BVwG W247 2102496-1

BVwGW247 2102496-16.8.2019

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art. 133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W247.2102496.1.01

 

Spruch:

W247 2102496-1/22E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. HOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , staatenlos, vertreten durch XXXX , gegen den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.02.2015, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

 

A)

 

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, idgF., als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist staatenloser Palästinenser und der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam zugehörig.

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der BF reiste spätestens am 09.01.2014 unrechtmäßig und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem der BF ebenso am selben Tag von der Landespolizeidirektion XXXX erstbefragt wurde. Nach der Zulassung des Verfahrens wurde der BF am 09.02.2015 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), Regionaldirektion XXXX , im Beisein eines für den Beschwerdeführer einwandfrei verständlichen Dolmetschers für die Sprache Arabisch niederschriftlich einvernommen.

 

2. Der BF brachte im Rahmen seiner Erstbefragung vor, dass er Palästinenser sei, im Irak geboren wäre und durchgehend bis zu seiner Ausreise Mitte August 2013 dort gelebt habe. Die Palästinenser im Irak hätten keine Rechte und würden unterdrückt. Aufgrund des herrschenden Krieges sei das Leben im Irak gefährlich. Im Juni 2013 hätten bewaffnete Personen versucht, ihn zu entführen. Er habe jedoch mit seinem PKW entkommen können. Aus diesen Gründen habe er sich entschlossen, aus dem Irak zu flüchten.

 

3.1. Im Rahmen seiner Einvernahme vor dem BFA am 09.02.2015 machte der BF zusammenfassend geltend, dass die allgemeine Lage im Irak sehr schlecht gewesen sei. Er habe im Jahr 2012 bis 27.06.2013 (d.h. 1, 5 Jahre) bei der Firma XXXX gearbeitet. Als er am 27.06.2013 mit dem Auto am Heimweg gewesen wäre, sei er von 3 Leuten gestoppt worden. Diese hätten versucht, ihn mit einem weißen Hyundai aufzuhalten. Er sei aber aufs Gas gestiegen und wäre entkommen. Sie wären ihm nachgefahren und hätten auf ihn geschossen, wobei er aber nicht verletzt worden sei. Er sei unmittelbar nach diesem Vorfall an eine andere Adresse gezogen. Zwei bis drei Tage nach dem Vorfall seien diese Männer - zivil gekleidet - zu ihm nach Hause gekommen und hätten nach ihm gefragt. Sie hätten das Haus durchsucht, nach dem BF gefragt und dessen Mutter gedroht, sie alle zu töten, da sie Palästinenser seien und weil der BF bei einer ausländischen Firma tätig gewesen sei. Einen Monat später seien sie wieder zu ihm nach Hause gekommen und hätten nach ihm gefragt. Seine Mutter habe ihnen mitgeteilt, dass er bereits ausgereist sei. Trotzdem seien sie noch alle zwei bis drei Monate gekommen. Aufgrund dieses Vorfalles sei seine Familie umgezogen. Die Männer hätten die neue Adresse herausgefunden und seien wieder zu ihnen gekommen. Sein Bruder lebe zurzeit bei seiner Tante. Diese lebe zwar im selben Viertel, aber in einer anderen Straße. Er sei bei der Polizei gewesen, um Anzeige zu erstatten, jedoch hätte diese keine Maßnahmen ergriffen. Da er geflüchtet sei, werde er auch vom Regime gesucht. Er würde von den Milizen als Verräter betrachtet, da er für eine ausländische Firma gearbeitet habe.

 

Der BF brachte folgende Unterlagen/Dokumente in Vorlage:

 

* Geburtsurkunde vom XXXX , ausgestellt vom Gesundheitsministerium in Bagdad;

 

* Personalausweis, ausgestellt am XXXX vom Gesundheitsministerium im Irak;

 

* Prüfungsausweis für die Matura, ausgestellt am XXXX von der XXXX ;

 

* Schulausweis, gültig von 01.10.2009 bis 30.09.2010 der XXXX ;

 

* Personalausweis, ausgestellt am XXXX von der Aufenthaltsbehörde im Irak;

 

* Flüchtlingsbestätigung von UNHCR;

 

* Bestätigung des Migrationsministeriums im Irak, wonach der BF und seine Familie unter den Palästinensern im Irak wohnhaft sind;

 

* Bewerbungsschreiben des BF an eine staatliche Stelle im Irak;

 

* Bestätigung der Firma XXXX , wonach die Firma XXXX dazu gehört;

 

* Aufforderung der Polizei bezüglich der Verlängerung des Flüchtlingsausweises vom 05.08.2014;

 

Es wurden seitens des BF keine gesundheitlichen Beschwerden geltend gemacht.

 

4.1. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde (BFA) vom 13.02.2015 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihm gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wurde dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 13.01.2016 erteilt (Spruchpunkt III.).

 

4.2. In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF und zum Umstand, dass seine Identität feststehe. Er sei staatenlos und im Irak geboren, gehöre der Volksgruppe der Palästinsenser an und sei Moslem. Es habe nicht festgestellt werden können, dass ihm im Irak eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität oder eine sonstige Verfolgung maßgeblicher Intensität drohe.

 

4.3. Beweiswürdigend führte das BFA im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen aus, dass der BF keine individuelle Bedrohungs- bzw. Gefährdungslage im Sinne der GFK glaubhaft vorgebracht hätte, welcher er im Irak ausgesetzt gewesen wäre. In Bezug auf seinen Fluchtgrund habe er behauptet, dass die allgemeine Lage im Irak schlecht wäre, dass das ganze Land aus Milizen bestehe und gegen Palästinser wäre. Auch in der Erstbefragung habe er angegeben, dass Palästinenser im Irak keine Rechte hätten und unterdrückt würden. Seinen Angaben diesbezüglich könne Glauben geschenkt werden, zumal dies auch aus den Länderfeststellungen hervorgehe. Die von ihm geschilderte Bedrohung seiner Person und seiner Familie habe er allerdings nicht glaubhaft darlegen könnnen und sei diese auch nicht nachvollziehbar. So habe er angegeben, dass die Miliz auf sein Auto geschossen habe, als er am Heimweg mit seinem Auto gewesen wäre. Er sei daraufhin entkommen. Darauf wäre er umgezogen. Anschließend hätte die Miliz ihn zu Hause aufgesucht, aber nur seine Mutter angetroffen und habe die Miliz die gesamte Familie mit dem Tode bedroht, da sie Palästinenser seien. Seine Eltern wären deshalb ebenso weggezogen, jedoch hätte die Miliz die neue Adresse herausgefunden und hätte diese seine Familie erneut aufgesucht und bedroht. Sein Bruder sei zu seiner Tante gezogen und könne dort in Ruhe leben. Nicht genauer habe er erklären können, warum sein Bruder bei einer Tante in Ruhe leben habe können und weder der BF, noch seine Familie es nicht in Erwägung gezogen hätten, zu seiner Tante zu ziehen und ebenso dort in Ruhe zu leben. Auch habe der BF nicht erklären können, warum man die Adresse seiner Eltern jedes Mal habe ausforschen können, nicht aber die Adresse des BF, zumal dieser behauptet habe, dass die Miliz hinter ihm hergewesen wäre. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass seine Eltern weiterhin dort wohnen würden und sich von der Miliz bedrohen lassen würden und es nicht in Erwägung gezogen hätten, zu flüchten und eben eventuell zur Tante zu ziehen. Den konkreten Nachfragen sei er diskret ausgewichen und habe stets die allgemeine schlechte Lage angegeben. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass er selbst angegeben habe, € 7.000,00 für seine Ausreise nach Österreich aufgetrieben zu haben, nicht aber versucht hätte, mit diesem Geld in einen Stadtteil seines Heimatlandes zu ziehen. Eine aktuell drohende individuelle Gefahr einer asylrechtlich relevanten Verfolgung habe er nicht plausibel und daher glaubhaft machen können. Nach wie vor seien Rückkehrer aber Ziel von allgemeiner Gewaltkriminalität, Bedrohungen und Anschlägen, insbesondere in Gegenden, in denen ihre Ethnie bzw. religiöse Gruppierung nicht die Mehrheit darstelle.

 

4.4. Die belangte Behörde kam zu dem Schluss, dass der BF keine asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat glaubhaft gemacht hätte. Es würden im Fall des BF keine Gründe vorliegen, die die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten rechtfertigen würden. Es könne daher nicht zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigen kommen. Aufgrund der prekären Situation im Irak, müsse er jedoch im Falle einer Rückkehr mit Repressialien rechnen, sodass ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten und die sich aus dem Gesetz ergebende befristete Aufenthaltsberechtigung zu gewähren seien.

 

5. Mit Verfahrensanordnung vom 16.02.2015 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

 

6. Gegen den Bescheid vom 13.02.2015 erhob der BF am 02.03.2015 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. Begründend wurde von der Beschwerdeseite ausgeführt, dass das Ermittlungsverfahren mangelhaft geführt worden sei. Infolgedessen läge eine mangelhafte Beweiswürdigung, sowie eine unrichtige rechtliche Beurteilung, vor. Der BF sei irakischer Staatsbürger und sunnitischen Glaubens. Er sei im Irak seit dem 05.05.2008 als Flüchtling beim UNHCR registriert. Er habe sein Heimatland aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung durch militante Organisationen, sowie die irakischen Behörden, verlassen. Aus seinem Vorbringen ergebe sich eindeutig, dass er aufgrund seiner Tätigkeit für ein ausländisches Unternehmen von privaten Akteuren verfolgt werde. Aufgrund dieses Umstandes wäre die Behörde verpflichtet gewesen, konkrete Ermittlungen zur Lage von Mitarbeitern ausländischer Firmen im Irak zu unternehmen. Entsprechende Ermittlungen hätten jedoch nicht stattgefunden. Vom BF werde auf den ACCORD-Bericht (Anfragebeantwortung zum Irak: Wurden von den US-Amerikanern irakische Sub-Unternehmern beauftragt? Lage von Irakern, die für Amerikaner arbeiten) verwiesen. Wenngleich sich dieser Bericht auf irakische Sub-Unternehmen der amerikanischen Regierung beziehe, so komme diesem Bericht dennoch eine spezielle Indizienwirkung für die indiviuelle Situation des BF zu, zumal auch dieser von militanten Gruppierungen aufgrund seiner Tätigkeit für ein ausländisches Unternehmen verfolgt worden sei.

 

Die vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich der Gründe für das Verlassen des Herkunftslandes sei verfehlt. So bleibe die belangte Behörde eine nachvollziehbare Begründung für die Annahme der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens schuldig. Soweit die belangte Behörde ausführe, dass eine interne Fluchtalternative in einen "anderen Stadtteil seines Heimatlandes" offenstehe, werde entgegnet, dass sich die Behörde offenbar mit den eigenen Länderfeststellungen nicht ausreichend auseinandergesetzt habe. Die Länderberichte würden sich ausdrücklich gegen eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative für Angehörige der palästinenischen Volksgruppe im Irak aussprechen. Sofern die Behörde jedoch das Vorliegen einer solchen Fluchtalternative entgegen den einschlägigen Länderberichten annehme, bleibe sie auch hier eine Begründung schuldig. Dies gelte auch hinsichtlich der Eltern des BF. Gänzlich unverständlich seien die diesbezüglichen Ausführungen der Behörde schließlich auch deshalb, da die Behörde ein Rückkehrgefährdung des BF auch tatsächlich annehme.

 

Ingesamt ergebe sich aus der Beweiswürdigung, dass sich die belangte Behörde mit dem Kern des Fluchtvorbringens, nämlich einer Verfolgung durch militante Gruppierungen aufgrund der Tätigkeit für ein ausländisches Unternehmen, nicht auseinandergesetzt habe. Es hätte vielmehr bei genauer Auseinandersetzung mit seinem Vorbringen festgestellt werden müssen, dass ihm in seinem Heimatland aufgrund seiner Tätigkeit für ein ausländisches Unternehmen die Verfolgung durch militante Gruppierungen drohe. Ebenfalls hätte festgestellt werden müssen, dass eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative nicht vorliege. Somit wäre ihm richtigerweise gemäß § 3 AsylG Asyl zu gewähren gewesen. Beantragt wurde, das Bundesverwaltungsgericht möge 1.) den hier angefochtenen Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt I. beheben und ihm den Status des Asylberechtigten gemäß Art. 12 Abs. 1 lit.a der RL 2011/95/EU iVm § 3 Abs. 1 AsylG zuerkennen, 2.) in eventu den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit hinsichtlich Spruchpunkt I. beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt zurückverweisen, 3.) eine mündliche Beschwerdeverhandlung gem. § 24 Abs. 1 VwGVG durchführen.

 

7. Die Beschwerdevorlage und der Verwaltungsakt langten beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 06.03.2015 ein.

 

8. Mit 07.05.2018 wurde das gegenständliche Verfahren der GA W247 neu zugewiesen.

 

9. Mit Schriftsatz vom 05.12.2018 übermittelte das BVwG dem BF das aktuelle Länderinformationsblatt zum Irak und wurde ihm Gelegenheit eingeräumt, dazu bis zum 01.01.2019 hg. einlangend Stellung zu nehmen. Eine schriftliche Stellungnahme erfolgte dazu nicht fristgerecht.

 

10. Am 28.01.2019 fand vor dem BVwG unter der Beiziehung eines Dolmetschers für Arabisch eine öffentliche mündliche Verhandlung statt.

 

Die Niederschrift lautet auszugsweise:

 

[...] RI: Nennen Sie mir wahrheitsgemäß Ihren vollen Namen, Ihr Geburtsdatum, Ihren Geburtsort, sowie Ihren Wohnort an dem Sie sich vor Ihrer Ausreise aufgehalten haben.

 

BF: Mein Name ist XXXX , mein Familienanme ist XXXX , geboren bin ich am XXXX in XXXX . Ich habe in XXXX gewohnt.

 

RI: Welche Staatsbürgerschaft haben Sie?

 

BF: Ich habe keine Staatsangehörigkeit und kein Staatsangehörigkeitsdokument. Ich besitze aber einen Ausweis, als Beweis, dass ich ein Palästinenser bin, der im Irak gelebt hat.

 

RI: Welcher ethnischen Gruppe bzw. Volksgruppe- oder Sprachgruppe gehören Sie an?

 

BF: Ich bin Araber.

 

RI: Bitte schildern Sie Ihren Lebenslauf. Welche Schulausbildung haben Sie abgeschlossen? Welchen Beruf haben Sie bisher ausgeübt?

 

BF: Sechs Jahre lang habe ich die Volksschule besucht, von 1996 bis 2002 mit Abschluss. Drei Jahre danach habe ich die Mittelschule, Secondary School, besucht mit Abschluss. Von 2005 bis 2009 habe ich das XXXX , abgeschlossen. Danach habe ich zu arbeiten begonnen bei einer schwedischen Firma namens XXXX . 1 1/2 Jahre habe ich dort gearbeitet. Eigentlich war ich für das Kabellegen verantwortlich und für Einkäufe technischer Ausrüstung verantwortlich. Ich war auch für die Unterstützung der Gruppen, die Telefonmasten repariert haben. 1 1/2 Jahre war ich in dieser Firma tätig bis ich bedroht wurde und den Irak verlassen habe.

 

RI: Haben Sie sonst noch Tätigkeiten in dieser Firma verrichtet?

 

BF: Eigentlich waren dies die Tätigkeiten, die ich bei XXXX ausgeübt habe. Kurz davor habe ich als Taxifahrer gearbeitet, dies hatte nichts mit XXXX zu tun. 6 Monate habe ich als Taxifahrer gearbeitet.

 

RI: Wie hieß das Unternehmen?

 

BF: Ich habe selbstständig als Taxifahrer gearbeitet.

 

RI: Das heißt, Sie hatten ein eigenes Auto?

 

BF: Ja.

 

RI: Was war das für ein Auto, welche Marke?

 

BF: Das war ein chinesisches Auto, die Marke heißt Schery.

 

RI: Haben Sie sich, außer an dem von Ihnen angegebenen letzten Wohnort im Irak, auch an einem anderen Wohnort längere Zeit aufgehalten?

 

BF: Nein.

 

RI: Welche Verwandten von Ihnen leben zur Zeit im Irak und in welcher Stadt?

 

BF: Derzeit habe ich keine Verwandten, die im Irak leben.

 

RI: Wo lebt Ihre Familie?

 

BF: Meine Familie lebt derzeit in Schweden, weil mein Vater bedroht wurde und sie nach Schweden ausgewandert sind.

 

RI: Wer von Ihrer Familie lebt in Schweden?

 

BF: Mein Vater, meine Mutter und mein Bruder.

 

RI: Wann haben Ihre Familienmitglieder den Irak verlassen?

 

BF: Vor 1 1/2 Jahren hat meine Familie den Irak verlassen.

 

RV legt vor: Kopien von Flüchtlingsausweisen über folgende Personen:

1. XXXX werden zum Akt genommen.

 

RI: Bis zur Ausreise Ihrer Familie nach Schweden vor 1 1/2 Jahren hat Ihre Familie in Bagdad gewohnt?

 

BF: Ja.

 

RI: An demselben Wohnort, wie Sie noch dort gelebt haben, oder war das ein anderer Wohnort?

 

BF: Nein, sie haben in einem anderen Stadtteil von Bagdad gelebt.

 

RI: Haben Sie noch Kontakt zu Ihrer Familie in Schweden und wenn ja wie regelmäßig?

 

BF: Ich rufe sie mindestens zweimal in der Woche an.

 

RI: Welchen Status hat Ihre Familie in Schweden, sind sie bereits anerkannte Flüchtlinge oder ist das Verfahren noch offen?

 

BF: Bei allen dreien ist das Verfahren noch offen.

 

RI: Haben Sie sonst noch irgendwelche Verwandte im Irak? Wenn ja, wo?

 

BF: Derzeit habe ich keine Verwandte im Irak, sie sind alle ausgereist.

 

RI: Wie finanzierte Ihre Familie ihren Lebensunterhalt bis zur Ausreise nach Schweden?

 

BF: Meine Mutter war Hausfrau, mein Bruder Student, er hat nicht gearbeitet und mein Vater hat bei einer schwedischen Firma in Bagdad gearbeitet. Er war für das Inventar im Lager zuständig und war gleichzeitig Küchenchef von der Firma.

 

RI: Welche Firma war das?

 

BF: Die schwedische Firma hieß XXXX . Das ist eine Firma, die zur Firma XXXX gehört, aber nur im Irak tätig ist. Für die Sicherheit wurde dieser Name ausgewählt und nicht XXXX .

 

RI: Im bisherigen Verfahren haben Sie zur Berufstätigkeit Ihres Vaters angegeben, dass dieser ein Lebensmittelgeschäft gehabt hätte. Das klingt jetzt anders. Wieso?

 

BF: Ja, das stimmt schon. Mein Vater hat ein Teil von dem Haus für den Verkauf von Lebensmittel eingerichtet. Nachdem ich bedroht wurde, haben sie das Haus wechseln müssen und natürlich auch das Geschäft.

 

RI: Also für mein Verständnis: Ihr Vater hatte ein Lebensmittelgeschäft, war bei einer Teilfirma von XXXX für das Lagerinventar zuständig und auch noch Küchenchef der Firma. Und das alles gleichzeitig?

 

BF: Nein, nicht gleichzeitig.

 

RI: Wann war er was, wie ist die Reihenfolge?

 

BF: Mein Vater hat eigentlich zur Zeit von Saddam Hussein gearbeitet als Taxifahrer. Nach dem Sturz hat er dieses Lebensmittelgeschäft in seinem Haus eingerichtet bis ich bedroht wurde und den Irak verlassen habe, dann mussten sie das Haus wechseln und sind in ein anderes Haus eingezogen. Dann hat er begonnen bei Toba zu arbeiten.

 

RI: Das heißt, Ihr Vater hat, wenn ich das richtig verstehe, erst bei der Teilfirma von XXXX der Firma XXXX zu arbeiten begonnen, nachdem Sie bereits wegen Ihrer Arbeit für die Firma XXXX bedroht worden sind. Verstehe ich das richtig?

 

BF: Ich verstehe die Frage nicht ganz.

 

RI: Sie haben vorhin gesagt, Ihr Vater hätte nach dem Sturz von Saddam Hussein, wenn ich das richtig verstehe, erst bei der Teilfirma von XXXX der Firma XXXX zu arbeiten begonnen, nachdem Sie bereits wegen Ihrer Arbeit für die Firma XXXX bedroht worden sind. Verstehe ich das richtig?

 

BF: Nicht unmittelbar hat mein Vater begonnen bei der Firma zu arbeiten, sondern nach einiger Zeit nachdem ich weg war und ohne Arbeit ist das Leben sehr schwer. Der Vater ist ein Palästinenser und besitzt kein Recht und es wurde ihm keine Arbeit zugewiesen. Das heißt ohne Arbeit muss er auf der Straße betteln. Dann habe ich mit der Firma XXXX von Österreich aus telefoniert und konnte mit dem Chef reden und ihn bitten, dass er meinem Vater eine Arbeit gibt. Dann hat der Chef den Vater eigentlich in einer anderen Abteilung beschäftigt, nicht in der gleichen Abteilung, in der ich war, sondern in der Abteilung XXXX .

 

RI: Wenn Ihr Vater wusste, dass Ihre Arbeit bei XXXX Ihnen derartige Probleme im Irak eingebracht hat, warum sollte er ausgerechnet bei derselben Firma, auch wenn die Abteilung einen anderen Namen hatte, auch beginnen zu arbeiten. Das würde die Gefahr auch auf ihn ziehen.

 

BF: Im Notfall musste mein Vater diese Arbeit eingehen, weil er mittellos war und Taxi nicht fahren konnte, da er an jedem Checkpoint erwischt worden wäre.

 

RI: Von wem?

 

BF: Von der Polizei oder den Sicherheitskräften der irakischen Regierung, weil er Palästinenser ist und nicht arbeiten darf.

 

RI: Wann haben Sie den Entschluss gefasst, den Irak zu verlassen?

 

BF: Nachdem ich bedroht wurde im Juli 2013 habe ich den Irak verlassen.

 

RI: Sie haben im bisherigen Verfahren angegeben, dass in Bagdad auch Tanten und Onkeln von Ihnen gelebt haben. Wo leben sie heute?

 

BF: In der Türkei.

 

RI: Haben Sie Kontakt zu diesen?

 

BF: Wenig, vielleicht einmal im Monat.

 

RI: Wie?

 

BF: Per Telefon.

 

RI: Wann sind Sie in Österreich eingereist?

 

BF: Am 09.01.2014.

 

RI: Wo waren Sie zwischen August 2013 und Jänner 2014?

 

BF: Nachdem ich beschlossen habe, den Irak zu verlassen, habe ich ein Monat gewartet bis ich eine Person gefunden habe, die mich in die Türkei bringt und den Weg zeigt. Ein Monat war ich in der Türkei, ein Monat im Irak und die restlichen Monate danach habe ich in Griechenland gewartet.

 

RI: Schildern Sie bitte Ihre Fluchtgründe? Ich ersuche Sie, mir ein möglichst klares und stimmiges Bild des Geschehenen zu vermitteln.

 

BF: Wie ich gesagt habe, habe ich in einer schwedischen Firma gearbeitet. Das war eine sehr gute Gelegenheit für mich, dass ich diese Arbeit bekommen habe, da ich ein Palästinenser bin und keine Möglichkeit hatte, woanders zu arbeiten. 1 1/2 Jahre habe ich bei dieser Firma gearbeitet, trotz allen Schwierigkeiten, die ich bekommen habe. Ich hatte viele Schwierigkeiten bekommen bei den Checkpoints täglich. Ich habe nicht aufgegeben und habe weitergearbeitet. Am 27.06.2013 habe ich die Firma verlassen, um an einem anderen Standort der Firma Ausrüstung zu liefern. Die Firma hat in Bagdad zwei Standorte. Auf der Straße " XXXX " im Bezirk XXXX ist mir ein weißes Auto der Marke Hyundai gefolgt, 3 Personen saßen in dem Auto. Sie haben mich aufgefordert zu stehen.

 

RI: Wie haben sie Sie aufgefordert?

 

BF: Das Auto ist neben mir gefahren. Der Beifahrer hat mir gesagt und gedeutet, ich soll stehenbleiben. Ich habe Angst gekriegt und bin nicht gleich stehengeblieben und schneller gefahren. Dann haben sie begonnen, mich durch Schüsse zum Stoppen zu bewegen.

 

RI. Haben Sie dann auch gestoppt oder sind Sie weitergefahren?

 

BF: Ja, sie haben mein Auto schon mit Schüssen getroffen, aber ich bin nicht stehen geblieben, ich bin unbewusst bis zur nächsten Polizeistation weitergefahren.

 

RI: Was geschah dann?

 

BF: Bei der Polizei habe ich versucht die Sachlage zu erklären und habe ihnen erzählt, was mir passiert ist. Man sah auch, dass mein Auto von Schüssen getroffen wurde. Ich wurde aufgefordert, mich auszuweisen und habe mein Ausweis gezeigt, da ich keinen Pass hatte. Als sie meinen Ausweis gesehen hatten, haben sie begonnen, sich über die Sache lustig zu machen.

 

RI: Sie haben sich über den Umstand lustig gemacht, dass Sie beschossen worden sind?

 

BF: Ja. Sie haben gesagt "Ja, wir werden das aufnehmen und schauen, dass wir die Personen ausfindig machen". Sie haben kein richtiges Protokoll angefertigt, sondern das Ganze nur auf einem Stück Papier aufgeschrieben und dann gesagt, dass sie der Sache nachgehen würden. Ich wurde aufgefordert nach Hause gehen, ich bin aber nicht nach Hause gegangen. Ich bin nicht nach Hause gegangen, sondern habe meinen Onkel mütterlicherseits angerufen. Sie haben in Bagdad gewohnt im Bezirk XXXX . Auch meine Familie, also mein Vater, habe ich angerufen und erzählt, was geschehen ist. Die Familie hat gemeint, ich soll nicht nach Hause kommen. Deswegen habe ich meinen Onkel angerufen und bin zum Onkel gegangen. Ich bin dort geblieben bis ich den Irak verlassen habe. Das ist der Hauptgrund, warum ich den Irak verlassen habe. Bis ich den Schlepper gefunden habe, wie ich vorhin erzählt habe, der mich in die Türkei gebracht hat und mich von dort nach Griechenland.

 

RI: Wer waren die Männer, welche Sie am 27.06.2013 anzuhalten versuchten? Kannten Sie sie?

 

BF: Ich kannte diese Personen nicht. 3 Tage nach diesem Geschehen haben sie meine Familie aufgesucht.

 

RI: Bei Ihnen zu Hause?

 

BF: Ja. Sie haben nach mir gefragt und begonnen meine Eltern zu schimpfen. Sie haben gesagt, dass sie mich haben wollen.

 

RI: Was haben die drei Personen den Eltern geschimpft, was wurde da gesagt?

 

BF: "Wir wollen Ihren Sohn".

 

RI: Was geschah dann?

 

BF: Sie haben geschimpft und sie bedroht.

 

RI: Was haben sie bedroht?

 

BF: Ich war nicht anwesend. Was mein Vater mir gesagt hat, haben sie geschimpft und gesagt, dass sie mich auf jeden Fall haben wollen. Wenn sie nicht sagen, wo ich bin, werden sie mich auf jeden Fall töten, wenn sie mich sehen und erwischen. Ich kannte diese Leute vorher nicht. Zum Glück war mein Bruder nicht anwesend. Wenn mein Bruder anwesend gewesen wäre, hätten sie meinen Bruder mitgenommen.

 

RI: Haben die Männer auch Ihre Eltern bedroht?

 

BF: Sie sind ältere Leute, auf diese Art haben sie sie nicht bedroht. Sie haben nur mich bedroht.

 

RI: Was ist dann passiert?

 

BF: Mein Vater hat die Polizei verständigt. 2 Stunden später ist die Polizei gekommen, aber da waren diese Personen nicht mehr dort. Sie haben keine einzige Maßnahme gesetzt.

 

RI: Wurde ein Protokoll aufgenommen?

 

BF: Ich weiß es nicht. Ich glaube aber nicht.

 

RI: Was geschah dann?

 

BF: Aus diesem Grund war es für mich klar, dass ich nicht mehr im Irak bleiben kann. Innerhalb eines Monats sind sie noch einmal gekommen und haben wie schon zuvor bedroht und geschimpft. Deswegen habe ich entschieden, den Irak so schnell wie möglich zu verlassen. Beim zweiten Mal hat meine Familie wieder die Polizei angerufen, aber die Polizei ist nicht gekommen. Ich war schon unterwegs, das heißt ich war schon auf der Flucht, wie die Familie das zweite Mal von den Personen aufgesucht worden ist. Deswegen hat mein Vater das Haus wechseln müssen.

 

RI: Wie viel Zeit nach dem ersten Besuch dieser Männer bei Ihren Eltern zu Hause, haben Ihre Eltern das Haus gewechselt?

 

BF: Mein Vater hat unmittelbar nach dem Besuch der Männer im Haus, sich nach einem anderen Haus umgeschaut. Es könnte einen Monat gedauert haben, dass er ein anderes Haus gefunden hat und umgezogen ist.

 

RI: Haben Ihre Eltern nach dem Umzug noch einmal Besuch von den Männern bekommen?

 

BF: Nein, sie wurden dann nicht mehr aufgesucht.

 

RI: Konnten Sie die Männer im Auto gut sehen?

 

BF: Das Gesicht war nicht klar zu erkennen, denn es war Sommerzeit und sie haben dunkle Brillen aufgesetzt gehabt.

 

RI: Aber Sie konnten sich erinnern, dass es drei Leute waren?

 

BF: Ja.

 

RI: Wie sahen diese Männer aus und wie waren sie gekleidet?

 

BF: Sie waren zivil angezogen, dunkelgrün, wie ich mich erinnere.

 

RI: Hatten Sie z.B. Kopfbedeckungen?

 

BF: Kopfbedeckungen habe sie keine gehabt, nur dunkle Brille. Ich glaube, dass der eine eine Glatze gehabt hat.

 

RI: Konnten Sie die Waffen der Männer sehen, waren die Waffen irgendwie sichtbar im Auto?

 

BF: Ja, wie er mir angedeutet hat. Er hat mir ein Zeichen mit der Waffe gegeben.

 

RI: Was war das für eine Waffe?

 

BF: Eine Pistole.

 

RI: Konnten Sie sehen, ob die anderen Personen im Auto auch Waffen hatten?

 

BF: Nein, ich habe das nicht feststellen können.

 

RI: Hat Ihnen der Beifahrer mit der Pistole gedeutet oder war das der Fahrer?

 

BF: Der Beifahrer.

 

RI: Woher wussten Sie sofort, dass diese Männer Sie entführen wollten, als diese versuchten Sie anzuhalten? Hätten es nicht auch Polizisten in Zivil sein können?

 

BF: Es ist ausgeschlossen, dass Sicherheitskräfte auf dieser Art und Weise versuchen Leute anzuhalten. Außerdem war in dieser Zeit diese Art von Entführung Gang und Gebe in Bagdad. Jeder hat sich bedroht gefühlt.

 

RI: Wie gelang Ihnen die Flucht mit dem Wagen, wenn die Männer bewaffnet waren?

 

BF: Es war mir klar, wenn ich stehenbleibe, dann bin ich tot. Es blieb mir nur ein Ausweg, dass ich versuche zu flüchten. Und Gott sei Dank wurde mein Auto getroffen und nicht ich.

 

RI: Wie lange hat diese Verfolgungsjagd gedauert?

 

BF: Nicht lange hat es gedauert. Einige Augenblicke. Sie haben mich ein bisschen verfolgt und sind dann selber weggefahren. Weil ein Checkpoint in der Nähe war und diesen Checkpoint nur wir, die bei XXXX arbeiten, durchfahren. Deshalb haben sie mich nicht mehr verfolgt.

 

RI: Sind Sie zu irgendeinem Zeitpunkt während dieser Verfolgung stehengeblieben oder sind Sie direkt durchgefahren zur Polizeistation?

 

BF: Nein, ich bin direkt zur Polizei gefahren.

 

RI: Wo wurde denn Ihr Auto von den Kugeln getroffen?

 

BF: Auf der linken Seite. Er versuchte mich zu treffen, aber die Tür auf der linken Seite wurde getroffen und zum Glück war ich nicht getroffen.

 

RI: Wem gehörte das Auto?

 

BF: Das war mein Auto.

 

RI: Was war das für ein Auto, welche Marke?

 

BF: Shery.

 

RI: Das heißt, Sie haben für die Firma XXXX Ausrüstungsgegenstände von einem Standort XXXX zu einem anderen Standort XXXX in Bagdad mit Ihrem Privatauto transportiert?

 

BF: Ja, ich war mit dem Auto bei XXXX angestellt. Das heißt, ich habe für diesen Transport auch Geld bekommen.

 

RI: Ist Ihr Auto ein PKW oder ein LKW oder ein Sprinter?

 

BF: Es war ein PKW.

 

RI: Welche Art von Ausrüstungsgegenstände haben Sie denn transportiert?

 

BF: Das waren sehr oft elektrische Ausrüstungen, wie z.B. Boards und Kabeln. Zusammengebaut sind diese Teile ungefähr 1,5 m groß, allerdings solange sie nicht zusammengebaut sind, sind sie in kleinen Paketen.

 

RI: Für wen arbeiteten diese Leute? Was wissen Sie? Was vermuten Sie?

 

BF: Ich weiß es nicht. Wenn Sie Vermutung meinen, ich vermute, dass sie von einer schiitischen Gruppierung waren.

 

RI: Wie haben sich diese Personen Ihren Eltern gegenüber vorgestellt? Haben sie erzählt für wen sie arbeiten oder welcher Gruppe sie angehören?

 

BF: Sie haben sich nicht vorgestellt. Sie haben nur gefragt, wo ich sei und dass sie mich töten würden und sie haben geschimpft und gedroht.

 

RI: Welche Position hatten Sie zu diesem Zeitpunkt in der Firma XXXX inne? Was war Ihre Stellenbezeichung?

 

BF: Ich war zuständig für die Einkäufe, was der Firma fehlt. Ich war zuständig, das zu kaufen. Diese zwei Standorte waren zu beliefern.

 

RI: Hatten Sie schon vor dem 27.06.2013 jemals Probleme wegen Ihres Jobs bei XXXX gehabt bzw. wurde sie jemals zuvor aufgefordert den Job bei dieser ausländischen Firma zu kündigen?

 

BF: Nein, vorher habe ich keine Bedrohung bekommen und keine Ahnung gehabt, dass so etwas passieren würde. Ich als Palästinenser bin ich im Irak nicht geliebt, und darf keine gute Stelle, eine gute Arbeit, haben.

 

RI: VORHALTUNG: Warum sollten die Leute einen einfachen Transporteur einer ausländischen Firma entführen, wenn Sie weder reich waren, noch von politischer Relevanz waren? Das macht keinen Sinn.

 

BF: Als Palästinenser im Irak sind wir nach dem Sturz von Saddam Hussein sehr unbeliebt, denn Saddam Hussein hat uns unterstützt und danach haben sie gesagt, wir sind Saddams Angehörige. Ich glaube, das ist der Grund, dass ich Palästinenser bin und sie wollten die Palästinenser aus dem Irak rausjagen, weil sie denken, dass die Palästinenser Saddamisten sind.

 

RI: Sie glauben, dass Sie deswegen von den Leuten verfolgt wurden, weil Sie bei XXXX gearbeitet haben oder aufgrund Ihrer ethnischen Zugehörigkeit zur Gruppe der Palästinenser?

 

BF: Beide Gründe glaube ich. Ich bin ein erfolgreicher Palästinenser und arbeite bei einer ausländischen Firma. Angeblich ist das für diese Leute zu viel.

 

RI: Haben Sie bei dieser Firma gut verdient?

 

BF: Ja.

 

RI: Als diese Leute das erste Mal zu Ihnen nach Hause gekommen sind, haben Sie zu diesem Zeitpunkt noch bei Ihren Eltern und Ihrem Bruder gelebt oder waren Sie da schon bei Ihrem Onkel?

 

BF: Nach dem Ereignis mit der Autoverfolgung war ich bei meinem

Onkel. Vorher habe ich bei meiner Familie gewohnt. Eine Korrektur:

Meine Familie hat länger gebraucht, um in ein neues Haus zu ziehen. Sie haben ungefähr ein Jahr gebraucht.

 

RI: Woher wussten die Männer, wo ihre Eltern wohnten?

 

BF: Es könnte sein, dass sie sich vorher über mich erkundigt haben. Es besteht auch die Möglichkeit, dass die Männer durch Behörden diese Auskunft bekommen haben.

 

RI: Sie haben gesagt, durch diesen Vorfall am 27.06.2013, dass Sie direkt zu Ihrem Onkel geflohen sind. Haben Sie das gemacht, weil Sie damit gerechnet haben, dass diese Männer zu ihren Eltern kommen würden?

 

BF: Ich habe geahnt, dass die Männer mich dann zu Hause aufsuchen. Deswegen habe ich Angst gehabt und bin zu meinem Onkel geflohen.

 

RI: Wenn Sie damit rechneten, dass die Männer Sie bei Ihren Eltern zu Hause suchen würden, warum ist Ihre Familie an dieser Adresse wohnhaft geblieben? Schließlich war Ihre Familie doch im höchsten Grade gefährdet, wenn bewaffnete Männer Sie bei Ihren Eltern zu Hause suchen würden?

 

BF: Mein Bruder hat nach diesem Ereignis zu meiner Tante geflohen und hat nicht mehr bei meinen Eltern gelebt. Meine Eltern sind alte Leute und sie wurden direkt nicht bedroht, dass sie sie töten möchten. Sie haben nur nach mir gefragt. Ich vermute, dass sie nicht gewusst haben, dass ich einen Bruder habe. Wenn sie das gewusst hätten, hätten sie sicher meinen Bruder entführt. Diese ganze Verwandtschaft, also von den Eltern, der Tante und dem Onkel, sind außerhalb von Irak, sie sind in Schweden und in der Türkei.

 

RI: Als Ihre Eltern umgezogen sind nach dem zweiten Besuch der Männer. Sind Sie innerhalb der Stadt Bagdad verzogen, stimmt das?

 

BF: Ja, in Bagdad sind sie in einem anderen Bezirk gezogen. Der Bezirk heißt XXXX .

 

RI: VORHALTUNG: Sie haben bei Ihrer Einvernahme vor dem BFA am 09.02.2015 auf Seite 5 des BFA-Protokolls u.a. Folgendes angegeben:

"...Sie haben das Haus durchsucht und nach mir gefragt. Sie drohten meiner Mutter uns alle zu töten...". Trotz dieser konkreten Bedrohung auch Ihrer Familie gegenüber ist Ihre Familie in der gleichen Stadt geblieben und nicht geflüchtet? Warum?

 

BF: Wir sind Palästinenser. Wir können uns nicht überall frei bewegen.

 

RI: Ihre Eltern hätten schon damals fliehen können und nicht erst vor 1 1/2 Jahren?

 

BF: Eine Flucht kostet sehr viel Geld und meine Familie verfügte nicht über diesen Mitteln, dass sie Irak gleich verlassen könnten.

 

RI: Wie ist Ihre Familie zu den Mitteln gekommen, um vor 1 1/2 Jahren zu fliehen?

 

BF: Mein Vater hat bei dieser Firma begonnen zu arbeiten. Er hat sehr gut verdient. Er hat dieses Geld zusammengebracht, um zu fliehen.

 

RI: Wie lange hat Ihr Vater bei der Firma Toba gearbeitet?

 

BF: Er hat auch länger als 1 Jahr dort gearbeitet.

 

RI: Was ist dann Ihrem Vater passiert oder welchen Vorfall hat es gegeben, der zur Flucht Ihrer Eltern geführt hat?

 

BF: Er wurde auch bedroht. Man hat ihn bei der Firma XXXX angerufen und ihm eine Woche Zeit gegeben, den Irak zu verlassen. Ansonsten ist sein Leben und das Leben seiner Frau in Gefahr. Das hat meinem Vater dazu bewirkt, so schnell wie möglich Irak zu verlassen.

 

RI: Ist jemandem Ihrer Familie durch diese Männer tatsächlich jemals Gewalt angetan worden bzw. körperlich angegriffen worden?

 

BF: Nein, sie haben keine Gewalt angewandt.

 

RI: Wie oft haben die Männer bei Ihrer Familie insgesamt vorbeigeschaut?

 

BF: Ich war nicht im Irak. Ich weiß nur von diesen zwei Male. Es könnte sein, dass sie das dritte Mal dort waren, aber ich weiß von diesen zwei Male.

 

RI: Und jedes Mal haben die Männer nur nach Ihnen gefragt, ohne Ihren Eltern oder Ihrem Bruder ein Haar zu krümmen?

 

BF: Sie haben das Haus auch durchsucht, um an Geld zu gelangen. Ansonsten haben sie keinen anderen Druck ausgeübt. Sie haben Angst gemacht, aber keine Gewalt angewendet.

 

RI: Wann haben Sie aufgehört bei XXXX zu arbeiten?

 

BF: Nach diesem Ereignis vom 27.06. war ich nicht mehr bei der Firma XXXX und die Gegenstände, d.h. die Ausrüstungen, sind im Auto geblieben bis die Firma XXXX die Gegenstände abgeholt hat und ich war nicht mehr bei der Firma. Sie haben nur telefonisch mit mir geredet.

 

RI: Wenn Sie nach dem 27.06. nicht mehr für die Firma XXXX gearbeitet haben, dann ist ja dieser Umstand, der Arbeit für eine schwedische Firma, welche Sie in den Fokus der Männer gebracht hat, weggefallen. Dann hätten sie Sie ja nach diesem Zeitpunkt ja nicht mehr bedroht werden dürfen?

 

BF: Ich bin ein junger Mann. Ein Palästinenser. Ich bin ausgebildet und hatte eine gute Arbeit. Ich habe ein Auto besessen. Das war eine Art Drohung in den Augen dieser Leute. Sie wollten mich auf jeden Fall loswerden. Sie haben nicht direkt gesagt, meine Arbeit sei bei der Firma XXXX Grund für die versuchte Entführung genannt.

 

RI: Sie haben vorhin gemeint, Sie vermuten, dass diese Leute Sie auf jeden Fall loswerden wollten. Wollten sie Sie loswerden oder entführen, weil das zwei verschiedene Gründe, Motivationen sind?

 

BF: Beide Gründe. Es ist immer so, dass sie zuerst entführen, Geld von der Familie verlangen und die Opfer danach töten. Das ist dem Ehemann meiner Tante passiert. Er ist ein Rechtsanwalt gewesen. Er wurde entführt, es wurde Geld verlangt, das die Familie bezahlt hat, und er wurde danach getötet. Die Familie von meiner Tante ist jetzt in Schweden. Wenn der geehrte Richter das möchte, kann ich das als Beweis vorlegen.

 

RI: Der Beweis, dass die Familie Ihrer Tante in Schweden ist?

 

BF: Ja. Sie haben dort Asyl bekommen und wurden dann eingebürgert.

 

RI: Gibt es noch andere Fluchtgründe, als die eben Geschilderten?

 

BF: Bis ich nach Österreich gekommen bin, gab es keine anderen Gründe, als die, die ich erzählt habe. Als ich nach Österreich gekommen bin, gab es ein Problem mit mir.

 

RI: Welches?

 

BF: Wie ich in Österreich am 05.08.2014 war, sind unsere Ausweise abgelaufen, das heißt der Ausweis von mir, meinen Eltern und meinem Bruder. Mein Vater versuchte, diese Ausweise zu verlängern. Die Behörden haben nach mir gefragt und mein Vater hat schon gesagt, dass ich ausgereist wäre und nicht mehr im Irak bin. Das haben sie ihm nicht geglaubt. Danach hat eine Polizeitruppe das Haus aufgesucht. Sie haben meine Familie aufgesucht, nach mir gefragt und mein Vater hat die gleiche Antwort gegeben. Sie haben gesagt "Wir verlangen nach XXXX und wenn er nicht kommt, werden wir strenge Maßnahmen gegen euch unternehmen." Das Haus wurde von oben bis unten durchsucht, es wurde alles durcheinandergebracht und meine Eltern wurden sehr unmenschlich behandelt. Ein Protokoll wurde ausgefertigt und mein Vater musste es unterschreiben, dass sobald XXXX da ist, die Polizei benachrichtigt wird. Das heißt, ich werde im Irak gesucht.

 

RI: Hatten Sie Probleme aufgrund Ihrer Rasse, Religion, Ethnie, Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe oder Ihrer politischen Gesinnung? Hatten Sie Probleme mit den Behörden im Irak?

 

BF: Mit den Behörden haben wir als Palästinenser und Sunniten großes Problem mit den Behörden gehabt. Noch dazu kommt, dass sie glauben, dass wir Saddamisten sind.

 

RI: Was befürchten Sie konkret im Falle einer Rückkehr in den Irak?

 

BF: Ich denke gar nicht daran in den Irak zurückzukehren. Weil von zwei Seiten werde ich gesucht. Das Einfachste sind die Behörden, wenn ich überhaupt hinkommen könnte, weil ich keinen Pass und keine Staatsangehörigkeit besitze, werde ich zu 100% vom Flughafen aus festgenommen und ungerecht verurteilt. Das ist vielen anderen Palästinenser passiert.

 

RI: War Österreich von Anfang an das Ziel Ihrer Reise?

 

BF: Ja.

 

RI: Wo sind Sie zur Zeit in Österreich untergebracht?

 

BF: Ja, ich wohne momentan privat im XXXX .

 

RI: Wieviel hat die Flucht aus dem Irak gekostet?

 

BF: 7000 bis 8000 Euro.

 

RI: Wie geht es Ihnen? Sind Sie gesund?

 

BF: Ich bin gesund.

 

RI: Sind Sie in ärztlicher oder therapeutischer Betreuung?

 

BF: Nein.

 

RI: Nehmen Sie zur Zeit Medikamente?

 

BF: Nein.

 

RI: Ihnen wurden vorab Länderfeststellungen zum Irak übermittelt und Sie wurden zu einer allfälligen Stellungnahme aufgefordert. Sie haben keine schriftliche Stellungnahme abgegeben. Möchten Sie sich mündlich äußern?

 

BF: Ich habe keine Stellungnahme, ich habe diese Länderfeststellungen per Post bekommen.

 

RI an RV: Haben Sie noch Fragen an den BF?

 

RV: Sie haben angegeben, dass Sie aufgrund Ihrer ethnischen Zugehörigkeit zu den Palästinensern, Ihre Religion der Sunniten sowie Ihrer unterstellten Sympathie für Saddam von den staatlichen Behörden verfolgt sind. Könnten Sie bitte näher ausführen, was Ihre Probleme oder Ihre diesbezüglichen Probleme im Irak waren? Welche Probleme hatten Sie als Palästinenser?

 

BF: Willkürlich werden unsere Häuser, wo die Palästinenser leben, von den Behörden oder der Polizei gestürmt und die Palästinenser werden unmenschlich behandelt, beschimpft und gesucht. Sie nennen als Grund, dass sie nach Waffen suchen. Bei den Checkpoints werden wir sehr oft aufgehalten, weil wir diesen Ausweis zeigen (BF legt vor: einen Personalausweis, welchen Palästinenser im Irak bekommen. Vorgelegtes Exemplar war gültig zwischen 06.07.2009 und 06.07.2014). Sie halten uns auf diesen Checkpoints lange auf, befragen uns lange und wir werden sehr unhöflich behandelt. Das passiert jedes Mal, sobald sie sehen, dass wir Palästinenser sind. Was mir persönlich einmal passiert ist: Ich war mit einer Reparaturgruppe von der Firma im Bezirk Al Husseinia unterwegs. Als wir an dieser Stelle ankamen, Al Husseina ist ein Bezirk, wo vorwiegend Shiiten leben. Die Ingenieure haben die Ausrüstung gebraucht, die ich besorgen musste. Sobald ich am Checkpoint angekommen bin, um die Ausrüstung zu besorgen, haben sie nach meinem Ausweis gefragt. Sobald sie gesehen haben, dass ich Palästinenser bin, hat er den Schlüssel von dem Auto gezogen und mir befohlen auszusteigen. Per Walkie-Talkie hat er seinen Vorgesetzten angerufen und gesagt, dass ein Palästinenser, ein Terrorist, hier bei uns ist. Einen Augenblick später, ist eine bewaffnete Truppe gekommen. Der Vorgesetzte ist mit dieser Truppe gekommen und hat gefragt, was ich als Palästinenser in einem schiitischen Viertel mache. Er hat begonnen Fragen und Fragen zu stellen. Dann war er nicht so streng mit mir wie die Soldaten vom Checkpoint vorher, die versucht haben mich zu erniedrigen und mich zu beschimpfen. Sie haben mich auch geschlagen, aber nicht so viel. Dann hat dieser Vorgesetzte mich gefragt "Was machst du als Palästinenser in einem schiitischen Viertel und was macht ihr überhaupt im Irak?". Ich muss dazu sagen, dass der Vorgesetzte nicht so streng war. Dieser Vorgesetzte hat Mitleid mit mir bekommen, ich weiß nicht warum. Er hat zu mir gesagt, nachdem ich bewiesen habe, dass ich bei der Firma XXXX arbeite und wegen dem Mastreparatur dort bin, dass er mich unter einer Bedingung verlasse, ich dürfe mich nicht mehr in diesem Viertel zeigen. Er garantiere für nichts. Ich habe dadurch so eine Angst gekriegt, dass ich meine Kollegen bei der Arbeit nicht mehr abgeholt habe und nicht mehr zur Mastreparatur zurückgekehrt bin.

 

RI: Wie lange war dieser Vorfall vor Ihrer Flucht aus dem Irak?

 

BF: Dieser Vorfall könnte 9 Monate vor meiner Flucht sein. Es ist ein alltägliches Problem, das wir als Palästinenser im Irak haben.

 

RV: Sie haben soeben von willkürlichen Haus-und-Personen-Durchsuchungen, sowie von willkürlicher und erniedrigender Behandlung an Checkpoints berichtet. Haben Sie auch Erfahrungen oder Beobachtungen, beispielsweise in Ihrer Familie, von willkürlichen Festnahmen oder Inhaftierungen von Palästinensern?

 

BF: Hunderte Palästinenser gibt es, die verhaftet wurden und ungerecht verurteilt wurden. Es gibt auch viele Palästinenser, die im Gefängnis sitzen ohne Urteil, weil sie willkürlich verhaftet wurden. Sie haben sich nichts zu Schulden kommen lassen. Es gibt auch viele Palästinenser, diese Fälle häufen sich, es gibt, wie gesagt, hunderte Palästinenser, die willkürlich verhaftet sind und wir wissen, in welchem Gefängnis sie sind. Es gibt viele Fälle, wo keiner weiß, wo sich die Palästinenser befinden. Wir wissen nicht, ob diese von der IS entführt sind oder von den Staatsbehörden verhaftet sind. Auch bei Hausdurchsuchungen kommt es häufig vor, dass man geschlagen wird.

 

RV: Sie haben den Irak illegal verlassen, das heißt ohne gültiges Reisedokument, was Palästinenser nach Artikel 17 und 18 des irakischen Flüchtlingsgesetzes verboten ist. Zudem droht bei illegaler Ausreise gemäß Artikel 10 irakisches Passgesetz eine Freiheitsstrafe von 5 bis 15 Jahren. Sind Sie sich dessen bewusst und fürchten Sie aus diesem Grund staatliche Verfolgung?

 

BF: Ich habe von diesem Gesetz gehört. Natürlich macht das Angst. Aber gegen das Gesetz habe ich nichts. Wenn es ein Gesetz gibt und ich werde gerecht zur Verantwortung gezogen, dann akzeptiere ich das. Aber wenn ich nichts getan habe und nur weil ich Palästinenser bin mit mir Unrecht geschieht, davor habe ich Angst. Das ist meine Antwort. In vielen Weisen sind die Palästinenser im Irak benachteiligt. Wir dürfen nicht arbeiten, wir haben keine Rechte und seit einiger Zeit wird den Palästinensern auch die monatliche Lebensmittelunterstützung gestrichen. Sie setzen jede Maßnahme durch, die das Leben der Palästinenser schwermacht.

 

RV: Nachdem nun auch Ihr Vater in das Visier voraussichtlich schiitischer Milizen, Gruppierungen geraten ist, befürchten Sie nun auch abgesehen von Ihren persönlichen Problemen, aufgrund der neuentstandenen Probleme Ihres Vaters, Probleme im Irak?

 

BF: Natürlich habe ich dadurch mehr Angst bekommen. Wie ich auch vorhin erwähnt habe, wenn diese Milizen meinen Bruder gefunden hätten, hätten sie ihn sicherlich entführt und erschossen. Natürlich gilt das Gleiche auch für mich.

 

RV: Es geht um die Aktenseite 84. Sie haben erzählt, dass Sie im Anschluss an den Vorfall mit diesen drei Personen zur Polizei gegangen sind und Anzeige erstattet haben. Ist dies die angesprochene Anzeige und könnten Sie bitte zu diesem Schreiben nähere Angaben machen?

 

BF: Ja, in dieser Anzeige geht hervor, dass ich eine Anzeige gegen drei unbekannte Personen erstattet habe. Ich wurde verfolgt, angeschossen und mein Auto wurde getroffen, und dass in diese Richtung weitere Maßnahmen erlassen werden. Das ist nur als Nachweis, als Bestätigung, dass ich diese Anzeige erstattet habe und ich habe vorher auch erzählt, dass sie sich lustig über mich gemacht haben und keine Maßnahmen gesetzt haben. Das bedeutet, wenn ich auch erschossen werde, wird nichts unternommen.

 

RV: Es geht um die Aktenseite 85. Sie haben auch erwähnt, dass Ihr Vater Probleme bei der Verlängerung der irakischen Flüchtlingsausweise auf der Basis UNHCR hatte. Besteht dieses beim BFA vorgelegte Dokument in diesem Zusammenhang? Wenn ja, können Sie den Inhalt und die Umstände dieses Dokument betreffend erklären?

 

BF: Genau, wie ich erzählt habe, ist dieses Dokument ein offizielles Schreiben der Behörde, dass nach mir verlangt wird und ich dort anwesend sein soll. Das Schreiben ist am 03.08.2014 ausgestellt und am 05.08.2014 wurde es zugestellt. Am 06.08.2014 sollte ich bei meiner Behörde anwesend sein, sonst werden sie strenge Maßnahmen gegen mich einleiten. Mein Vater musste dieses Dokument unterschreiben, das er bekommen hat.

 

RI Wie sind Sie zu diesem Dokument gekommen? Da waren Sie nicht mehr im Irak.

 

BF: Per Post.

 

Die RV legt eine Kopie des Kuverts vor, mit dem der BF dieses Schriftstück erhalten hat.

 

BF: Meine Familie hat mir dieses Dokument per DHL geschickt. Ich habe sogar ein Dokument von den UN-Behörden. In diesem Dokument steht, dass ich als Palästinenser im Irak lebe und ersuche, mir zu helfen.

 

RV: Haben Sie die Dokumente (Aktenseite 84 und 85) heute im Original mit?

 

BF: Ja.

 

RV stellt folgenden Beweisantrag: Ich beantrage die Aktenseite 84 und 85 in die deutsche Sprache zu übersetzen sowie die nun vorgelegten Originale dieser Kopien auf Echtheit überprüfen zu lassen. Diese Übermittlungen sind geeignet, einen Beitrag zum Gegenstand der Beweisaufnahme, nämlich die Frage, ob sich der Vorfall am 27.06.2013 tatsächlich ereignet hat oder nicht, sowie der zweiten Frage, ob der BF aufgrund des Schreibens (Aktenseite 85) von den irakischen Behörden gesucht wird, zu leisten.

 

RV stellt folgenden Antrag: Eine Frist von 4 Wochen, um eine Stellungnahme der asylberechtigten Tante des BF in Schweden sowie eine Stellungnahme seines Vaters in Vorlage zu bringen.

 

RV bringt vor: eine Stellungnahme zu den Länderberichten. Da insbesondere die Frage der möglicherweise asylrelevanten Diskriminierungen von Palästinensern im Irak, nicht ausreichend behandelt wird, verweise ich auf den Bericht "UNHCR Protection Considerations for Palestinian refugees in Iraq" vom Juli 2012 sowie UNHCR "Relevant COI on the Situation of Palestinian in Bagdad" vom 30.03.2017. Diese beiden Berichte bestätigen das Vorbringen des BF, aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit zu den Palästinensern sowie seiner unterstellten Unterstützung des Saddamregimes, dem Risiko ausgesetzt ist, Ziel willkürlicher Kontrollen, Hausdurchsuchungen, Anhaltungen und Inhaftierungen zu werden. Ebenso droht dem BF staatlicher Verfolgung aufgrund seiner illegalen Ausreise aus dem Irak auf der Grundlage der zuvor zitierten irakischen Bestimmungen.

 

RV legt weiters vor: ein Vorbringen vom 28.01.2019 sowie das Update "UNHCR Protection Considerations for Palestinian refugees in Iraq".

 

Die Verhandlung wird von 13:25 Uhr bis 13:35 Uhr pausiert.

 

In Anbetracht des Umstandes, dass die Beschwerdeseite seit 02.03.2015 die Möglichkeit hatte zusätzliche Dokumente im Beschwerdeverfahren zur Vorlage zu bringen, wird der Beschwerdeseite eine Frist von genau 1 Woche zur Verfügung gestellt allfällige weitere Unterlagen beizubringen. Dem Antrag auf Übersetzung der Aktenstücke 84 und 85 wird vom erkennenden Gericht zugestimmt.

 

RI an BF: Ihnen wird nun das Sitzungsprotokoll rückübersetzt. [...]

 

11. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung brachte der BF ein mit 28.01.2019 datiertes Vorbringen sowie den Bericht von UNHCR (Update of UNHCR Aide-Memoire of 2006, Protection Considerations for Palestinian refugees in Iraq) in Vorlage.

 

Zusammenfassend wird mit der mit 28.01.2019 datierten Eingabe geltend gemacht, dass bereits das UNHCR refugee Certificate als Indiz für die Schutzgewährung in Österreich relevant sei, da es nur jenen Personen ausgestellt werde, die sämtliche Kriterien der Flüchtlingseigenschaft iSd GFK erfüllen würden. Der BF habe glaubhaft vorgebracht, dass er Palästinenser sei und er deswegen vor seiner Ausreise häufig Diskriminierungen, Schikanen verbaler und phsyischer Gewalt, willkürlichen Durchsuchungen und Anhaltungen ausgesetzt gewesen sei. Ein Abgleich mit einschlägigen Länderberichten würde dieses Vorbringen bestätigen. In dem unter einem vorgelegten Bericht von UNHCR (Update of UNHCR Aide-Memoire of 2006 Protection Considerations for Palestinian refugees in Iraq) vom Juli 2012 werde eindrücklich beschrieben, dass mit dem Sturz des Regimes Saddam Hussein 2003 eine systematische Verfolgung von Palästinensern eingesetzt habe, die bis zum Jahr 2007 angedauert habe. UNHCR berichte in Überstimmung mit den Angaben des BF, dass die Identitätskarte der Palästinenser an Checkpoints häufig nicht akzeptiert werde, was zu willkürlicher Anhaltung von mehreren Stunden, aber auch zu verbalen und körperlichen Übergriffen führe. Auch würden Palästinenser häufiger kontrolliert und angehalten als irakische Staatsbürger. Weiters werde das Vorbringen des BF bestätigt, wonach palästinensische Häuser zum Ziel willkürlicher Kontrollen und Durchsuchungen würden. Der BF wäre daher bei einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr von erniedrigenden Checkpointkontrollen, willkürlichen Durchsuchungen und Verhaftungen, sowie verbaler und physicher Gewalt sowie Bedrohungen ausgesetzt. Der BF habe außerdem geschildert, dass letztlich eine Verfolgung seiner Arbeit als Fahrer für das westliche Unternehmen XXXX fluchtauslösend gewesen sei. Diesbezüglich halte der UNHCR fest, dass Palästinenser, die in der internationalen Zone arbeiten würden, aufgrund ihrer unterstellten Verbindung zu Amerika zum Ziel von Drohungen würden. Sinngemäß müsse dies auch für das Vorbringen des BF, aufgrund seiner Tätigkeit für eine westliche Firma, sowie seiner Eigenschaft als Palästinenser zum Ziel des Angriffes geworden zu sein, gelten. Auch nach seiner Ausreise hätten Milizen die ehemaligen Wohnungen des BF durchsucht und sei daher davon auszugehen, dass ihn diese auch im Falle seiner Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit verfolgen würden. Auch sei zu berücksichtigen, dass die gesamte Familie des BF ebenfalls aufgrund von Problemen mit schiitischen Milizen den Irak verlassen habe und nun zu befürchten sei, dass der BF im Falle seiner Rückkehr auch für die Probleme seiner restlichen Familie aufgrund von Sippenhaftung zur Verantwortung gezogen werde. Darüber hinaus drohe ihm aufgrund des irakischen Flüchtlingsgesetzes, welches die Ausreise von palästinensischen Flüchtlingen ohne vorherige staatliche Genehmigung untersage, die Konfiszierung von Eigentum. Weiters drohe ihm aufgrund des irakischen Passgesetzes 5 bis 15 Jahre Freiheitsstrafe, da er ohne gültigen irakischen Reisepass illegal aus dem Irak ausgereist sei. Dass er aufgrund seiner Eigenschaft als Palästinenser in Haft von Übergriffen bedroht sei, ergebe sich aus den Länderberichten, ebenso wie die generell menschenrechtswidrigen Haftbedingungen im Irak. Aus obenstehenden Gründen sei ihm der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.

 

12. Mit 30.05.2019 wurden - dem beschwerdeseitigen Antrag in der mündlichen VH entsprechend - die Aktenstücke 84 und 85 übersetzt.

 

Der Inhalt des Aktenstückes 84 lautet:

 

"Rechts:

 

Irakische Republik

 

Innen Ministerium

 

Polizeidirektion von BAGDAD

 

Polizeidirektion BAGDAD - ALKERKH

 

Polizeidirektion BAGDAD - ALMENSOUR

 

Polizei stützpunkt von ALMAAMOUN.

 

Mitte:

 

Wappe : oben : dieser QURAAN weist auf die, die am geradeste ist.,

Mitte unleserlich., Unten: General Direktion der Polizei von BAGDAD

 

NIEDERSCHRIFT

 

Der Beschwerdeführer (XXXX) erschien in unseren Stützpunkt und verlangte eine Anzeige gegen drei Personen zu erstatten, die ihn verfolgten und auf ihn mit schalgedämpften Waffen schossen. Eine Niederschrift wurde festgelegt und die Ermittlung wurde veranlasst.

 

Der Beschwerdeführer XXXX ist im Jahr XXXX geboren, er arbeitet bei der Firma XXXX für Kommunikation , er ist in Bezirk ALBELEDIAT - 9 April Gasse , Palatinen Wohnungen, Eingang 2 , Wohnung 2.

 

Aussage: Um zwei Uhr Mittag von Donnerstag den 27.06.2013 bin ich von meinem Arbeitsplatz im Bezirk ALMANSOUR - ALAMIRATGASSE mit meinen Auto rausgefahren. Drei Personen in einem weißen Auto der Marke HYUDAI NETRA haben mich verfolgt und versuchten mich zum Anhalten zu zwingen, in dem sie mir mit Waffen drohten. Ich bin nicht stehen geblieben, daraufhin schossen sie auf mein Auto , Linke Seite des Autos wurde getroffen, ich konnte fliehen und zu Ihrem Stützpunkt kommen , um die Anzeige gegen diese Personen zu erstatten.

 

Unterschrift

 

Der Beschwerdeführer

 

XXXX

 

Links: Stempel: Polizeidirektion BAGDAD-ALKERKH

 

Polizeistützpunkt ALMAAMOUN

 

Zahl/

 

Oberst Yusuf Alaa Stützpunktleiter

 

Stempel: oberster Gerichtshof

 

Leitung vom Gericht BAGDAD-ALKERKH

 

Personenstandsgericht ALKERKH

 

Unterschrift

 

Richter

 

Abdulla Nuri Alalousi"

 

Der Inhalt des Aktenstückes 85 lautet:

 

"Im Nahmen Gottes des Barmherzigen des Gnädigen

 

Polizei Stützpunkt ALRESCHAD

 

Am 5.08.2014

 

Erscheinungsverständigung

 

Stempel: Polizeidirektion BAGDAD ALJADIDA-Polizei Stützpunkt

ALRESCHAD

 

An Herrn XXXX , wohnhaft im Viertel ALBELEDIAT, 9 Aprilgasse 27/726, Gebäude 2, Eingang 2, Wohnung 2.

 

Gemäß der Verständigung der Aufenthaltsdirektion mit der Zahl 96/C am 3.8.2014.

 

Sie müssen in unserem Stützpunkt am Tag nach der Verständigung ohne Verspätung am Vormittag während des Parteienverkehrs erscheinen, bitte. Anderenfalls werden alle möglichen juristischen Maßnahmen gegen sie erfolgen.

 

Vernehmungsoffizier Inspektor

 

Ammar Abdulwahid Schafiq Tofiq Amin

 

5.8.2014

 

Ich habe die Verständigung für meinen Sohn XXXX wohnhaft im selben Haus entgegengenommen.

 

Unterschrift

 

XXXX

 

Ausweisnummer 13003780-964 ausgestellt von der ständigen Kommission der Flüchtlinge am 6.7.2009."

 

13. Mit Verfügung vom 29.05.2019 wurde dem BF die UNHCR-Kurzinformation vom 27.04.2018 zur Situation von Palästinensern im Irak übermittelt und ihm eine Frist zur Stellungnahme binnen 10 Tagen, hg. einlangend, gewährt.

 

Mit Schreiben vom 11.06.2019, hg eingelangt am 11.06.2019, wurde eine beschwerdeseitige Stellungnahme zur UNHCR-Kursinformation zur Situation von Palästinensern im Irak übermittelt, in welcher weite Teile des beschwerdeseitig bereits vorgelegten Vorbringens vom 28.01.2018 - z.B. hinsichtlich des UNHCR-Ref Certificate als relevantes Indiz für die Schutzgewährung in Österreich, hinsichtlich der bereits erfolgten inhaltlichen Bezugnahme auf den Bericht "Update of UNHCR Aide-Memoire of 2006,..." vom Juli 2012 und auf die "Relevant COI on the Situation of Palestinian Refugees in Bagdad" vom 30.03.2017, sowie das zusammengefasste Fluchtvorbringen, einschließlich der nachdrücklichen, beschwerdeseitigen Verneinung einer innerstaatlichen Fluchtalternative für den BF und der Thematiken der Sippenhaft und des illegalen Verlassens des Irak durch den BF, - im Wesentlichen wiederholt wurden. Die aktuelle Kurzinformation von UNHCR würde das Vorbringen des BF über Diskriminierungen, Schikanen, willkürliche Durchsuchungen und Anhaltungen von Palästinensern im Irak vielmehr bestätigen. Darüber hinaus sei Ende Dezember 2017 das Dekret, welches gleiche Rechte und Pflichten für palästinensische Flüchtlinge und irakische Staatsbürger vorsah, aufgehoben worden.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Antrags des BF auf internationalen Schutz vom 09.01.2014, der Erstbefragung des BF vor LPD XXXX am 09.01.2014, der Einvernahme des BF am 09.02.2015 vor dem BFA, der für den BF eingebrachte Beschwerde vom 02.03.2015 gegen den angefochtenen Bescheid des BFA vom 13.02.2015, der Einsichtnahme in den Verwaltungsakt und der vom BF vorgelegten Schriftstücke, sowie nach mündlicher Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 28.01.2019, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:

 

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

 

Der BF ist ist staatenlos und der Volksgruppe der Palästinenser, sowie dem muslimischen Glauben sunnitischer Ausrichtung zugehörig. Der BF wurde in Bagdad (Irak) geboren, wo er bis zu seiner Ausreise gelebt hat. Er besuchte dort von 1996 bis 2002 die Volksschule und danach von 2005 bis 2009 ein XXXX . Laut eigenen Angaben war er sodann für die schwedische Firma " XXXX " ca. 1, 5 Jahre lang tätig. Davor übte er den Beruf des Taxifahrers aus. Der BF verließ Bagdad im August 2013 und reise illegal nach Europa. Der BF legte ein von UNHCR-Bagdad ausstelltes "UNHCR Refugee Certificate" vor, ausgestellt am 02.07.2013. Die Eltern, sowie der Bruder des BF sind in Schweden aufhältig. Der BF steht mit seinen Familienangehörigen aktuell in Kontakt.

 

Der BF leidet nicht an lebensbedrohlichen Krankheiten. Der BF ist strafrechtlich unbescholten.

 

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

 

Das Vorbringen der Beschwerdeseite betreffend die Furcht des Beschwerdeführers vor Verfolgung wird den Feststellungen mangels Glaubhaftmachung nicht zugrunde gelegt. Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF im Irak eine an asylrelevante Merkmale anknüpfende Verfolgung droht.

 

1.3. Zur maßgeblichen Situation im Irak:

 

1.3.1. Aus der UNHCR-Kurzinformation zur Situation von Palästinensern im Irak vom 27.04.2018:

 

Hintergrund Palästinensische Flüchtlinge, die mehrheitlich 1948 aus dem Mandatsgebiet Palästina, das Israel wurde bzw. aus den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten und 1991 aus den Golfstaaten flüchteten und sich im Irak ansiedelten, sowie deren Nachkommen wurden von der irakischen Regierung nie offiziell als Flüchtlinge anerkannt. Entsprechend verschiedener Übereinkommen, insbesondere des "Casablanca Protokolls" der Arabischen Liga von 1965, kam ihnen aber ein Aufenthaltsrecht zu und waren sie in sozio-ökonomischer Hinsicht irakischen StaatsbürgerInnen nahezu gleichgestellt.

 

Mit dem Sturz des früheren Präsidenten Saddam Hussein im April 2003 verschlechterte sich die Situation palästinensischer Flüchtlinge dramatisch. Palästinensischen Flüchtlingen wurde von Teilen der Bevölkerung unterstellt, der früheren Regierung nahe zu stehen und sunnitische militante Gruppen, die gegen die neue Regierung im Irak kämpften, zu unterstützen. UNHCR kam daraufhin - aufgrund von Berichten über gezielte Angriffe durch bewaffnete Milizen, willkürliche Verhaftungen, Folter und Zwangsräumungen - zu dem Schluss, dass PalästinenserInnen im Irak besonders von Verfolgung bedroht seien und "wahrscheinlich" internationalen Flüchtlingsschutz benötigen. Obwohl sich die Situation palästinensischer Flüchtlinge im Zuge der relativen Stabiliserung des Iraks zwischen 2008 und 2012 vorübergehend etwas verbesserte, kam es seit April 2013 und insbesondere in Folge des Aufstiegs des sogenannten Islamischen Staates (IS; auch ISIS) und der damit verbundenen Stärkung von paramilitärischen Milizen wieder zunehmend zu Übergriffen gegenüber palästinensischen Flüchtlingen.

 

Rechtlicher Status und Dokumente Palästinensische Flüchtlinge sind im Irak weder offiziell als Flüchtlinge anerkannt, noch können sie die irakische Staatsbürgerschaft erlangen. Seit 2008 werden sie von den irakischen Behörden registriert und erhalten eigene Identitätsdokumente, die sie als palästinensische Flüchtlinge erkennbar machen. PalästinenserInnen, die bereits 1948 aus dem Mandatsgebiet von Palästina, das Israel wurde, vertrieben wurden sowie deren Nachfahren erhalten eine rote Identitätskarte. PalästinenserInnen, die 1967 oder darauf folgend im Irak angekommen sind sowie deren Nachfahren erhalten eine gelbe Identitätskarte. PalästinenserInnen haben grundsätzlich Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen und zum privaten Arbeitsmarkt. Darüber hinaus waren jene PalästinenserInnen, die bereits 1948 vertrieben wurden, - mit Ausnahme des Rechts auf Staatsbürgerschaft - irakischen StaatsbürgerInnen per Gesetz gleichgestellt und besaßen das Recht zu arbeiten, Besitz zu erwerben und Reisedokumente zu erlangen. Die Ausübung dieser gesetzlich festgelegten Rechte ist jedoch seit 2003 in der Praxis oft eingeschränkt. So werden die genannten Identitätsdokumente bei Checkpoints oft nicht anerkannt. Überdies kommt es - beispielsweise im Hinblick auf den Arbeitsmarktzugang - zu erheblichen Diskriminierungen. Mit einem Ende Dezember 2017 erlassenen Gesetz wurde das Dekret Nr. 202 aus 2001, das vorsah, dass palästinensische Flüchtlinge, die 1948 geflüchtet sind (sowie deren Nachfahren), dieselben Rechte und Pflichten - mit Ausnahme des Rechts, die Staatsbürgerschaft zu erlangen - haben wie irakische StaatsbürgerInnen, aufgehoben. Damit wurden diese Rechte in Frage gestellt, wobei die tatsächlichen Auswirkungen zum jetzigen Zeitpunkt nicht klar erkennbar sind. Die Regierung hat verneint, dass das neue Gesetz die Rechte palästinensischer Flüchtlinge widerruft oder tangiert.

 

Ein- und Ausreise Palästinenserinnen, die 1948 geflüchtet und vom ständigen Ausschuss des Innenministeriums registriert sind (sowie deren Nachfahren), haben ein Recht auf Ausstellung eines palästinensichen Reisedokuments. Andere PalästinenserInnen können sich einen palästinensischen Reisepass von der palästinensischen Botschaft in Bagdad ausstellen lassen. Um den Irak legal zu verlassen wird darüber hinaus ein Ausreisevisum benötigt. Die illegale Ausreise ist für Flüchtlinge strafbar und kann mit Konfiskation des gesamten Besitzes geahndet werden. Im neuen Passgesetz aus 2015 ist darüber hinaus vorgesehen, dass Personen, die den Irak über andere Stellen als die offiziellen Grenzübergänge verlassen oder über solche Stellen in den Irak einreisen mit einer Gefängnisstrafe von mindestens drei Jahren zu bestrafen sind. Darüber hinaus sieht das irakische Strafgesetz eine Gefängnisstrafe von 15 Jahren für die Fälschung von offiziellen Dokumenten oder die Benutzung von gefälschten offiziellen Dokumenten vor.

 

PalästinenserInnen haben grundsätzlich das Recht, wieder in den Irak einzureisen, sofern sie Reisedokumente sowie ein Aus- und Einreisevisum besitzen (selbst wenn diese abgelaufen sind). Die Praxis variiert allerdings stark bei Wiedereinreisen nach längeren Auslandsaufenthalten (mehr als 6 Monate). So wird berichtet, dass PalästinenserInnen nach Ablauf der Dauer ihres Ausreisevisums die Einreise verweigert wurde. UNHCR ist darüber hinaus ein Brief einer irakischen Botschaft in einem europäischen Land bekannt, wonach PalästinenserInnen, die sich mehr als sechs Monate im Ausland aufgehalten haben, ihr Aufenthaltsrecht verloren hätten und nicht wieder einreisen dürften.

 

Situation in Bagdad Ein Großteil der palästinensischen Flüchtlinge im Irak lebt in Bagdad im Stadtteil Al-Baladiyat, wo die Regierung einst gratis Wohngebäude zur Verfügung stellte. Seit Jahren sind PalästinenserInnen in Bagdad Übergriffen aufgrund ihrer Nationalität und der ihnen unterstellten Nähe zum IS und anderen bewaffneten sunnitischen Gruppen ausgesetzt. So gibt es zahlreiche Berichte über Inhaftierungen, Entführungen, Tötungen, Verschwindenlassen, Misshandlungen und Bedrohungen. Nach Angriffen des IS im mehrheitlich schiitischen Bezirk Sadr City, der nicht weit von Al-Baladyat entfernt liegt, werden Palästinenserinnen immer wieder das Ziel von Hausdurchsuchungen und Verhaftungen. Im März 2018 waren UNHCR 69 Fälle von inhaftierten Palästinenserinnen bekannt. Viele waren wegen des Verdachts terroristischer Aktivitäten verhaftet worden, befinden sich aber mehrheitlich ohne formale Anklage in Haft (der Aufenthaltsort ist oft nicht bekannt). UNHCR und seine Partnerorganisationen haben in den meisten Fällen keinen Zugang zu den Betroffenen. Berichten zufolge sind Terrorismusverdächtige oft Misshandlungen und Folter ausgesetzt und werden, falls es zur Anklage kommt, aufgrund erzwungener Geständnisse - einschließlich zur Todesstrafe - verurteilt. Überdies sind Personen nach ihrer Freilassung wiederholten Durchsuchungen und Befragungen ausgesetzt. Übergriffe durch Milizen und andere nicht-staatliche Akteure wie Konfiszierung von Eigentum oder Zwangsräumungen werden auch dadurch begünstigt, dass der Zugang zu fairen Gerichtsverfahren und staatlichem Schutz eine Herausforderung darstellt. Viele Übergriffe werden - aufgrund tatsächlicher oder angenommener Verbindungen zwischen den Angreifern und dem Staat oder aufgrund tatsächlicher oder vermuteter Vorurteile der Polizei gegenüber palästinensischen Flüchtlingen - oft nicht angezeigt. Aufgrund von Übergriffen und willkürlichen Verhaftungen an Checkpoints verlassen viele palästinensische Flüchtlinge Al-Baladiyat nach Möglichkeit nicht, was sich negativ auf den Zugang zu Bildung und den Arbeitsmarkt auswirkt.

 

Situation in anderen Regionen Außerhalb von Bagdad wurden palästinensische Flüchtlinge in Mosul, Al-Anbar und in den kurdischen Gebieten gezählt. Vor allem in vom IS zurückgenommenen Gebieten wird von Übergriffen von Angehörigen der irakischen Sicherheitskräfte und ihnen verbündeten Gruppen auf die sunnitisch-arabische Bevölkerung aufgrund ihrer vermeintlichen Unterstützung des IS berichtet.

 

Innerstaatliche Fluchtalternative (IFA) Entsprechend der Position von UNHCR zur Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Irak vom November 2016 liegen die Voraussetzungen für die Annahme einer solchen (Relevanz und Zumutbarkeit) in der Regel nicht vor. Unter den derzeitigen Umständen - d. h. massenweise Binnenvertreibungen, tiefgreifende humanitäre Krise, zunehmende Spannungen zwischen den Volksgruppen, Zugangs-/Aufenthaltsbeschränkungen in nahezu allen Landesteilen und zunehmende Ausübung von Druck auf Binnenvertriebene, vorzeitig in ihre Herkunftsgebiete zurückzukehren, nachdem diese von ISIS zurückerobert wurden - ist es nach Auffassung von UNHCR nicht angemessen, dass Staaten Personen aus dem Irak internationalen Schutz versagen und dies mit der Anwendbarkeit einer internen Flucht- oder Neuansiedlungsalternative begründen. Eine interne Fluchtoder Neuansiedlungsalternative wäre nur in dem außergewöhnlichen Fall gegeben, dass eine Person das vorgeschlagene Neuansiedlungsgebiet auf legalem Weg erreichen und sich dort rechtmäßig und dauerhaft aufhalten kann, ihr dort keine neue Gefahr eines ernsthaften Schadens droht, sie zum vorgeschlagenen Gebiet enge familiäre Bindungen hat und die Familie bereit und in der Lage ist, sie zu unterstützen. Angesichts der schwierigen humanitären Bedingungen in vielen Landesteilen, insbesondere in Gebieten, die viele Binnenvertriebene aufgenommen haben, würde im Fall von Familienangehörigen, die selbst Binnenvertriebene sind, grundsätzlich nicht davon auszugehen sein, dass sie zu einer solchen Unterstützung in der Lage sind.

 

Sunnitisch-arabische Personen aus (ehemals) vom IS besetzen Gebieten sind besonders von Zugangs- und Aufenthaltsbeschränkungen in praktisch allen Landesteilen betroffen. Diese können u.a. dadurch zum Ausdruck kommen, dass Provinzbehörden die Einreise und/oder den Aufenthalt von Personen regelmässig vom Vorhandensein eines Garanten sowie einer Sicherheitsprüfung abhängig machen oder die Einreise komplett verbieten.

 

UNHCR erachtet das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative in kurdischen Gebieten oder in Gebieten im Zentral- oder Südirak für palästinensische Flüchtlinge aufgrund der möglichen Gefahr eines erneuten ernsthaften Schadens, der unklaren Situation bezüglich der Wiedereinreise in den Irak (siehe oben "Ein- und Ausreise") sowie den weitverbreiteten Zugangs- und

 

Niederlassungsbeschränkungen als nicht relevant. Die Tatsache, dass palästinensische Dokumente oftmals an Checkpoints nicht anerkannt werden (siehe "Rechtlicher Status und Dokumente"), würde zudem das sichere Erreichen von IFA-Gebieten, die nur über den Landweg erreichbar sind, in Frage stellen.

 

Überdies wäre eine IFA - ohne die Unterstützung durch die Familie - nicht zumutbar. Da nur wenige PalästinenserInnen außerhalb Bagdads leben, erscheint eine IFA dort in den meisten Fällen unzumutbar.

 

Schlussfolgerungen UNHCR vertritt den Standpunkt, dass Artikel 1 D Satz 1 der GFK erstens Personen erfasst, die aktuell oder früher Schutz oder Beistand von UNRWA erhalten haben, und zweitens Personen, die Anspruch auf diesen Schutz haben. Diesem Standpunkt von UNHCR liegen die beiden Ziele von Artikel 1 D zugrunde, nämlich erstens eine Überschneidung von Zuständigkeiten zu vermeiden und zweitens palästinensischen Flüchtlingen kontinuierlichen Schutz und Beistand zu gewährleisten: Indem sowohl PalästinenserInnen erfasst werden, die einen Anspruch auf Schutz oder Beistand hatten, als auch PalästinenserInnen, die tatsächlich Schutz oder Beistand erhalten haben, wird die Kontinuität ihrer Flüchtlingseigenschaft gewährt. Nach Ansicht von UNHCR sollte die Formulierung "aus irgendeinem Grund weggefallen" in Artikel 1 D Satz 2 GFK nicht eng ausgelegt werden und sollten sowohl schutzbezogene als auch praktische, rechtliche oder sicherheitsbezogene Rückkehrhindernisse berücksichtigt werden. Darunter fallen beispielsweise auch Umstände, die den Zugang zum betreffenden Gebiet verhindern, wie die Schließung von Grenzen oder das Fehlen von Ausweispapieren, die für die Reise oder Transit, oder für Einreise und Aufenthalt benötigt werden. UNHCR vertritt den Standpunkt, dass ein palästinensischer Flüchtling (der vom persönlichen Geltungsbereich des Artikels 1 D erfasst wird und einen Anspruch auf Beistand von UNRWA hat), automatisch den Schutz der GFK genießt, wenn UNRWA ihm "aus irgendeinem Grund" im Sinne von Artikel 1 D nicht oder nicht länger Schutz oder Beistand gewährt.

 

PalästinenserInnen, die nicht im Sinne von Artikel 1 D Satz 1 tatsächlich Schutz oder Beistand von UNRWA erhalten haben oder einen Anspruch darauf hatten, können dennoch Flüchtlinge sein, wenn sie die Kriterien von Artikel 1 A (2) GFK erfüllen. Diese Personen können auf dem allgemeinen Weg gemäß Artikel 1 A (2) GFK einen Antrag auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft stellen. Bei der individuellen Beurteilung, ob ein/e Palästinensern, der/die bisher im Irak gelebt hat, Flüchtling im Sinn von Artikel 1 A (2) GFK ist, müssen die in diesem Dokument enthaltenen Informationen sowie weitere aktuelle und relevante Länderinformationen von UNHCR und anderen Organisationen berücksichtigt werden. PalästinenserInnen weisen zudem als sunnitische-arabische Personen, denen oft allgemein eine Unterstützung von extremistischen Gruppen oder dem IS unterstellt wird, ein besonderes Risikoprofil auf. UNHCR möchte auch daran erinnern, dass sich die "Wohlbegründetheit" der Furcht nicht nur aus den persönlichen Erfahrungen der/s Antragstellern, sondern auch aus dem, was Freunden, Verwandten und anderen Angehörigen der betroffenen Gruppe geschah, ergeben kann. Von Bedeutung sind dabei die Gesetze des Heimatlandes und vor allem die Art und Weise, wie sie angewandt werden. Bei der Beurteilung des Schutzbedarfs von palästinensischen Flüchtlingen muss jedenfalls miteinbezogen werden, dass diese bereits in der Vergangenheit schwerer Verfolgung, Gewalt und wiederholter Vertreibung ausgesetzt waren.

 

1.3.2. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 20.11.2018;

 

Politische Lage

 

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018). Gemäß der Verfassung ist der Irak ein demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.2.2018), der aus 18 Provinzen (muhafazät) besteht (Fanack 27.9.2018). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Autonome Region Kurdistan ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Provinzen Dohuk, Erbil und Sulaymaniya. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung, verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

 

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuwwab, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat), für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt. Zusammen bilden sie den Präsidialrat (Fanack 27.9.2018).

 

Teil der Exekutive ist auch der Ministerrat, der sich aus dem Premierminister und anderen Ministern der jeweiligen Bundesregierung zusammensetzt (Fanack 27.9.2018; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (RoI 15.10.2005).

 

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (BBC 3.10.2018). Abd al-Mahdi ist seit 2005 der erste Premier, der nicht die Linie der schiitischen Da'wa-Partei vertritt, die seit dem Ende des Krieges eine zentrale Rolle in der Geschichte Landes übernommen hat. Er unterhält gute Beziehungen zu den USA. Der Iran hat sich seiner Ernennung nicht entgegengestellt (Guardian 3.10.2018).

 

Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik (Fanack 27.9.2018)

 

Im Gegensatz zum Präsidenten, dessen Rolle weitgehend zeremoniell ist, liegt beim Premierminister damit die eigentliche Exekutivgewalt (Guardian 3.10.2018).

 

Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 27.9.2018). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 17.10.2018; vgl. IRIS 11.5.2018).

 

Die konfessionell/ethnische Verteilung der politischen Spitzenposten ist nicht in der irakischen Verfassung festgeschrieben, aber seit 2005 üblich (Standard 3.10.2018). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnite, der Premierminister ist ein Schiite und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018).

 

In weiten Teilen der irakischen Bevölkerung herrscht erhebliche Desillusion gegenüber der politischen Führung (LSE 7.2018; vgl. IRIS 11.5.2018). Politikverdrossenheit ist weit verbreitet (Standard 13.5.2018). Dies hat sich auch in der niedrigen Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen im Mai 2018 gezeigt (WZ 12.5.2018). Der Konfessionalismus und die sogennante "Muhassasa", das komplizierte Proporzsystem, nach dem bisher Macht und Geld unter den Religionsgruppen, Ethnien und wichtigsten Stämmen im Irak verteilt wurden, gelten als Grund für Bereicherung, überbordende Korruption und einen Staat, der seinen Bürgern kaum Dienstleistungen wie Strom- und Wasserversorgung, ein Gesundheitswesen oder ein Bildungssystem bereitstellt (TA 12.5.2018).

 

Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten und Schiiten sowie Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.2.2018).

 

Die Zeit des Wahlkampfs im Frühjahr 2018 war nichtsdestotrotz von einem Moment des verhaltenen Optimismus gekennzeichnet, nach dem Sieg über den sogenannten Islamischen Staat (IS) im Dezember 2017 (ICG 9.5.2018). Am 9.12.2017 hatte Haider al-Abadi, der damalige irakische Premierminister, das Ende des Krieges gegen den IS ausgerufen (BBC 9.12.2017). Irakische Sicherheitskräfte hatten zuvor die letzten IS-Hochburgen in den Provinzen Anbar, Salah al-Din und Ninewa unter ihre Kontrolle gebracht. (UNSC 17.1.2018).

 

Parteienlandschaft

 

Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da'wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (OIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander - eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018)

 

Die meisten politischen Parteien verfügen über einen bewaffneten Flügel oder werden einer Miliz zugeordnet (Niqash 7.7.2016; vgl. BP 17.12.2017) obwohl dies gemäß dem Parteiengesetz von 2015 verboten ist (Niqash 7.7.2016; vgl. WI 12.10.2015). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018) und haben sich zu einer einflussreichen politischen Kraft entwickelt (Niqash 5.4.2018; vgl. Guardian 12.5.2018).

 

Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikt gekennzeichnet, zwischen Kräften, die auf Provinz-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018)

 

Die politische Landschaft der Autonomen Region Kurdistan ist historisch von zwei großen Parteien geprägt: der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK). Dazu kommen Gorran ("Wandel"), eine 2009 gegründete Bewegung, die sich auf den Kampf gegen Korruption und Nepotismus konzentriert, sowie eine Reihe kleinere islamistische Parteien (KAS 2.5.2018).

 

Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).

 

Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon, unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadrs, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fath-Bewegung des Milizenführers Hadi al-Amiri und Haider al-Abadi's Nasr ("Victory")-Allianz (LSE 7.2018).

 

Bild kann nicht dargestellt werden

 

Quelle: LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf Zugriff 2.11.2018

 

Die Wahl im Mai 2018 war von Vorwürfen von Unregelmäßigkeiten und Wahlbetrug begleitet (Al- Monitor 23.8.2018; vgl. Reuters 24.5.2018, Al Jazeera 6.6.2018). Eine manuelle Nachzählung der Stimmen, die daraufhin angeordnet wurde, ergab jedoch fast keinen Unterschied zu den zunächst verlautbarten Ergebnissen und bestätigte den Sieg von Muqtada al-Sadr (WSJ 9.8.2018; vgl. Reuters 10.8.2018). Die Mehrheit der Abgeordneten im Parlament ist neu und jung (WZ 9.10.2018). Im Prozess zur Designierung des neuen Parlamentssprechers, des Präsidenten und des Premierministers stimmten die Abgeordneten zum ersten Mal individuell und nicht in Blöcken - eine Entwicklung, die einen Bruch mit den üblichen, schwer zu durchbrechenden Loyalitäten entlang parteipolitischer, konfessioneller und ethnischer Linien, darstellt (Arab Weekly 7.10.2018).

 

Protestbewegung

 

Die Protestbewegung, die es schon seit 2014 gibt, gewinnt derzeit an Bedeutung. Zumeist junge Leute gehen in Scharen auf die Straße, fordern bessere Lebensbedingungen, Arbeitsplätze, Reformen, einen effektiven Kampf gegen Korruption und die Abkehr vom religiösen Fundamentalismus (WZ 9.10.2018). Im Juli 2018 brachen im Süden des Landes, in Basra, nahe den Ölfeldern West Qurna und Zubayr Proteste aus. Diese eskalierten, nachdem die Polizei in West Qurna auf Demonstranten schoss (ICG 31.7.2018). Reich an Ölvorkommen, liefert die Provinz Basra 80 Prozent der Staatseinnahmen des Irak. Unter den Einwohnern der Provinz wächst jedoch das Bewusstsein des Gegensatzes zwischen dem enormem Reichtum und ihrer eigenen täglichen Realität von Armut, Vernachlässigung, einer maroden Infrastruktur, Strom- und Trinkwasserknappheit (Carnegie 19.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).

 

Die Proteste im Juli weiteten sich schnell auf andere Städte und Provinzen im Süd- und Zentralirak aus (DW 15.7.2018; vgl. Presse 15.7.2018, CNN 17.7.2018, Daily Star 19.7.2018). So gingen tausende Menschen in Dhi Qar, Maysan, Najaf und Karbala auf die Straße, um gegen steigende Arbeitslosigkeit, Korruption und eine schlechte Regierungsführung, sowie die iranische Einmischung in die irakische Politik zu protestieren (Al Jazeera 22.7.2018). Die Proteste erreichten auch die Hauptstadt Bagdad (Joel Wing 25.7.2018; vgl. Joel Wing 17.7.2018). Am 20.7. wurden Proteste in 10 Provinzen verzeichnet (Joel Wing 21.7.2018). Demonstranten setzten die Bürogebäude der Da'wa-Partei, der Badr-Organisation und des Obersten Islamischen Rats in Brand; praktisch jede politische Partei wurde angegriffen (Al Jazeera 22.7.2018). Es kam zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften, sowie zu Todesfällen (Kurier 15.7.2018; vgl. CNN 17.7.2018, HRW 24.7.2018). Ende August war ein Nachlassen der Demonstrationen zu verzeichnen (Al Jazeera 3.8.2018). Im September flammten die Demonstrationen wieder auf. Dabei wurden in Basra Regierungsgebäude, die staatliche Fernsehstation, das iranische Konsulat, sowie die Hauptquartiere fast aller Milizen, die vom Iran unterstützt werden, angegriffen. Mindestens 12 Demonstranten wurden getötet (Vox 8.9.2018; vgl. NPR 27.9.2018).

 

[...]

 

Sicherheitslage

 

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen Sieg über den Islamischen Staat (IS). Die Sicherheitslage hat sich. seitdem die territoriale Kontrolle des IS gebrochen wurde. verbessert (CRS 4.10.2018; vgl. MIGRI 6.2.2018). IS-Kämpfer sind jedoch weiterhin in manchen Gebieten aktiv. die Sicherheitslage ist veränderlich (CRS 4.10.2018).

 

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich. das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen. aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten. zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten. Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.2.2018).

 

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.2.2018). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen. die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (MIGRI 6.2.2018).

 

Islamischer Staat (IS)

 

Seitdem der IS Ende 2017 das letzte Stück irakischen Territoriums verlor. hat er drei Phasen durchlaufen: Zunächst kam es für einige Monate zu einer Phase remanenter Gewalt; dann gab es einen klaren taktischen Wandel, weg von der üblichen Kombination aus Bombenanschlägen und Schießereien, zu einem Fokus auf die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes. Die Kämpfer formierten sich neu und im Zuge dessen kam es zu einem starken Rückgang an Angriffen. Jetzt versucht der IS, die Kontrolle über die ländlichen Gebiete im Zentrum des Landes und über Grenzgebiete zurückzuerlangen. Gleichzeitig verstärkt er die direkte Konfrontation mit den Sicherheitskräften (Joel Wing 3.7.2018). Im September 2018 fanden die IS-Angriffe wieder vermehrt in Bagdad statt und es ist eine Rückkehr zu Selbstmordanschlägen und Autobomben feststellbar (Joel Wing 6.10.2018).

 

Mit Stand Oktober 2018 waren Einsätze der irakischen Sicherheitskräfte gegen IS-Kämpfer in den Provinzen Anbar, Ninewa, Diyala und Salah al-Din im Gang. Ziel war es, den IS daran zu hindern sich wieder zu etablieren und ihn von Bevölkerungszentren fernzuhalten. Irakische Beamte warnen vor Bemühungen des IS, Rückzugsorte in Syrien für die Infiltration des Irak zu nutzen. Presseberichte und Berichte der US-Regierung sprechen von anhaltenden IS-Angriffen, insbesondere in ländlichen Gebieten von Provinzen, die vormals vom IS kontrolliert wurden (CRS 4.10.2018; vgl. ISW 2.10.2018, Atlantic 31.8.2018, Jamestown 28.7.2018, Niqash 12.7.2018). In diesen Gebieten oder in Gebieten, in denen irakische Sicherheitskräfte abwesend sind, kommt es zu Drohungen, Einschüchterungen und Tötungen durch IS-Kämpfer, vor allem nachts (CRS 4.10.2018)

 

Es gibt immer häufiger Berichte über Menschen, die aus Dörfern in ländlichen Gebieten, wie dem Bezirk Khanaqin im Nordosten Diyalas, fliehen. Ortschaften werden angegriffen und Steuern vom IS erhoben. Es gibt Gebiete, die in der Nacht No-go-Areas für die Sicherheitskräfte sind und IS-Kämpfer, die sich tagsüber offen zeigen. Dies geschieht trotz ständiger Razzien durch die Sicherheitskräfte, die jedoch weitgehend wirkungslos sind (Joel Wing 6.10.2018)

 

Die Extremisten richten auch falsche Checkpoints ein, an denen sie sich als Soldaten ausgeben, Autos anhalten und deren Insassen entführen, töten oder berauben (Niqash 12.7.2018; vgl. WP 17.7.2018)

 

Das Hauptproblem besteht darin, dass es in vielen dieser ländlichen Gebiete wenig staatliche Präsenz gibt und die Bevölkerung eingeschüchtert wird (Joel Wing 6.10.2018). Sie kooperiert aus Angst nicht mit den Sicherheitskräften. Im vergangenen Jahr hat sich der IS verteilt und in der Zivilbevölkerung verborgen. Kämpfer verstecken sich an den unzugänglichsten Orten: in Höhlen, Bergen und Flussdeltas. Der IS ist auch zu jenen Taktiken zurückgekehrt, die ihn 2012 und 2013 zu einer Kraft gemacht haben: Angriffe, Attentate und Einschüchterungen, besonders nachts. In den überwiegend sunnitischen Provinzen, in denen der IS einst dominant war (Diyala, Salah al-Din und Anbar), führt die Gruppe nun wieder Angriffe von großer Wirkung durch (Atlantic 31.8.2018).

 

Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen

 

Der Irak verzeichnet derzeit die niedrigste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 (Joel Wing 5.4.2018). Die Sicherheitslage ist in verschiedenen Teilen des Landes sehr unterschiedlich, insgesamt hat sich die Lage jedoch verbessert (MIGRI 6.2.2018).

 

So wurden beispielsweise im September 2018 vom Irak-Experten Joel Wing 210 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 195 Todesopfern im Irak verzeichnet. Dem standen im September des Jahres 2017 noch 306 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 728 Todesopfern gegenüber. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im September 2018 waren Bagdad mit 65 Vorfällen, Diyala mit 36, Kirkuk mit 31, Salah al-Din mit 21, Ninewa mit 18 und Anbar mit 17 Vorfällen (Joel Wing 6.10.2018).

 

[...]

 

Laut Angaben von UNAMI. der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen im Irak. wurden im September 2018 im Irak insgesamt 75 irakische Zivilisten durch Terroranschläge. Gewalt und bewaffnete Konflikte getötet und weitere 179 verletzt (UNAMI 1.10.2018). Insgesamt verzeichnete UNAMI im Jahr 2017 3.298 getötete und 4.781 verwundete Zivilisten. Nicht mit einbezogen in diesen Zahlen waren zivile Opfer aus der Provinz Anbar im November und Dezember 2017. für die keine Angaben verfügbar sind. Laut UNAMI handelt es sich bei den Zahlen um absolute Mindestangaben. da die Unterstützungsmission bei der Überprüfung von Opferzahlen in bestimmten Gebieten eingeschränkt ist (UNAMI 2.1.2018). Im Jahr 2016 betrug die Zahl getöteter Zivilisten laut UNAMI noch 6.878 bzw. die verwundeter Zivilisten 12.388. Auch diese Zahlen beinhalten keine zivilen Opfer aus Anbar für die Monate Mai. Juli. August und Dezember (UNAMI 3.1.2017)

 

Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken). Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle. dokumentierte IBC im September 2018 241 zivile Todesopfer im Irak. Im September 2017 betrug die Zahl von IBC dokumentierter ziviler Todesopfer im Irak 490; im September 2016

935. Insgesamt dokumentierte IBC von Januar bis September 2018 2.699 getötete Zivilisten im Irak. Im Jahr 2017 dokumentierte IBC 13.178 zivile Todesopfer im Irak; im Jahr 2016 betrug diese Zahl 16.393 (IBC 9.2018).

 

Sicherheitslage Bagdad

 

Die Provinz Bagdad ist die kleinste und am dichtesten bevölkerte Provinz des Irak, mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit der Provinz wird sowohl vom "Baghdad Operations Command" kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst zieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

 

Im Jahr 2016 verzeichnete die Provinz Bagdad noch immer die höchste Zahl an Opfern im gesamten Land. Die Sicherheitslage verbesserte sich jedoch in Bagdad als die Schlacht um Mosul begann. Während Joel Wing im Januar 2016 in Bagdad noch durchschnittlich 11,6 Angriffe pro Tag verzeichnete, sank diese Zahl zwischen April und September 2017 auf durchschnittlich 3 Angriffe pro Tag (OFPRA 10.11.2017; vgl. Joel Wing 8.7.2017, Joel Wing 4.10.2017). Seit 2016 ist das Ausmaß der Gewalt in Bagdad allmählich zurückgegangen. Es gab einen Rückgang an IS- Aktivität, nach den Vorstößen der irakischen Truppen im Nordirak, obwohl der IS weiterhin regelmäßig Angriffe gegen militärische und zivile Ziele durchführt, insbesondere, aber nicht ausschließlich, in schiitischen Stadtvierteln. Darüber hinaus sind sunnitische Bewohner der Gefahr von Übergriffen durch schiitische Milizen ausgesetzt, einschließlich Entführungen und außergerichtlichen Hinrichtungen (OFPRA 10.11.2017).

 

Terroristische und politisch motivierte Gewalt setzte sich das ganze Jahr 2017 über fort. Bagdad war besonders betroffen. UNAMI berichtete, dass es von Januar bis Oktober 2017 in Bagdad fast täglich zu Angriffen mit improvisierten Sprengkörpern kam. Laut UNAMI zielten einige Angriffe auf Regierungsgebäude oder Checkpoints ab, die von Sicherheitskräften besetzt waren, während viele andere Angriffe auf Zivilisten gerichtet waren. Der IS führte Angriffe gegen die Zivilbevölkerung durch, einschließlich Autobomben- und Selbstmordattentate (USDOS 20.4.2018).

 

Laut Joel Wing kam es im Januar 2018 noch zu durchschnittlich 3,3 sicherheitsrelevanten Vorfällen in Bagdad pro Tag, eine Zahl die bis Juni 2018 auf durchschnittlich 1,1 Vorfälle pro Tag sank (Joel Wing 3.7.2018). Seit Juni 2018 ist die Zahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Bagdad langsam wieder auf 1,5 Vorfälle pro Tag im Juli, 1,8 Vorfälle pro Tag im August und 2,1 Vorfälle pro Tag im September gestiegen. Diese Angriffe bleiben Routine, wie Schießereien und improvisierte Sprengkörper und konzentrieren sich hauptsächlich auf die äußeren südlichen und nördlichen Gebiete der Provinz (Joel Wing 6.10.2018).

 

Insgesamt kam es im September 2018 in der Provinz Bagdad zu 65 sicherheitsrelevanten Vorfällen. Damit verzeichnete Bagdad die höchste Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen im ganzen Land (Joel Wing 6.10.2018). Auch in der ersten und dritten Oktoberwoche 2018 führte Bagdad das Land in Bezug auf die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle an. Wenn man jedoch die Größe der Stadt bedenkt, sind Angriffe immer noch selten (Joel Wing 9.10.2018 und Joel Wing 30.10.2018).

 

In Bezug auf die Opferzahlen war Bagdad von Januar bis März 2018, im Mai 2018, sowie von Juli bis September 2018 die am schwersten betroffene Provinz im Land (UNAMI 1.2.2018; UNAMI 2.3.2018; UNAMI 4.4.2018; UNAMI 31.5.2018; UNAMI 1.8.2018; UNAMI 3.9.2018; UNAMI 1.10.2018. Im September 2018 verzeichnete UNAMI beispielsweise 101 zivile Opfer in Bagdad (31 Tote, 70 Verletzte) (UNAMI 1.10.2018).

 

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Rechtsschutz / Justizwesen

 

Die Bundesjustiz besteht aus dem Obersten Justizrat (Higher Judicial Council, HJC), dem Bundesgerichtshof, dem Kassationsgericht, der Staatsanwaltschaft, der Justizaufsichtskommission und anderen Bundesgerichten, die durch das Gesetz geregelt werden. Das reguläre

 

Strafjustizsystem besteht aus Ermittlungsgerichten, Gerichten der ersten Instanz, Berufungsgerichten, dem Kassationsgerichtshof und der Staatsanwaltschaft (LIFOS 8.5.2014). Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts (AA 12.2.2018).

 

Die Verfassung garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (Stanford 2013; vgl. AA 12.2.2018). Jedoch schränken bestimmte gesetzliche Bestimmungen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz ein. Darüber hinaus schwächen die Sicherheitslage und die politische Geschichte des Landes die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 20.4.2018). Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet. Eine Reihe von Urteilen lassen auf politische Einflussnahme schließen. Hohe Richter werden oftmals auch unter politischen Gesichtspunkten ausgewählt (AA 12.2.2018).

 

Zudem ist die Justiz von Korruption, politischem Druck, Stammeskräften und religiösen Interessen beeinflusst. Aufgrund von Misstrauen gegenüber Gerichten oder fehlendem Zugang wenden sich viele Iraker an Stammesinstitutionen, um Streitigkeiten beizulegen, selbst wenn es sich um schwere Verbrechen handelt (FH 16.1.2018).

 

Eine Verfolgung von Straftaten findet nur unzureichend statt (AA 12.2.2018). Strafverfahren sind zutiefst mangelhaft (FH 16.1.2018). Es mangelt an ausgebildeten, unbelasteten Richtern; eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssen, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Es gibt häufig Fälle überlanger Untersuchungshaft, ohne dass die Betroffenen, wie vom irakischen Gesetz vorgesehen, einem Richter oder Staatsanwalt vorgeführt würden. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über "schiitische Siegerjustiz" und einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten. Das seit 2004 geltende Notstandsgesetz ermöglicht der Regierung Festnahmen und Durchsuchungen unter erleichterten Bedingungen (AA 12.2.2018).

 

Korruption oder Einschüchterung beeinflussen Berichten zufolge einige Richter in Strafsachen auf der Prozessebene und bei der Berufung vor dem Kassationsgericht. Die Integritätskommission untersucht routinemäßig Richter wegen Korruptionsvorwürfen, aber einige Untersuchungen sind Berichten zufolge politisch motiviert. Zahlreiche Drohungen und Morde durch konfessionelle, extremistische und kriminelle Elemente sowie der Stämme beeinträchtigten die Unabhängigkeit der Justiz. Richter, Anwälte und ihre Familienangehörigen sind häufig mit Morddrohungen und Angriffen konfrontiert (USDOS 20.4.2018). Nicht nur Polizei Richter, sondern auch Anwälte, können dem Druck einflussreicher Personen, z.B. der Stämme, ausgesetzt sein. Dazu kommt noch Überlastung. Ein Untersuchungsrichter kann beispielsweise die Verantwortung über ein Gebiet von einer Million Menschen haben, was sich negativ auf die Rechtsstaatlichkeit auswirkt (LIFOS 8.5.2014).

 

Die Verfassung gibt allen Bürgern das Recht auf einen fairen und öffentlichen Prozess. Dennoch verabsäumen es Beamte routinemäßig, Angeklagte unverzüglich oder detailliert über die gegen sie erhobenen Vorwürfe zu informieren. In zahlreichen Fällen dienen erzwungene Geständnisse als primäre Beweisquelle. Beobachter berichteten, dass Verfahren nicht den internationalen Standards entsprechen. Obwohl Ermittlungs-, Prozess- und Berufungsrichter im Allgemeinen versuchen, das Recht auf ein faires Verfahren durchzusetzen, ist der unzureichende Zugang der Angeklagten zu Verteidigern ein schwerwiegender Mangel im Verfahren. Viele Angeklagte treffen ihre Anwälte zum ersten Mal während der ersten Anhörung und haben nur begrenzten Zugang zu Rechtsbeistand während der Untersuchungshaft. Dies gilt insbesondere für die Anti-Terror-Gerichte, wo Justizbeamte Berichten zufolge versuchen, Schuldsprüche und Urteilsverkündungen für Tausende von verdächtigen IS-Mitgliedern in kurzer Zeit abzuschließen (USDOS 20.4.2018).

 

2017 endeten viele Schnellverfahren gegen Terrorverdächtige mit Todesurteilen. Zwischen Juli und August 2017 erließen die irakischen Behörden auch Haftbefehle gegen mindestens 15 Rechtsanwälte, die mutmaßliche IS-Mitglieder verteidigt hatten. Den Anwälten wurde vorgeworfen, sie stünden mit dem IS in Verbindung (AI 22.2.2018).

 

Nach Ansicht der Regierung gibt es im Irak keine politischen Gefangenen. Alle inhaftierten Personen sind demnach entweder strafrechtlich verurteilt oder angeklagt oder befinden sich in Untersuchungshaft. Politische Gegner der Regierung behaupteten jedoch, diese habe Personen wegen politischer Aktivitäten oder Überzeugungen unter dem Vorwand von Korruption, Terrorismus und Mord inhaftiert oder zu inhaftieren versucht (USDOS 20.4.2018).

 

Sicherheitskräfte und Milizen

 

Im ganzen Land sind zahlreiche innerstaatliche Sicherheitskräfte tätig. Zivile Behörden haben über einen Teil der Sicherheitskräfte keine wirksame Kontrolle ausgeübt (USDOS 20.4.2018).

 

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF)

 

Die irakischen Sicherheitskräfte (ISF, Iraqi Security Forces) bestehen aus Sicherheitskräften, die vom Innenministerium verwaltet werden, Sicherheitskräften, die vom Verteidigungsministerien verwaltet werden, den Volksmobilisierungseinheiten (PMF, Popular Mobilization Forces), und dem Counter-Terrorism Service (CTS). Das Innenministerium ist für die innerstaatliche Strafverfolgung und die Aufrechterhaltung der Ordnung zuständig; es beaufsichtigt die Bundespolizei, die Provinzpolizei, den Dienst für den Objektschutz, den Zivilschutz und das Ministerium für den Grenzschutz. Die Energiepolizei, die dem Ölministerium unterstellt ist, ist für den Schutz von kritischer Infrastruktur in diesem Bereich verantwortlich. Konventionelle Streitkräfte, die dem Verteidigungsministerium unterstehen, sind für die Verteidigung des Landes zuständig, führen aber in Zusammenarbeit mit Einheiten des Innenministeriums auch Einsätze zur Terrorismusbekämpfung sowie interne Sicherheitseinsätze durch. Der Counter-Terrorism Service (CTS) ist direkt dem Premierminister unterstellt und überwacht das Counter-Terrorism Command (CTC), eine Organisation, zu der drei Brigaden von Spezialeinsatzkräften gehören (USDOS 20.04.2018).

 

Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte dürften mittlerweile wieder ca. 100.000 ArmeeAngehörige (ohne PMF und Peshmerga) und über 100.000 Polizisten umfassen. Sie sind noch nicht befähigt, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. Ohnehin gibt es kein Polizeigesetz, die individuellen Befugnisse einzelner Polizisten sind sehr weitgehend. Ansätze zur Abhilfe und zur Professionalisierung entstehen durch internationale Unterstützung: Die Sicherheitssektorreform wird aktiv und umfassend von der internationalen Gemeinschaft unterstützt (AA 12.2.2018).

 

Straffreiheit ist ein Problem. Es gibt Berichte über Folter und Misshandlungen im ganzen Land in Einrichtungen des Innen- und Verteidigungsministeriums. Nach Angaben internationaler Menschenrechtsorganisationen findet Missbrauch vor allem während der Verhöre inhaftierter Personen im Rahmen der Untersuchungshaft statt. Probleme innerhalb der Provinzpolizei des Landes, einschließlich Korruption, bleiben weiterhin bestehen. Armee und Bundespolizei rekrutieren und entsenden bundesweit Soldaten und Polizisten. Dies führt zu Beschwerden lokaler Gemeinden bezüglich Diskriminierung aufgrund ethno-konfessioneller Unterschiede durch Mitglieder von Armee und Polizei. Die Sicherheitskräfte unternehmen nur begrenzte Anstrengungen, um gesellschaftliche Gewalt zu verhindern oder darauf zu reagieren (USDOS 20.4.2018).

 

Volksmobilisierungseinheiten (PMF)

 

Der Name "Volksmobilisierungseinheiten" (al-hashd al-sha'bi, engl.:

popular mobilization units, PMU oder popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa vierzig bis siebzig Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen (Süß 21.8.2017). Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere "Minderheiten-Einheiten" der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 20.4.2018). Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten wie dem Iran oder Saudi-Arabien unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mosul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der

 

Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt (AA 12.2.2018).

 

Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 12.2.2018). Obwohl die PMF laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt sind, sollen, ohne Befugnis durch die irakische Regierung, in einigen Fällen Einheiten das Assad-Regime in Syrien unterstützt haben. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teil der PMF sind. Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. In der Praxis gehorchen aber mehrere Einheiten auch dem Iran und der iranischen Revolutionsgarde. Ende 2017 war keine einheitliche Führung und Kontrolle der PMF durch Premierminister und ISF feststellbar, insbesondere nicht der mit dem Iran verbundenen Einheiten. Die Bemühungen der Regierung, die PMF als staatliche Sicherheitsbehörde zu formalisieren, werden fortgesetzt, aber Teile der PMF bleiben "iranisch" ausgerichtet. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderungen in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes (USDOS 20.4.2018).

 

Die Schwäche der ISF hat es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa'ib Ahl al-Haqq und den Kata'ib Hisbollah, erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. Die PMF waren und sind ein integraler Bestandteil der Anti-IS-Operationen, wurden jedoch zuletzt in Kämpfen um sensible sunnitische Ortschaften nicht an vorderster Front eingesetzt. Es gab eine Vielzahl an Vorwürfen von Plünderungen und Gewalttaten durch die PMF. Diese Meldungen haben sich mit dem Konflikt um die umstrittenen Gebiete zum Teil verschärft (AA 12.2.2018).

 

Die Badr-Organisation ist die älteste schiitische Miliz im Irak und gleichermaßen die mit den längsten und engsten Beziehungen zum Iran. Hervorgegangen ist sie aus dem Badr-Korps, das 1983/84 als bewaffneter Arm des "Obersten Rates für die Islamische Revolution im Irak" gegründet wurde und von Beginn an den iranischen Revolutionsgarden (Pasdaran) unterstellt war [Anm. der "Oberste Rat für die Islamische Revolution im Irak" wurde später zum "Obersten Islamischen Rat im Irak" (OIRI), siehe Abschnitt "Politische Lage"]. Die Badr-Organisation wird von Hadi al-Amiri angeführt und gilt heute als die bedeutendste Teilorganisation und dominierende Kraft der PMF. Sie ist besonders mächtig, weil sie Kontrolle über das irakische Innenministerium und damit auch über die Polizeikräfte besitzt; ein Großteil der bewaffneten Kräfte der Organisation wurde ab 2005 in die irakische Polizei aufgenommen. Sie soll über etwa 20.000 bis 50.000 Mann verfügen und ist Miliz und politische Partei in einem (Süß 21.8.2017).

 

Die Kata'ib Hizbullah (Bataillone der Partei Gottes, Hizbullah Brigades) wurden 2007 von Abu Mahdi al-Muhandis gegründet und werden auch von diesem angeführt. Die Miliz kann als Eliteeinheit begriffen werden, die häufig die gefährlichsten Operationen übernimmt und vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv ist. Ihre Personalstärke ist umstritten, teilweise ist die Rede von bis zu 30.000 Mann. Die Ausrüstung und militärische Ausbildung ihrer Mitglieder sind besser als die der anderen Milizen innerhalb der PMF. Kata'ib Hizbullah arbeiten intensiv mit Badr und der libanesischen Hizbullah zusammen und gelten als Instrument der iranischen Politik im Irak. Die Miliz wird von den USA seit 2009 als Terrororganisation geführt (Süß 21.8.2017).

 

Die Asa'ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz'ali-Netzwerk, League of the Righteous) wurde 2006 von Qais al-Khaz'ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die USamerikanischen Truppen im Irak. Asa'ib Ahl al-Haqq unternahm den Versuch, sich als politische Kraft zu etablieren, konnte bei den Parlamentswahlen 2014 allerdings nur ein einziges Mandat gewinnen. Ausgegangen wird von einer Gruppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist wie die Badr-Oganisation und Kata'ib Hizbullah vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Sie gilt heute als gefürchtetste, weil besonders gewalttätige Gruppierung innerhalb der Volksmobilisierung, die religiös-politische mit kriminellen Motiven verbindet. Ihr Befehlshaber Khaz'ali ist einer der bekanntesten Anführer der PMF (Süß 21.8.2017).

 

Die Saraya as-Salam (Schwadronen des Friedens, Peace Brigades) wurden im Juni 2014 nach der Fatwa von Großayatollah Ali al-Sistani, in der alle junge Männer dazu aufgerufen wurden, sich im Kampf gegen den IS den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten im Irak anzuschließen, von Muqtada as-Sadr gegründet. Die Gruppierung kann de facto als eine Fortführung der ehemaligen Mahdi-Armee bezeichnet werden. Diese ist zwar 2008 offiziell aufgelöst worden, viele ihrer Kader und Netzwerke blieben jedoch aktiv und konnten 2014 leicht wieder mobilisiert werden. Quellen sprechen von einer Gruppengröße von 50.000, teilweise sogar 100.000 Mann, ihre Schlagkraft ist jedoch mangels ausreichender finanzieller Ausstattung und militärischer Ausrüstung begrenzt. Dies liegt darin begründet, dass Sadr politische Distanz zu Teheran wahren will, was in einer nicht ganz so großzügigen Unterstützung Irans resultiert. Das Haupteinsatzgebiet der Miliz liegt im südlichen Zentrum des Irak, wo sie vorgibt, die schiitischen heiligen Stätten zu schützen. Ebenso waren Saraya as-Salam aber auch mehrfach an Kämpfen nördlich von Bagdad beteiligt (Süß 21.8.2017).

 

Auch die Kata'ib al-Imam Ali (Bataillone des Imam Ali, Imam Ali Batallions) ist eine der Milizen, die im Juni 2014 neu gebildet wurden. Sie sticht hervor, weil sie sich rasant zu einer schlagkräftigen Gruppe entwickelte, die an den meisten wichtigen Auseinandersetzungen im Kampf gegen den IS beteiligt war. Dies lässt auf eine beträchtliche Kämpferzahl schließen. Die Funktion des Generalsekretärs hat Shibl al-Zaidi inne, ein früherer Angehöriger der Sadr- Bewegung. Zaidi steht in engem Kontakt zu Muhandis und den Pasdaran, weshalb die Miliz intensive Beziehungen zur Badr-Organisation, den Kata'ib Hizbullah und den iranischen Revolutionsgarden unterhält. Die Miliz betreibt außerdem wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit, wodurch ihr Bekanntheitsgrad schnell gestiegen ist. Vor allem der Feldkommandeur Abu Azrael erlangte durch Videos mit äußerst brutalen Inhalten zweifelhafte Berühmtheit. Die Gruppe scheint Gefangene routinemäßig zu foltern und hinzurichten (Süß 21.8.2017).

 

Rechtsstellung und Aktivitäten der PMF

 

Obwohl das Milizenbündnis der PMF unter der Aufsicht des 2014 gegründeten Volksmobilisierungskomitees steht und Ende 2016 ein Gesetz in Kraft trat, das die PMF dem regulären irakischen Militär in allen Belangen gleichstellt und somit der Weisung des Premierministers unterstellt, hat der irakische Staat nur mäßige Kontrolle über die Milizen. In diesem Zusammenhang kommt vor allem Badr eine große Bedeutung zu: Die Milizen werden zwar von der irakischen Regierung in großem Umfang mit finanziellen Mitteln und Waffen unterstützt, unterstehen aber formal dem von Badr dominierten Innenministerium, wodurch keine Rede von umfassender staatlicher Kontrolle sein kann. Die einzelnen Teilorganisationen agieren größtenteils eigenständig und weisen eigene Kommandostrukturen auf, was zu Koordinationsproblemen führt und letztendlich eine institutionelle Integrität verhindert (Süß 21.8.2017).

 

Die militärischen Erfolge der PMF gegen den IS steigerten ihre Popularität vor allem bei der schiitischen Bevölkerung, gleichzeitig wurden allerdings auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Hinrichtungen, Entführungen und Zerstörung von Häusern veröffentlicht (Süß 21.8.2017). In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, klagen Einheimische, dass sich die PMF gesetzwidrig und unverhohlen parteiisch verhalten. In Mosul beispielsweise behaupteten mehrere Einwohner, dass die PMF weit davon entfernt seien, Schutz zu bieten, und durch Erpressung oder Plünderungen illegale Gewinne erzielten. PMF-Kämpfer haben im gesamten Nordirak Kontrollpunkte errichtet, um Zölle von Händlern einzuheben. Auch in Bagdad wird von solchen Praktiken berichtet. Darüber hinaus haben die PMF auch die Armee in einigen Gebieten verstimmt. Zusammenstöße zwischen den PMF und den regulären Sicherheitskräften sind häufig. Auch sind Spannungen zwischen den verschiedenen Gruppen der PMF weitverbreitet. Die Rivalität unter den verschiedenen Milizen ist groß (ICG 30.7.2018).

 

Neben der Finanzierung durch den irakischen, sowie den iranischen Staat bringen die Milizen einen wichtigen Teil der Finanzmittel selbst auf - mit Hilfe der organisierten Kriminalität. Ein Naheverhältnis zu dieser war den Milizen quasi von Beginn an in die Wiege gelegt. Vor allem bei Stammesmilizen waren Schmuggel und Mafiatum weit verbreitet. Die 2003/4 neu gegründeten Milizen kooperierten zwangsläufig mit den Mafiabanden ihrer Stadtviertel. Kriminelle Elemente wurden aber nicht nur kooptiert, die Milizen sind selbst in einem dermaßen hohen Ausmaß in kriminelle Aktivitäten verwickelt, dass manche Experten sie nicht mehr von der organisierten Kriminalität unterscheiden, sondern von Warlords sprechen, die in ihren Organisationen Politik und Sozialwesen für ihre Klientel und Milizentum vereinen - oft noch in Kombination mit offiziellen Positionen im irakischen Sicherheitsapparat. Die Einkünfte kommen hauptsächlich aus dem großangelegten Ölschmuggel, Schutzgelderpressungen, Amtsmissbrauch, Entführungen, Waffen- und Menschenhandel, Antiquitäten- und Drogenschmuggel. Entführungen sindwaren ein wichtiges Geschäft aller Gruppen, dessen hauptsächliche Opfer zahlungsfähige Iraker sind waren (Posch 8.2017).

 

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Folter und unmenschliche Behandlung

 

Folter und unmenschliche Behandlung sind laut der irakischen Verfassung ausdrücklich verboten. Im Juli 2011 hat die irakische Regierung die UN-Anti-Folter-Konvention (CAT) unterzeichnet. Folter wird jedoch auch in der jüngsten Zeit von staatlichen Akteuren angewandt, etwa bei Befragungen durch irakische (einschließlich kurdische) Polizei- und andere Sicherheitskräfte. Laut Informationen von UNAMI sollen u. a. Bedrohung mit dem Tod, Fixierung mit Handschellen in schmerzhaften Positionen und Elektroschocks an allen Körperteilen zu den Praktiken gehören. Das im August 2015 abgeschaffte Menschenrechtsministerium hat nach eigenen Angaben 500 Fälle unerlaubter Gewaltanwendung an die Justiz übergeben, allerdings wurden die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen (AA 12.2.2018).

 

Es gibt Berichte, dass die Polizei mit Gewalt Geständnisse erzwingt und Gerichte diese als Beweismittel akzeptieren. Weiterhin misshandeln und foltern die Sicherheitskräfte der Regierung, einschließlich der mit den PMF verbundenen Milizen, Personen während Verhaftungen, Untersuchungshaft und nach Verurteilungen. Internationale Menschenrechtsorganisationen dokumentierten Fälle von Folter und Misshandlung in Einrichtungen des Innenministeriums und in geringerem Umfang in Haftanstalten des Verteidigungsministeriums sowie in Einrichtungen unter KRG-Kontrolle. Ehemalige Gefangene, Häftlinge und Menschenrechtsgruppen berichteten von einer Vielzahl von Folterungen und Misshandlungen (USDOS 20.4.2018).

 

Gegen Ende der Kämpfe um Mossul zwischen Mai und Juli 2017 häuften sich Berichte, wonach irakische Einheiten, darunter Spezialkräfte des Innenministeriums, Bundespolizei und irakische Sicherheitskräfte, Männer und Jungen, die vor den Kämpfen flohen, festnahmen, folterten und außergerichtlich hinrichteten (AI 22.2.2018).

 

In ihrem Kampf gegen den IS haben irakische Streitkräfte Hunderte von IS-Verdächtigen gefoltert, hingerichtet oder gewaltsam verschwinden lassen. Zahlreiche gefangene IS-Verdächtige haben behauptet, die Behörden hätten sie durch Folter zu Geständnissen gezwungen. Während der Militäreinsätze zur Befreiung von Mosul, haben irakische Streitkräfte mutmaßliche IS-Kämpfer, die auf dem Schlachtfeld oder in dessen Umfeld gefangen genommen worden waren, ungestraft gefoltert und hingerichtet, manchmal sogar nachdem sie Fotos und Videos der Misshandlungen auf Social Media Seiten veröffentlicht hatten (HRW 18.1.2018).

 

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NGOs und Menschenrechtsaktivisten

 

Mit Stand August 2018 waren laut irakischer Bundesdirektion für Nichtregierungsorganisationen 3.550 NGOs registriert. In der Autonomen Region Kurdistan betrug die Zahl registrierter NGOs 4.300 Seit 2010 gibt es ein Gesetz zu NGOs, das die Beschränkungen der Auslandsfinanzierung von NGOs erleichtert, die Ablehnung von Registrierungsanträgen einschränkt, strafrechtliche Sanktionen beseitigte, unbegründete Überprüfungen und Inspektionen untersagt, sowie gerichtliche Kontrollen über die Suspendierung von NGOs schuf (ICNL 14.9.2018).

 

Trotz positiver rechtlicher Rahmenbedingungen hat sich im Zuge der seit 2014 anhaltenden bewaffneten Auseinandersetzungen das Arbeitsumfeld für Menschenrechtsorganisationen deutlich verschlechtert. Im gesamten Irak existierten allein im Bereich Menschenrechte zuletzt etwa 350 registrierte NGOs.

Zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich für den Schutz der Menschenrechte einsetzen, unterliegen in ihrer Registrierung keinen besonderen Einschränkungen. Die schwierige Sicherheitslage und weiter bestehende regulatorische Hindernisse erschweren dennoch die Arbeit vieler NGOs. Sie unterliegen der Kontrolle durch die Behörde für Angelegenheiten der Zivilgesellschaft. Zahlreiche NGOs berichten von bürokratischen und intransparenten Registrierungsverfahren, willkürlichem Einfrieren von Bankkonten sowie unangekündigten und einschüchternden "Besuchen" durch Vertreter des Ministeriums. Die Präsenz von ausländischen NGOs im Zentral- und Südirak ist nach wie vor gering. Dies gilt nicht für die Region Kurdistan-Irak, wo viele ausländische NGOs tätig sind, die derzeit aber unter verschärften Kontrollen durch die Zentralregierung in ihrer Arbeit beeinträchtigt sind (AA 12.2.2018).

 

Nationale und internationale NGOs operieren in den meisten Fällen unter geringer staatlicher Einflussnahme, jedoch gibt es Berichte über staatliche Einmischung, wenn NGOs der Regierung oder bestimmten ethnischen oder religiösen Gruppen Menschenrechtsverletzungen vorwerfen. Im Südirak berichten einige NGOs von Regierungsbeamten, die ihre Arbeit behindert bzw. sie belästigt haben, insbesondere was die Finanzen betrifft. Die kurdische Autonomieregion verfügt über eine aktive Gemeinschaft von meist kurdischen NGOs, viele mit engen Beziehungen zu den politischen Parteien PUK und KDP (USDOS 20.4.2018).

 

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Allgemeine Menschenrechtslage

 

Die Verfassung garantiert demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung. Der Menschenrechtskatalog umfasst auch wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte wie das Recht auf Arbeit und das Recht auf Bildung. Der Irak hat wichtige internationale Abkommen zum Schutz der Menschenrechte ratifiziert. Es kommt jedoch weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte. Der in der Verfassung festgeschriebene Aufbau von Menschenrechtsinstitutionen kommt weiterhin nur schleppend voran. Die unabhängige Menschenrechtskommission konnte sich bisher nicht als geschlossener und durchsetzungsstarker Akteur etablieren. Internationale Beobachter kritisieren, dass Mitglieder der Kommission sich kaum mit der Verletzung individueller Menschenrechte beschäftigen, sondern insbesondere mit den Partikularinteressen ihrer jeweils eigenen ethnisch-konfessionellen Gruppe. Ähnliches gilt für den Menschenrechtsausschuss im irakischen Parlament. Das Menschenrechtsministerium wurde 2015 abgeschafft (AA 12.2.2018).

 

Zu den wesentlichsten Menschenrechtsfragen im Irak zählen unter anderem: Anschuldigungen bezüglich rechtswidriger Tötungen durch Mitglieder der irakischen Sicherheitskräfte, insbesondere durch einige Elemente der PMF; Verschwindenlassen und Erpressung durch PMF-Elemente; Folter; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen; willkürliche Eingriffe in die Privatsphäre; Einschränkungen der Meinungsfreiheit, einschließlich der Pressefreiheit; Gewalt gegen Journalisten; weit verbreitete Korruption; stark reduzierte Strafen für so genannte "Ehrenmorde"; gesetzliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen; Menschenhandel. Militante Gruppen töteten bisweilen LGBTI-Personen. Es gibt auch Einschränkungen bei den Arbeitnehmerrechten, einschließlich Einschränkungen bei der Gründung unabhängiger Gewerkschaften (USDOS 20.4.2018).

 

Im Zuge des internen bewaffneten Konflikts begingen Regierungstruppen, kurdische Streitkräfte, paramilitärische Milizen, die US-geführte Militärallianz und der IS auch 2017 Kriegsverbrechen, Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und schwere Menschenrechtsverstöße. Der IS vertrieb Tausende Zivilpersonen, zwang sie in Kampfgebiete und missbrauchte sie massenhaft als menschliche Schutzschilde. Er tötete vorsätzlich Zivilpersonen, die vor den Kämpfen fliehen wollten, und setzte Kindersoldaten ein. Regierungstruppen und kurdische Streitkräfte sowie paramilitärische Milizen waren für außergerichtliche Hinrichtungen von gefangen genommenen Kämpfern und Zivilpersonen, die dem Konflikt entkommen wollten, verantwortlich. Außerdem zerstörten sie Wohnhäuser und anderes Privateigentum. Sowohl irakische und kurdische Streitkräfte als auch Regierungsbehörden hielten Zivilpersonen, denen Verbindungen zum IS nachgesagt wurden, willkürlich fest, folterten sie und ließen sie verschwinden. Prozesse gegen mutmaßliche IS-Mitglieder und andere Personen, denen terroristische Straftaten vorgeworfen wurden, waren unfair und endeten häufig mit Todesurteilen, die auf "Geständnissen" basierten, welche unter Folter erpresst worden waren. Die Zahl der Hinrichtungen war weiterhin besorgniserregend hoch (AI 22.2.2018).

 

Es gibt zahlreiche Berichte, dass der IS und andere terroristische Gruppen, sowie einige Regierungskräfte, einschließlich der PMF, willkürliche oder rechtswidrige Tötungen begangen haben. Es gibt keine öffentlich zugängliche umfassende Darstellung des Umfangs des Problems verschwundener Personen. Obwohl die PMF offiziell unter dem Kommando des Premierministers stehen, operieren einige PMF-Einheiten nur unter begrenzter staatlicher Aufsicht oder Rechenschaftspflicht (USDOS 20.4.2018).

 

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Todesstrafe

 

Im irakischen Strafrecht ist die Todesstrafe vorgesehen, sie wird auch verhängt und vollstreckt. Irak ist eines der Länder mit der höchsten Zahl von verhängten Todesstrafen (AA 12.2.2018; vgl. HRW 18.1.2018, AI 12.4.2018).

 

Aktuelle Daten liegen nicht vor, da die irakische Regierung die Zahlen nicht mehr regelmäßig an die Vereinten Nationen berichtet und, auch auf Nachfrage, keine verlässlichen Angaben macht. Laut Berichten von NGOs sind 1.816 Personen aktuell zum Tode verurteilt (AA 12.2.2018), gemäß einer anderen Quelle sind es sogar über 3.000 (AI 21.3.2018). Human Rights Watch berichtet von mindestens 78 Hinrichtungen von verurteilten IS-Mitgliedern im Jahr 2017. Es gibt jedoch seit Kurzem Berichte über wöchentlich 3-4 Vollstreckungen der Todesstrafe, was die jährliche Zahl verdoppeln würde (AA 12.2.2018). Hintergrund könnte sein, dass aktuell insbesondere ehemalige IS-Kämpfer - oder Personen die dessen beschuldigt werden - massenhaft in unzulänglichen Prozessen zu Tode verurteilt werden (AA 12.2.2018; vgl. AI 21.3.2018).

 

Problematisch sind bereits seit Jahren die Bandbreite und die mitunter fehlende rechtliche Klarheit der Straftatbestände, für die die Todesstrafe verhängt werden kann: neben Mord und Totschlag unter Anderem auch wegen des Verdachts auf staatsfeindliche Aktivitäten, Vergewaltigung, Einsatz von chemischen Waffen und insbesondere wegen terroristischer Aktivitäten unterschiedlicher Art. Die Todesstrafe stößt in der Bevölkerung auf breite Akzeptanz (AA 12.2.2018).

 

[...]

 

Religionsfreiheit

 

Die Verfassung erkennt das Recht auf Religions- und Glaubensfreiheit weitgehend an. Gemäß Art. 2 Abs. 1 ist der Islam Staatsreligion und eine Hauptquelle der Gesetzgebung (AA 12.2.2018). Es darf kein Gesetz erlassen werden das den "erwiesenen Bestimmungen des Islams" widerspricht (USDOS 29.5.2018; vgl. RoI 15.10.2005). In Abs. 2 wird das Recht einer jeden Person auf Religions- und Glaubensfreiheit sowie das Recht auf deren Ausübung garantiert. Explizit erwähnt werden in diesem Zusammenhang Christen, Jesiden und Mandäer-Sabäer, jedoch nicht Anhänger anderer Religionen (RoI 15.10.2005; vgl. USDOS 29.5.2018).

 

Art. 3 der Verfassung legt ausdrücklich die multiethnische, multireligiöse und multikonfessionelle Ausrichtung des Irak fest, betont aber auch den arabisch-islamischen Charakter des Landes (AA 12.2.2018; vgl. UNHCR 15.1.2018). Art. 43 verpflichtet den Staat zum Schutz der religiösen Stätten. Das Strafgesetzbuch kennt keine aus dem islamischen Recht übernommenen Straftatbestände, wie z. B. den Abfall vom Islam; auch spezielle, in anderen islamischen Ländern existierende Straftatbestände, wie z.B. die Beleidigung des Propheten, existieren nicht (AA 12.2.2018) Das Zivilgesetz sieht einen einfachen Prozess für die Konversion eines Nicht-Muslims zum Islam vor. Die Konversion eines Muslims zu einer anderen Religion ist jedoch gesetzlich verboten (USDOS 29.5.2018).

 

Die folgenden religiösen Gruppen werden durch das Personenstandsgesetz anerkannt: Muslime, chaldäische Christen, assyrische Christen, assyrisch-katholische Christen, syrisch-orthodoxe Christen, syrisch-katholische Christen, armenisch-apostolische Christen, armenisch-katholische Christen, römisch-orthodoxe Christen, römisch-katholische Christen, lateinisch-dominikanische Christen, nationale Protestanten, Anglikaner, evangelisch-protestantische Assyrer, Adventisten, koptisch-orthodoxe Christen, Jesiden, Sabäer-Mandäer und Juden. Die staatliche Anerkennung ermöglicht es den Gruppen, Rechtsvertreter zu bestellen und Rechtsgeschäfte wie den Kauf und Verkauf von Immobilien durchzuführen. Alle anerkannten religiösen Gruppen haben ihre eigenen Personenstandsgerichte, die für die Behandlung von Ehe-, Scheidungs- und Erbschaftsfragen zuständig sind. Laut der jesidischen NGO Yazda gibt es jedoch kein Personenstandsgericht für Jesiden (USDOS 29.5.2018).

 

Das Gesetz verbietet die Ausübung des Bahai-Glaubens und der wahhabitischen Strömung des sunnitischen Islams (USDOS 29.5.2018; vgl. UNHCR 15.1.2018).

 

Die alten irakischen Personalausweise enthielten Informationen zur Religionszugehörigkeit einer Person, was von Menschenrechtsorganisationen als Sicherheitsrisiko im aktuell herrschenden Klima religiös-konfessioneller Gewalt kritisiert wurde. Mit Einführung des neuen Personalausweises wurde dieser Eintrag zeitweise abgeschafft. Mit Verabschiedung eines Gesetzes zum neuen Personalausweis im November 2015 wurde allerdings auch wieder ein religiöse Minderheiten diskriminierender Passus aufgenommen: Art. 26 besagt, dass Kinder eines zum Islam konvertierenden Elternteils automatisch auch als zum Islam konvertiert geführt werden (AA 12.2.2018). Es wird berichtet, dass das Gesetz faktisch zu Zwangskonvertierungen führt, indem Kinder mit nur einem muslimischen Elternteil (selbst Kinder, die infolge von Vergewaltigung geboren wurden) als Muslime angeführt werden müssen. Christliche Konvertiten berichten auch, dass sie gezwungen sind, ihr Kind als Muslim zu registrieren oder das Kind undokumentiert zu lassen, was die Berechtigung auf staatliche Leistungen beeinträchtigt (USDOS 29.5.2018).

 

Die meisten religiös-ethnischen Minderheiten sind im irakischen Parlament vertreten. Grundlage bildet ein Quotensystem bei der Verteilung der Sitze (fünf Sitze für die christliche Minderheit sowie jeweils einen Sitz für Jesiden, Sabäer, Mandäer und Schabak). Das kurdische Regionalparlament sieht jeweils fünf Sitze für Turkmenen, Chaldäer und assyrische Christen sowie einen für Armenier vor (AA 12.2.2018).

 

Es gibt weiterhin Berichte, dass die irakischen Sicherheitskräfte (ISF), einschließlich der Peshmerga und schiitischer Milizen, sunnitische Gefangene töten. Internationale und lokale NGOs geben an, dass die Regierung das Anti-Terror-Gesetz weiterhin als Vorwand nutzt, um Personen ohne zeitgerechten Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren festzuhalten. Internationale Menschenrechtsorganisationen erklären, dass die Regierung es immer noch verabsäumt ethnischkonfessionelle Verbrechen zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen, einschließlich Verbrechen, die von bewaffneten Gruppen in den vom IS befreiten Gebieten ausgeübt wurden. Sunnitische Araber berichten weiterhin, dass manche Regierungsbeamte bei Festnahmen und Inhaftierungen konfessionelles Profiling vornehmen, sowie Religion als bestimmenden Faktor bei der Vergabe von Arbeitsplätzen benützen (USDOS 29.5.2018).

 

Minderheiten sind auch weiterhin mit Belästigungen, einschließlich sexueller Übergriffe, und Einschränkungen durch lokale Behörden in einigen Regionen konfrontiert. Da Religion, Politik und Ethnizität oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, viele Vorfälle als ausschließlich auf religiöser Identität beruhend zu kategorisieren. Einige Jesiden und christliche Führer berichten von Belästigungen und Misshandlungen durch kurdische Sicherheitskräfte, einschließlich Anforderungen für Sicherheitsgenehmigungen, die von den Asayish auferlegt werden und die die Bewegungsfreiheit von Jesiden zwischen der Provinz Dohuk und dem Sinjar-Gebiet einschränken. Christen berichten von Belästigungen und Misshandlungen an zahlreichen Checkpoints, die von Einheiten der Volksmobilisierungseinheiten (PMF) betriebenen werden. Dadurch wird die Bewegungsfreiheit im Gebiet der Ninewa-Ebene behindert (USDOS 29.5.2018).

 

Christen und Jesiden geben an, dass die Zentralregierung in Bagdad eine gezielte demografische Veränderung fördert, indem sie Schiiten mit Land und Häusern ausstattet, damit diese in traditionell christliche Gebiete ziehen (USDOS 29.5.2018).

 

Vertreter religiöser Minderheiten berichten, dass die Zentralregierung im Allgemeinen nicht in religiöse Handlungen eingreift und sogar für die Sicherheit von Gotteshäusern und anderen religiösen Stätten, einschließlich Kirchen, Moscheen, Schreinen, religiösen Pilgerstätten und Pilgerrouten, sorgt (USDOS 29.5.2018).

 

[...]

 

Minderheiten

 

In der irakischen Verfassung vom 15.10.2005 ist der Schutz von Minderheiten verankert (AA 12.2.2018). Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten unter weitreichender faktischer Diskriminierung und Existenzgefährdung. Der irakische Staat kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen (AA 12.2.2018).

 

Offiziell anerkannte Minderheiten, wie chaldäische und assyrische Christen sowie Jesiden, genießen in der Verfassung verbriefte Minderheitenrechte, sind jedoch im täglichen Leben, insbesondere außerhalb der Autonomen Region Kurdistan, oft benachteiligt (AA 12.2.2018).

 

Die wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60 bis 65 Prozent der Bevölkerung ausmachen und vor allem den Südosten/Süden des Landes bewohnen, (arabische) Sunniten (17 bis 22 Prozent) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak und die vor allem im Norden des Landes lebenden, überwiegend sunnitischen Kurden (15 bis 20 Prozent) (AA 12.2.2018). Genaue demografische Aufschlüsselungen sind jedoch mangels aktueller Bevölkerungsstatistiken sowie aufgrund der politisch heiklen Natur des Themas nicht verfügbar (MRG 5.2018). Zahlenangaben zu einzelnen Gruppen variieren oft massiv (siehe unten).

 

Eine systematische Diskriminierung oder Verfolgung religiöser oder ethnischer Minderheiten durch staatliche Behörden findet nicht statt. Allerdings ist nach dem Ende der Herrschaft Saddam Husseins die irakische Gesellschaft teilweise in ihre (konkurrierenden) religiösen und ethnischen Segmente zerfallen - eine Tendenz, die sich durch die IS-Gräuel gegen Schiiten und Angehörige religiöser Minderheiten weiterhin verstärkt hat. Gepaart mit der extremen Korruption im Lande führt diese Spaltung der Gesellschaft dazu, dass im Parlament, in den Ministerien und zu einem großen Teil auch in der nachgeordneten Verwaltung, nicht nach tragfähigen, allgemein akzeptablen und gewaltfrei durchsetzbaren Kompromissen gesucht wird, sondern die zahlreichen ethnisch-konfessionell orientierten Gruppen oder Einzelakteure ausschließlich ihren individuellen Vorteil suchen oder ihre religiös geprägten Vorstellungen durchsetzen. Ein berechenbares Verwaltungshandeln oder gar Rechtssicherheit existieren nicht (AA 12.2.2018).

 

Die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in den Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des IS standen. Hier kam es zu gezielten Verfolgungen von Jesiden, Mandäern, Kakai, Schabak und Christen. Es liegen zahlreiche Berichte über Zwangskonversionen, Versklavung und Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Folter, Rekrutierung von Kindersoldaten, Massenmord und Massenvertreibungen vor. Auch nach der Befreiung der Gebiete wird die Rückkehr der Bevölkerung durch noch fehlenden Wiederaufbau, eine unzureichende Sicherheitslage, unklare Sicherheitsverantwortlichkeiten sowie durch die Anwesenheit von schiitischen Milizen zum Teil erheblich erschwert (AA 12.2.2018).

 

In der Autonomen Region Kurdistan sind Minderheiten weitgehend vor Gewalt und Verfolgung geschützt. Hier haben viele Angehörige von Minderheiten Zuflucht gefunden (AA 12.2.2018; vgl. KAS 8.2017). Mit der Verabschiedung des Gesetzes zum Schutze der Minderheiten in der Autonomen Region Kurdistan durch das kurdische Regionalparlament im Jahr 2015 wurden die ethnischen und religiösen Minderheiten zumindest rechtlich mit der kurdisch-muslimischen Mehrheitsgesellschaft gleichgestellt. Dennoch ist nicht immer gewährleistet, dass die bestehenden Minderheitsrechte auch tatsächlich umgesetzt werden (KAS 8.2017).

 

Es gab auch Berichte über die Diskriminierung von Minderheiten (Turkmenen, Arabern, Jesiden, Shabak und Christen) durch Behörden der Kurdischen Autonomieregierung in den sogenannten umstrittenen Gebieten (USDOS 20.4.2018). Darüber hinaus empfinden Angehörige von Minderheiten seit Oktober 2017 erneute Unsicherheit in den sog. umstrittenen Gebieten aufgrund der Präsenz der irakischen Streitkräfte und v.a. der schiitischen Milizen (AA 12.2.2018).

 

Im Zusammenhang mit der Rückeroberung von Gebieten aus IS-Hand wurden problematische Versuche einer ethnisch-konfessionellen Neuordnung unternommen, besonders in der ethnisch-konfessionell sehr heterogenen Provinz Diyala (AA 12.2.2018).

 

[...]

 

Dazu muss hervorgehoben werden, dass ein und dieselbe Gruppe in einer Gegend eine Minderheit sein, in einer anderen jedoch die Mehrheitsbevölkerung stellen kann und umgekehrt (Lattimer EASO 26.4.2017; vgl. Prochazka 11.8.2014).

 

Durch den Vorstoß des IS und seiner aktiven Kampagne zur Umwälzung der religiösen Demografie des Landes kam es zu drastischen Veränderungen in der konfessionellen und ethnischen Verteilung der Bevölkerung im Irak (FH 2018; vgl. Ferris und Taylor 8.9.2014). Viele Schiiten und religiöse Minderheiten, die vom IS vertrieben wurden, sind bis heute nicht in ihre Häuser zurückgekehrt. Die Rückkehr irakischer Streitkräfte in Gebiete, die seit 2014 von kurdischen Streitkräfte gehalten wurden, führte Ende 2017 zu einer weiteren Runde demografischer Veränderungen, wobei manche kurdischen Bewohner auszogen und Araber zurückkehrten. In Gebieten, die von schiitischen Milizen befreit wurden, gab es wiederum Berichte von der Vertreibung sunnitischer Araber. Dasselbe gilt für Gebiete, die von den kurdischen Peshmerga befreit wurden (FH 2018; vgl. GNI 20.11.2016).

 

Sunnitische Araber

 

Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt. Mangels anerkannter Führungspersönlichkeiten fällt es den sunnitischen Arabern weiterhin schwer, ihren Einfluss auf nationaler Ebene geltend zu machen. Oftmals werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt. Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richteten sich 2017 vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger (AA 12.2.2018). Es gab zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, die PMF und die Peshmerga (USDOS 20.4.2018).

 

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Palästinenser

 

Palästinensische Flüchtlinge, die mehrheitlich 1948 aus dem Mandatsgebiet Palästina, das Israel wurde, bzw. aus den seit 1967 besetzten palästinensischen Gebieten und 1991 aus den Golfstaaten flüchteten und sich im Irak ansiedelten, sowie deren Nachkommen, wurden von der irakischen Regierung nie offiziell als Flüchtlinge anerkannt. Entsprechend verschiedener Übereinkommen kommt ihnen aber ein Aufenthaltsrecht zu und sie sind in sozio-ökonomischer Hinsicht irakischen StaatsbürgerInnen nahezu gleichgestellt (UNHCR 27.4.2018). Infolge des neuen, 2017 erlassenen irakischen Ausländer-Aufenthaltsgesetzes (Law Nr. 76, 2017) mehren sich Berichte, wonach die Rechte der Palästinenser im Irak aufgehoben bzw. infrage gestellt werden (UNHCR 27.4.2018; vgl. AOHR 22.12.2017, MEMO 21.12.2017). Die irakische Regierung hat dies jedoch abgestritten (UNHCR 27.4.2018).

 

Ein Großteil der palästinensischen Flüchtlinge im Irak lebt in Bagdad. Seit Jahren sind sie dort Übergriffen aufgrund ihrer Nationalität und der ihnen unterstellten Nähe zum IS und anderen bewaffneten sunnitischen Gruppen ausgesetzt. Übergriffe durch Milizen und andere nicht-staatliche Akteure werden auch dadurch begünstigt, dass der Zugang zu fairen Gerichtsverfahren und staatlichem Schutz eine Herausforderung darstellt (UNHCR 27.4.2018).

 

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Berufsgruppen & Menschen, die einer bestimmten Beschäftigung nachgehen

 

Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte und alle Mitglieder des Sicherheitsapparats sind besonders gefährdet. Auch Mitarbeiter der Ministerien sowie Mitglieder von Provinzregierungen werden regelmäßig Opfer von gezielten Attentaten (AA 12.2.2018).

 

Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird (fast ausschließlich Angehörige von Minderheiten, vor allem Jesiden und Christen), Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten sowie medizinisches Personal werden ebenfalls immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen (AA 12.2.2018).

 

Künstler, Dichter, Schriftsteller und Musiker werden gezielt vom IS ins Visier genommen (USDOS 20.4.2018), aber auch von anderen bewaffneten radikalen bzw. streng-religiösen Gruppen angegriffen (USDOS 3.3.2017; vgl. IWPR 25.11.2009).

 

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Bewegungsfreiheit

 

Die irakische Verfassung und andere nationale Rechtsinstrumente erkennen das Recht aller Bürger auf Freizügigkeit. Reise- und Aufenthaltsfreiheit im ganzen Land an (USDOS 20.4.2018). Die Bewegungsfreiheit verbesserte sich etwas. nachdem die vom IS kontrollierten Gebiete wieder unter staatliche Kontrolle gebracht wurden (FH 1.2018).

 

Die Regierung respektiert das Recht auf Bewegungsfreiheit jedoch nicht konsequent. In einigen Fällen beschränken die Behörden die Bewegungsfreiheit von Vertriebenen und verbieten Bewohnern von IDP-Lagern. ohne eine Genehmigung das Lager zu verlassen. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften. die Bewegungsfreiheit im Land einzuschränken. Ausgangssperren zu verhängen. Gebiete abzuriegeln und zu durchsuchen. Es gab zahlreiche Berichte. dass Sicherheitskräfte (ISF. Peshmerga. PMF) Bestimmungen. die Aufenthaltsgenehmigungen vorschreiben. um die Einreise von Personen in befreite Gebiete unter ihrer Kontrolle zu beschränken. selektiv umgesetzt haben (USDOS 20.4.2018).

 

Die kurdische Autonomieregierung schränkt die Bewegungsfreiheit in den von ihr verwalteten Gebieten ein (USDOS 20.4.2018). Innerirakische Migration aus dem Zentralirak in die Autonome Region Kurdistan ist grundsätzlich möglich. Durch ein Registrierungsverfahren wird der Zuzug jedoch kontrolliert. Wer dauerhaft bleiben möchte. muss sich bei der Asayish-Behörde des jeweiligen Bezirks anmelden. Informationen über die Anzahl der Anträge und Ablehnungen werden nicht veröffentlicht (AA 12.2.2018). Die Behörden verlangen von Nicht-Ortsansässigen. Genehmigungen einzuholen. die einen befristeten Aufenthalt in der Autonomieregion erlauben. Diese Genehmigungen waren in der Regel erneuerbar. Bürger. die eine Aufenthaltserlaubnis für die Autonome Region Kurdistan bzw. die von ihr kontrollierten Gebiete einholen wollen. benötigen einen in der Region ansässigen Bürgen. Bürger. die aus dem Zentral- oder Südirak in die Autonome Region Kurdistan einreisen (egal welcher ethno-religiösen Gruppe sie angehörten. auch Kurden) müssen Checkpoints passieren und Personen- und Fahrzeugkontrollen über sich ergehenlassen (USDOS 20.4.2018).

 

Die Behörden der Autonomen Region Kurdistan wenden Beschränkungen unterschiedlich streng an. Die Wiedereinreise von IDPs und Flüchtlingen wird - je nach ethno-religiösem Hintergrund und Rückkehrgebiet - mehr oder weniger restriktiv gehandhabt. Beamte hindern Personen. die ihrer Meinung nach ein Sicherheitsrisiko darstellen könnten. an der Einreise in die Region. Die Einreise ist für Männer oft schwieriger. insbesondere für arabische Männer. die ohne Familie reisen (USDOS 20.4.2018).

 

Aufgrund militärischer Operationen gegen den IS erhöhten die irakischen Streitkräfte, PMF und Peshmerga die Zahl der Checkpoints und errichteten in vielen Teilen des Landes provisorische Straßensperren (USDOS 20.4.2018). Diese Checkpoints unterliegen oft undurchschaubaren Regeln verschiedenster Gruppierungen (NYT 2.4.2018). Der IS richtet falsche Checkpoints ein, um Zivilisten zu entführen bzw. Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten zu verüben (albawaba 12.3.2018; vgl. GardaWorld 29.3.2018, Kurdistan24 29.3.2018, Iraqi News 28.6.2018).

 

In Bagdad selbst sollen seit Dezember 2017 hingegen 305 Checkpoints und Straßensperren entfernt worden sein. Über tausend Straßen sind in Bagdad seit dem offiziellen Sieg über den IS wieder geöffnet worden (AAA 8.8.2018; vgl. AAA 29.1.2018, Iraqi News 29.1.2018).

 

Die Regierung verlangt von Bürgern, die das Land verlassen, eine Ausreisegenehmigung. Diese Vorschrift wird jedoch nicht routinemäßig durchgesetzt (USDOS 20.4.2018). An den Grenzen zu den Nachbarstaaten haben sich in den letzten Monaten immer wieder Änderungen der Ein- und Ausreisemöglichkeiten, Kontrollen, Anerkennung von Dokumenten etc. ergeben. Nach wie vor muss mit solchen Änderungen - auch kurzfristig - gerechnet werden (AA 12.2.2018).

 

Die Bewegungsfreiheit von Frauen wird im Allgemeinen durch Recht und Brauchtum nicht respektiert. So hindert das Gesetz Frauen beispielsweise daran, ohne die Zustimmung eines männlichen Vormunds oder gesetzlichen Vertreters einen Reisepass zu beantragen. In den vom IS kontrollierten Gebieten war es Frauen angeblich verboten, ihr Zuhause ohne männlichen Verwandten zu verlassen (USDOS 20.4.2018).

 

[...]

 

Ausländische Flüchtlinge

 

Das Gesetz sieht die Gewährung von Asyl vor, und die Regierung hat ein System zum Schutz von Flüchtlingen eingerichtet (USDOS 20.4.2018). Unter den etwa 335.000 ausländischen Flüchtlingen sind etwa 245.000 Syrer und ca. 40.000 Flüchtlinge aus anderen Gebieten. Ihren Status regelt das "Gesetz über politische Flüchtlinge", Nr. 51 (1971). Der Entwurf einer Novellierung des Gesetzes wurde bislang nicht verabschiedet. Die Flüchtlinge befinden sich überwiegend in und um Bagdad sowie unmittelbar im Grenzbereich zu Syrien und Jordanien (AA 12.2.2018). Die Regierung arbeitete im Allgemeinen mit dem UNHCR und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Flüchtlingen im Land Schutz und Unterstützung zu bieten (USDOS 20.4.2018).

 

UN-Organisationen, NGOs und die Presse berichten, dass konfessionelle Gruppen, Extremisten, Kriminelle und in einigen Fällen Regierungskräfte Flüchtlinge angegriffen und verhaftet haben, darunter Palästinenser, Ahwazis und syrische Araber. Lokale NGOs berichten, dass Misshandlungen syrischer Flüchtlinge, oft begangen durch andere Flüchtlinge, weit verbreitet waren, einschließlich Gewalt gegen Frauen und Kinder, Kinderheirat, Zwangsprostitution und sexuelle Belästigung (USDOS 20.4.2018).

 

Grundversorgung und Wirtschaft

 

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten (AA 12.2.2018). Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom. Wasser. Abwasser- und Abfallentsorgung. Gesundheitsversorgung. Bildung. Verkehr und Sicherheit erlebt. Der Konflikt hat nicht nur in Bezug auf die Armutsraten. sondern auch bei der Erbringung staatlicher Dienste zu stärker ausgeprägten räumlichen Unterschieden geführt. Der Zugang zu diesen Diensten und deren Qualität variiert demnach im gesamten Land erheblich (K4D 18.5.2018).

 

Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Die genannten Defizite werden durch die grassierende Korruption zusätzlich verstärkt. Nach Angaben des UN-Programms "Habitat" leben 70 Prozent der Iraker in Städten. die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums (AA 12.2.2018).

 

In vom IS befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wieder hergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 12.2.2018).

 

Wirtschaftslage

 

Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des sogenannten Islamischen Staat und seinen Folgen. Nicht nur sind ökonomisch wichtige Städte wie Mosul zerstört worden. Dies trifft das Land. nachdem es seit Jahrzehnten durch Krieg. Bürgerkrieg. Sanktionen zerrüttet wurde. Wiederaufbauprogramme laufen bereits. vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen traf die Weltbank im Oktober 2018 für das Jahr 2019. Ob der Wiederaufbau zu einem nachhaltigen positiven Aufschwung beiträgt. hängt aus Sicht der Weltbank davon ab. ob das Land die Korruption in den Griff bekommt (GIZ 11.2018).

 

Das Erdöl stellt immer noch die Haupteinnahmequelle des irakischen Staates dar (GIZ 11.2018). Rund 90 Prozent der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor (AA 12.2.2018).

 

Noch im Jahr 2016 wuchs die irakische Wirtschaft laut Economist Intelligence Unit (EIU) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) um 11 Prozent. Im Folgejahr schrumpfte sie allerdings um 0,8 Prozent. Auch 2018 wird das Wachstum um die 1 Prozent betragen, während für 2019 wieder ein Aufschwung von 5 Prozent zu erwarten ist (WKO 2.10.2018). Laut Weltbank wird erwartet, dass das gesamte BIP-Wachstum bis 2018 wieder auf positive 2,5 Prozent ansteigt. Die Wachstumsaussichten des Irak dürften sich dank der günstigeren Sicherheitslage und der allmählichen Belebung der Investitionen für den Wiederaufbau verbessern (WB 16.4.2018). Die positive Entwicklung des Ölpreises ist dafür auch ausschlaggebend. Somit scheint sich das Land nach langen Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen wieder in Richtung einer gewissen Normalität zu bewegen. Dieser positiven Entwicklung stehen gleichwohl weiterhin Herausforderungen gegenüber (WKO 2.10.2018).

 

So haben der Krieg gegen den IS und der langwierige Rückgang der Ölpreise seit 2014 zu einem Rückgang der Nicht-Öl-Wirtschaft um 21,6 Prozent geführt, sowie zu einer starken Verschlechterung der Finanz- und Leistungsbilanz des Landes. Der Krieg und die weit verbreitete Unsicherheit haben auch die Zerstörung von Infrastruktur und Anlageobjekten in den vom IS kontrollierten Gebieten verursacht, Ressourcen von produktiven Investitionen abgezweigt, den privaten Konsum und das Investitionsvertrauen stark beeinträchtigt und Armut, Vulnerabilität und Arbeitslosigkeit erhöht. Dabei stieg die Armutsquote [schon vor dem IS, Anm.] von 18,9 Prozent im Jahr 2012 auf geschätzte 22,5 Prozent im Jahr 2014 (WB 18.4.2018).

 

Jüngste Arbeitsmarktstatistiken deuten auf eine weitere Verschlechterung der Armutssituation hin. Die Erwerbsquote von Jugendlichen (15-24 Jahre) ist seit Beginn der Krise im Jahr 2014 deutlich gesunken, von 32,5 Prozent auf 27,4 Prozent. Die Arbeitslosigkeit nahm vor allem bei Personen aus den ärmsten Haushalten und Jugendlichen und Personen im erwerbsfähigen Alter (25-49 Jahre) zu. Die Arbeitslosenquote ist in den von IS-bezogener Gewalt und Vertreibung am stärksten betroffenen Provinzen etwa doppelt so hoch wie im übrigen Land (21,1 Prozent gegenüber 11,2 Prozent), insbesondere bei Jugendlichen und Ungebildeten (WB 16.4.2018).

 

Der Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 12.2.2018). Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor sehr gefragt. Die IS-Krise und die Kürzung des Budgets haben Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor. Jobangebote sind mit dem Schließen mehrerer Unternehmen zurückgegangen. Im öffentlichen Sektor sind ebenfalls viele Stellen gestrichen worden. Gute Berufschancen bietet jedoch derzeit das Militär. Das durchschnittliche monatliche Einkommen im Irak beträgt derzeit 350-1.500 USD, je nach Position und Ausbildung (IOM 13.6.2018).

 

Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD pro Tag verdienen, zu unterstützen.

 

Aufgrund der derzeitigen Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt. Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen angeboten (IOM 13.6.2018).

 

Stromversorgung

 

Die Stromversorgung des Irak ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht (AA 12.2.2018). Sie deckt nur etwa 60 Prozent der Nachfrage ab, wobei etwa 20 Prozent der Bevölkerung überhaupt keinen Zugang zu Elektrizität haben. Der verfügbare Stromvorrat variiert jedoch je nach Gebiet und Jahreszeit (Fanack 22.12.2017). Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung vor allem in den Sommermonaten, wenn bei Temperaturen von über 50 Grad flächendeckend Klimaanlagen eingesetzt werden, häufig unterbrochen. Dann versorgt sich die Bevölkerung aus privaten Generatoren, sofern diese vorhanden sind. Die Versorgung mit Mineralöl bleibt unzureichend und belastet die Haushalte wegen der hohen Kraftstoffpreise unverhältnismäßig. In der Autonomen Region Kurdistan erfolgt die Stromversorgung durch Betrieb eigener Kraftwerke, unterliegt jedoch wie in den anderen Regionen Iraks erheblichen Schwankungen und erreicht deutlich weniger als 20 Stunden pro Tag. Kraftwerke leiden unter Mangel an Brennstoff und es gibt erhebliche Leitungsverluste (AA 12.2.2018).

 

Wasserversorgung

 

Die Wasserversorgung wird von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen (AA 12.02.2018). Der Irak befindet sich inmitten einer schweren Wasserkrise, die durch akute Knappheit, schwindende Ressourcen und eine stark sinkende Wasserqualität gekennzeichnet ist (Clingendael 10.7.2018). Die Wasserknappheit dürfte sich kurz- bis mittelfristig noch verschärfen. Besonders betroffen sind die südlichen Provinzen, insbesondere Basra. Der Klimawandel ist dabei ein Faktor, aber auch große Staudammprojekte in der Türkei und im Iran, die sich auf den Wasserstand von Euphrat und Tigris auswirken und zur Verknappung des Wassers beitragen. Niedrige Wasserstände führen zu einem Anstieg des Salzgehalts, wodurch das bereits begrenzte Wasser für die landwirtschaftliche Nutzung ungeeignet wird (UNOCHA 31.8.2018).

 

Parallel zur Wasserknappheit tragen veraltete Leitungen und eine veraltete Infrastruktur zur Kontaminierung der Wasserversorgung bei (UNOCHA 31.8.2018). Es fehlt weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser (AA 12.2.2018). Im August meldete Iraks südliche Provinz Basra 17.000 Fälle von Infektionen aufgrund der Kontaminierung von Wasser. Der Direktor der Gesundheitsbehörde Basra warnte vor einem Choleraausbruch (Iraqi News 28.8.2018).

 

Nahrungsversorgung

 

Laut Welternährungsorganisation sind im Irak zwei Millionen Menschen von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen (FAO 8.2.2018). 22,6 Prozent der Kinder sind unterernährt (AA 12.2.2018). Schätzungen des Welternährungsprogramms zufolge benötigen mindestens 700.000 Iraker Nahrungsmittelhilfe (USAID 23.2.2018).

 

Die Landwirtschaft ist für die irakische Wirtschaft von entscheidender Bedeutung. Schätzungen zufolge hat der Irak in den letzten vier Jahren jedoch 40 Prozent seiner landwirtschaftlichen Produktion verloren. Im Zuge des Krieges gegen den IS waren viele Bauern gezwungen, ihre Betriebe zu verlassen. Ernten wurden zerstört oder beschädigt. Landwirtschaftliche Maschinen, Saatgut, Pflanzen, eingelagerte Ernten und Vieh wurden geplündert. Aufgrund des Konflikts und der Verminung konnten Bauern für die nächste Landwirtschaftssaison nicht pflanzen. Die Nahrungsmittelproduktion und -versorgung wurde unterbrochen, die Nahrungsmittelpreise auf den Märkten stiegen (FAO 8.2.2018). Das Land ist stark von Nahrungsmittelimporten abhängig (AW 11.2.2018; vgl. USAID 1.8.2017).

 

Das Sozialsystem wird vom sogenannten "Public Distribution System" (PDS) dominiert, einem Programm, bei dem die Regierung importierte Lebensmittel kauft, um sie an die Öffentlichkeit zu verteilen. Das PDS ist das wichtigste Sozialhilfeprogramm im Irak, in Bezug auf Flächendeckung und Armutsbekämpfung. Es ist das wichtigste Sicherheitsnetz für Arme, obwohl es von schweren Ineffizienzen gekennzeichnet ist (K4D 18.5.2018). Es sind zwar alle Bürger berechtigt, Lebensmittel im Rahmen des PDS zu erhalten. Das Programm wird von den Behörden jedoch sporadisch und unregelmäßig umgesetzt, mit begrenztem Zugang in den wiedereroberten Gebieten. Außerdem hat der niedrige Ölpreis die Mittel für das PDS weiter eingeschränkt (USDOS 20.4.2018).

 

[...]

 

Rückkehr

 

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig - u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Autonome Region Kurdistan finden regelmäßig statt (AA 12.2.2018).

 

Studien zufolge ist die größte primäre Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vgl. REACH 30.6.2017). In der Autonomen Region Kurdistan gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Ob sich diese Tendenzen verstetigen, wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der Autonomen Region Kurdistan kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 12.2.2018).

 

Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger. Die Miete für 250m2 in Bagdad liegt bei ca. 320 USD. In den Städten der kurdischen Autonomieregion liegt die Miete bei 300-600 USD für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD (Anm.: ca. 11 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD (Anm.: ca. 7-18 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD (Anm.: ca. 22-29 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000 IQD für private oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom (IOM 13.6.2018).

 

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser im Land. Jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote (GIZ 11.2018). Wohnen ist zu einem der größten Probleme im Irak geworden, insbesondere nach den Geschehnissen von 2003 (IOM 13.6.2018) Die Immobilienpreise in irakischen Städten sind in den letzten zehn Jahren stark angestiegen (IEC 24.1.2018). Im Zuge des Wiederaufbaus nach dem IS stellt der Wohnungsbau eine besonders dringende Priorität dar (Reuters 12.2.2018). Im November 2017 bestätigte der irakische Ministerrat ein neues Programm zur Wohnbaupolitik, das mit der Unterstützung von UNHabitat ausgearbeitet wurde, um angemessenen Wohnraum für irakische Staatsbürger zu gewährleisten (UNHSP 6.11.2017). Öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche besteht für Rückkehrer nicht (IOM 13.6.2018).

 

Dokumente und Staatsbürgerschaft

 

Die neuen irakischen Pässe enthalten einen maschinenlesbaren Abschnitt sowie einen 3D- Barcode und gelten als fälschungssicherer im Vergleich zu den Vorgängermodellen. v. a. können diese nur noch persönlich und nicht mehr durch Dritte beantragt werden. Die irakischen Botschaften haben erst vereinzelt begonnen. diese Pässe auszustellen (AA 12.2.2018).

 

Der irakische Personalausweis (Civil Status ID bzw. CSID oder National Identity Card) heißt auf Arabisch Bitaqa shakhsiya bzw. Bitaqa hawwiya (UKHO 9.2018; vgl. IRBC 25.11.2013). Die CSID- Karte ist gesetzlich vorgeschrieben und wird jedem irakischen Staatsbürger. sowohl innerhalb als auch außerhalb des Irak. gegen Vorlage einer Geburtsurkunde ausgestellt. Sie gilt als das wichtigste persönliche Dokument und wird für alle Kontakte mit Behörden. dem Gesundheits- und Sozialwesen. Schulen. sowie für den Kauf und Verkauf von Wohnungen und Autos verwendet. Die CSID-Karte wird auch für die Beantragung anderer amtlicher Dokumente. wie z.B. Reisepässe. benötigt (UKHO 9.2018).

 

Jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist gegen Bezahlung zu beschaffen. Zur Jahresmitte 2014 tauchten vermehrt gefälschte Visaetiketten auf. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind im Umlauf; zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden (AA 12.2.2018).

 

Laut Verfassung kann jede Person, die über zumindest einen irakischen Elternteil verfügt, irakischer Staatsbürger werden (USDOS 20.4.2018). Das irakische Staatsbürgerschaftsrecht ist jedoch widersprüchlich bezüglich der Möglichkeit der Weitergabe der Staatsbürgerschaft durch die Mutter. Einerseits bestehen Widersprüche zwischen der Verfassung und Teilen des Staatsbürgerschaftsgesetzes; außerdem ist das Staatsbürgerschaftsgesetz in sich selbst widersprüchlich. Wie auch die irakische Verfassung, besagt Artikel 3 des Nationalitätsgesetzes, dass sowohl Väter als auch Mütter die irakische Staatsbürgerschaft an ihre Kinder weitergeben können. Laut Artikel 4 des Nationalitätsgesetzes ist dies jedoch im Falle der Mutter, wenn das Kind im Ausland geboren ist, nur unter bestimmten Umständen (Vater unbekannt oder staatenlos) möglich. In der Praxis ist den Quellen zufolge die Weitergabe der irakischen Staatsbürgerschaft durch die Mutter an ihre im Ausland geboren Kinder, deren Väter nicht Iraker und auch nicht staatenlos oder unbekannt sind, nicht gewährleistet (BFA 8.8.2017)."

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des Verfahrensaktes des BVwG.

 

2.2. Die Feststellungen zu Identität, Alter, Herkunft, Volksgruppe und den Familienverhältnissen des BF gründen auf dessen insofern unbedenklichen Angaben vor dem BFA, sowie jenen in seiner Beschwerde und den in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG gemachten Angaben. Der BF hat im Verfahren seinen von UNHCR ausgestellten Flüchtlingsausweis zum Beleg seiner Identität vorgelegt, sowie Personalausweis und Geburtsurkunde. Die Identität des BF steht fest. Die Feststellung zur strafrechtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus einer Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich. Die Feststellungen zum Gesundheitszustand ergeben sich aus den eigenen Angaben des BF.

 

Es wird festgehalten, dass der BF in Bagdad geboren wurde und sein gesamtes bisheriges Leben im Irak verbracht hat.

 

Palästina bzw. die palästinensischen Autonomiegebiete werden von Österreich nicht als eigenständiger Staat anerkannt.

 

Gemäß der Entscheidung des VwGH vom 26.05.2011, Zl. 2011/23/0093, gilt als Herkunftsstaat nach § 1 Z 4 AsylG (bzw. nunmehr 2 Abs. 17 2005 idgF) der Staat, dessen Staatsangehörigkeit Fremde besitzen, oder - im Falle der Staatenlosigkeit - der Staat ihres früheren gewöhnlichen Aufenthaltes. Herkunftsstaat im Sinne dieser Bestimmung ist somit primär jener Staat, zu dem ein formelles Band der Staatsbürgerschaft besteht; nur, wenn ein solcher Staat nicht existiert, wird subsidiär auf sonstige feste Bindungen zu einem Staat in Form eines dauernden (gewöhnlichen) Aufenthaltes zurückgegriffen (VwGH vom 19.11.2010, ZL 2006/19/0502) und vom 20.02.2009, Zl. 2007/19/0535, mwN). Auf welchen Staat diese Voraussetzungen im Einzelfall zutreffen, ist von den Asylbehörden zu ermitteln und festzustellen. Bei Asylwerbern, die ihren wahren Herkunftsstaat verheimlichen, kann dessen Feststellung - in Ermangelung eines Hinweises auf eine asylrelevante Verfolgung in einem als em wahrheitswidrig vorgetäuschten Herkunftsstaat - für die Entscheidung über die Asylgewährung entbehrlich sein. Die Feststellung gemäß § 8 AsylG hat sich in solchen Fällen auf den (bloß) behaupteten Herkunftsstaat zu beziehen (VwGH vom 30.11.2004, Zl. 2001/20/0410, mwN).

 

Damit war der Irak als Herkunftsstaat des Beschwerdeführers festzustellen.

 

2.3. Primär ist festzuhalten, dass das BFA ein durchwegs mängelfreies Ermittlungsverfahren durchgeführt hat. Dem BF wurde ausreichend die Möglichkeit eingeräumt, seine persönlichen Fluchtgründe in Bezug auf seinen Herkunftsstaat geltend zu machen und es kann daher nicht der belangten Behörde angelastet werden, wenn der BF davon nicht mit Erfolg Gebrauch gemacht hat.

 

2.4. Zum Vorbringen im Zusammenhang mit den gegenständlichen Fluchtgründen:

 

2.4.1. Mit dem Vorbringen der beschwerdeführenden Partei zur Furcht vor Verfolgung im Irak vermochte der BF eine asylrelevante Bedrohung nicht glaubhaft darzutun:

 

Die von Beschwerdeseite vorgebrachte Gefährdungslage für den Beschwerdeführer beruht auf der Behauptung, dass er aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit für ein schwedisches Unternehmen von unbekannten, bewaffneten Personen von einem Auto aus, während einer Transportfahrt am 27.06.2013, zum Anhalten aufgefordert worden wäre und zu dem dessen Auto beschossen worden wäre. Der BF wäre jedoch weitergefahren und habe er bei der Polizei Hilfe suchen wollen, jedoch habe diese ihn nicht ernstgenommen. Diese Männer hätten den BF zu Hause gesucht und er habe in weiterer Folge den Irak verlassen.

 

2.4.1.1. Zunächst gilt es festzuhalten, dass der BF im Rahmen seiner Schilderungen nicht nur behauptet hat, selbst aufgrund seiner Tätigkeit für die Firma XXXX im Irak in die oben beschriebene Bedrohungssituation gekommen zu sein, in der er von bewaffneten Personen in voller Fahrt zum Anhalten aufgefordert und beschossen worden sei. Vielmehr hätten diese Personen zumindest zweimal den BF im Hause des Vaters gesucht und dort vor dem Vater konkrete Drohungen gegen den BF ausgestossen. Diese Darlegung des behaupteten Geschehens erscheint jedoch vor dem Hintergrund der weiteren Vorbringen des BF lebensfern und unstimmig, wenn der BF auf Seite 7 des VH-Protokolls angibt, dass er nach erfolgter Flucht - bereits in Österreich angekommen - seinen ehemaligen Chef im Irak aus eigenem Begehr kontaktiert habe um für seinen Vater bei der gleichen Firma eine Job zu besorgen und der Vater des BF - trotz der vom BF behaupteten Erlebnisse des Vaters mit den bei ihm zu Hause auftauchenden bewaffneten Personen - diesen Job offenbar auch angenommen und dort länger als 1 Jahr gearbeitet hat (VH-Protokoll, Seite 15). Sofern der BF jenen behaupteten Zwischenfall am 27.06.2013 tatsächlich selbst erlebt hat und - wie im Verfahren vorgebracht - annehmen musste, dass ihm dies aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit bei XXXX zugestossen sei, ist es nicht nur unwahrscheinlich, sondern vielmehr in höchstem Maße unglaubhaft, wenn der BF in weiterer Folge seinem Vater bei der gleichen Firma eine Tätigkeit vermittelt, um diesen somit wissentlich dem gleichen Risiko auszusetzen, nämlich Opfer eines solchen Übergriffes zu werden. Der BF vermochte diese Unstimmigkeit in seinem Vorbringen, auch nach entsprechendem Vorhalt in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG nicht plausibel zu erklären, sondern gab er hierbei nur an, dass sein Vater mittelos und ohne Arbeit gewesen wäre und "im Notfall diese Arbeit eingehen" hätte müssen (VH-Prot., Seite 7). Eine solche Erklärung vermag jedoch letztlich nicht zu überzeugen und ist als Schutzbehauptung für die im Kern recht unstimmigen Schilderungen des BF zu werten. Schon an dieser Stelle entsteht somit der deutliche Eindruck, dass der BF in seinem Fluchtvorbringen nicht von tatsächlich Erlebtem berichtet, sondern vielmehr ein nicht durchdachtes Erzählkonstrukt wiedergibt.

 

Dieser Eindruck wird weiters dadurch verstärkt, dass der BF behauptete, dass seine Eltern nach dem Vorfall noch über ein Jahr an derselben Adresse wohnhaft geblieben sind, in weiterer Folge lediglich in einen anderen Stadtteil Bagdads übersiedelt sind (VH-Prot., Seite 14), ehe sie vor 1,5 Jahren endgültig den Irak verlassen haben. Ausgehend von den Schilderungen des BF müsste es sich bei den zweimaligen Besuchen der schwer bewaffenten Männer bei seinen Eltern, die nach dem BF gefragt und seine Ermordung angedroht hätten, um ein im höchsten Maße bedrohliches Szenario gehandelt haben, sodass für das erkennende Gericht nicht nachvollziehbar ist, dass die Eltern des BF noch eine derart lange Zeit an derselben Wohnadresse gelebt haben sollen, ehe sie ihren Wohnsitz verlegt haben. Vielmehr spricht das doch recht lange Verbleiben der Eltern des BF in derselben Stadt für keinen allzugroßen Leidensdruck, ein Umstand, welcher jedoch im klaren Widerspruch zu den beschwerdeseitigen Schilderungen steht.

 

Schließlich sei erwähnt, dass der BF eigenen Angaben zufolge am 27.06.2013 seine Tätigkeit bei der Firma XXXX aufgegeben hat, welche ihn in den Fokus der Verfolger gebracht haben soll, sodass letztlich - selbst bei Wahrunterstellung seiner Angaben - keine Hinweise mehr dafür vorliegen, dass rund sechs Jahre später, noch seitens seiner ehemaligen Verfolger ein Interesse an einer Habhaftmachung seiner Person vorliegen sollte. Nach weiterer Angabe des BF hätten zwar die bewaffneten Verfolger das Elternhaus des BF - nach Angaben des BFaufzuspüren vermocht, nicht aber hätten diese den BF, welcher bei seinem Onkel in derselben Stadt einen ganzen Monat lang Zuflucht gefunden habe, noch dessen Bruder, welcher zu dessen Tante geflohen sein soll, noch die Eltern des BF, nach erfolgter Übersiedlung innerhalb derselben Stadt aufzufinden vermocht. Selbst bei - hg nicht angenommenen - Wahrannahme dieser Angaben spricht dieses Vorbringen gegen ein weiteres bis heute anhaltendes Fortdauern einer konkreten Verfolgungsgefahr für den BF.

 

Soweit der BF zur Untermauerung seines Vorbringens ein polizeiliches Protokoll dem Gericht vorgelegt hat, in welcher der behauptete Sachverhalt vom 27.06.2013 aufgezeichnet wurde sei, vermag dieses letztlich keinen Beleg für die Glaubhaftigkeit des Vorbringens darzustellen, zumal es eine notorische Tatsache darstellt, dass derartige behördliche Schriftstücke im Irak -wie in zahlreichen anderen Ländern der Welt - als Fälschungen bzw. als Originale mit falschem Inhalt käuflich erhältlich sind (siehe dazu Seite 43/44 des gegenständlichen Erkenntnisses). Die Authenitiziät dieser Unterlage ist somit für das erkennende Gericht nicht erwiesen, zumal der BF im Rahmen des Verhandlungsprotokolls auf Seite 9 angegeben hat, dass die Polizei "kein richtiges Protokoll angefertigt" hätte, da die Polizisten "das Ganze nur auf einem Stück Papier aufgeschrieben" hätten. Wenn von Beschwerdeseite nun ein mit Stempel und Unterschrift versehenes Polizeiprotokolls als Beweismittel eingebracht wurde, steht allein dieser Umstand in Widerspruch zu den oben zitierten Angaben des BF im Rahmen der mündlichen Verhandlung.

 

Soweit der BF nach entsprechendem Vorhalt in der mündlichen Verhandlung zusätzlich vorbrachte, dass der Umstand, dass er ein junger palästinensischer junger Mann wäre, der gut ausgebildet sei, gute Arbeit gehabt ,wie auch ein Auto besessen hätte, "eine Art Drohung" in den Augen der Leute dargestellt hätte, erscheint diese Aussage viel zu unkonkret und vage, als dass daraus ein noch im Entscheidungszeitpunkt aktuelles konkretes Bedrohungspotential für den BF abgeleitet werden könnte (siehe auch II.2.5.).

 

Hinsichtlich des von Beschwerdeseite und in der UNHCR-Kurzinfo vom 27.04.2018 (Seite 20 des Erkenntnisses) beschriebenen Umstandes, dass die illegale Ausreise für Flüchtlinge aus dem Irak strafbar ist und mit Konfiskation des gesamten Besitzes geahndet werden kann und u. a. auf das Passgesetz aus 2015 Bezug genommen wird, welches für den Grenzübertritt in den Irak über andere Stellen als offizielle Grenzübergänge eine Gefängnisstrafe von mindest 3 Jahren zu bestrafen ist, wird auf die Judikatur des VwGH zur Abgrenzung zur zulässigen Strafverfolgung verwiesen: "Keine Verfolgung im asylrechtlichen Sinn ist im Allgemeinen in der staatlichen Strafverfolgung zu erblicken. Allerdings kann auch die Anwendung einer durch Gesetz für den Fall der Zuwiderhandlung angeordneten, jeden Bürger des Herkunftsstaates gleich treffenden Sanktion unter bestimmten Umständen "Verfolgung" im Sinne der GFK aus einem dort genannten Grund sein; etwa dann, wenn das den nationalen Normen zuwiderlaufende Verhalten des Betroffenen im Einzelfall auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht und den Sanktionen jede Verhältnismäßigkeit fehlt" (vgl. etwa VwGH 17.9.2003, 99/20/0126, 6.5.2004, 2001/20/0256 sowie 27.4.2011, 2008/23/0124, jeweils mwN). Weder wurde beschwerdeseitig behauptet, dass die illegale Ausreise des BF aus dem Irak aus politischer oder religiöser Überzeugung erfolgt sei, noch wurde in casu von der Beschwerdeseite eine etwaige Unverhältnismäßigkeit einer Strafandrohung von mindestens von mindestens 3 Jahre bei Grenzübertritt über andere als die offiziellen Grenzübergänge subtantiierbar argumentiert. Gleiches gilt übrigens auch für die von Beschwerdeseite angeführte Strafandrohung im Irak für das Verwenden gefälschter Dokumente. Vielmehr wird auf die Aussagen des BF in der mündlichen Verhandlung auf Seite 19 des VH-Protokolls verwiesen, befragt, ob er aufgrund des irakischen Flüchtlingsgesetzes und des irakischen Passgesetzes staatlich verfolgt fühlt: "Ich habe von diesem Gesetz gehört. Natürlich macht das Angst. Aber gegen das Gesetz habe ich nichts. Wenn es ein Gesetz gibt und ich werde gerecht zur Verantwortung gezogen, dann akzeptiere ich das. Aber wenn ich nichts getan habe und weil ich Palästinenser bin mit mir Unrecht geschieht, davor habe ich Angst. Das ist meine Antwort. [...]." Somit wurde vom BF bei direkter Befragung auch keine konkrete Furcht vor staatlicher Verfolgung aufgrund er oben angeführten Gesetzeslage glaubhaft gemacht.

 

Hinsichtlich des Vorbringens des BF, wonach im August 2014 Behörden seine Familie aufgesucht hätten, da deren Ausweise abgelaufen seien und seitens der Behörden nach ihm gefragt worden wäre, ist auszuführen, dass sich dieses Vorbringen des BF als sehr unsubstantiiert und ohne Detailtiefe erweist, sodass auch hieraus kein konkretes Sachverhaltssubstrat für eine mit maßgeblicher Wahrschlichkeit drohende Verfolgungssituation für den BF erkennbar ist. Diese Erwägungen ergeben sich aus dem Umstand, dass der BF in dem Zusammenhang ein Schriftstück vorgelegt hat, demzufolge er von Behördenseite aufgefordert wurde, sich bei den Behörden zu melden, andernfalls "juristische Maßnahmen" gegen ihn eingeleitet würden (vgl. Aktenseite 85). Letztlich vermag dieses Schriftstück keinen Beleg für die Glaubhaftigkeit des Vorbringens darzustellen, zumal es eine notorische Tatsache darstellt, dass derartige behördliche Schriftstücke im Irak wie in zahlreichen anderen Ländern der Welt als Fälschungen käuflich erhältlich sind. Selbst bei Wahrunterstellung dieses Vorbringens ergibt sich hier für das erkennende Gericht keine asylrelevante Verfolgungssituation, da sich weder aus den Angaben des BF, noch aus dem vorgelegten behördlichen Schriftstück Anhaltspunkte für andere als gegebenfalls drohende fremdenpolizeiliche Konsequenzen aufgrund des Ablaufes der Gültigsdauer eines Ausweises ableiten lassen.

 

2.4.1.1. In einer Gesamtschau sind die von Beschwerdeseite zum gegenständlichen Fluchtgrund vorgebrachten Angaben in sich widersprüchlich, unplausibel und in der realitätsfernen Darstellung des behaupteten Geschehens unglaubhaft. Es ist dem Beschwerdeführer somit nicht gelungen ist, eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen im Irak in ausreichendem Maße substantiiert vorzubringen und glaubhaft zu machen.

 

Der BF hat im Rahmen der individuellen Bewertung des Falles durch das erkennende Gericht nicht glaubhaft gemacht, dass er aufgrund einer unsicheren persönlichen Lage iSd Art. 1 Abschnitt A Z2 der GFK, gezwungen gewesen wäre das Territorium des Iraks zu verlassen. Aufgrund der Ermangelung einer solcher persönlichen Bedrohungslage iSd Art. 1 Abschnitt A Z2 der GFK geht das erkennende Gericht nicht davon, dass der BF "ipso facto" den Schutz der Status-RL iSd Art 12 Abs. 1 lit. a 2. Satz geniesst und ihm daher der Asylstatus zukommt.

 

Der Vollständigkeit halber sei in Bezug auf den Antrag der Beschwerdeseite, eine Stellungnahme der asylberechtigten Angehörigen des BF, die aktuell in Schweden aufhältig sind, einzuholen, ausgeführt, dass sich das Vorbringen des BF, wie oben eingehend ausgeführt, als gänzlich unglaubhaft erweist, sodass aus einer etwaigen Stellungnahme seitens der angeführten Verwandten des BF keine weitere Klärung des Sachverhaltes zu erwarten ist. Dem Antrag war daher seitens des erkennenden Gerichtes nicht zu entsprechen.

 

2.5. Zur Lage im Irak:

 

Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich für die rechtliche Beurteilung auf den Bericht des UNHCR vom 27.04.2018, sowie auf das LIB der Staatendokumentaion vom 20.11.2018 und ist im Vergleich zu den vom Bundesamt im angefochtenen Bescheid herangezogenen Quellen, sogar eine Verbesserung der Sicherheitslage erkennbar.

 

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen, sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild - ohne wesentliche Widersprüche - darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

 

Dem BF wurden die maßgeblichen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat zur Kenntnis gebracht und ihm zur Wahrung des Rechts auf Parteiengehör die Möglichkeit eingeräumt, zu den getroffenen Feststellungen eine Stellungnahme abzugeben.

 

Es wurden im gesamten Verfahren keinerlei Gründe dargelegt, die an der Richtigkeit der Informationen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat Zweifel aufkommen ließen.

 

Die anderen von Beschwerdeseite in Vorlage gebrachten bzw. zitierten Berichte (UNHCR - Update of UNHCR Aide-Memoire of 2006. Protection Considerations for Palestinian refugees in Iraq, July 2012; UNHCR "Relevant COI on the Situation of Palestinian Refugees in Baghdad" vom 30.03.2017) stammen aus den Jahren 2012 und 2017 und sind somit für eine Darlegung der "aktuellen" Lage und für eine Rückkehrprognose nicht geeignet.

 

Hinsichtlich der Ausführungen des Beschwerdeführers, als Angehöriger einer Minderheit bzw. als Palästinenser verfolgt zu sein, ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass die Zugehörigkeit eines Asylwerbers zu einer ethnischen oder religiösen Volksgruppe alleine, sowie deren schlechte allgemeine Situation nicht geeignet ist, eine Asylgewährung zu rechtfertigen (VwGH vom 23.05.1995, Zl. 94/20/0816). Von einer extremen Gefährdungslage im Irak, dass gleichsam jeder Palästinenser, der sich dort aufhält oder dorthin zurückkehrt, alleine aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit einer Verfolgung aus Gründen der GFK ausgesetzt sei, kann jedoch aufgrund der Länderfeststellungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht gesprochen werden. Die für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorauszusetzende Bescheinigung einer konkret gegen den Asylwerber gerichteten Verfolgungshandlung kann nicht alleine durch die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Palästinenser ersetzt werden. Die bloße Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur sunnitischen Volksgruppe bildet daher noch keinen ausreichenden Grund für die Asylgewährung (vgl. VwGH vom 31.01.2002, 2000/20/0358). Das Asylgesetz verlangt vielmehr die begründete Furcht vor einer konkret gegen den Asylwerber selbst gerichteten Verfolgungshandlung, aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründen, welche der Beschwerdeführer aber im Verfahren nicht substantiiert glaubhaft zu machen vermochte (siehe II.2.4). Allgemeine Benachteiligungen richten sich nicht speziell gegen seine Person und können daher nicht zur Gewährung von Asyl führen.

 

Aus den vom erkennenden Gericht getroffenen Länderfeststellungen geht nicht hervor, dass im Irak Palästinenser einer systematischen, asylrelevanten Verfolgung - allein aus ethnischen Gründen - ausgesetzt wären.

 

2. Rechtliche Beurteilung

 

3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG 2005) nicht getroffen, und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

3.2. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

3.3. Gemäß § 3 BFA-G, BGBl. I 87/2012 idF BGBl. I 70/2015, obliegt dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Vollziehung des BFA-VG (Z 1), die Vollziehung des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100 (Z 2), die Vollziehung des 7., 8. und 11. Hauptstückes des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100 (Z 3) und die Vollziehung des Grundversorgungsgesetzes - Bund 2005, BGBl. I Nr. 100 (Z 4).

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

 

3.4. Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

 

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

 

3.5. Zum Spruchteil A

 

3.5.1. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht. (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

 

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Gemäß § 3 Abs 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. 22.12.1999, 99/01/0334; 25.01.2001, 2001/20/0011).

 

Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 10.11.2015, Ra 2015/19/0185, mwN). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

 

Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.02.1997, Zl. 95/01/0454, VwGH 09.04.1997, Zl. 95/01/055), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse, sondern erfordert eine Prognose (vgl. VwGH 16.02.2000, Zl. 99/01/0397). Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318).

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten.

 

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203). Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191, mwN).

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 in Verbindung mit Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende "Gruppenverfolgung", hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten; diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (vgl. VwGH vom 10. 12.2014, Ra 2014/18/0078, mwN).

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist der Begriff der "Glaubhaftmachung" im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG, § 45, Rz 3, mit Judikaturhinweisen). Die "Glaubhaftmachung" wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der "hierzu geeigneten Beweismittel", insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

 

3.5.1.1. Das BFA begründete die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten damit, dass der BF keine Bedrohung oder Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft machen konnte.

 

3.5.1.2. Mit dieser Beurteilung ist die belangte Behörde im Ergebnis im Recht.

 

3.5.1.3. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die begründete Furcht des BF, in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen verfolgt zu werden, nicht vorliegt:

 

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung anknüpft.

 

Die Verfolgung aus dem Grund der (unterstellten) politischen Gesinnung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK liegt in jenen Fällen vor, in denen der ungerechtfertigte Eingriff an die (wenn auch nur vermutete) politische Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung der betroffenen Person anknüpft.

 

Eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen konnte von dem BF jedoch nicht glaubhaft gemacht werden (vgl. Beweiswürdigung). Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung, auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, war in der Folge davon auszugehen, dass eine asylrelevante Verfolgung nicht existiert.

 

Zum Vorbringen der Beschwerdeseite, wonach dem BF aufgrund seiner illegalen Ausreise im Falle seiner Rückkehr in den Irak seine Inhaftierung drohe und ihm angesichts der menschenrechtswidrigen Haftbedingungen für Palästinenser im Irak eine Verletzung seiner Rechte gemäß Art. 3 EMRK drohe, ist einzuwenden, dass dieses Vorbringen nicht in Bezug auf die Frage einer etwaigen Asylgewährung, sondern vielmehr für die Frage der Zuerkennung des subsidiären Schutzes von rechtlicher Relevanz ist. Ausgehend davon, dass dem BF bereits der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, war auf dieses Vorbringen in casu nicht näher einzugehen.

 

Soweit von Beschwerdeseite weiters vorgebracht wird, dass Palästinenser häufig willkürlich für mehrere Stunden angehalten und kontrolliert würden, deren Häuser im Vergleich zu irakischen Staatsbürgern häufiger durchsucht würden und Ziel willkürlicher Kontrollen wären, so ist einzuwenden, dass die bloße Zugehörigkeit des BF zur Volksgruppe der Palästinenser alleine für die Annahme einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr nicht ausreicht, zumal eine staatliche oder staatlich geduldete generelle Gruppenverfolgung der Volksgruppe der Palästinenser im Irak nicht vorliegt.

 

Dass im Irak eine generelle und systematische Verfolgung von Palästinensern mit sunnitischer Glaubensrichtung stattfindet, kann aus den länderkundlichen Feststellungen zur Lage im Irak nicht abgeleitet werden. Wiewohl ausweislich der Feststellungen in Irak eine sunnitisch-feindliche Politik vorherrscht und es in unterschiedlicher Intensität zu Vertreibungen mit dem Ziel einer religiösen Homogenisierung oder von Entführungen kommt, kann noch nicht von einer zielgerichteten und systematischen Verfolgung von Muslimen sunnitischer Glaubensrichtung ausgegangen werden. Der Beschwerdeführer hat demnach nicht bereits aufgrund seiner sunnitischen Glaubensrichtung eine individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten (vgl. VwGH vom 17.12.2015, Ra 2015/20/0048 mwN).

 

Wenn von Beschwerdeseite auf Seite 5 der Beschwerdeschrift auf die Rechtssachen C-31/09 und C-364/11 des EuGH verwiesen und behauptet wird, dass dem BF ein "ipso facto" Schutz der Status-RL gemäß Art. 12 Abs. 1 lit b, 2 Satz zukommen würde und ihm daher Asyl zuzuerkennen sei, ist dem entgegenzuhalten, dass in casu ein individuelle Bewertung des Asylantrages des BF dahingehend stattgefunden hat, ob dieser aus Gründen des Art. 1 Abschnitt 2 Z2 GFK gezwungen gewesen war, den Irak zu verlassen und der BF eine entsprechende Gefährdungslage seiner Person iSd Art. 1 Abschnitt 2 Z2 GFK nicht subtantiiert glaubhaft zu machen vermochte.

 

3.5.1.4. Wie in der Beweiswürdigung des verfahrensgegenständlichen Erkenntnisses dargetan, wurde eine individuelle Verfolgung des BF im Irak von Beschwerdeseite nicht substantiiert vorgebracht und nicht glaubhaft gemacht. Die Beschwerde gegen den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ist deshalb gemäß § 3 Abs. 1 AsylG als unbegründet abzuweisen.

 

4. Zum Spruchteil B Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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