AsylG 2005 §57
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2017:W196.1435310.3.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Ursula SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1.) XXXX, geb. XXXX, 2.) XXXX, geb. am XXXX, 3.) XXXX, XXXX, 4.) XXXX, geb. XXXXund
5.) XXXX, geb. XXXX, alle StA. Russische Föderation, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.02.2017, Zlen. 1.) 831831901-161628318, 2.) 831822608-170092794, 3.) 821301308-170138263, 4.) 821301406-710138336 und 5.) 1047054503-170138387, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 68 Abs. 1 AVG, §§ 10 Abs. 1 Z 3 und 57 AsylG, § 9 BFA-VG, §§ 46, 52 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
Das Vorbringen der Beschwerdeführer ist untrennbar miteinander verknüpft.
Erstes Verfahren:
Die Erst- bis Viertbeschwerdeführer, Staatsangehörige der Russischen Föderation und Zugehörige der tschetschenischen Volksgruppe, stellten nach illegaler Einreise am 19.09.2012 ihre ersten Anträge auf internationalen Schutz. Die Erst- und Zweitbeschwerdeführer sind verheiratet und die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer ihre minderjährigen Kinder. Die Fünftbeschwerdeführerin ist ihre im Bundesgebiet geborene Tochter.
Zu seinen Fluchtgründen gab der Erstbeschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag an, dass er in seiner Heimat von maskierten Männern verfolgt und misshandelt worden sei, da er der Familie eines getöteten Freiheitskämpfers geholfen habe. Im Falle der Rückkehr fürchte er den Tod seiner Familie. Zum Nachweis seiner Identität legte er seinen russischen Inlandspass vor.
Die Zweitbeschwerdeführerin gab anlässlich ihrer Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag zu ihren Ausreisegründen an, der Erstbeschwerdeführer und sie hätten der Familie eines getöteten Freiheitskämpfers geholfen. Der Erstbeschwerdeführer sei im Jahr 2009 verhaftet und misshandelt worden. Danach habe man ihn einfach zurückgelassen, da sie gedacht hätten, er sei tot. Er sei jedoch von Verwandten gerettet und nach Inguschetien gebracht worden.
Die Dritt- und Viertbeschwerdeführer hätten keine eigenen Fluchtgründe. Zum Nachweis der Identität der Beschwerdeführer legten sie ihren russischen Inlandspass bzw. russischen Geburtsurkunden vor.
Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 10.12.2012 gab der Erstbeschwerdeführer zu seinen Ausreisegründen befragt an, zu Beginn des zweiten Krieges im Jahr 1999 hätten Kämpfer auf dem Hof seiner Eltern gewohnt und im Jahr 2004 seien zwei seiner Freunde entführt worden, als er nicht zuhause gewesen sei. Sein Vater habe ihm gesagt, dass ein Jeep sie abgeholt habe, das habe er vom Fenster aus gesehen. Er sei ausgereist, weil er entführt worden sei. Auf Nachfrage gab er an, dass er am 28.11.2009 abgeholt und zur Polizei zum Verhör gebracht worden sei. Er sei nach seinem Kommandeur gefragt worden, nach seinem Freund und wem er die Lebensmittel bringe. Er habe angegeben, dass er die Lebensmittel zur Mutter des Freundes bringe, den sie entführt hätten, da ihm von seinem Freund aufgetragen worden sei, sich um die Mutter und Schwester zu kümmern. Sie hätten ihn geschlagen und gefragt, wo dieser Freund sei und ob er noch immer bei den Kämpfern sei. Sie hätten ihm vorgeworfen, dass er ihnen Nahrungsmittel in den Wald bringe. Der Freund habe ihm gesagt, dass er ins Ausland fahre. Der Erstbeschwerdeführer habe gesagt, dass er nicht wisse, wo er sei. Sie hätten ihm vorgeworfen, dass er gekämpft habe und hätten ihn geschlagen. Sie hätten ihm auch vorgeworfen, dass er im ersten Krieg gekämpft habe und ihm Fotos von Unbekannten gezeigt. Er sei bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen worden und erst wieder in einem Krankenhaus aufgewacht. Sein Schwiegervater habe ihn aus dem Krankenhaus abgeholt und nach Inguschetien gebracht. Er sei sieben Tage festgehalten und anschließend sieben Tage im Krankenhaus gewesen. Seit März 2009 sei ihn seine Gattin regelmäßig in Inguschetien besuchen gekommen, wo er bis 15.09.2012 gelebt habe. Auf die Nachfrage, wer für ihn gekocht und wie er seinen Lebensunterhalt bestritten habe, gab er an, dass sein Vater und die Schwiegereltern gearbeitet und ihn unterstützt hätten. Sie hätten ihn mit Lebensmitteln unterstützt und er oder die Hausherrin hätten gekocht. Er erinnere sich nicht, wie die Hausherrin heiße. Ihr Mann und der Sohn hätten auch dort gelebt, auch deren Namen wisse er nicht mehr. Auf Nachfrage bestätigte er, dass er sich an nichts erinnere. Die Behörden hätten nach ihm gesucht, es gebe seit 2009 einen Haftbefehl gegen ihn. Die Sicherheitsorgane hätten nach ihm im Spital gesucht, wo er behandelt worden sei, bevor er nach Inguschetien gebracht worden sei. Sie hätten erfahren, dass er am Leben geblieben sei und würden ihn noch immer verfolgen. Sie hätten ihn zuhause gesucht und im Spital sei er registriert worden. Weiters gab er an, dass er im ersten Tschetschenienkrieg nur Nahrungsmittel geliefert habe, im zweiten habe er ein namentlich genanntes Dorf geschützt. Er sei Wachposten auf einem Turm gewesen und wenn die Soldaten gekommen seien, seien sie hinuntergegangen und hätten es den Leuten gesagt. Die Soldaten hätten sie angegriffen, von allen Seiten, mit Flugzeugen usw. Er habe aber nie gekämpft. Auf Nachfrage antwortete der Erstbeschwerdeführer mit der Gegenfrage, wer denn nicht die Heimat verteidigt habe. Der Kommandeur habe den Befehl gegeben, dass jeder nach Hause gehen sollte und von zuhause helfen solle, weil es nicht mehr sinnvoll gewesen sei zu kämpfen. Er habe keine Waffe, aber eine Uniform gehabt. Er habe sonst nur bei Transporten geholfen. Er wisse, wie sein Kommandant geheißen habe, jedoch nicht, wo sich dieser zurzeit aufhalte. Im Falle einer Rückkehr befürchte er von den Militärs mitgenommen und umgebracht zu werden. Nach Vorhalt, dass er zuvor von der Polizei gesprochen habe, entgegnete der Erstbeschwerdeführer, sie hätten Militäruniformen angehabt und gesagt, dass sie von der Miliz seien.
Am selben Tag wurde auch die Zweitbeschwerdeführerin niederschriftlich einvernommen, wobei diese eingangs erklärte, dass sie über einen Auslandspass verfügt habe, dieser allerdings beim Schlepper verblieben sei. Die Auslandspässe habe sie im Sommer 2012 beantragt, anschließend sei ihr Vater zum Passamt gegangen und habe etwas ausgehandelt; einen Monat später habe sie die Pässe abgeholt. Befragt, ob sich der Erstbeschwerdeführer an einem der Tschetschenienkriege beteiligt habe, gab sie an, er habe nicht gekämpft. Im Haus der Schwiegereltern seien aber im zweiten Krieg Kämpfer untergebracht gewesen. Zur Entführung des Erstbeschwerdeführers befragt führte die Zweitbeschwerdeführerin aus, er sei am Vormittag des 28.11.2009 von zu Hause mitgenommen worden; die Dritt- und Viertbeschwerdeführer seien in der Schule gewesen. Bei den Männern habe es sich um Tschetschenen und Russen gehandelt. Sie hätten Militäruniformen getragen. Ob es sich dabei um das Militär oder um die Polizei gehandelt habe, wisse sie nicht. Sie hätten gesagt, dass sie zum ROWD fahren würden. Den Erstbeschwerdeführer habe sie erst im Krankenhaus gesehen, als er wieder zu sich gekommen sei. Im Falle einer Rückkehr befürchte sie umgebracht zu werden, da sie Informationen über den Verbleib des Erstbeschwerdeführers zurückbehalten habe. Nach Vorhalt, dass dies aufgrund ihrer ungehinderten Lebensführung vor der Ausreise nicht plausibel sei, entgegnete sie, dass verschiedene Leute, aber nicht von der Polizei, etwa fünf Mal zu ihr nach Hause gekommen seien und nach dem Erstbeschwerdeführer gefragt hätten.
Zu einer durch das Bundesasylamt durchgeführten, ergangenen Anfragebeantwortung vom 18.02.2013 wurden die Identität des Erstbeschwerdeführers und die offizielle Ausstellung des Reisepasses bestätigt. Es wurden auch zwei Adressen des Erstbeschwerdeführers bestätigt. Zudem habe in Erfahrung gebracht werden können, dass der Erstbeschwerdeführer wegen seiner Wohnung im Herbst 2011 eine Klage gegen den Vorbesitzer eingebracht und obsiegt habe. Mangels verfügbaren Patientenakts habe der Krankenhausaufenthalt nicht bestätigt werden können. Zudem werde nach dem Erstbeschwerdeführer weder von staatlichen Behörden noch von militärischen Einheiten gesucht.
Mit Eingabe vom 19.03.2013 legte der Erstbeschwerdeführer ein russischsprachiges Schreiben vom 12.02.2013 samt beglaubigter Übersetzung vor, wonach der Parlamentsausschuss um die Gewährung von politischem Asyl für den Erstbeschwerdeführer bitte, da diesem als aktivem Anhänger der Unabhängigkeit der tschetschenischen Republik Itschkeria Verfolgung seitens der russischen Behörden und Sonderdienste drohe.
In einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 29.04.2013 brachte der Erstbeschwerdeführer zu dem vorgelegten Schreiben vor, sein in Belgien lebender Cousin habe diese Bestätigung von dem Kommandanten besorgt, den er von 1999 bis 2001 unterstützt habe. Bei dem Institut handle es sich um das Parlament von Itschkerien, wo sich dieses befinde wisse er nicht; er sei auch für dieses Parlament nicht tätig gewesen. Weiters wurde dem Erstbeschwerdeführer das Rechercheergebnis vorgehalten, wozu er entgegnete, seinen Reisepass nie offiziell beantragt oder abgeholt zu haben. Es werde nicht nach ihm gefahndet, da er auf keinen Fahndungslisten aufscheine; er habe schließlich auch kein Verbrechen begangen. Nach Vorhalt, dass insbesondere das von ihm gewonnene Gerichtsverfahren gegen eine behördliche Verfolgung spreche, erwiderte er, in Tschetschenien sei alles möglich. Zu seinem Aufenthalt in Inguschetien gab er an, er habe nicht wollen, dass seine Frau und seine Kinder zu ihm ziehen, weil es keinen Platz gegeben habe. Er habe das Haus fast nie verlassen und habe nicht wollen, dass jemand weiß, dass er dort wohnt. Zudem legte der Erstbeschwerdeführer eine Ambulanzkarte vom 29.03.2013 mit der Diagnose posttraumatische Schiefnase vor.
Mit Bescheiden vom 07.05.2013 wies das Bundesasylamt die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde ihnen der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.).
In seiner Begründung traf das Bundesasylamt umfangreiche Länderfeststellungen zur Situation in der Russischen Föderation und erachtete das Vorbringen der Beschwerdeführer hinsichtlich einer Bedrohungssituation aufgrund der vorliegenden Rechercheergebnisse und der Widersprüche des Erstbeschwerdeführers als unglaubwürdig. So etwa habe die Recherche ergeben, dass dem Erstbeschwerdeführer unmittelbar vor der Ausreise völlig legal ein Reisepass ausgestellt worden sei. Dies wäre niemals der Fall gewesen, wenn er tatsächlich einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt gewesen wäre. Ebenso habe der Erstbeschwerdeführer im Jahr 2011 ein Zivilrechtsverfahren gegen den Vorbesitzer seiner Wohnung angestrengt. Der Erstbeschwerdeführer sei dem Rechercheergebnis weder durch sachliche Argumente schlüssig entgegengetreten noch habe er taugliche Beweismittel zur Untermauerung seines Vorbringens in Vorlage gebracht. Der Erstbeschwerdeführer habe zudem bei der Erstbefragung erklärt, einer Familie eines getöteten Freiheitskämpfers geholfen zu haben, diesen Umstand habe er aber mit keinem Wort beim Bundesasylamt erwähnt, sondern vielmehr im Widerspruch dazu wiederholt ausgesagt, dass die behaupteten Peiniger bloß Auskünfte zu seiner Tätigkeit in den Tschetschenienkriegen hätten haben wollen. Neben den Widersprüchen zu den Angaben der Zweitbeschwerdeführerin habe sich der Erstbeschwerdeführer selbst in Widersprüche verwickelt. Auch basiere das im Verfahren vorgelegte Schreiben auf den Angaben des Erstbeschwerdeführers und handle es sich nicht um ein beglaubigtes Behördenschriftstück. Darüber hinaus sei angesichts der Unglaubwürdigkeit des Erstbeschwerdeführers davon auszugehen, dass es sich dabei - sofern es keine Eigenproduktion oder sonstige Fälschung sei -um eine Gefälligkeitsbestätigung handeln müsse. Letztlich sei diese Bestätigung inhaltlich auch völlig allgemein gehalten und sei für sich genommen kein Sachverhalt zu erkennen, der das eigentliche Vorbringen des Erstbeschwerdeführers bestätige. Das Fluchtvorbringen der Zweitbeschwerdeführerin sei unglaubwürdig. Für den Dritt- und Viertbeschwerdeführer seien keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht worden; diesbezüglich werde auf die Bescheide des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin verwiesen. Zur Situation im Falle einer Rückkehr führte das Bundesasylamt aus, dass den Beschwerdeführern im Herkunftsstaat weder Verfolgung noch anderswertige Gefahren drohen würden, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. Abschließend begründete das Bundesasylamt seine Ausweisungsentscheidung.
Die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes jeweils vom 26.11.2013, Zlen.
- 1.) D4 435310-1/2013, 2.) D4 435309-1/2013, 3.) D4 435312-1/2013 und
- 4.) D4 435311-1/2013 gemäß § 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen. Diese Entscheidungen wurden im Wesentlichen damit begründet, dass den bereits ausführlich in den Bescheiden des Bundesasylamtes dargelegten Ungereimtheiten und Widersprüchen in den Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin auch durch die Ausführungen in der Beschwerde nicht habe entgegentreten werden können. Auch hätten die im Verfahren vorliegenden Rechercheergebnisse dem behaupteten Verfolgungsgrund klar widersprochen. Entgegen der Ausführung in der Beschwerde habe die Zweitbeschwerdeführerin überdies den Vorfall vom Juli 2011, bei dem sie Opfer von sexueller Gewalt geworden sei, nicht bereits anlässlich ihrer ersten Einvernahme erwähnt und sei die Zweitbeschwerdeführerin diesbezüglich auf das Einvernahmeprotokoll, dessen Richtigkeit und Vollständigkeit sie im Rahmen der Einvernahme vom 10.12.2012 bestätigt habe, zu verweisen. Insgesamt betrachtet sei das Vorbringen der Beschwerdeführer nicht glaubhaft und auch nicht ersichtlich gewesen, dass für den Fall einer Rückkehr den Beschwerdeführern eine Verletzung von Art. 3 EMRK drohen würde. Schließlich würden die Interessen der Republik Österreich an der Wahrung eines geordneten Fremden- und Zuwanderungswesens als Teil der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und Ordnung sowie des wirtschaftlichen Wohls des Landes durch Vermeidung unkontrollierter Zuwanderung im gegenständlichen Fall insgesamt schwerer wiegen, als die persönlichen Interessen der Beschwerdeführer an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet und würden somit den Eingriff in ihr Privatleben rechtfertigen.
Zweites Verfahren:
Am 12.12.2013 stellten die Erst- und Zweitbeschwerdeführer für sich, sowie für die Dritt- und Viertbeschwerdeführer als ihre gesetzlichen Vertreter, ihre zweiten Anträge auf internationalen Schutz.
Im Zuge der Erstbefragung zum Folgeantrag am 13.12.2013 gab der Erstbeschwerdeführer an, dass die Zweitbeschwerdeführerin vor ca. zwei Monaten eine Ladung bekommen habe. In seinem Herkunftsland würde man noch nach ihnen suchen und sei dies der neue Fluchtgrund. Diesbezüglich verwies er auf das bereits im ersten Verfahren vorgelegte Schreiben des Führers seiner Rebelleneinheit. Es würden auch Leute zu seinen Eltern kommen und fragen. Sein Vater sei bei der Polizei gewesen. Die Polizei suche nach ihm. Es werde vermutet, er sei bei den Rebellen.
Die Zweitbeschwerdeführerin brachte im Zuge ihrer Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 12.12.2013 zu den Gründen für den Folgeantrag an, vor etwa zwei Monaten hätten die Behörden im Herkunftsstaat ihren Bruder und ihre Schwester aufgesucht, um sich nach ihr zu erkundigen. Sie hätten auch eine Ladung hinterlassen, dass sie sich umgehend an die Behörden wenden sollte. Eine Ladung sei bei ihrer Tante abgegeben worden, da sie dort gemeldet gewesen sei. Die Nachbarn hätten die Ladung ihrem Bruder weitergegeben. Die zweite Ladung sei ihrer Schwester übergeben worden. Ihr Bruder habe sie direkt danach darüber informiert. Für den Dritt- und den Viertbeschwerdeführer würden dieselben Gründe gelten.
Am 18.12.2013 wurde der Erstbeschwerdeführer vor dem Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen. Er gab an, sich körperlich und geistig in der Lage zu befinden, die Einvernahme durchzuführen, aber er habe Gedächtnisprobleme; 2009 habe er ein großes Loch im Kopf gehabt. Hinsichtlich seines neuerlichen Asylantrags, gab er im Wesentlichen an, dass sein Vater ständig nach seinem Aufenthaltsort gefragt werde. Er habe jetzt die Bestätigungen und Übersetzungen dabei, dass seit 2009 wirklich dort nach ihm gesucht werde. Seit dieser Zeit sei er in Inguschetien gewesen und habe dort allein gewohnt. Änderungen zu seinen Fluchtgründen gebe es nicht. Auf die Frage, ob es seit der Rechtskraft des ersten Verfahrens irgendwelche Vorfälle im Herkunftsstaat gegeben habe, die ihn persönlich beträfen, gab er an, dass er seine Probleme zu Hause handschriftlich zusammengefasst habe. Er habe auch ein Schreiben zu seinen Problemen von der Frau, bei der er in Inguschetien gewohnt habe sowie eine Kopie ihres Passes. Menschen in Uniform, glaublich vom Militär, hätten seinen Vater mehrmals befragt, sie meinten, dass er im Wald bei den Freiheitskämpfern sei und diesen Hilfe leiste. Alles habe 2009 angefangen, als man ihn am 28.11.2009 zum ersten Mal mitgenommen habe. Sieben Tage habe man ihn irgendwo in einem Keller gequält und dann wieder rausgelassen. Er sei mehrmals operiert worden und die Hälfte seines Gesichtes sei gelähmt. Die Lage im Herkunftsstaat sei vielleicht von außen besser, schön gebaut, aber in Wirklichkeit habe sich nichts zum Positiven geändert. Manchmal telefoniere er mit seinem Vater. Er wolle keinen Einblick in die Länderberichte.
Am selben Tag wurde auch die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundeasylamt niederschriftlich einvernommen, wobei sie erneut auf die erhaltenen Ladungen hinwies. Zudem sei ein Bruder im März 2013 von unbekannten Personen mitgenommen worden. Ein anderer Bruder habe ihn nach zwei Wochen wieder gefunden.
Anlässlich einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 08.01.2014 gab der Erstbeschwerdeführer an, er habe bereits ein Schreiben in russischer Sprache im letzten Gespräch am 18.12.2013 überreicht; diese Person könne alles bestätigen. Er habe auch einen Bekannten in Frankreich, der auch geholt und dessen Bruder im Jahr 2004 getötet worden sei. Er habe das schon im letzten Gespräch beschrieben. Er sei mit diesem Mann in Frankreich in Kontakt, er habe die gleiche Geschichte. Er sei nur durch Zufall am Leben geblieben, sei jetzt anerkannter Flüchtling in Frankreich und lebe seit sechs Jahren mit seiner Familie in Frankreich. Eine solche Geschichte habe er auch. Auf die Frage, ob es seit der Rechtskraft des Vorverfahrens Änderungen gebe, gab er an, dass er zurzeit hier sei. In seiner Heimat hätten sie ihn längst getötet. Seinen Vater würden sie ständig belästigen, da sie nicht wissen, ob er bei den Rebellen oder sonst irgendwo sei. Seine Kinder seien hier voll integriert, würden zur Schule gehen und lernen. Er habe hier sein Deutschkursdiplom A1 abgelegt. Jeden zweiten Tag müssten sie sich bei der Polizei melden. Die Kinder hätten gefragt, was mit ihnen passiere. Aus Angst um seine Kinder seien sie hierher geflüchtet, zuhause hätte man ihn längst getötet. Er bitte darum, dass man sie hier lasse und nicht in den Herkunftsstaat zurückschicke. Sein Freund aus Frankreich könne alles bestätigen, was er bereits erzählt habe. Er habe nur seine Heimat verteidigt, er habe niemanden getötet. Jetzt wolle man ihn töten. Er habe zwei Brüder und seine Eltern im Herkunftsstaat und wisse nicht, was mit ihnen geschehe. Seinen Onkel und Cousins habe er auch noch dort. Er habe genug Geld in seiner Heimat gehabt und sei nur deshalb geflüchtet, weil er sonst getötet worden wäre. Er vermisse seine Eltern, er hätte sie sonst nie verlassen. Sein Freund aus Frankreich sei 2004 in der Heimat geholt worden, sein Bruder gleichzeitig auch. Den Bruder hätten sie getötet, sein Freund habe überlebt. Damals hätten sie auch schon nach ihm gefragt. 1999 hätten sie in ihren weiteren Häusern Rebellen einquartiert. Der Freund aus Frankreich könne auch das bestätigten, es entspreche alles der Wahrheit. Er habe mehrere Personen, die das bestätigen könnten und das Bundesamt bräuchte sie nur befragen. Sie würden bestätigen, was er sage. Der Anführer befinde sich jetzt in Belgien und könne das auch bestätigen. Den weiteren OP-Termin habe er am 06.03.2014; es handle sich um eine Nasen-OP.
Am 23.09.2014 wurde der Erstbeschwerdeführer erneut vor dem Bundesamt einvernommen, wobei er angab, psychisch und physisch in der Lage zu sein, die gestellten Fragen wahrheitsgemäß zu beantworten und der Einvernahme zu folgen. Hinsichtlich seines Gesundheitszustandes führte er aus, er nehme derzeit nur Medikamente für sein Gedächtnis und wegen eines grippalen Infektes. Die Gedächtnisprobleme habe er bereits seit 2009, als er verletzt worden sei; dabei sei er auf den Kopf geschlagen worden und die Hälfte seines Gesichtes funktioniere nicht mehr richtig. Er sei in Österreich drei Mal operiert worden und es stünden keine weiteren Operationen an. Diesbezüglich legte er einen ärztlichen Kurzbericht seines Hausarztes vom 22.09.2014 vor, wonach er wegen Septumdeviation, Ohrenproblemen, Hämorrhoiden und PTBS in Behandlung stehe; zuletzt habe er über Gedächtnisstörungen geklagt, die sich aber auf Grund der Sprachbarriere schwer verifizieren ließen. Zudem legte er einen Entlassungsbericht vom 31.07.2014 mit der Diagnose Re-Septumdeviation (Nasenscheidewandverkrümmung) sowie Hyperplasie (Vergrößerung) der unteren Nasenmuscheln vor. Er sei sowohl mit den Operationen am Kopf und dieser Behandlung, als auch der Operation an den Hämorrhoiden und dieser Behandlung fertig. Sein Problem sei, dass er die Probleme zu Hause nicht beweisen könne. Seine Eltern würden nicht in Ruhe gelassen, auch nicht seine Brüder. Seinetwegen liege seine Mutter schon seit einem Monat im Krankenhaus. Dies sei wegen dem Stress, ständig kämen Leute nach Hause, Militärangehörige, die ständig fragen würden, wo er sei. Auf den Vorhalt, dass die Polizei mittlerweile verstanden haben müsste, dass er nicht mehr im Herkunftsstaat aufhältig sei, gab er an, dass die Personen einmal in zwei oder drei Monaten nach Hause kämen und schauen würden, ob er da sei. Jetzt sei er in Österreich und habe keine Probleme. Auf den Vorhalt, warum die Polizei dies schon seit zwei Jahren vergeblich tun solle, gab er an, dass sie das schon seit 2010 täten. Das Problem sei, dass er am Leben geblieben sei. Auf die Fragewiederholung gab er an, dass er nicht wisse, warum sie nicht aufgeben. Er habe Unterlagen, die im Zusammenhang mit seinem Vorbringen stünden, bereits vorgelegt. Das sei sein Freund, der in Frankreich lebe und dieselben Probleme habe. Auf die Frage, woher er wisse, dass das Militär nach ihm suche, gab er an, dass er mit der Mutter telefonischen Kontakt halte. Diese habe ihn vor ca. eineinhalb Monaten angerufen und ihm gesagt, dass wieder Militärs dagewesen seien und nach ihm gefragt hätten. Seit Dezember 2013 seien sie drei oder vier Mal bei ihm zuhause gewesen. Die Mutter und der jüngere Bruder seien immer zuhause gewesen. Sein Vater sei zuletzt 2010 geschlagen worden. Wenn sie nach Hause kämen, würden sie niemanden schlagen, sondern das Haus durchsuchen und gleich wieder weggehen. Er habe Angst nachhause zu fahren, weil die Personen immer noch zu ihm nach Hause kämen. Wenn es nicht so gewesen wäre, wäre er zuhause geblieben und nicht nach Österreich gekommen. Er habe bis 2009 wohlhabend gelebt, er habe gearbeitet und seine Familie versorgt. Er habe im Herkunftsstaat noch nie Sozialhilfe bezogen. Er habe als Automechaniker und -lackierer gearbeitet. Die Kinder seien hier zufrieden und würden zur Schule gehen. Im Herkunftsstaat würden die Eltern und zwei Brüder weiterhin im Heimatdorf leben. Die Eltern bekämen eine Rente, ein Bruder studiere an der Universität GROSNY, der andere "sitze zu Hause". Als er gearbeitet habe, habe er seine Familie unterstützt. Er habe selten telefonischen Kontakt zu seiner Familie; zuletzt habe er mit seiner Mutter vor ca. einem Monat telefoniert. Seine Gattin habe eine Cousine in Österreich, sonst habe er keine Verwandten in Österreich. Er habe Kontakt zu dieser Cousine und auch Kontakt mit Einheimischen. Wenn ältere Menschen draußen sitzen würden, gehe er auf sie zu und spreche mit ihnen. Er sei arbeitsfähig und könne jegliche Arbeit verrichten. Er sei nicht Mitglied in einem Verein, meistens sitze er zu Hause, aber er gehe auch raus und versuche, Nachbarn kennenzulernen. Er lerne Deutsch und habe kostenlos im Seniorenheim ausgeholfen, dies zuletzt vor drei bis vier Monaten, dann habe man ihm gesagt, dass kein Bedarf mehr bestehe. Auf den Vorhalt, dass man als ehrenamtlicher Mitarbeiter dort jederzeit zur Hand gehen könne, gab er an, dass man ihm gesagt habe, dass kein Bedarf bestehe. Er habe in Österreich noch nie Probleme mit der Polizei, Gerichten oder anderen Institutionen gehabt. Er sei in Russland wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit verfolgt worden, 2001, 2002 und 2003, als es Spannungen gegeben habe. Es sei eigentlich nichts passiert, aber man spüre, dass man von den Beamten schlecht behandelt werde. Persönlich sei er damals nicht verfolgt worden. Er habe abgesehen von den geschilderten Problemen nie Probleme mit den Institutionen seines Herkunftsstaates gehabt.
Die Zweitbeschwerdeführerin führte anlässlich ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am selben Tag hinsichtlich ihres Gesundheitszustandes aus, derzeit nur wegen ihrer Schwangerschaft in ärztlicher Behandlung zu stehen. An Migräne habe sie bereits vor ihrer Ausreise gelitten, doch habe sie im Herkunftsstaat nicht die vorgeschriebene Behandlung begonnen, da man dort so starke Medikamente verschreibe. Zu den Gründen für den Folgeantrag befragt, erklärte die Zweitbeschwerdeführerin, für sie seien im Herkunftsstaat zwei Ladungen abgegeben worden; eine sei ihrem Bruder zugestellt worden, die zweite an ihre letzte Meldeadresse. Wann diese Ladungen zugestellt worden seien, wisse sie nicht. Ihr Bruder habe ihr die Ladungen etwa im März 2014 nach Österreich übermittelt. Befragt, gab sie an, die Behörden seien zu ihrem Bruder gekommen, wo sie früher gelebt habe und hätten nach ihr und dem Erstbeschwerdeführer gefragt. Die zweite Ladung sei an die Nachmieter ihrer letzten Meldeadresse übergeben worden, mit dem Hinweis die Ladung an die Verwandten der Beschwerdeführer weiterzugeben. Ihr Bruder fahre gelegentlich zu dieser Adresse und frage nach, ob sich jemand nach ihnen erkundigt habe. Sie wisse nicht, ob ihr Bruder die Ladungen im Original noch besitze oder aus Angst weggeworfen habe. Er habe auch Angst gehabt, dass die Behörden erfahren würden, wohin er diese Ladungen schicke. Befragt, warum sie nach wie vor über diese Meldeadresse verfüge, führte sie aus, dass sie dort zuletzt gemeldet gewesen sei und sich vor ihrer Ausreise nicht abgemeldet habe. Ihr Bruder habe ihr mitgeteilt, dass an dieser Adresse etwa zwei oder drei Mal nach ihr gefragt worden sei. Wann dies genau gewesen sei, wisse sie nicht. Zu ihren persönlichen Verhältnissen befragt, gab die Zweitbeschwerdeführerin an, sie habe im Herkunftsstaat bis zum Jahr 2010 als freiberufliche Mitarbeiterin bei einer Kosmetikfirma gearbeitet. Danach sei sie von ihrem Vater und ihrer Schwester unterstützt worden. Ihr Bruder und ihre Schwester seien berufstätig und wohnten in Eigentumswohnungen, ihr Vater wohne in einer Mietwohnung. Sie habe mit ihrer Familie noch ein bis zwei Mal im Monat telefonischen Kontakt. Seit Dezember 2012 lebe ihr älterer Bruder als Asylwerber in Österreich; weiters würden zwei ihrer Cousinen in Österreich leben. Sie lebe in einer Unterkunft für Asylwerber und beziehe Leistungen aus der Grundversorgung. Sie habe bislang zwei Deutschkurse besucht. Sie sei kein Mitglied in einem Verein. Sie habe sich freiwillig im Seniorenheim engagieren wollen, doch habe kein Bedarf bestanden.
Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge der Erst- bis Viertbeschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihnen der Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf die Russische Föderation nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Zudem wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen die Erstbis Viertbeschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist; unter einem wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise auf 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt III.).
Das Bundesamt traf umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in der Russischen Föderation und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die vorgelegten Beweismittel bereits im ersten Asylverfahren gewürdigt worden seien. Es sei schließlich festgestellt worden, dass der Erstbeschwerdeführer keine systematische bzw. intensive Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer Rasse, Religion, Nationalität, bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung glaubhaft machen habe können. Die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer hätten keine eigenen Ausreisegründe. Den gegenständlichen Folgeantrag habe der Erstbeschwerdeführer damit begründet, dass der Zweitbeschwerdeführerin im Herkunftsstaat zwei Ladungen zugestellt worden wären und ihre Familie immer noch von Polizisten nach ihrem Aufenthaltsort befragt werde. Darüber hinaus gebe es keine Abänderung der Fluchtgründe des ersten Asylverfahrens. Das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers, wonach er weiterhin von Behörden im Herkunftsstaat gesucht werde und er hierfür die originären Fluchtgründe aufrecht erhalte, welche bereits hinlänglich im Instanzenzug des ersten Asylverfahrens als unzureichend für einen positiven Verfahrensausgang bewertet worden seien, würden - für den Fall dass diese Angaben tatsächlich der Wahrheit entsprächen - als ein linear fortdauerndes Geschehen gewertet. Es werde somit die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten, somit liege keinesfalls ein "wesentlich geänderter Sachverhalt" vor, sondern werde der Sachverhalt bekräftigt, über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden sei.
Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 10.12.2014 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
Am 19.10.2014 wurde die Fünftbeschwerdeführerin im Bundesgebiet geboren. Ihre gesetzliche Vertreterin stellte am 25.11.2014 für sie einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei diese erklärte, dass für die Fünftbeschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe vorlägen. Zum Nachweis ihrer Identität wurde die österreichische Geburtsurkunde vorgelegt.
Mit dem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag der Fünftbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf die Russische Föderation nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Zudem wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen die Fünftbeschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist; unter einem wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise auf 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt III.).
Diese Entscheidung wurde damit begründet, dass für die Fünftbeschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht worden seien. Darüber hinaus seien die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin nicht glaubhaft.
In der dagegen erhobenen Beschwerde vom 09.01.2015 verwies die Fünftbeschwerdeführerin auf die Beschwerde der Eltern, da sie keine eigenen Fluchtgründe habe.
Mit Schreiben vom 23.01.2015 ergänzten die Beschwerdeführer ihre Beschwerde dahingehend, dass im Juni 2014 die russischen Behörden erneut nach der Zweitbeschwerdeführerin gesucht und im Zuge dessen eine weitere Ladung an ihre Schwester übergeben hätten. Ihre Schwester habe ihr die Ladung mittels eines Schleppers zukommen lassen. Die betreffende Ladung wurde im Original beigelegt. Darüber hinaus wurde auf das bisherige Vorbringen und auf das Schreiben des in Frankreich lebenden Freundes verwiesen, der das Vorbringen der Beschwerdeführer bestätigen könne.
Mit Eingabe vom 19.02.2015 brachte der Erstbeschwerdeführer ein handschriftliches russischsprachiges Schreiben, datiert mit 10.02.2014 sowie die Kopie einer französischen Aufenthaltskarte in Vorlage, ebenso ein Kuvert abgesendet in Frankreich, adressiert an den Erstbeschwerdeführer, mit dem Übernahmevermerk 13.02.2014.
Mit Eingabe vom 21.08.2015 legten die Beschwerdeführer zum Nachweis ihrer Integration die Jahreszeugnisse einer Hauptschule vom 10.07.2015 betreffend den Zweitbeschwerdeführer und den Drittbeschwerdeführer sowie ein Unterstützungsschreiben der Wohngemeinde der Beschwerdeführer vor.
Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde mit Erkenntnissen jeweils vom 12.08.2016, Zlen. 1.) W112 1435310-2, 2.) W112 1435309-2, 3.) W112 1435312-2, 4.) W112 1435311-2 und 5.) W112 2017166-1, nach Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 14.06.2016, ab. Begründend führte das Gericht im Wesentlichen aus, dass der Erstbeschwerdeführer mit seinem Vorbringen keine neue, nach dem rechtskräftigen Abschluss des ersten Asylverfahrens mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 26.11.2013 begründete Verfolgung, sondern das Weiterwirken einer bereits rechtskräftig für unglaubwürdig erachteten Verfolgung wegen Beherbergung von Rebellen und unterstellter Hilfe für Rebellen bzw. Mitgliedschaft bei den Rebellen seit seiner Entführung 2009 dargetan habe. Auf Grund der Vorortrecherche stehe auch fest, dass nach dem Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Erstattung der Anfragebeantwortung 2012 nicht gefahndet wurde. Dass sich die Verfolgung auf Grund der Vorortrecherche ergebe, wie in der mündlichen Verhandlung vorgebracht worden sei, gehe ins Leere, da der Erstbeschwerdeführer angegeben habe, die Besuche bei seinen Eltern hätten seit 2010 stattgefunden, die Recherche aber erst 2012 durchgeführt worden sei. Auch der in der Stellungnahme zu den Länderberichten gerügte Verfahrensmangel, dass im zweiten Asylverfahren keine Recherche im Herkunftsstaat mehr durchgeführt worden sei, liege nicht vor, da der Beschwerdeführer im zweiten Asylverfahren einer Recherche im Herkunftsstaat nicht mehr zugestimmt habe. Da das Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin zu den Ladungen den vorgelegten Ladungen widerspreche, sich die Ladung aus den von der Zweitbeschwerdeführerin/dem Erstbeschwerdeführer/der Vertreterin vorgebrachten Gründen nicht mit den Länderberichten in Einklang bringen lasse und das diesbezügliche Fluchtvorbringen überdies unplausibel sei, könne auch aus den vorgelegten Ladungen keine Gefährdung des Erstbeschwerdeführers abgeleitet werden. Es liege sohin keine wesentliche Sachverhaltsänderung vor, der ein glaubhafter Kern innewohnen würde. Es könne überdies nicht festgestellt werden, dass der Erstbeschwerdeführer Behandlungen benötigen würde, die ihm in der Russischen Föderation nicht zugänglich wären. Vor dem Hintergrund der genannten Erkenntnisquellen und den darauf basierenden Feststellungen würden sich weder Anhaltspunkte dafür finden, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer Gefährdungssituation im Sinne des § 8 AsylG 2005 ausgesetzt sein würden, noch das "außergewöhnliche Umstände" der Rückkehr der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat entgegenstünden. Es lasse sich nicht ersehen, dass es den Beschwerdeführern in der Russischen Föderation aktuell an der notdürftigsten Lebensgrundlage fehlen würde. Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG sei das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auch zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts der Beschwerdeführer im Bundesgebiet das persönliche Interesse der Beschwerdeführer am Verbleib im Bundesgebiet überwiege und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliege. Auch seien sonst keine Anhaltspunkte hervorgekommen und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden, die im gegenständlichen Fall den Ausspruch, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, rechtfertigen würden.
Zum gegenständlichen Verfahren:
Am 03.12.2017 stellte der Erstbeschwerdeführer seinen dritten und gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Zuge der Erstbefragung zum Folgeantrag am selben Tag befragt gab der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen an, dass seinem Vater, der in der Russischen Föderation lebe, eine Ladung zugestellt worden sei, wonach der Erstbeschwerdeführer von der russischen Polizei gesucht werde. Diese Ladung sei etwa Mitte November 2016 zugestellt worden. Dies hätte der Erstbeschwerdeführer über die Zweitbeschwerdeführerin erfahren, die mit den Verwandten in Kontakt stehe.
Die Zweitbeschwerdeführerin stellte am 01.12.2016 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005, welcher gemäß § 58 Abs. 10 AsyG 2005 zurückgewiesen wurde. Noch vor Ausgang des Beschwerdeverfahrens stellte die Zweitbeschwerdeführerin am 23.01.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz, wo sie in der Erstbefragung am 23.01.2017 ebenfalls auf die Ladung von Mitte November verwies.
Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 26.01.2017 gab der Erstbeschwerdeführer nach einer Wiedergabe des bisherigen Verfahrensganges befragt an, dass er bisher immer die Wahrheit gesagt habe und die Erstbefragung am 03.12.2016 rückübersetzt und richtig protokolliert worden sei. Nur habe er die Ladung Mitte des Monats und nicht am 20. November erhalten. Die Frage, ob er die neuen Fluchtgründe der Erstbefragung am 03.12.2016 in vollem Umfang aufrecht halte, bejahte der Erstbeschwerdeführer. Ergänzend führte er an, dass er ein Problem in Tschetschenien gehabt habe, da er eine Ladung bekommen habe. Auch kenne das Bundesamt die allgemeine Lage, es würden Familien von Tschetschenien vertrieben sowie täglich Menschen inhaftiert und getötet werden. Diejenigen, die im Ausland leben, würden bei einer Rückkehr nach Tschetschenien noch mehr Schwierigkeiten bekommen, es sei eine Katastrophe. Die Eltern des Erstbeschwerdeführers würden seit dem Erhalt der Ladung nicht mehr zuhause wohnen. Wäre Tschetschenien ein Rechtsstaat wie Österreich, dann wäre er auf keinen Fall hergekommen. Dort würden keine Menschenrechte existieren. Die Frage, ob die Fluchtgründe vom heutigen Tag, sowie vom 03.12.2016, in einem direkten Zusammenhang mit seinen originären Fluchtgründen stehen würden, bejahte der Beschwerdeführer, es sei eine Kette. Aufgefordert die Ladung dem Bundesamt auszufolgen legte der er ein Kuvert vor. Gefragt, ob die Person, die die Ladung geschickt habe, Probleme bekommen würde gab der Erstbeschwerdeführer an, von seiner Seite nicht. Weiters befragt führt er an, dass ihm sein Schwager, der Bruder der Zweitbeschwerdeführerin, die Ladung geschickt habe. Seine Eltern hätten ihm das nicht schicken können wegen dem Nachnamen, dort werde alles kontrolliert. Sie hätten denselben Familiennamen. Sein Schwager heiße aber "Khasuev". Aufgefordert, das vorgelegte Dokument zu beschreiben und dessen Inhalt zu nennen gab der Erstbeschwerdeführer an, das sei eine Ladung. In dieser stehe, dass er bei der Polizei erscheinen solle. Weiters befragt, wann und wo er erscheinen solle gab er an, dass er sogar Angst gehabt habe, den Brief aufzumachen, er habe es gar nicht angesehen, er habe es bekommen und gleich hier vorgelegt. Nochmals befragt führte er aus, dass er bei der Polizeistation im Bezirk Lenina erscheinen solle. Im November, am 15.11., um 11 Uhr. Er solle zu einer Befragung erscheinen, aber natürlich sei unbekannt und unvorhersehbar, was dann passieren würde. Er wisse nicht, um was für eine Befragung es sich handle. Er wisse nicht, welche Fragen ihm gestellt werden würden. Vielleicht würden sie ihn fragen, wo er die ganze Zeit gewesen sei. Nachgefragt gab er an, dass er nicht wisse, wann die Ladung seinem Schwager zugestellt worden sei. Das wisse nur seine Frau. Seine Eltern hätten der Schwester seiner Frau gesagt, dass die Ladung gekommen sei. Seine Frau habe das über ihre Schwester erfahren und er über seine Frau. Und seine Frau habe ihm erzählt, dass die Ladung Mitte November zugestellt worden sei. Sein Vater habe die Ladung bekommen und habe der Erstbeschwerdeführer Mitte November von der Ladung Kenntnis erlangt, und zwar über seine Frau, welche Kontakt mit ihrer Schwester aufgenommen habe. Der Erstbeschwerdeführer habe nicht über seine Eltern Kenntnis über die Ladung erlang, obwohl sie seinem Vater zugestellt worden sei, weil er keinen Kontakt zu diesen habe, als Vorsichtsmaßnahme. Wenn man ihn fragen würde, wo er sich aufgehalten habe, würde es ein großes Problem sein; denn hätte er keine Probleme gehabt, dann könnte er zuhause leben. Die Frage, ob die aktuelle Ladung mit seinen Problemen aus dem Jahr 2009 zusammenhängen würden bejahte der Erstbeschwerdeführer. Wenn zum Beispiel eine Polizeistation einen neuen Polizeichef bekomme, dann schaue dieser alle alten und neuen Sachen an und interessiere sich für die Personen, so wie für ihn. Wenn ein neuer Chef komme, fange alles wieder von vorne an. Auf die Frage, ob es einen neuen Polizeichef gäbe und wie dieser heiße antwortete er, dass er damit meine, dass es immer so sei bei ihnen. Jetzt wisse er dies nicht genau, sehr wohl aber, dass ein neuer Chef automatisch die alten Akten anschaue. Das wisse er, weil er dort gelebt habe. Die zuvor genannte Polizeidienststelle Lenina sei jetzt eine andere Polizeidienststelle. Die andere Polizeidienststelle heiße jetzt Staro Pomislovski, das sei zum Beispiel eine Polizeidirektion und diese Polizeidienststellen würden zu dieser Polizeidirektion gehören. Wenn er sage, es komme ein neuer Chef, meine er jenen der Polizeidienststelle Lenina. Es herrsche leider Chaos bei ihnen und wenn der Erstbeschwerdeführer zum Beispiel der Ladung keine Folge leiste, dann würden auch die Eltern von dem Dorf vertrieben werden. Man müsse die Verantwortung für die Angehörigen übernehmen. Dass der Erstbeschwerdeführer bereits im Vorverfahren Ladungen vorgelegt habe und dass alle Ladungen, auch die aktuelle, mit seinem Problem in Tschetschenien zu tun habe, sei richtig. Auf die Frage, wer über einen so langen Zeitraum Interesse an seiner Person haben sollte führte er an, dass man nicht nur an ihm, sondern an vielen anderen Personen Interesse habe. Das Problem sei auch, dass er in Österreich sei. Sie würden sich dafür interessieren, was er hier alles mache und womit er beschäftigt sei. Nachgefragt gab er an, dass er nur mit der Erziehung der Kinder beschäftigt und es für alle gefährlich sei, die in Europa gewesen seien. Die Ladung habe er vorige Woche, Montag oder Dienstag erhalten. Der Erstbeschwerdeführer wisse nicht, wo sich seine Eltern momentan aufhalten würden. Er könne nicht mehr angeben, wann er zuletzt Kontakt mit ihnen gehabt habe, er habe es vergessen. Wahrscheinlich 2015 oder 2016. Von der Ladung hätten sie von der Schwägerin erfahren und dass die Eltern des Erstbeschwerdeführers seitdem nicht mehr zuhause wohnen würden. Das sei auch das erste Mal, dass sie von zuhause weg seien. Die Zweitbeschwerdeführerin habe auch keinen Kontakt zu ihren Eltern, nur mit ihrer Schwester. Abgesehen von den geschilderten, mit der Ladung zusammenhängenden Problemen habe er keine weiteren Rückkehrbefürchtungen. Auf den Hinweis, dass die Erst- und Zweitbeschwerdeführer noch keine Anträge auf internationalen Schutz für die minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer gestellt hätten gab er an, dass er noch heute zur Polizei gehen würde. An seinem Privat- und Familienleben habe sich nichts geändert. Bis zur Ausreise habe er im Heimatland den Lebensunterhalt auf Baustellen oder als Taxisfahrer oder Automechaniker bestritten. Gelebt habe er von 2009 bis 2012 in Nazran, Inguschetien, und davor gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern in Tschetschenien, Staro Prominovsk an einer näher bezeichneten Adresse. Bis zur Heirat habe er gemeinsam mit seinen Eltern an einer anderen Adresse gelebt. Im Herkunftsstaat würden sich die Eltern und der jüngere Bruder des Erstbeschwerdeführers aufhalten, jedoch wisse er zurzeit nicht, wo genau. Sein Bruder sei 22 Jahre alt und habe mit seinen Eltern gelebt. Er habe keinen Kontakt zu ihm und wisse auch nicht, wo er sich aufhalte, um ihn vor den Problemen zu verschonen. Nachgefragt gab der Erstbeschwerdeführer an, dass er die drei Jahre in Inguschetien unbehelligt habe leben können. Weiters befragt führte er an, dass sein Vater gearbeitet habe, als der Erstbeschwerdeführer das Land verlassen habe, jetzt wisse er es aber nicht. Was seine Schwiegereltern machen würden, wisse er auch nicht. Seine Mutter arbeite nicht, die Gesundheit lasse es nicht zu. Sein Bruder habe keine Arbeit gehabt, jetzt wisse er es nicht genau, glaube aber, dass er immer noch keine Arbeit habe. Er habe Angehörige im Ausland, und zwar lebe seit drei Jahren ein Schwager in Österreich. Weiters zwei Cousinen seiner Frau. Alle seien anerkannte Flüchtlinge. Die Wohnung der Eltern in Tschetschenien sei eine Mietwohnung gewesen. Der Beschwerdeführer habe Kontakt zu niemandem in der Heimat, nur seine Frau. In Österreich lebe er in einer Unterkunft der Grundversorgung und bestreite den Lebensunterhalt durch Taschengeld, Essensgeld und gemeinnützige Arbeit. Die Nachweise habe er zuhause. Er helfe immer freiwillig im Quartier. Er habe den Führerschein und fahre einen großen Bus, helfe anderen Flüchtlingen mit positivem Bescheid beim Umziehen. Er habe auch eine Einstellungszusage für eine Baustelle. Er habe Kontakte in Mittersill, wo die Beschwerdeführer gelebt hätten. Dort habe er viel geholfen und Freunde gefunden. Zurzeit besuche er einen Deutschkurs des Niveaus A2 und sei nicht Mitglied in Vereinen oder Organisationen in Österreich. Sein Sohn besuche die Schule und sei auch irgendwo angemeldet, jedoch wisse er nicht, wo genau. Der Erstbeschwerdeführer wurde aufgefordert, dem Bundesamt die diesbezüglichen Unterlagen vorzulegen. Weiters gab er befragt an, dass er in Österreich keine Probleme mit Behörden, Polizei, Gerichten oder anderen Institutionen gehabt habe, und auch nie strafgerichtlich verfolgt oder verurteilt worden sei. Auch habe er nie Probleme mit Verwaltungsbehörden aufgrund schwerer Verwaltungsstraftaten gehabt. Er habe sich auch niemals in oder außerhalb der Russischen Föderation politisch betätigt oder irgendeiner politischen Organisation oder Partei angehört. Wegen seines Bartes sei der Beschwerdeführer jedoch in der Russischen Föderation einer konkreten und gezielten Verfolgung seiner Person aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit als Tschetschene ausgesetzt gewesen. Nachgefragt gab er an, dass er deswegen beschimpft worden sei. Sonst sei nichts passiert. Es sei ihm gesagt worden, er müsse seinen Bart rasieren, sonst würde er Probleme bekommen. Sonst habe er keine Probleme mit Behörden, Polizei oder Gerichten in seinem Herkunftsland gehabt. Auch nicht mit sonstigen privaten Personen, Personengruppen, Banden oder kriminellen Organisationen. Schließlich fügte der Erstbeschwerdeführer hinzu, falls bei ihm zuhause eine solche Situation herrschen würde wie hier, wäre er nicht auf der Flucht. Hier sei es möglich, wenn man Probleme bekomme oder schlecht behandelt werde, Schutz vom Staat zu bekommen. Und jeder Mensch habe seine Menschenrechte. Am Ende der Einvernahme wurden dem Erstbeschwerdeführer Länderberichte zur Situation im Herkunftsstaat übergeben. Dazu gab er an, dass die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer in Österreich schon voll integriert seien, sie fließend Deutsch sprechen, Russisch aber gar nicht sprechen können würden. Er mache sich Sorgen um seine Kinder, weil sie sich hier zuhause fühlen würden. Die jüngere Tochter verstehe kein Russisch. Zuhause würden sie ein bisschen Tschetschenisch sprechen, damit sie die Muttersprache nicht verlernen, ansonsten nur Deutsch.
Für die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer wurden am 01.02.2017 durch ihre gesetzliche Vertretung ebenfalls Anträge auf internationalen Schutz gestellt.
Die Zweitbeschwerdeführerin wurde am 02.02.2017 ebenfalls niederschriftlich einvernommen. Nach einer Wiedergabe des bisherigen Verfahrensganges gab die Zweitbeschwerdeführerin befragt an, dass sie zuvor den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 gestellt habe, weil die Juristin der Diakonie es ihr empfohlen habe. Sie habe gehofft, dass es eine legale Möglichkeit gäbe, in Österreich zu bleiben. Die Beschwerdeführer hätten nicht verstanden, dass alle einen Antrag auf internationalen Schutz stellen müssten und hätten gedacht, dass es ausreiche, wenn es nur der Erstbeschwerdeführer mache. Aktuell hätten alle Beschwerdeführer einen gestellt. Weiters gab sie an, dass sie bisher immer die Wahrheit gesagt habe und die Erstbefragung am 23.01.2017 rückübersetzt und richtig protokolliert worden sei. Sie halte die Fluchtgründe von der Erstbefragung aufrecht und wolle keine Ergänzungen machen. Befragt führt sie aus, dass ihr Schwiegervater eine Ladung für den Erstbeschwerdeführer bekommen habe. Ihre Schwiegermutter habe das ihrer Schwester erzählt, welche es dann der Zweitbeschwerdeführerin mitgeteilt habe. Sie sei die einzige Person, zu der sie Kontakt habe. Die Ladung sei auf den Namen des Vaters des Erstbeschwerdeführers zugestellt und ihm persönlich zuhause ausgehändigt worden. In der Ladung stehe, dass der Erstbeschwerdeführer als Verdächtiger zu einer Einvernahme geladen worden sei. Nochmals nachgefragt, für den 15.11.2016, in die Polizeidienststelle Leninski Rayon. Grund sei, dass ihr Mann schon lange gesucht werde. Vor der Flucht nach Österreich sei er drei Jahre nicht zuhause gewesen. Wann ihr Schwiegervater diese Ladung erhalten habe, wisse sie nicht genau. Ihre Schwester habe ihr das sicherlich bis 20.11.2016 gesagt. Die Zweitbeschwerdeführerin habe eine SMS von ihr bekommen. Das Handy habe sie aber zuhause gelassen. Wenn ihre Schwester ihr eine Nachricht schicke, kaufe sie immer eine neue SIM-Karte. Auch lösche sie immer alle SMS von ihrer Schwester und könne sie sie deswegen nicht dem befragenden Organwalter des Bundesamtes schicken. Sie habe nicht gewusst, dass diese SMS wichtig sei. Ihrem Mann habe sie es jedenfalls noch am selben Tag mitgeteilt. Die Ladung habe sie wahrscheinlich am 19.01.2017 durch einen Mitarbeiter im Quartier erhalten. Ihr Mann sei nicht zuhause gewesen. Dabei handle es sich um ein Original. Zu den Rückkehrbefürchtungen des Erstbeschwerdeführers gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass es ungewiss sei und niemand wisse, was passieren würde. Als er zum ersten Mal von zuhause weggenommen worden sei, sei ihm vorgeworfen worden, dass er den Freiheitskämpfern Hilfe geleistet und noch eine Familie seines Freundes unterstützt habe. Die Polizei habe das so verstanden, dass ihr Mann der Familie von diesen Freiheitskämpfern geholfen habe, weil ein Sohn von ihnen an den Kriegshandlungen während des Krieges teilgenommen habe. Ein anderer Sohn sei von der Polizei umgebracht worden. Es könne sein, dass ihr Mann deshalb geladen worden sei. Die Zweitbeschwerdeführerin bejahte die Frage, ob es sich nun um die Fluchtgeschichte, die bereits in den Vorverfahren abgehandelt worden sei, handle. Auf die Frage, warum jemand im Jahr 2016 noch eine Ladung verschicken sollte, wobei der Erstbeschwerdeführer bereits im Jahr 2012 geflüchtet sei antwortete die Zweitbeschwerdeführerin, dass es sein könne, dass sie das Verfahren abschließen wollen und sie ihren Mann für den Schuldigen halten. Sie glaube schon, dass die Ladung mit den Problemen aus dem Jahr 2009 zusammenhängen würden, weil er sonst keine Probleme gehabt habe. Die Zweitbeschwerdeführerin habe ebenfalls Rückkehrbefürchtungen. Damals, als ihr Mann nicht mehr in Tschetschenien, sondern auf der Flucht gewesen sei, sei sie von der damaligen Miliz und jetzigen Polizei aufgesucht und zum Aufenthaltsort ihres Mannes befragt worden. Nachdem sie ihn halbtot zurückgelassen hätten, hätte die Familie des Erstbeschwerdeführers die Nachricht verbreitet gehabt, dass dieser bereits gestorben sei und habe er als verschollen gegolten. Die Polizei sei deswegen immer wieder zu ihr bzw. zu seinen Eltern gekommen und hätten nach dem Erstbeschwerdeführer gefragt. Eines Tages hätten sie sie vergewaltigt und sei sie sodann zu ihrer Schwester gezogen. Die Zweitbeschwerdeführerin bestätigte, dass sie das bereits im ursprünglichen Asylantrag geschildert habe und führte weiters aus, dass eine Vergewaltigung bei ihnen eine große Schande sei und eine Frau aus diesem Grund auch umgebracht werde. Befragt zu ihrem Familienleben gab sie an, dass sie nach wie vor verheiratet sei und drei Kinder habe. Vor ihrer Ausreise habe sie als Kosmetikerin gearbeitet. Bevor sie nach Grosny gezogen sei, habe sie im Dorf Sershen-Jrut gelebt. Im Herkunftsstaat würden auch weiterhin drei Schwestern und zwei Brüder sowie der Vater der Zweitbeschwerdeführerin wohnen. Eine Schwester arbeite im Kindergarten, zwei Schwestern seien Hausfrauen, zwei Brüder seien selbstständig und ihr Vater beziehe eine Rente. Zu ihren Schwiegereltern befragt gab sie an, dass sie weggezogen seien, das habe ihr ihre Schwester mitgeteilt. Wo sie jetzt seien, wisse sie nicht. Am 15. sei ihr Mann nicht in der Polizeistation erschienen und seien sie ab diesem Tag, sie wisse nicht genau wann, aufgesucht worden. Weiters gab sie befragt an, dass sie keine Familienangehörigen in der Russischen Föderation habe, nur in Österreich. Die Zweitbeschwerdeführerin sei in Stavropol, Russland, geboren worden. Als Kleinkind sei sie mit ihrer Familie nach Kalmikien gezogen und in die Schule sei sie in Tschetschenien gegangen. Befragt nach Besitztümern gab sie an, dass ihr Vater ein großes Grundstück und ein kleines Haus habe. Sie habe aber nur mit ihrer Schwester Kontakt. Nachgefragt nicht regelmäßig, immer unterschiedlich. In Österreich habe die Zweitbeschwerdeführerin einen Bruder und zwei Cousinen, die alle Asyl haben würden. Ihr Bruder lebe seit 4 Jahren, eine Cousine seit 8 und eine seit 12 Jahren in Österreich. Zurzeit leben die Beschwerdeführer in einer Unterkunft und bestreiten den Lebensunterhalt durch die Caritas. Befragt gab sie weiters an, dass man ihr beim AMS gesagt habe, sie dürfe nicht arbeiten. Sie habe aber zwei Mal einen Arbeitgeber gefunden, jedoch sei ihr Antrag auf Arbeitsgenehmigung zwei Mal abgewiesen worden. Eine Einstellungszusage habe sie bereits vorgelegt und wisse sie nicht, ob sie diese noch habe. Sie habe auch Kontakte zu einer Österreicherin, die bei ihnen im Quartier als Helferin tätig gewesen sei. Die Zweitbeschwerdeführerin besuche ein Sprachtraining und habe schon die B1 Prüfung bestanden. Festgehalten wurde, dass die Beschwerdeführerin zum Teil auf Deutsch antworte und sehr gut Deutsch spreche. Der Viertbeschwerdeführer sei in einem Fußballverein. Sonstige Gründe für eine Integration könne sie nicht namhaft machen, denn mit ihrem Status sei es schwer eine Arbeit zu finden. Sie habe ehrenamtlich im Seniorenheim gearbeitet und habe auch diesbezügliche Bestätigungen vorgelegt. Sie habe in Österreich nie Probleme mit Behörden, Polizei, Gerichten oder anderen Institutionen gehabt. Sie sei auch nie verurteilt worden. Auch habe sie sich niemals in oder außerhalb der Russischen Föderation politisch betätigt und gehöre auch keiner politischen Organisation oder Partei an. Ferner habe es in der Russischen Föderation nie eine konkrete, gezielte Verfolgung ihrer Person alleine aufgrund ihrer Volksgruppen- oder Religionszugehörigkeit gegeben. Sie sei nach wie vor gläubige Muslimin. Nachgefragt gab sie an, dass sie im Falle einer Rückkehr dennoch Probleme bekommen würde, weil ihr Bruder ein anerkannter Flüchtling sei. Sie würde gefragt werden, weswegen er das Land verlassen habe. Die Zweitbeschwerdeführerin bejahte die Frage, ob ihre Familie in Tschetschenien deswegen Probleme gehabt habe. Nochmals gefragt, inwiefern, gab sie an, als sie schon in Österreich gewesen sei, sei ihr jüngerer Bruder entführt worden. Er sei jetzt zuhause, habe aber eine Meldepflicht bei der Polizei. Er sei zwei bis drei Tage mitgenommen und beschuldigt worden, Mitglied einer Gruppierung zu sein. Sie wisse aber nicht mehr, ob er verurteilt worden sei. Sie verneinte weiters die Frage, ob sie– außer den Genannten – jemals Probleme mit privaten Personen, Personengruppen, Banden oder kriminellen Organisationen gehabt habe. Am Ende der Einvernahme gab die Zweitbeschwerdeführerin auf Nachfrage die Schulen und Schulklassen, die die Dritt- und Viertbeschwerdeführer besuchen. Die Fünftbeschwerdeführerin sei zwei Jahre alt und zuhause. Die Zweitbeschwerdeführerin besuche seit Juli 2016 eine Psychologin.
Mit Stellungnahme vom 16.02.2017 wurde erneut auf die Bedeutung der neuerlichen Ladung, sowie auf die im Bundesgebiet gesetzten Integrationsschritte der Beschwerdeführer hingewiesen. Auch habe sich die Lage in Tschetschenien in jüngster Zeit deutlich geändert. So bestehe im Falle einer Rückkehr ein erhöhtes Risiko, behördlicher Willkür ausgesetzt zu sein, zumal die Beschwerdeführer nachweislich Kontakt zu Widerstandskämpfern gehabt hätten. Da sie nicht auf Vermögen, staatliche Unterstützung oder ein unterstützungsfähiges soziales Netz zurückgreifen könnten und zusätzlich aufgrund ihrer Erkrankungen und ihres Alters besonders vulnerabel seien, würden sie ferner in eine existenzbedrohende Lage geraten. Auch wurde auf die prekäre Situation von Frauen und auf aktuelle Länderberichte in diesem Zusammenhang verwiesen. Eingereicht wurden diverse Integrationsunterlagen und Berichte über den Gesundheitszustand der Zweitbeschwerdeführerin.
Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 nicht erteilt und wurde gegen sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist. Ferner wurde unter Spruchpunkt III. ausgeführt, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe.
Dem Bescheid wurden die entsprechenden Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführer zu Grunde gelegt. Festgehalten wurde, dass die Beschwerdeführer Staatsangehörige der Russischen Föderation seien. Ihre Identität stehe fest. Zum Gesundheitszustand wurde festgestellt, dass sie an keiner schwerwiegenden lebensbedrohenden physischen oder psychischen Erkrankung oder sonstigen Beeinträchtigung leiden würden. Zum Vorverfahren der Beschwerdeführer wurde insbesondere festgestellt, dass bereits zwei rechtskräftig abgeschlossene Asylverfahren vorliegen würden und ergebe sich aus den Angaben bei der Erstbefragung und der Einvernahme im gegenständlichen Verfahren, dass die Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren keinen neu entstandenen und asylrelevanten Sachverhalt vorgebracht hätten. Vielmehr stehe das nunmehrige Vorbringen, wonach die Zweitbeschwerdeführerin von ihrer Schwester erfahren habe, dass der Erstbeschwerdeführer eine Ladung, andressiert an seinen Vater, bekommen habe, in einem untrennbaren Zusammenhang mit den anlässlich der vorherigen Verfahren als völlig unglaubwürdig erachteten Angaben. So hätten die Erst- und Zweitbeschwerdeführer ausdrücklich angegeben, dass die genannte Ladung bereits im ersten Folgeantragsverfahren mit ihren Beschwernissen in Tschetschenien vor der Ausreise zu tun hätten. Sie hätten auf mehrfaches Nachfragen ihre Asylgründe des Vorverfahrens aufrecht gehalten. Die Rückkehrentscheidung tangiere nicht das Familienleben der Beschwerdeführer, weil sie weder wirtschaftlich noch sozial vom Bruder der Zweitbeschwerdeführerin abhängig seien. Überdies würde der Erstbeschwerdeführer kein Deutsch sprechen – was ihn am Arbeitsmarkt stark einschränke –, hätte keine Kenntnisse der österreichischen Kultur, Gesellschaft oder Geschichte und auch keinen Kontakt zu Österreichern. Die Zweitbeschwerdeführerin spreche Deutsch, könne aber nach vier Jahren keine wie auch immer geartete Integration, weder kultureller, noch gesellschaftlicher Natur, vorweisen. Die Erst- und Zweitbeschwerdeführer hätten sich zwar ehrenamtlich engagiert, jedoch sei die Einreise illegal sowie zum Zweck der Verschaffung einer dauerhaften Niederlassung in Österreich unter Umgehung der Einreise- und Niederlassungsvorschriften und nicht auf einer Verfolgung und der daraus resultierenden Schutzsuche erfolgt. Schließlich würde den Beschwerdeführern eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft ihres Herkunftsstaates – insbesondere im Hinblick auf ihre Situation vor der Ausreise, ihren Sprachkenntnissen und ihrer Berufserfahrung – jedenfalls möglich sein. Die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen seien höher zu werten als die allfällig bestehenden Privatinteressen der Beschwerdeführer.
Die allgemeine, maßgebliche Lage im Herkunftsstaat habe sich nicht geändert und könne unter Berücksichtigung aller bekannten Tatsachen keine Umstände, welche einer Rückkehrentscheidung aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich entgegenstünden, festgestellt werden.
In rechtlicher Hinsicht folgerte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Spruchpunkt I., dass die vorgebrachten Gründe für die neuerliche Antragstellung bereits zum Zeitpunkt der Rechtskraft des Erstverfahrens sowie des zweiten Verfahrens bestanden haben und sich seither kein entscheidungsrelevant geänderter Sachverhalt ergeben habe. Da somit weder in der maßgeblichen Sachlage, noch im Begehren oder in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten sei, welche nicht eine andere rechtliche Beurteilung der Anträge von vornherein als ausgeschlossen erscheinen lassen würde, stehe die Rechtskraft der ergangenen Erkenntnisse des Asylgerichtshofes vom 26.11.2013 und des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.08.2016 den neuerlichen Anträgen entgegen, weswegen das Bundesamt zu ihrer Zurückweisung verpflichtet gewesen sei. Zu Spruchpunkt II. führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, dass sich keinerlei Anhaltspunkte ergeben hätten, die die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG 2005 rechtfertigen würden. Alle Familienmitglieder würden über denselben Aufenthaltsstatus verfügen, nämlich ein rechtskräftiges negatives Asylverfahren. Die Zweit- bis Fünftbeschwerdeführer hätten keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht, sondern sich jeweils auf die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers gehalten und seien zum Erhalt des Familienlebens in das Bundesgebiet eingereist. Im Hinblick auf die höchstgerichtliche Judikatur sei im Falle der Beschwerdeführer festzuhalten, dass sie abgesehen vom Bruder der Zweitbeschwerdeführerin keine zu berücksichtigenden privaten Kontakte zu österreichischen Staatsbürgern oder anderen in Österreich aufhältigen Personen hätten. Sie würden in Österreich von Seiten der öffentlichen Hand erhalten werden. Außerdem sei der Erstbeschwerdeführer insofern straffällig geworden, als er am 11.04.2015 wegen des Verdachtes der Körperverletzung bei der Staatsanwaltschaft angezeigt worden sei. Dies ergebe sich aus der Aktenlage in Übereinstimmung mit seinen Angaben. Da sich die Beschwerdeführer erst seit relativ kurzer Zeit in Österreich befinden würden und den Großteil ihres bisherigen Lebens in der Russischen Föderation verbracht hätten, werde dadurch der Eingriff schon relativiert, weshalb unter Berücksichtigung der individuellen Situation in Österreich, insgesamt ein Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung festgestellt werde. Es bleibe ihnen auch unbenommen sich in weiterer Folge vom Ausland aus um einen Aufenthaltstitel für Österreich zu bemühen. Aufgrund dieser Gesamtabwägung der Interessen und unter Beachtung aller bekannten Umstände ergebe sich, dass die Ausweisung der Beschwerdeführer trotz privater Anknüpfungspunkte in Österreich zur Erreichung des in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zieles gerechtfertigt sei. Bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen können keine Hinweise gefunden werden, welche den Schluss zuließen, dass durch die Rückkehrentscheidung auf unzulässige Weise im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in ihr Recht auf Schutz des Familien- und Privatlebens eingegriffen werden würde. Da den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt werde, seien die Entscheidungen mit einer Rückkehrentscheidung zu verbinden. Da keine Gründe gemäß § 50 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG ersichtlich seien, sei auszusprechen, dass die Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Zu Spruchpunkt III. folgerte das Bundesamt, dass im Fall einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe und im gegenständlichen Fall von einer Erteilung der Frist abzusehen sei. Somit seien die Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Durchführbarkeit der Rückkehrentscheidung zur unverzüglichen Ausreise verpflichtet.
Mit Verfahrensanordnung vom 22.02.2017 wurde den Beschwerdeführern eine Rechtsberatungsorganisation für ein etwaiges Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt.
Gegen die oben angeführten Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl erhoben die Beschwerdeführer in einem gemeinsamen Schriftsatz Beschwerde wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens sowie Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Mit Hinweis auf die beigefügten Anhänge wurde darauf hingewiesen, dass durch die deutlich stärker verfestigte Integration jedenfalls ein neuer Sachverhalt vorliege, der auch rechtlich neu zu beurteilen sei. So seien die Deutschkenntnisse der Zweitbeschwerdeführerin deutlich besser und habe sie ihren Abschluss aus der Russischen Föderation durch das BMWFW bewerten lassen, wodurch sich die beruflichen Chancen in Österreich erhöhen würden. Die belangte Behörde verkenne ferner, dass durch die Zustellung einer neuen Ladung neue Tatsachen vorliegen würden, die auch im Asylverfahren neu beurteilt werden müssten. Es ließe sich nicht ausschließen, dass diese Ladung sowie die Tatsache, dass die Eltern des Beschwerdeführers weggezogen seien, inhaltlich zu einer neuen Entscheidung geführt hätten. Auch sei der Gesundheitszustand der Zweitbeschwerdeführerin völlig falsch beurteilt worden, da sie nicht bloß unter Schlafstörungen, sondern unter einer posttraumatischen Belastungsstörung mit schweren psychischen Symptomen leide. Bevor der Gesundheitszustand der Zweitbeschwerdeführerin nicht abgeklärt werde, könne auch keine Verletzung von Art. 3 EMRK für den Fall einer Abschiebung ausgeschlossen werden, zumal sich ihr Zustand verschlechtern würde. Die Lage der Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sei auch nicht berücksichtigt worden. Sie seien im Bundesgebiet verwurzelt, würden die russische Sprache nicht beherrschen, womit eine Eingliederung in die tschetschenische Gesellschaft unmöglich werde. Die Beschwerdeführer seien im Falle einer positiven Entscheidung jedenfalls selbsterhaltungsfähig, was sich insbesondere aus den im Verfahren vorgelegten Einstellungszusagen ergebe. Beantragt wurden die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sowie die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.
Im Verfahren vorgelegt wurden:
* Einstellungszusage für den Erstbeschwerdeführer vom 03.09.2014;
* Teilnahmebestätigung für Projekt "Heimat und Fremde" der Caritas für die Zweitbeschwerdeführerin vom 07.10.2014;
* Bestätigung des Sportkindergarten für Praktikumsplatz für die Zweitbeschwerdeführerin vom 04.07.2015;
* Leistungsbeschreibung der NMS Mittersill für ALIKHANOV Akhdan vom 10.07.2015;
* Bestätigung der Gemeinde Hollersbach über gemeinnützige Tätigkeit für den Erstbeschwerdeführer vom 20.08.2015;
* Bestätigung der Gemeinde Hollersbach über gemeinnützige Tätigkeit für den Erstbeschwerdeführer vom 14.12.2015;
* Urkunde ALIKHANOV Akhmed, Crosslauf 2015;
* Urkunde ALIKHANOV Akhdan, Fussball;
* Diplom der Russischen Föderation der Zweitbeschwerdeführerin vom 01.07.2011;
* Unterstützungsschreiben der Neuen Mittelschule Bergheim für ALIKHANOV Akhdan vom 08.06.2016;
* CDK Salzburg, Befundberichte, vom 08.06.2016 und vom 11.10.2016;
* Deutschprüfungszeugnis B1 der Zweitbeschwerdeführerin vom 13.10.2016;
* Ladung vom 10.11.2016;
* Arbeitsbestätigung über gemeinnützige Tätigkeit der Gemeinde Bergheim für den Erstbeschwerdeführer vom 19.12.2016;
* Einstellungszusage für den Erstbeschwerdeführer vom 30.01.2017;
* Vereinbarung, Gemeinnützige Beschäftigung von Asylwerbende der Gemeinde Berghein den Erstbeschwerdeführer betreffend vom 27.09.2016;
* Bewertung des Akademischen Grades der Zweitbeschwerdeführerin durch das BMWFW vom 25.10.2016;
* Bestätigung der Diakonie für die Zweitbeschwerdeführerin über ehrenamtliche Tätigkeit vom 01.02.2017;
* Bestätigung über psychotherapeutische Behandlung für die Zweitbeschwerdeführerin vom 14.02.2017;
* Bestätigung des BFI für den Drittbeschwerdeführer über Lehrgang zum Pflichtschulabschluss vom 09.02.2017;
* Schulnachricht über den Schulerfolg des Viertbeschwerdeführers vom 10.02.2017;
* Zeugnis über absolvierte Abschlussprüfung des Drittbeschwerdeführers vom 21.02.2017;
* Befundbericht des Ärztezentrums Schallmoos über den Erstbeschwerdeführer vom 28.02.2017;
* Diverse Unterstützungsschreiben;
* Beschäftigungsbewilligung des AMS für den Erstbeschwerdeführer vom 14.11.2017.
Mit Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 24.11.2017, Zl. U 277/2017g wurde der Erstbeschwerdeführer wegen §§ 88 Abs. 1 und Abs. 4 1. Fall StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je EUR 4,00 (EUR 240,00) mit einer Ersatzfreiheitsstrafe von 30 Tagen verurteilt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Russischen Föderation, Zugehörige der tschetschenischen Volksgruppe und Moslems. Ihre Identitäten stehen fest. Der Erstbeschwerdeführer ist mit der Zweitbeschwerdeführerin standesamtlich verheiratet. Die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sind die gemeinsamen minderjährigen Kinder.
Nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet stellten die Erst- und Zweitbeschwerdeführer am 19.09.2012 für sich und für die minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer ihre ersten Anträge auf internationalen Schutz, welche mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 07.05.2013, Zlen. 1.) FZ. 12 13.011-BAE, 2.) 12 13.012-BAE, 3.) Zl. 12 13.014-BAE und 4.) 12 13.013-BAE, abgewiesen und die Erst- bis Viertbeschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 AsylG aus dem Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen wurden. Die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 26.11.2013, Zlen. 1.) D4 435310-1/2013,
2.) D4 435309-1/2013, 3.) D4 435312-1/2013 und 4.) D4 435311-1/2013, gemäß § 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen. Am 12.12.2013 stellten die Erst- und Zweitbeschwerdeführer für sich und für die minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer erneut Anträge auf internationalen Schutz, welche mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.06.2014, Zlen. 1.) 821301308-1767270, 2.) 831831901-2391345, 3.) 821301406-1767261 und 4.) 1047054503-140242433 gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen wurden. Zudem wurden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist; unter einem wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise auf 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt III.).
Am 19.10.2014 wurde die Fünftbeschwerdeführerin im Bundesgebiet geboren und wurde für diese durch ihre gesetzliche Vertreterin am 25.11.2014 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt, wobei die Zweitbeschwerdeführerin erklärte, dass für die Fünftbeschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe vorlägen. Zum Nachweis ihrer Identität wurde die österreichische Geburtsurkunde vorgelegt.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.12.2014 wurde der Antrag der Fünftbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf die Russische Föderation nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Zudem wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen die Fünftbeschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist; unter einem wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise auf 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt III.). Diese Entscheidung wurde damit begründet, dass für die Fünftbeschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht worden seien. Darüber hinaus seien die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin nicht glaubhaft.
Die gegen diese Bescheide eingebrachten Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes jeweils vom 12.08.2016, Zlen. 1.) W112 1435310-2, 2.) W112 1435309-2, 3.) W112 1435312-2,
4.) W112 1435311-2 und 5.) W112 2017166-1, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.06.2016, als unbegründet abgewiesen.
Am 03.12.2017 stellte der Erstbeschwerdeführer einen neuerlichen, den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Die Zweitbeschwerdeführerin stellte am 01.12.2016 für sich sowie für die minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005. Am 23.01.2017 stellte die Zweitbeschwerdeführerin auch für sich und am 01.02.2017 auch für die minderjährigen Drittbis Fünftbeschwerdeführer Anträge auf internationalen Schutz. Die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz wurden mit den bekämpften Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.02.2017 wegen dem Prozesshindernis der entschiedenen Sache zurückgewiesen. Wiederholt wurden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 zulässig sei. Auch wurde keine Frist für die freiwillige Rückkehr gewährt.
Die Beschwerdeführer kamen ihrer Ausreiseverpflichtung niemals nach.
Die Beschwerdeführer stützten ihre neuerlichen Anträge auf internationalen Schutz auf dieselben Fluchtgründe, die sie auch bereits in den vorhergehenden Verfahren über ihre Anträge auf internationalen Schutz geltend gemacht hatten. Sie haben keine neuen Gründe vorgebracht, sondern Ereignisse geschildert, die untrennbar mit jenem Vorbringen verknüpft sind, das bereits als unglaubwürdig erachtet wurde.
In Bezug auf die individuelle Lage der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat kann keine, sich in Bezug auf jenen Zeitpunkt, in dem letztmalig über die Anträge auf internationalen Schutz inhaltlich entschieden wurde, maßgeblich andere Situation festgestellt werden.
Nicht festgestellt werden kann, dass eine ausgeprägte und verfestigte Integration der Beschwerdeführer in Österreich vorliegt. Ein nicht auf das Asylgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht ist nicht ersichtlich. Die Beschwerdeführer sind in Österreich nicht selbsterhaltungsfähig erwerbstätig, sondern leben seit ihrer erstmaligen Antragstellung im September 2012 von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Der Erstbeschwerdeführer hat Kenntnisse der deutschen Sprache des Niveaus A2, jedoch liegen darüber hinaus keine sonstigen Hinweise auf eine besonders ausgeprägte und verfestigte Integration des Erstbeschwerdeführers in Österreich vor. Er ist weder Mitglied in einem Verein, noch in einer sonstigen Organisation tätig. Der Erstbeschwerdeführer verfügt über eine befristete Beschäftigungsbewilligung des AMS vom 14.11.2017 für die berufliche Tätigkeit als Küchengehilfe/Hausmeister für den Zeitraum von 15.12.2017 bis 04.04.2018. Die Zweitbeschwerdeführerin spricht gut Deutsch und engagierte sich ehrenamtlich. Jedoch liegen auch in ihrem Fall keine weiteren, überdurchschnittlichen und besonderen Integrationsmerkmale in Österreich vor. Sie ist nicht erwerbstätig und auch nicht Mitglied in Vereinen oder sonstigen Organisationen. Die Zweitbeschwerdeführerin leidet an posttraumatischen Depressionen und ist in therapeutischer Behandlung. Die Dritt- und Viertbeschwerdeführer besuchen die Schule und sprechen Deutsch, sowie auch ihre Muttersprache Tschetschenisch. Der Drittbeschwerdeführer spielt Fußball in einem Verein. Die Fünftbeschwerdeführerin wird von der Zweitbeschwerdeführerin betreut.
Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation in eine existenzgefährdende Notlage geraten würden und ihnen die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre, zumal die erwachsenen Beschwerdeführer dort ausgebildet wurden und auch einer Beschäftigung nachgingen. Im Herkunftsstaat halten sich außerdem noch Angehörige des Erst- sowie der Zweitbeschwerdeführerin auf und handelt es sich dabei um die Eltern des Erstbeschwerdeführers, sowie die Geschwister und der Vater der Zweitbeschwerdeführerin. Nicht festgestellt werden kann darüber hinaus, dass die Beschwerdeführer an einer physischen oder psychischen, akut lebensbedrohlichen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankungen leiden, welche eine Rückkehr in die Russische Föderation iSd. Art. 3 EMRK unzulässig machen würde.
Hinweise auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen für einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen kamen nicht hervor. Es konnten keine Umstände festgestellt werden, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG unzulässig wäre.
Mit Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 24.11.2017, Zl. U 277/2017g wurde der Erstbeschwerdeführer wegen §§ 88 Abs. 1 und Abs. 4 1. Fall StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je EUR 4,00 (EUR 240,00) mit einer Ersatzfreiheitsstrafe von 30 Tagen verurteilt.
Zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführer wird Folgendes festgehalten:
Im entscheidungsrelevanten Zeitraum sind keine wesentlichen Änderungen in der Lage in Ihrem Heimatland eingetreten. Ihnen wurden im Rahmen der Einvernahme am 26.01.2017 aktuelle landeskundliche Feststellungen zur Russischen Föderation, respektive Tschetschenien, ausgehändigt und liegen im Akt vollständig ein.
Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen
Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit 11.1.2017 in das LIB Russische Föderation übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 14).
Russland erweitert zum Jahreswechsel seinen Strafenkatalog: Künftig können Richter bei einigen Vergehen statt einer Haftstrafe Zwangsarbeit anordnen. Die russische Gefängnisbehörde FSIN eröffnet im Januar vier "Besserungszentren" – in Sibirien, Russlands Fernost, im Kaukasus und im Wolgagebiet – und sieben Aufnahmepunkte für Zwangsarbeiter. Insgesamt bieten sie zunächst einmal 900 Verurteilten Platz. Im Gegensatz zur Haftstrafe seien die Täter "nicht von der Gesellschaft isoliert", betonte der Vizedirektor der FSIN Waleri Maximenko. Sie könnten Telefon und Internet benutzen, einen Teil des verdienten Geldes behalten, einen normalen Arzt aufsuchen und nach Verbüßung von einem Drittel der Strafe auch außerhalb der Zentren mit ihren Familien zusammenleben – vorausgesetzt, sie verstoßen weder gegen ihre Arbeitspflicht noch gegen andere Auflagen: Der Konsum von Alkohol und Drogen zieht die Umwandlung der Zwangsarbeit in Haft nach sich (Handelsblatt 2.1.2017; vgl. auch Standard 10.1.2017).
650.000 Menschen sitzen in Russland hinter Gittern, das ist absolut und prozentuell die zweithöchste Zahl an Strafgefangenen in den entwickelten Industrieländern. Übertroffen wird Russland in dieser Statistik nur von den USA. Doch während die Gesamtzahl in Russland immerhin rückläufig ist – in den letzten zehn Jahren ist sie um ein Viertel gesunken – stieg die Zahl der Rezidivisten auf ein Allzeithoch. Fast jeder zweite Strafgefangene in Russland ist Wiederholungstäter. Die Strafe soll vor allem für Ersttäter und bei geringeren Vergehen – maximale Haftstrafe bis zu fünf Jahre – angewendet werden. Die Verurteilten sind weniger isoliert und geraten auch nicht mehr in die Abhängigkeit krimineller Autoritäten, so das Konzept. Daneben gibt es noch andere Beweggründe für die Einführung: So könne der Staat die Straftäter zur Arbeit dort einsetzen, wo sie gebraucht würden und behält parallel auch noch einen Teil des Lohns zur Tilgung des Schadens ein, den der Verurteilte verursacht habe, erklärte Nwer Gasparjan, Berater der Anwaltskammer in Russland. Genaue Angaben dazu, welche Arbeiten die Verurteilten ausführen müssen, gibt es freilich nicht. In der Diskussion steht, dass sie für Begrünungs- oder Reinigungsarbeiten in den Städten eingesetzt werden. Das Gulag-System zur Ausbeutung von Gefangenen zur schweren körperlichen Arbeit soll jedenfalls nicht wiederbelebt werden (Handelsblatt 2.1.2017; vgl. auch Standard 10.1.2017).
Quellen:
- Handelsblatt (2.1.2017): Zwangsarbeit statt Knast, http://www.handelsblatt.com/politik/international/russlands-neuer-strafenkatalog-zwangsarbeit-statt-knast/19195230.html , Zugriff 11.1.2017
- Standard (10.1.2017): Zwangsarbeit statt Haft in Russland, http://derstandard.at/2000050437057/Zwangsarbeit-statt-Knast-in-Russland , Zugriff 11.1.2017
Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit 17.11.2016 in das LIB RUSS übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 4. Rechtsschutz/Justizwesen und Abschnitt 7. Korruption).
Russlands Oberster Gerichtshof hat das Urteil aus dem "Kirowles-Prozess" gegen den Oppositionellen Alexej Nawalny aufgehoben. Nawalny war 2013 wegen angeblicher Veruntreuung zum Schaden des Holzbetriebs Kirowles zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Ein Mitangeklagter, der Unternehmer Pjotr Ofizerow, erhielt vier Jahre. Beide Urteile wurden kurz darauf in eine Bewährungsstrafe umgewandelt. Nawalny, der den Prozess stets als politisch motiviert bezeichnete, hatte im Februar vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit seiner Klage Erfolg. Der EGMR rügte das Urteil als "willkürlich" und "von politischer Natur" und verurteilte Russland zu Kompensationszahlungen. Auf der Grundlage dieses Richterspruchs hat nun das Oberste Gericht in Russland reagiert und "im Zusammenhang mit den neuen Erkenntnissen" eine Neuverhandlung angeordnet. Nawalny selbst hatte eine Aufhebung des Urteils und die Einstellung des Verfahrens gefordert. Ein Teilziel hat der Oppositionspolitiker trotzdem erreicht. Theoretisch kann er nun wieder bei der Präsidentschaftswahl 2018 antreten. Die zwei anderen Vorstrafen, die er hat – eine in einem ähnlich gelagerten Fall um den Kosmetikkonzern Yves Rocher und eine wegen Verleumdung – gelten als geringfügig und behindern seine Kandidatur nicht. Nawalnys Chancen bei einem Antritt wären jedoch gering. Jüngsten Umfragen zufolge wünschen sich 63 Prozent der Russen, dass Wladimir Putin bis (mindestens) 2024 weitermacht. Der russische Präsident hat zugleich mit seinem neuen Ukas [Präsidentenerlass] Russland weiter von der internationalen Rechtsprechung abgekoppelt. Hat die Duma erst jüngst wieder – auch aufgrund der vielen für Moskau ärgerlichen Vorschriften des EGMR – den Vorrang nationalen Rechts vor internationalem eingeführt, so verabschiedet sich Russland nun auch endgültig vom Projekt des Internationalen Strafgerichtshofs. Moskau lehnt Den Haag ab. Der Kreml übt seit Längerem scharfe Kritik am Gericht in Den Haag. Moskau hatte kurz nach Amtsantritt Putins anno 2000 zwar die Vereinbarung über die Beteiligung am Internationalen Gerichtshof unterzeichnet, das Papier aber nie ratifiziert. Putin hat nun endgültig das Statut des Haager Strafgerichts gekündigt. Moskau erkennt damit dessen Urteile nicht mehr an. Auslöser der Entscheidung dürfte ein gerade erschienener Bericht des Gerichtshofs über die Ereignisse auf der Krim und im Donbass-Gebiet gewesen sein. Die Chefanklägerin Fatou Bensouda qualifizierte dort den russischen Anschluss der Krim als bewaffneten Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Auch die Krise im Donbass weise Anzeichen eines internationalen bewaffneten Konflikts auf, so Bensouda. (Standard 16.11.2016, vgl. FAZ 16.11.2016).
Quellen:
- FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (16.11.2016): Russland kehrt internationalem Strafgericht den Rücken, http://www.faz.net/aktuell/politik/russland-kehrt-istgh-wegen-ukraine-krise-den-ruecken-14530535.html , Zugriff 17.11.2016
- Der Standard (16.11.2016): Russland: Oberstes Gericht erleichtert Nawalny um Vorstrafe,
http://derstandard.at/2000047679523/Oberstes-Gericht-erleichtert-Nawalny-um-eine-Vorstrafe , Zugriff 17.11.2016
Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit 17.11.2016 in das LIB RUSS übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 7. Korruption).
Seltener Vorgang in Russland: Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew ist wegen mutmaßlicher Korruption von Präsident Putin entlassen worden. Zuvor war er festgenommen worden. Der 60-Jährige soll im Zusammenhang mit einem großen Übernahmegeschäft zwei Millionen US-Dollar (rund 1,85 Millionen Euro) Schmiergeld angenommen haben. Das teilte die staatliche Untersuchungskommission mit, die direkt Präsident Wladimir Putin unterstellt ist. Der Präsident habe das Vertrauen verloren, teilte Putins Sprecher wenige Stunden nach der Festnahme mit. Die Kommission erklärte weiter, sie werde bald die Anklagepunkte gegen den Minister veröffentlichen. Uljukajew sei direkt nach seiner Vernehmung festgenommen worden. Ein Gericht stellte ihn für zwei Monate unter Hausarrest. Nach Angaben eines Ermittlers hat Uljukajew die Annahme von Bestechungsgeld bestritten. Das Vorgehen gegen einen amtierenden Minister gilt als beispiellos. Uljukajew ist der hochrangigste Politiker, der seit 1991 in Russland verhaftet wurde. Als Gegenleistung für die Schmiergeldzahlung soll Uljukajews Ministerium den Angaben zufolge dem Verkauf von 50 Prozent Staatsanteilen am Ölkonzern Baschneft an den ebenfalls staatlich kontrollierten Ölriesen Rosneft zugestimmt haben. Im Oktober hatte Rosneft für 330 Milliarden Rubel (fünf Milliarden Dollar) die Hälfte der Anteile an Baschneft übernommen. Rosneft wird von Igor Setschin geführt, einem bisherigen Weggefährten Putins. Nach Behördenangaben richten sich die Vorwürfe nicht gegen Rosneft. Der frühere stellvertretende Nationalbankchef Uljukajew ist seit 2013 Minister für wirtschaftliche Entwicklung. Er gilt als einer der liberalen Spezialisten, die Russlands Wirtschaft trotz Krise am Laufen halten und keinem der beiden Lager zuzurechnen sind. Ihm werden vielmehr enge Kontakte zu Andrej Kostin nachgesagt, dem einflussreichen Chef von Russlands zweitgrößter Bank VTB. Uljukajew war zunächst dagegen, dass Baschneft an Rosneft geht. Schließlich gab er grünes Licht (Zeit 15.11.2016, vgl. ORF.at 15.11.2016). Der Minister sei bei einem Einsatz des russischen Geheimdienstes FSB festgenommen worden, teilte die Ermittlungsbehörde mit. Er habe das Schmiergeld gestern [14.11.2016] entgegengenommen. Es werde nun bald Anklage erhoben; dem Minister drohten zwischen acht und 15 Jahren Gefängnis (ORF.at 15.11.2016).
Quellen:
- Zeit Online (15.11.2016): Wirtschaftsminister wegen Korruptionsverdacht festgenommen, http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-11/russland-wirtschaftsminister-alexei-uljukajew-korruption-festgenommen , Zugriff 17.11.2016
- ORF.at (15.11.2016): Russlands Wirtschaftsminister verhaftet, http://orf.at/stories/2366725/ , Zugriff 17.11.2016
Der Inhalt dieser Kurzinformation wird mit 17.11.2016 in das LIB RUSS übernommen (Abschnitt 1/Relevant für Abschnitt 10. Wehrdienst).
Das Verteidigungskomitee der Staatsduma hat Abänderungen des Gesetzes über den Militärdienst zugestimmt. Die vom Verteidigungsministerium vorgeschlagenen Änderungen werden es dem Militärpersonal ermöglichen, Dienstverträge mit der russischen Armee für eine Zeitspanne von sechs Monaten bis zu einem Jahr einzugehen. Bis jetzt war die kürzeste Zeitspanne eines Vertrages drei Jahre. Diese Verträge sollen nicht nur mit Reservisten eingegangen werden können, sondern auch mit Wehrpflichtigen, die einen Monat vor Beendigung ihres Dienstes stehen. Laut Gesetzesentwurf gelten diese Kurzzeitverträge nur bei außergewöhnlichen Umständen wie Naturkatastrophen oder Notfällen, wenn zusätzliche Kräfte notwendig sind, um die konstitutionelle Ordnung wieder herzustellen oder den Frieden im Ausland zu erhalten oder wieder herzustellen. In der Erklärung zum Gesetz steht ausdrücklich, dass diese Kurzzeitverträge das durch die veränderte militärisch-politische Situation und durch die verstärkten Aktivitäten von internationalen Terroristen und extremistischen Organisationen entstandene Problem zu lösen. Es geht darum, Einheiten abseits des Standards zu schaffen, die schnell bewaffnet werden können. Die Einführung solcher Einheiten durch das Verteidigungsministerium scheint ein Versuch zu sein, jenen russischen Staatsbürgern, die schon in Syrien und vorher in der Ukraine kämpften einen legalen Status zu verleihen. Diese Personen werden durch Mittelsmänner angeheuert, um Kampffunktionen auszuüben, jedoch sind ihre Kampfaktivitäten nicht durch momentanes russisches Recht abgedeckt. Es wird auch davon ausgegangen, dass durch diese Kurzzeitverträge, der Mangel an Personal im russischen Militär ausgeglichen werden soll. Ebenso wird im Artikel darauf hingewiesen, dass die Initiative der 6-Monats-Verträge darauf hinweisen könnte, dass der Kreml eine große Bodenoffensive in Syrien in nächster Zukunft starten könnte, da die Luftschläge auf Aleppo nicht den erhofften militärischen Effekt brachten. Jedoch ist es nicht einfach, solch eine Offensive auf die Beine zu stellen. Die russischen Behörden haben wiederholt versprochen, keine Wehrpflichtigen zu Kampfeinsätzen ins Ausland zu schicken. Wohingegen sich die Regierung scheinbar weniger verantwortlich für die Leben seiner Vertragssoldaten fühlt, die ja freiwillig das Leben eines Soldaten gewählt haben. Es scheint also, dass Russland nicht mehr die Verbesserung der Qualität ihres militärischen Personals den Vorrang einräumt, sondern dass einfach die Anzahl an Männern-unter-Waffen, die in den Kampf geschickt werden können, wichtig ist (Jamestown Foundation 9.11.2016).
Quellen:
- Jamestown Foundation (9.11.2016): Short-Term Personnel Contracts Negate Goals of Russia’s Military Reforms, Eurasia Daily Monitor -- Volume 13, Issue 180,
https://jamestown.org/program/short-term-personnel-contracts-negate-goals-russias-military-reforms/#sthash.E5rMJfVW.dpuf , Zugriff 17.11.2016
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Bei der Parlamentswahl (Duma) am 18.9.2016 konnte die Regierungspartei Einiges Russland eine Dreiviertelmehrheit auf sich vereinen. Knapp über 54 Prozent der Wählerstimmen konnte die Partei Einiges Russland auf sich vereinigen, die absolute Mehrheit schlägt sich jedoch noch stärker bei der Sitzverteilung im Unterhaus der Föderalen Versammlung nieder. Durch ein Mischsystem aus Mehrheits- und Verhältniswahlrecht ziehen insgesamt 343 Abgeordnete – mehr als je zuvor – für Einiges Russland in die Staatsduma ein: 140 Abgeordnete über die Parteiliste und zusätzliche 203 über Direktmandate. Von den verbleibenden 107 Sitzen gingen 42 Mandate an die Kommunistische Partei (KPRF), 39 Mandate an die nationalistische Liberal-Demokratische Partei (LDPR) und 23 Mandate an die Partei Gerechtes Russland. Keine andere Partei schaffte es, über die Fünf-Prozent-Einzugshürde zu kommen. Durch Direktmandate ziehen außerdem ein Kandidat der rechtspopulistischen Partei "Rodina" (Heimat), ein Kandidat der Partei "Graschdanskaja Platforma" (Bürgerplattform) und der einzige unabhängige Kandidat, Waldislaw Resnik, in die Staatsduma ein. Letzterer wird aufgrund seiner Mitgliedschaft bei der Regierungspartei Einiges Russland von zahlreichen kritischen Medien de facto zu den Mandaten von Einiges Russland hinzugerechnet (Standard 20.9.2016).
In der neuen Duma werden somit vier Parteien vertreten sein: Einiges Russland mit der Mehrheit der Sitze sowie die systemische Opposition bestehend aus der Kommunistischen Partei, der LDPR und Gerechtes Russland. Unter systemischer Opposition sind die Parteien gemeint, die in der Duma vertreten sind, mehrheitlich mit der Regierungspartei stimmen, ihre Politik eng mit dem Kreml abstimmen und damit keine reale Opposition darstellen. Damit hat Einiges Russland gegenüber 2011 sogar noch einmal zugelegt. Die echte
Opposition ist dagegen chancenlos geblieben: Einerseits wurde ihre Führung und insbesondere der ursprünglich gemeinsame Kandidat Michail Kasjanow im Vorfeld diskreditiert. Anderseits sind die Führer der Opposition so stark zerstritten, dass mehrere Parteien angetreten sind und sich gegenseitig die wenigen Stimmen abgenommen haben. Die liberalen Parteien Jabloko und Parnas sind nicht annähernd an die Fünf-Prozent-Hürde gekommen. Neben der Diskreditierung von Kandidaten dieser Parteien fehlte ihnen auch der Kontakt zur Bevölkerung. Die Kompromisslosigkeit ihres Führungspersonals sowie das Fehlen neuer, unverbrauchter Persönlichkeiten bestätigen nur die tiefe Krise und Irrelevanz der nicht-systemischen Opposition. Die niedrige Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent im Landesdurchschnitt und unter 30 Prozent in Moskau und Sankt Petersburg zeigt, wie wenig die Parteien Wähler motivieren konnten, und schwächt die Legitimität der zukünftigen Duma. Das war letztlich von der politischen Führung in Kauf genommen worden, um die Wahl unter Kontrolle zu haben. Eine Mehrheit für Einiges Russland in der Duma ist letztlich zweitrangig, da mit der systemischen Opposition ausschließlich Parteien im Parlament vertreten sind, die alle vom Kreml initiierten Gesetzesprojekte durchbringen können (Zeitonline 19.9.2016).
Quellen:
- Der Standard (20.9.2016): Russland: Was die Dreiviertelmehrheit der Kremlpartei bedeutet,
http://derstandard.at/2000044645415/Was-die-Dreiviertelmehrheit-der-Kremlpartei-fuer-Russland-bedeutet , Zugriff 21.9.2016
- Zeitonline (19.9.2016): Duma-Wahl in Russland. Putins Test, http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-09/duma-wahl-russland-parlament-wladimir-putin-praesident/komplettansicht , Zugriff 21.9.2016
Politische Lage
Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 22.3.2016, vgl. GIZ 3.2016c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12.6.1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12.12.1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Russischer Präsident ist seit dem 7.5.2012 Wladimir Wladimirowitsch Putin. Er wurde am 4.3.2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Mit 238 von 450 Sitzen verfügt die Partei 'Einiges Russland' über eine absolute Mehrheit in der Staatsduma. Bei der Wahl am 4. Dezember 2011 wurde die Staatsduma erstmals für eine verlängerte Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Alle Abgeordneten wurden ausnahmslos über Parteilisten nach dem Verhältniswahlrecht mit einer Sieben-Prozent-Hürde gewählt. Neben 'Einiges Russland' sind aktuell die Kommunisten mit 92 Sitzen, die formal linksorientierte Partei 'Gerechtes Russland' mit 64 Sitzen und die 'Liberaldemokraten' des Rechtspopulisten Schirinowski mit 56 Sitzen in der Staatsduma vertreten. Wahlfälschungsvorwürfe bei diesen Duma-Wahlen waren ein wesentlicher Auslöser für Massenproteste im Dezember 2011 und Anfang 2012. Ab der nächsten Wahl soll die Hälfte der Abgeordneten mittels relativer Mehrheitswahl in Einpersonen-Wahlkreisen (also in Wahlkreisen, in denen jeweils ein Kandidat/eine Kandidatin gewählt wird) bestimmt werden. Es soll wieder die Fünf-Prozent-Hürde gelten. Die nächste Duma-Wahl soll am 18. September 2016 stattfinden (AA 3 .2016a, vgl. GIZ 4.2016a).
Russland ist eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum. In zahlreichen russischen Regionen fanden am 13. September 2015 Gouverneurs- und Kommunalwahlen statt. In der Praxis kam es dabei wie schon im Vorjahr zur Bevorzugung regierungsnaher und Behinderung oppositioneller Kandidaten (AA 3 .2016a).
Angesichts einer zunehmenden internationalen Isolierung des Landes und wachsender wirtschaftlicher Probleme war die russische Regierung 2015 bemüht, die Bevölkerung auf Begriffe wie Einheit und Patriotismus einzuschwören, "traditionelle Werte" zu betonen und Angst vor angeblichen inneren und äußeren Feinden des Landes zu schüren. Meinungsumfragen zufolge traf Präsident Wladimir Putin mit seiner Art, das Land zu führen, unverändert auf breite Zustimmung. Regierungskritiker wurden in den Massenmedien als "unpatriotisch" und "anti-russisch" verunglimpft und gelegentlich auch tätlich angegriffen. Am 27.2.2015 wurde Boris Nemzow, einer der bekanntesten Oppositionspolitiker des Landes, in Sichtweite des Kremls erschossen. Trauernde Menschen, die am Tatort an ihn erinnern wollten, wurden von den Moskauer Behörden und Regierungsanhängern schikaniert. Die Regierung stritt die immer zahlreicheren Beweise für eine militärische Beteiligung Russlands in der Ukraine weiterhin ab. Im Mai 2015 erklärte Präsident Putin per Erlass alle Verluste der russischen Armee bei "Spezialeinsätzen" in Friedenszeiten zum Staatsgeheimnis. Bis November 2015 hatten sich amtlichen Schätzungen zufolge 2700 russische Staatsbürger, die zum Großteil aus dem Nordkaukasus stammten, in Syrien und im Irak der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat (IS) angeschlossen. Unabhängige Experten nannten höhere Zahlen. Am 30.9.2015 begann Russland mit Luftangriffen in Syrien, die nach offiziellen Angaben den IS treffen sollten, sich häufig aber auch gegen andere Gruppen richteten, die den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad ablehnten. Meldungen über zahlreiche zivile Opfer der Luftangriffe wurden von der russischen Regierung bestritten. Am 24.11.2015 schoss die Türkei ein russisches Kampfflugzeug ab, das in den türkischen Luftraum eingedrungen sein soll. Der Vorfall löste gegenseitige Schuldzuweisungen aus und führte zu einer diplomatischen Eiszeit zwischen den beiden Ländern (AI 24.2.2016).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (3.2016a): Russische Föderation – Innenpolitik,
http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html , Zugriff 7.4.2016
- AI – Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, http://www.ecoi.net/local_link/319681/458907_de.html , Zugriff 7.4.2016
- CIA – Central Intelligence Agency (22.3.2016): The World Factbook, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html , Zugriff 7.4.2016
- GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2016a): Russland, Geschichte, Staat und Politik, http://liportal.giz.de/russland/geschichte-staat/#c17900 , Zugriff 7.4.2016
- GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2015c): Russland, Gesellschaft, http://liportal.giz.de/russland/gesellschaft/ , Zugriff 7.4.2016
Tschetschenien
Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl – 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) – ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russ/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).
Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015).
In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrov als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres System geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und größtenteils außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert. Insbesondere die tschetschenischen Sicherheitskräfte, die offiziell zwar dem russischen Innenministerium unterstellt sind, de facto jedoch von Kadyrov kontrolliert werden, agieren ohne föderale Aufsicht. So blockieren tschetschenische Sicherheitskräfte seit Monaten die Untersuchungen der föderalen Behörden im Fall des im Februar 2015 ermordeten Oppositionspolitikers Boris Nemzov, dessen Drahtzieher in Tschetschenien vermutet werden. Im April 2015 – nachdem Polizisten aus der benachbarten Region Stawropol eine Operation in Grozny durchgeführt hatten – forderte Kadyrov seine Sicherheitsorgane auf, auf Polizisten anderer Regionen zu schießen, sollten diese ohne Genehmigung in Tschetschenien operieren. Gegen Extremisten, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen. Auch die Familien von Terrorverdächtigen werden häufig Repressionen ausgesetzt. Im Gegensatz zu Dagestan und Inguschetien wurden keine "soft power"-Ansätze wie die Gründung von Kommissionen zur Rehabilitierung ehemaliger Extremisten verfolgt. Das tschetschenische Parlament hat Anfang 2015 der Staatsduma vorgeschlagen, ein föderales Gesetz anzunehmen, das eine strafrechtliche Verantwortung für Angehörige von Terroristen vorsieht, wenn sie diese in ihren Aktivitäten unterstützten. Dass die von Kadyrov herbeigeführte Stabilität trügerisch ist, belegte der Terrorangriff auf Grosny im Dezember 2014, bei dem fast ein Dutzend Personen ums Leben kam (ÖB Moskau 10.2015). In Tschetschenien hat das Republikoberhaupt Ramsan Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Vertreter russischer und internationaler NGOs zeichnen ein insgesamt düsteres Lagebild. Gewalt und Menschenrechtsverletzungen bleiben dort an der Tagesordnung, es herrscht ein Klima der Angst und Einschüchterung (AA 5.1.2016).
Sowohl bei den gesamtrussischen Duma-Wahlen im Dezember 2011, als auch bei den Wahlen zur russischen Präsidentschaft im März 2012 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien bei über 99%. Die Zustimmung für die Regierungspartei "Einiges Russland" und für Präsidentschaftskandidat Wladimir Putin lag in der Republik ebenfalls bei jeweils über 99%. Bei beiden Wahlen war es zu Wahlfälschungsvorwürfen gekommen (Welt 5.3.2012, vgl. Ria Novosti 5.12.2012, ICG 6.9.2013).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
- BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013):
Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg
- ICG – International Crisis Group (6.9.2013): The North Caucasus:
The Challenges of Integration (III), Governance, Elections, Rule of Law,
- ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation
- RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (19.1.2015): The Unstoppable Rise Of Ramzan Kadyrov, http://www.rferl.org/content/profile-ramzan-kadyrov-chechnya-russia-putin/26802368.html , Zugriff 7.4.2016
- Ria Novosti (5.12.2012): United Russia gets over 99 percent of votes in Chechnya,
http://en.rian.ru/society/20111205/169358392.html , Zugriff 7.4.2016
- Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,
http://www.integrationsfonds.at/laenderinformation/laenderinformation_russiche_foederationtschetschenische_republik/ , Zugriff 7.4.2016
- Die Welt (5.3.2012): In Tschetschenien stimmen 99,76 Prozent für Putin,
http://www.welt.de/politik/ausland/article13903750/In-Tschetschenien-stimmen-99-76-Prozent-fuer-Putin.html , Zugriff 7.4.2016
Sicherheitslage
Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 1.6.2016b).
Russland hat den IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind – wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).
Das »Kaukasus-Emirat«, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz‘, eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen‘ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat – also Teufelsstaat – übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen. Aus dem Pankisi-Tal in Georgien, das mehrheitlich von einer tschetschenischen Volksgruppe bewohnt wird, stammen einige Teilnehmer an den Kämpfen in Syrien – so Umar al-Shishani (eigentl. Tarkhan Batiraschwili), der dort prominenteste Milizen-Führer aus dem Kaukasus (SWP 10.2015).
Seit Ende 2014 mehren sich Meldungen über Risse im bewaffneten Untergrund und Streitigkeiten in der damaligen Führung des Emirats, die vor allem mit der Beteiligung nordkaukasischer Kämpfer am Jihad des IS in Syrien zu tun haben. Eine wachsende Zahl von Feldkommandeuren (Emiren) aus Dagestan, Tschetschenien und anderen Teilen des Nordkaukasus haben IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi den Treueid geschworen (SWP 4.2015). Nach Dokku Umarows Tod 2013 wurde Aliaschab Kebekow [aka Ali Abu Muhammad] zum Anführer des Kaukasus Emirates. Dieser ist im Nordkaukasus bei einem Einsatz russischer Spezialkräfte im Frühling 2015 getötet worden (Zeit Online 20.4.2015). Abu Usman Gimrinsky (Magomed Suleimanov) wurde zum Nachfolger (Open Democracy 29.6.2015). Im August 2015 erlitt der Rest des noch bestehenden Kaukasus Emirat einen erneuten harten Rückschlag. Drei der Top-Kommandanten wurden im Untsukul Distrikt in Dagestan von Regierungskräften getötet, darunter der neue Anführer des Emirates Abu Usman Gimrinsky (Magomed Suleimanov) (Jamestown 14.8.2015).
Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens‘, bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).
Der russische Generalstaatsanwalt erklärte im November 2015, dass 650 Strafverfahren aufgrund der Beteiligung in einer illegalen bewaffneten Gruppierung im Ausland eröffnet wurden. Laut Chef des FSB (Inlandsgeheimdienst) sind davon 1.000 Personen betroffen. Zusätzlich wurden 770 Aufständische und ihre Komplizen inhaftiert und 156 Kämpfer wurden im Nordkaukasus 2015 getötet, einschließlich 20 von 26 Anführern, die dem IS die Treue geschworen hatten. Mehr als 150 Rückkehrer aus Syrien und dem Irak wurden zu Haftstrafen verurteilt. 270 Fälle wurden eröffnet, um vermeintliche Terrorfinanzierung zu untersuchen; 40 Rekrutierer sollen allein in Dagestan verhaftet und verurteilt worden sein. Vermeintliche Rekrutierer wurden verhaftet, da sie Berichten zufolge junge Personen aus angesehenen Familien in Tschetschenien, aber auch aus Moskau, St. Petersburg, Jekaterinburg, der Stavropol Region und der Krasnodar Region für den IS gewinnen wollten (ICG 14.3.2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.6.2016b): Reise- und Sicherheitshinweise, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_93DF338D07240C852A755BB27CDFE343/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html , Zugriff 1.6.2016
- ICG - International Crisis Group (14.3.2016): The North Caucasus Insurgency and Syria: An Exported Jihad?
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1458642687_238-the-north-caucasus-insurgency-and-syria-an-exported-jihad.pdf , S. 16-18, Zugriff 1.6.2016
- Jamestown Foundation (14.8.2015): After Loss of Three Senior Commanders, Is the Caucasus Emirate on the Ropes? Eurasia Daily Monitor Volume 12, Issue 154,
http://www.jamestown.org/programs/edm/single/?tx_ttnews [tt_news]=44288&tx_ttnews[backPid]=27&cHash=e1581c2f53e999f26a5cc0261f489d38, Zugriff 1.6.2016
- Open Democracy (29.6.2015): Is this the end of the Caucasus Emirate?,
https://www.opendemocracy.net/regis-gente/is-this-end-of-caucasus-emirate , Zugriff 1.6.2016
- SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:
Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff 1.6.2016
- SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den »Islamischen Staat« (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf , Zugriff 1.6.2016
- Zeit Online (20.4.2015): Islamistischer Rebellenführer Kebekow im Nordkaukasus getötet,
http://www.zeit.de/news/2015-04/20/russland-islamistischer-rebellenfuehrer-kebekow-im-nordkaukasus-getoetet-20222007 , Zugriff 1.6.2016
Nordkaukasus allgemein
Die patriotische Begeisterung, mit der in Russland die Annexion der Krim einherging, rückte die Sicherheitslage im Nordkaukasus in ein trügerisch positives Licht. Dieser Landesteil ragt in der nachsowjetischen Periode aus dem regionalen Gefüge der Russischen Föderation wie kein anderer hervor, bedingt durch die zwei Kriege in Tschetschenien, anhaltende Kämpfe zwischen Sicherheitskräften und einem bewaffneten islamistischen Untergrund in weiteren Teilen der Region sowie mannigfache sozial-ökonomische Probleme. Bis vor kurzem rangierte der Nordkaukasus in der Gewaltbilanz des gesamten post-sowjetischen Raumes an oberster Stelle, fielen den bewaffneten Auseinandersetzungen doch jährlich mehrere Hundert Menschen zum Opfer – Zivilisten, Sicherheitskräfte und Untergrundkämpfer. 2014 wurde der Nordkaukasus in dieser Hinsicht von der Ostukraine überholt. Zugleich stufen auswärtige Analysen die Sicherheitslage im Nordkaukasus aber weiterhin mit ‚permanent low level insurgency‘ ein. Im Unterschied zum Südkaukasus mit seinen drei unabhängigen Staaten (Armenien, Aserbaidschan, Georgien) haben externe Akteure und internationale Organisationen kaum Zugang zum Nordkaukasus, dessen Entwicklung als innere Angelegenheit Russlands gilt (SWP 4.2015).
2015 wurden aus dem Nordkaukasus weniger Angriffe bewaffneter Gruppen gemeldet als in den Vorjahren. Die Strafverfolgungsbehörden setzten bei der Bekämpfung bewaffneter Gruppen weiterhin vor allem auf Operationen der Sicherheitskräfte. Es bestand nach wie vor der Verdacht, dass diese mit rechtswidrigen Inhaftierungen, Folter und anderen Misshandlungen von Häftlingen sowie Verschwindenlassen einhergingen (AI 24.2.2016).
Während sich die Situation im westlichen Nordkaukasus in den letzten Jahren stabilisiert hat, gibt es immer wieder Meldungen über gewaltsame Vorfälle mit Toten und Verletzten in der Region. Besonders betroffen ist weiterhin die Republik Dagestan. Aber auch in Tschetschenien, Kabardino-Balkarien und Inguschetien kommt es regelmäßig zu gewaltsamen Zwischenfällen, so dass von einer Normalisierung nicht gesprochen werden kann. Anschlagsziele der Aufständischen sind vor allem Vertreter der Sicherheitskräfte und anderer staatlicher Einrichtungen sowie den Extremisten nicht genehme muslimische Geistliche. Auf Gewalt durch islamistische Aufständische oder im Zuge von Auseinandersetzungen zwischen Ethnien und Clans reagieren die regionalen und föderalen Behörden weiterhin mit Repression. Die Spirale von Gewalt und Gegengewalt dreht sich dadurch weiter, wobei manche Repressalien - etwa gegen Angehörige angeblicher Islamisten, wie z.B. die Zerstörung ihrer Wohnhäuser - zu einer Radikalisierung der Bevölkerung beitragen und damit die Sicherheitslage weiter eskalieren lassen könnten.
Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass im Nordkaukasus Recht und Gesetz auf beiden Seiten missachtet werden und für Täter aus den Reihen der Sicherheitskräfte ein Klima der Straflosigkeit herrsche (AA 5.1.2016).
Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Im Mai 2014 wurde ein neues Ministerium für die Angelegenheiten des Nordkaukasus geschaffen und der bevollmächtigte Vertreter des Präsidenten im Nordkaukasischen Föderalbezirk Alexander Chloponin, durch den früheren Oberbefehlshaber der Vereinigten Truppen des Innenministeriums im Nordkaukasus, Generalleutnant Sergej Melikov, ersetzt. Insbesondere in Dagestan, wo es immer wieder zu blutigen Zusammenstößen zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften kommt, ist die Lage weiterhin kritisch. In Tschetschenien hat Ramzan Kadyrov die Rebellen mit Gewalt und Amnestieangeboten dezimiert bzw. zum Ausweichen auf die Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan gezwungen. Anschläge auf den Expresszug nach St. Petersburg im November 2009, die Moskauer Metro im April 2010, den Moskauer Flughafen Domodedovo im Jänner 2011 (mit zwei österr. Staatsbürgern unter den Opfern) sowie im Oktober und Dezember 2013 in Wolgograd zeigten, dass die Gefahr des Terrorismus auch Zentralrussland betrifft (ÖB Moskau 10.2015).
Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar, sowie die Extremisten im Nordkaukasus, die ihre Loyalität gegenüber dem IS bekundet haben. Der Generalsekretär des russischen Nationalen Sicherheitsrats Nikolai Patrushev sprach von rund 1.000 russischen Staatsangehörigen, die an der Seite des IS kämpfen würden, der Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB Alexander Bortnikov hingegen sprach von mehreren Tausend Kämpfern). Laut einem rezenten Bericht der regierungskritischen Zeitschrift "Novaya Gazeta" nehmen die russischen Sicherheitsdienste diese Abwanderung nicht nur stillschweigend zur Kenntnis, sondern unterstützen sie teilweise auch aktiv, in der Hoffnung, die Chance auf eine Rückkehr der Extremisten aus den Kampfgebieten in Syrien und dem Irak zu reduzieren. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresbeginn 2015 liefen rund 60 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf Art. 58 StGB (Teilnahme an einer terroristischen Handlung), Art. 205.3 StGB (Absolvierung einer Terror-Ausbildung) und Art. 208 StGB (Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme in ihr). Im nordkaukasischen Kreismilitärgericht wurde Ende August 2015 ein 26-jähriger Mann aus Dagestan wegen Absolvierung einer Terror-Ausbildung, Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Gruppierung und illegalen Waffenbesitzes zu 14 Jahren Straflager verurteilt. Der Nordkaukasus ist und bleibt trotz anhaltender politischer wie wirtschaftlicher Stabilisierungsversuche ein potentieller Unruheherd innerhalb der Russischen Föderation. Das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Extremisten, teils ohne Rücksicht auf Verluste innerhalb der Zivilbevölkerung, trägt zur Bildung neuer Konflikte und Radikalisierung der Bevölkerung bei. Das Risiko einer Destabilisierung steigt darüber hinaus aufgrund der allfälligen Rückkehr von Kämpfern aus Syrien und dem Irak bzw. aufgrund des steigenden Einflusses des IS im Nordkaukasus selbst (ÖB Moskau 10.2015).
Im Jahr 2015 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 258 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2014: 525 Opfer). 209 davon wurden getötet (2014: 341), 49 verwundet (2014: 184) (Caucasian Knot 8.2.2016). Im ersten Quartal 2016 gab es im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 48 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 20 davon getötet, 28 davon verwundet (Caucasian Knot 10.5.2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
- AI – Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, http://www.ecoi.net/local_link/319681/458907_de.html , Zugriff 1.6.2016
- Caucasian Knot (8.2.2016): Statistics of victims in Northern Caucasus for 2015, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/34527/ , Zugriff 25.5.2016
- Caucasian Knot (10.5.2016): Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2016,
http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/35530/ , Zugriff 1.6.2016
- ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation
- SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:
Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff 25.5.2016
Tschetschenien
Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten prorussischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, vor allem jedoch an der derzeit prominentesten und brutalsten Jihad-Front in Syrien und im Irak (SWP 4.2015).
2015 gab es in Tschetschenien 30 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2014: 117), davon 14 Tote und 16 Verwundete (Caucasian Knot 8.2.2016).
Im Dezember 2014 ist Tschetschenien von den schwersten Gefechten zwischen islamistischen Kämpfern und Sicherheitskräften seit Jahren erschüttert. Dabei wurden am Donnerstag, den 4.12.2014, in der Hauptstadt Grosny mindestens 10 Angreifer und 10 Beamte getötet sowie 20 weitere Personen verletzt (NZZ 4.12.2014).
Quellen:
- Caucasian Knot (8.2.2016): Statistics of victims in Northern Caucasus for 2015, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/34527/ , Zugriff 1.6.2016
- NZZ – Neue Zürcher Zeitung (4.12.2014): Tote bei Gefechten in Grosny,
http://www.nzz.ch/international/asien-und-pazifik/tote-bei-gefechten-in-grosny-1.18438064 , Zugriff 1.6.2016
- SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:
Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff 1.6.2016
Rechtsschutz/Justizwesen
Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen. In Strafprozessen kommt es nur sehr selten (rund 1 %) zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen. 2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte. Im Juli stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass wenn der EGMR von einer Konventionsauslegung ausgeht, die der Verfassung der Russischen Föderation widerspricht, Russland in dieser Situation aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Seit Ausbruch der Ukraine-Krise und der daraus resultierenden Konfrontation mit dem Westen laufen in Russland mehrere politisch motivierte Prozesse gegen ausländische Staatsangehörige (z.B. die ukrainische Pilotin Nadja Savchenko), die in einigen Fällen (z.B. ukrainischer Regisseur Oleg Sentsov oder estnischer Sicherheitsbeamter Eston Kohver) bereits zu Verurteilungen geführt haben und an der Unabhängigkeit der russischen Justiz von der Politik zweifeln lassen. Gleichzeitig ist ein Anstieg der Anklagen wegen Hochverrats gegen russische Staatsangehörige zu beobachten. Diese Prozesse finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und nur wenige Informationen geraten in die Medien (ÖB Moskau 10.2015, vgl. AA 5.1.2016).
Mehrere aufsehenerregende Prozesse machten 2015 die gravierenden und weit verbreiteten Mängel der russischen Strafjustiz deutlich. Dazu zählten Verstöße gegen den Grundsatz der "Waffengleichheit" und der Einsatz von Folter und anderen Misshandlungen in der Ermittlungsphase. Außerdem wurden unter Folter erpresste "Geständnisse", Aussagen geheimer Zeugen und andere geheime Beweise, die die Verteidigung nicht anfechten konnte, vor Gericht zugelassen und Angeklagten das Recht auf einen Rechtsbeistand ihrer Wahl verweigert. Weniger als 0,5% der Verfahren endeten mit einem Freispruch (AI 24.2.2016).
Im November 2013 ist in Russland ein neues Gesetz verabschiedet worden, mit denen man die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen erreichen wolle und die darauf abzielen würden, die "harte Form" des Kampfes gegen den Aufstand, die bereits in mehreren Republiken im Nordkaukasus praktiziert wird, zu legalisieren. Die neue Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, die Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien dazu zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, die durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Die durch sie erlaubten Kollektivbestrafungen werden von den Behörden im Nordkaukasus bereits angewendet (CACI 11.12.2013, vgl. US DOS 13.4.2016).
Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher als für vergleichbare Delikte in Deutschland, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Im März 2011 wurde aber bei 68 eher geringfügigen Delikten Freiheitsentzug als höchste Strafandrohung durch Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeiten ersetzt. Auch wurde das Strafprozessrecht seit April 2010 dahingehend geändert, dass Angeklagte für Wirtschaftsdelikte bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr in Untersuchungshaft genommen werden sollen. In der Praxis werden die neuen Regeln jedoch bisher nur begrenzt angewendet. Bemerkenswert ist die unverändert extrem hohe Verurteilungsquote im Strafprozess. Für zu lebenslange Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Auch eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Immer wieder legen einzelne Strafprozesse in Russland den Schluss nahe, dass politische Gründe hinter der Verfolgung stehen. Trotz der Entlassung von Michail Chodorkowski und den Mitgliedern der Punk-Aktionsgruppe Pussy Riot aus der Haft – bezeichnenderweise nicht durch die Justiz selbst, sondern durch Amnestie bzw. Begnadigung – bleiben deren Haftstrafen Beispiele für politisch motivierte Urteile. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen". Auffällig bleibt die geringe Zahl aufgeklärter Straftaten gegen Journalisten oder Kritiker bzw. der sehr schleppende Verlauf von Ermittlungen in solchen Fällen. Auch die Morde an Oppositionspolitiker Boris Nemzow (27.02.2015) und Journalistin Politkowskaja können als Beispiel dafür dienen, dass sich Ausführende gegebenenfalls vor Gericht verantworten müssen, die eigentlichen Drahtzieher der Verbrechen häufig jedoch nicht ermittelt werden. Insgesamt sind die Unabhängigkeit von Ermittlungen und Rechtsprechung sowie die Gewaltenteilung in Russland nicht gewährleistet. Weiterhin mangelhaft ist der Vollzug von Gerichtsurteilen. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte werden in Russland in der Sache häufig nicht vollständig umgesetzt, sondern nur in Bezug auf verhängte Entschädigungszahlungen (AA 5.1.2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
- AI – Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, http://www.ecoi.net/local_link/319681/458907_de.html , Zugriff 7.4.2016
- CACI Analyst – Central Asia-Caucasus Institute (11.12.2013): New Anti-Terrorism Law to Target Families of North Caucasus Insurgents, http://www.cacianalyst.org/publications/analytical-articles/item/12876-new-anti-terrorism-law-to-target-families-of-north-caucasus-insurgents.html , Zugriff 7.4.2016
- ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation
- US DOS – U.S. Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices for 2015 – Russia, http://www.ecoi.net/local_link/322455/461932_de.html , Zugriff 31.5.2016
Tschetschenien
Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Präsident Ramsan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islam und der tschetschenischen Tradition. Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Die Religion fasste in Tschetschenien aus den verschiedensten Gründen nicht Fuß. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 9.2014a). Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art ‚alternativer Justiz‘. Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015).
Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen ist weiterhin verbreitet, trotz der rund 200 diesbezüglichen Entscheidungen des EGMR. Diese Verletzungen beziehen sich auf ungerechtfertigte Gewaltanwendung, rechtswidrige Inhaftierungen, Verschwindenlassen, Folter und Misshandlungen, die Unterlassung effektiver Untersuchungen dieser Verbrechen und das Fehlen eines effektiven Rechtmittels, Versagen in der Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof und unrechtmäßige Durchsuchungen, Festnahmen und Zerstörung von Eigentum (CoE 12.11.2013). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist in Tschetschenien völlig unzureichend. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen (AA 5.1.2016).
Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenen, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien (AA 5.1.2016).
Grundsätzlich können Personen, die den Widerstand in Tschetschenien unterstützen – sei es mit Lebensmitteln, Kleidung oder Unterschlupf für Rebellen oder sei es durch Waffen – in der Russischen Föderation strafrechtlich verfolgt werden. Es kommt regelmäßig zu Verhaftungen aufgrund von Hilfeleistung an die Rebellen. Ob Personen, die unter diesem Vorwurf vor Gericht gestellt werden mit einem fairen Verfahren rechnen können, ist aufgrund der im Justizbereich verbreiteten Korruption und der bekannten Einflussnahme der Exekutive auf richterliche Entscheidungen fraglich. Das Strafmaß beträgt 8 bis 20 Jahre Freiheitsentzug (BAA/Staatendokumentation 20.4.2011).
In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige würden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
- BAA/Staatendokumentation (20.4.2011): Analyse der Staatendokumentation - Russische Föderation - Unterstützer und Familienmitglieder (mutmaßlicher) Widerstandskämpfer in Tschetschenien
- CoE-Commissioner for Human Rights (12.11.2013): Report by Nils Muižnieks Commissioner for Human Rights of the Council of Europe Following his visit to the Russian Federation from 3 to 12 April 2013,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1384353253_com-instranetrf.pdf ; Zugriff 31.5.2016
- EASO – European Asylum Support Office (9.2014a): Bericht zu Frauen, Ehe, Scheidung und Sorgerecht in Tschetschenien (Islamisierung; häusliche Gewalt; Vergewaltigung; Brautenführung; Waisenhäuser),
http://www.ecoi.net/file_upload/1830_1421055069_bz0414843den-pdf-web.pdf , S. 9, Zugriff 30.5.2016
- DIS – Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 31.5.2016
- ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam
- SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:
Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff 25.5.2016
Sicherheitsbehörden
Das Innenministerium, der Föderale Sicherheitsdienst FSB und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus. Die Regierung verabsäumte es angemessene Schritte zu setzen, um die meisten Behördenvertreter, welche Missbräuche begingen, zu verfolgen oder zu bestrafen, wodurch ein Klima der Straffreiheit entstand. Die Rechtsstaatlichkeit ist besonders im Nordkaukasus mangelhaft, wo der Konflikt zwischen Regierungstruppen, Aufständischen, islamischen Militanten und Kriminellen zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen führt, einschließlich Morde, Folter, körperliche Misshandlung und politisch motivierte Entführungen. Die Regierung untersucht und verfolgt Missbräuche nicht adäquat, besonders wenn regionale Behörden involviert waren. Tschetschenische Sicherheitsbehörden unter direkter Kontrolle von Ramzan Kadyrow können mit Straffreiheit rechnen, sogar bei Drohungen gegen russische Sicherheitsbehörden, die versuchen in Tschetschenien tätig zu werden (US DOS 13.4.2016).
Russland wird die bisherigen Truppen des Innenministeriums in eine Nationalgarde umwandeln. Neben den 170.000 Soldaten der Innentruppen sollen auch 40.000 Mann der Sonderpolizeitruppe Omon und andere Spezialkräfte in die Nationalgarde eingegliedert werden. Die Garde solle im Kampf gegen Terror, Drogen und organisiertes Verbrechen eingesetzt werden. Putin stärkte das Innenministerium auch, indem er ihm die bisher eigenständigen Behörden für Drogenbekämpfung und Migration wieder unterstellte. Damit sollten doppelte Zuständigkeiten vermieden werden, sagte ein Vertreter des Sicherheitsapparates der Agentur Interfax. Der Föderale Migrationsdienst ist unter anderem für Passangelegenheiten, Flüchtlinge und Arbeitsmigration zuständig (Standard 6.4.2016). Leiter der künftigen Elitetruppe im Kampf gegen Terror und organisierte Kriminalität wird sein Ex-Leibwächter Wiktor Solotow sein – der Mann also, der Putin jahrelang am nächsten stand. Interessant ist, dass Solotow zugleich als das Bindeglied im Kreml zu Tschetschenenoberhaupt Ramsan Kadyrow gilt (Standard 7.4.2016).
Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen "fremdländischen" Aussehens Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt. Die im Februar 2011 in Kraft getretene Polizeireform hat bislang nicht zu spürbaren Verbesserungen in diesem Bereich geführt (AA 5.1.2016).
Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (BAMF 10.2013). Von russischer Seite werden die meisten Operationen im Nordkaukasus gegen Terroristen heute nicht mehr vom Militär, sondern von Einheiten des Innenministeriums und des Geheimdienstes durchgeführt. Diese sind zwar nicht weniger schwer bewaffnet, nur soll so der Eindruck eines Krieges vermieden werden (Zenithonline 10.2.2014). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnender Weise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramsan Kadyrows stehen dürften (Rüdisser 11.2012).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
- BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013):
Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg
- Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,
http://www.integrationsfonds.at/laenderinformation/laenderinformation_russiche_foederationtschetschenische_republik/ , Zugriff 31.5.2016
- Standard (6.4.2016): Putin: Russland richtet Nationalgarde ein, http://derstandard.at/2000034264935/Putin-Russland-richtet-Nationalgarde-ein , Zugriff 6.4.2016
- Standard (7.4.2016): Putin leistet sich eine eigene Elitetruppe, http://derstandard.at/2000034322284/Wladimir-Putin-leistet-sich-eine-eigene-Elitetruppe , Zugriff 8.4.2016
- U.S. Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices for 2015 – Russia, http://www.ecoi.net/local_link/322455/461932_de.html , Zugriff 31.5.2016
- Zenithonline (10.2.2014): Speznaz, Spiele und Korruption, http://www.zenithonline.de/deutsch/politik/a/artikel/speznaz-spiele-und-korruption-004017/ , Zugriff 31.5.2016
Folter und unmenschliche Behandlung
Im Einklang mit der EMRK sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland gesetzlich verboten. Dennoch werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamten gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten basieren, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern oft nicht untersucht (ÖB Moskau 10.2015).
Der Folter verdächtigte Polizisten werden meist nur aufgrund von Machtmissbrauch oder einfacher Körperverletzung angeklagt. Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Stunden oder Tagen nach der Inhaftierung. Im Nordkaukasus wird von Folterungen sowohl durch lokale Sicherheitsorganisationen als auch durch Föderale Sicherheitsdienste berichtet. Das Gesetz verlangt von Verwandten von Terroristen, dass sie die Kosten, die durch einen Angriff entstehen übernehmen. Menschenrechtsverteidiger kritisieren dies als Kollektivbestrafung (USDOS 13.4.2016).
Die Strafverfolgungsbehörden setzten bei der Bekämpfung bewaffneter Gruppen weiterhin vor allem auf Operationen der Sicherheitskräfte. Es bestand nach wie vor der Verdacht, dass diese mit rechtswidrigen Inhaftierungen, Folter und anderen Misshandlungen von Häftlingen sowie Verschwindenlassen einhergingen (AI 24.2.2016).
Medien und NGOs berichten über Exekutivkräfte und Gefängnispersonal, die in Folter verwickelt sind. Missbrauch und exzessive Gewaltanwendung sind verbreitet und lassen darauf schließen, dass dies vor allem im Strafsystem regelmäßig vorkommt. Schlechte Ausbildung und eine Kultur der Straffreiheit tragen zu dieser Situation bei. Die russische NGO Committee Against Torture zeigt Folter durch Exekutivkräfte im Nordkaukasus auf und arbeitet daran, dass diese für ihre Vergehen bestraft werden (UK FCO 12.3.2015).
Quellen:
- AI – Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation,
https://www.amnesty.de/jahresbericht/2016/russland#nordkaukasus , Zugriff 31.5.2016
- ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation
- UK FCO – UK Foreign and Commonwealth Office (12.3.2015): Human Rights and Democracy Report 2014 - Section XII: Human Rights in Countries of Concern – Russia,
https://www.gov.uk/government/publications/russia-country-of-concern--2/russia-country-of-concern#conflict-and-protection-of-civilians , Zugriff 31.5.2016
- U.S. Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices for 2015 – Russia, http://www.ecoi.net/local_link/322455/461932_de.html , Zugriff 31.5.2016
Korruption
Korruption ist sowohl im öffentlichen Leben als auch in der Geschäftswelt weit verbreitet. Aufgrund der zunehmend mangelhaften Übernahme von Verantwortung in der Regierung können Bürokraten mit Straffreiheit rechnen. In einigen Fällen scheint der Kreml Signale an die Beamten auszusenden, dass die Korruption aufgrund der wachsenden wirtschaftlichen Probleme eingeschränkt werden muss (FH 27.1.2016). Das Gesetz sieht Strafen für behördliche Korruption vor, diese bleibt dennoch ein weitreichendes Problem. Die Regierung bestätigte, dass das Gesetz nicht effektiv umgesetzt wird, und viele Beamte sind in korrupte Praktiken involviert. Korruption ist sowohl in der Exekutive, als auch in der Legislative und Judikative und auf allen hierarchischen Ebenen weit verbreitet. Zu den Formen der Korruption zählen die Bestechung von Beamten, missbräuchliche Verwendung von Finanzmitteln, Diebstahl von öffentlichem Eigentum, Schmiergeldzahlungen im Beschaffungswesen, Erpressung, und die missbräuchliche Verwendung der offiziellen Position, um an persönliche Begünstigungen zu kommen. Obwohl es strafrechtliche Verfolgungen von Bestechung gibt, ist der Vollzug im Allgemeinen weiterhin mangelhaft. Behördliche Korruption ist zudem auch in anderen Bereichen weiterhin verbreitet: im Bildungswesen, beim Militärdienst, im Gesundheitswesen, im Handel, beim Wohnungswesen, bei Pensionen und Sozialhilfe, im Gesetzesvollzug und im Justizwesen. Hochrangige Beamte wurden 2015 wegen Korruption angeklagt, darunter zwei Gouverneure von Sachalin und Komi. Medien spekulierten, dass dies eine neue Anti-Korruptionskampagne sein könnte, jedoch Korruptionsvorwürfe auch häufig wegen politischen Gründen vorgebracht werden und es nicht unbedingt darum geht, die Korruption vollständig zu beseitigen (USDOS 13.4.2016).
Eines der zentralen Themen der Modernisierungsagenda ist die Bekämpfung der Korruption und des Rechtsnihilismus. Im Zeichen des Rechtsstaats durchgeführte Reformen, wie die Einsetzung eines Richterrats, um die Selbstverwaltung der Richter zu fördern, die Verabschiedung neuer Prozessordnungen und die deutliche Erhöhung der Gehälter hatten jedoch wenig Wirkung auf die Abhängigkeit der Justiz von Weisungen der Exekutive und die dort herrschende Korruption. Im Februar 2012 erfolgte der Beitritt Russlands zur OECD-Konvention zur Korruptionsbekämpfung (GIZ 4.2016a). Seit seinem Amtsantritt verspricht Wladimir Putin immer wieder aufs Neue konsequente Korruptionsbekämpfung, Jahr für Jahr werden neue Bekämpfungskonzepte vorgelegt, während sich die Eliten ungestört und vor aller Augen bereichern – Korruption gehört eben zum Leben dazu. Ein Drittel der Russen hält sie laut einer Umfrage des Lewada-Instituts generell für unausrottbar (Zeit Online 18.1.2016).
Korruption ist auch im Nordkaukasus ein alltägliches Problem (IAR 31.3.2014, AI 9.2013). Die auf Clans basierte Korruption hält die regionalen Regierungen zusammen und die Zuschüsse haben den Zweck, die Loyalität der lokalen Elite zu erkaufen. Putins System der zentralisierten Kontrolle bevorzugt Loyalität und lässt Bestechung und Gesetzlosigkeit gedeihen (IAR 31.3.2014).
Die Korruption ist in Tschetschenien sogar noch größer als in Russland. Vor allem geht in Tschetschenien die Korruption auch in einer ganz offenen Weise von statten. Während man in Russland noch versucht, dies zu verheimlichen, macht man es in Tschetschenien ganz offen (Gannuschkina 3.12.2014). In Tschetschenien hat die Korruption enorme Ausmaße angenommen (DIS 1.2015). Große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Es gibt glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrovs Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Charity-Projekte, Kritiker werfen ihm jedoch vor, als Vehikel zur persönlichen Bereicherung Kadyrovs und der ihm nahestehenden Gruppen zu dienen. Selbst die nicht als regierungskritisch geltende Tageszeitung "Kommersant" bezeichnete den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 10.2015)
Der Lebensstandard in der Republik Dagestan ist einer der niedrigsten in der gesamten Russischen Föderation und das Ausmaß der Korruption sogar für die Region Nord-Kaukasus beispiellos (IOM 6.2014).
Quellen:
- AI – Amnesty International (9.2013): Amnesty Journal Oktober 2013, Hinter den Bergen,
http://www.amnesty.de/journal/2013/oktober/hinter-den-bergen , Zugriff 31.5.2016
- DIS – Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 31.5.2016
- FH – Freedom House (27.1.2016): Freedom in the World 2015 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/320151/459381_de.html , Zugriff 31.5.2016
- Gannuschkina, Swetlana (3.12.2014): UNHCR Veranstaltung "Informationsaustausch über die Lage in der Russischen Föderation/ Nordkaukasus" im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
- GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2016a): Russland, Geschichte, Staat und Politik, http://liportal.giz.de/russland/geschichte-staat/#c17900 , Zugriff 31.5.2016
- IAR – International Affairs Review (31.3.2014): The Post-Sochi North Caucasus Remains Mired in Corruption, http://www.iar-gwu.org/content/post-sochi-north-caucasus-remains-mired-corruption , Zugriff 31.5.2016
- IOM – International Organisation of Migration (6.2014):
Länderinformationsblatt Russische Föderation
- ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation
- U.S. Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices for 2015 – Russia, http://www.ecoi.net/local_link/322455/461932_de.html , Zugriff 31.5.2016
- Zeit Online (18.1.2016): Ohne Schmiergeld geht gar nichts, http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-01/russland-korruption-alexej-nawalny-kreml-wladimir-putin , Zugriff 31.5.2016
Nichtregierungsorganisationen (NGOs)
Inländische und ausländische NGOs geraten zunehmend unter Druck. Auf Basis des sogenannten NGO-Gesetzes aus 2012 müssen sich russische NGOs, die politisch aktiv sind und aus dem Ausland Finanzmittel erhalten, in ein vom Justizministerium geführtes Register der ausländischen Agenten eintragen. Mehrere Organisationen, die eine Eintragung verweigerten, wurden zu teilweise hohen Geldstrafen verurteilt; andere wiederum lösten sich aus Protest gegen das Gesetz ganz auf, bzw. gründeten nach Auflösung eine neue Organisation. Seit Juni 2014 hat das Justizministerium das Recht, NGOs auch gegen ihren Willen in das Register einzutragen. Ein positiver Schritt wurde im März 2015 gesetzt, als im Zuge einer Abänderung des NGO-Gesetzes die Möglichkeit geschaffen wurde, Organisationen aus dem Register zu streichen, wenn sie nachweisen können, keine ausländischen Finanzmittel mehr zu erhalten (ÖB Moskau 10.2015, vgl. GIZ 4.2016a).
Im Mai 2015 wurde ein Gesetz angenommen, das es erlaubt die Tätigkeit von ausländischen oder internationalen Nichtregierungsorganisationen, die eine Bedrohung für die verfassungsmäßigen Grundlagen der Russischen Föderation, für die Verteidigungsfähigkeit des Landes oder die Sicherheit des Staates darstellen, auf dem Territorium der Russischen Föderation für unerwünscht zu erklären. Die Klassifizierung als unerwünschte Organisation zieht ein Verbot der Gründung bzw. die Liquidierung bereits bestehender Strukturen der ausländischen NGO in Russland nach sich, sowie ein Verbot der Verteilung von Informationsmaterialien bzw. der Durchführung von Projekten der NGO (ÖB Moskau 10.2015, vgl. AI 24.2.2016). Weiters ist es russischen Banken verboten, Finanzoperationen durchzuführen, wenn eine Seite als unerwünschte NGO eingestuft wurde. Die Verbote betreffen nicht nur die NGO selbst, sondern auch Personen, die sich an ihrer Tätigkeit beteiligen. Menschenrechtler gehen daher davon aus, dass das Gesetz indirekt auch gegen die russische Zivilgesellschaft gerichtet ist. Das Gesetz sieht Geldstrafen sowie bei wiederholter Verletzung eine Freiheitsstrafe von 2-6 Jahren vor. Als erste ausländische Organisation wurde die National Endowment for Democracy im Juli 2015 für unerwünscht erklärt (ÖB Moskau 10.2015). Im November und Dezember 2015 waren drei weitere Geber-Organisationen betroffen: die Open Society Foundation, die Open Society Institute Assistance Foundation und die US Russia Foundation for Economic Advancement and the Rule of Law. Zum Jahresende 2015 umfasste das beim Justizministerium geführte Verzeichnis "ausländischer Agenten" 111 NGOs. Sie mussten ihre gesamten Publikationen mit diesem stigmatisierenden Begriff kennzeichnen und aufwendige Berichterstattungspflichten erfüllen. Organisationen, die diesen Anforderungen nicht nachkamen, drohten hohe Geldstrafen. Keine einzige Organisation konnte sich vor Gericht erfolgreich gegen die Aufnahme in das Verzeichnis wehren. Sieben Organisationen wurden von der Liste gestrichen, nachdem sie keine Gelder mehr aus dem Ausland annahmen. 14 Organisationen, die auf der Liste standen, beschlossen, ihre Tätigkeit ganz einzustellen. Gegen das in der Liste der "ausländischen Agenten" verzeichnete Menschenrechtszentrum Memorial wurde im September 2015 eine Geldstrafe von 600.000 Rubel (rund 7.000 Euro) unter dem Vorwurf verhängt, es habe seinen Agentenstatus in Veröffentlichungen nicht deutlich gemacht. Die beanstandete Veröffentlichung stammte jedoch von der juristisch eigenständigen Schwesterorganisation "Gedenk- und Bildungszentrum Memorial", das sich nicht auf der Liste ausländischer Agenten befand und deshalb auch den Hinweispflichten nicht unterlag. Das Menschenrechtszentrum ging gerichtlich gegen die Entscheidung vor, verlor den Prozess jedoch. Nach einer routinemäßigen Überprüfung des Menschenrechtszentrums im November befand das Justizministerium, die von Memorial-Mitgliedern geäußerte Kritik an den Gerichtsverfahren zu den Bolotnaya-Protesten und an der russischen Ukrainepolitik untergrabe das verfassungsrechtliche Fundament des Landes und komme einem "Aufruf zum Sturz der amtierenden Regierung und zum politischen Systemwechsel" gleich. Das Ministerium übergab seine "Erkenntnisse" der Staatsanwaltschaft zu weiteren Ermittlungen (AI 24.2.2016).
Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten. Jedoch entstehen an vielen Orten neue Formen zivilgesellschaftlichen Agierens: Autofahrer protestieren gegen die Willkür der Verkehrspolizei, Strategie 31 setzt sich für die Versammlungsfreiheit ein, Umweltschützer verhindern Atommülltransporte, die Künstlergruppe Wojna setzt auf spektakuläre Protestaktionen. Die Verbindungen zwischen diesen "Initiativen von unten" und den etablierten russischen NGOs sind aber noch gering (GIZ 4.2016a).
Quellen:
- AI – Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, http://www.ecoi.net/local_link/319681/458907_de.html , Zugriff 31.5.2016
- GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2016a): Russland, Geschichte, Staat und Politik, http://liportal.giz.de/russland/geschichte-staat/#c17900 , Zugriff 31.5.2016
- ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation
Allgemeine Menschenrechtslage
Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 orientiert sich an westeuropäischen Vorbildern. Sie postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems." Russland ist an folgende VN-Übereinkommen gebunden:
- Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von
Rassendiskriminierung (1969)
- Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes
Zusatzprotokoll (1991)
- Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973)
- Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und
Zusatzprotokoll (2004)
- Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende
Behandlung oder Strafe (1987)
- Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001)
- Behindertenrechtskonvention (ratifiziert am 25.09.2012) (AA 5.1.2016)
Der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren, so der Jahresbericht 2014, 14,3% der anhängigen Fälle (10.000 Einzelfälle) Russland zuzurechnen. 2014 hat der EGMR 129 Urteile in Klagen gegen Russland gesprochen. Damit führt Russland die Liste der gesprochenen Urteile an (gefolgt von 101 Urteilen 2014 gegen die Türkei). Ein großer Teil der EGMR-Entscheidungen fällt dabei zugunsten der Kläger aus und konstatiert mehr oder weniger gravierende Menschenrechtsverletzungen. Die Umsetzung der Entscheidungen erfolgt vielfach nur mangelhaft: Zwar erbringt Russland in der Regel die Kompensationszahlungen an die Kläger bzw. Opfer; in der Sache selbst wird aber wenig unternommen. Ein russischer Gesetzentwurf, der die Urteile des EGMR unter einen Prüfvorbehalt stellen würde, ist nach deutlicher Kritik aus dem Ausland im Sommer 2011 gestoppt worden. In einem Urteil des russischen Verfassungsgerichts hat sich dieses am 6. Dezember 2013 jedoch die Entscheidung vorbehalten, wie EGMR-Urteile bei einem Widerspruch zur eigenen Auslegung der Grundrechte umgesetzt werden können. Am 14.7.2015 hat das Verfassungsgericht zudem eine grundlegende Entscheidung zum Verhältnis der russischen Verfassung zur EMRK getroffen: Die Umsetzung von Urteilen des EGMR kann danach im Falle eines vermeintlichen Konflikts mit der russischen Verfassung einer weiteren Überprüfung durch das Verfassungsgericht unterzogen werden. Neu ist dabei, dass künftig auch Präsident und Regierung das Verfassungsgericht mit dem Ziel anrufen können, die Nichtanwendung eines EGMR-Urteils in Russland aufgrund des Vorrangs der russischen Verfassung festzustellen (AA 5.1.2016).
Im Nordkaukasus finden die schwersten Menschenrechtsverletzungen in der Russischen Föderation statt. Hierzu sind seit 2005 auch zahlreiche Urteile des EGMR gegen Russland ergangen, der insbesondere Verstöße gegen das Recht auf Leben festgestellt hat. Am 14.01.2014 urteilte der EGMR zugunsten der Familien von 36 zwischen 2000 und 2006 verschwundenen Tschetschenen und sprach ihnen 1,9 Mio. Euro Entschädigung zu (AA 5.1.2016).
Die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit waren 2015 weiterhin stark beschnitten. Staatliche Stellen herrschten über Presse, Rundfunk und Fernsehen und weiteten die Kontrolle über das Internet aus. NGOs waren aufgrund des sogenannten Agentengesetzes nach wie vor Schikanen und Repressalien ausgesetzt. Ihre Möglichkeiten, finanzielle Mittel aus dem Ausland zu erhalten, wurden durch ein neues Gesetz zum Verbot "unerwünschter" Organisationen drastisch eingeschränkt. Eine steigende Anzahl von Bürgern wurde inhaftiert und angeklagt, weil man ihnen vorwarf, die offizielle Politik kritisiert oder Materialien besessen bzw. in der Öffentlichkeit verbreitet zu haben, die gemäß vage formulierter Sicherheitsgesetze als extremistisch eingestuft wurden oder aus anderen Gründen als rechtswidrig galten. Auf der Grundlage eines Gesetzes aus dem Jahr 2014, das wiederholte Verstöße gegen das Gesetz über öffentliche Versammlungen als Straftat definiert, sahen sich 2015 vier Personen mit Strafverfolgungsmaßnahmen konfrontiert. In mehreren aufsehenerregenden Prozessen traten einmal mehr die gravierenden Mängel des Justizwesens zutage. Flüchtlinge mussten zahlreiche Hürden überwinden, um anerkannt zu werden (AI 24.2.2016).
Menschenrechtsverteidiger beklagen Defizite bei der Umsetzung der in der Verfassung verankerten Rechte. Beklagt werden vor allem die mangelhafte Unabhängigkeit von Justiz und Gerichten, zunehmende Einschränkungen von Presse- und Versammlungsfreiheit, die weiterhin verbreitete Korruption sowie der stetig schwindende Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft. Besonders schwere Menschenrechtsverletzungen werden aus dem Nordkaukasus gemeldet (AA 3 .2016a).
Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs. Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten (GIZ 4.2016a).
Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden. Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausübten. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erleben in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben. Im Zuge der illegalen Annexion der Krim im März 2014 und der Krise in der Ostukraine wurde die Gesellschaft v.a. durch staatliche Propaganda nicht nur gegen den Westen mobilisiert, sondern auch gegen die sog. "fünfte Kolonne" innerhalb Russlands. Der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland findet derzeit aufgrund prozeduraler Unstimmigkeiten nicht statt (ÖB Moskau 10.2015).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
- AA - Auswärtiges Amt (3.2016a): Staatsaufbau/Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html , Zugriff 7.4.2016
- AI – Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, http://www.ecoi.net/local_link/319681/458907_de.html , Zugriff 7.4.2016
- GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2016a): Russland, Geschichte, Staat und Politik, http://liportal.giz.de/russland/geschichte-staat/#c17900 , Zugriff 7.4.2016
- ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation
Tschetschenien
NGOs beklagen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten. So geriet zum Beispiel die sog. "joint mobile defence group", die von der NGO "Komitee gegen Folter" koordiniert wird, in letzter Zeit vermehrt in die Zielscheibe von pro-Kadyrov-Anhängern. 2014 wurde das Büro der Gruppe in Grozny niedergebrannt und im Juni 2015 erneut von einer Gruppe maskierter Personen angegriffen. Der Leiter der NGO "Komitee gegen Folter" Igor Kalyapin wurde von Kadyrov der Zusammenarbeit mit amerikanischen Geheimdiensten und der Kollaboration mit Extremisten beschuldigt. Im Juli 2015 erklärte das Komitee nach Androhung der Eintragung in das Register der ausländischen Agenten durch das Justizministerium seine Auflösung; der Leiter des Komitees Kalyapin kündigte jedoch an, dass man die Arbeit in anderer Form fortsetzen werde (ÖB Moskau 10.2015, vgl. AI 25.2.2015).
Nach dem Angriff auf Grosny im Dezember 2014 verfügte Ramzan Kadyrow, dass die Häuser der Familien von Terroristen niedergebrannt werden und die Angehörigen des Landes verwiesen werden (Tagesspiegel 19.12.2014, vgl. HRW 28.1.2016).
2015 wurden aus dem Nordkaukasus weniger Angriffe bewaffneter Gruppen gemeldet als in den Vorjahren. Die Strafverfolgungsbehörden setzten bei der Bekämpfung bewaffneter Gruppen weiterhin vor allem auf Operationen der Sicherheitskräfte. Es bestand nach wie vor der Verdacht, dass diese mit rechtswidrigen Inhaftierungen, Folter und anderen Misshandlungen von Häftlingen sowie Verschwindenlassen einhergingen. Es gab deutlich weniger Informationen über die Menschenrechtslage in dem Gebiet, weil die Behörden mit aller Härte gegen Menschenrechtsverteidiger und unabhängige Journalisten vorgingen. Die Betreffenden wurden ständig schikaniert, bedroht und tätlich angegriffen, zum Teil von Ordnungskräften und regierungstreuen Gruppen. In der tschetschenischen Hauptstadt Grosny wurde am 3. Juni 2015 das Gebäude, in dem die Menschenrechtsorganisation Joint Mobile Group ihren Sitz hat, von einer aggressiven Menschenmenge umstellt. Vermummte Männer drangen gewaltsam in die Büroräume ein, zerstörten das Mobiliar und zwangen die Mitarbeiter, das Gebäude zu verlassen. Bis zum Jahresende war noch kein Tatverdächtiger ermittelt worden (AI 24.2.2016, vgl. HRW 27.1.2016).
Quellen:
- AI – Amnesty International (25.2.2015): Amnesty International Report 2014/15 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation,
https://www.amnesty.de/jahresbericht/2015/russische-foederation , Zugriff 24.5.2016
- AI – Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, http://www.ecoi.net/local_link/319681/458907_de.html , Zugriff 24.5.2016
- HRW – Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 – Russia, http://www.ecoi.net/local_link/318397/457400_de.html , Zugriff 24.5.2016
- HRW - Human Rights Watch (28.1.2016): Human Rights Violations in Russia’s North Caucasus,
http://www.ecoi.net/local_link/318631/457682_de.html , Zugriff 24.5.2016
- ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation
- Tagesspiegel (19.12.2014): Wladimir Putin legt Russland an die Kette,
http://www.tagesspiegel.de/meinung/jahrespressekonferenz-des-kremlchefs-wladimir-putin-legt-russland-an-die-kette/11140502.html , Zugriff 24.5.2016
Rebellentätigkeit / Unterstützung von Rebellen
Im August 2014 meldete der Inlandsgeheimdienst FSB Erfolge bei der Bekämpfung von Terrorismus im Nordkaukasus, was in Expertenkreisen jedoch auf Zweifel stieß. Die Rede war von 328 potentiellen Terroristen, die im ersten Halbjahr 2014 verhaftet wurden. Da die Sicherheitskräfte im Nordkaukasus aber nach dem Prinzip kollektiver Bestrafung vorgehen, handelte es sich hierbei möglicherweise weniger um aktive Untergrundkämpfer als um Personen aus deren sozialem und verwandtschaftlichem Umfeld. Im Januar 2015 berichtete das russische Innenministerium, 2014 sind 259 Rebellen, darunter 36 Kommandeure, von Sicherheitskräften getötet und 421 Untergrundkämpfer verhaftet worden (SWP 4.2015).
Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren, Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer, als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand seinen Hotspot hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens. Sie bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Kidnappings werden von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist also der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan und auch in Inguschetien. Die Kämpfer würden auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).
Im November 2013 wurden in Russland neue Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfs gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müssen, dass ihre Vermögenswerte, Immobilien und weitere Besitztümer nicht durch "terroristische Aktivitäten" erworben wurden. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte legal erworben wurden, kann der Staat sie beschlagnahmen. Auch Personen, welche Terrorverdächtigen nahestehen, können mit dem Gesetz belangt werden. Nach Einschätzung von Experten wird das Gesetz weitgehend zur Diskriminierung der Angehörigen Terrorismusverdächtiger führen. Weiter kritisieren Experten, dass das Gesetz durch die unklare Verwendung der Begriffe "Verwandte" und "nahestehende Personen" sich gegen ganze Familienclans in den muslimischen Republiken des Nordkaukasus richten könne. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina werden Familienangehörige von Terrorverdächtigen oft beschuldigt, sie unterstützten auch illegale bewaffnete Gruppierungen auf verschiedenste Art und Weise. Insbesondere kritisiert die Menschenrechtsaktivistin, dass bereits der bloße Verdacht für eine Anschuldigung reiche und kein Beweis notwendig sei. Die Verfolgung von Verwandten und Freunden von Aufständischen ist seit 2008 im Nordkaukasus weit verbreitet und geht oft mit der Zerstörung des Besitzes und Hauses einher. Nach übereinstimmenden Angaben verschiedener Quellen kommt es zu Übergriffen und Kollektivstrafen durch Sicherheitskräfte, die gegen Familien von vermuteten Terroristen gerichtet sind (SFH 25.7.2014).
Kollektivstrafen wie das Niederbrennen von Häusern von Personen, die man verdächtigt, Kontakte zum terroristischen Widerstand zu haben, werden weitergeführt (Caucasian Knot 9.12.2014). Nach der Terrorattacke auf Grosny am 4.12.2014, hat Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft genommen. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des "Komitees gegen Folter" Igor Kaljapin, dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden seien (Standard 14.12.2014).
Quellen:
- Caucasian Knot (9.12.2014): "Memorial" confirmed information of "Caucasian Knot" about burnt-down houses of relatives of militants killed in attack on Grozny,
http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/30180/ , Zugriff 30.5.2016
- DIS – Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 30.5.2016
- SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (25.7.2014): Russland:
Verfolgung von Verwandten dagestanischer Terrorverdächtiger außerhalb Dagestans,
http://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/russland/russland-verfolgung-von-verwandten-dagestanischer-terrorverdaechtiger-ausserhalb-dagestans.pdf , Zugriff 30.5.2016
- Der Standard (14.12.2014): Tschetschenien: NGO-Büro in Grosny angezündet,
http://derstandard.at/2000009372041/Tschetschenien-NGO-Buero-in-Grosny-abgefackelt , Zugriff 30.5.2016
- SWP (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff 25.5.2016
Religionsfreiheit
Die Russische Föderation ist ein multinationaler und multikonfessioneller Staat. Art. 28 der Verfassung garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit. Orthodoxie, Islam, Buddhismus und Judentum haben dabei eine herausgehobene Stellung. Art. 14 der Verfassung schreibt die Trennung von Staat und Kirche fest (AA 5.1.2016, vgl. GIZ 3.2016c). Auch andere Religionsgemeinschaften können in Russland legal bestehen, müssen sich aber registrieren lassen. Seit Ende der Achtziger Jahre hat der Anteil der Gläubigen im Zuge einer "religiösen Renaissance" bedeutend zugenommen. Allerdings bezeichnen sich laut Meinungsumfragen rund 50% der Bevölkerung als ungläubig. Zwar gibt es in Russland einen hohen Grad der Wertschätzung der Kirche und von Religiosität, dies bedeutet aber nicht, dass die Menschen ihr Leben nach kirchlichen Vorschriften führen. Offizielle Statistiken zur Zahl der Gläubigen verschiedener Konfessionen gibt es nicht und die Zahlen in den meisten Quellen unterscheiden sich erheblich. Die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) ist heute die mit Abstand größte und einflussreichste Religionsgemeinschaft in Russland. Seit der Unabhängigkeit der Russischen Föderation ist sie zu einer äußerst gewichtigen gesellschaftlichen Einrichtung geworden. Die Verluste an Gläubigen und Einrichtungen, die sie in der Sowjetzeit erlitt, konnte sie zu einem großen Teil wieder ausgleichen. Die ROK hat ein besonderes Verhältnis zum russischen Staat, z.B. ist der Patriarch bei wichtigen staatlichen Anlässen stets anwesend. Die ROK versteht sich als multinationale Kirche, die über ein "kanonisches Territorium" verfügt. Es erstreckt sich über die GUS-Staaten mit der Ausnahme von Armenien, wo es eine eigene orthodoxe Kirche gibt. Bei den traditionell religiös orientierten ethnischen Minderheiten Russlands findet man Anhänger des Islam und des Buddhismus, des Schamanismus und Judaismus, des protestantischen und katholischen Glaubens. Der Islam ist die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in Russland. Die Muslime sind in der Regel Baschkiren, Tataren, Tschuwaschen, Tschetschenen und Angehörige anderer Kaukasusvölker. Sie werden durch die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Europäischen Teils Russlands und Sibiriens sowie die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Nordkaukasus vertreten. Die Zahl der russischen Muslime wird offiziell mit 14,5 Millionen angegeben. Die Vertreter der islamischen Gemeinde sprechen von mehr als 20 Millionen Mitgliedern. Alle anderen Religionen, wie Buddhismus (ca. 600.000 Gläubige) - zu dem sich Burjaten, Kalmyken, Tuwa und andere Bevölkerungsgruppen in den Gebieten Irkutsk und Tschita bekennen - und Judentum (ca. 200.000 Gläubige), haben nur geringe Bedeutung. Von den christlichen Kirchen sind die katholische Kirche, die evangelisch-lutherische Kirche sowie eine Reihe von Freikirchen (vor allem Baptisten) in Russland vertreten. Sie sind im europäischen Russland und in Sibirien präsent (GIZ 3.2016c, vgl. SWP 4.2013).
Nicht als traditionelle Religionen anerkannte Glaubensrichtungen, wie insbesondere die Zeugen Jehovas oder islamische Strömungen im Nordkaukasus und im Wolgagebiet, denen der Vorwurf gemacht wird, in Bezug zu Terrorgruppen zu stehen, stoßen auf Schwierigkeiten mit staatlichen Behörden. Gegen solche Religionsgemeinschaften erheben die Behörden häufig nicht plausibel belegte Extremismus-Vorwürfe und leiten auf dieser Grundlage auch Strafverfahren wegen der Ausübung der Religion ein (AA 5.1.2016).
Die Verfassung sieht die Religionsfreiheit vor, jedoch können Beamte laut Gesetz Aktivitäten von religiösen Gruppierungen wegen Verletzung der öffentlichen Ordnung oder Teilnahme an extremistischen Aktivitäten, verbieten. Es gibt Einschränkungen für religiöse Minderheitsgruppen und es wurden auch Mitglieder solcher Gruppierungen verhaftet. Die Polizei führte Razzien in privaten Wohnungen und Andachtsstätten durch und konfiszierte religiöse Publikationen und Eigentum. Das Anti-Extremismus-Gesetz wurde angewendet, um die Registrierung von religiösen Minderheitsgruppen abzuerkennen, um die Registrierung bestimmter Gruppen zu verhindern und den Kauf von Land, den Bau von Andachtsstätten oder den Erhalt von Restitutionen einzuschränken (USDOS 14.10.2015).
Quellen:
- Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
- GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2016c): Russland, Gesellschaft, http://liportal.giz.de/russland/gesellschaft/ , Zugriff 1.6.2016
- SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2013): Muslime in der Russischen Föderation,
http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2013A24_hlb.pdf , Zugriff 1.6.2016
- USDOS – U.S. Department of State (14.10.2015): 2014 International Religious Freedom Report – Russia, http://www.ecoi.net/local_link/313361/451625_de.html , Zugriff 1.6.2016
0.1. Tschetschenien
Die Bevölkerung gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an, wobei traditionell eine mystische Form des Islam, der Sufismus, vorherrschend ist (BAMF 10.2013). Beim Sufismus handelt es sich um eine weit verbreitete und zudem äußerst facettenreiche Glaubenspraxis innerhalb des Islam. Heutzutage sind Sufis sowohl innerhalb des Schiitentums als auch unter Sunniten verbreitet (ÖIF 2013). Gegenwärtig ist eine Zunahme der Anhänger des Salafismus/Wahabismus, eine strenge, radikale Form des Islam, zu verzeichnen (BAMF 10.2013).
Kadyrow billigt oder leitet Massenverstöße gegen die Menschenrechte, darunter gegen die Religionsfreiheit. Er verfälschte tschetschenische Sufi-Traditionen, errichtete auf Grundlage seiner religiösen Ansichten einen repressiven Staat und zwingt Frauen, islamische Kopftücher zu tragen (USCIRF 30.4.2015, vgl. SWP 4.2013). Kadyrow nutzt den traditionellen Sufismus politisch und als Instrument seines Antiterrorkampfes, um mit dem "guten" sufistischen Islam dem von weiten Teilen der heute in der Republik aktiven Rebellen propagierten "schlechten" fundamentalistischen Islam, dem oft auch Wahhabismus genannten Salafismus, entgegenzuwirken. Diese Strategie hatte bereits sein Vater unter Maschadow – relativ erfolglos – anzuwenden versucht. Diese politische Nutzung der Religion führt aus mehreren Gründen zu heftiger Kritik: Durch die kadyrowsche Islamisierung werden zunehmend Menschenrechte, insbesondere Frauenrechte, beschnitten. Innerhalb der tschetschenischen Bevölkerung empfinden viele die von Kadyrow angeordneten Verhaltensnormen als nicht gerechtfertigten (und schon gar nicht durch tschetschenische Tradition zu rechtfertigenden) Eingriff in ihr Privatleben. Einige der aufgrund der (Re‑)Islamisierung erfolgten Erlässe und Aussagen des Republikoberhauptes, wie etwa die Kopftuchpflicht für Frauen in öffentlichen Gebäuden oder seine Aussprache für Polygamie, widersprechen zudem russischem Recht. Beobachter der Lage sind sich gemeinhin einig, dass all dies von föderaler Seite geduldet wird, weil und solange es Kadyrow gelingt, die relativ stabile Sicherheitslage zu erhalten (BAA Staatendokumentation 19.5.2011).
Als Salafisten werden unterschiedliche religiöse und politische Bewegungen bezeichnet, die sich etwa seit Beginn des letzten Jahrhunderts an einem idealisierten Bild der Frühzeit des Islam (arab. "Salaf" steht für "Ahnen", "Vorfahren") orientieren. Der Begriff Salafismus dagegen steht heute für eine Strömung des Islamismus. Ihre Anhänger werden als Salafisten bezeichnet. Sie behaupten, besonders eng dem Wortlaut des Korans und den Überlieferungen über das Leben des Propheten (sunna) zu folgen. Das gilt insbesondere auch für Äußerlichkeiten wie Bekleidungsvorschriften. Viele Salafisten tragen deshalb lange Bärte, weite Gewänder und Kopfbedeckungen. Frauen, die kein Kopftuch tragen, begehen nach Überzeugung von Salafisten eine schwere Sünde (GfbV o.D.). Das Tragen eines Bartes ohne Schnurrbart oder hochgekrempelte Hosen, würden einen Grund für die Festnahme oder Kontrolle einer Person darstellen (Kaliszewska 2010). Unterschiedliche Personengruppen können Opfer von Verschwindenlassen werden: Männer, die verdächtigt werden, dem bewaffneten Untergrund anzugehören oder ihn zu unterstützen, bzw. Salafisten zu sein. Auch Rückkehrer nach Tschetschenien, die von den Behörden verdächtigt werden, zurückgekehrt zu sein, um den bewaffneten Untergrund zu unterstützen, können entführt werden (GfbV o.D.). Entführungen werden heute hauptsächlich von regierungsnahen Personen verübt und treffen vor allem Personen, die als Salafisten angesehen werden. Dies führt jedoch dazu, dass die Salafisten noch anti-russischer werden und die Behörden selbst die Anzahl der Anhänger der radikalen Bewegungen in der Region und unter Muslimen in der ganzen Russischen Föderation erhöhen (Jamestown 19.6.2014).
Quellen:
- BAA Staatendokumentation (19.5.2011): Analyse zu Russland:
Religion in der Republik Tschetschenien: Sufismus
- BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013):
Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg
- GfbV – Gesellschaft für bedrohte Völker (o.D.): Tschetschenien unter Despot Kadyrow: Alltag in Angst, http://www.gfbv.de/inhaltsDok.php?id=2319 , Zugriff 1.6.2016
- Jamestown Foundation (19.6.2014): Virtually All Abductions in North Caucasus Carried out by Authorities, Eurasia Daily Monitor Volume 11, Issue 111,
http://www.jamestown.org/programs/edm/single/?tx_ttnews [tt_news]=42525&tx_ttnews[backPid]=756&no_cache=1, Zugriff 1.6.2016
- Kaliszewska, Iwona: Everyday Life In North Caucasus, 2010, http://www.udsc.gov.pl/files/WIKP/info_pdf/Binder1_Kaukaz_ang.pdf , in ACCORD (1.7.2014): Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation:
Tschetschenien: Situation von Personen, die Anhänger eines strengen sunnitischen Islams (keine Sufis) sind [a-8725?1], http://www.ecoi.net/local_link/280443/397328_en.html , Zugriff 1.6.2016
- ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam, S. 111-113
- SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2013): Muslime in der Russischen Föderation,
http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2013A24_hlb.pdf , Zugriff 1.6.2016
- USCIRF – U.S. Commission on International Religious Freedom (30.4.2015): Annual Report of the United States Commission on International Religious Freedom, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1432897160_russia-2015.pdf , Zugriff 1.6.2016
Frauen
Artikel 19 der russischen Verfassung garantiert die Gleichstellung von Mann und Frau. Zudem hat die Russische Föderation mehrere internationale und regionale Konventionen ratifiziert, die diese Gleichstellung festschreiben, darunter die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und ihr Zusatzprotokoll. Grundsätzlich gibt es in der Russischen Föderation keine systematische Diskriminierung von Frauen. Laut einer rezenten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts VZiOM glaubt eine Mehrheit der Bevölkerung, dass Männer und Frauen in der Gesellschaft gleich gestellt sind, insbesondere im Bildungsbereich (90%), in der Arbeit (76%), beim Gehalt (75%) und bei der Möglichkeit, am öffentlichen und politischen Leben teilzunehmen (74%). Einem rezenten Bericht der Weltbank zufolge steht Russland jedoch an vorderer Stelle, was die Verhinderung des Zugangs von Frauen zu gewissen Berufsgruppen betrifft; 456 Berufe dürfen von Frauen nicht ausgeübt werden. Ein ernstes Problem, das von Politik und Gesellschaft weitgehend ausgeblendet wird, stellt häusliche Gewalt dar. Ein Großteil der Unterstützung und Betreuung von Opfern häuslicher Gewalt wird durch gesellschaftliche Organisationen und Privatinitiativen übernommen. Im Nationalen Netzwerk gegen Gewalt sind über 150 regionale und lokale NGOs aktiv. Laut Dem Nationalen Zentrum zur Vorbeugung von Gewalt ANNA wird jede dritte russische Frau im Laufe ihres Lebens Opfer von physischen Übergriffen von Seiten eines Mannes. Jährlich sterben in Russland ca. 14.000 Frauen aufgrund von Gewaltanwendung von Seiten ihrer Ehemänner oder Lebenspartner, fast zwei Drittel aller Morde sind auf häusliche Motive zurückzuführen. Laut Statistiken der Organisation ANNA wenden sich 60% der Frauen, die die Nationale Hotline für Opfer von häuslicher Gewalt anrufen, nicht an die Polizei. 76% jener Frauen, die bei der Polizei um Unterstützung suchen, sind damit unzufrieden. Trotz der weiten Verbreitung des Problems gibt es grobe Mängel bei der Bewusstseinsbildung darüber, auch innerhalb der politischen Elite. So betonte der Ombudsmann für Kinderrechte Pawel Astakhov im Mai 2015, dass ein Großteil der Gewalt im öffentlichen Raum stattfindet und dass die Familie der sicherste Ort in der Gesellschaft sei. Er verwehrte sich gegen "die konstante Benützung des Begriffs ‚häusliche Gewalt‘, die lediglich dafür sorgen würde, dass Familien und Eltern eingeschüchtert werden". Positiv zu vermerken ist, dass bis Jahresende ein vom Arbeits- und Sozialministerium ausgearbeiteter Gesetzesentwurf zur Vorbeugung häuslicher Gewalt in die Staatsduma eingebracht werden soll, der insbesondere der Polizei mehr Verpflichtungen zum Kampf gegen häusliche Gewalt auferlegt und einen besseren Opferschutz vorschreibt (ÖB Moskau 10.2015).
Frauen stellen in Russland traditionell die Mehrheit der Bevölkerung. Der weibliche Bevölkerungsanteil beträgt seit den 1920er Jahren zwischen 53% und 55% der Gesamtbevölkerung. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist in der Verfassung garantiert. Durch die Transformationsprozesse und den Übergang zur Marktwirtschaft sind die Frauen in besonderer Weise betroffen. Davon zeugt der erhebliche Rückgang der Geburtenrate. Die Veränderungen in den Lebensverhältnissen von Frauen betreffen auch den Arbeitsmarkt, denn das Risiko von Ausfallzeiten durch Schwangerschaft, Erziehungsurlaub und Pflege von Angehörigen führt oft dazu, dass Frauen trotz besserer Ausbildung seltener als Männer eingestellt werden. Das im Durchschnitt deutlich geringere Einkommen von Frauen bedeutet niedrigere Pensionen für ältere Frauen, die damit ein hohes Risiko der Altersarmut tragen. Die politische Sphäre in Russland ist von Männern dominiert (GIZ 3.2016c). Frauen sind in Politik und Wirtschaft unterrepräsentiert. Sie halten weniger als 14% der Sitze in der Duma und ca. 17% der Sitze im Föderationsrat. Nur zwei von 31 Kabinettsmitgliedern sind Frauen (FH 27.1.2016). Rund 40% der Frauen arbeiten in allgemeinen Bereichen im Management und weitere 20% auf der Führungsebene. Überwiegend arbeiten sie in diesen Berufen in Medienunternehmen und PR-Agenturen, aber auch in Banken, Börsen, Bauindustrien etc. (GIZ 3.2016c).
Ein Gesetzentwurf des Menschenrechtsrats, der Opfer häuslicher Gewalt schützen soll, stieß auf heftigen Widerstand in "konservativen" Kreisen, die darin einen Versuch der Einmischung des Staates in familiäre Angelegenheiten sehen. Es gibt in Russland lediglich 21 Krisenzentren für Frauen. Beim Menschenhandel gehören russische Frauen zu den Haupt-Opfergruppen. Russland gilt zugleich als Ursprungs-, Transit- und Empfangsland im Menschenhandel. Sexuelle Ausbeutung bzw. Prostitution betrifft vor allem Frauen aus dem Nordkaukasus, die in anderen Landesteilen als Zwangsprostituierte arbeiten. Durch internationale Zusammenarbeit wird versucht, die Rotlicht-Kriminalität wirksam zu bekämpfen. Trotz der Verankerung des Straftatbestandes Menschenhandel im russischen Strafgesetzbuch bleiben die Strafverfolgungszahlen niedrig. Nur in seltenen Fällen wird berichtet, dass Strafverfolgungsbehörden gegen Menschenhandel vorgehen. Die Reaktion des russischen Staates wird im "World Slavery Report" der "Walk Free Foundation" als "sehr schwach" beschrieben. Insbesondere fehle es an einem wirksamen Schutz der Opfer. Die Strukturen des Menschenhandels zur Ausbeutung der Arbeitskraft werden durch Korruption und Verbindungen von Angehörigen der Strafverfolgungsbehörden mit der organisierten Kriminalität begünstigt (AA 5.1.2016).
Häusliche Gewalt bleibt für Frauen weiterhin ein Problem und die Polizei ist oft zögerlich beim Einschreiten, da dies als familiäre Angelegenheit gesehen wird (FH 27.1.2016).
Vergewaltigung ist illegal und das Gesetz sieht dieselbe Strafe für einen Täter vor, egal ob er aus der Familie stammt oder nicht. Während medizinische Angestellte Opfer von Übergriffen unterstützen und gelegentlich helfen, Fälle von Körperverletzung oder Vergewaltigung zu identifizieren, sind Ärzte oft nachlässig, als Zeugen vor Gericht aufzutreten. Laut NGOs würden Exekutivbeamte und Staatsanwälte Vergewaltigung keine Priorität einräumen. NGOs berichten außerdem, dass lokale Polizisten sich weigern würden, auf Anrufe in Bezug auf Vergewaltigung und häusliche Gewalt zu reagieren, solange das Opfer nicht unter Lebensbedrohung steht. Weiters würden viele Frauen Vergewaltigungen und andere Gewaltvorfälle aufgrund der sozialen Stigmata und der mangelhaften staatlichen Unterstützung nicht melden. Das Strafmaß für Vergewaltigung sind drei bis sechs Jahre Haft für einen Einzeltäter und vier bis zehn Jahre bei einer Gruppenvergewaltigung. Wenn das Opfer zwischen 14 und 18 Jahre alt ist bekommt der Täter eine Strafe zwischen acht und 15 Jahre und zwölf bis 20 Jahre, wenn das Opfer verstorben ist oder unter 14 Jahre alt ist (US DOS 13.4.2016).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
- FH – Freedom House (27.1.2016): Freedom in the World 2015 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/320151/459381_de.html , Zugriff 25.5.2016
- GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2016c): Russland, Gesellschaft, http://liportal.giz.de/russland/gesellschaft/ , Zugriff 25.5.2016
- ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation
- U.S. Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices for 2014 – Russia, http://www.ecoi.net/local_link/322455/461932_de.html , Zugriff 25.5.2016
0.2. Nordkaukasus insbesondere Tschetschenien
Die Situation von Frauen im Nordkaukasus unterscheidet sich zum Teil von der in anderen Regionen Russlands. Berichte von Ehrenmorden, Brautentführungen und "Sittenwächtern" haben im Vergleich zu den Vorjahren jedoch abgenommen. Aus NGO-Kreisen war zu erfahren, dass sich die Situation von alleinstehenden Frauen bzw. Frauen mit Kindern bei ihrer Rückkehr nach Tschetschenien nach und nach verbessert. Die zugrunde liegende Problematik existiert jedoch nach wie vor. Im Frühjahr 2015 hatte ein Fall in Tschetschenien für Aufregung gesorgt, bei dem ein 17jähriges Mädchen vermutlich gegen ihren Willen und dem ihrer Familie mit einem weitaus älteren lokalen Polizeichef verheiratet wurde. Einerseits ist das Mindestalter für Hochzeiten in Russland 18 Jahre (abgesehen von wenigen Ausnahmen), andererseits war der betroffene Polizeichef zu dem Zeitpunkt bereits verheiratet. Die Heirat wurde von dem Republikoberhaupt Ramzan Kadyrov ausdrücklich unterstützt (ÖB Moskau 10.2015, vgl. HRW 27.1.2016). Eine prominente investigative Journalistin erhielt Todesdrohungen nachdem sie über diese Story geschrieben hat. Behörden versagten bei einer effektiven Untersuchung wegen ihrer Beschwerde (HRW 27.1.2016).
Unter sowjetischer Herrschaft waren tschetschenische Frauen durch die russische Gesetzgebung geschützt. Polygamie, Brautentführungen und Ehrenmorde wurden bestraft. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion löste sich der Schutz durch russisches Recht für Frauen allmählich auf und gleichzeitig kam es zu einem stärkeren Einfluss von Adat und Scharia. Unter Kadyrow ist die tschetschenische Gesellschaft traditioneller geworden. Swetlana Gannuschkina (Vorsitzende der Flüchtlingshilfsorganisation "Zivile Unterstützung" (auch "Bürgerbeteiligung") und Leiterin des "Netzwerks juristischer Beratungsstellen für Flüchtlinge und Vertriebene") ist der Meinung, dass die Behandlung von Frauen, wie sie heute existiert, nie eine Tradition in Tschetschenien war. Ein tschetschenischer Anwalt berichtet, dass Frauen sowohl unter islamischem Recht, als auch Adat hoch geschätzt sind. Allerdings ist die Realität in Tschetschenien, dass Gewalt gegen Frauen weit verbreitet und die Situation im Allgemeinen für Frauen schwierig ist. Andere Quellen berichten auch, dass die Religion ein Rückschlag für die Frauen ist und sie in eine den Männern untergeordnete Position stellt. Diese Entwicklungen erfolgten in den letzten Jahren (EASO 9.2014b, S. 9f). Für die Quellen des EASO Berichtes ist nicht klar, ob Scharia oder Adat wichtiger für die tschetschenische Gesellschaft ist. Jedoch könne nur das Russische Recht Frauen effektiv schützen. Es wird auch berichtet, dass die Scharia immer wichtiger wird und auch Kadyrow selbst – obwohl er sowohl Adat, als auch Scharia betont – sich in letzter Zeit eher auf die Scharia bezieht. Adat dürfte aber besonders bei Hochzeitstraditionen eine dominante Rolle spielen (EASO 9.2014b, S. 9f). Tschetschenische Behörden verlangen weiterhin, dass Frauen auf öffentlichen Plätzen Kopftücher tragen (HRW 27.1.2016).
Vergewaltigung:
Vergewaltigung ist laut Artikel 131 des russischen Strafgesetzbuches ein Straftatbestand. Das Ausmaß von Vergewaltigungen in Tschetschenien und anderen Teilen der Region ist unklar, da es im Allgemeinen so gut wie keine Anzeigen gibt. Vergewaltigung in der Ehe wird nicht einmal als Vergewaltigung angesehen. Laut Swetlana Gannuschkina ist Vergewaltigung in Tschetschenien und im gesamten Nordkaukasus weit verbreitet. Vergewaltigungen würden auch in Polizeistationen passieren. Vergewaltigung ist ein Tabuthema in Tschetschenien. Einer vergewaltigten Frau haftet ein Stigma an und sie wird an den Rand der Gesellschaft gedrängt, wenn die Vergewaltigung publik wird. Auch die Familie würde isoliert und stigmatisiert werden und es ist nicht unüblich, dass die Familie eine vergewaltigte Frau wegschickt. Die vorherrschende Einstellung ist, dass eine Frau selbst schuld an einer Vergewaltigung sei. Bei Vergewaltigung von Minderjährigen gestaltet sich die Situation etwas anders. Hier wird die Minderjährige eher nicht als schuldig an der Vergewaltigung gesehen, wie es einer erwachsenen Frau passieren würde. Insofern ist die Schande für die Familie auch nicht so groß (EASO 9.2014b, S. 21).
Muslimische Hochzeit:
Es ist in Tschetschenien üblich, auf muslimische Art – durch einen Imam – die Ehe zu schließen. Solch eine Hochzeit ist jedoch nach russischem Recht nicht legal, da sie weder vor einem Staatsbeamten geschlossen, noch registriert ist (EASO 9.2014b, S. 25). Nach russischem Recht wird sie erst nach der Registrierung bei der Behörde ZAGS legal, die nicht nur Eheschließungen registriert, sondern auch Geburten, Todesfälle, Adoptionen usw. (EASO 9.2014b, S. 24). Da die Registrierung mühsam ist und auch eine Scheidung verkompliziert, sind viele Ehen im Nordkaukasus nicht registriert. Eine Registrierung wird oft nur aus praktischen Gründen vorgenommen, beispielsweise in Verbindung mit dem ersten Kind. Der Imam kann eine muslimische Hochzeit auch ohne Anwesenheit des Bräutigams schließen, jedoch ist laut Scharia die Anwesenheit der Frau nötig (EASO 9.2014b, S. 25).
Waisenhäuser:
Wenn Kinder sich selbst überlassen bleiben, nachdem beide Eltern verstorben sind, sorgt der Tradition zufolge die Familie ihres Vaters für sie. Wenn die Großeltern nicht für die Kinder sorgen können, werden sie in die Obhut der Familie ihrer Mutter übergeben. Wenn es niemanden gibt, der sich um die Kinder kümmern kann, kommen sie in ein Waisenhaus. In Tschetschenien und dem übrigen Nordkaukasus setzen Familien alles daran, um zu vermeiden, dass Kinder in ein Waisenhaus kommen. Es ist nicht üblich, Kinder in Waisenhäuser zu bringen, und normalerweise leben in Waisenhäusern nur Kinder, die ihre gesamte Familie verloren haben. Im Allgemeinen vertreten Behörden die Auffassung, dass es in Tschetschenien keine Waisenhäuser geben sollte, da es Aufgabe der Familie ist, für die Kinder zu sorgen. 2009 ordnete Präsident Kadyrow an, dass alle Waisenhäuser in Tschetschenien geschlossen werden und die Kinder wieder zu ihren Verwandten zurückkehren sollten. Nach Auskunft eines Vertreters einer internationalen Organisation im Nordkaukasus lag dieser Initiative von Kadyrow der Wunsch zugrunde, deutlich zu machen, dass Familien einen starken Verbund darstellen und sie für sich selbst sorgen können. Nur wenige wollten jedoch entfernte Verwandte zu sich nehmen, zu denen sie kaum Kontakt hatten. Aufgrund des Wohnungsmangels und finanzieller Zwänge waren die Menschen nicht bereit, noch ein weiteres Mitglied in ihren Haushalt aufzunehmen und zu unterstützen. Kadyrow möchte den Eindruck vermitteln, dass die familiären Bande noch genauso stark sind wie früher, doch ist dies nach Angaben der Organisation nicht der Fall. Landinfo hat keinen Überblick über die Zahl der Waisenhäuser in Tschetschenien, doch nach Angaben eines tschetschenischen Rechtsanwalts gibt es eines in Grosny, ein weiteres im Bezirk Nadteretschny. Laut einer NGO in Moskau gibt es in Tschetschenien fünf oder sechs Waisenhäuser. In dem größten sind 200-300 Kinder untergebracht. Waisenhäuser sind öffentliche Einrichtungen (EASO 6.2014a, S. 31).
Quellen:
- EASO – European Asylum Support Office (9.2014a): Bericht zu Frauen, Ehe, Scheidung und Sorgerecht in Tschetschenien (Islamisierung; häusliche Gewalt; Vergewaltigung; Brautenführung; Waisenhäuser),
http://www.ecoi.net/file_upload/1830_1421055069_bz0414843den-pdf-web.pdf , Zugriff 25.5.2016
- EASO – European Asylum Support Office (9.2014b): Chechnya: Women, Marriage, Divorce and Child Custody, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412929576_2014-10-10-easo-coi-report-chechnya.pdf , Zugriff 25.5.2016
- HRW – Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 – Russia, http://www.ecoi.net/local_link/295447/430479_de.html , Zugriff 25.5.2016
- ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation
Mutterschaftskapital und Kindergeld
2007 stellte die russische Führung einen Maßnahmenkatalog vor, der mit Zuschüssen und Betreuungsplätzen zum einen den Frauen die Mutterschaft ans Herz legt und zum anderen durch bessere medizinische Infrastruktur die Lebensdauer der Russen verlängern soll. Für Mütter ist seither ab dem zweiten Kind das sogenannte Mutterschaftskapital vorgesehen. Umgerechnet rund 7500 € erhalten die Frauen, Mittel die zweckgebunden vom vierten bis zum 25. Geburtstag des Kindes eingesetzt werden müssen. Mit den nicht bar auslösbaren Zertifikaten können Familien in die Ausbildung des Nachwuchses investieren, die eigene Wohnsituation verbessern oder medizinische Versorgung in Anspruch nehmen. Mit den Zertifikaten kann auch die Altersvorsorge der Mutter aufgestockt werden. Darüber hinaus bezahlt der Staat Geburtsprämien, bezuschusst Kindergartenplätze und hat das Elterngeld erhöht. Flankierend hat Moskau den Mutterschutz im Arbeitsmarkt ausgebaut (Wirtschaftsblatt 8.9.2014, vgl. IOM 6.2014; MDZ 17.8.2013). Mütter bekommen eine Zusatzzahlung, das sogenannte Mütterkapital. Dieses Geld ist für bestimmte Zwecke bestimmt, z.B. für die medizinische Behandlung oder die Versorgung von Kindern. Dieses Geld ist vor allem für kinderreiche Frauen, in Tschetschenien gibt es viele davon. Um dieses Geld zu bekommen, müssen tschetschenische Frauen ungefähr Drei Viertel des Geldes als Bestechungsgeld zahlen. Es gibt aber auch Frauen, die überhaupt nichts von diesem Mütterkapital sehen (Gannuschkina 3.12.2014). Das Mutterschaftskapital war zunächst bis Ende 2016 geplant, aufgrund des Erfolgs wird jetzt darüber diskutiert, die zeitliche Beschränkung ganz aufzuheben. Auch soll das Geld für die Geburt des dritten und weiterer Kinder ausgezahlt, sowie alleinerziehende Väter in gleichem Maße gefördert werden, wie Mütter. Wladimir Putin erklärte zum bisher bestehenden Gesetz, das Programm "Mutterschaftskapital" hätte seine Effektivität bewiesen. Allerdings müsse es nach 2016 runderneuert werden, um zielgerechter wirken zu können (MDZ 17.8.2013, vgl. Pension Fund o.D.).
Mutter, Vater oder ein anderer Erziehungsberechtigter kann monatliches Kindergeld erhalten. Kindergeld berechnet sich aus 40% des durchschnittlichen Elterngehaltes, sollte aber nicht unter dem festgesetzten Mindestwert liegen. Seit Januar 2014 beträgt das monatliche Kindergeld (für Kinder jünger als 1,5 Jahre) während des Mutterschaftsurlaubs beim ersten Kind mindestens 2.576 RUB (ca. USD 75) und 5.153 RUB (ca. USD 150) für weitere Kinder. Für arbeitslose Eltern beträgt das monatliche Kindergeld das festgesetzte Minimum. Im September 2013 ist ein neues Bildungsgesetz in Kraft getreten. Laut dem neuen Gesetz ist die Regelung außer Kraft getreten, dass die Kindergartengebühren nicht 20% der laufenden Kosten pro Kind überschreiten dürfen. Dies führte zu einem Anstieg der Kindergartengebühren. In unterschiedlichen Regionen kosten städtische oder staatliche Kindergärten zwischen 3.500 RUB und 9.000 RUB (ca. 102-262 USD). Familien mit einem Kind erhalten mindestens 20% Ausgleich, Familien mit zwei Kindern erhalten eine 50%ige Rückerstattung, Familien mit drei und mehr Kindern eine Kompensation in Höhe von mindestens 70%. Dieses Geld wird auf das Konto eines Elternteils überwiesen. Familien, in denen ein Kind eine Verhaltensstörung aufweist, zahlen keine Gebühren für den Besuch eines staatlichen oder städtischen Kindergartens (IOM 6.2014).
Mutterschaft:
- Mutterschaftsurlaub 140 Tage bei 100% Lohn (70 Tage vor der Geburt, 70 Tage danach)
- Kann auf 194 Tage erhöht werden im Falle von Mehrlingsgeburten oder Komplikationen (84 Tage vor der Geburt)
- Minimum der Mutterschaftshilfe liegt bei 100% des gesetzlichen Mindestlohns bis zu einem Maximum im Vergleich zu einem 40h Vollzeitjob
- 34.583 RUB sollten nicht überschritten werden
- Bis zu 18 Monate nach der Geburt kann die Zahlung insgesamt 40% des Lohns betragen
- Arbeitnehmer können jederzeit wieder zur Arbeit zurückkehren
- Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs bis zu einem Maximum von 3 Jahren ohne Arbeitsplatzverlust möglich
- Verantwortung liegt beim Sozialversicherungsfond (Fond Socialnovo Strahovanya Rosiyskoy Federaciy) (IOM 8.2015)
Quellen:
- Gannuschkina, Swetlana (3.12.2014): UNHCR Veranstaltung "Informationsaustausch über die Lage in der Russischen Föderation/ Nordkaukasus" im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
- IOM – International Organisation of Migration (6.2014):
Länderinformationsblatt Russische Föderation
- IOM – International Organisation of Migration (8.2015):
Länderinformationsblatt Russische Föderation
- MDZ – Moskauer Deutsche Zeitung (17.8.2013): Kritische Tage in der Duma, http://www.mdz-moskau.eu/kritische-tage-der-duma/ , Zugriff 25.5.2016
- Pension Fund oft he Russian Federation (o.D.): Maternity (Family) Capital, http://www.pfrf.ru/en/matcap/ , Zugriff 25.5.2016
- Wirtschaftsblatt (8.9.2014): Die Russen werden wieder mehr, http://wirtschaftsblatt.at/home/meinung/3866502/Die-Russen-werden-wieder-mehr , Zugriff 25.5.2016
Bewegungsfreiheit
Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Jedoch wird der legale Zuzug an vielen Orten durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort und ihren Wohnsitz melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen. Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden. Es ist grundsätzlich möglich, von und nach Tschetschenien ein- und auszureisen und sich innerhalb der Republik zu bewegen. An den Grenzen zu den russischen Nachbarrepubliken befinden sich jedoch nach wie vor Kontrollposten, die gewöhnlich eine nicht staatlich festgelegte "Ein- bzw. Ausreisegebühr" erheben (AA 5.1.2016, vgl. US DOS 13.4.2016, FH 27.1.2016). Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihre Inlandspässe zeigen, wenn sie Tickets kaufen wollen für Reisen via Luft, Schienen, Wasser und Straßen (US DOS 13.4.2016).
Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine administrative Strafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen. Der Inlandspass ermöglicht die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme, die Eröffnung eines Bankkontos, aber auch den Kauf von Bahn- und Flugtickets (AA 5.1.2016).
Nach Angaben des Leiters der Pass- und Visa-Abteilung im tschetschenischen Innenministerium haben alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Inlandspässe erhalten (AA 5.1.2016).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
- FH – Freedom House (27.1.2016): Freedom in the World 2016 – Russia, http://www.ecoi.net/local_link/320151/459381_de.html , Zugriff 25.5.2016
- U.S. Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices for 2015 – Russia, http://www.ecoi.net/local_link/322455/461932_de.html , Zugriff 25.5.2016
Meldewesen
Eine dauerhafte Registrierung wird durch einen Stempel im Inlandspass vermerkt, eine temporäre Registrierung durch einen in den Inlandspass eingelegten Zettel. Für einen Aufenthalt bis zu 90 Tage ist keine Registrierung verpflichtend, jedoch kann es notwendig werden bei einer Dokumentenkontrolle nachzuweisen, dass man sich noch nicht länger als 90 Tage in dem Gebiet aufhält, beispielsweise durch Vorweisen der Busfahrkarte. Wenn jemand ausreist um im Ausland zu leben, so wird dies registriert und in seinem Reisepass vermerkt. Umgangssprachlich wird die Registrierung nach wie vor so genannt, wie das Meldesystem zu Sowjetzeiten: "Propiska" (Russisch:
?????????). Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und ein nachweisbarer Wohnraum (ggf. Bescheinigung des Vermieters). Eine Arbeitsstelle oder Einkommen müssen nicht nachgewiesen werden. Die Registrierung und damit einhergehende Aufgaben fallen in den Zuständigkeitsbereich des Föderalen Migrationsdienstes (FMS), seiner territorialen Behörden (UFMS) und weiterer Behörden für innere Angelegenheiten. 2010 kam es zu einer Vereinfachung des Registrierungsprozesses, insbesondere für temporäre Registrierungen. Für eine solche muss man nunmehr lediglich einen Brief an die lokale Stelle des FMS, also den jeweiligen UFMS, schicken, in dem die vorübergehende Adresse angegeben wird. Man muss nicht mehr persönlich beim UFMS erscheinen. Eine Registrierung ist wie ausgeführt für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem, sowie zum legalen Arbeitsmarkt. Beim FMS in Moskau wurde bestätigt, dass alle Staatsbürger der Russischen Föderation, auch Rückkehrer, am Aufenthaltsort registriert werden. Gesetzlich ist vorgesehen, dass die Registrierung ab Einlangen der Unterlagen bei der zuständigen Behörde drei Tage dauert. Staatsbürger können bei Verwandten unterkommen oder selbstständig einen Wohnraum organisieren. Die föderal-gesetzlichen Regeln für die Registrierung gelten in der gesamten Russischen Föderation einheitlich, werden jedoch regional unterschiedlich angewendet. Korruption soll auch im Bereich der Registrierung in nicht unbeträchtlichem Ausmaß vorkommen, insbesondere in der Hauptstadt Moskau (BAA 12 .2011, vgl. AA 5.1.2016).
Laut einer westlichen Botschaft ist eine Registrierung für alle Personen in Moskau und St. Petersburg im Vergleich zu anderen russischen Städten am schwierigsten zu erlangen. Auch die Korruptionszahlungen sind in Moskau höher. Ebenso ist es in Moskau schwieriger, eine Wohnung zu mieten, die Mieten sind zudem hoch. Auch UNHCR geht davon aus, dass die Registrierung in Moskau für jeden schwierig ist, nicht nur für Tschetschenen. In Mietanzeigen werden Zimmer oft nur für Slawen angeboten. Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence ist es für Tschetschenen leichter, in kleineren Orten als Moskau und St. Petersburg zu leben, jedoch ist es in großen Städten leichter, unterzutauchen. Personen, die Kadyrow fürchten, würden ihren Aufenthalt nicht registrieren lassen. Auch in St. Petersburg werden in Mietanzeigen Wohnungen oft nur für Russen angeboten. Tschetschenen nutzen aber ihre Netzwerke, um Wohnungen zu finden. Einer internationalen Organisation zufolge ist es für jemanden, der einen Machtmissbrauch von lokalen Behörden in einem Föderationssubjekt fürchtet schwierig, einen sicheren Ort in einer anderen Region in Russland zu finden. Ist die Person registriert, ist es für die Behörden leichter, sie zu finden. Laut einem Vertreter des Committee Against Torture sind tschetschenische Familien, die in andere Regionen Russlands kommen, nicht automatisch schweren Rechtsverletzungen ausgesetzt. Öffentlich Bedienstete haben kein Recht, einem Tschetschenen die Registrierung zu verweigern, weshalb im Endeffekt jeder registriert wird. Tschetschenen könnten Diskriminierung durch die Behörden ausgesetzt sein, nicht aber Gewalt. Laut einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence und einer westlichen Botschaft zufolge könnten aber temporäre Registrierungen nur für drei Monate anstatt für ein Jahr ausgestellt werden, weshalb dann die betroffene Person öfter zum Amt kommen muss. Memorial geht davon aus, dass der FMS die Polizei über die Registrierung eines Tschetschenen informieren muss. Zudem verheimlichen Tschetschenen oft ihre Volksgruppenzugehörigkeit, da Annoncen Zimmer oft nur für Russen und Slawen anbieten. Mehrere Quellen gaben an, dass im Zuge der Registrierung vermutlich Bestechungsgeld zu zahlen ist. Es kann vorkommen, dass Personen aus dem Nordkaukasus eine höhere Summe zu zahlen angehalten werden (DIS 8.2012). Im aktuellen FFM Bericht des Danish Immigration Service vom Jänner 2015 wird berichtet, dass es keine größeren Änderungen in Bezug auf die Registrierung gibt. Es gibt eine Neuheit, nämlich dass eine Person in dem Apartment wohnen muss, wo sie registriert ist. Wenn die Person woanders wohnt, könnte der/die Eigentümer/in bestraft werden. Aufgrund dessen könnte es schwieriger sein, den Wohnort zu registrieren. Einige Vermieter möchten auch keine Mieter registrieren, da sie Steuerabgaben vermeiden wollen (DIS 1.2015).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
- BAA Staatendokumentation (12.2011): Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation. Bericht zum Forschungsaufenthalt Russische Föderation – Republik Tschetschenien
- DIS – Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 25.5.2016
- DIS – Danish Immigration Office (8.2012): Chechens in the Russian Federation – residence registration, racially motivated violence and fabricated criminal cases,
https://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf , Zugriff 25.5.2016
Lage von Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb der Republik Tschetschenien
Was die Anzahl von Tschetschenen im Rest des Landes anbelangt, ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen. Laut Volkszählung 2010 lebten etwa in Moskau ca. 14.500 Tschetschenen (von insgesamt 1.4 Mio landesweit). Es ist anzunehmen, dass die tatsächliche Zahl größer ist, insb. wenn man sie mit den Angaben über andere, kleinere Nationalitäten vergleicht (ca. 11.400 Osseten, über 17.000 Mordwinen). Dabei ist auch zu bedenken, dass laut der Statistik fast 700.000 Personen keine Angaben über ihre nationale Zugehörigkeit machten. In den meisten Regionen Russlands lag die Anzahl der Tschetschenen bei der Volkszählung 2010 bei einigen Hundert, größere Gemeinschaften gab es in Dagestan (ca. 93.600), in Inguschetien (ca. 18.700), sowie in den südlichen Regionen Astrachan (ca. 7.200), Wolgograd (fast 10.000), Rostow (ca. 11.500), Stawropol (ca. 12.000), Saratow (ca. 5.700) und im westsibirischen Tjumen (ca. 10.500) (ÖB Moskau 10.2015).
Gemäß Einschätzung verschiedener NGOs greifen Strafverfolgungsbehörden oft auf ein ethnisches "Profiling" zurück. Dieses richte sich besonders gegen Personen aus dem Kaukasus und Zentralasien. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina beschuldigen russische Behörden Personen aus dem Nordkaukasus oft willkürlich für Straftaten, die sie nicht begangen, die sich aber tatsächlich ereignet hätten. Die Ermittler würden eine Straftat so darstellen, dass die Mitschuld der betroffenen Person aus dem Nordkaukasus als erwiesen erscheine. Nach Angaben von Gannuschkina würden dabei auch Geständnisse mittels Folter (Schläge, Elektroschocks, Vergewaltigung oder die Androhung von Vergewaltigung) erpresst. Staatsanwälte unterstützten in der Regel diese Untersuchungen. Die Gerichte würden die Mängel der Untersuchung ignorieren und oft eine unbedingte Strafe verhängen. Laut Gannuschkina versuchen Polizeivertreter, die Zahl von aus dem Nordkaukasus stammenden Personen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsgebieten zu verringern. Die polizeilichen Führungskräfte würden diese Maßnahmen unterstützen. Nach Angaben einer westlichen Botschaft in Moskau aus dem Jahr 2012 kommen fingierte Strafverfahren vor, jedoch nicht in systematischer Weise. Es gebe Berichte, dass insbesondere junge muslimische Personen aus dem Nordkaukasus Opfer solcher Praktiken werden können. Auch die norwegische Landinfo kommt im März 2014 zum Schluss, dass es weiterhin fingierte Strafverfahren gegen Personen aus dem Nordkaukasus und Tschetschenien gebe (SFH 25.7.2014).
Menschenrechtsorganisationen berichten glaubhaft, dass Personen kaukasischer oder zentralasiatischer Herkunft von den Behörden häufig benachteiligt werden. Zu den in jüngerer Zeit bekannt gewordenen Schikanen gehören:
- besondere Sicherheitskontrollen bei der Ein- und Ausreise;
- Personenkontrollen und Wohnungsdurchsuchungen – teils ohne rechtliche Begründung;
- Festnahmen und Strafverfahren aufgrund fingierter Beweise;
- Kündigungsdruck auf Arbeitgeber und Vermieter (AA 5.1.2016).
Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist in den letzten Jahren stark angewachsen (200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben) (AA 5.1.2016).
Laut UNHCR in Moskau gibt es in der gesamten Russischen Föderation tschetschenische Communities. Die größten befinden sich in Moskau, der Region Moskau und in St. Petersburg. Hauptsächlich arbeiten Tschetschenen im Baugewerbe und im Taxibusiness. In der Region Wolgograd leben ca. 20.000 Tschetschenen. Einige von ihnen leben dort schon seit 30 Jahren. Viele flohen aus Tschetschenien während der beiden Kriege. Mittlerweile sind die Zahlen von ankommenden Tschetschenen geringer geworden. 2013 kamen weniger als 500 Tschetschenen in die Region. Die meisten Tschetschenen verlassen die Republik aufgrund der sehr bescheidenen sozio-ökonomischen Aussichten in ihrer Heimatrepublik. Laut Memorial Wolgograd gibt es keine Beschwerden von Tschetschenen in der Region aufgrund von Rassismus oder Diskriminierung. Tschetschenen haben denselben Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem wie alle anderen russischen Staatsbürger. Heutzutage kommen Tschetschenen hauptsächlich zum Zwecke eines Studiums nach Wolgograd. Mittlerweile sind die Lebensbedingungen in Wolgograd nicht so gut wie in Tschetschenien. Dies liegt an den föderalen Fördermittel, die Tschetschenien erhält. Die Bevölkerung in Wolgograd sinkt, während jene in Tschetschenien steigt (DIS 1.2015).
Beträchtliche tschetschenische Gemeinschaften gibt es auch in den Städten und Regionen im südlichen Russland, darunter in Wolgograd, Saratov, Samara und Astrachan. Von den rund 100.000 Tschetschenen, die 1996 nach Moskau flohen, halten sich heutzutage noch rund 25.000 in der Region Moskau auf. Diese haben dort eine dauerhafte Registrierung. Zusätzlich lebt eine große Gruppe von Tschetschenen in Moskau und der Region Moskau, die nicht registriert ist, oder nur vorübergehend registriert ist. Ein großer Anteil der außerhalb Tschetscheniens lebenden Tschetschenen hätte keine Registrierung und arbeitet im Handel, auf Märkten und in Cafes. Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence umfasst die tschetschenische Gemeinde in der Region St. Petersburg 20.000 bis 30.000 Personen. Viele würden auch zu Besuchen oder um Schulen oder Universitäten zu besuchen nach St. Petersburg kommen. Obwohl Rassismus gegenüber Kaukasiern in St. Petersburg vorkomme, ist dieser "nicht unerträglich". Ein ethnischer Tschetschene in St. Petersburg schätzte die Anzahl der Tschetschenen in St. Petersburg selbst auf 13.000. Ein anderer Tschetschene in Moskau gab an, dass die sozioökonomische Lage in Moskau zwar besser sei als in Tschetschenien, aber dass viele Tschetschenen es dennoch schwer hätten, Arbeit zu finden. Einem Vertreter einer NGO zufolge könnte es für einen Tschetschenen schwer sein, in einen anderen Teil der Russischen Föderation zu ziehen, wenn man dort keinerlei Verwandte hat. Jedoch gibt es Tschetschenen in fast allen Regionen Russlands. Das Bestehen einer tschetschenischen Gemeinschaft in einer Region kann Neuankömmlingen zur Unterstützung oder zum Schutz gereichen, es sei denn, es handelt sich um einen Clan-Konflikt. Laut SOVA leben viele Tschetschenen in der Region Stavropol, es gibt viele tschetschenische Studenten an der Universität der Stadt Stavropol. Dies führte bereits zu kleineren Spannungen im Süden der Region. Betreffend rassistisch motivierter Gewalt gibt es keine allein Tschetschenen betreffenden Daten, Tschetschenen gehören hier zur Gruppe der Kaukasier. Es gibt keine Hinweise, dass Tschetschenen mehr als andere ethnische Gruppen aus dem Kaukasus Hassverbrechen zum Opfer fallen. Untererfassung von Hassverbrechen ist gemäß SOVA ein Thema und dürfte im Steigen begriffen sein. Im Verlauf der letzten 10 Jahre konzentrierten sich ultranationalistische Banden bei rassistisch motivierter Gewalt immer mehr auf Zentralasiaten, nicht zuletzt weil sich Kaukasier dieser Gewalt zunehmend widersetzten. IOM bestätigte, dass die Grenze zwischen Tschetschenien und dem restliche Russland völlig offen ist. Zudem gab IOM an, dass es in Russland einen politischen Willen zur Bekämpfung von Hassverbrechen, Diskriminierung und Korruption zu geben scheint. Einer westlichen Botschaft zufolge schenken Strafgerichte heutzutage Hassverbrechen mehr Aufmerksamkeit. Swetlana Gannuschkina und Oleg Orlov (Memorial) gehen davon aus, dass Tschetschenen in andere Regionen Russlands ziehen können, und einige tun dies auch. Ist eine Person nicht offenkundig kritisch gegenüber Kadyrow, so kann diese überall in der Russischen Föderation leben, ohne Angst haben zu müssen getötet oder in die Republik Tschetschenien zurückgeschickt zu werden. Wird eine Person aber tatsächlich von Kadyrow gesucht, so könnte jener die Person überall in der Welt, auch in Kopenhagen, Wien, Dubai oder Moskau finden. Laut einem Anwalt von Memorial könnten Personen in Verbindung mit Oppositionsführern mit hohem Bekanntheitsgrad, aktive Rebellenkämpfer oder bekannte und tatverdächtige Terroristen der Bedrohung einer Entführung oder Tötung durch tschetschenische Behörden ausgesetzt sein. Ein Vertreter der Chechen Social and Cultural Association betrachtet es als unmöglich für die tschetschenischen Behörden, einen low-profile-Unterstützer der Rebellen in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens zu finden (DIS 11.10.2011).
Im Mai/Juni 2012 schätzte eine westliche Botschaft die Anzahl der Tschetschenen in Moskau auf Hunderttausende. Außerhalb Tschetscheniens leben die meisten Tschetschenen in Moskau und der Region Stawropol, eine größere Anzahl an Tschetschenen kann in St. Petersburg, Jaroslawl, Wolgograd und Astrachan gefunden werden. SK-Strategy schätzt die Zahl der in Moskau lebenden Tschetschenen auf 100.000 bis 200.000, rund 70.000 Tschetschenen seien in Moskau registriert, rund 50.000 in Jaroslawl. Die NGO Vainakh Congress schätzt die Zahl der Tschetschenen in der Region St. Petersburg auf 20.000 bis 30.000. Eine zunehmende Anzahl von jungen Kaukasiern studiert an Universitäten in Moskau, diese würden ihre ethnische Zugehörigkeit und Kultur offen zur Schau stellen; gelegentlich käme es zu (auch physischen) Auseinandersetzungen. Einer internationalen Organisation zufolge sind Moskau und St. Petersburg nicht mit anderen Städten Russlands vergleichbar, da dort die Menschen mehr Vorurteile gegenüber Migranten haben. Nicht nur Tschetschenen sind in den großen Städten Diskriminierung ausgesetzt. Die internationale Organisation geht jedoch nicht davon aus, dass im Allgemeinen diese Diskriminierung eine Verfolgung darstellt. Laut einem Vertreter des Committee Against Torture ist Diskriminierung von Tschetschenen durch Behörden (etwa Polizisten) nicht auf einen Erlass oder Befehl der Regierung zurückzuführen, sondern auf persönliche Vorurteile und das Misstrauen einzelner (DIS 8.2012).
Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die tschetschenischen Behörden Unterstützer und Familienmitglieder einzelner Kämpfer auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation suchen und/oder finden würden, was aber bei einzelnen bekannten oder hochrangigen Kämpfern sehr wohl der Fall sein kann (BAA Staatendokumentation 20.4.2011).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
- BAA Staatendokumentation (20.4.2011): Analyse der Staatendokumentation - Russische Föderation - Unterstützer und Familienmitglieder (mutmaßlicher) Widerstandskämpfer in Tschetschenien
- DIS – Danish Immigration Service (11.10.2011): Chechens in the Russian Federation, Report from Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow and St. Petersburg, the Russian Federation, 12 to 29 June 2011, http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/6EC0730B-9F8E-436F-B44F-A21BE67BDF2B/0/ChechensintheRussianFederationFINAL.pdf , Zugriff 25.5.2016
- DIS – Danish Immigration Service (8.2012): Chechens in the Russian Federation – residence registration, racially motivated violence and fabricated criminal cases,
http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf , Zugriff 25.5.2016
- DIS – Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 25.5.2016
- ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation
- SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (25.7.2014): Russland:
Verfolgung von Verwandten dagestanischer Terrorverdächtiger außerhalb Dagestans,
http://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/russland/russland-verfolgung-von-verwandten-dagestanischer-terrorverdaechtiger-ausserhalb-dagestans.pdf , Zugriff 25.5.2016
Gefälschte Dokumente
In Russland kann man jegliche Art von Dokumenten kaufen. Auslandsreisepässe sind schwieriger zu bekommen, aber man kann auch diese kaufen. Es handelt sich bei den Dokumenten oft um echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt. Die Art der Dokumente hierbei können z.B. medizinische Protokolle (medical journals), Führerscheine, Geburtsurkunden oder Identitätsdokumente sein. Ebenso ist es möglich, echte Dokumente mit echtem Inhalt zu kaufen, bei der die Transaktion der illegale Teil ist. Für viele Menschen ist es einfacher, schneller und angenehmer, ein Dokument zu kaufen, um einem zeitaufwändigem Kontakt mit der russischen Bürokratie zu vermeiden. Es soll auch gefälschte "Vorladungen" zur Polizei geben (DIS 1.2015).
Die von den staatlichen Behörden ausgestellten Dokumente sind in der Regel echt und inhaltlich richtig. Dokumente russischer Staatsangehöriger aus den russischen Kaukasusrepubliken (insbesondere Reisedokumente) enthalten hingegen nicht selten unrichtige Angaben. In Russland ist es darüber hinaus auch möglich, Personenstands und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsausweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle, Gerichtsurteile. Häufig sind Fälschungen primitiv und leicht zu identifizieren. Es gibt aber auch Fälschungen, die mit chemischen Mitteln auf Originalvordrucken professionell hergestellt wurden und nur mit speziellen Untersuchungen erkennbar sind (AA 5.1.2016).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
- DIS – Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 25.5.2016
1. Grundversorgung/Wirtschaft
Im August 2015 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland 75,9 Millionen, somit ungefähr 53 % der Gesamtbevölkerung. Die Arbeitslosenrate liegt bei 5,3%. Der Durchschnittslohn im Juni 2015 lag bei 31.100 RUB (EUR 425) (IOM 8.2015).
Die hohen internationalen Energiepreise sorgten 2012 für ein anhaltendes Wirtschaftswachstum. Die Industrieproduktion stieg, allerdings lag der Zuwachs unter den Vorjahreswerten. Die Arbeitslosenrate sank zwischen 2010 und 2012 von 7,2% auf 5,4% und die Durchschnittslöhne lagen 2011 und 2012 deutlich höher als vor der Finanzkrise 2008/9. Während 2012 für Russland insgesamt also zufriedenstellend verlief, war 2013 wegen der Konjunkturschwäche im Euro-Raum und der weltweit gesunkenen Rohstoffpreise schwach. Nach einem Plus von 3,4% im Jahr 2012, kam es für 2013 nur noch zu einem leichten Wachstum von 1,3%. Das Land ist in eine Phase anhaltender wirtschaftlicher Stagnation getreten. Gleichzeitig stieg Russland im Ranking von "Doing Business" von Platz 112 in 2012 über Platz 92 in 2013 und Platz 64 in 2014 auf Platz 51 in 2016. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund zehn Prozent des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland der VR China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2016 den 153. Platz unter 178 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen, die Inflationsrate betrug Ende 2015 ca 15%. 2015 gerät die russische Wirtschaft in eine schwere Rezession. Nach dem BIP-Rückgang um 3,7% 2015 prognostiziert die russische Zentralbank für 2016 einen weiteren BIP-Rückgang um 1,0%. (GIZ 4.2016b).
Quellen:
- GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2016b): Russland, Wirtschaft und Entwicklung, http://liportal.giz.de/russland/wirtschaft-entwicklung/#c17548 , 24.5.2016
- IOM – International Organisation of Migration (8.2015):
Länderinformationsblatt Russische Föderation
Nordkaukasus
Die nordkaukasischen Republiken ragen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 4.2016a).
Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Im Mai 2014 wurde ein neues Ministerium für die Angelegenheiten des Nordkaukasus geschaffen und der bevollmächtigte Vertreter des Präsidenten im Nordkaukasischen Föderalbezirk Alexander Chloponin, durch den früheren Oberbefehlshaber der Vereinigten Truppen des Innenministeriums im Nordkaukasus, Generalleutnant Sergej Melikov, ersetzt (ÖB Moskau 10.2015).
Der Kreml verfolgt seit einigen Jahren einen Ansatz, der auf regionale wirtschaftliche Entwicklung setzt und viele der Republiken im Nordkaukasus – allen voran Tschetschenien – haben durch zahlreiche Verwaltungs- und Finanzreformen heute mehr Unabhängigkeit als Anfang der 1990er Jahre jemals anzunehmen gewesen wäre. Auch der Tourismus soll in der landschaftlich attraktiven Region helfen, die Spirale aus Armut und Gewalt zu durchbrechen, wie insbesondere in der Entscheidung, die olympischen Winterspiele 2014 im unweit der Krisenregion gelegenen Sotschi auszutragen, deutlich wird. Zudem profitieren einige Teilrepubliken von Rohstoffvorkommen und so lassen sich auch einige sichtbare Zeichen von wirtschaftlichem Aufschwung und Wiederaufbau im Nordkaukasus ausmachen. Als beispielhaft dafür steht unter anderem die tschetschenische Hauptstadt Grosny, die nach ihrer fast völligen Zerstörung heute durchaus auflebt. Die schlechte Sicherheitslage und ein weit gestricktes Netzwerk aus Korruption, die zu einem wesentlichen Teil von den Geldern des russischen Zentralstaats lebt, blockieren aber eine umfassende und nachhaltige Entwicklung des Nordkaukasus. Das grundlegende Problem liegt in der russischen Strategie, den Konflikt durch die Übertragung der Verantwortung an lokale Machtpersonen mit zweifelhaftem Ruf zu entmilitarisieren. Deren Loyalität zu Moskau aber basiert fast ausschließlich auf erheblichen finanziellen Zuwendungen und dem Versprechen der russischen Behörden, angesichts massiver Verstrickungen in Strukturen organisierter Kriminalität beide Augen zuzudrücken. Ein wirksames Aufbrechen dieses Bereicherungssystems jedoch würde wiederum die relative Stabilität gefährden. Nachhaltige Entwicklungsfortschritte bleiben deshalb bislang weitgehend aus und insbesondere die hohe regionale Arbeitslosigkeit bildet einen Nährboden für neue Radikalisierung. Um dem zu begegnen und den islamistischen Militanten den ideologischen Nährboden zu entziehen, hat die russische Regierung Initiativen in Medien gestartet und in Zusammenarbeit mit lokalen Behörden Programme zur De-Radikalisierung und zum interkulturellen Dialog entwickelt. Der langfristige Erfolg solcher Maßnahmen bleibt dabei abzuwarten, in jedem Fall aber wird seitens Moskau versucht dem Nordkaukasus eine Perspektive zu schaffen (Zenithonline 10.2.2014).
Quellen:
- GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2015a): Russland, Geschichte, Staat und Politik, http://liportal.giz.de/russland/geschichte-staat/#c17900 , Zugriff 25.5.2016
- ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation
- Zenithonline (10.2.2014): Speznaz, Spiele und Korruption, http://www.zenithonline.de/deutsch/politik/a/artikel/speznaz-spiele-und-korruption-004017/ , Zugriff 25.5.2016
Tschetschenien
Die wirtschaftliche Situation in Tschetschenien hat sich aufgrund massiver Transferzahlungen aus dem föderalen Budget in den letzten Jahren stabilisiert. Laut der Zeitung RBK Daily wurden seit 2001 rund 464 Mrd. Rubel (ca. 14 Mrd. USD) in den Wiederaufbau der Republik investiert. Obwohl die föderalen Zielprogramme für die Region mittlerweile ausgelaufen sind, bestehen noch immer über 85% des Budgets der Republik aus Direktzahlungen aus Moskau. Offiziell vermeldete Tschetschenien 2014 ein Wachstum von 7.8%, eine Steigerung von über 23% der Industrieproduktion sowie eine Erhöhung der Landwirtschaftsproduktion von 2.2%. Die Arbeitslosenquote betrug laut offiziellen Statistiken der Republik in der 1. Hälfte 2015 rund 15.2%, was von Experten jedoch als zu niedrig angezweifelt wird. Der monatliche Durchschnittslohn in Tschetschenien liegt bei 21.703 Rubel (landesweit: 31.200 Rubel), die durchschnittliche Rentenhöhe bei 10.460 Rubel (landesweit: 10.919 Rubel). Die Höhe des Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung ist mit 7.471 Rubel pro Monat festgelegt (landesweit: 8.900 Rubel), für Rentner mit 5.799 Rubel (landesweit: 6.800 Rubel) und für Kinder mit 5.949 Rubel (landesweit: 7.800 Rubel). Korruption ist nach wie vor weit verbreitet und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Laut einem rezenten Bericht der International Crisis Group gibt es glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrovs Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Charity-Projekte, Kritiker werfen ihm jedoch vor, als Vehikel zur persönlichen Bereicherung Kadyrovs und der ihm nahestehenden Gruppen zu dienen. Selbst die nicht als regierungskritisch geltende Tageszeitung "Kommersant" bezeichnete den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 10.2015).
Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich dank großer Zuschüsse aus dem russischen Föderalen Budget nach Angaben von internationalen Hilfsorganisationen seit 2007 verbessert – ausgehend von sehr niedrigem Niveau. Die Durchschnittslöhne in Tschetschenien liegen spürbar über denen in den Nachbarrepubliken. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens Grosny ist inzwischen dank föderaler Gelder fast vollständig wieder aufgebaut. Gleichwohl bleiben Arbeitslosigkeit und daraus resultierende Armut der Bevölkerung das größte soziale Problem. Der Schulbesuch ist grundsätzlich möglich und findet unter zunehmend günstigen materiellen Bedingungen statt. Nach Angaben der Vereinten Nationen entspricht die Anzahl der Lehrer wieder dem Niveau vor den Tschetschenienkriegen, allerdings sei die Versorgung mit Lernmitteln häufig noch unzureichend. Wohnraum bleibt ein Problem. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wurden in den Tschetschenienkriegen seit Anfang der neunziger Jahre über 150.000 private Häuser sowie ca. 73.000 Wohnungen zerstört. Die Auszahlung von Kompensationsleistungen für kriegszerstörtes Eigentum ist noch nicht abgeschlossen. Problematisch ist auch in diesem Zusammenhang die Korruption (es wird davon ausgegangen, dass 30-50% gewährter Kompensationssummen als Schmiergelder gezahlt werden müssen) (AA 5.1.2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
- ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation
Sozialbeihilfen
Russland hat ein grundlegendes Sozialsystem, welches Renten verwaltet und Hilfe für gefährdete Bürger gewährt (IOM 8.2015). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem Staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Die Rentenreform sieht die Gründung der nichtstaatlichen Rentenfonds vor, die neben der Grundversicherung einen zusätzlichen privaten Teil der Rente ermöglichen. Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 3.2016c).
Das Ministerium für Gesundheit und Soziales setzt die staatliche Unterstützung für sozial bedürftige Gruppen in der Praxis um. Vor allem die soziale Fürsorge für Familien, alte Menschen, Invaliden und Waisen soll gefördert werden. Personen, die soziale Unterstützung erhalten können:
- Invaliden und Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges;
- Invaliden und Veteranen militärischer Operationen
- Invaliden mit Behinderung I., II. und III. Grades
- Ehemalige minderjährige Insassen von Konzentrationslagern
- Kinder mit Behinderung
Arbeitsveteranen
- Arbeiter der Heimatfront (Großer Vaterländischer Krieg)
- Invaliden als Folge der Tschernobyl-Katastrophe
- Menschen, die unter gesundheitlichen Folgen von Verstrahlung leiden
- Menschen die aus der Evakuierungszone der Tschernobyl-Katastrophe evakuiert wurden
- Kinder deren Eltern unter der Verstrahlung der Tschernobyl-Katastrophe leiden
- Beteiligte der Tschernobyl-Unfallfolgenbeseitigung
- Opfer politischer Repressionen
- Personen, die sich um das Land verdient gemacht haben ("Helden der Sowjetunion und Russland" etc.) (IOM 6.2014)
Es gibt weitere Kategorien, die auf verschiedenen Rechtsgrundlagen oder unter bestimmten Programmen, die von regionalen Behörden geleitet werden, anspruchsberechtigt sind. Personen der o.g. Kategorien erhalten eine monatliche Zahlung und soziale Beihilfe, einschließlich:
- ärztlich verschriebene Medikamente
Sanatoriumsaufenthalt
- Ausgaben im Nahverkehr (kostenfreie Fahrten im Nahverkehr am Wohnort (nicht in allen Regionen); Schienenverkehr in Vororte, Langstreckenreisen zu und von der Behandlungsstätte) (IOM 6.2014)
Invaliden zahlen nur die Hälfte der öffentlichen Nebenkosten und haben die Möglichkeit, in besonderen Ausbildungseinrichtungen zu lernen. Um die oben aufgeführten Leistungen erhalten zu können, müssen Personen, die den genannten Kategorien angehören, Dokumente vorlegen, die die Zugehörigkeit zur entsprechenden Gruppe offiziell bestätigen (IOM 6.2014).
MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, denen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt wird:
- Kinder (unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen für Familien mit Kindern);
- Großfamilien (Ausstellung einer Großfamilienkarte, unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen, Rückerstattung von Nebenkosten (Wasser, Gas, Elektrizität, etc.);
- Familien mit geringem Einkommen;
- Studenten, Arbeitslose, Pensionisten, Angestellte spezialisierter Institutionen und Jungfamilien (BDA 31.3.2015).
Renten
- Personen im Rentenalter (55 Jahre für Frauen und 60 Jahre für Männer) mit mindestens fünfjährigem Versicherungseintrag haben Recht auf Altersrente
- Frühzeitige Rente ist offen im Falle von gefährlicher oder beschwerlicher Arbeit, Arbeit in nördlichen Gebieten, für Mütter von fünf Kindern oder mehr
- Hinterbliebene eines verstorbenen Arbeiters haben Recht auf Hinterbliebenenrente
- Begünstigte sind behinderte Witwen, Witwen älter als 55, Arbeitslose, die sich um Kinder unter 14 Jahren kümmern oder behinderte Kinder bis zu 18 Jahren, sowie weitere Angehörige eines verstorbenen Hauptverdieners
- Rente unabhängig von Todesursache oder Beitragszeit gewährt (IOM 8.2015).
Familienhilfe:
Die Regierung will die Bevölkerungszahl erhöhen. Daher erhalten
Familien mit drei oder mehr Kindern folgende Begünstigungen:
- Rabatt für Betriebskosten in Höhe von maximal 30% (Heizung, Wasser, Abwasser Gas, Strom)
- Großfamilien mit Kindern unter 6 Jahren erhalten kostenlose, verschreibungspflichtige Medikamente, sowie Behandlung in Kliniken und Vorrang in Sanatorien/Gesundheitszentren
- Großfamilien mit Bedarf für eine bessere Wohnsituation können kostenlose Unterkunft beantragen
- Großfamilien können Kredite für Hausbau/kauf erhalten
- Großfamilien, die einen Bauernhof führen wollen, erhalten steuerliche Vorzüge, sowie materielle Hilfe oder zinsfreie Darlehen
- Arbeitgeber gewähren Großfamilien Vorzüge
- Frauen mit fünf oder mehr Kindern, die diese bis zum Alter von acht Jahren aufgezogen haben, können frühzeitig im Alter von 50 Jahren in Rente gehen, sofern sie über 15 Jahre versichert waren
- Frauen mit zwei oder mehr Kindern, können mit 50 in Rente gehen, wenn sie für mindestens 20 Jahre versichert waren und mindestens zwölf Jahre im Norden oder 17 Jahre in vergleichbaren Regionen gearbeitet haben
- Zahlungen an Großfamilien zur Geburt, Zuschuss für zweites Kind und die folgenden liegt monatlich bei 4907 RUB 85 Kopeke im Jahr 2003
- Kompensationszahlungen im Zusammenhang mit den Kosten für die Erziehung:
- 3-4 Kinder - 600 RUB für jedes Kind unter 16 (oder unter 18 wenn das Kind an einer Bildungseinrichtung eingeschrieben ist)
- fünf oder mehr Kinder - 750 RUB für jedes Kind unter 16 (oder unter 18 wenn das Kind an einer Bildungseinrichtung eingeschrieben ist)
- Für Großfamilien mit fünf oder mehr Kindern 900 RUB für die ganze Familien zum Kauf von Sachen
- Monatliche Kompensationszahlungen für Essenskosten für Kinder unter drei Jahren in Höhe von 675 RUB (IOM 8.2015).
Behinderung
- Arbeitnehmer mit Behindertenstatus haben Recht auf Behindertenrente
- Unabhängig von Schwere der Behinderung, Beitragsdauer und Arbeitsstatus
- Bezahlt für die Dauer der Behinderung oder bis zum Erreichen des normalen Rentenalters (IOM 8.2015).
Wohnungswesen
Bürger ohne Unterkunft oder mit unzumutbarer Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Apartments beantragen
- Wartezeit von mehreren Jahre oder Dekaden
- Lokale Behörden bestimmen die Voraussetzungen und notwendigen Unterlagen (IOM 8.2015).
Arbeitslosenhilfe
Im Nordkaukasus besteht die höchste Arbeitslosenquote des Landes. Arbeitslose (mit Ausnahme von Schülern, Studenten und Rentnern) können sich bei den Arbeitsagenturen arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Die Arbeitsagentur wird innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Lehnt der Bewerber die Stellen ab, wird er als arbeitslos eingetragen. Die Arbeitslosenhilfe basiert auf Durchschnittslohn der letzten Arbeit und ist auf ein Minimum und Maximum von der russischen Gesetzgebung begrenzt. Seit 2009 ist das Minimum RUB 850 (USD 15) pro Monat und das Maximum RUB 4.900 (USD 82). Die Förderung wird monatlich ausgezahlt, sofern der Begünstigte die notwendigen Verfahren der Neubewerbung (gewöhnlich zweimal im Monat) nach den Bedingungen der Arbeitsagentur durchläuft. Notwendige Unterlagen und Dokumente sind ein Reisepass oder ein gleichwertiges Dokument und ein Arbeitsbuch oder eine Kopie, die Lohnbescheinigung des letzten Jahres, die Steueridentifikationsnummer (INN certificate), der Rentenversicherungsausweis und Dokumente zum Nachweis der Ausbildung und Berufserfahrung (IOM 8.2015).
Unterbrechung der Arbeitslosenhilfe in folgenden Fällen:
- Zwei vorgeschlagene, passende Arbeitsangebote abgelehnt
- Bezahlter Staatsdienst nach drei Monaten abgelehnt
- Vorgeschlagene Trainings der Arbeitsagentur abgelehnt
- Beendigung der Arbeit aufgrund von disziplinarischen Verstößen
- Abbrechen von vorgeschlagenen Trainings
- Neubewerbungsverfahren nicht durchlaufen (IOM 8.2015).
Quellen:
- BDA – Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI
- GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2016c): Russland, Gesellschaft, http://liportal.giz.de/russland/gesellschaft/ , Zugriff 25.5.2016
- IOM – International Organisation of Migration (6.2014):
Länderinformationsblatt Russische Föderation
- IOM – International Organisation of Migration (8.2015):
Länderinformationsblatt Russische Föderation
Krankenversicherung
Seit dem 1. Januar 2011 gibt es ein neues Gesetz über die Krankenpflichtversicherung. Vor dem 1. Mai 2011 gab es in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Krankenversicherungen, danach traten neue Regeln für den Abschluss einer universellen Krankenversicherung in Kraft. Die Änderung der Krankenversicherungen tritt nach und nach in den einzelnen Regionen in Kraft. Die versicherten Personen sollen medizinische Versorgung in Gesundheitszentren kostenfrei erhalten mit sowohl den alten als auch den neuen Krankenversicherungen. Die alten Krankenversicherungen bleiben so lange in Kraft, bis sie durch die neue Versicherung ersetzt werden, egal welche Gültigkeitsdauer auf der alten Krankenversicherung angegeben ist. Es gibt keine Richtlinie, die die Dauer des Austausches der Krankenversicherungen festlegt. Wenn jetzt ein Versicherungsnehmer seinen Job wechselt oder verlässt, bleibt die Versicherung gültig und es ist nicht notwendig, eine neue Versicherung abzuschließen. Im Rahmen der Krankenpflichtversicherung (OMS) können russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen, die durch staatliche Finanzmittel, Versicherungsbeiträge und andere Quellen finanziert wird (IOM 6.2014).
Kostenfreie Versorgung umfasst folgendes:
* Notfallbehandlung
* Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken
* Stationäre Behandlung
* Teilweise kostenfreie Medikamente (IOM 8.2015)
Jede OMS-registrierte Person hat eine Krankenversicherung mit einer individuellen Nummer, wodurch ihnen der Zugang zur kostenfreien medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation garantiert wird; unabhängig von ihrem Wohnort. Bei der Anmeldung in einer Klinik muss zunächst die Versicherungsbescheinigung vorgelegt werden, es sei denn, es handelt sich um einen Notfall. Die Notfallbehandlung kann von allen russischen Staatsbürgern kostenlos in Anspruch genommen werden, unabhängig davon ob sie krankenversichert sind oder nicht. Um eine Krankenversicherung zu erhalten, müssen die Bürger an eine der Krankenversicherungen einen Antrag stellen und die folgenden Dokumente vorlegen: Antrag, Identifikationsdokument (für Erwachsene über 14 Jahre ein Reisepass oder vorläufiger Ausweis, für Kinder die Geburtsurkunde und den Pass bzw. vorläufigen Ausweis des Erziehungsberechtigten) und u.U. die Versicherungspolice der Rentenpflichtversicherung. Die Aufnahme in die Krankenversicherung sowie die Erneuerung sind kostenfrei. Für Kinder bis einschließlich 14 Jahren existiert ein gesondertes System der kostenlosen medizinischen Versorgung, sofern eine Registrierung in der Krankenpflichtversicherung (OMS) vorliegt. Kinder, die älter als 14 sind werden in der Regel in medizinischen Einrichtungen für Erwachsene behandelt. Einige Kliniken (staatliche und private) bieten kostenlose medizinische Konsultationen über das Internet an. Ausländische Staatsbürger haben in Russland nur Zugang zur medizinischen Grundversorgung, d.h. zur notfallmedizinischen Behandlung. Darüber hinausgehende Behandlungen werden in Rechnung gestellt und sind entweder durch direkte Zahlung an die jeweilige Klinik oder gegebenenfalls über die Krankenversicherung des Ausländers zu begleichen. Medizinische Versorgung gegen Bezahlung wird von privaten Gesundheitseinrichtungen unabhängig von der jeweiligen Staatsangehörigkeit angeboten. Umfragen zufolge haben 35% der Bevölkerung eine medizinische Serviceleistung gegen Bezahlung bereits in Anspruch genommen. Aufgrund der hohen Kosten kann der Großteil der Bevölkerung von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch machen. Neben der geschilderten Krankenpflichtversicherung können sowohl russische Staatsbürger als auch Ausländer gegen Bezahlung eine Freiwillige Krankenversicherung (DMS) abschließen, die immer weiter verbreitet ist. Ein Netz von Versicherungsgesellschaften bietet die entsprechenden Dienstleistungen an, wobei die Kosten für eine Versicherung - je nach Ruf der Versicherung und des gebotenen Servicepakets - zwischen 400 und mehreren tausend USD liegen können. Die meisten Versicherungsgesellschaften bevorzugen die Zusammenarbeit mit juristischen Personen. In den vergangenen zehn Jahren sind jedoch zunehmend Versicherungsprogramme für Privatpersonen aufgelegt worden (IOM 6.2014).
Quellen:
- IOM – International Organisation of Migration (6.2014):
Länderinformationsblatt Russische Föderation
- IOM – International Organisation of Migration (8.2015):
Länderinformationsblatt Russische Föderation
Medizinische Versorgung
Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert. Russland weist zwar im internationalen Vergleich eine vergleichsweise hohe Anzahl der Ärzte und der Krankenhäuser pro Kopf der Bevölkerung auf, das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt aber ineffektiv (GIZ 3.2016c). Die Einkommen des medizinischen Personals sind noch immer vergleichsweise niedrig. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist. Infektionskrankheiten wie Tuberkulose und insbesondere HIV/AIDS, breiten sich weiter aus. In den letzten Jahren wurden in die Modernisierung des Gesundheitswesens erhebliche Geldmittel investiert. Der aktuelle Kostendruck im Gesundheitswesen führt aber dazu, dass viele Krankenhäuser geschlossen werden (AA 3 .2016a, vgl. GIZ 3.2016c). In Moskau, St. Petersburg und einigen anderen Großstädten gibt es einige meist private Krankenhäuser, die hinsichtlich der Unterbringung und der technischen und fachlichen Ausstattung auch höheren Ansprüchen gerecht werden. Notfallbehandlungen in staatlichen Kliniken sind laut Gesetz grundsätzlich kostenlos. Die Apotheken in den großen Städten der Russischen Föderation haben ein gutes Sortiment, wichtige Standardmedikamente sind vorhanden. Medikamentenfälschungen mit unsicherem Inhalt kommen allerdings vor (AA 25.5.2016b).
Im Bereich der medizinischen Versorgung von Rückkehrern sind der Botschaft keine Abweichungen von der landesweit geltenden Rechtslage bekannt. Seit Jänner 2011 ist das "Föderale Gesetz Nr. 326-FZ über die medizinische Pflichtversicherung in der Russischen Föderation" vom November 2010 in Kraft und seit Jänner 2012 gilt das föderale Gesetz Nr. 323-FZ vom November 2011 über die "Grundlagen der medizinischen Versorgung der Bürger der Russischen Föderation". Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" garantierten Umfang. Von diesem Programm sind alle Arten von medizinischer Versorgung (Notfallhilfe, ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, spezialisierte Eingriffe) erfasst. Kostenpflichtig sind einerseits Serviceleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind). Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist. Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Anstalt und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. In der ausgewählten Organisation können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbständig, falls mehrere medizinische Anstalten zur Auswahl stehen. Das territoriale Prinzip sieht vor, dass die Zuordnung zu einer medizinischen Anstalt anhand des Wohn-, Arbeits-, oder Ausbildungsorts erfolgt. Das bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen, als dem "zuständigen" Krankenhaus, bzw. bei einem anderen, als dem "zuständigen" Arzt, kostenpflichtig ist. Selbstbehalte sind nicht vorgesehen. Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung, sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise durchaus erwartet wird (ÖB Moskau 10.2015).
Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der "Nationalen Projekte", die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert (GIZ 3.2016c).
Medizinische Versorgung gibt es bei staatlichen und privaten Einrichtungen. Staatsbürger haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu kostenfreier medizinischer Versorgung. Vorausgesetzt für OMS (OMS-Karte) sind gültiger Pass, Geburtsurkunde für Kinder unter 14 Jahren; einzureichen bei der nächstliegenden Krankenversicherungsfirma. Sowohl an staatlichen, wie auch privaten Kliniken bezahlte medizinische Dienstleistungen verfügbar; direkte Zahlung an Klinik oder im Rahmen von freiwilliger Krankenversicherung (Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 8.2015).
Kostenfreie Versorgung umfasst folgendes:
* Notfallbehandlung
* Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken
* Stationäre Behandlung
* Teilweise kostenfreie Medikamente (IOM 8.2015)
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (3.2016a): Russische Föderation – Innenpolitik,
http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html , Zugriff 25.5.2016
- AA – Auswärtiges Amt (25.5.2016b): Russische Föderation – Reise- und Sicherheitshinweise,
http://www.auswaertiges-amt.de/sid_93DF338D07240C852A755BB27CDFE343/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html , Zugriff 25.5.2016
- GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2016c): Russland, Gesellschaft, http://liportal.giz.de/russland/gesellschaft/ , Zugriff 25.5.2016
- IOM – International Organisation of Migration (8.2015):
Länderinformationsblatt Russische Föderation
- ÖB Moskau (10.2014): Asylländerbericht Russische Föderation
Tschetschenien
Zur aktuellen Lage der medizinischen Versorgung liegen unterschiedliche Einschätzungen vor. Nach Angaben des IKRK soll die Situation der Krankenhäuser für die medizinische Grundversorgung inzwischen das durchschnittliche Niveau in der Russischen Föderation erreicht haben. Problematisch bleibt laut IKRK die Personallage im Gesundheitswesen, da viele Ärzte und medizinische Fachkräfte Tschetschenien während der beiden Kriege verlassen haben (AA 5.1.2016).
Das Gesundheitssystem in Tschetschenien wurde seit den zwei Kriegen großteils wieder aufgebaut. Die Krankenhäuser sind neu und die Ausrüstung modern, jedoch ist die Qualität der Leistungen nicht sehr hoch aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal (Landinfo 26.6.2012).
Es ist sowohl primäre, als auch spezialisierte Gesundheitsversorgung verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand, als in den Nachbarrepubliken, da viele erst vor kurzem erbaut worden sind. Laut föderalem Gesetz werden bestimmte Medikamente kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, schwangere Frauen und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015, vgl. hierzu auch Kapitel 24.7 Medikamente).
Die Einkommen des medizinischen Personals liegen unter dem Durchschnitt. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (AA 3 .2016a). Falls z.B. innerhalb der Familie nicht genügend Geld für eine teure Operation vorhanden ist, kann man sich an eine in der Clanstruktur höher stehende Person wenden. Aufgrund bestehender Clanstrukturen sind die Familien in Tschetschenien finanziell besser abgesichert als in anderen Teilen Russlands (BAMF 10.2013).
Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land, ist es – wie für alle Bürger der Russischen Föderation – auch für Tschetschenen möglich, bei Krankheiten, die in Tschetschenien nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl. dazu Kapitel 21. Bewegungsfreiheit/Meldewesen). Krebsbehandlung wurde zum größten Teil außerhalb der Republik Tschetschenien gemacht, jedoch wurde kürzlich ein onkologisches Krankenhaus fertiggestellt mit dem man bald Chemotherapie, Strahlentherapie und Operationen durchführen möchte. Im letzten Jahr wurden insgesamt ca. 3.000 Patienten zu unterschiedlichen Behandlungen in Krankenhäuser in anderen Republiken geschickt (DIS 1.2015).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
- AA – Auswärtiges Amt (3.2016a): Russische Föderation – Innenpolitik,
http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html , Zugriff 27.5.2016
- BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013):
Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg
- DIS – Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation – residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 27.5.2016
- Landinfo (26.6.2012): Chechnya and Ingushetia: Health services, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1363793751_2322-1landinfo.pdf , Zugriff 27.5.2016
Gesundheitseinrichtungen in Tschetschenien
Gesundheitseinrichtungen, die die ländlichen Gebiete Tschetscheniens abdecken sind "Achkhoy-Martan RCH" (regional central hospital), "Vedenskaya RCH", "Grozny RCH", "Staro-Yurt RH" (regional hospital), "Gudermessky RCH", "Itum-Kalynskaya RCH", "Kurchaloevskaja RCH", "Nadterechnaye RCH", "Znamenskaya RH", "Goragorsky RH", "Naurskaya RCH", "Nozhai-Yurt RCH", "Sunzhensk RCH", Urus-Martan RCH", "Sharoy RH", "Shatoïski RCH", "Shali RCH", "Chiri-Yurt RCH", "Shelkovskaya RCH", "Argun municipal hospital N° 1" und "Gvardeyskaya RH" (BDA CFS 31.3.2015).
Gesundheitseinrichtungen, die alle Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind: "The Republican hospital of emergency care" (former Regional Central Clinic No. 9), "Republican Centre of prevention and fight against AIDS", "The National Centre of the Mother and Infant Aymani Kadyrova", "Republican Oncological Dispensary", "Republican Centre of blood transfusion", "National Centre for medical and psychological rehabilitation of children", "The Republican Hospital", "Republican Psychiatric Hospital", "National Drug Dispensary", "The Republican Hospital of War Veterans", "Republican TB Dispensary", "Clinic of pedodontics", "National Centre for Preventive Medicine", "Republican Centre for Infectious Diseases", "Republican Endocrinology Dispensary", "National Centre of purulent-septic surgery", "The Republican dental clinic", "Republican Dispensary of skin and venereal diseases", "Republican Association for medical diagnostics and rehabilitation", "Psychiatric Hospital ‘Samashki’, "Psychiatric Hospital ‘Darbanhi’", "Regional Paediatric Clinic", "National Centre for Emergency Medicine", "The Republican Scientific Medical Centre", "Republican Office for forensic examination", "National Rehabilitation Centre", "Medical Centre of Research and Information", "National Centre for Family Planning", "Medical Commission for driving licenses" und "National Paediatric Sanatorium ‘Chishki’" (BDA CFS 31.3.2015).
Städtische Gesundheitseinrichtungen in Grosny sind: "Clinical Hospital N° 1 Grozny", "Clinical Hospital for children N° 2 Grozny", "Clinical Hospital N° 3 Grozny", "Clinical Hospital N° 4 Grozny", "Hospital N° 5 Grozny", "Hospital N° 6 Grozny", "Hospital N° 7 Grozny", "Clinical Hospital N° 10 in Grozny", "Maternity N° 2 in Grozny", "Polyclinic N° 1 in Grozny", "Polyclinic N° 2 in Grozny",
"Polyclinic N° 3 in Grozny", "Polyclinic N° 4 in Grozny",
"Polyclinic N° 5 in Grozny", "Polyclinic N° 6 in Grozny",
"Polyclinic N° 7 in Grozny", "Polyclinic N° 8 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 1", "Paediatric polyclinic N° 3 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 4 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 5", "Dental complex in Grozny", "Dental Clinic N° 1 in Grozny", "Paediatric Psycho-Neurological Centre", "Dental Clinic N° 2 in Grozny" und "Paediatric Dental Clinic of Grozny" (BDA CFS 31.3.2015).
Quellen:
- BDA – Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI
Dagestan
In Dagestan stehen der Bevölkerung 36 zentrale Bezirkskrankenhäuser (3979 Betten), drei Bezirkskrankenhäuser (215 Betten), 102 Lokalkrankenhäuser (1970 Betten), vier Dorfkrankenhäuser (180 Betten), fünf zentrale Bezirkspolykliniken, 175 ärztliche Ambulanzen und 1076 ambulante Versorgungspunkte zur Verfügung. Spezialisierte medizinische Hilfe erhält man in zehn städtischen und 48 republikanischen Prophylaxe- und Heileinrichtungen. Es gibt fünf Sanatorien für Kinder, zwei Kinderheime, drei Bluttransfusionseinrichtungen, sowie sieben selbstständige Notdienste und 50 Notdienste, die in andere medizinische Einrichtungen eingegliedert sind (IOM 6.2014).
Quellen:
- IOM – International Organisation of Migration (6.2014):
Länderinformationsblatt Russische Föderation
Behandlungsmöglichkeiten von psychiatrischen Krankheiten (z.B. PTBS, Depressionen, akutes Stresssyndrom, Panische Störungen, Schizophrenie etc.)
Psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Behandlungen durch einen Psychologen/Psychiater sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Es gibt auch psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgedanken z.B. im Psychiatric Clinical Hospital #1 in Moskau (BMA 7754).
Posttraumatische Belastungsstörung ist in der gesamten Russischen Föderation behandelbar. Z.B. im Alexeevskaya (Kacshenko) hospital, Zagorodnoye shosse 2, Moscow (BMA 6051). Dies gilt unter anderem auch für Tschetschenien z.B. im Republican Psychoneurological Dispenser, Verkhoyanskaya Str. 10, Grosny (BMA 6551, vgl. BMA 7979).
Wie in anderen Teilen Russlands werden auch in Tschetschenien mentale Krankheiten hauptsächlich mit Medikamenten behandelt, und es gibt nur selten eine Therapie. Die Möglichkeiten für psychosoziale Therapie oder Psychotherapie sind aufgrund des Mangels an notwendiger Ausrüstung, Ressourcen und qualifiziertem Personal in Tschetschenien stark eingeschränkt. Es gibt keine spezialisierten Institutionen für PTBS, jedoch sindt follow-up und Psychotherapie möglich. Ambulante Konsultationen und Krankenhausaufenthalte sind im Republican Psychiatric Hospital of Grozny für alle in Tschetschenien lebende Personen kostenlos. Auf die informelle Zuzahlung wird hingewiesen. Üblicherweise zahlen Personen für einen Termin wegen psychischen Problemen zwischen 700-2000 Rubel. Bei diesem Krankenhaus ist die Medikation bei stationärer und ambulanter Behandlung kostenfrei (BDA 31.3.2015).
Während es in Moskau unterschiedliche Arten von Therapien gibt (kognitive Verhaltenstherapie, Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen (EMDR) und Narrative Expositionstherapie), um PTSD zu behandeln (BMA 7980), gibt es in Tschetschenien nur Psychotherapie und diese in eingeschränktem Maß (BMA 7979). Diverse Antidepressiva sind aber in der gesamten Russischen Föderation verfügbar (BMA 7754, BMA 7979).
Quellen:
- MedCOI (11.3.2015): BMA 6551
- MedCOI (7.11.2014): BMA 6051
- MedCOI (1.4.2016): BMA 7979
- MedCOI (1.4.2016): BMA 7980
- MedCOI (26.2.2016): BMA 7754
- MedCOI (31.3.2015): BDA, Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Report, S. 23
Behandlungsmöglichkeiten HIV/AIDS / Hepatitis C / Tuberkulose
HIV/AIDS ist in der Russischen Föderation mittels antiretroviraler Medikamente behandelbar, beispielsweise im Moscow HIV Center (BMA 7828) oder auch im Center of AIDS and infectious diseases prophylaxis and treatment in St. Petersburg (BMA 5411). Dies gilt auch für Tschetschenien, z.B. im Republican HIV center in Grosny (BMA 7927).
Hepatitis C ist sowohl in der Russischen Föderation (BMA 7828), als auch in Tschetschenien behandelbar (BMA 7927). Z.B. im European Medical Center in Moskau (BMA 7828) oder im Republican HIV center in Grosny (BMA 7927).
(Multiresistente) Tuberkulose ist beispielsweise im European Medical Center in Moskau behandelbar (BMA 6591). In Tschetschenien beispielsweise ist Tuberkulose in jedem Teil der Republik behandelbar, z.B. in Gudermes, Naderetchnyj, Shali, Shelkovskyj und Grosny. Es gibt in Grosny auch eine eigene Abteilung für Kinder (BDA 31.3.2015).
Quellen:
- MedCOI (27.5.2014): BMA 5411
- MedCOI (16.2.2016): BMA 7828
- MedCOI (14.4.2016): BMA 7927
- MedCOI (24.3.2015): BMA 6591
- MedCOI (31.3.2015): BDA, Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Report, S. 23
Behandlungsmöglichkeiten Drogensucht
Es gibt in der Russischen Föderation ein Drogenersatzprogramm, das zwar nicht mit Methadon erfolgt, sondern durch Alternativen, wie z. B. Buprenorphin, Naloxon, Naltrexon Hydrochlorid, und weitere (BMA 7750).
Quellen:
- International SOS via MedCOI (29.2.2016): BMA 7750
Behandlungsmöglichkeiten Nierenerkrankungen, Dialyse, Leberzirrhosen und -transplantationen
Nierenerkrankungen und (Hämo)Dialyse sind sowohl in der Russischen Föderation, als auch in Tschetschenien verfügbar (BMA 7878, BDA 31.3.2015). Es werden in Russland auch Transplantationen gemacht, jedoch muss man sich auf eine Warteliste setzen lassen (BDA 31.3.2015). Leberzirrhosen und –transplantationen sind z.B. in Moskau im European Medical Center behandelbar (BMA 7788). In Tschetschenien kann keine Lebertransplantation durchgeführt werden (BMA 7789). Krankenhäuser und Spitäler haben bestimmte Quoten bez. Behandlungen für Personen (z.B. Lebertransplantation) von anderen Regionen oder Republiken der Russischen Föderation. Um solch eine Behandlung außerhalb der Region des permanenten Aufenthaltes zu erhalten, braucht die Person eine Garantie von der regionalen Gesundheitsbehörde, dass die Kosten für die Behandlung rückerstattet werden (DIS 10.2011).
Quellen:
- DIS – Danish Immigration Service (10.2011): Chechens in the Russian Federation, Report from Danish Immigration Service’s fact finding mission to Moscow and St. Petersburg, the Russian Federation 12 to 29 June 2011,
https://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/6EC0730B-9F8E-436F-B44F-A21BE67BDF2B/0/ChechensintheRussianFederationFINAL.pdf , S. 22-24, Zugriff 18.4.2016
- MedCOI (31.3.2015): BDA, Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Report, S. 26-27
- MedCOI (3.3.2016): BMA 7878
- MedCOI (8.2.2016): BMA 7788
- MedCOI (9.2.2016): BMA 7789
Medikamente
Ambulante Patienten und zu Hause Behandelte müssen Medikamente bezahlen; ausgenommen sind solche, die vom Staat gedeckt sind. In 24-Stunden- und Tageskliniken gibt es kostenfreie Medikamente für Bürger, die von der OMS profitieren. Bei Notfällen sind Medikamente kostenfrei. Gewöhnlich kaufen Russen ihre Medikamente auf eigene Kosten. Bürger mit gewissen Krankheiten wird Unterstützung gewährt, u. a. kostenfreie Medikamente, Sanatorium Behandlung und Transport. Kosten für Medikamente variieren, feste Preise bestehen nicht (IOM 8.2015).
Im Allgemeinen gilt, dass alle russischen Staatsbürger - sowohl im Rahmen einer Krankenpflichtversicherung als auch anderweitig versicherte - für etwaige Medikamentenkosten selbst aufkommen. Ausnahmen von dieser Regelung gelten nur für besondere Personengruppen, die an bestimmten Erkrankungen leiden und denen staatliche Unterstützung zuerkannt worden ist (einschließlich kostenloser Medikation, Sanatoriumsbehandlung und Transport (Nahverkehr und regionale Züge). Die Behandlung und die Medikamente für einige Krankheiten werden auch aus regionalen Budgets bestritten. Die Liste von Erkrankungen, die Patienten berechtigen, Medikamente kostenlos zu erhalten, wird vom Ministerium für Gesundheit erstellt. Sie umfasst: Makrogenitosomie, multiple Sklerose, Myasthenie, Myopathie, zerebrale Ataxie, Parkinson, Glaukom, geistige Erkrankungen, adrenokortikale Insuffizienz, AIDS/HIV, Schizophrenie und Epilepsie, systemisch chronische Hauterkrankungen, Bronchialasthma, Rheumatismus, rheumatische Gicht, Lupus Erythematosus, Morbus Bechterew, Diabetes, Hypophysen-Syndrom, zerebral-spastische Kinderlähmung, fortschreitende zerebrale Pseudosklerose, Phenylketonurie, intermittierende Porphyrie, hämatologische Erkrankungen, Strahlenkrankheit, Lepra, Tuberkulose, akute Brucellose, chronisch-urologische Erkrankungen, Syphillis, Herzinfarktnachsorge (6 Monate nach dem Infarkt), Aorten- und Mitralklappenersatz, Organtransplantationen, Mukoviszidose bei Kindern, Kinder unter drei Jahren, Kinder unter sechs Jahren aus sehr kinderreichen Familien, im Falle bettlägeriger Patienten erhält ein Angehöriger oder Sozialarbeiter die Medikamente gegen Verschreibung. Die Medikamentenpreise sind von Region zu Region und, teilweise auch in Abhängigkeit von der Lage einer Apotheke unterschiedlich, da es in der Russischen Föderation keine Fixpreise für Medikamente gibt (IOM 6.2014).
Quellen:
- IOM – International Organisation of Migration (6.2014):
Länderinformationsblatt Russische Föderation
- IOM – International Organisation of Migration (8.2015):
Länderinformationsblatt Russische Föderation
Behandlung nach Rückkehr
Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (im Folgenden: Rückübernahmeabkommen). Der Rückübernahme geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rücknahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Person von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Wenn die zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rücknahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation müssen sich alle Rückkehrer beim Föderalen Migrationsdienst (FMS) ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren. Dies gilt generell für alle russische Staatsangehörige, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert und, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden. Im November 2012 wurde etwa ein per Sammelflug aus Österreich rücküberstellter Tschetschene auf Grundlage eines Haftbefehls wegen KFZ-Diebstahls unmittelbar nach seiner Ankunft am Flughafen in Moskau verhaftet. Wenige Tage später wurde ein weiterer, mit demselben Flug rücküberstellte Tschetschene in Grozny in Haft genommen und zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt. Über beide Fälle wurde in den österreichischen Medien intensiv berichtet. Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft vor allem die im Vergleich zum Rest Russlands hohe Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus, die landesweit hohe Inflation sowie das durch die Wirtschaftskrise ausgelöste Sinken der Realeinkommen. Hinzu kommen bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können (ÖB Moskau 10.2015).
Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass Russen mit tschetschenischer Volkszugehörigkeit nach ihrer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt sind. Solange die Konflikte im Nordkaukasus, einschließlich der Lage in Tschetschenien, nicht endgültig gelöst sind, ist davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert haben bzw. denen ein solches Engagement unterstellt wird, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren. Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen ständen unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt (AA 5.1.2016).
Zahlreiche russische Staatsbürger, die sich im Ausland aufhalten, stehen in Opposition zur russischen Führung. Im Jahr 2013 hat etwa der ehemalige Schachweltmeister und Regimekritiker Garri Kasparow Russland vorerst verlassen. Der Ende 2013 nach zehnjähriger Haft amnestierte ehemalige Jukos-Eigner Michail Chodorkowskij lebt ebenfalls außerhalb Russlands. Auslieferungsersuchen der russischen Regierung in Bezug auf asylberechtigte Tschetschenen, wie z.B. den "Exilaußenminister" Achmed Sakajew, sind von der britischen Justiz abgelehnt worden. Apti Bisultanow, der ehemalige "Sozialminister" der tschetschenischen Separatistenregierung, sowie der ehemalige "Präsidentenberater" der Separatistenregierung Said-Hassan Abumuslimow leben in Deutschland. Russische Behörden werfen ihnen vor, Terrorismus zu propagieren oder zu verharmlosen. Es ist jedoch nach Kenntnis des Auswärtigen Amts zu keiner Anklageerhebung gegen diese Personen gekommen (AA 5.1.2016).
Quellen:
- AA – Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation
- ÖB Moskau (10.2014): Asylländerbericht Russische Föderation
2. Beweiswürdigung:
Die Identität der Beschwerdeführer steht auf Grund der vorgelegten, unbedenklichen Identitätsdokumente fest. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer, zur Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, zu ihren Privat- und Familienverhältnissen, zur den Umständen im Herkunftsstaat, zu den Familienangehörigen sowie zum Gesundheitszustand und zu ihrem Leben in Österreich ergeben sich aus dem bezüglich dieser Feststellungen widerspruchsfreien und daher glaubwürdigen Vorbringen der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Bundesamt sowie aus dem Akteninhalt und den vorgelegten Unterlagen. Darüber hinaus ergibt sich die Feststellung zur illegalen Einreise nach Österreich und zu den mehrmaligen Antragstellungen zweifelsfrei aus dem Akteninhalt.
Die Feststellungen zu den rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren der Beschwerdeführer ergeben sich ebenso aus dem Akteninhalt, insbesondere den Bescheiden des Bundesasylamtes vom 07.05.2013, den Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.11.2014 und vom 21.02.2017, sowie den Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 26.11.2013 und des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.08.2016.
Dass die Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren bezüglich ihres Antrages auf internationalen Schutz keine neuen Gründe geltend machten, sondern sich hierbei nur auf jene bereits in dem Vorverfahren geltend gemachten Gründen gestützt haben, ergibt sich in Zusammenschau der bisherigen Verfahren und aus dem Vorbringen der Erst- und Zweitbeschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung zum gegenständlichen Folgeantrag des Erstbeschwerdeführers am 03.12.2016 bzw. der Zweitbeschwerdeführerin am 23.01.2017 und ihren Einvernahmen am 26.01.2017 sowie am 02.02.2017.
Die Feststellungen zur nicht allzu ausgeprägten Integration der Beschwerdeführer in Österreich ergeben sich ebenso aus dem Akteninhalt sowie aus dem Vorbringen der Erst- und Zweitbeschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Die Feststellungen zum sozialen Leben in Österreich bzw. zum Privatleben sowie zu den Sprachkenntnissen der Beschwerdeführer gründen sich auf ihren eigenen Angaben sowie den vorgelegten Unterlagen im Verfahren. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass sich die Feststellungen zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer sowie zu sonstigen im Hinblick auf eine Ausweisung relevanten Aspekten ebenfalls aus dem Akteninhalt ergeben.
Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Eine allgemeine Gefährdung von allen Rückkehrern wegen des Faktums ihrer Rückkehr lässt sich aus den Quellen auch nicht folgern.
Die Feststellung, dass der Erstbeschwerdeführer strafgerichtlich nicht unbescholten ist beruht auf einem aktuellen Strafregisterauszug. Dass die Beschwerdeführer Leistungen aus der Grundversorgung beziehen ergibt sich aus einem Auszug aus dem Grundversorgungssystem.
3. Rechtliche Beurteilung
Zu A)
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da im vorliegenden Verfahren keine Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG, BGBl. I 2012/87 idgF bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und im FPG bleiben unberührt.
Zu Spruchpunkt I.
Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet.
"Entschiedene Sache" iSd. § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (vgl. VwGH vom 09.09.1999, Zl. 97/21/0913; vom 27.09.2000, Zl. 98/12/0057; vom 25.04.2002, Zl. 2000/07/0235; vom 17.09.2008, Zl. 2008/23/0684; vom 11.11.2008, Zl. 2008/23/1251; vom 19.02.2009, Zl. 2008/01/0344 und vom 06.11.2009, Zl. 2008/19/0783). Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (vgl. in Bezug auf verschiedene Folgeanträge VwGH vom 26.07.2005, Zl. 2005/20/0226 mwN). Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (vgl. VwGH vom 10.06.1998, Zl. 96/20/0266). Aus § 68 AVG ergibt sich, dass Bescheide mit Eintritt ihrer Unanfechtbarkeit auch prinzipiell unwiderrufbar werden, sofern nicht anderes ausdrücklich normiert ist. Über die mit einem rechtswirksamen Bescheid erledigte Sache darf nicht neuerlich entschieden werden. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes - nicht bloß von Nebenumständen - kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen (vgl. z.B. VwGH vom 27.09.2000, Zl. 98/12/0057;
vom 25.04.2007, Zl. 2004/20/0100; vom 17.09.2008, Zl. 2008/23/0684;
vom 19.02.2009, Zl. 2008/01/0344 und vom 06.11.2009, Zl. 2008/19/0783). Wie sich aus § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergibt, ist eine neue Sachentscheidung auch im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des vorangegangenen Verfahrens bestanden haben, ausgeschlossen, sodass einem Asylfolgeantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, die Rechtskraft des über den Erstantrag absprechenden Bescheides entgegensteht (vgl. VwGH vom 10.06.1998, Zl. 96/20/0266;
vom 15.10.1999, Zl. 96/21/0097; vom 25.04.2007, Zl. 2004/20/0100 und vom 17.09.2008, Zl. 2008/23/0684).
Darüber hinaus muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den eine positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (vgl. VwGH vom 22.12.2005, Zl. 2005/20/0556 und vom 26.07.2005, Zl. 2005/20/0343 mwN). Nimmt man daher eine positive Entscheidungsprognose an, d.h. könnten die behaupteten neuen Tatsachen - gemessen an der dem Bescheid der Erstinstanz im Erstverfahren zu Grunde liegenden Rechtsanschauung - zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, so bedürfte es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse (gegebenenfalls unter Berücksichtigung von Urkunden) einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubwürdigkeit (vgl. VwGH 19.07.2001, Zl. 99/20/0418; vom 16.02.2006, Zl. 2006/19/0380; vom 29.11.2005, Zl. 2005/20/0365 und vom 22.11.2005, Zl. 2005/01/0626). Das Bundesamt hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers oder mit der Beweiskraft von Urkunden auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen sein ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (vgl. VwGH vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, in dem weitere von der Rechtsprechung entwickelte Rechtssätze zu § 68 AVG, insbesondere mit Beziehung auf das Asylverfahren wiedergegeben werden und dann anschließend VwGH vom 20.03.2003, Zl. 99/20/0480 mwN; vgl. auch VwGH vom 04.11.2004, Zl. 2002/20/0391 und vom 25.04.2007, Zl. 2004/20/0100).
Bei der Prüfung der "Identität der Sache" ist von dem rechtskräftigen Vorbescheid auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit desselben - nochmals - zu überprüfen. Identität der Sache liegt auch dann vor, wenn sich das neue Parteibegehren von dem mit rechtskräftigem Bescheid bereits abgewiesenen nur dadurch unterscheidet, dass eine bisher von der Partei nicht ins Treffen geführte Rechtsfrage aufgegriffen wird oder die Behörde in dem bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren die Rechtsfrage auf Grund eines mangelhaften Ermittlungsverfahrens oder einer unvollständigen oder unrichtigen rechtlichen Beurteilung entschieden hat (vgl. VwGH vom 02.07.1992, Zl. 91/06/0207 mwN). Die Rechtskraftwirkung besteht gerade darin, dass die von der Behörde einmal untersuchte und entschiedene Sache nicht neuerlich untersucht und entschieden werden darf (vgl. VwGH vom 15.10.1999, Zl. 96/21/0097 und vom 25.04.2002, Zl. 2000/07/0235). Die Prüfung der Zulässigkeit eines neuerlichen Antrages wegen geänderten Sachverhaltes darf ausschließlich anhand jener Gründe erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens geltend gemacht worden sind. In der Berufung [hier: Beschwerde] gegen den Zurückweisungsbescheid können derartige Gründe nicht neu vorgetragen werden (vgl. VwGH vom 04.04.2001, Zl. 98/09/0041 und vom 25.04.2002, Zl. 2000/07/0235).
Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, die Rechtsmittelinstanz darf demnach nur darüber entscheiden, ob die Vorinstanz den Antrag zu Recht zurückgewiesen hat oder nicht. Sie hat daher entweder - falls entschiedene Sache vorliegt - das Rechtsmittel abzuweisen oder - falls dies nicht zutrifft - den bekämpften Bescheid ersatzlos zu beheben, dies mit der Konsequenz, dass die erstinstanzliche Behörde, gebunden an die Auffassung der Rechtsmittelinstanz, den Antrag nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Die Rechtsmittelinstanz darf aber über den Antrag nicht selbst meritorisch entscheiden (VwGH 30.05.1995, 93/08/0207).
Für das Bundesverwaltungsgericht ist demnach Sache des gegenständlichen Verfahrens ausschließlich die Frage, ob sich die maßgebliche Sach- und Rechtslage seit der Stellung des gegenständlichen Antrags auf internationalen Schutz geändert hat.
Die erkennende Richterin teilt die Ansicht des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, dass mit den vorliegenden Anträgen auf internationalen Schutz in Ermangelung eines neuen entscheidungswesentlichen Sachverhaltes und auf Grund der unveränderten Rechtslage eine entschiedene Sache vorliegt, und zwar aus folgenden Erwägungen:
Die Beschwerdeführer beziehen sich im gegenständlichen Verfahren ausschließlich auf die Probleme, die sie bereits im ersten und sodann auch im zweiten rechtskräftigen Asylverfahren vorbrachten und welche als unglaubwürdig und nicht asylrelevant beurteilt wurden. Somit liegt - wie das Bundesamt im angefochtenen Bescheid richtig ausgeführt hat - eine entschiedene Sache iSd. § 68 Abs. 1 AVG vor, deren Rechtskraft einer neuerlichen Sachentscheidung entgegensteht. Der Erstbeschwerdeführer hat im gegenständlichen Verfahren erklärt, dass er weiterhin aufgrund der ursprünglichen Fluchtgeschichte von staatlicher Seite gesucht werde. So hat der Erstbeschwerdeführer in seinem dritten und gegenständlichen Asylverfahren seinen Antrag auf internationalen Schutz auf Tatsachen gestützt, die bereits sowohl zur Zeit des ersten als auch des zweiten Verfahrens bestanden haben, nur würden sie weiterhin bestehen und habe er erneut eine Ladung bekommen. So erklärte er im ersten, im zweiten und wiederholte nun im verfahrensgegenständlichen Verfahren, dass er aufgrund der Unterstützung von Rebellen auch weiterhin von staatlicher Seite gesucht werden würde. Außerdem habe er den im Verfahren erwähnten und vorgelegten Ladungen keine Folge geleistet, weswegen er Probleme bekommen könne. So hätten auch seine Eltern ihr Haus verlassen müssen, weil der Erstbeschwerdeführer niemals zur Polizeistation gegangen sei. Ferner brachte die Zweitbeschwerdeführerin vor, dass sie Opfer sexuellen Missbrauchs gewesen sei. Auch seien sie gefährdet, weil ihr Bruder in Österreich Asyl genieße.
Selbst nach mehrmaligem Nachfragen seitens des zur Entscheidung berufenen Organwalters des Bundesamtes legten jedoch weder der Erst-, noch die Zweitbeschwerdeführerin in den Befragungen dar, inwiefern ein neuer Sachverhalt eingetreten sein soll und brachten somit nichts vor, was nicht bereits in ihrem ersten und zweiten Asylverfahren berücksichtigt und gewürdigt wurde. Aus diesem Grund liegt schon nach dem Vorbringen der Erst- und Zweitbeschwerdeführer keine Sachverhaltsänderung vor und hat das Bundesamt den zweiten und gegenständlichen Antrag des Beschwerdeführers zu Recht wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen. Zumal der Erstbeschwerdeführer dieses Vorbringen in seinem zweiten Antrag nach Vorlage einer neuen, vermeintlichen Ladung, bloß in identer Weise wiederholt und sich demnach auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten und zweiten Antrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die Rechtskraft der inhaltlichen Vorentscheidung entgegen. Auch vermochte die Aussage, dass laut Angaben seiner Schwägerin seine Eltern das Haus hätten verlassen müssen und dass die Polizei hinter ihnen sowie hinter dem Erstbeschwerdeführer sei, eine anderslautende Entscheidung nicht erwirken. Im Rahmen des vorhergehenden Asylverfahrens wurden bereits die geltend gemachten Fluchtgründe ausführlich geprüft und als unglaubwürdig erachtet. Auch dem Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin, wonach sie als Opfer sexuellen Missbrauchs einer besonderen, asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre ist zu entgegnen, dass dieses ebenfalls in den vorherigen Verfahren beurteilt und als unglaubwürdig erachtet wurde. Selbiges gilt für die Rückkehrbefürchtung aufgrund der Flüchtlingseigenschaft ihres in Österreich lebenden Bruders, zumal es sich um keine neue Tatsache handelt, welcher nicht die Rechtskraft der zwei Vorverfahren entgegensteht. Eine Gefahr bei der Wiedereinreise in die Russische Föderation besteht angesichts der Tatsache, dass nach keinem der Beschwerdeführer gefahndet wird oder wurde, auch weiterhin nicht.
Anhaltspunkte für eine Änderung des Sachverhalts im Hinblick auf allgemein bekannte Tatsachen, die vom Bundesamt von Amts wegen zu berücksichtigen gewesen wären, liegen auch nach Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichtes unter Berücksichtigung seines Amtswissens nicht vor, da sich die allgemeine Situation in der Russischen Föderation im Zeitraum bis zur Erlassung des nunmehr angefochtenen Bescheides (in Bezug auf die Person der Beschwerdeführer) nicht wesentlich geändert hat.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat der zuletzt ergangenen Entscheidung Länderinformationen zum Herkunftsstaat zugrunde gelegt. Dass diese die allgemeine Situation im Herkunftsstaat darlegen und keinen unmittelbaren Bezug zum Vorbringen der Beschwerdeführer aufweisen, ergibt sich alleine deshalb, dass das Vorbringen der Beschwerdeführer nicht glaubwürdig war und sich demnach keine individuell zu überprüfenden Angaben ergeben haben. Das Beschwerdevorbringen, wonach die Länderinformationen veraltet oder viel zu allgemein gehalten seien, zielt demnach ins Leere.
Insoweit die belangte Behörde ihren Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde gelegt hat, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben, weshalb der Vorwurf, die Länderfeststellungen wären nicht aktuell, auch ins Leere zielt.
Die seitens des Bundesverwaltungsgerichtes im Rahmen der Entscheidung vom 12.08.2016 getroffenen Feststellungen zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage werden in Bezug auf die Beschwerdeführer auch als weiterhin aktuell angesehen, weil Quellen späteren Ursprungs ein im Wesentlichen gleiches Bild zeichnen.
Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.
Da das ursprüngliche Vorbringen bereits Gegenstand der das erst kürzlich vorangegangene Asylverfahren rechtskräftig abschließenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes war und auch das im gegenständlichen Verfahren erstattete Vorbringen – wie dargelegt – eine inhaltliche Entscheidung nicht begründen hat können, war es dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl verwehrt, eine inhaltliche Entscheidung zu treffen. Gemäß der zuvor referierten verwaltungsgerichtlichen Judikatur steht den gegenständlichen Anträgen die Rechtskraft der inhaltlichen Vorentscheidung entgegen.
Für die minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer wurden keine eigenen, nicht von den Eltern abgeleiteten Fluchtgründe vorgebracht, weshalb sich im Lichte des Gesagten auch für diese keine Rückkehrgefährdung ableiten lässt.
Ein Antrag auf internationalen Schutz richtet sich auch auf die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und sind daher auch Sachverhaltsänderungen, die ausschließlich subsidiäre Schutzgründe betreffen, von den Asylbehörden im Rahmen von Folgeanträgen einer Prüfung zu unterziehen (vgl. VwGH 19.02.2009, Zl. 2008/01/0344). Auch im Hinblick auf Art 3 EMRK ist jedoch im Falle der Beschwerdeführer nicht erkennbar, dass ihre Rückführung in die Russische Föderation zu einem unzulässigen Eingriff führen und sie bei ihrer Rückkehr in eine Situation geraten würden, die eine Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK mit sich brächte oder ihnen jedwede Lebensgrundlage fehlen würde.
Der Erstbeschwerdeführer gab an, in medikamentöser Behandlung zu sein. Auch brachte die Zweitbeschwerdeführerin vor, aufgrund einer posttraumatischen Störung in psychotherapeutischer Behandlung zu sein. In diesem Zusammenhang ist aber darauf zu verweisen, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (vgl. VwGH vom 15.10.2015, Zl. Ra 2015/20/0218 bis 0221). Auch in diesem Zusammenhang ist auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.08.2016 zu verweisen, in welcher der Gesundheitszustand und eine etwaige darauf bezogene Rückkehrgefährdung bereits ausführlich beurteilt wurden. Es sind im gegenständlichen Asylverfahren auch keine weiteren Umstände hervorgekommen, die die Beschwerdeführer bei einer Abschiebung in eine "unmenschliche Lage" versetzen würden und finden sich auch in der Beschwerde hierzu keine Anhaltspunkte.
Auch zur Situation im Herkunftsstaat – familiäre, wirtschaftliche Situation – können keine Änderungen im Vergleich zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.08.2016 festgestellt werden. Die Erst- und Zweitbeschwerdeführer stehen im erwerbsfähigen Alter und verfügen über Familienangehörige im Herkunftsstaat. Sie sind auch nicht als Teil einer vulnerablen Gruppe anzusehen, die im Falle einer Rückkehr Gefahr liefe, in eine ausweglose Lage zu geraten.
Da weder in der maßgeblichen Sachlage, und zwar im Hinblick auf jenen Sachverhalt, der in der Sphäre der Beschwerdeführer gelegen ist, noch auf jenen, welcher von Amts wegen aufzugreifen ist, noch in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten ist, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Anliegens nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe, liegt entschiedene Sache vor, über welche nicht neuerlich meritorisch entschieden werden konnte.
Die Zurückweisung der Anträge auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache war sohin rechtmäßig, weshalb die Beschwerde abzuweisen ist.
Zu Spruchpunkt II.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.
Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraus-setzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt ei-ne Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechts-kräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitender Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
Der Aufenthalt der Beschwerdeführer im Bundesgebiet ist nicht geduldet. Sie sind auch nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und ebenso wenig ein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen daher im Fall der Beschwerdeführer nicht vor. Ferner erfolgte die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz im Hinblick auf den Status der subsidiär Schutzberechtigten im gegenständlichen Verfahren nicht gemäß § 8 Abs. 3a AsylG und ist auch keine Aberkennung gemäß § 9 Abs. 2 AsylG ergangen.
Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab-gewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:
(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
der Grad der Integration,
die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
Gemäß Art 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Nach Art 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Bei der Setzung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme kann ein ungerechtfertigter Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens des Fremden iSd. Art. 8 Abs. 1 EMRK vorliegen. Daher muss überprüft werden, ob die aufenthaltsbeendende Maßnahme einen Eingriff und in weiterer Folge eine Verletzung des Privat- und/oder Familienlebens des Fremden darstellt.
Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundene Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt (vgl. EGMR Kroon sowie VfGH vom 28.06.2003, G 78/00). Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein; maßgebend ist beispielsweise das Zusammenleben eines Paares, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder auf andere Weise (vgl. EGMR Marckx, EGMR vom 23.04.1997, X u.a.).
Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen, greift sie lediglich in das Privatleben der Familienmitglieder und nicht auch in ihr Familienleben ein; auch dann, wenn sich einige Familienmitglieder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen (EGMR in Cruz Varas).
Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EuGRZ 2006, 554, Sisojeva ua. gegen Lettland). Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessensabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt.
Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen sowie der in § 9 Abs. 2 BFA-VG normierten Integrationstatbestände, die zur Beurteilung eines schützenswerten Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK zu berücksichtigen sind, ist im gegenständlichen Fall Folgendes auszuführen:
Die Beschwerdeführer stellten erstmals nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 19.09.2012 Anträge auf internationalen Schutz. Nach negativem Ausgang ihrer ersten Verfahren mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 26.11.2013 stellten sie am 11.12.2013 erneut Anträge auf internationalen Schutz, welche mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.08.2016 ebenfalls rechtskräftig abgewiesen wurden. Der Erstbeschwerdeführer stellte sodann seinen dritten und gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Die Zweitbeschwerdeführerin stellte sodann für sich und für die Drittbis Fünftbeschwerdeführer Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005. Noch vor Ausgang des diesbezüglichen Beschwerdeverfahrens stellte die Zweitbeschwerdeführerin letztlich für sich und für die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer ebenfalls ihre dritten Anträge auf internationalen Schutz.
Die Kernfamilie besteht aus dem Erstbeschwerdeführer, der Zweitbeschwerdeführerin sowie den minderjährigen Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer. Die Beschwerdeführer leben im gemeinsamen Haushalt. Da die Anträge aller Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl im Hinblick auf die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten, als auch im Hinblick auf die Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten negativ beschieden werden und keinem der Beschwerdeführer ein Aufenthaltsrecht in Österreich außerhalb des Asylverfahrens zukam oder zukommt, stellt eine Rückkehrentscheidung zeitgleich mit den genannten Familienangehörigen vollzogen keinen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens dar; ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen, greift sie lediglich in das Privatleben der Familienmitglieder und nicht auch in ihr Familienleben ein; auch dann, wenn sich einige Familienmitglieder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen sollten (EGMR 20. 3. 1991, Fall Cruz Varas, Appl. 15.576/89). Zu dem in Österreich als anerkannter Flüchtling lebenden Bruder der Zweitbeschwerdeführerin besteht kein wie auch immer geartetes Abhängigkeitsverhältnis der Beschwerdeführer.
Der EGMR hat in seiner Judikatur zu Art. 8 EMRK (vgl. EGMR 31.01.2006, Nr. 50435/99, Rodrigues da Silva und Hoogkamer gegen die Niederlande) wiederholt ausgeführt, dass der Staat unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK im Zusammenhang mit positiven wie auch negativen Verpflichtungen einen fairen Ausgleich zwischen den konkurrierenden Interessen des Einzelnen und jenen der Gemeinschaft als Ganzes schaffen muss und hiebei den Vertragsstaaten jedoch ein gewisser Ermessenspielraum zukommt. Art. 8 EMRK enthält keine generelle Pflicht für die Vertragsstaaten, die Wohnortwahl von Immigranten zu respektieren und auf ihrem Staatsgebiet Familienzusammenführungen zuzulassen. In Fällen, die sowohl das Familienleben als auch die Thematik der Zuwanderung betreffen, wird das Maß an Verpflichtung, Verwandte von rechtmäßig aufhältigen Personen auf seinem Staatsgebiet zuzulassen, je nach den Umständen des Einzelfalls der betroffenen Personen und des Allgemeininteresses variieren. Dabei ist zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß das Familienleben tatsächlich gestört wird, wie stark die Bande mit dem Vertragsstaat sind, ob es für die Familie unüberwindbare Hindernisse gibt, im Herkunftsland eines oder mehrerer Familienmitglieder zu leben, ob konkrete Umstände im Hinblick auf die Einreisekontrolle (z.B. Verstöße gegen die Einreisebestimmungen) oder Überlegungen im Hinblick auf die öffentliche Sicherheit eher für eine Ausweisung sprechen und auch ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, als sich die betroffenen Personen bewusst gewesen sind, dass der Aufenthaltsstatus eines Familienmitgliedes derart gewesen ist, dass der Fortbestand des Familienlebens im Gastland von vornherein unsicher gewesen ist. Dazu hat der EGMR auch wiederholt festgehalten, dass die Ausweisung eines ausländischen Familienmitglieds in solchen Fällen nur unter ganz speziellen Umständen eine Verletzung von Art. 8 MRK bewirkt (vgl. sich darauf berufend VwGH 19.02.2009, 2008/18/0721 mit Hinweis auf VfGH 29.09.2007, B 1150/07 und die darin referierte Judikatur des EGMR).
Weiters ist in diesem Zusammenhang auf die Entscheidung des EGMR vom 11.04.2006, Nr. 61292/00, Useinov gegen die Niederlande, hinzuweisen, der ein Beschwerdefall zu Grunde lag, in dem ein Fremder, der mit einer Inländerin zwei gemeinsame minderjährige Kinder hatte und bereits mehrere Jahre in den Niederlanden lebte, aber nicht damit rechnen durfte, sich auf Dauer in diesem Staat niederlassen zu dürfen, ausgewiesen wurde. In dieser Entscheidung erachtete der EGMR die Bestimmung des Art. 8 EMRK als durch die Ausweisung des Fremden nicht verletzt. Hiebei stellte der EGMR (u.a.) darauf ab, ob das Familienleben zu einem Zeitpunkt begründet wurde, in dem auf ein dauerhaftes Familienleben im Gastland vertraut werden durfte. Weiters erachtete der EGMR in dieser Entscheidung eine Übersiedlung in den Heimatstaat des Fremden nicht als übermäßige Härte für die Familienangehörigen, zumal der Kontakt des Fremden zu seinen Familienangehörigen auch von seinem Heimatland aufrechterhalten werden könne (vgl. ebenfalls VwGH 19.02.2009, 2008/18/0721). Vor diesem Hintergrund vermag auch die Beziehung des Beschwerdeführers nicht entscheidend zu stärken. Das Gewicht seiner privaten und familiären Interessen wird daher dadurch gemindert, dass das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich der Beschwerdeführer seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war (vgl. VwGH 19.02.2009, 2008/18/0721; 30.04.2009, 2009/21/0086; VfSlg. 18.382/2008 mHa EGMR 24.11.1998, 40.447/98, Mitchell; EGMR 11.04.2006, 61.292/00, Useinov).
Auch liegt somit kein Eingriff in das Privatleben der Beschwerdeführer vor, welcher zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele nicht geboten oder zulässig wäre. Wie festgestellt reisten die Erst- bis Viertbeschwerdeführer illegal nach Österreich und gründete sich ihr Aufenthalt auf eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem das Asylgesetz und insgesamt auf drei letztlich unbegründete Anträge auf internationalen Schutz. Somit lag zu keinem Zeitpunkt ein gesicherter Aufenthaltsstatus und kamen die Beschwerdeführer ihrer eindeutigen Ausreiseverpflichtung niemals nach. Vielmehr widersetzten sich die Beschwerdeführer bewusst den oben genannten Entscheidungen der österreichischen Behörden und Gerichte.
Eine außerordentliche und entscheidungserhebliche Integration der Beschwerdeführer während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet kann seitens der erkennenden Einzelrichterin nicht festgestellt werden.
Dies aus folgenden Gründen:
Die Erst- und Zweitbeschwerdeführer verfügen über starke Bindungen zum Herkunftsstaat, wo sie den Großteil seines Lebens verbracht haben, die Landessprachen Russisch und Tschetschenisch beherrschen und ihre Ausbildung genossen haben. Der Erstbeschwerdeführer sowie die Zweitbeschwerdeführerin gingen einer Erwerbstätigkeit nach. Weiters verfügen sie über zahlreiche Verwandte im Herkunftsstaat.
Im Gegensatz dazu ist der Erstbeschwerdeführer in Österreich nur schwach integriert: Er spricht kaum Deutsch und nimmt auch sonst keine Bildungsmaßnahmen in Anspruch. Er war in der Vergangenheit nie legal erwerbstätig und bezieht Grundversorgung. Er leistet regelmäßig ehrenamtliche Arbeit im Bauhof der Gemeinde, engagiert sich sonst aber nicht in Vereinen. Zwar hat er eine Beschäftigungsbewilligung im Verfahren vorgelegt, jedoch ist diese befristet und ist auch mit dieser nicht zu erwarten, dass der Erstbeschwerdeführer für den Lebensunterhalt aller Beschwerdeführer sorgen können wird. Er hat sich im Bundesgebiet auch nicht aus-, fort- oder weitergebildet. Die Zweitbeschwerdeführerin spricht zwar gut Deutsch und engagiert sich ehrenamtlich. Sie geht aber keiner Beschäftigung nach und sind die Freundschaften zu Nachbarn der Beschwerdeführer in der Zeit entstanden, in der sie sich ihres unsicheren Aufenthalts bewusst sein mussten.
In diesem Zusammenhang ist auch auf die höchstgerichtliche Judikatur zu verweisen, wonach selbst die – hier bei weitem nicht vorhandenen – Umstände, dass selbst ein Fremder, der perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, über keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale verfügt und diesen daher nur untergeordnete Bedeutung zukommt (vgl. VwGH vom 06.11.2009, Zl.2008/18/0720 sowie vom 25.02.2010, Zl. 2010/18/0029).
Bei der Beurteilung der Frage, ob die Beschwerdeführer in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügen, spielt zudem die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl Thym, EuGRZ 2006, 541).
Der Verwaltungsgerichtshof geht bei einem dreieinhalbjährigen Aufenthalt im Allgemeinen von einer eher kürzeren Aufenthaltsdauer aus (vgl Chvosta, ÖJZ 2007/74 unter Hinweis auf die VwGH 08.03.2005, 2004/18/0354; 27.03.2007, 2005/21/0378), und geht im Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, davon aus, "dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte".
Schließlich ist nochmals darauf hinzuweisen, dass der Aufenthalt im Bundesgebiet nur ein vorläufig berechtigter war. Gemessen an der Judikatur des EGMR und der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes ist dieser Zeitraum als kein ausreichend langer zu qualifizieren. Aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergibt sich, dass etwa ab einem zehnjährigen Aufenthalt im Regelfall die privaten Interessen am Verbleib in Österreich die öffentlichen Interessen überwiegen können (vgl. VwGH vom 09.05.2003, Zl. 2002/18/0293). Gleiches gilt für einen siebenjährigen Aufenthalt, wenn eine berufliche und soziale Verfestigung vorliegt (vgl. VwGH vom 05.07.2005, Zl. 2004/21/0124), was jedoch im gegenständlichen Fall eindeutig verneint werden kann.
Die Dauer des Verfahrens übersteigt auch nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtsschutzmöglichkeiten entsprechenden Asylverfahrens angemessen ist, zumal auch mehrere, letztlich unbegründete Anträge auf internationalen Schutz gestellt wurden. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht hätten, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Fall Butt, Appl. 47.017/09, Z 85 f.).
Die Zeitspanne des unrechtmäßigen Aufenthalts der Beschwerdeführer im Bundesgebiet kann hinsichtlich einer Aufenthaltsverfestigung nicht zu ihren Gunsten ausschlagen.
Hinzu kommt, dass nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen ist, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH vom 17.12.2007, Zl. 2006/01/0126, mwN).
Den Beschwerdeführern hätte im Hinblick auf die unberechtigten Anträge auf internationalen Schutz bewusst sein müssen, dass sie etwaige eingegangene Bindungen im Bundesgebiet nicht aufrechterhalten können. Insgesamt betrachtet überwiegt daher insbesondere im Hinblick auf die noch relativ kurze Dauer des Aufenthaltes der Beschwerdeführer im Bundesgebiet das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen das private Interesse der Beschwerdeführer an einem Verbleib im Bundesgebiet (vgl. VwGH vom 25.02.2010, Zl. 2009/21/0142).
Es sind zudem keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine tatsächliche, fortgeschrittene Integration der Beschwerdeführer hervorgekommen, aufgrund derer eine die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation anzunehmen wäre. Hinzu kommt, dass der Erstbeschwerdeführer in Österreich straffällig geworden ist.
Der durch die Ausweisung der Beschwerdeführer allenfalls verursachte Eingriff in ihr Recht auf Privatleben ist jedenfalls insofern im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt, als das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung ihr Interesse an einem weiteren Verbleib in Österreich überwiegt.
Dass die Zweitbeschwerdeführerin, sowie der Dritt- und Viertbeschwerdeführer strafgerichtlich unbescholten sind, vermag weder ihr persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken, noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (zB VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.04.2012, 2011/18/0253).
Den privaten Interessen der Beschwerdeführer an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen somit die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art 8 Abs 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).
Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Antrages auf internationalen Schutzes verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen im vorliegenden Fall schwerer als die Interessen der Beschwerdeführer an einem Verbleib in Österreich.
Eine lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführer im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat ist aufgrund adäquater Behandlungsmöglichkeiten im Herkunftsstaat überhaupt nicht fassbar.
Den Beschwerdeführern ist es nicht gelungen, darzulegen, dass sie im Falle einer Abschiebung nach Tschetschenien in eine "unmenschliche Lage" versetzt werden würden. Daher verstößt eine allfällige Abschiebung nicht gegen Art. 2, Art. 3 EMRK oder gegen die Zusatzprotokolle zur EMRK Nr. 6 und Nr. 13 und auch nicht gegen Art. 15 lit. c StatusRL.
Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer nach ihrer Rückkehr in die Russische Föderation in eine ausweglose Lebenssituation geraten könnten, zumal der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin jedenfalls über verwandtschaftliche Beziehungen in ihrer Heimat verfügen. Weiters beherrschen der Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin die russische und tschetschenische Sprache, gingen auch vor ihrer Ausreise Beschäftigungen nach und sind mit den herrschenden Gepflogenheiten in ihrem Herkunftsland vertraut. Die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sprechen laut Angaben ihrer Eltern ihre Muttersprache Tschetschenisch und befinden sich im anpassungsfähigen Alter.
Ferner wird darauf verwiesen, dass die Beschwerdeführer aus einem Staat stammen, auf dessen Territorium die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleistet ist, auch wenn diese verbesserungswürdig ist. Aufgrund dessen und aufgrund der vorhandenen familiären Anknüpfungspunkte ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer bei ihrer Wiedereingliederung in die russische Gesellschaft Unterstützung durch die ansässigen Familienangehörigen und Bekannten erhalten könnten. Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Beschwerdeführer nicht in der Lage sein sollten, den Lebensunterhalt zu bestreiten und auch keine Unterstützung durch die Angehörigen oder durch Freunde erhalten würde, bestünde für ihnen immer noch die Möglichkeit staatliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Wie den Länderfeststellungen zu entnehmen ist, gibt es in der Russischen Föderation ein Rentensystem und die Möglichkeit Arbeitslosenunterstützung zu beantragen.
Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass sich die Erst- und Zweitbeschwerdeführer bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat in die dortige Gesellschaft wieder eingliedern können, zumal sie Jahrzehnte ihres Lebens im Herkunftsland verbrachten und daher mit den gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten in der Russischen Föderation vertraut sind und davon ausgegangen werden kann, dass sie dort über Verwandte verfügen, zumal die Zweitbeschwerdeführerin diesbezüglich auch vorbrachte, in Kontakt mit ihrer Schwester zu sein. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass die Erst- und Zweitbeschwerdeführer mit ihrer Ausbildung und Arbeitsfähigkeit in der Lage sein werden, seinen notwendigen Lebensunterhalt zu erwirtschaften. Die Dritt- und Viertbeschwerdeführer sind in der Russischen Föderation geboren und verbrachten dort ungefähr die ersten zehn Jahre ihres Lebens. Zudem leben sie auch in Österreich im Familienverband mit ihren Eltern, sprechen Tschetschenisch und kann davon ausgegangen werden, dass sie mit den kulturellen Gepflogenheiten ihres Landes vertraut sind. Die Fünftbeschwerdeführerin ist ein Kleinkind und kann ihre Sozialisation nicht als dermaßen fortgeschritten angesehen werden, dass sie nicht auch in ihrem Herkunftsstaat fortgesetzt werden könnte, zumal sie im Heimatland weiter in Obsorge ihrer Eltern sein wird, die sie ausschließlich betreuen.
Bei einer Zusammenschau überwiegen im vorliegenden Fall jene Umstände, die für eine Rückkehr der Beschwerdeführer in den Herkunftsstaat sprechen, wobei dem unrechtmäßigen Aufenthalt sowie der nicht vorhandenen beruflichen und sozialen Integration besonderes Gewicht zukommt.
Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts der Beschwerdeführer im Bundesgebiet das persönliche Interesse der Beschwerdeführer am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher die in den angefochtenen Bescheiden angeordneten Rückkehrentscheidungen keinen ungerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Privat- und Familienleben darstellten. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte dahingehend hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall die erlassenen Rückkehrentscheidungen unzulässig wären.
Zur Zulässigkeit der Abschiebung:
Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.
Gemäß § 46 Abs. 1 FPG sind Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn
1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,
2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,
3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder
4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.
Mit den angefochtenen Bescheiden wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt II.). Wie sich aus den Länderfeststellungen und aus den Feststellungen zur Person der Beschwerdeführer ergibt, besteht keine Gefahr, dass durch die Abschiebung der Beschwerdeführer Art. 2 oder Art. 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder 13 zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würden oder für die Beschwerdeführer als Zivilpersonen mit der Abschiebung eine ernsthafte Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen oder internationalen Konfliktes verbunden wäre. Auch sonst besteht kein Abschiebehindernis gemäß § 50 Abs. 2 oder Abs. 3 FPG, - ein Solches wurde weder substanziiert vorgebracht noch ist es aus dem Akteninhalt ersichtlich - sodass das Bundesamt die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Russische Föderation zu Recht für zulässig erklärt hat.
Zu Spruchpunkt III.
Gemäß § 55 Abs. 1a FPG besteht in den Fällen einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird keine Frist für die freiwillige Ausreise.
In den angefochtenen Bescheiden wurde gemäß § 55 Abs. 1a FPG ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht, was den gesetzlichen Grundlagen entspricht.
Da alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung vorliegen, war die Beschwerde gegen die Spruchpunkte II. und III. der angefochtenen Bescheide als unbegründet abzuweisen.
Entfall der mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Gemäß § 24 Abs. 1 des VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Nach § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Gemäß Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2010/C 83/02) – folgend: GRC – hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Zufolge Abs. 2 leg.cit. hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.
Nach Art. 52 Abs. 1 GRC muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.
Zur Frage der Verhandlungspflicht brachte der Verfassungsgerichtshof etwa in seinem Erkenntnis vom 14.03.2012, Zl. U 466/11 ua. zum Ausdruck, er hege vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EGMR (zur Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung) weder Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 41 Abs. 7 AsylG 2005 noch könne er finden, dass der Asylgerichtshof der Bestimmung durch das Absehen von der Verhandlung einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt habe. Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergebe, dass das Vorbringen tatsachenwidrig sei, stehe im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden habe, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt worden sei.
Der VwGH hat sich mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017, mit der Frage des Entfalls einer mündlichen Verhandlung unter Auslegung des § 21 Abs. 7 BFA-VG befasst, wobei dem Grunde nach die zuvor zitierte Judikaturlinie der Höchstgerichte beibehalten wird. Daraus resultierend ergeben sich für die Auslegung des § 21 Abs. 7 BFA-VG folgende maßgeblichen Kriterien: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht bleibt wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.
Projiziert auf den vorliegenden Beschwerdefall bedeutet dies, dass aus dem Inhalt der Verwaltungsakte die Grundlage der bekämpften Bescheide unzweifelhaft nachvollziehbar ist. Es hat sich auch in der Beschwerde kein zusätzlicher Hinweis auf die Notwendigkeit ergeben, den maßgeblichen Sachverhalt mit den Beschwerdeführern zu erörtern. In der Beschwerde finden sich auch keine Hinweise, wonach eine weitere mündliche Verhandlung notwendig ist, zumal sich dort keine substantiierten Ausführungen finden, die dies erforderlich machen würden. Vielmehr fehlt es der Beschwerde einem konkreten individuellen Vorbringen und ist dieses vielmehr formelhaft und weist keine Substanz auf. Es findet sich dort insbesondere kein über das Vorbringen vor dem BFA hinausgehendes Vorbringen.
Das BFA hat sich sohin ausreichend und abschließend mit dem Vorbringen der Beschwerdeführer auseinandergesetzt. Die Ermittlung des Sachverhaltes durch das BFA war demnach nicht zu beanstanden.
Der maßgebliche Sachverhalt war demnach aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt anzusehen. Auch im Lichte des vergleichsweise kurzen verstrichenen Zeitraumes seit der rechtskräftigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.08.2016 haben sich – wie dargelegt – keine entscheidungswesentlichen Änderungen der Lage im Herkunftsstaat (auf die individuelle Situation der Beschwerdeführer bezogen) ergeben, was vom BFA durch die Einführung aktueller Länderinformationen zum Herkunftsstaat in das Verfahren überprüft wurde. Bereits in der Entscheidung des BVwG vom 12.08.2016 wurden umfangreiche Länderfeststellungen wiedergegeben, die im Wesentlichen gleichlautend sind wie die Länderfeststellungen der belangten Behörde in allen bisher ergangenen Bescheiden.
Dem Bundesverwaltungsgericht liegt kein Beschwerdevorbringen vor, das mit dem Beschwerdeführer mündlich zu erörtern gewesen wäre, sodass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht unterbleiben konnte.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
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