. 8 Abs. 2 EMRK, in verhältnismäßiger Weise verfolgt.
Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privatlebens iSd. Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung. Die BF sind gleichzeitig von der Rückkehrentscheidung betroffen, andere familiäre Bindungen zu Österreich bestehen nicht.
Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 EMRK, in ÖJZ 2007, 852 ff).
Allerdings ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH vom 17.12.2007, 2006/01/0126, mit weiterem Nachweis).
Die BF halten sich seit etwa vier Jahren und drei Monaten im Bundesgebiet auf. Sie haben ihren Aufenthalt auf letztlich unbegründet gebliebene Asylanträge gestützt (vgl. Verwaltungsgerichtshof vom 26.06.2007, 2007/01/0479, "... der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte..." und zu diesem Erkenntnis: Gruber, "Bleiberecht" und Artikel 8 EMRK, in Festgabe zum 80. Geburtstag von Rudolf MACHACEK und Franz MATSCHER (2008)
166," ... Es wird im Ergebnis bei einer solchen (zu kurzen)
Aufenthaltsdauer eine Verhältnismäßigkeitsprüfung zur "Bindung zum Aufenthaltsstaat" als nicht erforderlich gesehen...").
Im Fall Nnyanzi gegen Vereinigtes Königreich erachtete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Ausweisung einer ugandischen Asylwerberin aus dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK als zulässig, obwohl die Beschwerdeführerin, die erfolglos Asyl begehrt hatte, in der Zwischenzeit bereits fast 10 Jahre in Großbritannien aufhältig gewesen war: Ihrem Hinweis auf ihr zwischenzeitlich begründetes Privatleben, nämlich dass sie sich mittlerweile an einer Kirchengemeinschaft beteiligt habe, berufstätig geworden und eine Beziehung zu einem Mann entstanden sei, hielt der Gerichtshof entgegen, dass die Beschwerdeführerin keine niedergelassene Einwanderin und ihr vom belangten Staat nie ein Aufenthaltsrecht gewährt worden sei. Ihr Aufenthalt im Vereinigten Königreich während der Anhängigkeit ihrer verschiedenen Asylanträge und Menschenrechtsbeschwerden sei immer prekär gewesen, weshalb ihre Abschiebung nach Abweisung dieser Anträge durch eine behauptete Verzögerung ihrer Erledigung durch die Behörden nicht unverhältnismäßig werde (EGMR 8.4.2008, 21.878/06, NL 2008, 86, Nnyanzi gegen Vereinigtes Königreich).
Im Fall Omoregie u.a. gegen Norwegen, der die Ausweisung eines ehemaligen (nigerianischen) Asylwerbers betraf, erkannte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ebenfalls keine Verletzung von Art. 8 EMRK, obwohl der Beschwerdeführer während seines Asylverfahrens eine Lebensgemeinschaft mit einer norwegischen Staatsangehörigen gegründet hatte und Vater einer gemeinsamen Tochter geworden war, da sich der Beschwerdeführer, der seine Lebensgefährtin (nach Abweisung des Asylantrages) geehelicht hatte, über die Unsicherheit seines fremdenrechtlichen Aufenthaltsstatus in Norwegen bereits zu Beginn der Beziehung im Klaren sein habe müssen (EGMR 31.7.2008, 265/07, Darren Omoregie u.a. v. Norwegen). In derartigen Fällen könne die Ausweisung eines Fremden nach Ansicht des Gerichtshofes (wie er im Fall da Silva und Hoogkamer gegen Niederlande hervorhob) nur unter außergewöhnlichen Umständen eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen (EGMR 31.1.2006, 50435/99, da Silva und Hoogkamer gegen Niederlande mwN).
Unter Berufung auf diese Judikatur hatte der Verfassungsgerichtshof etwa in VfSlg. 18.224/2007 keine Bedenken gegen die Ausweisung eines kosovarischen Staatsangehörigen trotz seines 11-jährigen Aufenthaltes, da sich der Aufenthalt (zunächst) auf ein für Studienzwecke beschränktes Aufenthaltsrecht gegründet hatte und vom Beschwerdeführer nach zwei Scheinehen schließlich durch offenkundig aussichtslose bzw. unzulässige Asylanträge verlängert wurde.
Keine Verletzung von Art. 8 EMRK erblickte auch der Verwaltungsgerichtshof in der Ausweisung eines ukrainischen (ehemaligen) Asylwerbers, der im Laufe seines rund sechseinhalbjährigen Aufenthaltes durch den Erwerb der deutschen Sprache, eines großen Freundeskreises sowie der Ausübung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungen (sowie mit seiner Unbescholtenheit) seine Integration unter Beweis gestellt hatte, da - wie der Verwaltungsgerichtshof u.a. ausführte - die integrationsbegründenden Umstände während eines Aufenthaltes erworben wurden, der "auf einem (von Anfang an) nicht berechtigten Asylantrag" gegründet gewesen sei (VwGH 8.7.2009, 2008/21/0533; vgl. auch VwGH 22.1.2009, 2008/21/0654). Auch die Ausweisung eines unbescholtenen nigerianischen (ehemaligen) Asylwerbers, der beinahe während seines gesamten und mehr als 9-jährigen Aufenthaltes in Österreich einer legalen sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen war, über sehr gute Deutschkenntnisse verfügte und nie öffentliche Unterstützungsleistungen in Anspruch genommen hatte, beanstandete der Verwaltungsgerichtshof vor dem Hintergrund des Art. 8 EMRK nicht, wobei er auch dem Argument des Beschwerdeführers, dass über seine Berufung in seinem Asylverfahren ohne sein Verschulden erst nach 7 Jahren entschieden worden war, keine entscheidende Bedeutung zugestand: Vielmehr vertrat er die Ansicht, dass der Fremde spätestens nach der erstinstanzlichen Abweisung seines Asylantrages - auch wenn er subjektiv berechtigte Hoffnungen auf ein positives Verfahrensende gehabt haben sollte - im Hinblick auf die negative behördliche Beurteilung des Antrages von einem nicht gesicherten Aufenthalt ausgehen habe müssen (VwGH 29.4.2010, 2010/21/0085). Keine außergewöhnlichen Umstände iSd Art. 8 EMRK, die es unzumutbar machen würden, für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens auszureisen, erkannte der Verwaltungsgerichtshof auch bei der Ausweisung eines (ehemaligen) chinesischen Asylwerbers, der in den letzten sieben Jahren seines rund achteinhalb Jahre andauernden Aufenthaltes in Österreich einer legalen Beschäftigung nachgegangen war und über eine österreichische Lebensgefährtin verfügte (VwGH 29.6.2010, 2010/18/0209; vgl. ähnlich auch VwGH 13.4.2010, 2010/18/0087). Zum selben Ergebnis gelangte der Verwaltungsgerichtshof bei der Ausweisung eines georgischen (ehemaligen) Asylwerbers, der sich schon fast 8 Jahre im Bundesgebiet aufgehalten hatte, über gute Deutsch-Kenntnisse verfügte und selbständig erwerbstätig war: Der Verwaltungsgerichtshof wies darauf hin, dass eine Reintegration des Beschwerdeführers (nicht zuletzt auch aufgrund seines Schulbesuchs in seiner Heimat) trotz behaupteter Schwierigkeiten bei der Arbeitsplatzsuche in Georgien weder unmöglich noch unzumutbar erscheine (VwGH 6.7.2010, 2010/22/0081).
Unter Berücksichtigung der Angaben von BF1 und BF2 ergibt sich Folgendes:
Der BF1 geht seit Oktober 2018 einer geringfügigen Beschäftigung (10h/Woche für 445,85 EUR netto) in einem Autohandel nach und konnte für die selbe Firma auch einen Arbeitsvertrag (Vollzeit, datiert mit 01.06.2019) für die Tätigkeit als Lagerarbeiter in Vorlage bringen. Weiters legte er eine (veraltete) Arbeitszusage als Verkaufsmanager (datiert mit 01.09.2017) vor. Er war während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet aber nicht selbsterhaltungsfähig, sondern hat über Jahre hinweg laufend Leistungen aus der Grundversorgung bezogen.
Die BF2 hat in Österreich keine gemeinnützigen oder entgeltlichen Arbeiten geleistet, ist ebenfalls nicht selbsterhaltungsfähig und bezieht laufend Leistungen aus der Grundversorgung. Sie hat lediglich einen Antrag auf Erstausstellung einer Trainer-Lizenz gestellt.
Die Miete für ihre Wohnung in XXXX wird von der Caritas finanziert.
Daraus lässt sich jedenfalls nicht ableiten, wie die erwachsenen BF den Unterhalt für sich selbst und ihre drei minderjährigen Kinder dauerhaft sichern wollen.
Zu einer allfälligen Möglichkeit einer Arbeitsaufnahme war schließlich auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die Integration als stark gemindert erachtet wird, wenn Unterstützungszahlungen karitativer Einrichtungen oder bloße Gelegenheitsarbeiten den Unterhalt gewährleisten oder erst gegen Ende des mehrjährigen Aufenthalts die Tätigkeit als landwirtschaftlicher Hilfsarbeiter ins Treffen geführt werden kann und bis dahin Sozialhilfe bezogen wurde (vgl. VwGH 11. 10. 2005, 2002/21/0124; VwGH 22. 6. 2006, 2006/21/0109; VwGH 5. 7. 2005, 2004/21/0124 u.a.).
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt auch nicht, dass die erwachsenen BF bereits Deutschprüfungen absolviert haben (positive Integrationsprüfungen des ÖIF Niveau A2 vom 05.04.2019 und 16.08.2019), in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht konnten sie aber einfache Fragen des Richters in deutscher Sprache nicht hinreichend verstehen bzw. nicht in deutscher Sprache darauf ausreichend antworten (vgl. S. 13 und S. 22 Verhandlungsprotokoll).
Weiters wird vom erkennenden Gericht auch nicht verkannt, dass die BF bereits soziale Kontakte in Österreich geknüpft haben und Empfehlungsschreiben in Vorlage bringen konnten. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurden der Vermieter der BF sowie eine Psychologin - welche den BF unterstützend zur Seite steht - als Zeugen befragt. Diese berichteten im Wesentlichen nur darüber, dass es sich bei den BF um freundliche, hilfsbereite Leute handelt, welche hinsichtlich einer Integration in Österreich bemüht sind (vgl. S. 23-26 Verhandlungsprotokoll). Dass die BF in Österreich über familienähnliche, enge soziale Beziehungen verfügen würden, kann jedoch nicht erkannt werden.
Darüber hinaus sind die BF2-BF5 Mitglieder im israelitischen Kultusverein und besuchen die BF diesbezüglich auch Veranstaltungen. Die BF2 ist weiters Mitglied in einem Eisverein. Der BF1 besitzt einen österreichischen Führerschein. Sonstige maßgebliche Integrationsbemühungen haben die BF nicht gezeigt, sie gehören auch keiner sonstigen Gruppierung in Österreich an und haben hier keine Fortbildungen besucht.
Im Vergleich zum Bundesgebiet haben es die erwachsenen BF im Herkunftsstaat geschafft, das wirtschaftliche Auslangen zu finden. Im Bundesgebiet ist dies offenbar nicht möglich, sondern leben sie von Leistungen aus der Grundversorgung. Die BF verfügen auch über entsprechende Sprachkenntnisse im Herkunftsstaat. Im Lichte der kurzen Ortsabwesenheit von vier Jahren und drei Monaten kann auch nicht gesagt werden, dass die BF ihrem Kulturkreis völlig entrückt wären und sich in ihrer Heimat überhaupt nicht mehr zu Recht finden würden. Die erwachsenen BF haben den überwiegenden Teil ihres Lebens in der Ukraine verbracht und wurden dort sozialisiert. Weiters leben Verwandte der BF in der Ukraine.
Soweit Kinder von einer Ausweisung betroffen sind, sind nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen (vgl. EGMR 18.10.2006, Üner, Appl. 46.410/99, Z 58; 6.7.2010, Neulinger ua., Appl. 1615/07, Z 146). Maßgebliche Bedeutung hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dabei den Fragen beigemessen, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen und insbesondere ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter ("adaptable age"; vgl. dazu die Urteile des EGMR vom 31.07.2008, Darren Omoregie und andere gegen Norwegen, Beschwerde Nr. 265/07, Rz 66, vom 17.02.2009, Onur gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 27319/07, Rz 60, und vom 24.11.2009, Omojudi gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 1820/08, Rz 46) befinden (vgl. VwGH 21.04.2011, 2011/01/0132).
Dabei ist zusätzlich zu beachten, dass den minderjährigen BF der objektiv unrechtmäßiger Aufenthalt subjektiv nicht im gleichen Ausmaß wie ihren Eltern zugerechnet werden kann (vgl. VfGH 07.10.2014, U 2459/2012 ua.).
In der Interessensabwägung zugunsten des 14jährigen BF3 ist zu berücksichtigen, dass er in der Zeit seines Aufenthaltes (im Rahmen der Schulpflicht) eine Volksschule besuchte, zuletzt die dritte Klasse einer Neuen Mittelschule abschloss und derzeit die vierte Klasse der Neuen Mittelschule besucht. Er hat sich durch den Besuch der Schulen in Österreich schon Deutschkenntnisse angeeignet. Der BF3 hat darüber hinaus auch in den Ferien Deutschkurse besucht, hat an einem Eishockeycamp teilgenommen und Judo trainiert. Derzeit spielt er in seiner Freizeit in einem Verein Fußball. Es ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass der BF3 in der Ukraine geboren wurde und seine Sozialisation bereits dort begonnen hat. Der BF3 ist auch schon in der Ukraine in die Schule gegangen und hat den überwiegenden Teil seines Lebens dort verbracht, weshalb davon auszugehen ist, dass er sich auch in Zukunft in seiner Heimat der Ukraine zurechtfinden wird. Da die erwachsenen BF in der mündlichen Verhandlung angaben, dass sie im Familienverband nach wie vor Russisch sprechen, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass der BF3 diese Sprache mittlerweile verlernt hätte. Dem BF3 kann somit insgesamt zugemutet werden, sich wieder in der Ukraine zu integrieren.
Die siebenjährige BF4 und die fünfjährige BF5 sind in einem anpassungsfähigen Alter und stehen am Beginn ihrer Sozialisation. Beide wurden in der Ukraine geboren und sind als Kleinkind (BF4) bzw. Säugling (BF5) nach Österreich gekommen. Die BF4 hat in Österreich den Kindergarten besucht und ist nunmehr im schulpflichtigen Alter, weshalb davon auszugehen ist, dass sie die deutsche Sprache beherrscht. Sie ist begeisterte Tänzerin, nimmt an diversen Veranstaltungen teil und ist auch künstlerisch begabt. Die BF5 besucht nach wie vor den Kindergarten und ist daher ebenfalls mit der deutschen Sprache vertraut. Da im Familienverband der BF aber nach wie vor die russische Sprache gesprochen wird, ist davon auszugehen ist, dass die BF4 und die BF5 auch die russische Sprache hinreichend beherrschen und ist es ihnen auch zuzumuten, sich in der Ukraine zu integrieren und dort die Schule bzw. den Kindergarten zu besuchen.
Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass speziell den Interessen der minderjährigen BF ein Gewicht zukommt. Neben der genannten Integration (vor allem der Erwerb von Deutschkenntnissen) - die nach Auffassung des zuständigen Richters auch nicht dadurch gemindert wird, dass der BF3 diese im Zuge der ihn treffenden Schulpflicht bzw. die BF4 und BF5 im Kindergarten erworben haben - haben diese einen großen Teil ihrer bewusst verbrachten Lebenszeit in Österreich zugebracht. Anders als bei ihren Eltern ist bei ihnen auch nicht von einem Bewusstsein ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bei Eingehen ihrer sozialen Bindungen im Bundesgebiet auszugehen, weil einem Kind in diesem Alter eine Ahnung über staatliche Aufenthalts- und Einreisenormen nicht unterstellt werden kann und vernünftigerweise auch nicht davon auszugehen ist, dass ihm dies seitens der Eltern während der Zeit im Aufenthaltsstaat laufend bewusst gemacht wird (vgl. auch VfSlg. 19.086/2010, 19.357/2011, 19.612/2011, 19.752/2013).
Das Bundesverwaltungsgericht vermag jedoch keine unzumutbaren Härten in einer Rückkehr der BF in ihren Herkunftsstaat zu erkennen. Die Existenz der minderjährigen BF ist durch ihre Eltern gesichert, welche jedenfalls arbeitsfähig und -willig sind. Zudem halten sich auch weitere Verwandten der BF in der Ukraine auf, die den BF helfend zur Seite stehen können.
Es wurde bereits eingangs ausgeführt, dass eine Rückkehr der minderjährigen BF nur gemeinsam mit den Eltern (BF1 und BF2) möglich ist, da sie ein Familienleben iSd. Art. 8 EMRK begründen. Gesonderte Überlegungen im Falle einer alleinigen Rückkehr der minderjährigen BF müssen demnach nicht angestellt werden.
Die Unbescholtenheit der BF fällt bei der vorzunehmenden Abwägung nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht ins Gewicht. Laut Judikatur bewirkt die strafrechtliche Unbescholtenheit weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen. (VwGH 21.1.1999, Zahl 98/18/0420). Der VwGH geht wohl davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält. Zu Lasten eines Fremden ins Gewicht fallen jedoch sehr wohl rechtskräftige Verurteilungen durch ein inländisches Gericht (vgl. Erk. d. VwGH vom 27.2.2007, 2006/21/0164, mwN, wo dieser zum wiederholten Male klarstellt, dass das Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung den öffentlichen Interessen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK eine besondere Gewichtung zukommen lässt).
Besonders schwerwiegend ist im vorliegenden Fall, dass die BF einen offensichtlich unbegründeten Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben. Unter Hinweis auf die ständige Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs - zuletzt etwa VwGH 15.12.2015, Zl. Ra 2015/19/0247 - sind die BF darauf zu verweisen, dass ihnen immer bewusst sein musste, dass ihr Aufenthaltsstatus als unsicher anzusehen war, da sie einzig wegen des Asylverfahrens über ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht verfügten. Es konnte für sie daher kein ausreichender Grund zur Annahme bestehen, sie werden dauerhaft in Österreich bleiben dürfen.
Im Übrigen sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Herkunftsstaat letztlich auch als Folge des Verlassens des Heimatlandes ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von subsidiären Schutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen (vgl. VwGH 29.4.2010, 2009/21/0055).
Bei einer Zusammenschau all dieser Umstände überwiegen im vorliegenden Fall jene Umstände, die für eine Rückkehr der BF in den Herkunftsstaat sprechen.
Den Interessen der BF an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Artikel 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (VwGH v. 16.01.2001, Zl. 2000/18/0251, u.v.a.).
Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes überwiegen daher derzeit die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, insbesondere das Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und des Schutzes des österreichischen Arbeitsmarktes die privaten Interessen der BF am Verbleib im Bundesgebiet (vgl. dazu VfSlg. 17.516/2005 sowie ferner VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479).
Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrags verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf (vgl. dazu im Allgemeinen und zur Gewichtung der maßgeblichen Kriterien VfGH 29.9.2007, B 1150/07), wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen der BF am Verbleib in Österreich.
Zusammengefasst ist deshalb in Übereinstimmung mit dem BFA davon auszugehen, dass die Interessen der BF an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, jedenfalls in den Hintergrund treten.
Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie die BF erfolgreich auf das Privat- und Familienleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen.
Könnte sich ein Fremder nunmehr in einer solchen Situation erfolgreich auf sein Privat- und Familienleben berufen, würde dies darüber hinaus dazu führen, dass Fremde, welche die unbegründete bzw. rechtsmissbräuchliche Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz allenfalls in Verbindung mit einer illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet in Kenntnis der Unbegründetheit bzw. Rechtsmissbräuchlichkeit des Antrages unterlassen, bzw. nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens ihrer Obliegenheit zum Verlassen des Bundesgebietes entsprechen, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, welche genau zu diesen Mitteln greifen um sich ohne jeden sonstigen Rechtsgrund den Aufenthalt in Österreich legalisieren, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (vgl. hierzu auch das Estoppel-Prinzip ["no one can profit from his own wrongdoing"], auch den allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen [VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007]).
Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme der Verhängung seitens der belangten Behörde getroffenen fremdenpolizeilichen Maßnahme ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich hierbei um das gelindeste fremdenpolizeiliche Mittel handelt, welches zur Erreichung des angestrebten Zwecks geeignet erschien.
Nach Maßgabe der Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist kein Sachverhalt hervorgekommen, welcher bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen den Schluss zuließe, dass ein Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Privat- und Familienleben der BF vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, welche im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig erscheinen ließen.
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
Nach § 50 Abs. 2 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
Nach § 50 Abs. 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
Umstände, welche das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung begründen würden, kamen nicht hervor. Ebenso ergibt sich aus den umfassenden beweiswürdigenden Überlegungen sowie den rechtlichen Ausführungen zur Nichtgewährung von subsidiären Schutz, dass keine Umstände vorliegen, welche gegen eine Abschiebung in die Ukraine sprechen.
Unter Berücksichtigung sämtlicher individuellen Umstände der BF steht eine Abschiebung Art. 3 EMRK demnach nicht entgegen und konnten die BF - wie umfassend dargelegt - keine Gründe darlegen, die gegen ihre Rückkehr in den Herkunftsstaat sprechen würden.
Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu
A) wiedergegeben.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
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