AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2016:W112.1435312.2.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Elke DANNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von mj. XXXX, geb. XXXX, StA Russische Föderation, gesetzlich vertreten durch die Mutter, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.11.2014, Zl. 821301308-1767270, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.06.2016 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis III. gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 iVm 10 Abs. 1 Z 3, 55, 57 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF und §§ 46 iVm 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Erster Antrag auf internationalen Schutz:
Der nunmehr 16-jährige Beschwerdeführer (im Folgenden: Drittbeschwerdeführer), sein Vater (im Folgenden: Erstbeschwerdeführer), seine Mutter (im Folgenden: Zweitbeschwerdeführerin) und sein nunmehr 13-jähriger Bruder XXXX (im Folgenden: Viertbeschwerdeführer), russische Staatsangehörige und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe muslimischen Glaubens, stellten nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 19.09.2012 die ersten Anträge auf internationalen Schutz.
Im Rahmen ihrer Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 21.09.2012 gab die Zweitbeschwerdeführerin an, die Dritt- und Viertbeschwerdeführer hätten keine eigenen Fluchtgründe. Zum Nachweis ihrer Identität legten die Eltern ihre russischen Inlandspässe vor. Zum Nachweis der Identitäten des Dritt- und Viertbeschwerdeführers wurden deren russischen Geburtsurkunden vorgelegt.
Die Verfahren wurden durch die Ausfolgung von Aufenthaltsberechtigungskarten am 26.09.2012 zugelassen.
Zum Nachweis der Ehe mit der Zweitbeschwerdeführerin legte der Erstbeschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 10.12.2012 die russische Heiratsurkunde vor.
Am selben Tag wurde auch die Zweitbeschwerdeführerin niederschriftlich einvernommen. Der Drittbeschwerdeführer sei 2006-2012 in die Schule XXXX gegangen. Bis 2011 habe sie in XXXX gelebt, danach sei sie wegen ihres Gatten nach XXXX gezogen. Diese Wohnung in der XXXX, habe sie verkauft.
Zur Verifizierung der Angaben des Erstbeschwerdeführers bestellte das Bundesasylamt XXXX zum Recherchebeauftragten.
Mit Eingabe vom 19.03.2013 legte der Erstbeschwerdeführer ein russischsprachiges Schreiben samt beglaubigter Übersetzung vor.
In einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 29.04.2013 erstattete der Erstbeschwerdeführer ein näheres Vorbringen zu dem vorgelegten Schreiben. Weiters wurde dem Erstbeschwerdeführer das Rechercheergebnis vorgehalten.
Die Zweitbeschwerdeführerin wurde am 29.04.2013 ebenfalls nochmals niederschriftlichen vor dem Bundesasylamt einvernommen.
Mit Bescheiden vom 07.05.2013 wies das Bundesasylamt die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde ihnen der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.).
In seiner Begründung traf das Bundesasylamt umfangreiche Länderfeststellungen zur Situation in der Russischen Föderation und erachtete das Vorbringen der Beschwerdeführer hinsichtlich einer Bedrohungssituation aufgrund der vorliegenden Rechercheergebnisse und der Widersprüche des Erstbeschwerdeführers als unglaubwürdig. So etwa habe die Recherche ergeben, dass dem Erstbeschwerdeführer unmittelbar vor der Ausreise völlig legal ein Reisepass ausgestellt worden sei. Dies wäre niemals der Fall gewesen, wenn er tatsächlich einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt gewesen wäre. Ebenso habe der Erstbeschwerdeführer im Jahr 2011 ein Zivilrechtsverfahren gegen den Vorbesitzer seiner Wohnung angestrengt. Der Erstbeschwerdeführer sei dem Rechercheergebnis weder durch sachliche Argumente schlüssig entgegengetreten noch haben er taugliche Beweismittel zur Untermauerung seines Vorbringens in Vorlage gebracht.
Die Zweitbeschwerdeführerin stützte ihre Ausreisegründe ausschließlich auf die Verfolgungsbehauptungen des Erstbeschwerdeführers. Zufolge der Unglaubwürdigkeit des Erstbeschwerdeführers liege auch hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin kein glaubhafter Verfolgungs- oder Ausreisesachverhalt vor. Ihre Behauptungen konzentrierten sich ausschließlich in der angeblichen Suche nach dem Erstbeschwerdeführer und seien daher mangels glaubhafter Bedrohung desselben ebenfalls als nicht glaubhaft zu werten. Zudem habe sie dies erst sehr spät geltend gemacht, was nicht nachvollziehbar sei. Darüber hinaus sei sie nur marginal auf den Kern dieser Ereignisse eingegangen.
Für den Dritt- und Viertbeschwerdeführer seien keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht worden und werde diesbezüglich auf die Bescheide des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin verwiesen.
Zur Situation im Falle einer Rückkehr führte das Bundesasylamt aus, dass den Beschwerdeführern im Herkunftsstaat weder Verfolgung noch anderswertige Gefahren drohen würden, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. Abschließend begründete das Bundesasylamt seine Ausweisungsentscheidung.
Dagegen erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde, worin die Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht wurden.
Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 26.11.2013 wurden die Beschwerden gemäß §§ 3, 8 und 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass den bereits ausführlich im Bescheid des Bundesasylamtes dargelegten Ungereimtheiten und Widersprüchen in den Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin auch durch die Ausführungen in der Beschwerde nicht habe entgegentreten werden können.
Die Erkenntnisse wurden den Beschwerdeführern am 04.12.2013 zugestellt und erwuchsen in Rechtskraft.
2. Zweiter Antrag auf internationalen Schutz:
Am 11. bzw. 13.12.2013 stellten die Erst- bis Viertbeschwerdeführer jeweils den zweiten Antrag auf internationalen Schutz.
Am 13.12.2013 wurde der Erstbeschwerdeführer zu seinem zweiten Antrag erstbefragt.
Die Zweitbeschwerdeführerin brachte im Zuge ihrer Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 12.12.2013 vor, dass für den Dritt- und den Viertbeschwerdeführer dieselben Gründe gelten würden, wie für sie. Betreffend den Drittbeschwerdeführer ergänzte sie, dass er Tschetschenisch, Russisch und Deutsch spreche.
Am 17.12.2013 legte die Erstbeschwerdeführerin eine Ladung vor.
Am 18.12.2013 wurde der Erstbeschwerdeführer vor dem Bundesasylamt niederschriftlich einvernommen. Am selben Tag wurde auch die Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundeasylamt niederschriftlich einvernommen. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin legten zudem Befunde, Schreiben in kyrillischer Schrift, zwei handschriftliche Stellungnahmen der Beschwerdeführer in russischer Sprache, ein Zertifikat "Fit für den Schulstart" des Österreichischen Integration Fonds vom September 2013 betreffend den Viertbeschwerdeführer, eine Teilnahmebestätigung an einem Sportfest betreffend den Viertbeschwerdeführer, eine Schulbesuchsbestätigung bzw. Unterstützungsschreiben einer Hauptschule vom 06.12.2013 betreffend den Drittbeschwerdeführer, Unterstützungsschreiben eines Taekwondo Clubs vom 10.02.2013 betreffend den Drittbeschwerdeführer, ein Schulbesuchsbestätigung bzw. Unterstützungsschreiben einer Volksschule vom 16.12.2013 betreffend den Viertbeschwerdeführer sowie eine Deutschkursbestätigung der Zweitbeschwerdeführerin vor.
Am 03.01.2014 wurde für den Rechtsberater eine Aktenabschrift angefertigt.
Am 08.01.2014 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin vom Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Die Zweitbeschwerdeführerin gab an, sie könne nicht in ihren Herkunftsstaat zurückkehren, ihre Kinder wären dort in Gefahr. Ihre Kinder hätten seit dem ersten negativen Asylverfahren Angst vor der österreichischen Polizei. Der Drittbeschwerdeführer frage bei jedem Klopfen, ob sie jetzt ausgewiesen würden.
Mit Eingabe vom 22.01.2014 bzw. vom 28.01.2014 legten die Beschwerdeführer Befunde betreffend den Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin vor.
Mit Schreiben vom 25.02.2014 legte die Zweitbeschwerdeführerin ein Schreiben in russischer Sprache vor.
Mit Schreiben vom 17.04.2014 legte die Zweitbeschwerdeführerin ein Sprachzertifikat sowie eine Bestätigung über die bestehende Schwangerschaft vom 10.04.2014 vor. Am 12.05.2014 legte der Erstbeschwerdeführer die Bestätigung eines OP-Termins für den 29.07.2014 vor.
Mit Eingabe vom 21.05.2014 wurde betreffend den Drittbeschwerdeführer ein Schreiben einer Psychotherapeutin vorgelegt, wonach dieser unter massiven Angstzuständen leide, sowie ein Schreiben über die Absolvierung eines Schnuppertages als Druckvorstufentechniker.
Am 23.09.2014 wurden der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin erneut vor dem Bundesamt einvernommen.
Dabei gab die Zweitbeschwerdeführerin an, ihren Lebensunterhalt habe in der Russischen Föderation bis 2009 ihr Mann bestritten, danach hätten sie ihr Vater und ihre Schwester unterstützt. Sie sie bei einer Kosmetikfirma als freiberufliche Mitarbeiterin angestellt gewesen, bis 2010 habe sie Einkommen bezogen, danach nicht mehr. Ihre Schwester und ihr Bruder lebten in XXXX in Eigentumswohnungen.Ihr Bruder arbeite als Wachmann in einem Einkaufszentrum, ihre Schwester im Büro eines Kindergartens. Ihr Vater lebe in einer Mietwohnung in XXXX. Sie telefoniere ein bis zwei Mal pro Monat mit ihrer Familie. Ihr älterer Bruder lebe seit Dezember 2012 als Asylwerber in Österreich, weiters lebten hier zwei Cousinen von ihr. Kontakte zur österreichischen Gesellschaft außerhalb des Quartiers der Grundversorgung, in dem sie lebe, pflege sie nicht.
Am 19.05.2014 legte die Zweitbeschwerdeführerin drei Ladungen vor, weiters ein Sprachzertifikat, die Teilnahmebestätigung vom 25.11.2013 betreffend einen Deutschkurs, die Kopie des Mutter-Kind-Passes, sowie ein Empfehlungsschreiben. Betreffend den Drittbeschwerdeführer wurde die Referenz über Schnuppertage bei der XXXX zum Druckvorstufentechniker, wonach der Beschwerdeführer unterdurchschnittlich geeignet und der Schnupperbetrieb unterdurchschnittlich zufrieden mit ihm sei, weiters ein Unterstützungsschreiben der Psychotherapeutin vorgelegt.
Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.11.2014, zugestellt am 01.12.2014, wurden die Anträge der Erstbis Viertbeschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihnen der Status von subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf die Russische Föderation nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Zudem wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist; unter einem wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise auf 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt III.).
Das Bundesamt traf umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in der Russischen Föderation und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die vorgelegten Beweismittel bereits im ersten Asylverfahren gewürdigt worden seien. Es sei schließlich festgestellt worden, dass der Erstbeschwerdeführer keine systematische bzw. intensive Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer Rasse, Religion, Nationalität, bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung glaubhaft machen habe können. Die Zweit- bis Viertbeschwerdeführer hätten keine eigenen Ausreisegründe.
Zur Situation im Falle einer Rückkehr führte das Bundesamt aus, dass den Beschwerdeführern im Herkunftsstaat weder Verfolgung noch anderswertige Gefahren drohen würden, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. Abschließend begründete das Bundesamt seine Rückkehrentscheidung.
Mit Verfahrensanordnung vom 25.11.2014 wurde den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.
Die Beschwerdeführer erhoben mit Schriftsatz vom 10.12.2014 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und beantragten die Gewährung von Asyl, in eventu die Zurückverweisung an das Bundesamt, in eventu die Einräumung subsidiären Schutzes, in eventu die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels und die Aufhebung der Rückkehrentscheidung. Weiters werde die Einräumung einer öffentlichen, mündlichen Verhandlung beantragt, um die Fluchtgründe noch einmal vor unabhängigen Richterinnen persönlich und unmittelbar schildern und glaubhaft machen zu können. Die Beschwerde wurde in einem russischsprachigen Schreiben begründet, das hg. übersetzt wurde.
Die gegenständlichen Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 16.12.2014 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
3. Am XXXX wurde die FÜNFTBESCHWERDEFÜHRERIN im Bundesgebiet geboren. Ihre gesetzliche Vertreterin stellten am 25.11.2014 für sie einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei diese erklärte, dass für die Fünftbeschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe vorlägen. Zum Nachweis ihrer Identität wurde die österreichische Geburtsurkunde vorgelegt.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.12.2014, zugestellt am 30.12.2014, wurde der Antrag der Fünftbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf die Russische Föderation nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Zudem wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen die Fünftbeschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist; unter einem wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise auf 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt III.).
Diese Entscheidung wurde damit begründet, dass für die Fünftbeschwerdeführerin keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht worden seien. Darüber hinaus seien die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin nicht glaubhaft.
Mit Verfahrensanordnung vom 22.12.2014 wurde der Fünftbeschwerdeführerin gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.
In der dagegen erhobenen Beschwerde vom 09.01.2015 verwies die Fünftbeschwerdeführerin auf die Beschwerde der Eltern, da sie keine eigenen Fluchtgründe habe.
4. Mit Schreiben vom 23.01.2015 ergänzten die Beschwerdeführer ihre Beschwerde. Darin beantragt die Zweitbeschwerdeführerin die Beschwerdestattgabe, in eventu die Zurückverweisung an die Verwaltungsbehörde, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Zeugeneinvernahme des Nachbarn in Frankreich. Beiliegend übermittelte die Zweitbeschwerdeführerin das Schreiben der Psychotherapeutin des Drittbeschwerdeführers, wonach dieser regelmäßig zur Behandlung komme und unter massiven Angstzuständen leide, die mit früheren Erlebnissen im Herkunftsstaat bzw. der Befürchtung einer möglichen Rückkehr im Zusammenhang stünden. Er sei mittlerweile sozial und schulisch gut integriert und beginne, eine neue Lebenssicherheit zu gewinnen. Für eine möglichst gesunde und gesundende Entwicklung sei es nötig, dass seinem Antrag auf internationalen Schutz zugestimmt werde. Weiter legte sie eine Bestätigung der Hauptschule bei, wonach sich der Dritt- und Viertbeschwerdeführer in der Schule sehr wohl fühlten und ihre Leistungen durchschnittlich seien. Aus sozialen und pädagogischen Gründen sei es äußerst wünschenswert, wenn die Familie in XXXX bleiben dürfe. Dann könnten sie ihren Freundeskreis pflegen und die Ausbildung an einem Ort fortsetzen, wo sie sich wohl fühlten. Weiters wurde ein Bericht über Schnuppertage des Drittbeschwerdeführers als Einzelhandelskaufmann vorgelegt, in dem er als sehr geeignet bewertet wurde. Zudem legte die Zweitbeschwerdeführerin eine Ladung vor.
Mit Eingabe vom 19.02.2015 brachte der Erstbeschwerdeführer ein handschriftliches russischsprachiges Schreiben bei.
Laut hg. beauftragten Übersetzungen wurde der Inlandsreisepass des Erstbeschwerdeführers am XXXX ausgestellt. Er sei ab XXXX in XXXX registriert gewesen, die Abmeldung sei am XXXX erfolgt. Ab diesem Tag sei er in XXXX gemeldet gewesen. Laut Stempel vom XXXX sei er wehrpflichtig. Seine Ehe mit der Zweitbeschwerdeführerin wurde am XXXX registriert. Am XXXX und XXXX seien Pässe für ihn ausgestellt worden. Das Gericht veranlasste auch die Übersetzung der übrigen vorgelegten russischsprachigen Dokumente.
Mit Eingabe vom 21.08.2015 legte die Zweitbeschwerdeführerin folgende Unterlagen vor:
* Jahreszeugnis der 1. Klasse Neue Mittelschule aus dem Schuljahr 2014/2015 betreffend den Viertbeschwerdeführer, wonach sein Verhalten wenig zufriedenstellend ist und er außer in Sport (sehr gut), Werken (gut), Musik, Zeichnen und Religion (befriedigend) ausschließlich mit Nichtgenügend beurteilt wurde und folglich die Klasse wiederholen muss
* Jahreszeugnis der 4. Klasse Hauptschule aus dem Schuljahr 2014/2015 betreffend den Drittbeschwerdeführer, wonach er außer in Sport (sehr gut), Zeichnen und Religion (gut), Werken und Haushalt (befriedigend), Zeichnen und Musik (genügend) ausschließlich mit Nichtgenügend beurteilt wurde, wobei er in sämtlichen Hauptfächern in der dritten Leistungsgruppe war; er hat die Schulpflicht beendet und darf die Klasse wiederholen
Schreiben der Gemeinde XXXX, wonach der Erstbeschwerdeführer Juli-August 2015 verschiedene Tätigkeiten für die Gemeinde verrichtet habe, wie das Ausräumen des Bauhofes, Mäh- und MüllarbeitenIn der hg. am 14.06.2016 durchgeführten mündlichen Verhandlung, an der das Bundesamt entschuldigt nicht teilnahm, machte der Erstbeschwerdeführer folgende Angaben:
"[...]
R: Leben Sie in Österreich allein oder mit jemandem zusammen?
P1: Mit meiner Familie, d. h. mit meiner Gattin und meinen Kindern.
R: Haben Sie in Österreich oder in anderen Staaten außerhalb Ihres Herkunftsstaates noch Verwandte?
P1: Ja, Cousins, Cousinen und eine Tante in Frankreich, Belgien und in England.
R: Haben Sie Verwandte in Österreich?
P1: Ich nicht, aber meine Frau.
R: Wie ist der Kontakt zu den Verwandten Ihrer Frau in Österreich?
P1: Wir besuchen uns gegenseitig, wir leben in einer Stadt, wir leben in der Nähe von einander.
[...]
R: Ich habe von Ihnen nur den Nachweis, dass Sie die Grundschule absolviert haben, welche Ausbildung haben Sie konkret gemacht?
P1: Da ich die Grundschule 1996 abgeschlossen habe und im gleichen Jahr der Krieg ausgebrochen ist, der bis 2002 und eigentlich bis heute andauert, konnte ich keine weitere Ausbildung absolvieren.
R: Sie haben heute gesagt, dass Sie immer gearbeitet haben. Im ersten Verfahren haben Sie angegeben, dass Sie manchmal Taxi gefahren sind, aber meistens arbeitslos waren und Ihre Gattin verdient hat.
P1: Das stimmt, allerdings bezieht sich das nur auf die Zeitperiode, als ich die Probleme habe. Vorher habe ich fast immer gearbeitet, immer dann, wenn es Arbeit gegeben hat.
R: Auf welche Zeitperiode beziehen Sie sich konkret?
P1: Auf die Zeit nach 2009, dann habe ich nicht mehr gearbeitet.
R: Wovon bestreiten Sie derzeit Ihren Lebensunterhalt?
P1: Wir bekommen 40 Euro Taschengeld vom Staat. Ich würde sofort arbeiten gehen, wenn ich eine Arbeitsbewilligung bekommen könnte. Ich habe schon Arbeit gesucht, aber man nimmt mich nicht auf, weil ich keine Arbeitsbewilligung habe.
R: Sprechen Sie Deutsch? (Ohne Verdolmetschung):
P1: Bisschen.
[...]
R stellt fest, dass P1 nur geringe Deutschkenntnisse aufweist.
PV: Es muss zu Bedenken gegeben werden, dass die Familie vor kurzem - unerwarteter Weise - zum zweiten Mal übersiedeln musste und der Deutschkurs momentan auch auf Basis von Freiwilligenengagement fortgesetzt wird. Des Weiteren ist zu bedenken, dass der BF, wie bereits mehrfach angegeben, an Gedächtnisproblemen leidet und dies auch beim Deutschlernen Auswirkungen zeigt.
(Mit Verdolmetschung):
R: Sie haben nur die Teilnahmebestätigung an einem Deutschkurs der Caritas auf dem Niveau A1 vom 29.11.2013 vorgelegt. Verfügen Sie über aktuellere Bestätigungen?
PV: Abgesehen von den heuten vorgelegten Schreiben nicht, da wie gesagt, ein regulärer Deutschkurs erst gefunden werden muss.
R: In welcher Sprache unterhalten Sie sich zuhause?
P1: Russisch und Tschetschenisch.
[...]
R: Sie werden beschuldigt, am 11.04.2015, nach einem Streit Ihres Sohnes mit einem Nachbarn nach einem Fußballspiel diesen gewürgt und geschlagen und danach gegen seine Wohnungstüre gehämmert zu haben. Was möchten Sie dazu sagen? Sie müssen sich nicht selbst bezichtigen.
P1: Ich schwöre bei Allah, dass das eine Lüge, das waren "Zigeuner" sie haben meinen jüngeren Sohn geschlagen, das haben die Leute von der Pension auch gesehen. Ich schwöre, dass ich sie nicht gewürgt habe, sogar die Chefin ist herausgekommen. Als es den Konflikt gegeben hat, ist mein Sohn gekommen und hat geweint, weil ihn der Mann einen Schlag versetzt hat, er ist zu mir gekommen. Ich bin herausgekommen und habe ihn gefragt, warum er das macht, er ist doch zwei Meter groß, er hat den jüngeren Sohn geschlagen. Zu dem Zeitpunkt ist seine Familie herausgekommen, auch die Chefin ist herausgekommen. Sie haben der Chefin die Tür nicht aufgemacht.
R: Haben Ihre Kinder eigene Fluchtgründe?
P1: Nein.
R: Wie geht es Ihren Kindern gesundheitlich?
P1: Gut, der Ältere leidet unter Angstzuständen. Er war beim Psychologen. Der Arzt hat mir auch gesagt, dass ich zum Psychologen gehen soll, aber bei der Caritas hat mir gesagt, dass es keinen Dolmetscher dafür gibt und dass die Warteliste lang ist, ich warte seit zwei Jahren.
R: Ihr Sohn XXXX ist 16 Jahre alt, ledig, und lebte die ersten zwölf Jahre seines Lebens in der Russischen Föderation. Er besuchte 2006-2012 die Grundschule XXXX. Ist das korrekt?
P1. Ja.
R: Wie verbringt Ihr Sohn XXXX sein Leben in Österreich?
P1: Er hat die Schule besucht, jetzt sind wir umgezogen und er soll in eine andere Schule gehen.
R: Besucht er zurzeit irgendeine Schule?
P1: Wir sind jetzt umgezogen und am 16.(06.2016) haben wir einen Termin in der Schule, es ist eine Berufsschule.
R: Ihr Sohn XXXX war im Schuljahr 2014/2015 in der 4. Klasse Hauptschule. Er wurde in mehr als der Hälfte der Pflichtfächer mit "nicht genügend" beurteilt und war in Deutsch, Mathematik und Englisch in der 3. Leistungsgruppe. Er hat die Schulpflicht beendet, die 8. Schulstufe aber nicht erfolgreich abgeschlossen. Das Verhalten wird in dieser Schulstufe nicht beurteilt. Möchten Sie dazu Angaben machen?
P1: Ja, mit den Noten hat das nicht so geklappt, man hat ihn gesagt, dass die Noten stimmen müssen, aber Sie wissen selbst, wie das in dem Alter ist. Er hat dort gelernt und dann sind wir umgezogen.
R: Was hat er dann im Schuljahr 2015/2016 bis zum Umzug gemacht?
P1: In MITTERSIL.
R: Welche Schule hat er besucht?
P1: Volksschule.
PV: Mittelschule. Wegen des Umzugs ist er ausgetreten, ich kann nur ein Schreiben der Schule vom Jänner 2015 vorweisen, wo zwar die Leistungen als "durchschnittlich" bezeichnet werden, jedoch - wie in anderen Schreiben - immer wieder betont wird, beide Söhne sehr bemüht und ordentliche Schüler sind und aus sozialen und pädagogischen Gründen eine Fortsetzung der Ausbildung mehr als wünschenswert wäre.
R: Ihr Sohn XXXX ist dreizehn Jahre alt. Er ist ledig und lebte die ersten neun Jahre seines Lebens im Herkunftsstaat und besuchte 2010-2012 die Grundschule XXXX. Ist das korrekt?
P1: Ja.
R: Wie verbringt XXXX sein Leben in Österreich?
P1. Er geht in die Schule hat beim Taekwondo den ersten Platz gemacht. Er hat auch den ersten Platz in der Schule beim Schifahren bekommen.
R: Laut der Leiterin ihres Quartiers gibt es immer wieder Probleme mit Ihrem Sohn XXXX. Möchten Sie dazu Angaben machen?
P1: In der Schule?
R: Nein, im Quartier der Grundversorgung.
P1: Er wurde von den "Zigeunern" zusammengeschlagen.
R: Ihr Sohn XXXX war im Schuljahr 2014/2015 in der 1. Klasse der Neuen Mittelschule in der Hälfte der Pflichtgegenstände "nicht genügend" und war nicht berechtigt, in die zweite Klasse aufzusteigen. Sein Verhalten in der Schule wurde als "wenig zufriedenstellend" bewertet. Möchten Sie dazu Angaben machen?
P1: Das war dort. Dort in der Pension gibt es eine Willkür, jetzt gibt es keine Probleme mehr. Man hat ihn nicht in Ruhe gelassen.
R: Ihre Tochter XXXX wurde am XXXX in Österreich geboren; sie ist 20 Monate alt und lebt bei Ihnen und Ihrer Gattin. Ist das korrekt?
P1: Ja, in XXXX.
R: Das ho. Gericht kann sich nunmehr ein Bild über Ihre privaten und familiären Bindungen in Österreich machen und erscheinen hierzu seitens des ho. Gerichts keine weiteren Fragen offen. Wollen Sie sich noch weitergehend zur Ihren privaten und familiären Bindungen in Österreich bzw. Ihrer Integration bzw. der Ihrer Kinder äußern?
P1: Wie meinen Sie das?
R: Möchten Sie zum Leben in Österreich noch etwas angeben?
P1:. Wir sind ca. vier Jahre lang in Österreich. Wir haben uns an das Leben hier gewöhnt und wir wollen hierbleiben. Ich bitte Sie darum. Die Kinder besuchen hier eine Schule, sie können nicht mehr Russisch. Wir wollen hier bleiben. Bei uns gibt es eine "Revolution", wenn sie uns aufnehmen, dann werde ich meine [Familie] finanziell versorgen, ich werde auch keine Sozialgeld mehr beziehen, trotz meines Gesundheitszustandes, man hat mir ja Arbeit in Österreich vorgeschlagen und ich könnte durch diese Arbeit, den Unterhalt meiner Familie sichern. Meine Frau hat auch eine Berufsausbildung, sie ist Technologin.
R: Haben Sie noch Verwandte im Herkunftsstaat?
P1: Ja.
R: Wen und wo?
P1: Mein Vater, meine Mutter und zwei Brüder.
R: Wo leben die?
P1: In XXXX, im Haus der Familie.
R: Haben Sie Kontakt zueinander?
P1: Ich habe schon lange keinen Kontakt mehr gehabt.
R: Seit wann haben Sie keinen Kontakt mehr?
P1: Ich glaube seit 2014. Ich bin hier und sie sind dort. Ein Kontakt bringt jetzt nichts mehr, aber meine Frau spricht mit der Schwester, wie es ihnen geht und so. Sie ist in Kontakt, sie macht das. Aber ich weiß nicht, wann sie wen kontaktiert.
[...]"
Der Erstbeschwerdeführer legte ein Unterstützungsschreiben einer Familie aus XXXX bei, ein Unterstützungsschreiben der Cousine der Zweitbeschwerdeführerin, ein Unterstützungsschreiben von XXXX, freiwillige Helferin der Diakonie XXXX, die die Wohngruppe betreut, in der die Beschwerdeführer ein Zimmer haben, ein Unterstützungsschreiben des Diakoniewerks XXXX, ein Unterstützungsschreiben der Gemeinde XXXX aus dem Mai 2016, demzufolge der Erstbeschwerdeführer Juli-November 2015 bei Gemeindearbeiten half, Arztbriefe und Verordnung einer Brille, ein unleserlicher Befund der neurologischen Ambulanz vom 07.06.2016 sowie Rezepte.
Die Zweitbeschwerdeführerin gab in dieser mündlichen Verhandlung Folgendes an:
"[...]
R: Mir fehlt eine Übersetzung der Kopie Ihres Inlandsreisepasses. Diesen wird die Dolmetscherin für mich übersetzen (BAA AS 15).
XXXX
XXXX
XXXX
XXXX
XXXX
XXXX
XXXX
XXXX
XXXX
XXXX
[...]
R: Gibt es Beweismittel oder sonstige Unterlagen, die Sie heute in Ihrem Verfahren oder in denen Ihrer Kinder vorlegen mochten?
P2: Ich habe alles vorgelegt was ich hatte.
PV legt vor: Zertifikat OSD Niveau A2 vom 28. Juli 2015, Sprachzertifikat VHS XXXX, Grundstufe Deutsch A1 vom 14.03.2014, Teilnahmebestätigung vom Deutschkurs für Asylwerber 2013, ein Unterstutzungsschreiben der Cousine XXXX.
P2: Es gab noch eine Bestätigung von meiner Cousine.
PV ergänzt: Mir wurde von der Betreuerin gesagt, dass auch geplant ist, bald eine B1- Prüfung abzugeben. Wie bereits erwähnt, wurde durch den Umzug einiges erschwert. Als Beispiel für die Engagements, die die BF erbringt, wird eine Bestätigung über einen Backkurs vorgelegt und das daraus entstandene internationale Backbuch.
Weiters wird eine Bestätigung über Frauennachmittage vorgelegt.
R: Haben Sie seit Ihrer ersten Asylantragstellung in Osterreich das Bundesgebiet einmal verlassen?
P2: Nein.
R: Besitzen Sie außer den asylrechtlichen Aufenthaltstitel in Osterreich noch ein weiteres Aufenthaltsrecht?
P2: Nein.
R: Leben Sie in Osterreich allein oder mit jemandem zusammen?
P2: Ich lebe mit meiner Familie.
R: Haben Sie in Osterreich oder in anderen Staaten außerhalb Ihres Herkunftsstaates noch Verwandte?
P2: Ja. Eine Cousine und meinen Bruder mit Familie. Meine Cousine hat auch eine Familie.
R: Wie gestaltet sich der Kontakt zu diesen Verwandten?
P2: Wir besuchen uns gegenseitig. Unterschiedlich. Manchmal einmal in der Woche, manchmal auch zweimal.
R: Wie war der Kontakt zu Ihrer Cousine und Ihrem Bruder, bevor Sie nach Österreich gekommen sind, als Sie noch in Russland gelebt haben?
P2: Mit meiner Cousine hatte ich keinen Kontakt, aber mit meinem Bruder schon. Er hat im Elternhaus gelebt. Ich meine, in der elterlichen Wohnung. Ich habe ihn besucht. Ich bin hingefahren.
[...]
R: In welcher Sprache unterhalten Sie sich zuhause?
Ab jetzt antwortet P2 auf Deutsch:
P2 Mehr auf Tschetschenisch, aber manchmal auf Deutsch.
[...]
R: Wie verbringen Sie den Alltag?
P2: Ich lerne, wenn schlaft meine Kleinste, ich lerne Deutsch. Dann koche ich, putze. Dann spazieren gehen auch mit meinen Kindern. Manchmal ich treffe mit meinen Freunden, sonst mit einer freiwilligen Frau, sie heißt Susanne REIF. Noch eine Susanne, ich weiß nicht den Familiennamen, ich war einmal in der Stadtbibliothek mit Susanne, ich bringe viele Bücher für meine Kinder und mich und war zweimal mit Susanne spazieren gegangen.
[...]
PV: Wie wichtig ist Ihnen die Beziehung zu Ihrer Cousine und der Familie Ihres Bruders?
P2: Mein Bruder lebt hier und meine Cousine. Für mich ist das wichtig, dass meine Verwandten da sind. Meiner Meinung nach ist die Situation für Frauen in Osterreich besser als in Tschetschenien.
[...]
R: Haben Ihre Kinder eigene Fluchtgründe?
P2: Nein.
R: Wie geht es Ihren Kindern gesundheitlich?
P2: Sie sind gesund, aber mein älterer Sohn hat eine Zeit lang unter Angstzustanden gelitten, deswegen war er in psychologischer Behandlung.
R: Sind die Angstzustände jetzt vergangen?
P2: Nicht vollständig. Die Psychologin hat gesagt, dass er die Behandlung fortsetzen sollte, weil diese Angstzustände zwar zeitweise weg sind, aber immer wieder kommen.
R: Ihre Tochter XXXX wurde am XXXX in Österreich geboren; sie ist 20 Monate alt und lebt bei Ihnen und Ihrem Gatten. Ist das korrekt?
P2:Ja.
R: Mochten Sie sonstige Angaben zu den Verfahren Ihrer Kinder machen?
P2: Ja, das will ich. Die derzeitige Lage, besonders für die Jungen ist derzeit in meinem Heimatland so, dass es sehr schwer für die junge Generation ist. Zum Beispiel wenn irgendwer in der Familie Probleme hat, dann bezieht sich das auf alle Familienmitglieder, vorwiegend auf die männlichen Familienmitglieder. Als wir hierhergekommen sind, waren meine Kinder um einiges junger, aber jetzt sind sie herangewachsen, deshalb habe ich noch größere Angst um sie, eben um meine Kinder.
R: Das ho. Gericht kann sich nunmehr ein Bild über Ihre privaten und familiären Bindungen in Osterreich machen und erscheinen hierzu seitens des ho. Gerichts keine weiteren Fragen offen. Wollen Sie sich noch weitergehend zur Ihren privaten und familiären Bindungen in Osterreich bzw. Ihrer Integration bzw. der Ihrer Kinder äußern?
P2: Nein.
R: Haben Sie noch Verwandte im Herkunftsstaat?
P2: Ja. Meinen Vater, drei Schwestern und zwei Brüder.
R: Wo leben diese?
P2: Mein Vater wohnt in XXXX, im Dorf XXXX. Zwei Schwestern leben in XXXX. Eine Schwester und zwei Brüder leben im Elternhaus, aber in einer Wohnung. Aber mein Vater lebt dort nicht. Er lebt woanders, mit seiner Frau. Er hat ein zweites Mal geheiratet. Das ist alles.
R: Wovon leben Ihre Geschwister und Ihr Vater?
P2: Mein Vater bekommt eine Pension. Zwei Schwestern werden von ihren Männern erhalten, eine Schwester arbeitet im Kindergarten. Ein Bruder nimmt Privataufträge auf, aber die hat er nicht ständig. Wenn es arbeiten gibt, dann geht er arbeiten. Der zweite Bruder ist zu Hause. Derzeit macht er nichts. Die drei leben zusammen, zwei Bruder und eine Schwester. Der eine Bruder, der dort lebt, ist auch verheiratet. Die Schwester arbeitet und ein Bruder arbeitet. Die drei helfen sich gegenseitig.
R: Wie geht es ihren Verwandten im Herkunftsstaat?
P2: Gut.
R: Haben Sie Kontakt zueinander?
P2: Mit meiner Schwester. Mit der, die in XXXXlebt.
R: Ihr Mann hat gesagt, dass Sie auch mit der Schwiegerfamilie Kontakt halten, stimmt das?
P2: Einen direkten Kontakt habe ich nicht, aber ich frage meine Schwester nach ihnen. Meine Schwiegermutter ruft meine Schwester an und über meine Schwester erfahre ich, wie es ihnen geht.
[...]"
In der mündlichen Verhandlung legt die Zweitbeschwerdeführerin folgende Unterlagen vor:
* Unterstützungsschreiben der VHS-Lehrerin, wonach die Zweitbeschwerdeführerin an den mehrmals im Jahr in XXXX stattfindenden Integrationsnachmittagen für Frauen teilgenommen habe
* Teilnahmebestätigung der XXXX über die Teilnahme am Backkurs "Traditionelle Gebäcke rund ums Jahr" sowie Auszug aus dem zugehörigen Backbuch
* Deutschkursbesuchsbestätigung VHS XXXX 2013
* Sprachzertifikat Deutsch A1 der VHS XXXX vom 14.03.2014
* Sprachzertifikat Deutsch A2 - guter Erfolg des ÖSD vom 28.07.2015,
* Unterstützungsschreiben von Einwohnern von XXXX, undatiert und ununterschrieben
* Unterstützungsschreiben der Cousine XXXX, wonach die Zweitbeschwerdeführerin zu ihrer Familie gehöre und sie sie in ihrer Nähe haben wolle, weil Familie das Wichtigste sei; die Söhne gingen hier in die Schule, hätten sich sehr gut angepasst und viele Freunde gefunden, sie hätten sich in der neuen Umgebung prima eingelebt, beide sprächen auch gut Deutsch, die Eltern seien integriert und hätten das Ziel, Deutsch zu lernen und Arbeit zu finden; die Familie sei fröhlich, hilfsbereit, fleißig und nett
* Unterstützungsschreiben ihrer Flüchtlingsbetreuerin, wonach die Beschwerdeführer sehr offen seien und innerhalb der Wohngruppe sehr integrativ wirken. Die Beschwerdeführer würden bei Round Table-Veranstaltungen Informationen an noch nicht so lange in Österreich aufhältige Flüchtlinge weitergeben. Die Zweitbeschwerdeführerin habe eine Geburtstagstorte für ein Kind in der Wohngruppe gebacken. Es habe sich eine Freundschaft zwischen der Zweitbeschwerdeführerin und der Flüchtlingsbetreuerin ergeben, da sie Kinder im selben Alter hätten und würden sich über Kinderkrankheiten, Impfungen und Hausmittel austauschen und gemeinsame Ausflüge in die Bibliothek und Spaziergänge unternehmen. Die Integration würde den Beschwerdeführern nicht schwer fallen und sei zT schon erfolgt.
* Unterstützungsschreiben der XXXX, wonach sich die Beschwerdeführer im Flüchtlingsquartier engagieren würden und bei Veranstaltungen auf Grund ihrer guten Deutschkenntnisse gerne mithelfen würden. Sie seien bei der Integration sehr bemüht und die Kinder würden die im Flüchtlingsquartier lebenden Verwandten unterstützen, die noch nicht so gut deutsch sprächen.
Der Drittbeschwerdeführer gab in der hg. mündlichen Verhandlung im Beisein seiner Mutter Folgendes an:
"R: Ich entnehme dem Akt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA), dass Sie XXXX heißen, geb. am XXXX, Staatsangehörigkeit:
Russische Föderation, Volksgruppe: Tschetschene, moslemischer Glaube, ledig. Ist das korrekt?
P3: Ja.
R: Wie geht es Ihnen gesundheitlich (sowohl in psychischer als auch in physischer Hinsicht): Sind sie insbesondere in ärztlicher Behandlung, befinden Sie sich in Therapie, nehmen Sie Medikamente ein?
P3: Nein.
R: Sie haben eine Bestätigung der Kinderseelenhilfe vorgelegt, wonach Sie regelmäßig psychotherapeutische Behandlung in Anspruch nehmen. Möchten Sie dazu etwas angeben?
Es wurden alle Antworten auf Deutsch gegeben.
P3: Ich möchte wieder dahin. Die Behandlung war in XXXX, jetzt sind wir in XXXX und jetzt kann ich nicht dorthin gehen.
R: Gibt es Beweismittel oder sonstige Unterlagen, die Sie vorlegen möchten?
P3 legt vor:
- Urkunde über den 3. Platz "Crosslauf 2015"
- Unterstützungsschreiben von Gundula XXXX
PV: Diese stellt weiterhin eine wichtige Bezugsperson für den BF dar.
P2: Die Deutschkursbesuchsbestätigungen beziehen sich auf mich und die Kinder. Dabei handelt es sich nicht um einen richtigen Deutschkurs, sondern um ein Sprachtraining mit Freiwilligen. Es gibt auch ein Unterstützungsschreiben der Diakonie für die ganze Familie.
R: Haben Sie seit September 2012 Österreich einmal verlassen?
P3: Seit 2012 bin ich hier.
R: Besitzen Sie außer den asylrechtlichen Aufenthaltstitel in Österreich noch ein weiteres Aufenthaltsrecht? Haben Sie ein Visum oder etwas anderes?
P3: Nein.
R: Leben Sie in Österreich allein oder mit jemandem zusammen?
P3: Mit meiner Familie, d. h. meine Eltern und meinen Geschwistern.
R: Haben Sie in Österreich oder in anderen Staaten außerhalb der Russischen Föderation Verwandte?
P3: Ja, den Bruder meiner Mutter und ihre Cousine, außerhalb Österreichs habe ich keine.
R: Wie ist Ihre Beziehung zu diesen Verwandten?
P3: Sie wohnen auch in XXXX, wir gehen zu ihnen und sie kommen zu uns. Wir haben eine gute Beziehung.
R: Haben Sie sich in Österreich ehrenamtlich engagiert?
P3: Ich habe in der Schule bei Festen mitgeholfen. Ich habe Tische rauf- und runtergetragen, das war in XXXX. In XXXX im Diakoniewerk bringe ich die Kinder zur Schule und bringe sie nach der Schule wieder zurück. Die haben noch kein Ticket für den Bus, deshalb helfe ich ihnen.
R: Wovon bestreiten Sie derzeit Ihren Lebensunterhalt? Wovon leben Sie?
P3: Wir beziehen Grundversorgung.
R: Welche Sprachen sprechen Sie?
P3: Russisch, Deutsch, Tschetschenisch. In Tschetschenien lernt man in der Schule nicht Englisch.
R: In welcher Sprache unterhalten Sie sich zuhause?
P3: Manchmal Deutsch und Tschetschenisch.
R: Mit wem haben Sie in Tschetschenien zusammengelebt?
P3: Mit meiner Mutter und dem Bruder.
R: Haben Sie noch Verwandte in Tschetschenien?
P3: Meine Tante mütterlicherseits, Oma, Opa, die Brüder meines Vaters und die Schwestern meiner Mutter. Es sind viele Verwandte.
R: Wie haben Sie Kontakt zu den Verwandten?
P3: Ich nicht.
R: Haben Sie auch noch Freunde in Tschetschenien aus der Schule, haben Sie mit denen noch Kontakt?
P3: Nein, ich habe ihre Telefonnummer nicht.
R: Sie haben 2006-2012 die Grundschule XXXX besucht. Ist das korrekt?
P3: Ich war in der Schule bevor wir bei unserer Tante gewohnt haben. Ich weiß nicht mehr, wann das war. Danach bin ich nicht mehr in die Schule gegangen.
R: Da war Schulpflicht.
P2: Er war an unserer Adresse registriert. Nachdem wir zu meiner Schwester übersiedelt sind, konnte er die Schule dort nicht besuchen. Ich wollte nicht, dass er die Schule bei meiner Schwester besucht.
R: Ab wann war das?
P2: 2011.
R: Waren Sie gut in der Schule? Sind Sie gerne in die Schule gegangen?
P3: Ja, aber die Schule ist nicht so gut wie in Österreich, ich meine nicht vom Aussehen her, sondern wegen der Lehrer.
R: In welcher Sprache hat der Schulunterricht stattgefunden?
P3: Auf Tschetschenisch.
R: Hat es auch Russisch als Schulfach gegeben?
P3: Ja.
R: Sie waren im Schuljahr 2014/2015 in der 4. Klasse Hauptschule und wurden in mehr als der Hälfte der Pflichtfächer mit "nicht genügend" beurteilt und war in Deutsch, Mathematik und Englisch in der 3. Leistungsgruppe. Sie haben die Schulpflicht beendet, die 8. Schulstufe aber nicht erfolgreich abgeschlossen. Möchten Sie dazu Angaben machen?
P3: Damals war ich nicht so gut, aber jetzt gehe ich zum BFI und mache den Schulabschluss nach und danach eine Lehre über Computer. Ich möchte eine Lehre für Elektrotechnik machen, ich bin noch nicht eingeschrieben, ich "schnuppere". Ich habe auch bei XXXX "geschnuppert" und bei "XXXX" macht man Werbung. Auch im Hotel habe ich "geschnuppert", da wollten sie mich als Arbeiter nehmen, aber sie konnten nicht, weil wir keinen Bescheid haben.
P2: Das Hotel hat eine Anfrage beim AMS gemacht und das AMS hat festgestellt, dass er noch nicht zur Arbeit aufgenommen werden darf und man hat ihn noch keine Bewilligung erteilt, aber der Chef des Hotels, möchte ihn unbedingt aufnehmen, wenn er ein Praktikum dort macht.
R: Wiederholen Sie zurzeit die 4. Klasse und können Sie ihr Semesterzeugnis vorlegen?
P3: Mir hat der Direktor gesagt, dass ich schon zu alt bin und daher bin ich von der Schule abgemeldet.
P2: Man hat ih[m] erlaubt, die Klasse zu wiederholen, auf freiwilliger Basis. Nach einem halben Jahr hat er viele "ungenügende" Noten bekommen und der Direktor hat gemeint, dass es keine Sinn hat, die Schule zu besuchen, wenn er schon im Halbjahr, so viele negative Noten bekommen hat, er hat gesagt, dass der Schulbesuch auf freiwilliger Basis erfolgt ist und dass es für ihn besser wäre, irgendwo arbeiten zu gehen. Zuerst zum Jugendcoaching als Praktikum und dann könnte er dort arbeiten.
R: Seit wann besuchen Sie den Hauptschulabschlusskurs beim BFI?
P3: Noch besuche ich ihn nicht, ich fange im September an.
P2: Das ist die Volkshochschule. Am 9. Juni hat er einen Termin gehabt beim BFI. Eine Frau, eine Freiwillige, die zu uns von der Diakonie kommt, hat gesagt, dass er an dem Tag nicht selbst hingehen muss, weil das [ein] Informationsabend ist. Sie ist selbst hingegangen in Vertretung von XXXX, sie hat gesagt, dass er sich Ende August bei der Volkshochschule einschreiben soll und im September dann, mit Beginn der Schule, mit der Ausbildung in der Volkshochschule beginnen soll. Er kann dort ein Jahr die Ausbildung machen und kann dann eine Lehre beginnen. Mit dem BFI hat mein Sohn die Veranstaltung gemeint, bei der gesagt wurde, welche Möglichkeiten er hat.
R: Welche Klassen haben Sie zuvor besucht? Haben Sie da Zeugnisse?
P3: Ich habe im Burgenland mit der zweiten Klasse Hauptschule begonnen. Danach sind wir nach XXXX gezogen. Dort habe ich dreimal die vierte Klasse besucht.
P2. Ich glaube nicht, dass das stimmt. Ich glaube, dass er das mit dem dritten Mal nicht richtig gezählt hat. Er hat zweimal die vierte Klasse gemacht.
R: Haben Sie Zeugnisse dabei?
P3: Nein.
R: Besuchen Sie in Österreich andere Kurse, außerhalb der Schule, zB Deutschförderkurse?
P3: Bis jetzt nicht, aber jetzt in XXXX, mache ich das Sprachtraining. Das findet einmal in der Woche statt, am Dienstag.
PV an P3: Frau XXXX hat mir erzählt, dass du sehr viele Dolmetschertätigkeiten wahrnimmst, bitte erzähle mir davon.
P3: In der Diakonie wohnt eine Familie, die aus Tschetschenien stammt. Einmal sind sie zu Ärzten gegangen, da war ich mit und zweimal hat mich die Direktorin gerufen und ich habe ihnen beim Deutschlernen geholfen. Einmal bin ich nach XXXX mitgefahren, zum Arzt. Ich habe immer für die Familie gedolmetscht. Einmal bin ich mit meinem Vater und Susannes Mann mitgefahren, wir haben Sachen aus dem anderen "Spar" geholt für das Diakoniewerk, der hat mittlerweile zugesperrt.
R: Wie verbringen Sie den Alltag?
P3: Ich gehe mit meinem Freunden raus, er heißt XXXX, mit dem Fahrrad. Wir gehen spazieren, einmal habe ich bei ihm übernachtet. Einmal sind wir mit dem Auto gefahren, mit seinem Freund. Er kommt auch manchmal zu mir. Ich gehe raus ins Diakoniewerk und spiele mit den anderen Kindern.
R: Sind Sie in einem Verein oder treffen Sie sich sonst regelmäßig mit anderen Personen?
P3: Noch nicht, aber ich möchte in einem Verein gehen, ich möchte MMA [m]achen und ich möchte auch Parcours machen.
R: Laut Akt sind Sie Mitglied im TAEK WON DO Club XXXX.
P3: Das ist schon eineinhalb Jahre her. Der Trainer ist umgezogen.
R: Warum möchten Sie MMA machen?
P3: Das ist ein guter Sport.
P2: Ich glaube, dass er seine Meinung ändern wird, wenn er in die Schule geht.
R: Sind Sie in Österreich strafgerichtlich unbescholten?
P3: Nein.
R: Sind sie auf andere Art und Weise mit der österreichischen Rechtsordnung in Konflikt geraten?
P3: Nein.
R: Was würde Sie persönlich im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat konkret erwarten?
P3: Das ist nicht gut. Wenn ich zurückfahre, hat mein Vater Probleme und ich auch, wegen der Schule, ich kann nicht arbeiten, ich könnte nur zu Hause sitzen und ich will nicht einfach zu Hause sitzen.
R: Was würde passieren, wenn Sie (hypothetisch) an einen anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens zurückkehren müssten?
P3: Ich weiß nicht genau.
R: Hatten Sie Gelegenheit alles vorzubringen, was Sie vorbringen wollten?
P3: Ich möchte in Österreich leben.
R: Es werden die Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation, Stand Juni 2016, ausgehändigt und eine Frist zur Stellungnahme binnen zwei Wochen, eingeräumt.
PV: Ja.
R: Ich habe zu Ihrem Verfahren keine weiteren Fragen. Wollen Sie noch etwas Ergänzendes vorbringen oder weitere Beweisanträge stellen?
PV: Ich verweise auf die vorgelegten Unterstützungserklärungen.
R fragt die P, ob sie die Richterin gut verstanden habe; dies wird bejaht.
R an P2: Haben Sie die Dolmetscherin gut verstanden?
P2: Ja.
[...]
R: Wurde das protokolliert was Sie vorher angegeben haben oder wollen Sie weitere Korrekturen anbringen?
[...]
P2: Zur Behandlung meines Sohnes in XXXX möchte ich angeben, dass er eine lange Behandlungspause hatte, weil ich nach der Geburt meiner Tochter, meinen Sohn nicht zur Behandlung begleiten konnte und er ohne mich nicht hingehen wollte.
Zur Seite 9 möchte [ich] ergänzen, dass der Sozialberater meinen Sohn darum gebeten hat, die Kinder zur Schule zu begleiten, da sonst niemand in der Pension Deutsch gesprochen hat und man für die Kinder jedes Mal Fahrkarten kaufen musste.
Zum Englischunterricht in Tschetschenien möchte ich angeben, dass es in manchen Klassen Englischunterricht gibt und in manchen nicht.
Zur Seite 10 möchte ich angeben, dass wir eine Bestätigung haben, dass mein Sohn im Hotel hätte arbeiten können.
Zur Seite 11 möchte ich angeben, dass es noch einen Sommerkurs gibt und heute der Anmeldetermin wäre, der zweite Anmeldetermin ist im August.
R: Legen Sie diese Bestätigung des Hotels bitte binnen zwei Wochen vor.
PV: Ja.
PV: XXXX selbst möchte zu den Sprachkenntnissen ergänzen, dass er in Österreich in der Schule ein wenig Englisch gelernt hat, er sich das nicht getraut hat zu erwähnen, weil sein Englisch nicht sehr gut ist."
In der mündlichen Verhandlung legte der Drittbeschwerdeführer das Schreiben der Psychotherapeutin vom 15.05.2014, eine Bestätigung des Besuchs des freiwilligen Deutschkurses des DIAKONIE Flüchtlingsdienstes, ein Unterstützungsschreiben seiner Nachhilfelehrerin aus XXXX aus 2013, die Urkunde über den 3. Platz beim Crosslauf der Bezirksmeisterschaften 2015, ein undatiertes Unterstützungsschreiben aus XXXX betreffend die gesamte Familie, ein Unterstützungsschreiben der Cousine der Zweitbeschwerdeführerin und ein Unterstützungsschreiben der Flüchtlingsbetreuerin in XXXX, ein Unterstützungsschreiben der Sozialbetreuung des DIAKONIEWERKS.
Nach einem Ansuchen um Fristerstreckung für die Erstattung einer Stellungnahme zu den Länderberichten, dem entsprochen wurde, erstattete der Beschwerdeführer folgende Stellungnahme:
"Wie in der öffentlichen mündlichen Verhandlung vom 14.6.2016 in Aussicht gestellt, erstatten die BeschwerdeführerInnen (BF) in umseits bezeichneter Rechtssache durch ihre in der mündlichen Verhandlung bevollmächtigte Vertreterin (BFV) binnen der gewährten Frist folgende Stellungnahme:
Die BF sind aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung aus ihrem Heimatland Tschetschenien geflohen und wären mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit im Falle einer Rückkehr Verfolgung iSd GFK und EMRK Verletzungen ausgesetzt.
[...]
Das erste Asylverfahren der BF war insgesamt äußerst mangelhaft. Die Behörde hatte sich mit dem Vorbringen und den vorgelegten Beweismittel nicht auseinander gesetzt. [...] Trotz entsprechendem Antrag und Beschwerdevorbringen führte der AsylGH keine mündliche Verhandlung durch, sondern wies ohne weiteres Parteiengehör die Beschwerde ab. Die BF wurden somit auch in ihrem Recht auf gesetzlichen Richter verletzt. Sowohl der VfGH und der VwGH haben wiederholt die Verhandlungspflicht betont und in der Unterlassung einer mündlichen Verhandlung die Verletzung des Art. 47 GRC gesehen. (VfGH 22.11.2013, U729/2013; VfGH 21.02.2014, U152/2013 u.a.; VwGH, Ra 2014/01/0074 vom 23.6.2015; VwGH, Ra 2014/19/0125 vom 28.4.2015; VwGH, Ra 2015/18/0071 vom 29.6.2015 u.a.)
Nachdem die BF zu dem Zeitpunkt keinen ausreichenden Beistand durch Rechtsberatung hatten, waren die BF nach Bekanntwerden der Abweisung ihres Asylantrages und gleichzeitigem Bekanntwerden neuer Tatsachen, die eine aktuelle und neue Verfolgungsgefahr nahelegten, genötigt, einen neuerlichen Asylantrag zu stellen. [...]
Die reale Gefahr im Falle einer Rückkehr einer Art.2 und Art. 3 EMRK Verletzung ausgesetzt zu sein, muss zudem zu jedem Entscheidungszeitpunkt neuerlich und angemessen beurteilt werden. Hierzu wird unten basierend auf den Länderberichten auf die Risiken, denen die BF ausgesetzt sind, im Detail ausgeführt.
Aussageverhalten/ Beachtung des psychischen Zustandes
Von der Behörde (sowie vom AsylGH) wurde das schwere Schädel Hirn Trauma (SHT) sowie die diagnostizierte PTBS des BF1 völlig ignoriert. Dies hätte jedoch einerseits gemäß dem Istanbul Protokoll zur Dokumentation etwaiger Folter und Misshandlung fachärztlich untersucht werden müssen, zum anderen hätte es adäquat in die Beweiswürdigung Einlang finden müssen.
Wie bereits der VfGH des Öfteren klar gestellt hat, ist eine psychische Erkrankung ausreichend in die Beweiswürdigung einzubeziehen.
Wie auch in dem aktuellen Befundbericht festgehalten wird, sind (gravierende) Gedächtnisprobleme eine Folge eines Schädel Hirn Traumas.
Der BF war daher wohl auch oder insbesondere auf Grund der schweren Verletzung sowie auf Grund der psychischen Erkrankung nicht in der Lage ein lückenlos plausibles Vorbringen zu erstatten. Zudem er des Öfteren selbst darauf hingewiesen hat, dass er beispielsweise mit der Angabe von Zeiten und ähnlichem Probleme hat.
Des Weiteren stützen sich angebliche Widersprüche großteils auf die Zeit nach der schweren Verletzung und nach dem Koma des BF, wobei hier die Auswirkungen eines Schädel-Hirn-Traumas auf die Gedächtnisleistung und die Fähigkeit relevante Ereignisse schlüssig und widerspruchsfrei zu schildern außer Acht gelassen wurde.
Der BF1 selbst wollte seiner Mitwirkungspflicht so gut als möglich nachkommen und die Fragen beantworten, ohne dass ihm bewusst war, dass Details ebenso wichtig und vorgehalten werden könnten. Er wies daher oftmals nicht darauf hin, dass Zeiten oder Details oftmals schwierig seien, konkret anzugeben oder abschließend Aussagen zu tätigen.
VfGH, U1327/2012 ua vom 19.9.2014: Der AsylGH hat bei der Beurteilung des Vorbringens die Auswirkungen der psychischen Erkrankung der Erstbeschwerdeführerin auf deren Fähigkeit, die relevanten Ereignisse schlüssig und widerspruchsfrei zu schildern, nicht berücksichtigt. Aus dem medizinischen Gutachten vom 14.06.2011 geht ua hervor, dass die dissoziativen Anfälle der Erstbeschwerdeführerin, "im Zusammenhang mit der unvollständigen Aufarbeitung eines Verkehrsunfalles im Jahr 2006" stehen, bei dem die Erstbeschwerdeführerin "eine Kopfverletzung mit Bewusstlosigkeit" erlitten habe. Vor diesem Hintergrund ist es unschlüssig, wenn der Umstand, dass die Erstbeschwerdeführerin zu diesem Verkehrsunfall keine regelmäßig gleichlautenden Angaben machen kann, beweiswürdigend gegen sie verwendet wurde. Wenn die Erstbeschwerdeführerin ferner zu Ereignissen in der Vergangenheit keine widerspruchsfreien Angaben macht, kann daraus ebenso wenig ihre Unglaubwürdigkeit abgeleitet werden, wenn der teilweise oder völlige Verlust der normalen Integration der Erinnerung an die Vergangenheit zum Krankheitsbild gehört. Vor dem Hintergrund der psychischen Erkrankung der Erstbeschwerdeführerin und der der Entscheidung des AsylGH zugrunde gelegten Länderberichte, wonach Angehörige vermeintlicher Rebellen unter Druck gesetzt würden und Häuser von Familien angeblicher Untergrundkämpfer angezündet würden, die sozial schwächste Gruppe Familien ohne Männer seien, es kaum Schutzmöglichkeiten für Frauen gäbe, die Polizei meist passiv bleibe und die wirtschaftliche Lage alleinstehender Frauen bei einer Rückkehr stark von der Unterstützung ihrer Großfamilien abhänge, hätte der AsylGH ungeachtet der Widersprüche im Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin weitergehende Ermittlungen anstellen müssen.
Wenngleich die Angaben der BF teilweise vage blieben, ist dies vor dem Hintergrund der schweren Verletzung des BF1 und der diagnostizierten PTSD der BF1 und BF2 zu würdigen.
Zum Umstand, dass mangelnder Detailreichtum, Unterschiede in der Detailliertheit der Aussagen, Gedächtnislücken und das Nicht-erinnern-Können von ganzen Zeitperioden Folge einer Traumatisierung sein können und nicht gegen die Glaubwürdigkeit des Vorbringens sprechen, siehe folgende Auszüge aus Angelika Birck, Traumatisierte Flüchtlinge. Wie glaubhaft sind ihre Aussagen?, 2002, Asanger, Heidelberg (S. 83 f., 90, Hervorhebungen hinzugefügt):
Mangelnder Detailreichtum ist jedoch nicht automatisch ein Hinweis auf mangelnde Glaubhaftigkeit. (...) Aufgrund der unterschiedlichen kognitiven Speicher- und Abrufvorgänge für traumatisches und nicht-traumatisches Erleben sind Unterschiede in der Detailliertheit der Aussagen, die sich auf diese Erinnerungen beziehen, zu erwarten. (...) Gleichzeitig können bei der selben [sic] Person andere Aspekte des traumatischen Geschehens nur äußerst bruchstückhaft oder gar nicht erinnert werden. Das Nichterinnern- Können von spezifischen Inhalten, Zeitperioden oder traumatischen Umständen reicht manchmal bis zur dissoziativen Amnesie (...). Aufgrund dieser symptomatisch bedingten Gedächtnisbeeinträchtigung können Aussagen, die unzulängliche Aspekte des traumatischen Geschehens betreffen, nur vage, ungenau und wenig detailliert bleiben. Diese Ungenauigkeit spricht nicht für eine geringe Glaubhaftigkeit der Aussage, sofern sie sich auf traumatische Ereignisse, ihre Rahmenbedingungen oder ihnen vorausgehende oder nachfolgende Zeitperioden erstreckt. (...) Menschen, die Verfolgung, Folter und Flucht erlebt haben, leiden sehr häufig als Teil ihrer krankheitswertigen Symptomatik an Konzentrations- und Gedächtnisstörungen. (...)
Hierzu auch AsylGH 16.10.2009, C2 267000-2/2008 : Eine Traumatisierung kann zu einem "speechless terror" (sprachlosem Entsetzen) führen, das den Traumatisierten überkommt, wenn dieser sich an das Trauma zurück erinnert. Diese Personen sind oft nicht fähig auszudrücken, wie sie über die Ereignisse fühlen oder denken, und unfähig, das Trauma mit Worten zu beschreiben. Auch dieser Umstand verunmöglicht es dem Bundesasylamt die Widersprüche des Beschwerdeführers heranzuziehen.
Zusätzlich zu den diagnostizierten PTSD ist beim BF1 zu beachten, dass sein Gedächtnis auf Grund des Schädel-Hirn-Traumas schwer beeinträchtigt ist. Wie auch dem aktuellen (vorgelegten) Befundbericht des Uniklinikum XXXX zu entnehmen ist, wurde daher eine genauere Abklärung und Behandlung in einer speziellen Einrichtung (Memory Clinic) vereinbart. Der BF1 leidet zunehmend an Gedächtnis- und Konzentrationsschwierigkeiten. Ebenso war auch während der mündlichen Verhandlung am BVwG erkennbar, dass die BF2 sich offenbar teilweise schwer konzentrieren kann und nicht gut mit Stress umgehen kann.
Es ist daher sehr wichtig, dass sie die nun wieder begonnene Psychotherapie und fachlichen Begleitung (die auch eine etwaige medikamentöse Behandlung unter Beobachtung haben wird) fortführen kann.
Der Asylgerichtshof weist zudem in Bezug auf tschetschenische AsylwerberInnen auch auf die Beachtung der soziokulturellen Prägung, der individuellen Ausdrucksfähigkeit und einer psychischen Erkrankung hin. Vgl. AsylGH zur Zl. D3 420039-1/2011 vom 24.9.2012:
Es ist bereits in der Vergangenheit zu beobachten gewesen, dass tschetschenische Asylwerber gerade am Beginn des Asylverfahrens - auch aufgrund ihrer negativen Erfahrungen mit Behörden im Heimatland - noch nicht entsprechend Vertrauen zu österreichischen Behörden gefasst haben und fürchten, dass Angaben, die sie tätigen, an die russischen Behörden weitergegeben werden könnten (vor allem im Falle einer Ablehnung). Dass tschetschenische Asylwerber, die tatsächlich im Widerstand engagiert waren und Verfolgung erlebt haben, darüber nicht von vornherein in besonders ausführlicher und detailreicher Weise sprechen, kann auf verschiedene Ursachen zurückgeführt werden, wie beispielsweise die soziokulturelle Prägung, eine psychische Beeinträchtigung oder die bereits erwähnten negativen Erfahrungen mit staatlichen Behörden, wobei die tschetschenische Gesellschaft, die sehr viel von Traditionen geprägt ist, ganz allgemein als eine Kultur mit geringerer Kommunikation als die mitteleuropäische angesehen werden kann (vgl. auch Asylgerichtshof v. 25.02.2011, Zl. D3 315782-4/2010/5E). Wenn auch die Beschwerdeführerin im Lichte der ihr auferlegten Mitwirkungspflicht unbestrittenermaßen bereits vor dem Bundesasylamt zur umfassenden Darlegung ihrer Asylgründe verpflichtet gewesen wäre, so ist dessen ungeachtet der Asylgerichtshof im Rahmen seiner amtswegigen Verpflichtung (§§ 37, 39 Abs. 2 AVG, § 18 Abs. 1 AsylG 2005) im Lichte der Offizialmaxime von sich aus zur Erforschung der materiellen Wahrheit angehalten. Demnach steht das späte Vorbringen der maßgeblichen Fluchtgründe - in Anbetracht deren Glaubwürdigkeit - einer umfassenden Berücksichtigung in rechtlicher Hinsicht nicht entgegen (siehe auch Asylgerichtshof v. 16.11.2011, D9 256771-7/2008/22E)."
In der Judikatur wird wiederholt betont, dass unter anderem die individuelle psychische Situation in die Beurteilung der Glaubwürdigkeit einbezogen werden muss: Der AsylGH ist bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers zur umfassenden Auseinandersetzung mit allen relevanten Gesichtspunkten verpflichtet. Dazu gehört beispielsweise auch seine psychische Gesundheit, bei deren Beeinträchtigung ein großzügigerer Maßstab an die Detailliertheit seines Vorbringens zu legen ist. (vgl. VfSlg. 18.701/2009) Wird diese individuelle Situation nicht ausreichend berücksichtigt, wurde dies vom Verfassungsgerichtshof als Willkür gerügt. Hierzu VfGH 24.02.2009, U212/08 - U122/08 ua: (...) Dies wurde aber unterlassen, ein Manko, welches ebenfalls grob willkürliches Verhalten darstellt, vor allem, da der entscheidende Richter um die psychische Gesundheit des Beschwerdeführers Bescheid wusste und dennoch dessen Vorbringen als vage und unglaubwürdig deklarierte.
Die BF2 leidet ebenfalls an einer PTSD und wie die Psychotherapeutin (im beiliegenden Schreiben, vgl. auch Zitat S.23/24)) ausdrückt, fällt es der BF2 nach wie vor sehr schwer über das Erlebte in Tschetschenien zu sprechen. Zudem war auch in der mündlichen Verhandlung klar erkennbar, dass die BF2 trotz redlichem Bemühen Probleme mit der Konzentration hat.
[...]
Rückkehrgefährdung
Mit der aktuellen Situation im Heimatland hätte sich die Behörde jedenfalls auseinander zu setzen gehabt, um unabhängig von der Prüfung, ob ein neuer Asylgrund vorliegt, beurteilen zu können, ob den BF im Falle einer Rückkehr Gefahr bzw. eine EMRK-Verletzung droht.
Wie diverse aktuelle oder neue Länderberichte bestätigen, besteht ein erhöhtes Risiko im Falle einer Abschiebung nach Tschetschenien behördlicher Willkür ausgesetzt zu sein.
Zur allgemeinen Sicherheits- und Menschenrechtslage wird im aktuellsten Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe erwähnt, dass Tschetschenien nach wie vor als instabil und von Gewalt geprägt zu bezeichnen ist:
Instabile Lage und anhaltende Gewalt.
Die Situation in den Republiken des Nordkaukasus ist weiterhin von Instabilität und Gewalt geprägt. Im Jahr 2015 soll laut Medienberichten die Zahl der Toten und Verletzten im Vergleich zum Vorjahr zwar kleiner gewesen sein. Laut Angaben von Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten war in Tschetschenien aber auch im Jahr 2015 ein hohes Mass an Gewalt zu verzeichnen. Im Jahr 2014 wurde von verschiedenen, teilweise massiven Anschlägen berichtet. (...) Auch International Crisis Group (ICG) beschreibt die Sicherheitslage als zwar insgesamt verbessert, aber weiterhin instabil. Einerseits ist sie die Folge des repressiven und willkürlichen Regierungsstils des von Moskau tolerierten Präsidenten Ramsan Kadyrow. So ist der Rückgang an aufständischen Aktivitäten in Tschetschenien unter anderem mit der ausgedehnten Anwendung der Kollektivstrafen zu erklären. Andererseits hängt die instabile Situation auch mit den wirtschaftlichen Unterschieden, der ungenügenden sozialen Infrastruktur, den fehlenden Massnahmen für eine Versöhnung und der vorherrschenden Straflosigkeit zusammen. (...) (...) Gemäss einem Mitarbeiter des CAT sind Verfassung und Gesetze absolut wertlos gegenüber Ramsan Kadyrows Anordnungen. Auch laut der Menschenrechtsverteidigerin Svetlana Gannushkina von der Menschenrechtsorganisation Memorial gelten in Tschetschenien keine Gesetze und keine russische Verfassung. Das einzige Gesetz stellen laut ihren Aussagen die Befehle Kadyrows dar. Dieser sagte selber, er werde alle dazu zwingen, seine Befehle zu befolgen, sollte man sich ihnen widersetzen wollen.
Politisiertes Justizsystem und Straflosigkeit.
Nach Angaben der US Commission on International Religious Freedom vom 30. April 2015 werden Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus mit gänzlicher Straflosigkeit begangen, wobei der tschetschenische Präsident Kadyrow und seine Sicherheitskräfte für unzählige Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Das US Department of State (USDOS) berichtete im April 2016, dass die russische Regierung grundsätzlich keine Untersuchungen oder strafrechtlichen Verfahren bei Menschenrechtsverletzungen einleitet, insbesondere wenn regionale Behörden in einen Fall verwickelt sind. In Tschetschenien handelten gemäss dieser Quelle die Sicherheitskräfte unter der direkten Kontrolle Ramsan Kadyrows im Jahr 2015 weiterhin straflos. (...) (SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe: Tschetschenien:
Aktuelle Menschenrechtslage, 13.Mai 2016 (verfügbar auf ecoi.net); S.1/2)
Zur Menschenrechtslage wird im angegeben Bericht der Schweizerische
Flüchtlingshilfe:
Tschetschenien: Aktuelle Menschenrechtslage, 13. Mai 2016 besorgniserregend ausgeführt: Staatliche Unterdrückung und Verbreitung von Angst. Der tschetschenische Präsident Kadyrow und seine Sicherheitskräfte sind verantwortlich für unzählige Menschenrechtsverletzungen. ICG erwähnt in seinem aktuellen Bericht von Juni 2015, dass laut mehreren nicht genannten Quellen Personen, die nicht die Meinung der staatlichen Repräsentanten und der Sicherheitskräfte vertreten, in Gefahr sind, Opfer von Gewalt zu werden. Einschüchterungen und unrechtmässige Gewaltanwendungen würden in allen Lebensbereichen stattfinden. Das Gefühl der Angst in der Bevölkerung wird verstärkt durch die hohe Präsenz von Sicherheitskräften. Videos, auf denen Folter, Erniedrigungen und brutale Bestrafungen durch Sicherheitskräfte zu sehen sind, sind im Internet verbreitet und werden von Mobiltelefonnutzenden geteilt. Ein vom Danish Immigration Service (DIS) im Jahr 2014 befragter Experte stellte fest, dass die Angst in der Bevölkerung noch nie so tief sass, auch wenn sich die Sicherheitssituation verbessert hat. Oleg Orlov von der Menschenrechtsorganisation Memorial bestätigte gegenüber ICG im März 2015, dass trotz der angeblichen Verbesserung der Sicherheitslage in Tschetschenien die Angst in der Bevölkerung wachse. (aaO, S.5)
Entführungen, "Verschwindenlassen" und aussergerichtliche Tötungen durch Regierungspersonal.
Im Jahr 2015 kam es laut USDOS weiterhin zu Entführungen durch Regierungspersonal im Nordkaukasus. Laut lokalen Aktivisten werden in Tschetschenien bis zu 20'000 Menschen vermisst. Gemäss einem Mitarbeiter des Committee Against Torture (CAT) tauchen dem CAT gemeldete verschwundene Personen in den meisten Fällen nie wieder auf. Es seien auch vermehrt Frauen betroffen. Im Nordkaukasus führten Behörden und lokale Milizen auch im Jahr 2015 zahlreiche aussergerichtliche Tötungen durch. (...) (aaO, S.6)
Systematische Folterungen durch Sicherheitsbehörden, "inoffizielle Gefängnisse".
Gemäss einem Bericht des US Department of State vom 13. April 2016 sind körperliche Misshandlungen durch Polizeibeamte in der russischen Föderation systematisch. Auch im Nordkaukasus wenden die lokalen Polizeibehörden sowie die nationalen Sicherheitsbehörden Folter an. (...) (aa0, S.7)
Wie aus diesen aktuellen Berichten hervorgeht, wären die BF im Falle einer Rückkehr einem realen Risiko ausgesetzt, Opfer willkürlicher Gewalt zu werden. Im Hinblick auf die bereits bestehenden Vorwürfe gegen den BF1 und seine sichtbare Beeinträchtigung, die ihn einem zusätzlichen Verdacht aussetzen könnte (beispielsweise gekämpft zu haben), wäre es wohl überaus realistisch, dass er von den russischen Behörden im Falle einer Rückkehr Verhören und willkürlicher Haft ausgesetzt wäre.
Hinzu kommt, dass die familiären Beziehungen und Kontakte beleuchtet würden und somit beispielsweise die Asylgewährung des Bruders der BF2 in Österreich die BF weiter verdächtig oder für Verhöre "interessant" machen würde. Es ist den Länderberichten zu entnehmen, dass es auch zur Sippenhaft und Kollektivstrafen gegen Verwandte von Verdächtigen kommt, weshalb es in keiner Weise auszuschließen ist, dass die BF auch allein auf Grund des Bruders der BF2 einer Haft ausgesetzt sein könnten.
[...]
Die Gefährdung von Personen, die mit Verdächtigen oder mutmaßlichen Unterstützern der Aufständischen in Verbindung stehen, wird durch Länderberichte wie der Schweizer Flüchtlingshilfe vom Mai 2016 bestätigt. Ebenso wird erwähnt, dass auch lang zurückliegende Verbindungen zu Unterstützern nach wie vor zur Verfolgung und willkürlichen Verhaftungen führen kann:
6.8 Familienangehörige und Personen mit Verbindungen zu Aufständischen
Brutales Vorgehen gegen mutmassliche Unterstützende der Aufständischen.
(...) Auch lange Zeit zurückliegende Verbindung zu Aufständischen kann zu einer Gefährdung führen. Gemäss Angaben einer Kontaktperson mit Expertenwissen zur Menschenrechtslage in Tschetschenien stehen Familienangehörige von Aufständischen generell unter starkem Verdacht, Unterstützende der Aufständischen zu sein und sind in ernster Gefahr, verfolgt zu werden. Auch wenn die Verbindung der oder des Verwandten zu den Aufständischen viele Jahre zurückliege, sei es möglich, dass Familienmitglieder unter Beobachtung stehen und riskieren, verfolgt zu werden. Die Behörden verfügen nach Angaben der Kontaktperson über umfangreiche Kenntnisse über die Verbindungen der Aufständischen, da ehemalige Aufständische mittlerweile für die Behörden arbeiten. Niemand ist vor Verdacht auf Komplizenschaft und daraus resultierender Verfolgung und Misshandlung durch die tschetschenischen Sicherheitskräfte sicher. (...)
Gesetze zur Haftung von Familienangehörigen und Nahestehenden von Terrorverdächtigen.
Am 12. Januar 2015 legte das tschetschenische Parlament der Duma einen Gesetzesvorschlag für ein nationales Gesetz vor, welches vorsieht, dass Familienangehörige von Terroristen strafrechtlich für deren Taten verantwortlich gemacht werden. Unter anderem drohen Gefängnisstrafen von zwischen 15 und 25 Jahren. Wie bereits in einer Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom 25. Juli 2014 erwähnt, sind in Russland im November 2013 neue Gesetze verabschiedet worden, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsieht. Diese Gesetze legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfes gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Behörden sind befugt, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und verpflichten die Familien für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Personen, die den Terrorverdächtigen nahestehen, können ebenfalls mit dem Gesetz belangt werden. (SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe:
Tschetschenien: Aktuelle Menschenrechtslage, 13. Mai 2016 (verfügbar auf ecoi.net); S.17ff)
Wie aktuelle Berichte zeigen, werden derzeit in Tschetschenien bzw. Russische Föderation gehäuft Kriminalfälle fingiert und Geständnisse erpresst, um politischen Gegnern oder unliebsamen Personen wie vermeintlichen Unterstützern des Widerstands habhaft zu werden. Die Vorgehensweise hat sich hier offenbar zu früher teilweise verändert.
[...]
4.2 Fabricated criminal cases, forced confessions, detention and ill-treatment
An ICG analyst in Moscow stated that there are almost no examples of disappearances in Chechnya today. Instead, fabricated criminal cases are instigated against alleged supporters of the insurgents. Following the same pattern, alleged supporters of the insurgents are held incommunicado for from 12 hours and up to three or four days. During that time they are exposed to pressure to reveal any information they may have about the insurgents, and they are forced to sign a confession that they have provided support to the insurgents. Beatings and torture are routinely used by the police to obtain the confession. Once a confession has been signed, the case is basically concluded from the perspective of the police. It is only after the confession has been signed that the arrest becomes official and relatives are informed about where the person is being held. If it is clearly visible that the suspect has been subjected to ill-treatment and torture, a defence lawyer would not be allowed access to the detainee for some weeks or until the time that the marks have disappeared. If the marks from the ill-treatment during the incommunicado confinement are not visible, a lawyer would be allowed access earlier. Especially lawyers provided by the state are not interested in meeting the detainee and if these lawyers actually meet the detainee, they simply ignore signs of ill-treatment and torture. It was added that if the suspect should die as a result of the treatment during the incommunicado confinement, the Chechen authorities would present his death as a successful elimination of a member of the illegal armed groups. Independent lawyers on the other hand would try to meet the detainee and immediately write their own report about the physical state of the detainee and describe any signs of beatings and torture, and the lawyers would take the oral testimony from the detainee. This is done in order to have something on file if the detainee who has been subjected to ill-treatment and torture should at a later stage withdraw his claim that the written confession was obtained by force by the police. It was added that the suspect is often charged on four or five different counts, e.g. participation and support to illegal armed groups, terrorism, illegal possession of firearms and banditry. If the independent lawyer has thorough documentation supporting the fact that the confession was obtained by force, the charges would become subject of negotiation and ultimately they would be reduced. However, it was emphasized that regardless of the efforts of independent lawyers, the accused person would be found guilty of some crime by the court. The verdict could be two to three years in prison instead of 15 to 20 years if the accused had been found guilty of all the initial charges. It was added that the courts are working closely with the Investigative Committee and the Prosecutor's Office. If the accused have been detained while the criminal cases have been investigated, in almost 100 percent of the cases the accused are found guilty. In some cases the accused have been released on bail in which case they stand a slightly better chance of being found not-guilty. However, no one wants to open up for complaints concerning unjustified arrests and eventually claims for compensation. If the judge realizes that the person is not guilty and it is obvious that the confession has been obtained by force, he would often impose the mildest possible sentence. A representative of CAT considered lawyers and human rights activists in Chechnya to be the best sources of information regarding information about persons who fear ill-treatment due to accusations of involvement in terrorist activities, such as having provided support to the insurgents. Family members of people who either have provided support to the insurgents or who are facing a fabricated charge of providing that kind of support would risk being subjected to various types of pressure by the Chechen authorities, ranging from losing their job, threats of violence against themselves or their family, interrogation, detention and physical abuse, ranging from a slap in the face to severe beatings. They could also risk becoming the next victim of a fabricated criminal case. It was added that female family members of suspected insurgents or alleged supporters could risk being raped. The pressure exerted by the Chechen authorities on family members of suspected insurgents and alleged supporters of the insurgents serves several purposes. One reason is to create a climate of fear in the broad population. Another reason for applying pressure on family members is to obtain new forced confessions that can be used in new fabricated criminal cases, and thirdly the pressure is used to make sure that no one withdraws the confession that has been obtained by force. Finally, people are deterred from filing complaints with the ECHR in Strasbourg or contacting civil society organizations. It was added that the Chechen authorities would normally subject the father of a suspected supporter of the insurgents to pressure, but other close and especially male relatives could be targeted as well. The actions taken in relation to a case involving support to the insurgency depends on the personal attitude of the individual representative of the authorities who are in charge of the case. In some cases the family of the accused might be involved and in some cases they might not. Threats by the police are quite common but the extent to which threats are carried out varies. There are, however, examples of threats of shops being burned to the ground or stealing of businesses that were actually realised [carried out] by the Chechen police. The Chechen authorities use a deliberate strategy of prosecuting people perceived as being in opposition and people who in any way challenge the current regime in Chechnya. The case of Ruslan Kutaev 28 illustrates this point very clearly. It was added that if the case of Ruslan Kutaev had taken place in Chechnya in 2009, he would most likely have been killed, left in the forest and later claimed to be a killed insurgent. The fact that he was not killed but instead discredited using a fabricated drug charge illustrates that the Chechen authorities in 2014 have taken a slightly more civilised approach compared to outright killing an opponent. Relatives of people who are detained and charged with committing a terrorist act such as an armed attack on the authorities or charged with being a member of the illegal armed groups would also risk being seen as potential collaborator with terrorists. If the police want to improve their statistics concerning the fight against the illegal armed groups they might arrest someone related to a convicted terrorist and charge him or her as a collaborator. As an example reference was made to a case one year ago, involving the younger brother of a convicted terrorist. He was approached by the active insurgents from the forest and asked to provide them with food. The young man rejected the request and forced the insurgents out of his home. The incident came to the attention of the police and he was brought to police station in the city of Shali for interrogation on numerous occasions and intimidated. He was not officially charged with supporting the illegal armed groups. In all court cases involving support to the insurgency a forced confession is the only evidence presented by the prosecutor. The courts accept this confession as the sole basis of its verdicts. If the courts did not accept these confessions, the authorities would be less inclined to use ill-treatment and torture. However, under the current circumstances torture is often used to force a confession and subsequently securing the conviction of a man. It was added that the conviction rate in these cases is close to hundred percent. A representative of CAT explained about a case in which the brother of a retired OMON officer was taken from his home by the authorities and verbally accused of having provided support to the illegal armed groups. He was not officially convicted. A representative of CAT could not recall when this event took place. The brother was working with IT, and he did not appear to be an Islamic fundamentalist, so it would be safe to assume that this case was fabricated. This is illustrative of the lack of logic behind who is at risk of being subjected to arrests and convictions based on fabricated terrorism related charges. It could happen to practically anyone if the police for some unclear reason want to or have to show results. Svetlana Gannushkina, Memorial/CAC, stated that people who have fallen victims of a fabricated criminal case involving support to illegal armed groups would be detained illegally and kept in an unofficial detention facility. During that time the person would receive severe beatings and possible torture. One common type of torture involves a devise that creates a strong electric charge by the use of turning a handle. This is referred to as "calling Putin" because the devise has some resemblance to an old telephone. The ill-treatment or torture would normally last as long as it takes to force the victim to sign a confession that he or she has provided support to the illegal armed groups. Once the written confession has been signed the case is ready to become official. However, the case would usually not become official until the marks from the beatings or torture have disappeared. It was added that the use of fabricated criminal cases and confessions obtained by the use of beating and torture is not a particular phenomenon for the Chechen Republic. It has been practiced throughout Russian even before the reign of Catharina the Great. In all of the cases where people have been charged with providing support to the illegal armed groups the courts have found the person guilty. If there is absolutely no incriminating evidence in the case, usually the sentence is between one to two years in prison. The prison sentence would be much more severe if there was some evidence in the case. It was added that if a person has survived the brutal torture, the police would threaten to rape his mother, sister, daughter or another woman of his family. Then he signs everything they ordered him. The authorities can do the rape themselves or ask somebody else to do it. When asked to explain how it is possible for the Chechen authorities to claim on the one hand that the insurgents have been defeated and driven out of the republic and on the other hand keep on fabricating criminal cases involving support to the insurgents, Svetlana Gannushkina, Memorial/CAC, stated that it is a paradox and there is no logic to it. However, it is important to understand that the Chechen authorities do not need any logic in their behaviour. It was added that the bizarre logic could be explained by the saying that "to have anti-Semitism, we do not need jews, we need anti-Semites".(...) (DIS - Danish Immigration Service: Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, Januar 2015;
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-missionreport.pdf (Zugriff am 21. Juni 2016); S.35 - 38; Hervorhebungen hinzugefügt)
Laut CPT Bericht vom 17.12.2013 sind Misshandlungen, Folter und Korruption nach wie vor ein großes Problem in Gefängnissen der Russischen Föderation:
27. In its report on the previous periodic visit in 2008, the CPT indicated that, if police ill-treatment remained unchallenged, it could easily become an almost accepted feature of operating police practice. The Committee again stressed the importance of driving change from the top. A little less than four years later, notwithstanding the recent efforts to reform Internal Affairs structures, the frequency and consistency of the allegations received by the CPT's delegation during the 2012 visit suggest that methods of severe ill-treatment/torture continue to be used on a frequent basis by police and other law enforcement officials, in particular outside Moscow city and Saint Petersburg. It is clear that decisive action, bringing together in a joint effort all relevant State agencies, is needed to combat this phenomenon. In this context, many of the delegation's interlocutors, including police officials, demonstrated previously unseen levels of determination to combat ill-treatment by law enforcement officials, but were also clearly aware of the challenges ahead, at least in certain parts of the Federation (and not only the North Caucasian Federal District). (Report to the Russian Government on the visit to the Russian Federation carried out by the European Committee for the Prevention of Torture an Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 21 May to 4 June 2012; S.19)
Wie diese Länderberichte zeigen, werden Personen in Tschetschenien bzw. der Russischen Föderation willkürlich festgenommen, insbesondere wenn sie Kontakte zu verdächtigen oder verurteilten Personen haben, der Kollaboration beschuldigt werden uvm. Während der Festhaltungen wird regelmäßig Folter und Misshandlung oder Drohungen, den Verwandten Gewalt anzutun (so z.B. Frauen zu vergewaltigen), angewandt.
Die BF wären daher einem realen Risiko unmenschlicher Behandlung und Strafe ausgesetzt.
Die breite Anwendung von Folter und Misshandlungen werden in einer aktuellen ACCORD Anfragebeantwortung a-9641-2 vom 2.6.2016 nicht nur für Nordossetien, sondern auch Tschetschenien und anderen Regionen mehrfach bestätigt. (vgl. ACCORD: Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation: Haftbedingungen in der Russischen Föderation, insbesondere in Nordossetien, [a-9641-2(9642)], 2.Juni 2016; verfügbar auf ecoi.net)
Die Rückkehrgefährdung von Tschetschenen wird auch von den aktuellen Länderberichten des BVwG bestätigt:
(...) Solange die Konflikte im Nordkaukasus, einschließlich der Lage in Tschetschenien, nicht endgültig gelöst sind, ist davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert haben bzw. denen ein solches Engagement unterstellt wird, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren. Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen ständen unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt. (...) (AA 05.01.2016). Laut einem Bericht des Menschenrechtszentrums Memorial Komitee Bürgerbeteiligung sind "in Tschetschenien alle gefährdet, die nach einer langen Abwesenheit nach Tschetschenien zurückkehren". Von anderer Seite wurde berichtet, dass Rückkehrer nach Tschetschenien mit verschiedenen Problemen konfrontiert sein können. Einerseits stehen Rückkehrer, ebenso wie die restliche Bevölkerung vor den alltäglichen Problemen der Region. Dies betrifft in erster Linie die hohe Arbeitslosigkeit (laut offiziellen Quellen lag diese im Mai 2014 bei 22,8%), die Wohnungsfrage und die Beschaffung von Dokumenten sowie die Registrierung. Viele Häuser wurden für den Neubau von Grosny abgerissen und der Kauf einer Wohnung sei für viele unerschwinglich, die Arbeitslosigkeit sei um einiges höher als in den offiziellen Statistiken angegeben und bei der Beschaffung von Dokumenten würden oft Schmiergeldzahlungen erwartet. Darüber hinaus stellen Rückkehrer eine besonders verwundbare Gruppe dar, da sie ein leichtes Opfer im Antiterrorkampf darstellen. Um die Statistiken zur Verbrechensbekämpfung aufzubessern, würden zum Teil Strafverfahren fabriziert und ehemaligen Flüchtlingen angelastet. Andererseits können Rückkehrer auch ins Visier staatlicher Behörden kommen, weil vermutet wird, dass sie tatsächlich einen Grund zur Flucht aus Tschetschenien hatten, d.h. Widerstandskämpfer waren oder welche kennen. (...)(ÖB Moskau 01.10.2014).
Ergänzend sei nochmals auf den aktuellen Bericht der SFH hingewiesen: Akute Gefährdung für Rückkehrende. Eine Person mit anerkanntem Expertenwissen zu Tschetschenien kennt verschiedene Fälle von Rückkehrenden, die verhaftet, gefoltert und teilweise verschwunden oder getötet worden sind. Gemäss Aussagen von Swetlana Gannushkina der Menschenrechtsorganisation Memorial vom Januar 2015 sind verschiedene Fälle von in Tschetschenien vorbestraften oder früher verurteilten Personen bekannt, welche nach einem negativen Asylentscheid im Ausland nach Jahren nach Tschetschenien zurückgekehrt, verhaftet und gefoltert worden sind. Der Europäische Menschenrechtsgerichthof hat im Fall I v. Sweden am 5. September 2013 sowie im Fall M.V. and M.T. v. France am 4. September 2014 entschieden, dass die Rückführung der tschetschenischen Antragstellenden gegen die Menschenrechtskonvention, insbesondere
Artikel 3, verstossen würde. Gemäss einer am 4. Mai 2016 befragten Kontaktperson werden Personen aus Tschetschenien, welche aus dem Ausland zurückkehren, in der Regel von Vertretern des Inlandgeheimdiensts FSB verhört und unter Kontrolle gestellt. Die tschetschenischen Behörden würden über die Rückkehr der abgewiesenen Asylsuchenden informiert. Tschetschenische Rückkehrende sollen bei den Befragungen geschlagen und gefoltert worden sein. Es soll auch Fälle von Entführungen und Tötungen gegeben haben. (SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe: Tschetschenien: Aktuelle Menschenrechtslage, 13. Mai 2016 (verfügbar auf ecoi.net) S.21/22; Hervorhebungen hinzugefügt)
Rückkehrer können daher allgemein eine besonders verwundbare Gruppe darstellen, da sie ein leichtes Opfer im Antiterrorkampf darstellen und bereits aufgrund der Vermutung, sie hätten einen Grund für die Flucht gehabt, ins Visier staatlicher Behörden geraten können. Wie den Länderberichten zu entnehmen ist, wäre der BF1 im Falle einer Rückkehr allein auf Grund dessen, dass er der Unterstützung des Widerstands verdächtig ist und dass er im Ausland Asylantrag gestellt hat sowie sich dem behördlichen Zugriff entzogen hat, einem realen Risiko ausgesetzt zumindest zum Zwecke von Verhören festgenommen zu werden. Im Zuge von Verhören und Festnahmen ist mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Folter oder Misshandlung zu rechnen.
Der BF ist bereits psychisch und physisch [...] beeinträchtigt. Er ist als besonders vulnerabel anzusehen und hätte auch eine nur vorläufige Haft für ihn individuell eine höhere Eingriffsintensität. Dasselbe gilt für die BF2, die zusätzlich als Frau besonders vulnerabel einzustufen ist.
(...) Schließlich war noch auf die schlechte Gesundheitssituation des Beschwerdeführers in Österreich Bedacht zu nehmen, die Krankheitszustände als solche sind aktenmäßig belegt und von der Verwaltungsbehörde nicht in Abrede gestellt worden. Die dadurch insgesamt erhöhte Vulnerabilität bedeutete im Falle einer Rückkehr nach Gambia, dass schon Verfolgungshandlungen geringerer Intensität, wie etwa kurzfristige Verhaftungen oder nur geringe körperliche Übergriffe, eine individuell höhere Eingriffsintensität aufweisen würde als bei einem gesunden Menschen. Dass die Möglichkeit von Eingriffen in die körperliche Integrität bis hin zu Folter bei als staatsfeindlich geltenden Personen eine ernste ist, zeigt die gesamte Berichtslage und belegen im Fall des Beschwerdeführers zudem individuell die bereits erlittenen Misshandlungen. (vgl. AsylGH vom 30.7.2012, A2 413471-2/2011, A2 415473 vom 9.1.2012)
Wie weiters im oben zitierten SFH- Bericht klar festgehalten wird, gibt es keine Schutzalternative in Russland für TschetschenInnen. (aaO, S. 23ff) Dies wird unter anderem damit begründet, dass die tschetschenischen und russischen Behörden eng zusammenarbeiten und es daher auch zu Verhaftungen, Entführungen und Tötungen von TschetschenInnen außerhalb Tschetscheniens kommt. Zudem gäbe es willkürliche und rassistische Übergriffe und Gewalt gegen TschetschenInnen, wobei keine Schutzwilligkeit der Behörden bestehe. Hinzu kommt die massive Diskriminierung bei der Registrierung sowie bei Zugang zu Arbeit und Wohnraum.
Medizinische Versorgung
[...]
Wie auch aus den Länderberichten des BVwG zu entnehmen ist, scheint sich die Situation auch in Bezug der medizinischen Versorgung nicht verbessert zu haben. So wird an unterschiedlichen Stellen auf den fortbestehenden Fachärztemangel hingewiesen. Wenn von Fortschritten im Wiederaufbau die Rede ist, so ist dies in Relation zu sehen. Da die Infrastruktur im Nordkaukasus nach den langjährigen kriegerischen Auseinandersetzungen völlig zerstört war, bedeutet ein langsamer Wiederaufbau noch keine adäquate Verbesserung. So kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die medizinische Versorgung dadurch gesichert sei, da in Berichten erwähnt wird, dass beispielsweise in Grosny einzelne Krankenhäuser wieder aufgebaut bzw. in Betrieb genommen wurden.
Hierzu sei aus den Länderberichten des BVwG folgendes zitiert: Zur aktuellen Lage der medizinischen Versorgung liegen unterschiedliche Einschätzungen vor. Nach Angaben des IKRK soll die Situation der Krankenhäuser für die medizinische Grundversorgung inzwischen das durchschnittliche Niveau in der Russischen Föderation erreicht haben. Problematisch bleibt laut IKRK die Personallage im Gesundheitswesen, da viele Ärzte und medizinische Fachkräfte Tschetschenien während der beiden Kriege verlassen haben (AA 05.01.2016). Die Versorgung mit Medikamenten ist zumindest in den Großstädten gewährleistet, aber nicht kostenfrei. Die Palliativmedizin muss erheblich ausgebaut werden, es fehlen vor allem stark wirkende Schmerzmedikamente. (...) (AA 05.01.2016).
Die schlechte medizinische Versorgung und vor allem die notwendige Zuzahlung der Patienten werden für die ganze Russische Föderation bestätigt: Die medizinische Versorgung in Russland ist auf einfachem Niveau, aber grundsätzlich ausreichend. Die strukturelle Unterfinanzierung des Gesundheitssystems steigt seit Beginn der Wirtschaftskrise weiter an. (...) Das Hauptproblem ist weniger die fehlende technische Ausstattung, sondern ein gravierender Ärztemangel und eine unzureichende Aus- und Fortbildung. Hinzu kommt, dass die Gesundheitsversorgung zu stark auf klinische Behandlung ausgerichtet ist und gleichzeitig Allgemeinmediziner fehlen. Russische Bürger haben ein Recht auf kostenfreie medizinische Grundversorgung, doch in der Praxis werden nahezu alle Gesundheitsdienstleistungen erst nach verdeckter privater Zuzahlung geleistet. Vielfach werden erhebliche Defizite des russischen Gesundheitssystems beklagt. Die Einkommen des medizinischen Personals liegen unter dem Durchschnitt. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist.
Infektionskrankheiten wie Tuberkulose und insbesondere HIV/AIDS breiten sich weiter aus. In den letzten Jahren wurden in die Modernisierung des Gesundheitswesens erhebliche Geldmittel investiert. Der aktuelle Kostendruck im Gesundheitswesen führt aber dazu, dass viele Krankenhäuser geschlossen werden. (AA Innenpolitik März 2016).
Der BF1 benötigt derzeit jedenfalls fachärztliche Versorgung und Behandlung. So diese überhaupt in dem Herkunftsstaat angeboten werden kann, wäre dies jedenfalls sehr kostspielig: einerseits, weil lediglich die medizinische Basisversorgung gratis ist und jede Spezialbehandlung privat bezahlt werden muss; andererseits ist die Korruption im Gesundheitswesen weit verbreitet.
Auch an anderen Stellen wird wiederholt von Korruption und informellen Zuzahlungen gesprochen. So wird exemplarisch der Bericht der International Crisis Group vom 7.7.2015 und der Bericht der Schweizerische Flüchtlingshilfe Tschetschenien: Gesundheitswesen und Behandlung psychischer Erkrankungen und Störungen vom 8.9.2015 zitiert: Rooting out pervasive corruption must be given top priority if health care is to be fixed in the North Caucasus. Hospital patients often must motivate doctors and buy even the most basic medicine and often their own food, though these are supposed to be free. (...) Doctors complain of peer pressure to participate in this corrupt system: "If you work honestly, you become a problem to others". (ICG - International Crisis Group: North Caucasus: The Challenges of Integration (IV): Economic and Social Imperatives, 7. Juli 2015, S.24 (verfügbar auf ecoi.net) http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1436432304_237-north-caucasus-the-challenges-ofintegrationiv-economic-and-social-imperatives.pdf (Zugriff am 10. Juni 2016) ) Korruption und informelle Zahlungen trotz Krankenversicherung. Korruption ist im Gesundheitssektor und insbesondere im Nordkaukasus weit verbreitet. Laut der Angaben der International Crisis Group vom Juni 2015 ist innerhalb des Nordkaukasus Tschetschenien besonders stark von Korruption betroffen. Eine Kontaktperson gab der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH im Juni 2015 mit Verweis auf Aussagen von kontaktierten Fachkräften in einer medizinischen Einrichtung in Tschetschenien an, dass informelle Zahlungen ohne Ausnahme in sämtlichen gesundheitlichen Institutionen in Tschetschenien zu entrichten sind. Die Kontaktperson erklärte diesen Umstand mit der grundlegenden und systematischen Korruption des tschetschenischen Gesundheitswesens. Demnach müssen sich sowohl Ärztinnen und Ärzte als auch das übrige medizinische Personal ihre Arbeitsplätze in den entsprechenden Institutionen "erkaufen". Nach der Einstellung haben sie darüber hinaus dauernd Abgaben zu leisten. Die Kosten, die für sie dadurch entstehen, werden auf informellem Weg auf die Patientinnen und Patienten übertragen. (...) SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe: Tschetschenien: Gesundheitswesen und Behandlung psychischer Erkrankungen und Störungen, 8. September 2015 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1444397073_150908-rus-pdbsgesundheitswesenthemenpapier pdf (Zugriff am 10. Juni 2016)
Da sich bereits in der medizinischen Basisversorgung gravierende Probleme und Unzulänglichkeiten ergeben, muss zwingend darauf geschlossen werden, dass es um medizinische Spezialbehandlungen, die der BF1 auf Grund der schweren Verletzungen bedarf, in der Herkunftsregion der BF noch sehr viel schlechter bestellt ist. Ebenso würde nicht nur der BF1 sondern auch die BF2 dringend psychologische oder psychiatrische Behandlung auf Grund der PTSD benötigen und ebenso des BF3 auf Grund seiner Angststörung, die im Falle einer Rückkehr wieder virulent werden könnte. Es ist nicht davon auszugehen, dass sie fachärztliche oder psychotherapeutische Behandlung erhalten könnten, wie dies auch von SFH formuliert wird:
Mangel an qualifizierten Fachkräften. Die International Crisis Group hält in ihrem aktuellen Bericht von Juli 2015 fest, dass der Mangel an qualifizierten Fachkräften im Gesundheitsbereich in Tschetschenien sehr ausgeprägt ist. Pro 10'000 Einwohner und Einwohnerinnen stehen in Tschetschenien nur 25,4 Ärzte und Ärztinnen zur Verfügung. Dies ist weit weniger als der nationale Durchschnitt in Russland, der bei 44 Ärzten und Ärztinnen pro 10'000 Einwohner und Einwohnerinnen liegt. Der Ärztemangel hat laut der International Crisis Group gravierende Folgen für Behandlungen und die Diagnostik im Rahmen der primären Gesundheitsversorgung. Verschiedene kontaktierte Fachkräfte, welche in medizinischen Institutionen in Tschetschenien arbeiten, bestätigten im Juni 2015 gegenüber einer Kontaktperson, dass es an qualifiziertem Personal im Gesundheitswesen fehle. Auch der tschetschenische Gesundheitsminister Aslanbek Magomadov wies in einer Parlamentssitzung in Tschetschenien im Juni 2014 auf den Personalmangel im Gesundheitswesen hin Magomadov gab an, dass in der Republik rund 3'500 Ärzte und Ärztinnen arbeiten. Gleichzeitig würden ebenso viele Fachkräfte und rund 8000 bis 10'000 Pflegefachkräfte in Tschetschenien fehlen. SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe: Tschetschenien: Gesundheitswesen und Behandlung psychischer Erkrankungen und Störungen, 8. September 2015 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1444397073_150908-rus-pdbs gesundheitswesenthemenpapier. pdf (Zugriff am 10. Juni 2016)
Neben der Tatsache, dass in Tschetschenien auch nach einem fortgeschrittenen Wiederaufbau nach den Kriegen die medizinischen Versorgung sehr problematisch ist, sind die vorhandenen ärztlichen Behandlungen und Medikamente auf Grund der vergleichsweise sehr teuren Preise für Medikamente sowie auf Grund der notwendigen Zuzahlungen bzw. Bestechungsgelder faktisch nicht leistbar. Bei einer Rückkehr nach Tschetschenien, den Ort der Traumatisierung, wäre unter anderem mit einer Retraumatisierung und mit einer Verschlechterung der psychischen Zustandes der BF zu rechnen, was eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde. In diesem Sinne auch Dr.med. Hans Wolfgang Gierlichs in seiner Abhandlung Zur psychiatrischen Versorgung im Kosovo, erschienen in ZAR 8/2006, S. 277 (abrufbar unter
http://www.google.at/#hl=de &q=ZAR+psychiatrische+versorgung+kosovo&oq=ZAR+psychiatrische+versorgung+kosovo&aq=f&aqi=&aql=&gs_sm=e&gs_upl=6629l14351l0l14583l33 l33l0l30l0l0l206l362l2.0.1l3l0&bav=on.2,or.r_gc.r_pw.&fp=daaa39e28957499a&biw=1170& bih=817, 3. Eintrag von oben): Traumatisierungen lassen sich auch bei vorhandener Versorgung infolge krankheitsspezifischer Reaktionsweisen nur sehr eingeschränkt in dem Land behandeln, in dem die Traumatisierungen stattgefunden haben. In Bezug auf die mangelnde Behandelbarkeit der psychischen Erkrankungen sowie der Stigmatisierung sei noch einmal insbesondere auf den Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe "Tschetschenien: Gesundheitswesen und Behandlung psychischer Erkrankungen und Störungen" vom 8.9.2015 verwiesen.
Folgender Auszug aus dem Bericht der International Crisis Group, The North Caucasus:
The Challenges of Integration (IV): Economic and Social Imperatives vom 7.7.2015 belegt, dass zusätzlich die fortschreitende Islamisierung ins Gesundheitswesen und vor allem der Behandlung von psychisch erkrankten Personen sehr problematisch ist:
The Chechen authorities support Islamic medicine. In February 2009, Ramzan Kadyrow orderered the opening in Grozny of a state-funded Islamic medical centre that treats neuropsychiatric disorders by reading Quran verses. (...) Checnya-s religious leader called the hospital a necessary response to the spread of black magic in the republic. (...) (ICG - International Crisis Group: North Caucasus:
The Challenges of Integration (IV): Economic and Social Imperatives, 7. Juli 2015, S.25f (verfügbar auf ecoi.net) http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1436432304_237-north-caucasus-the-challenges-ofintegration-iv-economic-and-social-imperatives.pdf (Zugriff am 10. Juni 2016) )
Hohe Stigmatisierung und Verlust des sozialen Netzwerks. Personen mit psychischen Erkrankungen oder Störungen sind laut der Independent Psychiatric Association of Russia in Tschetschenien stark stigmatisiert. Die Familien schämen sich für ihre kranken Familienangehörigen und halten diese versteckt. In der Regel wenden sich die Angehörigen an Moscheen und islamische Zentren, wo ihnen mitgeteilt werde, dass ein Djinn (Geist) in den Körper der Betroffenen eingedrungen sei und vertrieben werden muss. Psychisch erkrankte Personen werden in Tschetschenien erst als letzte Möglichkeit in ein psychiatrisches Spital gebracht. Dies hängt einerseits mit der Stigmatisierung zusammen, aber auch mit der Angst, dass die Angehörigen in den Spitälern nicht gut versorgt werden könnten. SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe:
Tschetschenien: Gesundheitswesen und Behandlung psychischer Erkrankungen und Störungen, 8. September 2015 (verfügbar auf ecoi.net)
http://www.ecoi.net/file_upload/1788_1444397073_150908-rus-pdbs gesundheitswesenthemenpapier. pdf (Zugriff am 10. Juni 2016)
Die physischen und psychischen Erkrankungen der BF sind in Tschetschenien wie den Länderberichten zu entnehmen ist, wohl kaum adäquat und fachärztlich behandelbar. Eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation der BF ist daher im Falle einer Rückkehr nicht auszuschließen und könnte sich in einem Maß verschlechtern, dass Art. 3 EMRK verletzt würde. Selbst wenn die unzureichende Behandlung der Erkrankungen der BF aus Sicht des BVwG noch nicht die Schwelle von Art 3 EMRK erreichen sollte, so wird diese Schwelle doch spätestens durch die faktische Unmöglichkeit für die BF, im Fall einer Rückkehr nach Tschetschenien die eigene Existenz und die der Familie zu sichern, überschritten.
Sozioökonomische Situation
Wie Länderberichten zu entnehmen ist, hat sich die sozioökonomische Situation in der Russischen Föderation allgemein sehr verschlechtert. Im Nordkaukasus/Tschetschenien ist die Situation als besonders prekär einzustufen. Auch die Länderberichte des BVwG belegen die nach wie vor grassierende Arbeitslosigkeit und den Umstand, dass der überwiegende Großteil der tschetschenischen Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben muss. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass der BF1 und die BF2 ganz besonders von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen sein werden. Dies aufgrund der Erkrankungen und Stigmatisierungen der BF, sowie dem Geschlecht der BF2. Es ist auch nicht klar, wie sehr der BF1 aufgrund seiner Verletzungen bzw. Erkrankungen (Schädel-Hirn-Trauma, Facialparese, PTBS) schwerer Arbeit nachgehen können wird, um durch etwaig zur Verfügung stehende Hilfsarbeiten, die zumeist Schwerstarbeit bedeuten, einen notwendigen Lebensunterhalt für die Familie (mit)erwerben zu können.
Wie sich aus den Länderberichten ergibt, ist die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus nach wie vor sehr schlecht. Wie auch der untig zitierte aktuelle Bericht der International Crisis Group erwähnt, sind neben der dramatischen Situation des Gesundheits- und Bildungswesens, die Wohnsituation ein großes Problem. Hinzu kommt die Ineffizienz und Korruption.
2.3. Socio-economic environment
9. The transformation brought about by the reconstruction effort indicates prosperity, but appearances may be misleading. The economy of the North Caucasus, including Chechnya, remains underdeveloped and is largely subsidised by Moscow. Productivity is below the average for the Russian Federation, wages are low and unemployment high. There are also major obstacles to investment, including ongoing low-level violence, mined land and rampant corruption.
10. Despite efforts to improve essential infrastructure, most ordinary citizens have failed to benefit from the reconstruction effort in Chechnya. Foreign workers and companies have been hired to rebuild infrastructure, and factories or other initiatives that could create jobs on a large scale have not been restored. As a result, many ordinary citizens continue to depend on social benefits as their main source of income. Quality of life remains poor with a lack of affordable housing, limited access to water, sanitation and other utilities, inadequate transport infrastructure and a shortage of medical facilities. Where education is available, standards are low. 10 (Report "The Situation of IDPs and returnees in the North Caucasus region", Doc 12882, 5 March 2012, Council of Europe, http://assembly.coe.int/ASP/Doc/XrefViewHTML.asp?FileId=12950&lang=en ) The state program for North Caucasus development to 2025 lists inadequate social infrastructure and decayed, degraded utilities as key problems. Traditionally high birth rates in the region increase the dramatic deficits in health care and education infrastructure. (...) Housing is a problem; the quality of housing utilities - a major challenge everywhere in Russia - is especially vexing in the North Caucasus, where corruption, inefficiency and deterioration are significant problems. (...) (ICG - International Crisis Group: North Caucasus: The Challenges of Integration (IV): Economic and Social Imperatives, 7. Juli 2015, S.20 (verfügbar auf ecoi.net) http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1436432304_237-north-caucasus-the-challenges-ofintegration-iv-economic-and-social-imperatives.pdf (Zugriff am 10. Juni 2016) )
Hierzu ist im sehr aktuellen Bericht der SFH vom Mai 2016 zu lesen:
Informelle, irreguläre Besteuerung und Korruption sind gemäss ICG zwar in ganz Nordkaukasus endemisch, in Tschetschenien jedoch in besonders hohem Masse. Dort herrscht in allen Bereichen Korruption, unter anderem im Gesundheitssektor, in Schulen, beim Bezug von sozialen Dienstleistungen oder beim Kauf von Land. (...) (SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe: Tschetschenien: Aktuelle Menschenrechtslage, 13. Mai 2016 (verfügbar auf ecoi.net), S.4f; Hervorhebungen hinzugefügt)
Zudem ist bekannt, dass eine enorm hohe Arbeitslosigkeit gerade unter Frauen herrscht, die es der BF2 verunmöglichen werden, erwerbstätig zu sein:
Zu diesen speziellen Fällen kommt hinzu, dass Frauen mangels vorhandener Arbeitsplätze enorm von humanitärer Hilfe, Beihilfen und Pensionen sowie letztlich vor allem von einem funktionierenden Netz familiärer Bindungen abhängig sind; die Arbeitslosenquote bei Frauen beträgt 90 Prozent. Da sie an bürokratischen Hürden scheitern, erhalten tschetschenische Frauen zum Teil keine staatliche Unterstützung.
Doch selbst bei Ausbezahlung einer zustehenden Pension bzw. des Kindergeldes ist ein Leben davon nicht möglich. Unter Beachtung der aktuellen Lage in Tschetschenen kann daher im gegenständlichen Fall nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin als alleinstehende Mutter in der Lage ist, den unbedingt notwendigen Unterhalt ihrer Familie zu erwirtschaften. Es kann daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass den Beschwerdeführern im
Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation keine Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK droht. (vgl. BVwG W146 1433576 vom 19.9.2014)
Die BF2 könnte daher in Tschetschenien unter diskriminierenden Bedingungen gegenüber Frauen und der enorm hohen Arbeitslosenrate insbesondere von Frauen auf dem Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen. Es wäre ihr somit auch nicht möglich, den Lebensunterhalt für ihre Familie zu erwirtschaften und die zusätzliche Belastung der medizinischen und therapeutischen Behandlung des BF1 und B3 und sich selbst zu tragen.
Zudem ist nicht davon auszugehen, dass die Familie Zugang zu staatlichen Unterstützungsleistungen hätte. Falls sie überhaupt nach ihrer Rückkehr eine Beihilfe erhalten würde - was bezweifelt wird -, wäre es ihnen jedenfalls nicht möglich zusätzlich die Kosten für die medizinische Versorgung und Medikamente oder die Bestechung, die für das Erlangen einer Beihilfe oder medizinischen Versorgung realiter verlangt werden, zu tragen. Die in der Heimat verbliebenen Verwandten der BF sind selbst gefordert und überlastet, den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien zu erwerben. Und ist daher nicht auszugehen, dass es ihnen möglich sein wird, ausreichende finanzielle Unterstützung für die ganze Familie und die zusätzlich notwendige medizinische Versorgung zu leisten.
Es ist daher nicht auszuschließen, dass die BF innerhalb kurzer Zeit in eine existenzbedrohende Lage geraten würden und eine Ausweisung sie daher in Art. 3 EMRK verletzen würde, weshalb in eventu subsidiärer Schutz zu gewähren wäre.
Rückkehrentscheidung/ Integration/ Kindeswohl
Die Familie hat sich in den fast 4 Jahren in Österreich sehr gut integriert. Trotz der Wohnsitzwechsel in Österreich haben die BF rasch Bekannte und Freunde gefunden und sich mit dem neuen Umfeld und der (österreichischen) Gesellschaft vertraut gemacht. Die guten Kontakte mit der österreichischen Gesellschaft zeigen sich auch in den bereits zahlreich vorgelegten Empfehlungsschreiben. Die Familie verfügt über viele (österreichische) Freunde und Bekannte sowie über Familie und Verwandtschaft.
Es besteht auch eine in Österreich sehr wichtige und eng gewordene Beziehung zu der in Österreich ansässigen Cousine, die insbesondere auch für die BF2 eine wichtige Vertrauensperson wurde. Der Bruder der BF2 und seine Ehefrau und Kinder stellen einen weiteren wichtigen familiären Bezugspunkt für die BF2 und ihre Familie in Österreich dar.
Der Bruder der BF2 bestätigt die auch für ihn wichtige familiäre Beziehung in einem beiliegenden Schreiben, in dem er zusätzlich die Sorge über eine etwaige Rückkehr der BF zum Ausdruck bringt.
Wie auch die Kinder XXXX und XXXX bei der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck brachten, ist ihnen die familiäre Beziehung zum Onkel und Cousins sehr wichtig.
Die BF2 hat seit ihrem Umzug in die Stadt XXXX zudem eine intensive Freundschaft mit Susanne REIF entwickelt, welche über eine reine Bekanntschaft hinausgeht. Beide Frauen haben Kleinkinder im gleichen Alter und genießen die regelmäßig stattfindenden gemeinsamen Unternehmungen sowie den mütterlichen Austausch.
Wie auch im beigelegten Schreiben festgehalten, hat sich die Familie nach ihrem Umzug in sehr kurzer Zeit erfolgreich in die neue Umgebung integriert. Sie sind zuvorkommend, hilfsbereit und sehr beliebt bei NachbarInnen und MitarbeiterInnen der Unterkunft.
Die Hilfsbereitschaft und das redliche Bemühen der BF, für den Lebensunterhalt selbst aufkommen zu können, zeigen sich nicht nur in den gemeinnützigen und ehrenamtlichen Tätigkeiten, sondern auch darin, dass der BF1 neben den bereits vorgelegten Unterlagen nunmehr auch über eine aktuelle Einstellungszusage der Firma XXXXXXXX, XXXX verfügt. Weiters wird eine aktuelle Arbeitszeitbestätigung der Gemeinde XXXX vorgelegt, demnach der BF1 trotz des Umzuges nach wie vor regelmäßig gemeinnützig tätig ist.
Die Bemühungen der BF2 sich trotz mehrmaliger Absagen immer wieder auf saisonale Arbeitsstellen zu bewerben, zeigen die Zielstrebigkeit der BF2 selbstständig und bestens integriert in Österreich leben zu wollen und einen Beitrag zum gesellschaftlichen Miteinander aus eigener Kraft zu leisten. Trotz großer anhaltender Ängste und immer wieder auftauchender Flashbacks aufgrund der erlebten Traumatisierungen hält die BF2 an ihrem Vorhaben fest und hat jüngst nach erfolgreicher Vorstellung ein Schnupperpraktikum im XXXX erhalten. Bei erfolgreicher Absolvierung könnte sich die Dienstgeberin auch die Übernahme der BF2 in ein fixes Anstellungsverhältnis vorstellen.
Die ganze Familie bemüht sich sehr, ihre Deutschkenntnisse zu erweitern. Die BF2 ist bereits für eine weitere Deutschprüfung angemeldet. Zudem besucht die ganze Familie zusätzlich regelmäßig das von Freiwilligen im Quartier organisierte Sprachtraining um die bereits erlernten Deutschkenntnisse weiter zu vertiefen. Um die B1-Prüfung erfolgreich zu absolvieren möchte die BF2 ab Herbst einen zusätzlichen Vorbereitungskurs an der Universität XXXX besuchen. In Folge der stark steigenden Asyl-Antragszahlen hat sich die Universität XXXX jüngst dazu entschlossen AsylwerberInnen und Asylberechtigten die Möglichkeit zu geben, Deutschkenntnisse über das Niveau A2 (B1, B2 etc.) durch kostenlose Kurse zu erwerben. Die BF2 hat sich selbstständig an der Universität XXXX erkundigt. Aufgrund der baldigen Semesterferien hat die BF2 einen Termin zur Anmeldung für den 14. September 2016 erhalten. Der BF1 ist redlich bemüht trotz Gedächtnisschwierigkeiten die Deutschprüfung Niveau A1/2 im August zu absolvieren. Dazu nimmt der BF1 am 15.07.2016 an einem Vortest teil.
Die Kinder XXXX und XXXX fühlen sich sehr wohl in Österreich. Für beide ist Österreich der Lebensmittelpunkt und ein Land, in dem sie sich in Geborgenheit und Zuhause fühlen, geworden. Beide Kinder können sich eine Rückkehr nach Tschetschenien nicht vorstellen und bekommen bei dem Gedanken große Angst. Vor allem XXXX hat nach der Flucht und den im Heimatland erlebten traumatischen Ereignissen lange Zeit an Panikattacken und Angstzuständen gelitten und war deswegen in psychotherapeutischer Behandlung. Aufgrund des Umzugs konnte die Therapie nicht fortgesetzt werden. Die Wartezeiten für einen psychotherapeutischen Behandlungsplatz in der Stadt XXXX sind derzeit sehrlange. Sport ist für XXXX sehr wichtig, so hat er beim Crosslauf 2015 den 3.Platz erreicht. Mittlerweile besucht XXXX wöchentlich Dienstag und Samstag von 19:00 Uhr bis 21:00 Uhr ein Takewando Training an der Sportunion XXXX. Diese Wettkampfsportart hat er bereits in XXXX regelmäßig ausgeübt und da es ihm sehr gut gefallen hat, hat er sich wieder für diese Sportart, welche von staatlich geprüften und qualifizierten TrainerInnen unterrichtet wird, entschieden. Ab Ende August wird XXXX seinen Pflichtschulabschluss am BFI XXXX nachholen. Um einen gesicherten Aufnahmeplatz zu bekommen, macht XXXX am 14.07.2016 die dafür notwendige Aufnahmeprüfung, welche in das Anmeldeprozedere inkludiert ist. Bei erfolgreicher Absolvierung wird XXXX verbindlich angemeldet. (Eine Anmeldebestätigung kann nachgereicht werden.) XXXX hat bereits mehrere Schnupperpraktika erfolgreich absolviert. Er ist dabei so positiv aufgefallen, dass ihn der Chefkoch XXXX des Hotel XXXXXXXX in seinem Betrieb anstellen wollte. Das AMS hat eine entsprechende Bewilligung dafür jedoch nicht ausgestellt. Auch in seiner Unterkunft ist XXXX sehr motiviert und hilfsbereit, so hilft er immer wieder aus, wenn es einen Dolmetscher für die Sprache Russisch braucht oder um die Kinder anderer im Quartier wohnhaften Familien, zur Schule zu bringen und auch wieder abzuholen. Der jüngere Bruder XXXX hat mittlerweile die zweite Klasse der Neuen Mittelschule XXXX erfolgreich abgeschlossen. Er geht sehr gerne in die Schule und hat trotz der kurzen Zeit die seit dem Umzug vergangen ist, schnell Anschluss in der Klassengemeinschaft gefunden und neue Freundschaften geschlossen. Seine Leistungen haben sich im Vergleich zur vorigen Schule stetig verbessert. In seiner Freizeit spielt XXXX am liebsten mit Freunden Fußball und wollte auch gerne im hiesigen Fußballverein in XXXX aufgenommen werden. Leider ist dort derzeit kein Platz frei. Aufgrund der Sommerpause ist eine derzeitige Aufnahme in anderen nahe gelegenen Fußballvereinen leider nicht möglich. Allerdings nimmt XXXX ab 18.07.2016 an einem Sommer-Fußballcamp in XXXX teil. Er freut sich schon sehr darauf und hofft anschließend die Möglichkeit zu bekommen in einem Verein mitzuspielen.
Beide Brüder haben in der Vergangenheit ausgezeichnete Sportleistungen erbracht welche durch diverse Urkunden-Verleihungen belegt sind. Sie nutzen die Sportangebote die Kinder und Jugendlichen in XXXX angeboten werden und freuen sich über den Kontakt mit Gleichaltrigen.
Die BF sind unbescholten. Zu den vorgehaltenen Ereignissen ist anzumerken, dass die Verfahren oder polizeilichen Ermittlungen eingestellt wurden oder es eine Einigung gab. Streitereien wie jene im ehemaligen Quartier kommen leider in vielen Quartieren vor, insbesondere da belastete Personen auf engem Raum und in meist problematischen Umständen zusammen leben. Es ist jedoch wohl kaum den Kindern oder der Familie anzulasten, dass sie für derlei Auseinandersetzungen (alleine) verantwortlich waren oder sind. Vielmehr ist zu erkennen, dass die Familie nunmehr in ihrem neueren Umfeld sehr gut integriert ist und keinerlei Probleme mit anderen Familien bekannt sind.
Gemäß der Rspr des VfGH ist das Kriterium der langen Aufenthaltsdauer als auch der Selbsterhaltungsfähigkeit in der Abwägung in Bezug auf die Zulässigkeit einer Ausweisung/Rückkehrentscheidung nicht allein und primär ausschlaggebend, sondern ist vielmehr die Integration in der Gesamtbetrachtung zu beurteilen.
Wie bereits erwähnt, sind die Kinder auf Grund der Erlebnisse in Tschetschenien eingeschüchtert und verunsichert. Wie erwähnt wurde bei XXXX eine psychische Erkrankung diagnostiziert (Angstzustände), weshalb er in psychotherapeutischer Behandlung war und sobald als möglich gerne wieder in Anspruch nehmen würde. Ein sicheres und stabiles Umfeld, das sie hier in Österreich gefunden haben, ist für die minderjährigen BF daher überaus wichtig.
Wie bereits erwähnt, mangelt es in Tschetschenien an Fachpersonal und würde eine psychiatrische oder psychologische Behandlung zudem zu einer Stigmatisierung des Minderjährigen führen. Gleichzeitig wäre es wohl im Sinne des Kindeswohls und der Entwicklung des mj BF überaus wichtig, die Traumatisierung zu bearbeiten und eine psychische Erkrankung nicht manifestieren zu lassen. Eine dem Kindeswohl entsprechende Entwicklung könnte somit im Heimatland mehr als gefährdet sein.
Es ist zu erwarten, dass der minderjährige BF3 im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert wäre (vgl. dazu auch das Urteil des EGMR vom 27.10.2005, Keles gg. Deutschland)
Die Anpassungsfähigkeit an die Gepflogenheiten und Situation in seinem Heimatland sind durch die längere Abwesenheit sowie die persönlich nicht sehr intensiven Beziehungen im Heimatland sowie der psychischen Situation minimal einzuschätzen.
Weiters wird in diesem Zusammenhang auch auf das Erkenntnis des EGMR vom 06.02.2001, Bensaid v UK, 44599/98, verwiesen, woraus ausdrücklich hervorgeht, dass der Gesundheitszustand und die mentale Stabilität Art 8 EMRK relevant sind.
Ebenso wird auf EGMR vom 16.12.1992, Niemietz v Germany, Nr. 13710/88 und EGMR vom 24.11.2009, Friend u. countryside alliance v UK, Nr. 16072/06 u. 27809/08 verwiesen.
Eine Ausweisung oder Erlassung einer Rückkehrentscheidung würde dem vorrangig zu berücksichtigenden Kindeswohl (Art 24 Abs 2 EU-Grundrechtecharta, Art 1 BVG über die Rechte von Kindern) klar widersprechen.
Zudem ist zu beachten, dass die Kinder (vorallem BF3 und BF4) wohl eine sehr prägende Zeit in der Entwicklung und Sozialisierung in Österreich durchgemacht haben. Durch den Schulbesuch sowie die Einbindung in die Klassengemeinschaft und das soziale Umfeld in Österreich haben sie eine für die persönliche Entwicklung sehr wichtige Sozialisierung in Österreich erfahren. Nach der bisherigen Rechtsprechung ist das Interesse und das Wohl der Kinder in die Beurteilung einer Rückkehr besonders einzubeziehen, wobei bei Kindern schon früher als bei den Eltern eine Verwurzelung in Österreich festgestellt werden kann, was auch die Beurteilung einer Reintegration im Herkunftsstaat beeinflusst (AsylGH vom 12.12.2012, D19 307.392-3/2008 u.a.).
Die überwiegende Sozialisation von Kindern in Österreich stellt ein maßgebliches Kriterium zu Gunsten der Antragsteller dar (Asylgerichtshof vom 26.2.2013, B9 300.142-2/2008). (BVwG vom 19.9.2014, W159 1418656)
Die Tochter (BF5) ist in Österreich geboren und hat somit bislang ihr ganzes Leben in Österreich verbracht. Auch wenn sie sich noch in einem anpassungsfähigen Alter befindet, so ist doch in die Abwägung einzubeziehen, dass sie im Gegensatz zu Österreich, wo sie bald die Möglichkeit eines Kindergartenbesuches haben wird und ein Umfeld hat, das eine kindgerechte Entwicklung fördert, wenn es die Eltern auf Grund ihrer Traumatisierungen nicht ideal schaffen sollten. Ebenso ist zu Bedenken zu geben, dass Mädchen wie die BF5 in einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft und in einem - wie oben erwähnt - Frauen diskriminierenden Umfeld wie in Tschetschenien wohl weniger Chancen zu einer adäquaten Entwicklung haben und somit auch eine Abschiebung der BF5 dem Kindeswohl widersprechen würde.
Soweit Kinder von einer Ausweisung betroffen sind, sind nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen (vgl. EGMR 18.10.2006, Fall Üner, Appl. 46.410/99, Z 58; 6.7.2010, Fall Neulinger ua., Appl. 1615/07, Z 146). Maßgebliche Bedeutung hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dabei den Fragen beigemessen, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter ("adaptable age"; vgl. EGMR 31.7.2008, Fall Darren Omoregie ua., Appl. 265/07, Z 66; EGMR 17.2.2009, Fall Onur, Appl. 27.319/07, Z 60; 24.11.2009, Fall Omojudi, Appl. 1820/08, Z 46; siehe dazu auch VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 bis 0219) befinden.
Der BF3 und der BF4 befinden sich im pubertären bzw. jugendlichen Alter und haben wie erwähnt eine sehr prägende und für die Entwicklung wichtige Zeit in Österreich verbracht.
Sie befinden sich zudem in keinem anpassungsfähigen Alter, was wesentlich zu berücksichtigen ist.
Sie haben zudem im Gegensatz zu Tschetschenien in Österreich wichtige Anknüpfungspunkte wie den familiären Beziehungen zu der Familie der Cousine der Mutter und des Onkels, einen Freundeskreis, die Schulgemeinschaft uvm.
Zudem hat der schulpflichtige BF4 (XXXX) einen wichtigen Teil seiner Bildung in Österreich und auf Deutsch absolviert. Er hat mittlerweile in der neuen Schule besondere Erfolge erzielt. Dies ist ein wichtiger Entwicklungsschritt und zeigt, dass er nunmehr die ausreichende Stabilität, Lehrpersonal und Schulgemeinschaft hat, die ihm die Bildung ermöglicht. Ein Abbruch dieses Bildungsweges wäre gravierend. Es wäre fraglich, ob der BF4 und der BF3, der den Pflichtschulabschluss machen möchte, ihre schulische Ausbildung in einer russischsprachigen Schule fortführen könnten.
Wie erwähnt, sind sowohl der BF1 und die BF2 sowie der BF3 psychisch und physisch beeinträchtigt und bedürfen medizinischer und psychologischer Betreuung. Hinsichtlich der vorliegenden Erkrankungen, welche die Lebensqualität der BF massiv beeinträchtigen, ist festzuhalten, dass die Erkrankungen und deren Behandlung im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit des Privatlebens in Österreich mit zu berücksichtigen sind und - unabhängig von ihrer Bewertung unter dem Blickwinkel des Art. 3 EMRK - bei der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotenen Abwägung öffentlicher und privater Interessen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung mit einzubeziehen sind (vgl. in diesem Zusammenhang EGMR 06.02.2001, Fall Bensaid gegen Vereinigtes Königreich und zuletzt auch VfGH B760/11 vom 20.09.2011).
Der gesundheitliche und psychische Zustand eines Asylwerbers ist bei der Interessenabwägung in Bezug auf die Ausweisung bzw. den Verbleib in Österreich zu beachten (vgl. VwGH 27.3.2007, 2006/21/0165: "notwendige medizinische Behandlung stärken persönliche Interessen")
Zum Umstand, dass Erkrankungen und die negativen Folgen eines Abbruches einer Behandlung in Österreich - unabhängig von einer Bewertung im Lichte von Art 3 EMRK - bei der Beurteilung der Schutzwürdigkeit des Privatlebens sowie der Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art 8 Abs 2 EMRK mit einzubeziehen sind, zum Einfluss der psychischen Gesundheit eines Elternteils auf die kindliche Entwicklung und das Kindeswohl, zur früheren Verwurzelung von Minderjährigen und der Bedeutung des Verbringens eines prägenden Teils der Kindheit in Österreich, wird auf folgende Auszüge aus dem Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 27.05.2013 zur Geschäftszahl D20 401.453 und D20 401.454 exemplarisch verwiesen (Hervorhebungen hinzugefügt):
Hinsichtlich der vorliegenden Erkrankungen der Zweitbeschwerdeführerin, welche die Lebensqualität der Zweitbeschwerdeführerin massiv beeinträchtigen, ist festzuhalten, dass die Erkrankungen und deren Behandlung im Hinblick auf die Schutzwürdigkeit des Privatlebens der Zweitbeschwerdeführerin in Österreich mit zu berücksichtigen sind und - unabhängig von ihrer Bewertung unter dem Blickwinkel des Art. 3 EMRK - bei der nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gebotenen Abwägung öffentlicher und privater Interessen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung mit einzubeziehen sind (vgl. in diesem Zusammenhang EGMR 06.02.2001, Fall Bensaid gegen Vereinigtes Königreich und zuletzt auch VfGH B760/11 vom 20.09.2011). Diesbezüglich ist festzuhalten, dass aus den von der Zweitbeschwerdeführerin im Verfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen insgesamt hervorgeht, dass die von der Zweitbeschwerdeführerin regelmäßig in Anspruch genommene Psychotherapie in den letzten Jahren einen entscheidenden positiven Einfluss auf die Zweitbeschwerdeführerin hatte und ohne die fortlaufenden Psychotherapie, die aufgrund der - die Lebensqualität der Zweitbeschwerdeführerin massiv beeinträchtigenden - Erkrankungen schwierige Lebenssituation der Zweitbeschwerdeführerin für diese nicht zu bewältigen und die zahlreichen Erkrankungen nicht zu ertragen gewesen wären.
Ein Abbruch der Psychotherapie in Österreich bzw. eine Änderung des sozialen Umfeldes der Zweitbeschwerdeführerin, welche nunmehr wieder Mutter eines Kleinkindes ist, welches auf die Betreuung der Zweitbeschwerdeführerin, ebenso wie des Erstbeschwerdeführers angewiesen ist, würde daher zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Zweitbeschwerdeführerin führen bzw. bereits erzielte Fortschritte maßgeblich zurücksetzen, was sich in Folge insbesondere auf die Entwicklung des etwas mehr als einjährigen Viertbeschwerdeführerin negativ auswirken könnte.[...]
Nach der bisherigen Rechtsprechung ist auch das Interesse und das Wohl der Kinder in die Beurteilung miteinzubeziehen, wobei bei Kindern unter Umständen schon früher als bei den Eltern eine Verwurzelung im Bundesgebiet festgestellt werden kann, was auch die Beurteilung einer Reintegration im Herkunftsstaat beeinflusst. Dass die minderjährige, zum Zeitpunkt der Einreise nach Österreich achteinhalb Jahre alt gewesene Drittbeschwerdeführerin über besondere Bindungen in Tschetschenien - die über die verwandtschaftlichen Anknüpfungspunkte hinausgehen - verfügt, kann seitens des Asylgerichtshofes nicht erkannt werden. Wenn auch die etwa mit der Vollendung des dritten Lebensjahres beginnende Sozialisation (vgl. dazu etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichthofes vom 19.01.2006, Zl. 2005/21/0297) der Drittbeschwerdeführerin zunächst in Tschetschenien stattfand, hat die Drittbeschwerdeführerin wesentliche und besonders prägende Teile ihrer Kindheit und Jugend in Österreich verbracht, wo sie mittlerweile auch sozial und schulisch als fortgeschritten integriert anzusehen ist. Durch den Schulbesuch sowie ihre Einbindung in den Schulverband und das soziale Umfeld im Bundesgebiet hat die Drittbeschwerdeführerin eine für ihre persönliche Entwicklung sehr wichtige Sozialisation in Österreich erfahren. Es ist daher zu erwarten, dass die minderjährige Drittbeschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation angesichts der dortigen Unterrichtssprache und der mangelnden Beziehungen zum Heimatstaat mit erheblichen Schwierigkeiten konfrontiert wäre (vgl. dazu auch das Urteil des EGMR vom 27.10.2005, Keles gg. Deutschland).
Hierzu VfGH B1565/10 ua vom 10.03.2011: Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, dass die Aufenthaltsverfestigung des Beschwerdeführers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte und der Beschwerdeführer nie über eine über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügte; jedoch ist ihm als Minderjährigem, der seine Eltern nach Österreich begleitete, dies nicht in jenem Maße zuzurechnen wie seinen Obsorgeberechtigten (vgl. VfGH 12.6.2010, U614/10). Im Gegensatz zu Kindern, die sich im Zeitpunkt ihrer Ausweisung noch in anpassungsfähigem Alter befinden (vgl. etwa EGMR 26.1.1999, Fall Sarumi, Appl. 43.279/98: Der EGMR nahm für Kinder im Alter von 7 und 11 Jahren eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit an, die eine Rückkehr mit ihren Eltern aus England, wo sie geboren wurden, nach Nigeria als keine unbillige Härte erschienen ließ), trifft diese Anpassungsfähigkeit nicht auf den Beschwerdeführer zu, welcher wesentliche Teile seiner Kindheit und Jugend in Österreich verbrachte.
Wie erwähnt, ist gemäß der Rechtsprechung des VfGH das Kriterium der Aufenthaltsdauer in der Abwägung in Bezug auf die Zulässigkeit einer Ausweisung nicht primär ausschlaggebend, sondern ist vielmehr die Integration in der Gesamtbetrachtung zu beurteilen und eine sorgfältige Interessensabwägung vorzunehmen. Den minderjährigen BF ist jedenfalls nicht zur Last zu legen, dass sich die Aufenthaltsdauer auf Grund eines zweiten Asylantrages verlängert hat. (Zudem noch einmal darauf hinzuweisen ist, dass das erste Asylverfahren schwer mangelhaft war, die BF in ihren Grundrechten verletzt waren und die neu hinzu gekommenen Informationen, Beweismittel und Gründe nicht unerheblich sind/waren, um einen Nachfluchtgrund bzw. Verfolgungsgefahr im Falle einer Rückkehr geltend zu machen.)
Eine Ausweisung bzw. Rückkehrentscheidung der BF würden jedenfalls massiv in die Rechte der BF auf Achtung ihres Privatlebens nach Art 8 Abs 1 EMRK eingreifen. Ein solcher Eingriff ist nur zulässig, wenn er gemäß Art 8 Abs 2 EMRK gerechtfertigt ist. Danach darf eine Behörde in die Ausübung des Rechts auf Achtung des Privatlebens nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.
Bei dieser vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung muss die Behörde bzw. das BVwG gemäß Art 1 des Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern (im Folgenden B-VG Kinderrechte), Art 24 Abs 2 EU-Grundrechtecharta sowie Art 3 der Kinderrechtskonvention das Kindeswohl vorrangig berücksichtigen.
Die Familie hat sehr gute Integrationsfortschritte gemacht, wie dies auch aus den Beilagen und den obigen Ausführungen zu entnehmen ist.
Sie sind seit fast 4 Jahren in Ö aufhältig und ist XXXX auch auf Grund der (österreichischen) Freunde und Bekannte sowie der asylberechtigten Familie ein neuer Lebensmittelpunkt geworden. Insbesondere die minderjährigen BF, die einen wichtigen Teil ihrer Entwicklung und Sozialisation in Österreich erfahren haben, ist Österreich zur neuen Heimat sowie zu einem wichtigen stabilen Umfeld geworden. Die BF haben sehr gut Deutsch gelernt und zudem haben sie sich durch ihre Hilfsbereitschaft, Engagement und Freiwilligenarbeit in Österreich sehr verdient gemacht. Durch Einstellungszusagen und Absolvierung von Praktikas ist zudem eine baldige Selbsterhaltungsfähigkeit gegeben. In eventu ist daher aus genannten Gründen eine Rückkehrentscheidung als auf Dauer unzulässig zu erklären.
Beispielhaft darf hier auf folgende Rspr verwiesen werden: BVwG vom 19.9.2014 zur Zl W159 1418656, in dem in einem ähnlichen Fall einer Familie aus der RF die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig erkannt wurde: Der Beschwerdeführer ist seit rund vier Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufhältig und unbescholten, er ist bemüht die deutsche Sprache zu erlernen und hat deswegen sich auch privat und gegen entsprechendes Entgelt über die Deutschkurse in der Bundesbetreuung hinaus einen Deutschkurs organisiert. Der Beschwerdeführer erfährt überdies die Unterstützung zahlreicher österreichischer Mitbürger, die die gute Integration der gesamten Familie bezeugen und sich für den Verbleib der Familie in Österreich einsetzen und arbeitet der Beschwerdeführer überdies unentgeltlich als Hausmeister in der Flüchtlingspension, in der sie untergebracht sind. Die Ehefrau des Beschwerdeführer ist besonders gut in Österreich integriert, hat bereits zahlreiche Deutschkurse, zuletzt eine Prüfung in dem hohen Niveau B1 absolviert und verfügt bereits über mehrere Einstellungszusagen. Auch die Kinder der Beschwerdeführer sind äußerst gut integriert und betreiben neben der Schule noch zahlreiche Aktivitäten wie xxxx und sind offenbar bei ihren Mitschülern sehr beliebt, sodass sich diese in rührenden Briefen für den Verbleib der jungen Beschwerdeführer einsetzen. Die Kinder des Beschwerdeführers haben in Österreich prägende Jahre ihrer Kinderzeit erlebt und wurden hier sozialisiert."
In der Beilage übermittelten die Beschwerdeführer den Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 20.01.2015 zu Verschärfungen beim Vorgehen gegen angeblich Unterstützende von Aufständischen, ein einseitiges Schreiben in Französisch, eine Bestätigung der Gemeinde XXXX, dass der Erstbeschwerdeführer am 20.06.2016, 04.07.2016 und 11.07.2016 gearbeitet habe, ein Volksschulzeugnis des Viertbeschwerdeführers aus 2012/2013, wonach dieser in Werken und Sport sehr gut, in Musik und Zeichnen gut und im Übrigen nicht beurteilt worden sei, eine Schulbesuchsbestätigung des Viertbeschwerdeführers aus 2012/2013 betreffend die 3. Klasse Volksschule, wonach er abgesehen von Sport nicht beurteilt wurde, eine Schulbesuchsbestätigung aus 2013/3014 betreffend die 4. Klasse Volksschule, wonach er als außerordentlicher Schüler abgesehen von Religion, Sport und Werken - in diesen Fächern war er sehr gut - nicht beurteilt wurde, eine Schulnachricht des Viertbeschwerdeführers aus 2014/2015 betreffend die erste Klasse der Neuen Mittelschule, wonach er in IKT und Sport sehr gut, in Werken gut, in Zeichnen befriedigend war und im Übrigen nicht beurteilt wurde, wobei sein Verhalten in der Schule als wenig zufriedenstellend beschreiben wird, eine Schulnachricht des Viertbeschwerdeführers aus 2015/2016 wiederum betreffend die erste Klasse der Neuen Mittelschule, wonach der Viertbeschwerdeführer in Sport sehr gut, in Werken und Musik gut, in Religion und Zeichnen befriedigend, in Englisch genügend, im Übrigen nicht genügend war und sein Verhalten als wenig zufriedenstellend beurteilt wurde, ein Schulzeugnis des Viertbeschwerdeführers aus 2015/2016 betreffend die
2. Klasse Allgemeine Sonderschule, wonach sein Verhalten wenig zufriedenstellend und er berechtigt ist, in die nächste Schulstufe aufzusteigen, eine Schulnachricht des Drittbeschwerdeführers aus 2012/2013 betreffend die 3. Klasse der neuen Mittelschule, wonach der Drittbeschwerdeführer in Zeichnen, Haushalt, Informatik und Werken sehr gut war und im Übrigen nicht beurteilt wurde, sein Verhalten wurde mit sehr zufriedenstellend bewertet, eine Schulnachricht des Drittbeschwerdeführers aus 2013/2014 betreffend die 4. Klasse Hauptschule, wonach der Beschwerdeführer in Zeichnen und Werken gut, im Übrigen als außerordentlicher Schüler nicht beurteilt und durchgehend in der dritten Leistungsgruppe war, eine Schulbesuchsbestätigung des Drittbeschwerdeführers aus 2013/2014, wonach der Drittbeschwerdeführer in Sport, Werken und Zeichnen gut, im Übrigen nicht beurteilt und durchgehend in der dritten Leistungsgruppe war, sowie die Beschreibung eines Fußballcamps im Juli 2016.
Mit Schreiben vom 01.08.2016 legten die Beschwerdeführer die Bestätigung der Teilnahme des Viertbeschwerdeführers an einem Fußballcamp und die Anmeldebestätigung des Drittbeschwerdeführers betreffend einen vom Land XXXX finanzierten Pflichtschulabschlusskurs ab September 2016. Weiters wird ausgeführt, dass sich die Familie sehr freue, dass der Drittbeschwerdeführer in seinen Pflichtschulabschlusskurs aufgenommen worden sei und so die Chance erhalte, seine Bildung fortzusetzen und einen Abschluss zu erlangen; seine intensiven Bemühungen, aufgenommen zu werden, seien erfolgreich gewesen. Der Viertbeschwerdeführer habe erfolgreich an einem Fußballcamp teilgenommen und sich in der Gemeinschaft sehr wohl gefühlt. Er habe neue Freunde gefunden. Sport sei für seine Entwicklung und stabile psychische Situation als Jugendlicher überaus wichtig. Eine Rückkehrentscheidung würde dem Kindeswohl und der psychischen Situation der Entwicklung der minderjährigen Beschwerdeführer jedenfalls entgegenwirken.
Mit Schreiben vom 03.08.2016 gab die Zweitbeschwerdeführerin eine Stellungnahme zu einer Ladung ab.
Mit Eingabe vom 05.08.2016 legte der Erstbeschwerdeführer eine Bestätigung der Gemeinde XXXX betreffend ehrenamtliche Arbeit am 18.07., 25.07., 01.08. und 04.08.2016 im Ausmaß von sieben bzw. vier Stunden vor und ersuchte, sein fortwährendes Engagement und seine Integrationsbemühungen wie auch die seiner Familie positiv zu berücksichtigen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die Identität der Beschwerdeführer steht fest. Sie sind russische Staatsangehörige, Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe und bekennen sich zum muslimischen Glauben. Der Erstbeschwerdeführer ist mit der Zweitbeschwerdeführerin standesamtlich verheiratet. Die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sind die gemeinsamen Kinder.
1.2. Der Aufenthalt der Beschwerdeführer in Österreich war während ihres ersten Asylverfahrens vom 19.09.2012 bis 05.12.2013 rechtmäßig, bis zur Stellung der zweiten Anträge auf internationalen Schutz am 11.12.2013 war der Aufenthalt unrechtmäßig. Seit der Verfahrenszulassung ist ihr Aufenthalt wiederum im Rahmen des Asylverfahrens rechtmäßig.
1.3. Die Beschwerdeführer halten sich seit ihrer Einreise ununterbrochen im Bundesgebiet auf. Eine ausgeprägte und verfestigte, entscheidungserhebliche individuelle Integration der Beschwerdeführer in Österreich kann nicht festgestellt werden: Der Drittbeschwerdeführer ist unbescholten. Er reiste in Begleitung seiner Eltern unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und war vom 05.12.2013 bis 11.12.2013 unrechtmäßig entgegen einer aufrechten Ausweisung in Österreich aufhältig. Er verfügte nie über ein Aufenthaltsrecht in Österreich außerhalb des Asylverfahrens und musste sich seines unsicheren Aufenthaltes bewusst sein. Der Drittbeschwerdeführer bezieht Grundversorgung und war in Österreich nie legal erwerbstätig. Er besuchte mehrere Schnuppertage. Er hilft im Quartier der Grundversorgung bei Russisch-Verdolmetschungen und den Kindern im Quartier am Schulweg, darüber hinaus leistet er keine ehrenamtliche Tätigkeit. Er spricht Deutsch und besucht aktuell einen freiwilligen Deutschkurs. Der Drittbeschwerdeführer schloss die Schulpflicht nicht erfolgreich ab: Er besuchte 2012/2013 die 3. Klasse Neue Mittelschule als außerordentlicher Schüler, 2013/2014 die 4. Klasse Hauptschule (3. Leistungsgruppe) als außerordentlicher Schüler und 2014/2015 die 4. Klasse Hauptschule (3. Leistungsgruppe) jeweils ohne Erfolg; im Schuljahr 2015/2016 ging der Drittbeschwerdeführer auf Anraten des Direktors wegen schlechter Noten im ersten Halbjahr ohne Schulabschluss von der Hauptschule ab. Er ist für einen Hauptschulabschlusskurs ab September 2016 angemeldet. Er war bis Juni 2016 nicht Mitglied in einem Verein und lebt erst seit März 2016 in XXXX. Weiters hat er Kontakt zu den Familien der Cousine und des Bruders der Mutter. In XXXX hat er einen Freund aus der tschetschenischen Community gefunden.
1.4. Der Drittbeschwerdeführer spricht Russisch und Tschetschenisch, er hat im Herkunftsstaat sechs Jahre lang die Grundschule besucht. Im Herkunftsstaat leben zahlreiche Verwandte, insb. die Brüder des Vaters, die Schwestern der Mutter und die Großeltern, mit denen der Drittbeschwerdeführer teilweise auch im Familienverband lebte. Er verfügt über eine Unterkunftsmöglichkeit bei der Schwester der Mutter, bei der sie ihren Angaben zufolge vor der Ausreise lebten. Weiters könnte er bei seinen Großeltern oder bei den Bekannten in XXXX wohnen, wo die Eltern auch während des Krieges zeitweilig lebten. Seine Familie väterlicherseits und mütterlicherseits verfügt über ein gesichertes Auskommen, sie stammt aus wohlhabenden Verhältnissen und er könnte im Falle der Rückkehr auf ihr familiäres Netz zurückgreifen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass der Beschwerdeführer von seinen Verwandten, zu denen auch von Österreich aus Kontakt besteht, im Falle der Rückkehr nicht wiederum aufgenommen und unterstützt würde.
1.5. Die Beschwerdeführer leben im gemeinsamen Haushalt.
Ein Bruder der Zweitbeschwerdeführerin lebt nunmehr als anerkannter Flüchtling in Österreich, seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 01.12.2012 wurde mit Bescheid vom 18.10.2014 stattgegeben. Mit dem Bruder der Zweitbeschwerdeführerin besteht kein gemeinsamer Wohnsitz, es besteht kein Pflege- und Abhängigkeitsverhältnis zu diesem.
Die Fluchtgründe des Bruders der Zweitbeschwerdeführerin stehen in keinem Zusammenhang mit den Ausreisegründen der Beschwerdeführer.
1.6. Der Erstbeschwerdeführer leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung, den Folgen eines stattgehabten Schädel-Hirn-Traumas sowie einer Prostataentzündung, Hochtonschwerhörigkeit und eines seines Augenlider schließt nicht vollständig; dies wurde bislang auch in Österreich nicht behandelt. Die Behandlung wägen Hämorrhoiden und Septumdeviation ist abgeschlossen. Die Zweitbeschwerdeführerin leidet an migränoidem Kopfschmerzen. Der Drittbeschwerdeführer litt an Angstzuständen, befindet sich aber seit 2014 nicht mehr in Behandlung. Die übrigen Beschwerdeführer sind gesund.
1.7. Im gegenständlichen Verfahren können keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Falle ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung in die Russische Föderation einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe oder sonst einer konkreten individuellen Gefahr ausgesetzt sein würden.
1.8. Das Vorbringen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin zu den Gründen für die Ausreise aus ihrem Herkunftsstaat ist unglaubwürdig. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr in die Russische Föderation einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sein würden. Für die minderjährigen Beschwerdeführer wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.
1.9. Die Lage in der Russischen Föderation, insb. in der Republik Tschetschenien, stellt sich wie folgt dar:
Politische Lage
Die Russische Föderation hat knapp 143 Millionen Einwohner (CIA 22.3.2016, vgl. GIZ 3.2016c). Die Russische Föderation ist eine föderale Republik mit präsidialem Regierungssystem. Am 12.6.1991 erklärte sie ihre staatliche Souveränität. Die Verfassung der Russischen Föderation wurde am 12.12.1993 verabschiedet. Das russische Parlament besteht aus zwei Kammern, der Staatsduma (Volksvertretung) und dem Föderationsrat (Vertretung der Föderationssubjekte). Der Staatspräsident der Russischen Föderation verfügt über sehr weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Amtszeit beträgt sechs Jahre. Russischer Präsident ist seit dem 7.5.2012 Wladimir Wladimirowitsch Putin. Er wurde am 4.3.2012 (mit offiziell 63,6% der Stimmen) gewählt. Es handelt sich um seine dritte Amtszeit als Staatspräsident. Dmitri Medwedjew, Staatspräsident 2008-2012, übernahm am 8. Mai 2012 erneut das Amt des Ministerpräsidenten. Mit 238 von 450 Sitzen verfügt die Partei 'Einiges Russland' über eine absolute Mehrheit in der Staatsduma. Bei der Wahl am 4. Dezember 2011 wurde die Staatsduma erstmals für eine verlängerte Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Alle Abgeordneten wurden ausnahmslos über Parteilisten nach dem Verhältniswahlrecht mit einer Sieben-Prozent-Hürde gewählt. Neben 'Einiges Russland' sind aktuell die Kommunisten mit 92 Sitzen, die formal linksorientierte Partei 'Gerechtes Russland' mit 64 Sitzen und die 'Liberaldemokraten' des Rechtspopulisten Schirinowski mit 56 Sitzen in der Staatsduma vertreten. Wahlfälschungsvorwürfe bei diesen Duma-Wahlen waren ein wesentlicher Auslöser für Massenproteste im Dezember 2011 und Anfang 2012. Ab der nächsten Wahl soll die Hälfte der Abgeordneten mittels relativer Mehrheitswahl in Einpersonen-Wahlkreisen (also in Wahlkreisen, in denen jeweils ein Kandidat/eine Kandidatin gewählt wird) bestimmt werden. Es soll wieder die Fünf-Prozent-Hürde gelten. Die nächste Duma-Wahl soll am 18. September 2016 stattfinden (AA 3.2016a, vgl. GIZ 4.2016a).
Russland ist eine Föderation, die aus 83 Föderationssubjekten besteht. Die im Zuge der völkerrechtswidrigen Annexion erfolgte Eingliederung der ukrainischen Krim und der Stadt Sewastopol als Föderationssubjekte Nr. 84 und 85 in den russischen Staatsverband ist international nicht anerkannt. Die Föderationssubjekte genießen unterschiedliche Autonomiegrade und werden unterschiedlich bezeichnet (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Regionen, Gebiete, Föderale Städte). Die Föderationssubjekte verfügen jeweils über eine eigene Legislative und Exekutive. In der Praxis unterstehen die Regionen aber finanziell und politisch dem föderalen Zentrum. In zahlreichen russischen Regionen fanden am 13. September 2015 Gouverneurs- und Kommunalwahlen statt. In der Praxis kam es dabei wie schon im Vorjahr zur Bevorzugung regierungsnaher und Behinderung oppositioneller Kandidaten (AA 3.2016a).
Angesichts einer zunehmenden internationalen Isolierung des Landes und wachsender wirtschaftlicher Probleme war die russische Regierung 2015 bemüht, die Bevölkerung auf Begriffe wie Einheit und Patriotismus einzuschwören, "traditionelle Werte" zu betonen und Angst vor angeblichen inneren und äußeren Feinden des Landes zu schüren. Meinungsumfragen zufolge traf Präsident Wladimir Putin mit seiner Art, das Land zu führen, unverändert auf breite Zustimmung. Regierungskritiker wurden in den Massenmedien als "unpatriotisch" und "anti-russisch" verunglimpft und gelegentlich auch tätlich angegriffen. Am 27.2.2015 wurde Boris Nemzow, einer der bekanntesten Oppositionspolitiker des Landes, in Sichtweite des Kremls erschossen. Trauernde Menschen, die am Tatort an ihn erinnern wollten, wurden von den Moskauer Behörden und Regierungsanhängern schikaniert. Die Regierung stritt die immer zahlreicheren Beweise für eine militärische Beteiligung Russlands in der Ukraine weiterhin ab. Im Mai 2015 erklärte Präsident Putin per Erlass alle Verluste der russischen Armee bei "Spezialeinsätzen" in Friedenszeiten zum Staatsgeheimnis. Bis November 2015 hatten sich amtlichen Schätzungen zufolge 2700 russische Staatsbürger, die zum Großteil aus dem Nordkaukasus stammten, in Syrien und im Irak der bewaffneten Gruppe Islamischer Staat (IS) angeschlossen. Unabhängige Experten nannten höhere Zahlen. Am 30.9.2015 begann Russland mit Luftangriffen in Syrien, die nach offiziellen Angaben den IS treffen sollten, sich häufig aber auch gegen andere Gruppen richteten, die den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad ablehnten. Meldungen über zahlreiche zivile Opfer der Luftangriffe wurden von der russischen Regierung bestritten. Am 24.11.2015 schoss die Türkei ein russisches Kampfflugzeug ab, das in den türkischen Luftraum eingedrungen sein soll. Der Vorfall löste gegenseitige Schuldzuweisungen aus und führte zu einer diplomatischen Eiszeit zwischen den beiden Ländern (AI 24.2.2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (3.2016a): Russische Föderation - Innenpolitik,
http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html , Zugriff 7.4.2016 - AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation,
http://www.ecoi.net/local_link/319681/458907_de.html , Zugriff 7.4.2016 - CIA - Central Intelligence Agency (22.3.2016): The World Factbook,
https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html , Zugriff 7.4.2016
- GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2016a): Russland, Geschichte, Staat und Politik, http://liportal.giz.de/russland/geschichte-staat/#c17900 , Zugriff 7.4.2016 - GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2015c): Russland, Gesellschaft, http://liportal.giz.de/russland/gesellschaft/ , Zugriff 7.4.2016
Tschetschenien
Die Tschetschenische Republik ist eine der 21 Republiken der Russischen Föderation. Betreffend Fläche und Einwohnerzahl - 15.647 km2 und fast 1,3 Millionen Einwohner/innen (2010) - ist Tschetschenien mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik. Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russ/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).
Den Föderationssubjekten stehen Gouverneure vor. Gouverneur von Tschetschenien ist Ramsan Kadyrow. Er gilt als willkürlich herrschend. Russlands Präsident Putin lässt ihn aber walten, da er Tschetschenien "ruhig" hält. Tschetschenien wird überwiegend von Geldern der Zentralregierung finanziert. So erfolgte der Wiederaufbau von Tschetscheniens Hauptstadt Grosny vor allem mit Geldern aus Moskau (BAMF 10.2013, vgl. RFE/RL 19.1.2015).
In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrov als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres System geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und größtenteils außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert. Insbesondere die tschetschenischen Sicherheitskräfte, die offiziell zwar dem russischen Innenministerium unterstellt sind, de facto jedoch von Kadyrov kontrolliert werden, agieren ohne föderale Aufsicht. So blockieren tschetschenische Sicherheitskräfte seit Monaten die Untersuchungen der föderalen Behörden im Fall des im Februar 2015 ermordeten Oppositionspolitikers Boris Nemzov, dessen Drahtzieher in Tschetschenien vermutet werden. Im April 2015 - nachdem Polizisten aus der benachbarten Region Stawropol eine Operation in Grozny durchgeführt hatten - forderte Kadyrov seine Sicherheitsorgane auf, auf Polizisten anderer Regionen zu schießen, sollten diese ohne Genehmigung in Tschetschenien operieren. Gegen Extremisten, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen. Auch die Familien von Terrorverdächtigen werden häufig Repressionen ausgesetzt. Im Gegensatz zu Dagestan und Inguschetien wurden keine "soft power"-Ansätze wie die Gründung von Kommissionen zur Rehabilitierung ehemaliger Extremisten verfolgt. Das tschetschenische Parlament hat Anfang 2015 der Staatsduma vorgeschlagen, ein föderales Gesetz anzunehmen, das eine strafrechtliche Verantwortung für Angehörige von Terroristen vorsieht, wenn sie diese in ihren Aktivitäten unterstützten. Dass die von Kadyrov herbeigeführte Stabilität trügerisch ist, belegte der Terrorangriff auf Grosny im Dezember 2014, bei dem fast ein Dutzend Personen ums Leben kam (ÖB Moskau 10.2015). In Tschetschenien hat das Republikoberhaupt Ramsan Kadyrow ein auf seine Person zugeschnittenes repressives Regime etabliert. Vertreter russischer und internationaler NGOs zeichnen ein insgesamt düsteres Lagebild. Gewalt und Menschenrechtsverletzungen bleiben dort an der Tagesordnung, es herrscht ein Klima der Angst und Einschüchterung (AA 5.1.2016).
Sowohl bei den gesamtrussischen Duma-Wahlen im Dezember 2011, als auch bei den Wahlen zur russischen Präsidentschaft im März 2012 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien bei über 99%. Die Zustimmung für die Regierungspartei "Einiges Russland" und für Präsidentschaftskandidat Wladimir Putin lag in der Republik ebenfalls bei jeweils über 99%. Bei beiden Wahlen war es zu Wahlfälschungsvorwürfen gekommen (Welt 5.3.2012, vgl. Ria Novosti 5.12.2012, ICG 6.9.2013).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013): Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg - ICG - International Crisis Group (6.9.2013): The North Caucasus: The Challenges of Integration (III), Governance, Elections, Rule of Law,
http://www.ecoi.net/file_upload/1002_1379094096_the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-226-the-north-caucasus-the-challenges-of-integration-iii-governance-elections-rule-of-law.pdf , Zugriff 7.4.2015 - ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation - RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (19.1.2015):
The Unstoppable Rise Of Ramzan Kadyrov, http://www.rferl.org/content/profile-ramzan-kadyrov-chechnya-russia-putin/26802368.html , Zugriff 7.4.2016 - Ria Novosti (5.12.2012): United Russia gets over 99 percent of votes in Chechnya, http://en.rian.ru/society/20111205/169358392.html , Zugriff 7.4.2016 - Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds,
http://www.integrationsfonds.at/laenderinformation/laenderinformation_russiche_foederationtschetschenische_republik/ , Zugriff 7.4.2016 - Die Welt (5.3.2012): In Tschetschenien stimmen 99,76 Prozent für Putin,
http://www.welt.de/politik/ausland/article13903750/In-Tschetschenien-stimmen-99-76-Prozent-fuer-Putin.html , Zugriff 7.4.2016
Sicherheitslage
Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, jederzeit zu Attentaten kommen. Die russischen Behörden haben zuletzt ihre Warnung vor Attentaten bekräftigt und rufen zu besonderer Vorsicht auf (AA 1.6.2016b).
Russland hat den IS erst Ende Dezember 2014 auf seine Liste terroristischer Organisationen gesetzt und dabei andere islamistische Gruppierungen außer Acht gelassen, in denen seine Staatsbürger, insbesondere Tschetschenen und Dagestaner, in Syrien und im Irak ebenfalls aktiv sind - wie die Jaish al-Muhajireen-wal-Ansar, die überwiegend von Kämpfern aus dem Nordkaukasus gegründet wurde. Ausländische und russische Beobachter, darunter die kremlkritische Novaja Gazeta im Juni 2015, erhoben gegenüber den Sicherheitsbehörden Russlands den Vorwurf, der Abwanderung von Jihadisten aus dem Nordkaukasus und anderen Regionen nach Syrien tatenlos, wenn nicht gar wohlwollend zuzusehen, da sie eine Entlastung für den Anti-Terror-Einsatz im eigenen Land mit sich bringe. Tatsächlich nahmen die Terroraktivitäten in Russland selber ab (SWP 10.2015). In der zweiten Hälfte des Jahres 2014 kehrte sich diese Herangehensweise um, und Personen, die z.B. Richtung Türkei ausreisen wollten, wurden an der Ausreise gehindert. Nichtsdestotrotz geht der Abgang von gewaltbereiten Dschihadisten weiter und Experten sagen, dass die stärksten Anführer der Aufständischen, die dem IS die Treue geschworen haben, noch am Leben sind. Am 1.8.2015 wurde eine Hotline eingerichtet, mit dem Ziel, Personen zu unterstützen, deren Angehörige in Syrien sind bzw. planen, nach Syrien zu gehen. Auch Rekrutierer und Personen, die finanzielle Unterstützung für den Dschihad sammeln, werden von den Sicherheitsbehörden ins Visier genommen. Einige Experten sind der Meinung, dass das IS Rekrutierungsnetzwerk eine stabile Struktur in Russland hat und Zellen im Nordkaukasus, in der Wolga Region, Sibirien und im russischen Osten hat (ICG 14.3.2016).
Das "Kaukasus-Emirat", das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt. Dem russischen Islamexperten Aleksej Malaschenko zufolge reisten gar Offizielle aus der Teilrepublik Dagestan nach Syrien, um IS-Kämpfer aus dem Kaukasus darin zu bestärken, ihren Jihad im Mittleren Osten und nicht in ihrer Heimat auszutragen. Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Novaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein ‚Wilajat Kavkaz', eine Provinz Kaukasus, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus Emirats dem ‚Kalifen' Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Jihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren. Seitdem mehren sich am Südrand der Russischen Föderation die Warnungen vor einer Bedrohung durch den sogenannten Islamischen Staat. Kurz zuvor hatten die föderalen und lokalen Sicherheitsorgane noch den Rückgang terroristischer Aktivitäten dort für sich reklamiert. Als lautester Mahner tut sich wieder einmal der tschetschenische Republikführer Ramzan Kadyrow hervor. Er rief alle muslimischen Länder dazu auf, sich im Kampf gegen den IS, den er mit Iblis-Staat - also Teufelsstaat - übersetzt, zusammenzuschließen. Für Kadyrow ist der IS ein Produkt anti-islamischer westlicher Politik, womit er sich im Einklang mit der offiziellen Sichtweise des Kremls befindet, der dem Westen regelmäßig fatale Eingriffe im Mittleren Osten vorwirft. Terroristische Aktivitäten im Nordkaukasus, die eindeutig den Überläufern zum IS zuzuschreiben sind, haben sich aber bislang nicht verstärkt. Bis September 2015 wurden nur zwei Anschläge in Dagestan der IS-Gefolgschaft zugeschrieben: die Ermordung des Imam einer Dorfmoschee und ein bewaffneter Angriff auf die Familie eines Wahrsagers. Auch im Südkaukasus mehren sich die Stimmen, die vor dem IS warnen. Aus dem Pankisi-Tal in Georgien, das mehrheitlich von einer tschetschenischen Volksgruppe bewohnt wird, stammen einige Teilnehmer an den Kämpfen in Syrien - so Umar al-Shishani (eigentl. Tarkhan Batiraschwili), der dort prominenteste Milizen-Führer aus dem Kaukasus (SWP 10.2015).
Seit Ende 2014 mehren sich Meldungen über Risse im bewaffneten Untergrund und Streitigkeiten in der damaligen Führung des Emirats, die vor allem mit der Beteiligung nordkaukasischer Kämpfer am Jihad des IS in Syrien zu tun haben. Eine wachsende Zahl von Feldkommandeuren (Emiren) aus Dagestan, Tschetschenien und anderen Teilen des Nordkaukasus haben IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi den Treueid geschworen (SWP 4.2015). Nach Dokku Umarows Tod 2013 wurde Aliaschab Kebekow [aka Ali Abu Muhammad] zum Anführer des Kaukasus Emirates. Dieser ist im Nordkaukasus bei einem Einsatz russischer Spezialkräfte im Frühling 2015 getötet worden (Zeit Online 20.4.2015). Abu Usman Gimrinsky (Magomed Suleimanov) wurde zum Nachfolger (Open Democracy 29.6.2015). Im August 2015 erlitt der Rest des noch bestehenden Kaukasus Emirat einen erneuten harten Rückschlag. Drei der Top-Kommandanten wurden im Untsukul Distrikt in Dagestan von Regierungskräften getötet, darunter der neue Anführer des Emirates Abu Usman Gimrinsky (Magomed Suleimanov) (Jamestown 14.8.2015).
Bis ins Jahr 2015 hinein hat Russland die vom sogenannten Islamischen Staat ausgehende Gefahr eher relativiert und die Terrormiliz als einen von vielen islamistischen Akteuren abgetan, die das mit Moskau verbündete Assad-Regime, die ‚legitime Regierung Syriens', bekämpfen. In seiner jährlichen Tele-Konferenz mit der Bevölkerung am 18. April 2015 hatte Präsident Putin noch geäußert, der IS stelle keine Gefahr für Russland dar, obwohl die Sicherheitsbehörden schon zu diesem Zeitpunkt eine zunehmende Abwanderung junger Menschen nach Syrien und Irak registriert und vor den Gefahren gewarnt hatten, die von Rückkehrern aus den dortigen Kampfgebieten ausgehen könnten. Wenige Tage später bezeichnete Außenminister Lawrow den IS in einem Interview erstmals als Hauptfeind Russlands (SWP 10.2015).
Der russische Generalstaatsanwalt erklärte im November 2015, dass 650 Strafverfahren aufgrund der Beteiligung in einer illegalen bewaffneten Gruppierung im Ausland eröffnet wurden. Laut Chef des FSB (Inlandsgeheimdienst) sind davon 1.000 Personen betroffen. Zusätzlich wurden 770 Aufständische und ihre Komplizen inhaftiert und 156 Kämpfer wurden im Nordkaukasus 2015 getötet, einschließlich 20 von 26 Anführern, die dem IS die Treue geschworen hatten. Mehr als 150 Rückkehrer aus Syrien und dem Irak wurden zu Haftstrafen verurteilt. 270 Fälle wurden eröffnet, um vermeintliche Terrorfinanzierung zu untersuchen; 40 Rekrutierer sollen allein in Dagestan verhaftet und verurteilt worden sein. Vermeintliche Rekrutierer wurden verhaftet, da sie Berichten zufolge junge Personen aus angesehenen Familien in Tschetschenien, aber auch aus Moskau, St. Petersburg, Jekaterinburg, der Stavropol Region und der Krasnodar Region für den IS gewinnen wollten (ICG 14.3.2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (1.6.2016b): Reise- und Sicherheitshinweise, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_93DF338D07240C852A755BB27CDFE343/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html , Zugriff 1.6.2016 - ICG - International Crisis Group (14.3.2016): The North Caucasus Insurgency and Syria: An Exported Jihad? http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1458642687_238-the-north-caucasus-insurgency-and-syria-an-exported-jihad.pdf ,
S. 16-18, Zugriff 1.6.2016 - Jamestown Foundation (14.8.2015): After Loss of Three Senior Commanders, Is the Caucasus Emirate on the Ropes? Eurasia Daily Monitor Volume 12, Issue 154, http://www.jamestown.org/programs/edm/single/?tx_ttnews [tt_news]=44288&tx_ttnews[backPid]=27&cHash=e1581c2f53e999f26a5cc0261f489d38, Zugriff 1.6.2016
- Open Democracy (29.6.2015): Is this the end of the Caucasus Emirate?,
https://www.opendemocracy.net/regis-gente/is-this-end-of-caucasus-emirate , Zugriff 1.6.2016 - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015):
Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff 1.6.2016
- SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (10.2015): Reaktionen auf den "Islamischen Staat" (ISIS) in Russland und Nachbarländern, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2015A85_hlb.pdf , Zugriff 1.6.2016 - Zeit Online (20.4.2015): Islamistischer Rebellenführer Kebekow im Nordkaukasus getötet, http://www.zeit.de/news/2015-04/20/russland-islamistischer-rebellenfuehrer-kebekow-im-nordkaukasus-getoetet-20222007 , Zugriff 1.6.2016
Nordkaukasus allgemein
Die patriotische Begeisterung, mit der in Russland die Annexion der Krim einherging, rückte die Sicherheitslage im Nordkaukasus in ein trügerisch positives Licht. Dieser Landesteil ragt in der nachsowjetischen Periode aus dem regionalen Gefüge der Russischen Föderation wie kein anderer hervor, bedingt durch die zwei Kriege in Tschetschenien, anhaltende Kämpfe zwischen Sicherheitskräften und einem bewaffneten islamistischen Untergrund in weiteren Teilen der Region sowie mannigfache sozial-ökonomische Probleme. Bis vor kurzem rangierte der Nordkaukasus in der Gewaltbilanz des gesamten post-sowjetischen Raumes an oberster Stelle, fielen den bewaffneten Auseinandersetzungen doch jährlich mehrere Hundert Menschen zum Opfer - Zivilisten, Sicherheitskräfte und Untergrundkämpfer. 2014 wurde der Nordkaukasus in dieser Hinsicht von der Ostukraine überholt. Zugleich stufen auswärtige Analysen die Sicherheitslage im Nordkaukasus aber weiterhin mit ‚permanent low level insurgency' ein. Im Unterschied zum Südkaukasus mit seinen drei unabhängigen Staaten (Armenien, Aserbaidschan, Georgien) haben externe Akteure und internationale Organisationen kaum Zugang zum Nordkaukasus, dessen Entwicklung als innere Angelegenheit Russlands gilt (SWP 4.2015).
2015 wurden aus dem Nordkaukasus weniger Angriffe bewaffneter Gruppen gemeldet als in den Vorjahren. Die Strafverfolgungsbehörden setzten bei der Bekämpfung bewaffneter Gruppen weiterhin vor allem auf Operationen der Sicherheitskräfte. Es bestand nach wie vor der Verdacht, dass diese mit rechtswidrigen Inhaftierungen, Folter und anderen Misshandlungen von Häftlingen sowie Verschwindenlassen einhergingen (AI 24.2.2016).
Während sich die Situation im westlichen Nordkaukasus in den letzten Jahren stabilisiert hat, gibt es immer wieder Meldungen über gewaltsame Vorfälle mit Toten und Verletzten in der Region. Besonders betroffen ist weiterhin die Republik Dagestan. Aber auch in Tschetschenien, Kabardino-Balkarien und Inguschetien kommt es regelmäßig zu gewaltsamen Zwischenfällen, so dass von einer Normalisierung nicht gesprochen werden kann. Anschlagsziele der Aufständischen sind vor allem Vertreter der Sicherheitskräfte und anderer staatlicher Einrichtungen sowie den Extremisten nicht genehme muslimische Geistliche. Auf Gewalt durch islamistische Aufständische oder im Zuge von Auseinandersetzungen zwischen Ethnien und Clans reagieren die regionalen und föderalen Behörden weiterhin mit Repression. Die Spirale von Gewalt und Gegengewalt dreht sich dadurch weiter, wobei manche Repressalien - etwa gegen Angehörige angeblicher Islamisten, wie z.B. die Zerstörung ihrer Wohnhäuser - zu einer Radikalisierung der Bevölkerung beitragen und damit die Sicherheitslage weiter eskalieren lassen könnten.
Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass im Nordkaukasus Recht und Gesetz auf beiden Seiten missachtet werden und für Täter aus den Reihen der Sicherheitskräfte ein Klima der Straflosigkeit herrsche (AA 5.1.2016).
Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Im Mai 2014 wurde ein neues Ministerium für die Angelegenheiten des Nordkaukasus geschaffen und der bevollmächtigte Vertreter des Präsidenten im Nordkaukasischen Föderalbezirk Alexander Chloponin, durch den früheren Oberbefehlshaber der Vereinigten Truppen des Innenministeriums im Nordkaukasus, Generalleutnant Sergej Melikov, ersetzt. Insbesondere in Dagestan, wo es immer wieder zu blutigen Zusammenstößen zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften kommt, ist die Lage weiterhin kritisch. In Tschetschenien hat Ramzan Kadyrov die Rebellen mit Gewalt und Amnestieangeboten dezimiert bzw. zum Ausweichen auf die Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan gezwungen. Anschläge auf den Expresszug nach St. Petersburg im November 2009, die Moskauer Metro im April 2010, den Moskauer Flughafen Domodedovo im Jänner 2011 (mit zwei österr. Staatsbürgern unter den Opfern) sowie im Oktober und Dezember 2013 in Wolgograd zeigten, dass die Gefahr des Terrorismus auch Zentralrussland betrifft (ÖB Moskau 10.2015).
Ein Sicherheitsrisiko stellt auch die mögliche Rückkehr von nach Syrien oder in den Irak abwandernden russischen Kämpfern dar, sowie die Extremisten im Nordkaukasus, die ihre Loyalität gegenüber dem IS bekundet haben. Der Generalsekretär des russischen Nationalen Sicherheitsrats Nikolai Patrushev sprach von rund 1.000 russischen Staatsangehörigen, die an der Seite des IS kämpfen würden, der Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB Alexander Bortnikov hingegen sprach von mehreren Tausend Kämpfern). Laut einem rezenten Bericht der regierungskritischen Zeitschrift "Novaya Gazeta" nehmen die russischen Sicherheitsdienste diese Abwanderung nicht nur stillschweigend zur Kenntnis, sondern unterstützen sie teilweise auch aktiv, in der Hoffnung, die Chance auf eine Rückkehr der Extremisten aus den Kampfgebieten in Syrien und dem Irak zu reduzieren. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten Syrien und Irak zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresbeginn 2015 liefen rund 60 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf Art. 58 StGB (Teilnahme an einer terroristischen Handlung), Art. 205.3 StGB (Absolvierung einer Terror-Ausbildung) und Art. 208 StGB (Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme in ihr). Im nordkaukasischen Kreismilitärgericht wurde Ende August 2015 ein 26-jähriger Mann aus Dagestan wegen Absolvierung einer Terror-Ausbildung, Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Gruppierung und illegalen Waffenbesitzes zu 14 Jahren Straflager verurteilt. Der Nordkaukasus ist und bleibt trotz anhaltender politischer wie wirtschaftlicher Stabilisierungsversuche ein potentieller Unruheherd innerhalb der Russischen Föderation. Das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Extremisten, teils ohne Rücksicht auf Verluste innerhalb der Zivilbevölkerung, trägt zur Bildung neuer Konflikte und Radikalisierung der Bevölkerung bei. Das Risiko einer Destabilisierung steigt darüber hinaus aufgrund der allfälligen Rückkehr von Kämpfern aus Syrien und dem Irak bzw. aufgrund des steigenden Einflusses des IS im Nordkaukasus selbst (ÖB Moskau 10.2015).
Im Jahr 2015 gab es nach Angaben von Caucasian Knot im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 258 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2014: 525 Opfer). 209 davon wurden getötet (2014: 341), 49 verwundet (2014: 184) (Caucasian Knot 8.2.2016). Im ersten Quartal 2016 gab es im gesamten Föderalen Distrikt Nordkaukasus 48 Opfer des bewaffneten Konfliktes, 20 davon getötet, 28 davon verwundet (Caucasian Knot 10.5.2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, http://www.ecoi.net/local_link/319681/458907_de.html , Zugriff 1.6.2016 - Caucasian Knot (8.2.2016): Statistics of victims in Northern Caucasus for 2015,
http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/34527/ , Zugriff 25.5.2016 - Caucasian Knot (10.5.2016): Statistics of victims in Northern Caucasus in Quarter 1 of 2016,
http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/35530/ , Zugriff 1.6.2016 - ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik,
http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff 25.5.2016
Tschetschenien
Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten prorussischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, vor allem jedoch an der derzeit prominentesten und brutalsten Jihad-Front in Syrien und im Irak (SWP 4.2015).
2015 gab es in Tschetschenien 30 Opfer des bewaffneten Konfliktes (2014: 117), davon 14 Tote und 16 Verwundete (Caucasian Knot 8.2.2016).
Im Dezember 2014 ist Tschetschenien von den schwersten Gefechten zwischen islamistischen Kämpfern und Sicherheitskräften seit Jahren erschüttert. Dabei wurden am Donnerstag, den 4.12.2014, in der Hauptstadt Grosny mindestens 10 Angreifer und 10 Beamte getötet sowie 20 weitere Personen verletzt (NZZ 4.12.2014).
Quellen:
- Caucasian Knot (8.2.2016): Statistics of victims in Northern Caucasus for 2015, http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/34527/ , Zugriff 1.6.2016 - NZZ - Neue Zürcher Zeitung (4.12.2014): Tote bei Gefechten in Grosny,
http://www.nzz.ch/international/asien-und-pazifik/tote-bei-gefechten-in-grosny-1.18438064 , Zugriff 1.6.2016 - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015):
Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff 1.6.2016
Rechtsschutz/Justizwesen
Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen. In Strafprozessen kommt es nur sehr selten (rund 1 %) zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen. 2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte. Im Juli stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass wenn der EGMR von einer Konventionsauslegung ausgeht, die der Verfassung der Russischen Föderation widerspricht, Russland in dieser Situation aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Seit Ausbruch der Ukraine-Krise und der daraus resultierenden Konfrontation mit dem Westen laufen in Russland mehrere politisch motivierte Prozesse gegen ausländische Staatsangehörige (z.B. die ukrainische Pilotin Nadja Savchenko), die in einigen Fällen (z.B. ukrainischer Regisseur Oleg Sentsov oder estnischer Sicherheitsbeamter Eston Kohver) bereits zu Verurteilungen geführt haben und an der Unabhängigkeit der russischen Justiz von der Politik zweifeln lassen. Gleichzeitig ist ein Anstieg der Anklagen wegen Hochverrats gegen russische Staatsangehörige zu beobachten. Diese Prozesse finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und nur wenige Informationen geraten in die Medien (ÖB Moskau 10.2015, vgl. AA 5.1.2016).
Mehrere aufsehenerregende Prozesse machten 2015 die gravierenden und weit verbreiteten Mängel der russischen Strafjustiz deutlich. Dazu zählten Verstöße gegen den Grundsatz der "Waffengleichheit" und der Einsatz von Folter und anderen Misshandlungen in der Ermittlungsphase. Außerdem wurden unter Folter erpresste "Geständnisse", Aussagen geheimer Zeugen und andere geheime Beweise, die die Verteidigung nicht anfechten konnte, vor Gericht zugelassen und Angeklagten das Recht auf einen Rechtsbeistand ihrer Wahl verweigert. Weniger als 0,5% der Verfahren endeten mit einem Freispruch (AI 24.2.2016).
Im November 2013 ist in Russland ein neues Gesetz verabschiedet worden, mit denen man die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen erreichen wolle und die darauf abzielen würden, die "harte Form" des Kampfes gegen den Aufstand, die bereits in mehreren Republiken im Nordkaukasus praktiziert wird, zu legalisieren. Die neue Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, die Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien dazu zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, die durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Die durch sie erlaubten Kollektivbestrafungen werden von den Behörden im Nordkaukasus bereits angewendet (CACI 11.12.2013, vgl. US DOS 13.4.2016).
Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher als für vergleichbare Delikte in Deutschland, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Im März 2011 wurde aber bei 68 eher geringfügigen Delikten Freiheitsentzug als höchste Strafandrohung durch Geldstrafe oder gemeinnützige Arbeiten ersetzt. Auch wurde das Strafprozessrecht seit April 2010 dahingehend geändert, dass Angeklagte für Wirtschaftsdelikte bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr in Untersuchungshaft genommen werden sollen. In der Praxis werden die neuen Regeln jedoch bisher nur begrenzt angewendet. Bemerkenswert ist die unverändert extrem hohe Verurteilungsquote im Strafprozess. Für zu lebenslange Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Auch eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Immer wieder legen einzelne Strafprozesse in Russland den Schluss nahe, dass politische Gründe hinter der Verfolgung stehen. Trotz der Entlassung von Michail Chodorkowski und den Mitgliedern der Punk-Aktionsgruppe Pussy Riot aus der Haft - bezeichnenderweise nicht durch die Justiz selbst, sondern durch Amnestie bzw. Begnadigung - bleiben deren Haftstrafen Beispiele für politisch motivierte Urteile. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen". Auffällig bleibt die geringe Zahl aufgeklärter Straftaten gegen Journalisten oder Kritiker bzw. der sehr schleppende Verlauf von Ermittlungen in solchen Fällen. Auch die Morde an Oppositionspolitiker Boris Nemzow (27.02.2015) und Journalistin Politkowskaja können als Beispiel dafür dienen, dass sich Ausführende gegebenenfalls vor Gericht verantworten müssen, die eigentlichen Drahtzieher der Verbrechen häufig jedoch nicht ermittelt werden. Insgesamt sind die Unabhängigkeit von Ermittlungen und Rechtsprechung sowie die Gewaltenteilung in Russland nicht gewährleistet. Weiterhin mangelhaft ist der Vollzug von Gerichtsurteilen. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte werden in Russland in der Sache häufig nicht vollständig umgesetzt, sondern nur in Bezug auf verhängte Entschädigungszahlungen (AA 5.1.2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation, http://www.ecoi.net/local_link/319681/458907_de.html , Zugriff 7.4.2016 - CACI Analyst - Central Asia-Caucasus Institute (11.12.2013): New Anti-Terrorism Law to Target Families of North Caucasus Insurgents,
http://www.cacianalyst.org/publications/analytical-articles/item/12876-new-anti-terrorism-law-to-target-families-of-north-caucasus-insurgents.html , Zugriff 7.4.2016 - ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation - US DOS - U.S. Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices for 2015 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/322455/461932_de.html , Zugriff 31.5.2016
Tschetschenien
Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Präsident Ramsan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islam und der tschetschenischen Tradition. Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Die Religion fasste in Tschetschenien aus den verschiedensten Gründen nicht Fuß. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 9.2014a). Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art ‚alternativer Justiz'. Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015).
Straffreiheit für Menschenrechtsverletzungen ist weiterhin verbreitet, trotz der rund 200 diesbezüglichen Entscheidungen des EGMR. Diese Verletzungen beziehen sich auf ungerechtfertigte Gewaltanwendung, rechtswidrige Inhaftierungen, Verschwindenlassen, Folter und Misshandlungen, die Unterlassung effektiver Untersuchungen dieser Verbrechen und das Fehlen eines effektiven Rechtmittels, Versagen in der Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof und unrechtmäßige Durchsuchungen, Festnahmen und Zerstörung von Eigentum (CoE 12.11.2013). Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist in Tschetschenien völlig unzureichend. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen (AA 5.1.2016).
Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenen, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien (AA 5.1.2016).
Grundsätzlich können Personen, die den Widerstand in Tschetschenien unterstützen - sei es mit Lebensmitteln, Kleidung oder Unterschlupf für Rebellen oder sei es durch Waffen - in der Russischen Föderation strafrechtlich verfolgt werden. Es kommt regelmäßig zu Verhaftungen aufgrund von Hilfeleistung an die Rebellen. Ob Personen, die unter diesem Vorwurf vor Gericht gestellt werden mit einem fairen Verfahren rechnen können, ist aufgrund der im Justizbereich verbreiteten Korruption und der bekannten Einflussnahme der Exekutive auf richterliche Entscheidungen fraglich. Das Strafmaß beträgt 8 bis 20 Jahre Freiheitsentzug (BAA/Staatendokumentation 20.4.2011).
In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige würden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - BAA/Staatendokumentation (20.4.2011): Analyse der Staatendokumentation - Russische Föderation - Unterstützer und Familienmitglieder (mutmaßlicher) Widerstandskämpfer in Tschetschenien - CoE-Commissioner for Human Rights (12.11.2013):
Report by Nils Muižnieks Commissioner for Human Rights of the Council of Europe Following his visit to the Russian Federation from 3 to 12 April 2013,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1384353253_com-instranetrf.pdf ; Zugriff 31.5.2016
- EASO - European Asylum Support Office (9.2014a): Bericht zu Frauen, Ehe, Scheidung und Sorgerecht in Tschetschenien (Islamisierung; häusliche Gewalt; Vergewaltigung; Brautenführung; Waisenhäuser),
http://www.ecoi.net/file_upload/1830_1421055069_bz0414843den-pdf-web.pdf , S. 9, Zugriff 30.5.2016 - DIS - Danish Immigration Service (1.2015):
Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014,
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 31.5.2016 - ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan:
Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff 25.5.2016
Sicherheitsbehörden
Das Innenministerium, der Föderale Sicherheitsdienst FSB und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus. Die Regierung verabsäumte es angemessene Schritte zu setzen, um die meisten Behördenvertreter, welche Missbräuche begingen, zu verfolgen oder zu bestrafen, wodurch ein Klima der Straffreiheit entstand. Die Rechtsstaatlichkeit ist besonders im Nordkaukasus mangelhaft, wo der Konflikt zwischen Regierungstruppen, Aufständischen, islamischen Militanten und Kriminellen zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen führt, einschließlich Morde, Folter, körperliche Misshandlung und politisch motivierte Entführungen. Die Regierung untersucht und verfolgt Missbräuche nicht adäquat, besonders wenn regionale Behörden involviert waren. Tschetschenische Sicherheitsbehörden unter direkter Kontrolle von Ramzan Kadyrow können mit Straffreiheit rechnen, sogar bei Drohungen gegen russische Sicherheitsbehörden, die versuchen in Tschetschenien tätig zu werden (US DOS 13.4.2016).
Russland wird die bisherigen Truppen des Innenministeriums in eine Nationalgarde umwandeln. Neben den 170.000 Soldaten der Innentruppen sollen auch 40.000 Mann der Sonderpolizeitruppe Omon und andere Spezialkräfte in die Nationalgarde eingegliedert werden. Die Garde solle im Kampf gegen Terror, Drogen und organisiertes Verbrechen eingesetzt werden. Putin stärkte das Innenministerium auch, indem er ihm die bisher eigenständigen Behörden für Drogenbekämpfung und Migration wieder unterstellte. Damit sollten doppelte Zuständigkeiten vermieden werden, sagte ein Vertreter des Sicherheitsapparates der Agentur Interfax. Der Föderale Migrationsdienst ist unter anderem für Passangelegenheiten, Flüchtlinge und Arbeitsmigration zuständig (Standard 6.4.2016). Leiter der künftigen Elitetruppe im Kampf gegen Terror und organisierte Kriminalität wird sein Ex-Leibwächter Wiktor Solotow sein - der Mann also, der Putin jahrelang am nächsten stand. Interessant ist, dass Solotow zugleich als das Bindeglied im Kreml zu Tschetschenenoberhaupt Ramsan Kadyrow gilt (Standard 7.4.2016).
Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen "fremdländischen" Aussehens Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt. Die im Februar 2011 in Kraft getretene Polizeireform hat bislang nicht zu spürbaren Verbesserungen in diesem Bereich geführt (AA 5.1.2016).
Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (BAMF 10.2013). Von russischer Seite werden die meisten Operationen im Nordkaukasus gegen Terroristen heute nicht mehr vom Militär, sondern von Einheiten des Innenministeriums und des Geheimdienstes durchgeführt. Diese sind zwar nicht weniger schwer bewaffnet, nur soll so der Eindruck eines Krieges vermieden werden (Zenithonline 10.2.2014). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnender Weise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramsan Kadyrows stehen dürften (Rüdisser 11.2012).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013): Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg - Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds, http://www.integrationsfonds.at/laenderinformation/laenderinformation_russiche_foederationtschetschenische_republik/ , Zugriff 31.5.2016 - Standard (6.4.2016): Putin: Russland richtet Nationalgarde ein,
http://derstandard.at/2000034264935/Putin-Russland-richtet-Nationalgarde-ein , Zugriff 6.4.2016 - Standard (7.4.2016): Putin leistet sich eine eigene Elitetruppe,
http://derstandard.at/2000034322284/Wladimir-Putin-leistet-sich-eine-eigene-Elitetruppe , Zugriff 8.4.2016 - U.S. Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices for 2015 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/322455/461932_de.html , Zugriff 31.5.2016
- Zenithonline (10.2.2014): Speznaz, Spiele und Korruption, http://www.zenithonline.de/deutsch/politik/a/artikel/speznaz-spiele-und-korruption-004017/ , Zugriff 31.5.2016
Folter und unmenschliche Behandlung
Im Einklang mit der EMRK sind Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafen in Russland gesetzlich verboten. Dennoch werden immer wieder Vorwürfe über polizeiliche Gewalt bzw. Willkür gegenüber Verdächtigen laut. Verlässliche öffentliche Statistiken über das Ausmaß der Übergriffe durch Polizeibeamten gibt es nicht. Innerhalb des Innenministeriums gibt es eine Generalverwaltung der internen Sicherheit, die eine interne und externe Hotline für Beschwerden bzw. Vorwürfe gegen Polizeibeamte betreibt. Der Umstand, dass russische Gerichte ihre Verurteilungen in Strafverfahren häufig nur auf Geständnisse der Beschuldigten basieren, scheint in vielen Fällen Grund für Misshandlungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren oder in Untersuchungsgefängnissen zu sein. Foltervorwürfe gegen Polizei- und Justizvollzugbeamte werden laut russischen NGO-Vertretern oft nicht untersucht (ÖB Moskau 10.2015).
Der Folter verdächtigte Polizisten werden meist nur aufgrund von Machtmissbrauch oder einfacher Körperverletzung angeklagt. Physische Misshandlung von Verdächtigen durch Polizisten geschieht für gewöhnlich in den ersten Stunden oder Tagen nach der Inhaftierung. Im Nordkaukasus wird von Folterungen sowohl durch lokale Sicherheitsorganisationen als auch durch Föderale Sicherheitsdienste berichtet. Das Gesetz verlangt von Verwandten von Terroristen, dass sie die Kosten, die durch einen Angriff entstehen übernehmen. Menschenrechtsverteidiger kritisieren dies als Kollektivbestrafung (USDOS 13.4.2016).
Die Strafverfolgungsbehörden setzten bei der Bekämpfung bewaffneter Gruppen weiterhin vor allem auf Operationen der Sicherheitskräfte. Es bestand nach wie vor der Verdacht, dass diese mit rechtswidrigen Inhaftierungen, Folter und anderen Misshandlungen von Häftlingen sowie Verschwindenlassen einhergingen (AI 24.2.2016).
Medien und NGOs berichten über Exekutivkräfte und Gefängnispersonal, die in Folter verwickelt sind. Missbrauch und exzessive Gewaltanwendung sind verbreitet und lassen darauf schließen, dass dies vor allem im Strafsystem regelmäßig vorkommt. Schlechte Ausbildung und eine Kultur der Straffreiheit tragen zu dieser Situation bei. Die russische NGO Committee Against Torture zeigt Folter durch Exekutivkräfte im Nordkaukasus auf und arbeitet daran, dass diese für ihre Vergehen bestraft werden (UK FCO 12.3.2015).
Quellen:
- AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation,
https://www.amnesty.de/jahresbericht/2016/russland#nordkaukasus , Zugriff 31.5.2016
- ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation - UK FCO - UK Foreign and Commonwealth Office (12.3.2015): Human Rights and Democracy Report 2014 - Section XII: Human Rights in Countries of Concern - Russia,
https://www.gov.uk/government/publications/russia-country-of-concern--2/russia-country-of-concern#conflict-and-protection-of-civilians , Zugriff 31.5.2016 - U.S. Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices for 2015 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/322455/461932_de.html , Zugriff 31.5.2016
Korruption
Korruption ist sowohl im öffentlichen Leben als auch in der Geschäftswelt weit verbreitet. Aufgrund der zunehmend mangelhaften Übernahme von Verantwortung in der Regierung können Bürokraten mit Straffreiheit rechnen. In einigen Fällen scheint der Kreml Signale an die Beamten auszusenden, dass die Korruption aufgrund der wachsenden wirtschaftlichen Probleme eingeschränkt werden muss (FH 27.1.2016). Das Gesetz sieht Strafen für behördliche Korruption vor, diese bleibt dennoch ein weitreichendes Problem. Die Regierung bestätigte, dass das Gesetz nicht effektiv umgesetzt wird, und viele Beamte sind in korrupte Praktiken involviert. Korruption ist sowohl in der Exekutive, als auch in der Legislative und Judikative und auf allen hierarchischen Ebenen weit verbreitet. Zu den Formen der Korruption zählen die Bestechung von Beamten, missbräuchliche Verwendung von Finanzmitteln, Diebstahl von öffentlichem Eigentum, Schmiergeldzahlungen im Beschaffungswesen, Erpressung, und die missbräuchliche Verwendung der offiziellen Position, um an persönliche Begünstigungen zu kommen. Obwohl es strafrechtliche Verfolgungen von Bestechung gibt, ist der Vollzug im Allgemeinen weiterhin mangelhaft. Behördliche Korruption ist zudem auch in anderen Bereichen weiterhin verbreitet: im Bildungswesen, beim Militärdienst, im Gesundheitswesen, im Handel, beim Wohnungswesen, bei Pensionen und Sozialhilfe, im Gesetzesvollzug und im Justizwesen. Hochrangige Beamte wurden 2015 wegen Korruption angeklagt, darunter zwei Gouverneure von Sachalin und Komi. Medien spekulierten, dass dies eine neue Anti-Korruptionskampagne sein könnte, jedoch Korruptionsvorwürfe auch häufig wegen politischen Gründen vorgebracht werden und es nicht unbedingt darum geht, die Korruption vollständig zu beseitigen (USDOS 13.4.2016).
Eines der zentralen Themen der Modernisierungsagenda ist die Bekämpfung der Korruption und des Rechtsnihilismus. Im Zeichen des Rechtsstaats durchgeführte Reformen, wie die Einsetzung eines Richterrats, um die Selbstverwaltung der Richter zu fördern, die Verabschiedung neuer Prozessordnungen und die deutliche Erhöhung der Gehälter hatten jedoch wenig Wirkung auf die Abhängigkeit der Justiz von Weisungen der Exekutive und die dort herrschende Korruption. Im Februar 2012 erfolgte der Beitritt Russlands zur OECD-Konvention zur Korruptionsbekämpfung (GIZ 4.2016a). Seit seinem Amtsantritt verspricht Wladimir Putin immer wieder aufs Neue konsequente Korruptionsbekämpfung, Jahr für Jahr werden neue Bekämpfungskonzepte vorgelegt, während sich die Eliten ungestört und vor aller Augen bereichern - Korruption gehört eben zum Leben dazu. Ein Drittel der Russen hält sie laut einer Umfrage des Lewada-Instituts generell für unausrottbar (Zeit Online 18.1.2016).
Korruption ist auch im Nordkaukasus ein alltägliches Problem (IAR 31.3.2014, AI 9.2013). Die auf Clans basierte Korruption hält die regionalen Regierungen zusammen und die Zuschüsse haben den Zweck, die Loyalität der lokalen Elite zu erkaufen. Putins System der zentralisierten Kontrolle bevorzugt Loyalität und lässt Bestechung und Gesetzlosigkeit gedeihen (IAR 31.3.2014).
Die Korruption ist in Tschetschenien sogar noch größer als in Russland. Vor allem geht in Tschetschenien die Korruption auch in einer ganz offenen Weise von statten. Während man in Russland noch versucht, dies zu verheimlichen, macht man es in Tschetschenien ganz offen (Gannuschkina 3.12.2014). In Tschetschenien hat die Korruption enorme Ausmaße angenommen (DIS 1.2015). Große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Es gibt glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrovs Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Charity-Projekte, Kritiker werfen ihm jedoch vor, als Vehikel zur persönlichen Bereicherung Kadyrovs und der ihm nahestehenden Gruppen zu dienen. Selbst die nicht als regierungskritisch geltende Tageszeitung "Kommersant" bezeichnete den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 10.2015)
Quellen:
- AI - Amnesty International (9.2013): Amnesty Journal Oktober 2013, Hinter den Bergen,
http://www.amnesty.de/journal/2013/oktober/hinter-den-bergen , Zugriff 31.5.2016 - DIS - Danish Immigration Service (1.2015):
Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014,
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 31.5.2016 - FH - Freedom House (27.1.2016): Freedom in the World 2015 - Russia,
http://www.ecoi.net/local_link/320151/459381_de.html , Zugriff 31.5.2016 - Gannuschkina, Swetlana (3.12.2014): UNHCR Veranstaltung "Informationsaustausch über die Lage in der Russischen Föderation/ Nordkaukasus" im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) - GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2016a): Russland, Geschichte, Staat und Politik, http://liportal.giz.de/russland/geschichte-staat/#c17900 , Zugriff 31.5.2016 - IAR - International Affairs Review (31.3.2014): The Post-Sochi North Caucasus Remains Mired in Corruption, http://www.iar-gwu.org/content/post-sochi-north-caucasus-remains-mired-corruption , Zugriff 31.5.2016 - ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation - U.S. Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices for 2015 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/322455/461932_de.html , Zugriff 31.5.2016
- Zeit Online (18.1.2016): Ohne Schmiergeld geht gar nichts, http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-01/russland-korruption-alexej-nawalny-kreml-wladimir-putin , Zugriff 31.5.2016
Allgemeine Menschenrechtslage
Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 orientiert sich an westeuropäischen Vorbildern. Sie postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems." Russland ist an folgende VN-Übereinkommen gebunden:
- Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (1969) - Internationaler Pakt für bürgerliche und politische Rechte (1973) und erstes Zusatzprotokoll (1991) - Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1973) - Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (1981) und Zusatzprotokoll (2004) - Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (1987) - Kinderrechtskonvention (1990), deren erstes Zusatzprotokoll gezeichnet (2001) - Behindertenrechtskonvention (ratifiziert am 25.09.2012) (AA 5.1.2016)
Der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren, so der Jahresbericht 2014, 14,3% der anhängigen Fälle (10.000 Einzelfälle) Russland zuzurechnen. 2014 hat der EGMR 129 Urteile in Klagen gegen Russland gesprochen. Damit führt Russland die Liste der gesprochenen Urteile an (gefolgt von 101 Urteilen 2014 gegen die Türkei). Ein großer Teil der EGMR-Entscheidungen fällt dabei zugunsten der Kläger aus und konstatiert mehr oder weniger gravierende Menschenrechtsverletzungen. Die Umsetzung der Entscheidungen erfolgt vielfach nur mangelhaft: Zwar erbringt Russland in der Regel die Kompensationszahlungen an die Kläger bzw. Opfer; in der Sache selbst wird aber wenig unternommen. Ein russischer Gesetzentwurf, der die Urteile des EGMR unter einen Prüfvorbehalt stellen würde, ist nach deutlicher Kritik aus dem Ausland im Sommer 2011 gestoppt worden. In einem Urteil des russischen Verfassungsgerichts hat sich dieses am 6. Dezember 2013 jedoch die Entscheidung vorbehalten, wie EGMR-Urteile bei einem Widerspruch zur eigenen Auslegung der Grundrechte umgesetzt werden können. Am 14.7.2015 hat das Verfassungsgericht zudem eine grundlegende Entscheidung zum Verhältnis der russischen Verfassung zur EMRK getroffen: Die Umsetzung von Urteilen des EGMR kann danach im Falle eines vermeintlichen Konflikts mit der russischen Verfassung einer weiteren Überprüfung durch das Verfassungsgericht unterzogen werden. Neu ist dabei, dass künftig auch Präsident und Regierung das Verfassungsgericht mit dem Ziel anrufen können, die Nichtanwendung eines EGMR-Urteils in Russland aufgrund des Vorrangs der russischen Verfassung festzustellen (AA 5.1.2016).
Im Nordkaukasus finden die schwersten Menschenrechtsverletzungen in der Russischen Föderation statt. Hierzu sind seit 2005 auch zahlreiche Urteile des EGMR gegen Russland ergangen, der insbesondere Verstöße gegen das Recht auf Leben festgestellt hat. Am 14.01.2014 urteilte der EGMR zugunsten der Familien von 36 zwischen 2000 und 2006 verschwundenen Tschetschenen und sprach ihnen 1,9 Mio. Euro Entschädigung zu (AA 5.1.2016).
Die Rechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit waren 2015 weiterhin stark beschnitten. Staatliche Stellen herrschten über Presse, Rundfunk und Fernsehen und weiteten die Kontrolle über das Internet aus. NGOs waren aufgrund des sogenannten Agentengesetzes nach wie vor Schikanen und Repressalien ausgesetzt. Ihre Möglichkeiten, finanzielle Mittel aus dem Ausland zu erhalten, wurden durch ein neues Gesetz zum Verbot "unerwünschter" Organisationen drastisch eingeschränkt. Eine steigende Anzahl von Bürgern wurde inhaftiert und angeklagt, weil man ihnen vorwarf, die offizielle Politik kritisiert oder Materialien besessen bzw. in der Öffentlichkeit verbreitet zu haben, die gemäß vage formulierter Sicherheitsgesetze als extremistisch eingestuft wurden oder aus anderen Gründen als rechtswidrig galten. Auf der Grundlage eines Gesetzes aus dem Jahr 2014, das wiederholte Verstöße gegen das Gesetz über öffentliche Versammlungen als Straftat definiert, sahen sich 2015 vier Personen mit Strafverfolgungsmaßnahmen konfrontiert. In mehreren aufsehenerregenden Prozessen traten einmal mehr die gravierenden Mängel des Justizwesens zutage. Flüchtlinge mussten zahlreiche Hürden überwinden, um anerkannt zu werden (AI 24.2.2016).
Menschenrechtsverteidiger beklagen Defizite bei der Umsetzung der in der Verfassung verankerten Rechte. Beklagt werden vor allem die mangelhafte Unabhängigkeit von Justiz und Gerichten, zunehmende Einschränkungen von Presse- und Versammlungsfreiheit, die weiterhin verbreitete Korruption sowie der stetig schwindende Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft. Besonders schwere Menschenrechtsverletzungen werden aus dem Nordkaukasus gemeldet (AA 3.2016a).
Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs. Menschenrechtler beklagen staatlichen Druck auf zivilgesellschaftliche Akteure. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfung sind autoritäre, die Grundrechte einschränkende Tendenzen zu beobachten (GIZ 4.2016a).
Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden. Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausübten. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erleben in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben. Im Zuge der illegalen Annexion der Krim im März 2014 und der Krise in der Ostukraine wurde die Gesellschaft v.a. durch staatliche Propaganda nicht nur gegen den Westen mobilisiert, sondern auch gegen die sog. "fünfte Kolonne" innerhalb Russlands. Der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland findet derzeit aufgrund prozeduraler Unstimmigkeiten nicht statt (ÖB Moskau 10.2015).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - AA - Auswärtiges Amt (3.2016a): Staatsaufbau/Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html , Zugriff 7.4.2016 - AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights
- Russian Federation,
http://www.ecoi.net/local_link/319681/458907_de.html , Zugriff 7.4.2016 - GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2016a): Russland, Geschichte, Staat und Politik, http://liportal.giz.de/russland/geschichte-staat/#c17900 , Zugriff 7.4.2016 - ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation
Tschetschenien
NGOs beklagen schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten. So geriet zum Beispiel die sog. "joint mobile defence group", die von der NGO "Komitee gegen Folter" koordiniert wird, in letzter Zeit vermehrt in die Zielscheibe von pro-Kadyrov-Anhängern. 2014 wurde das Büro der Gruppe in Grozny niedergebrannt und im Juni 2015 erneut von einer Gruppe maskierter Personen angegriffen. Der Leiter der NGO "Komitee gegen Folter" Igor Kalyapin wurde von Kadyrov der Zusammenarbeit mit amerikanischen Geheimdiensten und der Kollaboration mit Extremisten beschuldigt. Im Juli 2015 erklärte das Komitee nach Androhung der Eintragung in das Register der ausländischen Agenten durch das Justizministerium seine Auflösung; der Leiter des Komitees Kalyapin kündigte jedoch an, dass man die Arbeit in anderer Form fortsetzen werde (ÖB Moskau 10.2015, vgl. AI 25.2.2015).
Nach dem Angriff auf Grosny im Dezember 2014 verfügte Ramzan Kadyrow, dass die Häuser der Familien von Terroristen niedergebrannt werden und die Angehörigen des Landes verwiesen werden (Tagesspiegel 19.12.2014, vgl. HRW 28.1.2016).
2015 wurden aus dem Nordkaukasus weniger Angriffe bewaffneter Gruppen gemeldet als in den Vorjahren. Die Strafverfolgungsbehörden setzten bei der Bekämpfung bewaffneter Gruppen weiterhin vor allem auf Operationen der Sicherheitskräfte. Es bestand nach wie vor der Verdacht, dass diese mit rechtswidrigen Inhaftierungen, Folter und anderen Misshandlungen von Häftlingen sowie Verschwindenlassen einhergingen. Es gab deutlich weniger Informationen über die Menschenrechtslage in dem Gebiet, weil die Behörden mit aller Härte gegen Menschenrechtsverteidiger und unabhängige Journalisten vorgingen. Die Betreffenden wurden ständig schikaniert, bedroht und tätlich angegriffen, zum Teil von Ordnungskräften und regierungstreuen Gruppen. In der tschetschenischen Hauptstadt Grosny wurde am 3. Juni 2015 das Gebäude, in dem die Menschenrechtsorganisation Joint Mobile Group ihren Sitz hat, von einer aggressiven Menschenmenge umstellt. Vermummte Männer drangen gewaltsam in die Büroräume ein, zerstörten das Mobiliar und zwangen die Mitarbeiter, das Gebäude zu verlassen. Bis zum Jahresende war noch kein Tatverdächtiger ermittelt worden (AI 24.2.2016, vgl. HRW 27.1.2016).
Quellen:
- AI - Amnesty International (25.2.2015): Amnesty International Report 2014/15 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation,
https://www.amnesty.de/jahresbericht/2015/russische-foederation , Zugriff 24.5.2016 - AI - Amnesty International (24.2.2016): Amnesty International Report 2015/16 - The State of the World's Human Rights - Russian Federation,
http://www.ecoi.net/local_link/319681/458907_de.html , Zugriff 24.5.2016 - HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/318397/457400_de.html , Zugriff 24.5.2016 - HRW - Human Rights Watch (28.1.2016): Human Rights Violations in Russia's North Caucasus, http://www.ecoi.net/local_link/318631/457682_de.html , Zugriff 24.5.2016 - ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation - Tagesspiegel (19.12.2014): Wladimir Putin legt Russland an die Kette,
http://www.tagesspiegel.de/meinung/jahrespressekonferenz-des-kremlchefs-wladimir-putin-legt-russland-an-die-kette/11140502.html , Zugriff 24.5.2016
Rebellentätigkeit / Unterstützung von Rebellen
Im August 2014 meldete der Inlandsgeheimdienst FSB Erfolge bei der Bekämpfung von Terrorismus im Nordkaukasus, was in Expertenkreisen jedoch auf Zweifel stieß. Die Rede war von 328 potentiellen Terroristen, die im ersten Halbjahr 2014 verhaftet wurden. Da die Sicherheitskräfte im Nordkaukasus aber nach dem Prinzip kollektiver Bestrafung vorgehen, handelte es sich hierbei möglicherweise weniger um aktive Untergrundkämpfer als um Personen aus deren sozialem und verwandtschaftlichem Umfeld. Im Januar 2015 berichtete das russische Innenministerium, 2014 sind 259 Rebellen, darunter 36 Kommandeure, von Sicherheitskräften getötet und 421 Untergrundkämpfer verhaftet worden (SWP 4.2015).
Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren, Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer, als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand seinen Hotspot hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens. Sie bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Kidnappings werden von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist also der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan und auch in Inguschetien. Die Kämpfer würden auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).
Im November 2013 wurden in Russland neue Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfs gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müssen, dass ihre Vermögenswerte, Immobilien und weitere Besitztümer nicht durch "terroristische Aktivitäten" erworben wurden. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte legal erworben wurden, kann der Staat sie beschlagnahmen. Auch Personen, welche Terrorverdächtigen nahestehen, können mit dem Gesetz belangt werden. Nach Einschätzung von Experten wird das Gesetz weitgehend zur Diskriminierung der Angehörigen Terrorismusverdächtiger führen. Weiter kritisieren Experten, dass das Gesetz durch die unklare Verwendung der Begriffe "Verwandte" und "nahestehende Personen" sich gegen ganze Familienclans in den muslimischen Republiken des Nordkaukasus richten könne. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina werden Familienangehörige von Terrorverdächtigen oft beschuldigt, sie unterstützten auch illegale bewaffnete Gruppierungen auf verschiedenste Art und Weise. Insbesondere kritisiert die Menschenrechtsaktivistin, dass bereits der bloße Verdacht für eine Anschuldigung reiche und kein Beweis notwendig sei. Die Verfolgung von Verwandten und Freunden von Aufständischen ist seit 2008 im Nordkaukasus weit verbreitet und geht oft mit der Zerstörung des Besitzes und Hauses einher. Nach übereinstimmenden Angaben verschiedener Quellen kommt es zu Übergriffen und Kollektivstrafen durch Sicherheitskräfte, die gegen Familien von vermuteten Terroristen gerichtet sind (SFH 25.7.2014).
Kollektivstrafen wie das Niederbrennen von Häusern von Personen, die man verdächtigt, Kontakte zum terroristischen Widerstand zu haben, werden weitergeführt (Caucasian Knot 9.12.2014). Nach der Terrorattacke auf Grosny am 4.12.2014, hat Tschetscheniens Oberhaupt Ramsan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft genommen. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des "Komitees gegen Folter" Igor Kaljapin, dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden seien (Standard 14.12.2014).
Quellen:
- Caucasian Knot (9.12.2014): "Memorial" confirmed information of "Caucasian Knot" about burnt-down houses of relatives of militants killed in attack on Grozny,
http://eng.kavkaz-uzel.ru/articles/30180/ , Zugriff 30.5.2016 - DIS - Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 30.5.2016 - SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (25.7.2014): Russland: Verfolgung von Verwandten dagestanischer Terrorverdächtiger außerhalb Dagestans, http://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/russland/russland-verfolgung-von-verwandten-dagestanischer-terrorverdaechtiger-ausserhalb-dagestans.pdf , Zugriff 30.5.2016 - Der Standard (14.12.2014): Tschetschenien:
NGO-Büro in Grosny angezündet,
http://derstandard.at/2000009372041/Tschetschenien-NGO-Buero-in-Grosny-abgefackelt , Zugriff 30.5.2016 - SWP (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik,
http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf , Zugriff 25.5.2016
Religionsfreiheit
Die Russische Föderation ist ein multinationaler und multikonfessioneller Staat. Art. 28 der Verfassung garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit. Orthodoxie, Islam, Buddhismus und Judentum haben dabei eine herausgehobene Stellung. Art. 14 der Verfassung schreibt die Trennung von Staat und Kirche fest (AA 5.1.2016, vgl. GIZ 3.2016c). Auch andere Religionsgemeinschaften können in Russland legal bestehen, müssen sich aber registrieren lassen. Seit Ende der Achtziger Jahre hat der Anteil der Gläubigen im Zuge einer "religiösen Renaissance" bedeutend zugenommen. Allerdings bezeichnen sich laut Meinungsumfragen rund 50% der Bevölkerung als ungläubig. Zwar gibt es in Russland einen hohen Grad der Wertschätzung der Kirche und von Religiosität, dies bedeutet aber nicht, dass die Menschen ihr Leben nach kirchlichen Vorschriften führen. Offizielle Statistiken zur Zahl der Gläubigen verschiedener Konfessionen gibt es nicht und die Zahlen in den meisten Quellen unterscheiden sich erheblich. Die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) ist heute die mit Abstand größte und einflussreichste Religionsgemeinschaft in Russland. Seit der Unabhängigkeit der Russischen Föderation ist sie zu einer äußerst gewichtigen gesellschaftlichen Einrichtung geworden. Die Verluste an Gläubigen und Einrichtungen, die sie in der Sowjetzeit erlitt, konnte sie zu einem großen Teil wieder ausgleichen. Die ROK hat ein besonderes Verhältnis zum russischen Staat, z.B. ist der Patriarch bei wichtigen staatlichen Anlässen stets anwesend. Die ROK versteht sich als multinationale Kirche, die über ein "kanonisches Territorium" verfügt. Es erstreckt sich über die GUS-Staaten mit der Ausnahme von Armenien, wo es eine eigene orthodoxe Kirche gibt. Bei den traditionell religiös orientierten ethnischen Minderheiten Russlands findet man Anhänger des Islam und des Buddhismus, des Schamanismus und Judaismus, des protestantischen und katholischen Glaubens. Der Islam ist die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in Russland. Die Muslime sind in der Regel Baschkiren, Tataren, Tschuwaschen, Tschetschenen und Angehörige anderer Kaukasusvölker. Sie werden durch die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Europäischen Teils Russlands und Sibiriens sowie die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Nordkaukasus vertreten. Die Zahl der russischen Muslime wird offiziell mit 14,5 Millionen angegeben. Die Vertreter der islamischen Gemeinde sprechen von mehr als 20 Millionen Mitgliedern. Alle anderen Religionen, wie Buddhismus (ca. 600.000 Gläubige) - zu dem sich Burjaten, Kalmyken, Tuwa und andere Bevölkerungsgruppen in den Gebieten Irkutsk und Tschita bekennen - und Judentum (ca. 200.000 Gläubige), haben nur geringe Bedeutung. Von den christlichen Kirchen sind die katholische Kirche, die evangelisch-lutherische Kirche sowie eine Reihe von Freikirchen (vor allem Baptisten) in Russland vertreten. Sie sind im europäischen Russland und in Sibirien präsent (GIZ 3.2016c, vgl. SWP 4.2013).
Nicht als traditionelle Religionen anerkannte Glaubensrichtungen, wie insbesondere die Zeugen Jehovas oder islamische Strömungen im Nordkaukasus und im Wolgagebiet, denen der Vorwurf gemacht wird, in Bezug zu Terrorgruppen zu stehen, stoßen auf Schwierigkeiten mit staatlichen Behörden. Gegen solche Religionsgemeinschaften erheben die Behörden häufig nicht plausibel belegte Extremismus-Vorwürfe und leiten auf dieser Grundlage auch Strafverfahren wegen der Ausübung der Religion ein (AA 5.1.2016).
Die Verfassung sieht die Religionsfreiheit vor, jedoch können Beamte laut Gesetz Aktivitäten von religiösen Gruppierungen wegen Verletzung der öffentlichen Ordnung oder Teilnahme an extremistischen Aktivitäten, verbieten. Es gibt Einschränkungen für religiöse Minderheitsgruppen und es wurden auch Mitglieder solcher Gruppierungen verhaftet. Die Polizei führte Razzien in privaten Wohnungen und Andachtsstätten durch und konfiszierte religiöse Publikationen und Eigentum. Das Anti-Extremismus-Gesetz wurde angewendet, um die Registrierung von religiösen Minderheitsgruppen abzuerkennen, um die Registrierung bestimmter Gruppen zu verhindern und den Kauf von Land, den Bau von Andachtsstätten oder den Erhalt von Restitutionen einzuschränken (USDOS 14.10.2015).
Quellen:
- Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2016c): Russland, Gesellschaft, http://liportal.giz.de/russland/gesellschaft/ , Zugriff 1.6.2016 - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2013): Muslime in der Russischen Föderation,
http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2013A24_hlb.pdf , Zugriff 1.6.2016 - USDOS - U.S. Department of State (14.10.2015):
2014 International Religious Freedom Report - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/313361/451625_de.html , Zugriff 1.6.2016
Tschetschenien
Die Bevölkerung gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an, wobei traditionell eine mystische Form des Islam, der Sufismus, vorherrschend ist (BAMF 10.2013). Beim Sufismus handelt es sich um eine weit verbreitete und zudem äußerst facettenreiche Glaubenspraxis innerhalb des Islam. Heutzutage sind Sufis sowohl innerhalb des Schiitentums als auch unter Sunniten verbreitet (ÖIF 2013). Gegenwärtig ist eine Zunahme der Anhänger des Salafismus/Wahabismus, eine strenge, radikale Form des Islam, zu verzeichnen (BAMF 10.2013).
Kadyrow billigt oder leitet Massenverstöße gegen die Menschenrechte, darunter gegen die Religionsfreiheit. Er verfälschte tschetschenische Sufi-Traditionen, errichtete auf Grundlage seiner religiösen Ansichten einen repressiven Staat und zwingt Frauen, islamische Kopftücher zu tragen (USCIRF 30.4.2015, vgl. SWP 4.2013). Kadyrow nutzt den traditionellen Sufismus politisch und als Instrument seines Antiterrorkampfes, um mit dem "guten" sufistischen Islam dem von weiten Teilen der heute in der Republik aktiven Rebellen propagierten "schlechten" fundamentalistischen Islam, dem oft auch Wahhabismus genannten Salafismus, entgegenzuwirken. Diese Strategie hatte bereits sein Vater unter Maschadow - relativ erfolglos - anzuwenden versucht. Diese politische Nutzung der Religion führt aus mehreren Gründen zu heftiger Kritik: Durch die kadyrowsche Islamisierung werden zunehmend Menschenrechte, insbesondere Frauenrechte, beschnitten. Innerhalb der tschetschenischen Bevölkerung empfinden viele die von Kadyrow angeordneten Verhaltensnormen als nicht gerechtfertigten (und schon gar nicht durch tschetschenische Tradition zu rechtfertigenden) Eingriff in ihr Privatleben. Einige der aufgrund der (Re‑)Islamisierung erfolgten Erlässe und Aussagen des Republikoberhauptes, wie etwa die Kopftuchpflicht für Frauen in öffentlichen Gebäuden oder seine Aussprache für Polygamie, widersprechen zudem russischem Recht. Beobachter der Lage sind sich gemeinhin einig, dass all dies von föderaler Seite geduldet wird, weil und solange es Kadyrow gelingt, die relativ stabile Sicherheitslage zu erhalten (BAA Staatendokumentation 19.5.2011).
Als Salafisten werden unterschiedliche religiöse und politische Bewegungen bezeichnet, die sich etwa seit Beginn des letzten Jahrhunderts an einem idealisierten Bild der Frühzeit des Islam (arab. "Salaf" steht für "Ahnen", "Vorfahren") orientieren. Der Begriff Salafismus dagegen steht heute für eine Strömung des Islamismus. Ihre Anhänger werden als Salafisten bezeichnet. Sie behaupten, besonders eng dem Wortlaut des Korans und den Überlieferungen über das Leben des Propheten (sunna) zu folgen. Das gilt insbesondere auch für Äußerlichkeiten wie Bekleidungsvorschriften. Viele Salafisten tragen deshalb lange Bärte, weite Gewänder und Kopfbedeckungen. Frauen, die kein Kopftuch tragen, begehen nach Überzeugung von Salafisten eine schwere Sünde (GfbV o.D.). Das Tragen eines Bartes ohne Schnurrbart oder hochgekrempelte Hosen, würden einen Grund für die Festnahme oder Kontrolle einer Person darstellen (Kaliszewska 2010). Unterschiedliche Personengruppen können Opfer von Verschwindenlassen werden: Männer, die verdächtigt werden, dem bewaffneten Untergrund anzugehören oder ihn zu unterstützen, bzw. Salafisten zu sein. Auch Rückkehrer nach Tschetschenien, die von den Behörden verdächtigt werden, zurückgekehrt zu sein, um den bewaffneten Untergrund zu unterstützen, können entführt werden (GfbV o.D.). Entführungen werden heute hauptsächlich von regierungsnahen Personen verübt und treffen vor allem Personen, die als Salafisten angesehen werden. Dies führt jedoch dazu, dass die Salafisten noch anti-russischer werden und die Behörden selbst die Anzahl der Anhänger der radikalen Bewegungen in der Region und unter Muslimen in der ganzen Russischen Föderation erhöhen (Jamestown 19.6.2014).
Quellen:
- BAA Staatendokumentation (19.5.2011): Analyse zu Russland:
Religion in der Republik Tschetschenien: Sufismus - BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013): Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg - GfbV - Gesellschaft für bedrohte Völker (o.D.): Tschetschenien unter
Despot Kadyrow: Alltag in Angst, http://www.gfbv.de/inhaltsDok.php?id=2319 , Zugriff 1.6.2016
- Jamestown Foundation (19.6.2014): Virtually All Abductions in North Caucasus Carried out by Authorities, Eurasia Daily Monitor Volume 11, Issue 111,
http://www.jamestown.org/programs/edm/single/?tx_ttnews [tt_news]=42525&tx_ttnews[backPid]=756&no_cache=1, Zugriff 1.6.2016 - Kaliszewska, Iwona: Everyday Life In North Caucasus, 2010,
http://www.udsc.gov.pl/files/WIKP/info_pdf/Binder1_Kaukaz_ang.pdf , in ACCORD (1.7.2014): Anfragebeantwortung zur Russischen Föderation:
Tschetschenien: Situation von Personen, die Anhänger eines strengen sunnitischen Islams (keine Sufis) sind [a-8725-1], http://www.ecoi.net/local_link/280443/397328_en.html , Zugriff 1.6.2016 - ÖIF Monographien (2013): Glaubensrichtungen im Islam, S. 111-113 - SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2013): Muslime in der Russischen Föderation,
http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2013A24_hlb.pdf , Zugriff 1.6.2016 - USCIRF - U.S. Commission on International Religious Freedom (30.4.2015): Annual Report of the United States Commission on International Religious Freedom, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1432897160_russia-2015.pdf , Zugriff 1.6.2016
Ethnische Minderheiten
Russland ist ein multinationaler Staat, in dem Vertreter von mehr als hundert Völkern leben. Neben den Russen, die mit 79,8 % die Mehrheit der Bevölkerung stellen, leben noch mehr als hundert andere Völker auf dem Gebiet des Landes. Größere Minderheiten sind die Tataren (4,0 %), die Ukrainer (2,2 %), die Armenier (1,9 %), die Tschuwaschen (1,5 %), die Baschkiren (1,4 %), die Tschetschenen (0,9 %), die Deutschen (0,8 %), die Weißrussen und Mordwinen (je 0,6 %), Burjaten (0,3 %) und andere. Vielfach ist die Verflechtung zwischen den nichtrussischen und russischen Bevölkerungsteilen durch Mischehen und interethnische Kommunikation recht hoch, ebenso der Russifizierungsgrad der nichtrussischen Bevölkerungsteile. Nur wenige nationale Gebietseinheiten, wie Tschetschenien, Dagestan, Tschuwaschien und Tuwa, sind stärker vom namensgebenden Ethnos geprägt (GIZ 3.2016c).
Die Verfassung garantiert gleiche Rechte und Freiheiten unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache und Herkunft. Entsprechend bemüht sich die Zentralregierung zumindest in programmatischen Äußerungen um eine ausgleichende Nationalitäten- und Minderheitenpolitik, inklusive der Förderung von Minderheitensprachen im Bildungssystem. Fremdenfeindliche und rassistische Ressentiments sind in der Bevölkerung und in den Behörden weit verbreitet. Sie richten sich insbesondere gegen Kaukasier und Zentralasiaten. Wiederkehrende Medienberichte zu Übergriffen zeigen, dass Ressentiments in Gewalt umschlagen können. Die Menschenrechtsorganisation SOVA verzeichnete für das Jahr 2014 einen Rückgang der offiziell bekannt gewordenen Gewaltverbrechen gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen. Waren 2013 noch 235 Verbrechen unter Anwendung von Gewalt gegen Minderheiten gemeldet worden, wurden 2014 164 solche Taten verzeichnet. Über 20% der Anzeigen auf dem Moskauer Wohnungsmarkt richten sich explizit nur an "Russen" oder "Slawen" (AA 5.1.2016).
Im Nordkaukasus ist die ethnische, kulturelle und sprachliche Vielfalt beeindruckend groß. Deshalb, sowie hinsichtlich der räumlichen Gliederung und der politischen, kulturellen und religiösen Geschichte seiner Volksgruppen stellt der Nordkaukasus die ethnisch am stärksten differenzierte Region der Russischen Föderation dar. Gerne wird sie als "ethnischer Flickenteppich" bezeichnet (Rüdisser 11.2012).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2016c): Russland, Gesellschaft, http://liportal.giz.de/russland/gesellschaft/ , Zugriff 7.4.2016 - Rüdisser, V. (11.2012): Russische Föderation/Tschetschenische Republik. In: Länderinformation n°15, Österreichischer Integrationsfonds
Frauen
Artikel 19 der russischen Verfassung garantiert die Gleichstellung von Mann und Frau. Zudem hat die Russische Föderation mehrere internationale und regionale Konventionen ratifiziert, die diese Gleichstellung festschreiben, darunter die Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) und ihr Zusatzprotokoll. Grundsätzlich gibt es in der Russischen Föderation keine systematische Diskriminierung von Frauen. Laut einer rezenten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts VZiOM glaubt eine Mehrheit der Bevölkerung, dass Männer und Frauen in der Gesellschaft gleich gestellt sind, insbesondere im Bildungsbereich (90%), in der Arbeit (76%), beim Gehalt (75%) und bei der Möglichkeit, am öffentlichen und politischen Leben teilzunehmen (74%). Einem rezenten Bericht der Weltbank zufolge steht Russland jedoch an vorderer Stelle, was die Verhinderung des Zugangs von Frauen zu gewissen Berufsgruppen betrifft; 456 Berufe dürfen von Frauen nicht ausgeübt werden. Ein ernstes Problem, das von Politik und Gesellschaft weitgehend ausgeblendet wird, stellt häusliche Gewalt dar. Ein Großteil der Unterstützung und Betreuung von Opfern häuslicher Gewalt wird durch gesellschaftliche Organisationen und Privatinitiativen übernommen. Im Nationalen Netzwerk gegen Gewalt sind über 150 regionale und lokale NGOs aktiv. Laut Dem Nationalen Zentrum zur Vorbeugung von Gewalt ANNA wird jede dritte russische Frau im Laufe ihres Lebens Opfer von physischen Übergriffen von Seiten eines Mannes. Jährlich sterben in Russland ca. 14.000 Frauen aufgrund von Gewaltanwendung von Seiten ihrer Ehemänner oder Lebenspartner, fast zwei Drittel aller Morde sind auf häusliche Motive zurückzuführen. Laut Statistiken der Organisation ANNA wenden sich 60% der Frauen, die die Nationale Hotline für Opfer von häuslicher Gewalt anrufen, nicht an die Polizei. 76% jener Frauen, die bei der Polizei um Unterstützung suchen, sind damit unzufrieden. Trotz der weiten Verbreitung des Problems gibt es grobe Mängel bei der Bewusstseinsbildung darüber, auch innerhalb der politischen Elite. So betonte der Ombudsmann für Kinderrechte Pawel Astakhov im Mai 2015, dass ein Großteil der Gewalt im öffentlichen Raum stattfindet und dass die Familie der sicherste Ort in der Gesellschaft sei. Er verwehrte sich gegen "die konstante Benützung des Begriffs ‚häusliche Gewalt', die lediglich dafür sorgen würde, dass Familien und Eltern eingeschüchtert werden". Positiv zu vermerken ist, dass bis Jahresende ein vom Arbeits- und Sozialministerium ausgearbeiteter Gesetzesentwurf zur Vorbeugung häuslicher Gewalt in die Staatsduma eingebracht werden soll, der insbesondere der Polizei mehr Verpflichtungen zum Kampf gegen häusliche Gewalt auferlegt und einen besseren Opferschutz vorschreibt (ÖB Moskau 10.2015).
Frauen stellen in Russland traditionell die Mehrheit der Bevölkerung. Der weibliche Bevölkerungsanteil beträgt seit den 1920er Jahren zwischen 53% und 55% der Gesamtbevölkerung. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist in der Verfassung garantiert. Durch die Transformationsprozesse und den Übergang zur Marktwirtschaft sind die Frauen in besonderer Weise betroffen. Davon zeugt der erhebliche Rückgang der Geburtenrate. Die Veränderungen in den Lebensverhältnissen von Frauen betreffen auch den Arbeitsmarkt, denn das Risiko von Ausfallzeiten durch Schwangerschaft, Erziehungsurlaub und Pflege von Angehörigen führt oft dazu, dass Frauen trotz besserer Ausbildung seltener als Männer eingestellt werden. Das im Durchschnitt deutlich geringere Einkommen von Frauen bedeutet niedrigere Pensionen für ältere Frauen, die damit ein hohes Risiko der Altersarmut tragen. Die politische Sphäre in Russland ist von Männern dominiert (GIZ 3.2016c). Frauen sind in Politik und Wirtschaft unterrepräsentiert. Sie halten weniger als 14% der Sitze in der Duma und ca. 17% der Sitze im Föderationsrat. Nur zwei von 31 Kabinettsmitgliedern sind Frauen (FH 27.1.2016). Rund 40% der Frauen arbeiten in allgemeinen Bereichen im Management und weitere 20% auf der Führungsebene. Überwiegend arbeiten sie in diesen Berufen in Medienunternehmen und PR-Agenturen, aber auch in Banken, Börsen, Bauindustrien etc. (GIZ 3.2016c).
Ein Gesetzentwurf des Menschenrechtsrats, der Opfer häuslicher Gewalt schützen soll, stieß auf heftigen Widerstand in "konservativen" Kreisen, die darin einen Versuch der Einmischung des Staates in familiäre Angelegenheiten sehen. Es gibt in Russland lediglich 21 Krisenzentren für Frauen. Beim Menschenhandel gehören russische Frauen zu den Haupt-Opfergruppen. Russland gilt zugleich als Ursprungs-, Transit- und Empfangsland im Menschenhandel. Sexuelle Ausbeutung bzw. Prostitution betrifft vor allem Frauen aus dem Nordkaukasus, die in anderen Landesteilen als Zwangsprostituierte arbeiten. Durch internationale Zusammenarbeit wird versucht, die Rotlicht-Kriminalität wirksam zu bekämpfen. Trotz der Verankerung des Straftatbestandes Menschenhandel im russischen Strafgesetzbuch bleiben die Strafverfolgungszahlen niedrig. Nur in seltenen Fällen wird berichtet, dass Strafverfolgungsbehörden gegen Menschenhandel vorgehen. Die Reaktion des russischen Staates wird im "World Slavery Report" der "Walk Free Foundation" als "sehr schwach" beschrieben. Insbesondere fehle es an einem wirksamen Schutz der Opfer. Die Strukturen des Menschenhandels zur Ausbeutung der Arbeitskraft werden durch Korruption und Verbindungen von Angehörigen der Strafverfolgungsbehörden mit der organisierten Kriminalität begünstigt (AA 5.1.2016).
Häusliche Gewalt bleibt für Frauen weiterhin ein Problem und die Polizei ist oft zögerlich beim Einschreiten, da dies als familiäre Angelegenheit gesehen wird (FH 27.1.2016).
Vergewaltigung ist illegal und das Gesetz sieht dieselbe Strafe für einen Täter vor, egal ob er aus der Familie stammt oder nicht. Während medizinische Angestellte Opfer von Übergriffen unterstützen und gelegentlich helfen, Fälle von Körperverletzung oder Vergewaltigung zu identifizieren, sind Ärzte oft nachlässig, als Zeugen vor Gericht aufzutreten. Laut NGOs würden Exekutivbeamte und Staatsanwälte Vergewaltigung keine Priorität einräumen. NGOs berichten außerdem, dass lokale Polizisten sich weigern würden, auf Anrufe in Bezug auf Vergewaltigung und häusliche Gewalt zu reagieren, solange das Opfer nicht unter Lebensbedrohung steht. Weiters würden viele Frauen Vergewaltigungen und andere Gewaltvorfälle aufgrund der sozialen Stigmata und der mangelhaften staatlichen Unterstützung nicht melden. Das Strafmaß für Vergewaltigung sind drei bis sechs Jahre Haft für einen Einzeltäter und vier bis zehn Jahre bei einer Gruppenvergewaltigung. Wenn das Opfer zwischen 14 und 18 Jahre alt ist bekommt der Täter eine Strafe zwischen acht und 15 Jahre und zwölf bis 20 Jahre, wenn das Opfer verstorben ist oder unter 14 Jahre alt ist (US DOS 13.4.2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - FH - Freedom House (27.1.2016): Freedom in the World 2015 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/320151/459381_de.html , Zugriff 25.5.2016 - GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2016c): Russland, Gesellschaft, http://liportal.giz.de/russland/gesellschaft/ , Zugriff 25.5.2016 - ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation - U.S. Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices for 2014 - Russia,
http://www.ecoi.net/local_link/322455/461932_de.html , Zugriff 25.5.2016
Nordkaukasus insbesondere Tschetschenien
Die Situation von Frauen im Nordkaukasus unterscheidet sich zum Teil von der in anderen Regionen Russlands. Berichte von Ehrenmorden, Brautentführungen und "Sittenwächtern" haben im Vergleich zu den Vorjahren jedoch abgenommen. Aus NGO-Kreisen war zu erfahren, dass sich die Situation von alleinstehenden Frauen bzw. Frauen mit Kindern bei ihrer Rückkehr nach Tschetschenien nach und nach verbessert. Die zugrunde liegende Problematik existiert jedoch nach wie vor. Im Frühjahr 2015 hatte ein Fall in Tschetschenien für Aufregung gesorgt, bei dem ein 17jähriges Mädchen vermutlich gegen ihren Willen und dem ihrer Familie mit einem weitaus älteren lokalen Polizeichef verheiratet wurde. Einerseits ist das Mindestalter für Hochzeiten in Russland 18 Jahre (abgesehen von wenigen Ausnahmen), andererseits war der betroffene Polizeichef zu dem Zeitpunkt bereits verheiratet. Die Heirat wurde von dem Republikoberhaupt Ramzan Kadyrov ausdrücklich unterstützt (ÖB Moskau 10.2015, vgl. HRW 27.1.2016). Eine prominente investigative Journalistin erhielt Todesdrohungen nachdem sie über diese Story geschrieben hat. Behörden versagten bei einer effektiven Untersuchung wegen ihrer Beschwerde (HRW 27.1.2016).
Unter sowjetischer Herrschaft waren tschetschenische Frauen durch die russische Gesetzgebung geschützt. Polygamie, Brautentführungen und Ehrenmorde wurden bestraft. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion löste sich der Schutz durch russisches Recht für Frauen allmählich auf und gleichzeitig kam es zu einem stärkeren Einfluss von Adat und Scharia. Unter Kadyrow ist die tschetschenische Gesellschaft traditioneller geworden. Swetlana Gannuschkina (Vorsitzende der Flüchtlingshilfsorganisation "Zivile Unterstützung" (auch "Bürgerbeteiligung") und Leiterin des "Netzwerks juristischer Beratungsstellen für Flüchtlinge und Vertriebene") ist der Meinung, dass die Behandlung von Frauen, wie sie heute existiert, nie eine Tradition in Tschetschenien war. Ein tschetschenischer Anwalt berichtet, dass Frauen sowohl unter islamischem Recht, als auch Adat hoch geschätzt sind. Allerdings ist die Realität in Tschetschenien, dass Gewalt gegen Frauen weit verbreitet und die Situation im Allgemeinen für Frauen schwierig ist. Andere Quellen berichten auch, dass die Religion ein Rückschlag für die Frauen ist und sie in eine den Männern untergeordnete Position stellt. Diese Entwicklungen erfolgten in den letzten Jahren (EASO 9.2014b, S. 9f). Für die Quellen des EASO Berichtes ist nicht klar, ob Scharia oder Adat wichtiger für die tschetschenische Gesellschaft ist. Jedoch könne nur das Russische Recht Frauen effektiv schützen. Es wird auch berichtet, dass die Scharia immer wichtiger wird und auch Kadyrow selbst - obwohl er sowohl Adat, als auch Scharia betont - sich in letzter Zeit eher auf die Scharia bezieht. Adat dürfte aber besonders bei Hochzeitstraditionen eine dominante Rolle spielen (EASO 9.2014b, S. 9f). Tschetschenische Behörden verlangen weiterhin, dass Frauen auf öffentlichen Plätzen Kopftücher tragen (HRW 27.1.2016).
Vergewaltigung:
Vergewaltigung ist laut Artikel 131 des russischen Strafgesetzbuches ein Straftatbestand. Das Ausmaß von Vergewaltigungen in Tschetschenien und anderen Teilen der Region ist unklar, da es im Allgemeinen so gut wie keine Anzeigen gibt. Vergewaltigung in der Ehe wird nicht einmal als Vergewaltigung angesehen. Laut Swetlana Gannuschkina ist Vergewaltigung in Tschetschenien und im gesamten Nordkaukasus weit verbreitet. Vergewaltigungen würden auch in Polizeistationen passieren. Vergewaltigung ist ein Tabuthema in Tschetschenien. Einer vergewaltigten Frau haftet ein Stigma an und sie wird an den Rand der Gesellschaft gedrängt, wenn die Vergewaltigung publik wird. Auch die Familie würde isoliert und stigmatisiert werden und es ist nicht unüblich, dass die Familie eine vergewaltigte Frau wegschickt. Die vorherrschende Einstellung ist, dass eine Frau selbst schuld an einer Vergewaltigung sei. Bei Vergewaltigung von Minderjährigen gestaltet sich die Situation etwas anders. Hier wird die Minderjährige eher nicht als schuldig an der Vergewaltigung gesehen, wie es einer erwachsenen Frau passieren würde. Insofern ist die Schande für die Familie auch nicht so groß (EASO 9.2014b, S. 21).
Muslimische Hochzeit:
Es ist in Tschetschenien üblich, auf muslimische Art - durch einen Imam - die Ehe zu schließen. Solch eine Hochzeit ist jedoch nach russischem Recht nicht legal, da sie weder vor einem Staatsbeamten geschlossen, noch registriert ist (EASO 9.2014b, S. 25). Nach russischem Recht wird sie erst nach der Registrierung bei der Behörde ZAGS legal, die nicht nur Eheschließungen registriert, sondern auch Geburten, Todesfälle, Adoptionen usw. (EASO 9.2014b, S. 24). Da die Registrierung mühsam ist und auch eine Scheidung verkompliziert, sind viele Ehen im Nordkaukasus nicht registriert. Eine Registrierung wird oft nur aus praktischen Gründen vorgenommen, beispielsweise in Verbindung mit dem ersten Kind. Der Imam kann eine muslimische Hochzeit auch ohne Anwesenheit des Bräutigams schließen, jedoch ist laut Scharia die Anwesenheit der Frau nötig (EASO 9.2014b, S. 25).
Quellen:
- EASO - European Asylum Support Office (9.2014a): Bericht zu Frauen, Ehe, Scheidung und Sorgerecht in Tschetschenien (Islamisierung; häusliche Gewalt; Vergewaltigung; Brautenführung; Waisenhäuser),
http://www.ecoi.net/file_upload/1830_1421055069_bz0414843den-pdf-web.pdf , Zugriff 25.5.2016 - EASO - European Asylum Support Office (9.2014b):
Chechnya: Women, Marriage, Divorce and Child Custody, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1412929576_2014-10-10-easo-coi-report-chechnya.pdf , Zugriff 25.5.2016 - HRW - Human Rights Watch (27.1.2016): World Report 2016 - Russia,
http://www.ecoi.net/local_link/295447/430479_de.html , Zugriff 25.5.2016 - ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation
Mutterschaftskapital und Kindergeld
2007 stellte die russische Führung einen Maßnahmenkatalog vor, der mit Zuschüssen und Betreuungsplätzen zum einen den Frauen die Mutterschaft ans Herz legt und zum anderen durch bessere medizinische Infrastruktur die Lebensdauer der Russen verlängern soll. Für Mütter ist seither ab dem zweiten Kind das sogenannte Mutterschaftskapital vorgesehen. Umgerechnet rund 7500 € erhalten die Frauen, Mittel die zweckgebunden vom vierten bis zum 25. Geburtstag des Kindes eingesetzt werden müssen. Mit den nicht bar auslösbaren Zertifikaten können Familien in die Ausbildung des Nachwuchses investieren, die eigene Wohnsituation verbessern oder medizinische Versorgung in Anspruch nehmen. Mit den Zertifikaten kann auch die Altersvorsorge der Mutter aufgestockt werden. Darüber hinaus bezahlt der Staat Geburtsprämien, bezuschusst Kindergartenplätze und hat das Elterngeld erhöht. Flankierend hat Moskau den Mutterschutz im Arbeitsmarkt ausgebaut (Wirtschaftsblatt 8.9.2014, vgl. IOM 6.2014; MDZ 17.8.2013). Mütter bekommen eine Zusatzzahlung, das sogenannte Mütterkapital. Dieses Geld ist für bestimmte Zwecke bestimmt, z.B. für die medizinische Behandlung oder die Versorgung von Kindern. Dieses Geld ist vor allem für kinderreiche Frauen, in Tschetschenien gibt es viele davon. Um dieses Geld zu bekommen, müssen tschetschenische Frauen ungefähr Drei Viertel des Geldes als Bestechungsgeld zahlen. Es gibt aber auch Frauen, die überhaupt nichts von diesem Mütterkapital sehen (Gannuschkina 3.12.2014). Das Mutterschaftskapital war zunächst bis Ende 2016 geplant, aufgrund des Erfolgs wird jetzt darüber diskutiert, die zeitliche Beschränkung ganz aufzuheben. Auch soll das Geld für die Geburt des dritten und weiterer Kinder ausgezahlt, sowie alleinerziehende Väter in gleichem Maße gefördert werden, wie Mütter. Wladimir Putin erklärte zum bisher bestehenden Gesetz, das Programm "Mutterschaftskapital" hätte seine Effektivität bewiesen. Allerdings müsse es nach 2016 runderneuert werden, um zielgerechter wirken zu können (MDZ 17.8.2013, vgl. Pension Fund o.D.).
Mutter, Vater oder ein anderer Erziehungsberechtigter kann monatliches Kindergeld erhalten. Kindergeld berechnet sich aus 40% des durchschnittlichen Elterngehaltes, sollte aber nicht unter dem festgesetzten Mindestwert liegen. Seit Januar 2014 beträgt das monatliche Kindergeld (für Kinder jünger als 1,5 Jahre) während des Mutterschaftsurlaubs beim ersten Kind mindestens 2.576 RUB (ca. USD 75) und 5.153 RUB (ca. USD 150) für weitere Kinder. Für arbeitslose Eltern beträgt das monatliche Kindergeld das festgesetzte Minimum. Im September 2013 ist ein neues Bildungsgesetz in Kraft getreten. Laut dem neuen Gesetz ist die Regelung außer Kraft getreten, dass die Kindergartengebühren nicht 20% der laufenden Kosten pro Kind überschreiten dürfen. Dies führte zu einem Anstieg der Kindergartengebühren. In unterschiedlichen Regionen kosten städtische oder staatliche Kindergärten zwischen 3.500 RUB und 9.000 RUB (ca. 102-262 USD). Familien mit einem Kind erhalten mindestens 20% Ausgleich, Familien mit zwei Kindern erhalten eine 50%ige Rückerstattung, Familien mit drei und mehr Kindern eine Kompensation in Höhe von mindestens 70%. Dieses Geld wird auf das Konto eines Elternteils überwiesen. Familien, in denen ein Kind eine Verhaltensstörung aufweist, zahlen keine Gebühren für den Besuch eines staatlichen oder städtischen Kindergartens (IOM 6.2014).
Mutterschaft:
- Mutterschaftsurlaub 140 Tage bei 100% Lohn (70 Tage vor der Geburt, 70 Tage danach)
- Kann auf 194 Tage erhöht werden im Falle von Mehrlingsgeburten oder Komplikationen (84 Tage vor der Geburt) - Minimum der Mutterschaftshilfe liegt bei 100% des gesetzlichen Mindestlohns bis zu einem Maximum im Vergleich zu einem 40h Vollzeitjob - 34.583 RUB sollten nicht überschritten werden - Bis zu 18 Monate nach der Geburt kann die Zahlung insgesamt 40% des Lohns betragen - Arbeitnehmer können jederzeit wieder zur Arbeit zurückkehren - Verlängerung des Mutterschaftsurlaubs bis zu einem Maximum von 3 Jahren ohne Arbeitsplatzverlust möglich - Verantwortung liegt beim Sozialversicherungsfond (Fond Socialnovo Strahovanya Rosiyskoy Federaciy) (IOM 8.2015)
Quellen:
- Gannuschkina, Swetlana (3.12.2014): UNHCR Veranstaltung "Informationsaustausch über die Lage in der Russischen Föderation/ Nordkaukasus" im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) - IOM - International Organisation of Migration (6.2014):
Länderinformationsblatt Russische Föderation - IOM - International Organisation of Migration (8.2015): Länderinformationsblatt Russische Föderation - MDZ - Moskauer Deutsche Zeitung (17.8.2013):
Kritische Tage in der Duma,
http://www.mdz-moskau.eu/kritische-tage-der-duma/ , Zugriff 25.5.2016 - Pension Fund oft he Russian Federation (o.D.): Maternity (Family) Capital, http://www.pfrf.ru/en/matcap/ , Zugriff 25.5.2016 - Wirtschaftsblatt (8.9.2014): Die Russen werden wieder mehr, http://wirtschaftsblatt.at/home/meinung/3866502/Die-Russen-werden-wieder-mehr , Zugriff 25.5.2016
Bewegungsfreiheit
Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Jedoch wird der legale Zuzug an vielen Orten durch Verwaltungsvorschriften stark erschwert. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort und ihren Wohnsitz melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen. Kaukasier haben jedoch größere Probleme als Neuankömmlinge anderer Nationalität, überhaupt einen Vermieter zu finden. Es ist grundsätzlich möglich, von und nach Tschetschenien ein- und auszureisen und sich innerhalb der Republik zu bewegen. An den Grenzen zu den russischen Nachbarrepubliken befinden sich jedoch nach wie vor Kontrollposten, die gewöhnlich eine nicht staatlich festgelegte "Ein- bzw. Ausreisegebühr" erheben (AA 5.1.2016, vgl. US DOS 13.4.2016, FH 27.1.2016).
Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihre Inlandspässe zeigen, wenn sie Tickets kaufen wollen für Reisen via Luft, Schienen, Wasser und Straßen (US DOS 13.4.2016).
Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine administrative Strafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen. Der Inlandspass ermöglicht die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme, die Eröffnung eines Bankkontos, aber auch den Kauf von Bahn- und Flugtickets (AA 5.1.2016).
Nach Angaben des Leiters der Pass- und Visa-Abteilung im tschetschenischen Innenministerium haben alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Inlandspässe erhalten (AA 5.1.2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - FH - Freedom House (27.1.2016): Freedom in the World 2016 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/320151/459381_de.html , Zugriff 25.5.2016 - U.S. Department of State (13.4.2016): Country Report on Human Rights Practices for 2015 - Russia, http://www.ecoi.net/local_link/322455/461932_de.html , Zugriff 25.5.2016
Meldewesen
Eine dauerhafte Registrierung wird durch einen Stempel im Inlandspass vermerkt, eine temporäre Registrierung durch einen in den Inlandspass eingelegten Zettel. Für einen Aufenthalt bis zu 90 Tage ist keine Registrierung verpflichtend, jedoch kann es notwendig werden bei einer Dokumentenkontrolle nachzuweisen, dass man sich noch nicht länger als 90 Tage in dem Gebiet aufhält, beispielsweise durch Vorweisen der Busfahrkarte. Wenn jemand ausreist um im Ausland zu leben, so wird dies registriert und in seinem Reisepass vermerkt. Umgangssprachlich wird die Registrierung nach wie vor so genannt, wie das Meldesystem zu Sowjetzeiten: "Propiska" (Russisch:
?????¿???). Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und ein nachweisbarer Wohnraum (ggf. Bescheinigung des Vermieters). Eine Arbeitsstelle oder Einkommen müssen nicht nachgewiesen werden. Die Registrierung und damit einhergehende Aufgaben fallen in den Zuständigkeitsbereich des Föderalen Migrationsdienstes (FMS), seiner territorialen Behörden (UFMS) und weiterer Behörden für innere Angelegenheiten. 2010 kam es zu einer Vereinfachung des Registrierungsprozesses, insbesondere für temporäre Registrierungen. Für eine solche muss man nunmehr lediglich einen Brief an die lokale Stelle des FMS, also den jeweiligen UFMS, schicken, in dem die vorübergehende Adresse angegeben wird. Man muss nicht mehr persönlich beim UFMS erscheinen. Eine Registrierung ist wie ausgeführt für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem, sowie zum legalen Arbeitsmarkt. Beim FMS in Moskau wurde bestätigt, dass alle Staatsbürger der Russischen Föderation, auch Rückkehrer, am Aufenthaltsort registriert werden. Gesetzlich ist vorgesehen, dass die Registrierung ab Einlangen der Unterlagen bei der zuständigen Behörde drei Tage dauert. Staatsbürger können bei Verwandten unterkommen oder selbstständig einen Wohnraum organisieren. Die föderal-gesetzlichen Regeln für die Registrierung gelten in der gesamten Russischen Föderation einheitlich, werden jedoch regional unterschiedlich angewendet. Korruption soll auch im Bereich der Registrierung in nicht unbeträchtlichem Ausmaß vorkommen, insbesondere in der Hauptstadt Moskau (BAA 12.2011, vgl. AA 5.1.2016).
Laut einer westlichen Botschaft ist eine Registrierung für alle Personen in Moskau und St. Petersburg im Vergleich zu anderen russischen Städten am schwierigsten zu erlangen. Auch die Korruptionszahlungen sind in Moskau höher. Ebenso ist es in Moskau schwieriger, eine Wohnung zu mieten, die Mieten sind zudem hoch. Auch UNHCR geht davon aus, dass die Registrierung in Moskau für jeden schwierig ist, nicht nur für Tschetschenen. In Mietanzeigen werden Zimmer oft nur für Slawen angeboten. Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence ist es für Tschetschenen leichter, in kleineren Orten als Moskau und St. Petersburg zu leben, jedoch ist es in großen Städten leichter, unterzutauchen. Personen, die Kadyrow fürchten, würden ihren Aufenthalt nicht registrieren lassen. Auch in St. Petersburg werden in Mietanzeigen Wohnungen oft nur für Russen angeboten. Tschetschenen nutzen aber ihre Netzwerke, um Wohnungen zu finden. Einer internationalen Organisation zufolge ist es für jemanden, der einen Machtmissbrauch von lokalen Behörden in einem Föderationssubjekt fürchtet schwierig, einen sicheren Ort in einer anderen Region in Russland zu finden. Ist die Person registriert, ist es für die Behörden leichter, sie zu finden. Laut einem Vertreter des Committee Against Torture sind tschetschenische Familien, die in andere Regionen Russlands kommen, nicht automatisch schweren Rechtsverletzungen ausgesetzt. Öffentlich Bedienstete haben kein Recht, einem Tschetschenen die Registrierung zu verweigern, weshalb im Endeffekt jeder registriert wird. Tschetschenen könnten Diskriminierung durch die Behörden ausgesetzt sein, nicht aber Gewalt. Laut einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence und einer westlichen Botschaft zufolge könnten aber temporäre Registrierungen nur für drei Monate anstatt für ein Jahr ausgestellt werden, weshalb dann die betroffene Person öfter zum Amt kommen muss. Memorial geht davon aus, dass der FMS die Polizei über die Registrierung eines Tschetschenen informieren muss. Zudem verheimlichen Tschetschenen oft ihre Volksgruppenzugehörigkeit, da Annoncen Zimmer oft nur für Russen und Slawen anbieten. Mehrere Quellen gaben an, dass im Zuge der Registrierung vermutlich Bestechungsgeld zu zahlen ist. Es kann vorkommen, dass Personen aus dem Nordkaukasus eine höhere Summe zu zahlen angehalten werden (DIS 8.2012). Im aktuellen FFM Bericht des Danish Immigration Service vom Jänner 2015 wird berichtet, dass es keine größeren Änderungen in Bezug auf die Registrierung gibt. Es gibt eine Neuheit, nämlich dass eine Person in dem Apartment wohnen muss, wo sie registriert ist. Wenn die Person woanders wohnt, könnte der/die Eigentümer/in bestraft werden. Aufgrund dessen könnte es schwieriger sein, den Wohnort zu registrieren. Einige Vermieter möchten auch keine Mieter registrieren, da sie Steuerabgaben vermeiden wollen (DIS 1.2015).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - BAA Staatendokumentation (12.2011): Forschungsaufenthalt der Staatendokumentation. Bericht zum Forschungsaufenthalt Russische Föderation - Republik Tschetschenien - DIS - Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014,
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 25.5.2016 - DIS - Danish Immigration Office (8.2012):
Chechens in the Russian Federation - residence registration, racially motivated violence and fabricated criminal cases, https://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf , Zugriff 25.5.2016
Lage von Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb der Republik Tschetschenien
Was die Anzahl von Tschetschenen im Rest des Landes anbelangt, ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen. Laut Volkszählung 2010 lebten etwa in Moskau ca. 14.500 Tschetschenen (von insgesamt 1.4 Mio landesweit). Es ist anzunehmen, dass die tatsächliche Zahl größer ist, insb. wenn man sie mit den Angaben über andere, kleinere Nationalitäten vergleicht (ca. 11.400 Osseten, über 17.000 Mordwinen). Dabei ist auch zu bedenken, dass laut der Statistik fast 700.000 Personen keine Angaben über ihre nationale Zugehörigkeit machten. In den meisten Regionen Russlands lag die Anzahl der Tschetschenen bei der Volkszählung 2010 bei einigen Hundert, größere Gemeinschaften gab es in Dagestan (ca. 93.600), in Inguschetien (ca. 18.700), sowie in den südlichen Regionen Astrachan (ca. 7.200), Wolgograd (fast 10.000), Rostow (ca. 11.500), Stawropol (ca. 12.000), Saratow (ca. 5.700) und im westsibirischen Tjumen (ca. 10.500) (ÖB Moskau 10.2015).
Gemäß Einschätzung verschiedener NGOs greifen Strafverfolgungsbehörden oft auf ein ethnisches "Profiling" zurück. Dieses richte sich besonders gegen Personen aus dem Kaukasus und Zentralasien. Nach Angaben von Swetlana Gannuschkina beschuldigen russische Behörden Personen aus dem Nordkaukasus oft willkürlich für Straftaten, die sie nicht begangen, die sich aber tatsächlich ereignet hätten. Die Ermittler würden eine Straftat so darstellen, dass die Mitschuld der betroffenen Person aus dem Nordkaukasus als erwiesen erscheine. Nach Angaben von Gannuschkina würden dabei auch Geständnisse mittels Folter (Schläge, Elektroschocks, Vergewaltigung oder die Androhung von Vergewaltigung) erpresst. Staatsanwälte unterstützten in der Regel diese Untersuchungen. Die Gerichte würden die Mängel der Untersuchung ignorieren und oft eine unbedingte Strafe verhängen. Laut Gannuschkina versuchen Polizeivertreter, die Zahl von aus dem Nordkaukasus stammenden Personen in ihren jeweiligen Zuständigkeitsgebieten zu verringern. Die polizeilichen Führungskräfte würden diese Maßnahmen unterstützen. Nach Angaben einer westlichen Botschaft in Moskau aus dem Jahr 2012 kommen fingierte Strafverfahren vor, jedoch nicht in systematischer Weise. Es gebe Berichte, dass insbesondere junge muslimische Personen aus dem Nordkaukasus Opfer solcher Praktiken werden können. Auch die norwegische Landinfo kommt im März 2014 zum Schluss, dass es weiterhin fingierte Strafverfahren gegen Personen aus dem Nordkaukasus und Tschetschenien gebe (SFH 25.7.2014).
Menschenrechtsorganisationen berichten glaubhaft, dass Personen kaukasischer oder zentralasiatischer Herkunft von den Behörden häufig benachteiligt werden. Zu den in jüngerer Zeit bekannt gewordenen Schikanen gehören: - besondere Sicherheitskontrollen bei der Ein- und Ausreise; - Personenkontrollen und Wohnungsdurchsuchungen - teils ohne rechtliche Begründung;
- Festnahmen und Strafverfahren aufgrund fingierter Beweise; - Kündigungsdruck auf Arbeitgeber und Vermieter (AA 5.1.2016).
Die tschetschenische Diaspora in allen russischen Großstädten ist in den letzten Jahren stark angewachsen (200.000 Tschetschenen sollen allein in Moskau leben) (AA 5.1.2016).
Laut UNHCR in Moskau gibt es in der gesamten Russischen Föderation tschetschenische Communities. Die größten befinden sich in Moskau, der Region Moskau und in St. Petersburg. Hauptsächlich arbeiten Tschetschenen im Baugewerbe und im Taxibusiness. In der Region Wolgograd leben ca. 20.000 Tschetschenen. Einige von ihnen leben dort schon seit 30 Jahren. Viele flohen aus Tschetschenien während der beiden Kriege. Mittlerweile sind die Zahlen von ankommenden Tschetschenen geringer geworden. 2013 kamen weniger als 500 Tschetschenen in die Region. Die meisten Tschetschenen verlassen die Republik aufgrund der sehr bescheidenen sozio-ökonomischen Aussichten in ihrer Heimatrepublik. Laut Memorial Wolgograd gibt es keine Beschwerden von Tschetschenen in der Region aufgrund von Rassismus oder Diskriminierung. Tschetschenen haben denselben Zugang zum Gesundheits- und Bildungssystem wie alle anderen russischen Staatsbürger. Heutzutage kommen Tschetschenen hauptsächlich zum Zwecke eines Studiums nach Wolgograd. Mittlerweile sind die Lebensbedingungen in Wolgograd nicht so gut wie in Tschetschenien. Dies liegt an den föderalen Fördermittel, die Tschetschenien erhält. Die Bevölkerung in Wolgograd sinkt, während jene in Tschetschenien steigt (DIS 1.2015).
Beträchtliche tschetschenische Gemeinschaften gibt es auch in den Städten und Regionen im südlichen Russland, darunter in Wolgograd, Saratov, Samara und Astrachan. Von den rund 100.000 Tschetschenen, die 1996 nach Moskau flohen, halten sich heutzutage noch rund 25.000 in der Region Moskau auf. Diese haben dort eine dauerhafte Registrierung. Zusätzlich lebt eine große Gruppe von Tschetschenen in Moskau und der Region Moskau, die nicht registriert ist, oder nur vorübergehend registriert ist. Ein großer Anteil der außerhalb Tschetscheniens lebenden Tschetschenen hätte keine Registrierung und arbeitet im Handel, auf Märkten und in Cafes. Gemäß einer Vertreterin des House of Peace and Non-Violence umfasst die tschetschenische Gemeinde in der Region St. Petersburg 20.000 bis 30.000 Personen. Viele würden auch zu Besuchen oder um Schulen oder Universitäten zu besuchen nach St. Petersburg kommen. Obwohl Rassismus gegenüber Kaukasiern in St. Petersburg vorkomme, ist dieser "nicht unerträglich". Ein ethnischer Tschetschene in St. Petersburg schätzte die Anzahl der Tschetschenen in St. Petersburg selbst auf 13.000. Ein anderer Tschetschene in Moskau gab an, dass die sozioökonomische Lage in Moskau zwar besser sei als in Tschetschenien, aber dass viele Tschetschenen es dennoch schwer hätten, Arbeit zu finden. Einem Vertreter einer NGO zufolge könnte es für einen Tschetschenen schwer sein, in einen anderen Teil der Russischen Föderation zu ziehen, wenn man dort keinerlei Verwandte hat. Jedoch gibt es Tschetschenen in fast allen Regionen Russlands. Das Bestehen einer tschetschenischen Gemeinschaft in einer Region kann Neuankömmlingen zur Unterstützung oder zum Schutz gereichen, es sei denn, es handelt sich um einen Clan-Konflikt. Laut SOVA leben viele Tschetschenen in der Region Stavropol, es gibt viele tschetschenische Studenten an der Universität der Stadt Stavropol. Dies führte bereits zu kleineren Spannungen im Süden der Region. Betreffend rassistisch motivierter Gewalt gibt es keine allein Tschetschenen betreffenden Daten, Tschetschenen gehören hier zur Gruppe der Kaukasier. Es gibt keine Hinweise, dass Tschetschenen mehr als andere ethnische Gruppen aus dem Kaukasus Hassverbrechen zum Opfer fallen. Untererfassung von Hassverbrechen ist gemäß SOVA ein Thema und dürfte im Steigen begriffen sein. Im Verlauf der letzten 10 Jahre konzentrierten sich ultranationalistische Banden bei rassistisch motivierter Gewalt immer mehr auf Zentralasiaten, nicht zuletzt weil sich Kaukasier dieser Gewalt zunehmend widersetzten. IOM bestätigte, dass die Grenze zwischen Tschetschenien und dem restliche Russland völlig offen ist. Zudem gab IOM an, dass es in Russland einen politischen Willen zur Bekämpfung von Hassverbrechen, Diskriminierung und Korruption zu geben scheint. Einer westlichen Botschaft zufolge schenken Strafgerichte heutzutage Hassverbrechen mehr Aufmerksamkeit. Swetlana Gannuschkina und Oleg Orlov (Memorial) gehen davon aus, dass Tschetschenen in andere Regionen Russlands ziehen können, und einige tun dies auch. Ist eine Person nicht offenkundig kritisch gegenüber Kadyrow, so kann diese überall in der Russischen Föderation leben, ohne Angst haben zu müssen getötet oder in die Republik Tschetschenien zurückgeschickt zu werden. Wird eine Person aber tatsächlich von Kadyrow gesucht, so könnte jener die Person überall in der Welt, auch in Kopenhagen, Wien, Dubai oder Moskau finden. Laut einem Anwalt von Memorial könnten Personen in Verbindung mit Oppositionsführern mit hohem Bekanntheitsgrad, aktive Rebellenkämpfer oder bekannte und tatverdächtige Terroristen der Bedrohung einer Entführung oder Tötung durch tschetschenische Behörden ausgesetzt sein. Ein Vertreter der Chechen Social and Cultural Association betrachtet es als unmöglich für die tschetschenischen Behörden, einen low-profile-Unterstützer der Rebellen in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens zu finden (DIS 11.10.2011).
Im Mai/Juni 2012 schätzte eine westliche Botschaft die Anzahl der Tschetschenen in Moskau auf Hunderttausende. Außerhalb Tschetscheniens leben die meisten Tschetschenen in Moskau und der Region Stawropol, eine größere Anzahl an Tschetschenen kann in St. Petersburg, Jaroslawl, Wolgograd und Astrachan gefunden werden. SK-Strategy schätzt die Zahl der in Moskau lebenden Tschetschenen auf 100.000 bis 200.000, rund 70.000 Tschetschenen seien in Moskau registriert, rund 50.000 in Jaroslawl. Die NGO Vainakh Congress schätzt die Zahl der Tschetschenen in der Region St. Petersburg auf 20.000 bis 30.000. Eine zunehmende Anzahl von jungen Kaukasiern studiert an Universitäten in Moskau, diese würden ihre ethnische Zugehörigkeit und Kultur offen zur Schau stellen; gelegentlich käme es zu (auch physischen) Auseinandersetzungen. Einer internationalen Organisation zufolge sind Moskau und St. Petersburg nicht mit anderen Städten Russlands vergleichbar, da dort die Menschen mehr Vorurteile gegenüber Migranten haben. Nicht nur Tschetschenen sind in den großen Städten Diskriminierung ausgesetzt. Die internationale Organisation geht jedoch nicht davon aus, dass im Allgemeinen diese Diskriminierung eine Verfolgung darstellt. Laut einem Vertreter des Committee Against Torture ist Diskriminierung von Tschetschenen durch Behörden (etwa Polizisten) nicht auf einen Erlass oder Befehl der Regierung zurückzuführen, sondern auf persönliche Vorurteile und das Misstrauen einzelner (DIS 8.2012).
Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass die tschetschenischen Behörden Unterstützer und Familienmitglieder einzelner Kämpfer auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation suchen und/oder finden würden, was aber bei einzelnen bekannten oder hochrangigen Kämpfern sehr wohl der Fall sein kann (BAA Staatendokumentation 20.4.2011).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - BAA Staatendokumentation (20.4.2011): Analyse der Staatendokumentation - Russische Föderation - Unterstützer und Familienmitglieder (mutmaßlicher) Widerstandskämpfer in Tschetschenien - DIS - Danish Immigration Service (11.10.2011): Chechens in the Russian Federation, Report from Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow and St. Petersburg, the Russian Federation, 12 to 29 June 2011,
http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/6EC0730B-9F8E-436F-B44F-A21BE67BDF2B/0/ChechensintheRussianFederationFINAL.pdf , Zugriff 25.5.2016 - DIS - Danish Immigration Service (8.2012):
Chechens in the Russian Federation - residence registration, racially motivated violence and fabricated criminal cases, http://www.nyidanmark.dk/NR/rdonlyres/01750EB0-C5B1-425C-90A7-3CE3B580EEAA/0/chechens_in_the_russian_federation.pdf , Zugriff 25.5.2016 - DIS - Danish Immigration Service (1.2015):
Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014,
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 25.5.2016 - ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation - SFH - Schweizerische Flüchtlingshilfe (25.7.2014):
Russland: Verfolgung von Verwandten dagestanischer Terrorverdächtiger außerhalb Dagestans, http://www.fluechtlingshilfe.ch/assets/herkunftslaender/europa/russland/russland-verfolgung-von-verwandten-dagestanischer-terrorverdaechtiger-ausserhalb-dagestans.pdf , Zugriff 25.5.2016
Gefälschte Dokumente
In Russland kann man jegliche Art von Dokumenten kaufen. Auslandsreisepässe sind schwieriger zu bekommen, aber man kann auch diese kaufen. Es handelt sich bei den Dokumenten oft um echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt. Die Art der Dokumente hierbei können z.B. medizinische Protokolle (medical journals), Führerscheine, Geburtsurkunden oder Identitätsdokumente sein. Ebenso ist es möglich, echte Dokumente mit echtem Inhalt zu kaufen, bei der die Transaktion der illegale Teil ist. Für viele Menschen ist es einfacher, schneller und angenehmer, ein Dokument zu kaufen, um einem zeitaufwändigem Kontakt mit der russischen Bürokratie zu vermeiden. Es soll auch gefälschte "Vorladungen" zur Polizei geben (DIS 1.2015).
Die von den staatlichen Behörden ausgestellten Dokumente sind in der Regel echt und inhaltlich richtig. Dokumente russischer Staatsangehöriger aus den russischen Kaukasusrepubliken (insbesondere Reisedokumente) enthalten hingegen nicht selten unrichtige Angaben. In Russland ist es darüber hinaus auch möglich, Personenstands und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsausweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle, Gerichtsurteile. Häufig sind Fälschungen primitiv und leicht zu identifizieren. Es gibt aber auch Fälschungen, die mit chemischen Mitteln auf Originalvordrucken professionell hergestellt wurden und nur mit speziellen Untersuchungen erkennbar sind (AA 5.1.2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - DIS - Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 25.5.2016
Grundversorgung/Wirtschaft
Im August 2015 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland 75,9 Millionen, somit ungefähr 53 % der Gesamtbevölkerung. Die Arbeitslosenrate liegt bei 5,3%. Der Durchschnittslohn im Juni 2015 lag bei 31.100 RUB (EUR 425) (IOM 8.2015).
Die hohen internationalen Energiepreise sorgten 2012 für ein anhaltendes Wirtschaftswachstum. Die Industrieproduktion stieg, allerdings lag der Zuwachs unter den Vorjahreswerten. Die Arbeitslosenrate sank zwischen 2010 und 2012 von 7,2% auf 5,4% und die Durchschnittslöhne lagen 2011 und 2012 deutlich höher als vor der Finanzkrise 2008/9. Während 2012 für Russland insgesamt also zufriedenstellend verlief, war 2013 wegen der Konjunkturschwäche im Euro-Raum und der weltweit gesunkenen Rohstoffpreise schwach. Nach einem Plus von 3,4% im Jahr 2012, kam es für 2013 nur noch zu einem leichten Wachstum von 1,3%. Das Land ist in eine Phase anhaltender wirtschaftlicher Stagnation getreten. Gleichzeitig stieg Russland im Ranking von "Doing Business" von Platz 112 in 2012 über Platz 92 in 2013 und Platz 64 in 2014 auf Platz 51 in 2016. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund zehn Prozent des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland der VR China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2016 den 153. Platz unter 178 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen, die Inflationsrate betrug Ende 2015 ca 15%. 2015 gerät die russische Wirtschaft in eine schwere Rezession. Nach dem BIP-Rückgang um 3,7% 2015 prognostiziert die russische Zentralbank für 2016 einen weiteren BIP-Rückgang um 1,0%. (GIZ 4.2016b).
Quellen:
- GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (4.2016b): Russland, Wirtschaft und Entwicklung, http://liportal.giz.de/russland/wirtschaft-entwicklung/#c17548 , 24.5.2016 - IOM - International Organisation of Migration (8.2015):
Länderinformationsblatt Russische Föderation
Nordkaukasus
Die nordkaukasischen Republiken ragen unter den Föderationssubjekten Russlands durch einen überdurchschnittlichen Grad der Verarmung und der Abhängigkeit vom föderalen Haushalt hervor. Die Haushalte Dagestans, Inguschetiens und Tschetscheniens werden zu über 80% von Moskau finanziert (GIZ 4.2016a).
Trotz der Versuche Moskaus, die sozioökonomische Situation im Nordkaukasus zu verbessern, ist die Region nach wie vor weitgehend von Transferzahlungen des föderalen Zentrums abhängig. Im Mai 2014 wurde ein neues Ministerium für die Angelegenheiten des Nordkaukasus geschaffen und der bevollmächtigte Vertreter des Präsidenten im Nordkaukasischen Föderalbezirk Alexander Chloponin, durch den früheren Oberbefehlshaber der Vereinigten Truppen des Innenministeriums im Nordkaukasus, Generalleutnant Sergej Melikov, ersetzt (ÖB Moskau 10.2015).
Der Kreml verfolgt seit einigen Jahren einen Ansatz, der auf regionale wirtschaftliche Entwicklung setzt und viele der Republiken im Nordkaukasus - allen voran Tschetschenien - haben durch zahlreiche Verwaltungs- und Finanzreformen heute mehr Unabhängigkeit als Anfang der 1990er Jahre jemals anzunehmen gewesen wäre. Auch der Tourismus soll in der landschaftlich attraktiven Region helfen, die Spirale aus Armut und Gewalt zu durchbrechen, wie insbesondere in der Entscheidung, die olympischen Winterspiele 2014 im unweit der Krisenregion gelegenen Sotschi auszutragen, deutlich wird. Zudem profitieren einige Teilrepubliken von Rohstoffvorkommen und so lassen sich auch einige sichtbare Zeichen von wirtschaftlichem Aufschwung und Wiederaufbau im Nordkaukasus ausmachen. Als beispielhaft dafür steht unter anderem die tschetschenische Hauptstadt Grosny, die nach ihrer fast völligen Zerstörung heute durchaus auflebt. Die schlechte Sicherheitslage und ein weit gestricktes Netzwerk aus Korruption, die zu einem wesentlichen Teil von den Geldern des russischen Zentralstaats lebt, blockieren aber eine umfassende und nachhaltige Entwicklung des Nordkaukasus. Das grundlegende Problem liegt in der russischen Strategie, den Konflikt durch die Übertragung der Verantwortung an lokale Machtpersonen mit zweifelhaftem Ruf zu entmilitarisieren. Deren Loyalität zu Moskau aber basiert fast ausschließlich auf erheblichen finanziellen Zuwendungen und dem Versprechen der russischen Behörden, angesichts massiver Verstrickungen in Strukturen organisierter Kriminalität beide Augen zuzudrücken. Ein wirksames Aufbrechen dieses Bereicherungssystems jedoch würde wiederum die relative Stabilität gefährden. Nachhaltige Entwicklungsfortschritte bleiben deshalb bislang weitgehend aus und insbesondere die hohe regionale Arbeitslosigkeit bildet einen Nährboden für neue Radikalisierung. Um dem zu begegnen und den islamistischen Militanten den ideologischen Nährboden zu entziehen, hat die russische Regierung Initiativen in Medien gestartet und in Zusammenarbeit mit lokalen Behörden Programme zur De-Radikalisierung und zum interkulturellen Dialog entwickelt. Der langfristige Erfolg solcher Maßnahmen bleibt dabei abzuwarten, in jedem Fall aber wird seitens Moskau versucht dem Nordkaukasus eine Perspektive zu schaffen (Zenithonline 10.2.2014).
Quellen:
- GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2015a): Russland, Geschichte, Staat und Politik, http://liportal.giz.de/russland/geschichte-staat/#c17900 , Zugriff 25.5.2016 - ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation - Zenithonline (10.2.2014): Speznaz, Spiele und Korruption,
http://www.zenithonline.de/deutsch/politik/a/artikel/speznaz-spiele-und-korruption-004017/ , Zugriff 25.5.2016
Tschetschenien
Die wirtschaftliche Situation in Tschetschenien hat sich aufgrund massiver Transferzahlungen aus dem föderalen Budget in den letzten Jahren stabilisiert. Laut der Zeitung RBK Daily wurden seit 2001 rund 464 Mrd. Rubel (ca. 14 Mrd. USD) in den Wiederaufbau der Republik investiert. Obwohl die föderalen Zielprogramme für die Region mittlerweile ausgelaufen sind, bestehen noch immer über 85% des Budgets der Republik aus Direktzahlungen aus Moskau. Offiziell vermeldete Tschetschenien 2014 ein Wachstum von 7.8%, eine Steigerung von über 23% der Industrieproduktion sowie eine Erhöhung der Landwirtschaftsproduktion von 2.2%. Die Arbeitslosenquote betrug laut offiziellen Statistiken der Republik in der 1. Hälfte 2015 rund 15.2%, was von Experten jedoch als zu niedrig angezweifelt wird. Der monatliche Durchschnittslohn in Tschetschenien liegt bei 21.703 Rubel (landesweit: 31.200 Rubel), die durchschnittliche Rentenhöhe bei 10.460 Rubel (landesweit: 10.919 Rubel). Die Höhe des Existenzminimums für die erwerbsfähige Bevölkerung ist mit 7.471 Rubel pro Monat festgelegt (landesweit: 8.900 Rubel), für Rentner mit 5.799 Rubel (landesweit: 6.800 Rubel) und für Kinder mit 5.949 Rubel (landesweit: 7.800 Rubel). Korruption ist nach wie vor weit verbreitet und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Laut einem rezenten Bericht der International Crisis Group gibt es glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrovs Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Charity-Projekte, Kritiker werfen ihm jedoch vor, als Vehikel zur persönlichen Bereicherung Kadyrovs und der ihm nahestehenden Gruppen zu dienen. Selbst die nicht als regierungskritisch geltende Tageszeitung "Kommersant" bezeichnete den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 10.2015).
Die materiellen Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich dank großer Zuschüsse aus dem russischen Föderalen Budget nach Angaben von internationalen Hilfsorganisationen seit 2007 verbessert - ausgehend von sehr niedrigem Niveau. Die Durchschnittslöhne in Tschetschenien liegen spürbar über denen in den Nachbarrepubliken. Die ehemals zerstörte Hauptstadt Tschetscheniens Grosny ist inzwischen dank föderaler Gelder fast vollständig wieder aufgebaut. Gleichwohl bleiben Arbeitslosigkeit und daraus resultierende Armut der Bevölkerung das größte soziale Problem. Der Schulbesuch ist grundsätzlich möglich und findet unter zunehmend günstigen materiellen Bedingungen statt. Nach Angaben der Vereinten Nationen entspricht die Anzahl der Lehrer wieder dem Niveau vor den Tschetschenienkriegen, allerdings sei die Versorgung mit Lernmitteln häufig noch unzureichend. Wohnraum bleibt ein Problem. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen wurden in den Tschetschenienkriegen seit Anfang der neunziger Jahre über 150.000 private Häuser sowie ca. 73.000 Wohnungen zerstört. Die Auszahlung von Kompensationsleistungen für kriegszerstörtes Eigentum ist noch nicht abgeschlossen. Problematisch ist auch in diesem Zusammenhang die Korruption (es wird davon ausgegangen, dass 30-50% gewährter Kompensationssummen als Schmiergelder gezahlt werden müssen) (AA 5.1.2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - ÖB Moskau (10.2015): Asylländerbericht Russische Föderation
Sozialbeihilfen
Russland hat ein grundlegendes Sozialsystem, welches Renten verwaltet und Hilfe für gefährdete Bürger gewährt (IOM 8.2015). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem Staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Die Rentenreform sieht die Gründung der nichtstaatlichen Rentenfonds vor, die neben der Grundversicherung einen zusätzlichen privaten Teil der Rente ermöglichen. Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 3.2016c).
Das Ministerium für Gesundheit und Soziales setzt die staatliche Unterstützung für sozial bedürftige Gruppen in der Praxis um. Vor allem die soziale Fürsorge für Familien, alte Menschen, Invaliden und Waisen soll gefördert werden. Personen, die soziale Unterstützung erhalten können: • Invaliden und Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges; • Invaliden und Veteranen militärischer Operationen • Invaliden mit Behinderung I., II. und III. Grades • Ehemalige minderjährige Insassen von Konzentrationslagern • Kinder mit Behinderung • Arbeitsveteranen • Arbeiter der Heimatfront (Großer Vaterländischer Krieg) • Invaliden als Folge der Tschernobyl-Katastrophe • Menschen, die unter gesundheitlichen Folgen von Verstrahlung leiden • Menschen die aus der Evakuierungszone der Tschernobyl-Katastrophe evakuiert wurden • Kinder deren Eltern unter der Verstrahlung der Tschernobyl-Katastrophe leiden • Beteiligte der Tschernobyl-Unfallfolgenbeseitigung • Opfer politischer Repressionen
• Personen, die sich um das Land verdient gemacht haben ("Helden der Sowjetunion und Russland" etc.) (IOM 6.2014)
Es gibt weitere Kategorien, die auf verschiedenen Rechtsgrundlagen oder unter bestimmten Programmen, die von regionalen Behörden geleitet werden, anspruchsberechtigt sind. Personen der o.g. Kategorien erhalten eine monatliche Zahlung und soziale Beihilfe, einschließlich: • ärztlich verschriebene Medikamente • Sanatoriumsaufenthalt • Ausgaben im Nahverkehr (kostenfreie Fahrten im Nahverkehr am Wohnort (nicht in allen Regionen); Schienenverkehr in Vororte, Langstreckenreisen zu und von der Behandlungsstätte) (IOM 6.2014)
Invaliden zahlen nur die Hälfte der öffentlichen Nebenkosten und haben die Möglichkeit, in besonderen Ausbildungseinrichtungen zu lernen. Um die oben aufgeführten Leistungen erhalten zu können, müssen Personen, die den genannten Kategorien angehören, Dokumente vorlegen, die die Zugehörigkeit zur entsprechenden Gruppe offiziell bestätigen (IOM 6.2014).
MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, denen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt wird: • Kinder (unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen für Familien mit Kindern); • Großfamilien (Ausstellung einer Großfamilienkarte, unterschiedliche Zuschüsse und Beihilfen, Rückerstattung von Nebenkosten (Wasser, Gas, Elektrizität, etc.); • Familien mit geringem Einkommen; • Studenten, Arbeitslose, Pensionisten, Angestellte spezialisierter Institutionen und Jungfamilien (BDA 31.3.2015).
Renten • Personen im Rentenalter (55 Jahre für Frauen und 60 Jahre für Männer) mit mindestens fünfjährigem Versicherungseintrag haben Recht auf Altersrente • Frühzeitige Rente ist offen im Falle von gefährlicher oder beschwerlicher Arbeit, Arbeit in nördlichen Gebieten, für Mütter von fünf Kindern oder mehr • Hinterbliebene eines verstorbenen Arbeiters haben Recht auf Hinterbliebenenrente
• Begünstigte sind behinderte Witwen, Witwen älter als 55, Arbeitslose, die sich um Kinder unter 14 Jahren kümmern oder behinderte Kinder bis zu 18 Jahren, sowie weitere Angehörige eines verstorbenen Hauptverdieners • Rente unabhängig von Todesursache oder Beitragszeit gewährt (IOM 8.2015).
Familienhilfe:
Die Regierung will die Bevölkerungszahl erhöhen. Daher erhalten
Familien mit drei oder mehr Kindern folgende Begünstigungen: • Rabatt für Betriebskosten in Höhe von maximal 30% (Heizung, Wasser, Abwasser Gas, Strom) • Großfamilien mit Kindern unter 6 Jahren erhalten kostenlose, verschreibungspflichtige Medikamente, sowie Behandlung in Kliniken und Vorrang in Sanatorien/Gesundheitszentren
• Großfamilien mit Bedarf für eine bessere Wohnsituation können kostenlose Unterkunft beantragen • Großfamilien können Kredite für Hausbau/kauf erhalten • Großfamilien, die einen Bauernhof führen wollen, erhalten steuerliche Vorzüge, sowie materielle Hilfe oder zinsfreie Darlehen • Arbeitgeber gewähren Großfamilien Vorzüge • Frauen mit fünf oder mehr Kindern, die diese bis zum Alter von acht Jahren aufgezogen haben, können frühzeitig im Alter von 50 Jahren in Rente gehen, sofern sie über 15 Jahre versichert waren • Frauen mit zwei oder mehr Kindern, können mit 50 in Rente gehen, wenn sie für mindestens 20 Jahre versichert waren und mindestens zwölf Jahre im Norden oder 17 Jahre in vergleichbaren Regionen gearbeitet haben • Zahlungen an Großfamilien zur Geburt, Zuschuss für zweites Kind und die folgenden liegt monatlich bei 4907 RUB 85 Kopeke im Jahr 2003 • Kompensationszahlungen im Zusammenhang mit den Kosten für die Erziehung: • 3-4 Kinder - 600 RUB für jedes Kind unter 16 (oder unter 18 wenn das Kind an einer Bildungseinrichtung eingeschrieben ist) • fünf oder mehr Kinder - 750 RUB für jedes Kind unter 16 (oder unter 18 wenn das Kind an einer Bildungseinrichtung eingeschrieben ist) • Für Großfamilien mit fünf oder mehr Kindern 900 RUB für die ganze Familien zum Kauf von Sachen • Monatliche Kompensationszahlungen für Essenskosten für Kinder unter drei Jahren in Höhe von 675 RUB (IOM 8.2015).
Behinderung • Arbeitnehmer mit Behindertenstatus haben Recht auf Behindertenrente • Unabhängig von Schwere der Behinderung, Beitragsdauer und Arbeitsstatus • Bezahlt für die Dauer der Behinderung oder bis zum Erreichen des normalen Rentenalters (IOM 8.2015).
Wohnungswesen • Bürger ohne Unterkunft oder mit unzumutbarer Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Apartments beantragen • Wartezeit von mehreren Jahre oder Dekaden • Lokale Behörden bestimmen die Voraussetzungen und notwendigen Unterlagen (IOM 8.2015).
Arbeitslosenhilfe
Im Nordkaukasus besteht die höchste Arbeitslosenquote des Landes. Arbeitslose (mit Ausnahme von Schülern, Studenten und Rentnern) können sich bei den Arbeitsagenturen arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Die Arbeitsagentur wird innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Lehnt der Bewerber die Stellen ab, wird er als arbeitslos eingetragen. Die Arbeitslosenhilfe basiert auf Durchschnittslohn der letzten Arbeit und ist auf ein Minimum und Maximum von der russischen Gesetzgebung begrenzt. Seit 2009 ist das Minimum RUB 850 (USD 15) pro Monat und das Maximum RUB 4.900 (USD 82). Die Förderung wird monatlich ausgezahlt, sofern der Begünstigte die notwendigen Verfahren der Neubewerbung (gewöhnlich zweimal im Monat) nach den Bedingungen der Arbeitsagentur durchläuft. Notwendige Unterlagen und Dokumente sind ein Reisepass oder ein gleichwertiges Dokument und ein Arbeitsbuch oder eine Kopie, die Lohnbescheinigung des letzten Jahres, die Steueridentifikationsnummer (INN certificate), der Rentenversicherungsausweis und Dokumente zum Nachweis der Ausbildung und Berufserfahrung (IOM 8.2015).
Unterbrechung der Arbeitslosenhilfe in folgenden Fällen:
• Zwei vorgeschlagene, passende Arbeitsangebote abgelehnt • Bezahlter Staatsdienst nach drei Monaten abgelehnt • Vorgeschlagene Trainings der Arbeitsagentur abgelehnt
• Beendigung der Arbeit aufgrund von disziplinarischen Verstößen
• Abbrechen von vorgeschlagenen Trainings
• Neubewerbungsverfahren nicht durchlaufen (IOM 8.2015).
Quellen:
- BDA - Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI - GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2016c):
Russland, Gesellschaft,
http://liportal.giz.de/russland/gesellschaft/ , Zugriff 25.5.2016 - IOM - International Organisation of Migration (6.2014):
Länderinformationsblatt Russische Föderation - IOM - International Organisation of Migration (8.2015): Länderinformationsblatt Russische Föderation
Krankenversicherung
Seit dem 1. Januar 2011 gibt es ein neues Gesetz über die Krankenpflichtversicherung. Vor dem 1. Mai 2011 gab es in den verschiedenen Regionen unterschiedliche Krankenversicherungen, danach traten neue Regeln für den Abschluss einer universellen Krankenversicherung in Kraft. Die Änderung der Krankenversicherungen tritt nach und nach in den einzelnen Regionen in Kraft. Die versicherten Personen sollen medizinische Versorgung in Gesundheitszentren kostenfrei erhalten mit sowohl den alten als auch den neuen Krankenversicherungen. Die alten Krankenversicherungen bleiben so lange in Kraft, bis sie durch die neue Versicherung ersetzt werden, egal welche Gültigkeitsdauer auf der alten Krankenversicherung angegeben ist. Es gibt keine Richtlinie, die die Dauer des Austausches der Krankenversicherungen festlegt. Wenn jetzt ein Versicherungsnehmer seinen Job wechselt oder verlässt, bleibt die Versicherung gültig und es ist nicht notwendig, eine neue Versicherung abzuschließen. Im Rahmen der Krankenpflichtversicherung (OMS) können russische Staatsbürger eine kostenlose medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen, die durch staatliche Finanzmittel, Versicherungsbeiträge und andere Quellen finanziert wird (IOM 6.2014).
Die kostenlose Versorgung soll folgende Bereiche abdecken: • Notfallbehandlung • Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken • Stationäre Behandlung • Teilweise kostenfreie Medikamente (IOM 8.2015)
Jede OMS-registrierte Person hat eine Krankenversicherung mit einer individuellen Nummer, wodurch ihnen der Zugang zur kostenfreien medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation garantiert wird; unabhängig von ihrem Wohnort. Bei der Anmeldung in einer Klinik muss zunächst die Versicherungsbescheinigung vorgelegt werden, es sei denn, es handelt sich um einen Notfall. Die Notfallbehandlung kann von allen russischen Staatsbürgern kostenlos in Anspruch genommen werden, unabhängig davon ob sie krankenversichert sind oder nicht. Um eine Krankenversicherung zu erhalten, müssen die Bürger an eine der Krankenversicherungen einen Antrag stellen und die folgenden Dokumente vorlegen: Antrag, Identifikationsdokument (für Erwachsene über 14 Jahre ein Reisepass oder vorläufiger Ausweis, für Kinder die Geburtsurkunde und den Pass bzw. vorläufigen Ausweis des Erziehungsberechtigten) und u.U. die Versicherungspolice der Rentenpflichtversicherung. Die Aufnahme in die Krankenversicherung sowie die Erneuerung sind kostenfrei. Für Kinder bis einschließlich 14 Jahren existiert ein gesondertes System der kostenlosen medizinischen Versorgung, sofern eine Registrierung in der Krankenpflichtversicherung (OMS) vorliegt. Kinder, die älter als 14 sind werden in der Regel in medizinischen Einrichtungen für Erwachsene behandelt. Einige Kliniken (staatliche und private) bieten kostenlose medizinische Konsultationen über das Internet an. Ausländische Staatsbürger haben in Russland nur Zugang zur medizinischen Grundversorgung, d.h. zur notfallmedizinischen Behandlung. Darüber hinausgehende Behandlungen werden in Rechnung gestellt und sind entweder durch direkte Zahlung an die jeweilige Klinik oder gegebenenfalls über die Krankenversicherung des Ausländers zu begleichen. Medizinische Versorgung gegen Bezahlung wird von privaten Gesundheitseinrichtungen unabhängig von der jeweiligen Staatsangehörigkeit angeboten. Umfragen zufolge haben 35% der Bevölkerung eine medizinische Serviceleistung gegen Bezahlung bereits in Anspruch genommen. Aufgrund der hohen Kosten kann der Großteil der Bevölkerung von dieser Möglichkeit jedoch keinen Gebrauch machen. Neben der geschilderten Krankenpflichtversicherung können sowohl russische Staatsbürger als auch Ausländer gegen Bezahlung eine Freiwillige Krankenversicherung (DMS) abschließen, die immer weiter verbreitet ist. Ein Netz von Versicherungsgesellschaften bietet die entsprechenden Dienstleistungen an, wobei die Kosten für eine Versicherung - je nach Ruf der Versicherung und des gebotenen Servicepakets - zwischen 400 und mehreren tausend USD liegen können. Die meisten Versicherungsgesellschaften bevorzugen die Zusammenarbeit mit juristischen Personen. In den vergangenen zehn Jahren sind jedoch zunehmend Versicherungsprogramme für Privatpersonen aufgelegt worden (IOM 6.2014).
Quellen:
- IOM - International Organisation of Migration (6.2014):
Länderinformationsblatt Russische Föderation - IOM - International Organisation of Migration (8.2015): Länderinformationsblatt Russische Föderation
Medizinische Versorgung
Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert. Russland weist zwar im internationalen Vergleich eine vergleichsweise hohe Anzahl der Ärzte und der Krankenhäuser pro Kopf der Bevölkerung auf, das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt aber ineffektiv (GIZ 3.2016c). Die Einkommen des medizinischen Personals sind noch immer vergleichsweise niedrig. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist. Infektionskrankheiten wie Tuberkulose und insbesondere HIV/AIDS, breiten sich weiter aus. In den letzten Jahren wurden in die Modernisierung des Gesundheitswesens erhebliche Geldmittel investiert. Der aktuelle Kostendruck im Gesundheitswesen führt aber dazu, dass viele Krankenhäuser geschlossen werden (AA 3.2016a, vgl. GIZ 3.2016c). In Moskau, St. Petersburg und einigen anderen Großstädten gibt es einige meist private Krankenhäuser, die hinsichtlich der Unterbringung und der technischen und fachlichen Ausstattung auch höheren Ansprüchen gerecht werden. Notfallbehandlungen in staatlichen Kliniken sind laut Gesetz grundsätzlich kostenlos. Die Apotheken in den großen Städten der Russischen Föderation haben ein gutes Sortiment, wichtige Standardmedikamente sind vorhanden. Medikamentenfälschungen mit unsicherem Inhalt kommen allerdings vor (AA 25.5.2016b).
Im Bereich der medizinischen Versorgung von Rückkehrern sind der Botschaft keine Abweichungen von der landesweit geltenden Rechtslage bekannt. Seit Jänner 2011 ist das "Föderale Gesetz Nr. 326-FZ über die medizinische Pflichtversicherung in der Russischen Föderation" vom November 2010 in Kraft und seit Jänner 2012 gilt das föderale Gesetz Nr. 323-FZ vom November 2011 über die "Grundlagen der medizinischen Versorgung der Bürger der Russischen Föderation". Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" garantierten Umfang. Von diesem Programm sind alle Arten von medizinischer Versorgung (Notfallhilfe, ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, spezialisierte Eingriffe) erfasst. Kostenpflichtig sind einerseits Serviceleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind). Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist. Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Anstalt und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. In der ausgewählten Organisation können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbständig, falls mehrere medizinische Anstalten zur Auswahl stehen. Das territoriale Prinzip sieht vor, dass die Zuordnung zu einer medizinischen Anstalt anhand des Wohn-, Arbeits-, oder Ausbildungsorts erfolgt. Das bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen, als dem "zuständigen" Krankenhaus, bzw. bei einem anderen, als dem "zuständigen" Arzt, kostenpflichtig ist. Selbstbehalte sind nicht vorgesehen. Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung, sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise durchaus erwartet wird (ÖB Moskau 10.2015).
Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der "Nationalen Projekte", die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert (GIZ 3.2016c).
Medizinische Versorgung gibt es bei staatlichen und privaten Einrichtungen. Staatsbürger haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu kostenfreier medizinischer Versorgung. Vorausgesetzt für OMS (OMS-Karte) sind gültiger Pass, Geburtsurkunde für Kinder unter 14 Jahren; einzureichen bei der nächstliegenden Krankenversicherungsfirma. Sowohl an staatlichen, wie auch privaten Kliniken bezahlte medizinische Dienstleistungen verfügbar; direkte Zahlung an Klinik oder im Rahmen von freiwilliger Krankenversicherung (Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 8.2015).
Kostenfreie Versorgung umfasst folgendes: • Notfallbehandlung • Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken • Stationäre Behandlung • Teilweise kostenfreie Medikamente (IOM 8.2015)
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (3.2016a): Russische Föderation - Innenpolitik,
http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html , Zugriff 25.5.2016 - AA - Auswärtiges Amt (25.5.2016b): Russische Föderation - Reise- und Sicherheitshinweise, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_93DF338D07240C852A755BB27CDFE343/DE/Laenderinformationen/00-SiHi/Nodes/RussischeFoederationSicherheit_node.html , Zugriff 25.5.2016 - GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (3.2016c): Russland, Gesellschaft, http://liportal.giz.de/russland/gesellschaft/ , Zugriff 25.5.2016 - IOM - International Organisation of Migration (8.2015):
Länderinformationsblatt Russische Föderation - ÖB Moskau (10.2014):
Asylländerbericht Russische Föderation
Tschetschenien
Zur aktuellen Lage der medizinischen Versorgung liegen unterschiedliche Einschätzungen vor. Nach Angaben des IKRK soll die Situation der Krankenhäuser für die medizinische Grundversorgung inzwischen das durchschnittliche Niveau in der Russischen Föderation erreicht haben. Problematisch bleibt laut IKRK die Personallage im Gesundheitswesen, da viele Ärzte und medizinische Fachkräfte Tschetschenien während der beiden Kriege verlassen haben (AA 5.1.2016).
Das Gesundheitssystem in Tschetschenien wurde seit den zwei Kriegen großteils wieder aufgebaut. Die Krankenhäuser sind neu und die Ausrüstung modern, jedoch ist die Qualität der Leistungen nicht sehr hoch aufgrund des Mangels an qualifiziertem Personal (Landinfo 26.6.2012).
Es ist sowohl primäre, als auch spezialisierte Gesundheitsversorgung verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand, als in den Nachbarrepubliken, da viele erst vor kurzem erbaut worden sind. Laut föderalem Gesetz werden bestimmte Medikamente kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, schwangere Frauen und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015, vgl. hierzu auch Kapitel 24.7 Medikamente).
Die Einkommen des medizinischen Personals liegen unter dem Durchschnitt. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (AA 3.2016a). Falls z.B. innerhalb der Familie nicht genügend Geld für eine teure Operation vorhanden ist, kann man sich an eine in der Clanstruktur höher stehende Person wenden. Aufgrund bestehender Clanstrukturen sind die Familien in Tschetschenien finanziell besser abgesichert als in anderen Teilen Russlands (BAMF 10.2013).
Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land, ist es - wie für alle Bürger der Russischen Föderation - auch für Tschetschenen möglich, bei Krankheiten, die in Tschetschenien nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl. dazu Kapitel 21. Bewegungsfreiheit/Meldewesen). Krebsbehandlung wurde zum größten Teil außerhalb der Republik Tschetschenien gemacht, jedoch wurde kürzlich ein onkologisches Krankenhaus fertiggestellt mit dem man bald Chemotherapie, Strahlentherapie und Operationen durchführen möchte. Im letzten Jahr wurden insgesamt ca. 3.000 Patienten zu unterschiedlichen Behandlungen in Krankenhäuser in anderen Republiken geschickt (DIS 1.2015).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - AA - Auswärtiges Amt (3.2016a): Russische Föderation - Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/sid_167537BE2E4C25B1A754139A317E2F27/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/RussischeFoederation/Innenpolitik_node.html , Zugriff 27.5.2016 - BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (10.2013): Protokoll zum Workshop Russische Föderation/Tschetschenien am 21.-22.10.2013 in Nürnberg - DIS - Danish Immigration Service (1.2015): Security and human rights in Chechnya and the situation of Chechens in the Russian Federation - residence registration, racism and false accusations; Report from the Danish Immigration Service's fact finding mission to Moscow, Grozny and Volgograd, the Russian Federation; From 23 April to 13 May 2014 and Paris, France 3 June 2014, http://www.ecoi.net/file_upload/90_1423480989_2015-01-dis-chechnya-fact-finding-mission-report.pdf , Zugriff 27.5.2016 - Landinfo (26.6.2012): Chechnya and Ingushetia:
Health services,
http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1363793751_2322-1landinfo.pdf , Zugriff 27.5.2016
Gesundheitseinrichtungen in Tschetschenien
Gesundheitseinrichtungen, die die ländlichen Gebiete Tschetscheniens abdecken sind "Achkhoy-Martan RCH" (regional central hospital), "Vedenskaya RCH", "Grozny RCH", "Staro-Yurt RH" (regional hospital), "Gudermessky RCH", "Itum-Kalynskaya RCH", "Kurchaloevskaja RCH", "Nadterechnaye RCH", "Znamenskaya RH", "Goragorsky RH", "Naurskaya RCH", "Nozhai-Yurt RCH", "Sunzhensk RCH", Urus-Martan RCH", "Sharoy RH", "Shatoïski RCH", "Shali RCH", "Chiri-Yurt RCH", "Shelkovskaya RCH", "Argun municipal hospital N° 1" und "Gvardeyskaya RH" (BDA CFS 31.3.2015).
Gesundheitseinrichtungen, die alle Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind: "The Republican hospital of emergency care" (former Regional Central Clinic No. 9), "Republican Centre of prevention and fight against AIDS", "The National Centre of the Mother and Infant Aymani Kadyrova", "Republican Oncological Dispensary", "Republican Centre of blood transfusion", "National Centre for medical and psychological rehabilitation of children", "The Republican Hospital", "Republican Psychiatric Hospital", "National Drug Dispensary", "The Republican Hospital of War Veterans", "Republican TB Dispensary", "Clinic of pedodontics", "National Centre for Preventive Medicine", "Republican Centre for Infectious Diseases", "Republican Endocrinology Dispensary", "National Centre of purulent-septic surgery", "The Republican dental clinic", "Republican Dispensary of skin and venereal diseases", "Republican Association for medical diagnostics and rehabilitation", "Psychiatric Hospital 'Samashki', "Psychiatric Hospital 'Darbanhi'", "Regional Paediatric Clinic", "National Centre for Emergency Medicine", "The Republican Scientific Medical Centre", "Republican Office for forensic examination", "National Rehabilitation Centre", "Medical Centre of Research and Information", "National Centre for Family Planning", "Medical Commission for driving licenses" und "National Paediatric Sanatorium 'Chishki'" (BDA CFS 31.3.2015).
Städtische Gesundheitseinrichtungen in Grosny sind: "Clinical Hospital N° 1 Grozny", "Clinical Hospital for children N° 2 Grozny", "Clinical Hospital N° 3 Grozny", "Clinical Hospital N° 4 Grozny", "Hospital N° 5 Grozny", "Hospital N° 6 Grozny", "Hospital N° 7 Grozny", "Clinical Hospital N° 10 in Grozny", "Maternity N° 2 in Grozny", "Polyclinic N° 1 in Grozny", "Polyclinic N° 2 in Grozny",
"Polyclinic N° 3 in Grozny", "Polyclinic N° 4 in Grozny",
"Polyclinic N° 5 in Grozny", "Polyclinic N° 6 in Grozny",
"Polyclinic N° 7 in Grozny", "Polyclinic N° 8 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 1", "Paediatric polyclinic N° 3 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 4 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 5", "Dental complex in Grozny", "Dental Clinic N° 1 in Grozny", "Paediatric Psycho-Neurological Centre", "Dental Clinic N° 2 in Grozny" und "Paediatric Dental Clinic of Grozny" (BDA CFS 31.3.2015).
Quellen:
- BDA - Belgium Desk on Accessibility (31.3.2015): Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Fact Sheet via MedCOI
Behandlungsmöglichkeiten von psychiatrischen Krankheiten (z.B. PTBS, Depressionen, akutes Stresssyndrom, Panische Störungen, Schizophrenie etc.)
Psychiatrische Behandlungen für diverse psychische Behandlungen durch einen Psychologen/Psychiater sind in der gesamten Russischen Föderation verfügbar. Es gibt auch psychiatrische Krisenintervention bei Selbstmordgedanken z.B. im Psychiatric Clinical Hospital #1 in Moskau (BMA 7754).
Posttraumatische Belastungsstörung ist in der gesamten Russischen Föderation behandelbar. Z.B. im Alexeevskaya (Kacshenko) hospital, Zagorodnoye shosse 2, Moscow (BMA 6051). Dies gilt unter anderem auch für Tschetschenien z.B. im Republican Psychoneurological Dispenser, Verkhoyanskaya Str. 10, Grosny (BMA 6551, vgl. BMA 7979).
Wie in anderen Teilen Russlands werden auch in Tschetschenien mentale Krankheiten hauptsächlich mit Medikamenten behandelt, und es gibt nur selten eine Therapie. Die Möglichkeiten für psychosoziale Therapie oder Psychotherapie sind aufgrund des Mangels an notwendiger Ausrüstung, Ressourcen und qualifiziertem Personal in Tschetschenien stark eingeschränkt. Es gibt keine spezialisierten Institutionen für PTBS, jedoch sindt follow-up und Psychotherapie möglich. Ambulante Konsultationen und Krankenhausaufenthalte sind im Republican Psychiatric Hospital of Grozny für alle in Tschetschenien lebende Personen kostenlos. Auf die informelle Zuzahlung wird hingewiesen. Üblicherweise zahlen Personen für einen Termin wegen psychischen Problemen zwischen 700-2000 Rubel. Bei diesem Krankenhaus ist die Medikation bei stationärer und ambulanter Behandlung kostenfrei (BDA 31.3.2015).
Während es in Moskau unterschiedliche Arten von Therapien gibt (kognitive Verhaltenstherapie, Desensibilisierung und Aufarbeitung durch Augenbewegungen (EMDR) und Narrative Expositionstherapie), um PTSD zu behandeln (BMA 7980), gibt es in Tschetschenien nur Psychotherapie und diese in eingeschränktem Maß (BMA 7979). Diverse Antidepressiva sind aber in der gesamten Russischen Föderation verfügbar (BMA 7754, BMA 7979).
Quellen:
- MedCOI (11.3.2015): BMA 6551 - MedCOI (7.11.2014): BMA 6051 - MedCOI (1.4.2016): BMA 7979 - MedCOI (1.4.2016): BMA 7980 - MedCOI (26.2.2016): BMA 7754 - MedCOI (31.3.2015): BDA, Accessibility of healthcare: Chechnya, Country Report, S. 23
Medikamente
Ambulante Patienten und zu Hause Behandelte müssen Medikamente bezahlen; ausgenommen sind solche, die vom Staat gedeckt sind. In 24-Stunden- und Tageskliniken gibt es kostenfreie Medikamente für Bürger, die von der OMS profitieren. Bei Notfällen sind Medikamente kostenfrei. Gewöhnlich kaufen Russen ihre Medikamente auf eigene Kosten. Bürger mit gewissen Krankheiten wird Unterstützung gewährt, u. a. kostenfreie Medikamente, Sanatorium Behandlung und Transport. Kosten für Medikamente variieren, feste Preise bestehen nicht (IOM 8.2015).
Im Allgemeinen gilt, dass alle russischen Staatsbürger - sowohl im Rahmen einer Krankenpflichtversicherung als auch anderweitig versicherte - für etwaige Medikamentenkosten selbst aufkommen. Ausnahmen von dieser Regelung gelten nur für besondere Personengruppen, die an bestimmten Erkrankungen leiden und denen staatliche Unterstützung zuerkannt worden ist (einschließlich kostenloser Medikation, Sanatoriumsbehandlung und Transport (Nahverkehr und regionale Züge). Die Behandlung und die Medikamente für einige Krankheiten werden auch aus regionalen Budgets bestritten. Die Liste von Erkrankungen, die Patienten berechtigen, Medikamente kostenlos zu erhalten, wird vom Ministerium für Gesundheit erstellt. Sie umfasst: Makrogenitosomie, multiple Sklerose, Myasthenie, Myopathie, zerebrale Ataxie, Parkinson, Glaukom, geistige Erkrankungen, adrenokortikale Insuffizienz, AIDS/HIV, Schizophrenie und Epilepsie, systemisch chronische Hauterkrankungen, Bronchialasthma, Rheumatismus, rheumatische Gicht, Lupus Erythematosus, Morbus Bechterew, Diabetes, Hypophysen-Syndrom, zerebral-spastische Kinderlähmung, fortschreitende zerebrale Pseudosklerose, Phenylketonurie, intermittierende Porphyrie, hämatologische Erkrankungen, Strahlenkrankheit, Lepra, Tuberkulose, akute Brucellose, chronisch-urologische Erkrankungen, Syphillis, Herzinfarktnachsorge (6 Monate nach dem Infarkt), Aorten- und Mitralklappenersatz, Organtransplantationen, Mukoviszidose bei Kindern, Kinder unter drei Jahren, Kinder unter sechs Jahren aus sehr kinderreichen Familien, im Falle bettlägeriger Patienten erhält ein Angehöriger oder Sozialarbeiter die Medikamente gegen Verschreibung. Die Medikamentenpreise sind von Region zu Region und, teilweise auch in Abhängigkeit von der Lage einer Apotheke unterschiedlich, da es in der Russischen Föderation keine Fixpreise für Medikamente gibt (IOM 6.2014).
Quellen:
- IOM - International Organisation of Migration (6.2014):
Länderinformationsblatt Russische Föderation - IOM - International Organisation of Migration (8.2015): Länderinformationsblatt Russische Föderation
Behandlung nach Rückkehr
Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme (im Folgenden: Rückübernahmeabkommen). Der Rückübernahme geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rücknahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Person von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Wenn die zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rücknahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation müssen sich alle Rückkehrer beim Föderalen Migrationsdienst (FMS) ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren. Dies gilt generell für alle russische Staatsangehörige, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert und, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden. Im November 2012 wurde etwa ein per Sammelflug aus Österreich rücküberstellter Tschetschene auf Grundlage eines Haftbefehls wegen KFZ-Diebstahls unmittelbar nach seiner Ankunft am Flughafen in Moskau verhaftet. Wenige Tage später wurde ein weiterer, mit demselben Flug rücküberstellte Tschetschene in Grozny in Haft genommen und zu einer langen Gefängnisstrafe verurteilt. Über beide Fälle wurde in den österreichischen Medien intensiv berichtet. Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft vor allem die im Vergleich zum Rest Russlands hohe Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus, die landesweit hohe Inflation sowie das durch die Wirtschaftskrise ausgelöste Sinken der Realeinkommen. Hinzu kommen bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können (ÖB Moskau 10.2015).
Dem Auswärtigen Amt sind keine Fälle bekannt, in denen russische Staatsangehörige bei ihrer Rückkehr nach Russland allein deshalb staatlich verfolgt wurden, weil sie zuvor im Ausland einen Asylantrag gestellt hatten. Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass Russen mit tschetschenischer Volkszugehörigkeit nach ihrer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt sind. Solange die Konflikte im Nordkaukasus, einschließlich der Lage in Tschetschenien, nicht endgültig gelöst sind, ist davon auszugehen, dass abgeschobene Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit durch russische Behörden erfahren. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich gegen die gegenwärtigen Machthaber engagiert haben bzw. denen ein solches Engagement unterstellt wird, oder die im Verdacht stehen, einen fundamentalistischen Islam zu propagieren. Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen ständen unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt (AA 5.1.2016).
Zahlreiche russische Staatsbürger, die sich im Ausland aufhalten, stehen in Opposition zur russischen Führung. Im Jahr 2013 hat etwa der ehemalige Schachweltmeister und Regimekritiker Garri Kasparow Russland vorerst verlassen. Der Ende 2013 nach zehnjähriger Haft amnestierte ehemalige Jukos-Eigner Michail Chodorkowskij lebt ebenfalls außerhalb Russlands. Auslieferungsersuchen der russischen Regierung in Bezug auf asylberechtigte Tschetschenen, wie z.B. den "Exilaußenminister" Achmed Sakajew, sind von der britischen Justiz abgelehnt worden. Apti Bisultanow, der ehemalige "Sozialminister" der tschetschenischen Separatistenregierung, sowie der ehemalige "Präsidentenberater" der Separatistenregierung Said-Hassan Abumuslimow leben in Deutschland. Russische Behörden werfen ihnen vor, Terrorismus zu propagieren oder zu verharmlosen. Es ist jedoch nach Kenntnis des Auswärtigen Amts zu keiner Anklageerhebung gegen diese Personen gekommen (AA 5.1.2016).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (5.1.2016): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation - ÖB Moskau (10.2014): Asylländerbericht Russische Föderation
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Identität der Beschwerdeführer steht auf Grund der vorgelegten, unbedenklichen Identitätsdokumente fest. Die Angaben zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit, Religionszugehörigkeit und der familiären Beziehung der Beschwerdeführer zueinander ergeben sich aus den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin sowie aus den vorgelegten Heirats- und Geburtsurkunden.
2.2. Die Angaben zu den Asylverfahren der Beschwerdeführer sowie des Bruders der Zweitbeschwerdeführerin ergeben sich aus den beigeschafften Verwaltungsakten.
2.3. Die Feststellungen zu den Lebensumständen der Beschwerdeführer in Österreich beruhen auf den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt bzw. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie den Angaben des Drittbeschwerdeführers in der hg. mündlichen Verhandlung. Der Bezug von Grundversorgung durch die Beschwerdeführer ergibt sich aus dem GVS-Auszug. Die Unbescholtenheit der Beschwerdeführer wird durch Strafregisterauszüge dokumentiert. Dass der Drittbeschwerdeführer nicht legal erwerbstätig ist, aber Schnuppertage absolvierte, ergibt sich aus seinen Angaben. Dass er auch nicht im Rahmen von Freiwilligenorganisationen ehrenamtliche Arbeit leistet, ergibt sich aus seinem Vorbringen. Dass er im Quartier der Grundversorgung Mitbewohnern bei Russischverdolmetschung und den Kindern am Schulweg hilft, ergibt sich aus seinen Angaben.
Die Angaben zu den Deutschkenntnissen des Drittbeschwerdeführers ergeben sich aus dem Eindruck des Gerichts in der hg. mündlichen Verhandlung; dass er aktuell einen freiwilligen Deutschkurs besucht, ergibt sich aus der vorgelegten Bestätigung. Dass der Drittbeschwerdeführer die Schulpflicht nicht erfolgreich abschloss, ergibt sich aus den vorliegenden Zeugnissen und den Angaben des Drittbeschwerdeführers sowie seiner Mutter in der hg. mündlichen Verhandlung. Dass seine Schulleistungen durchschnittlich seien, wie vorgebracht wurde, kann auf Grund dessen nicht festgestellt werden. Dass der Drittbeschwerdeführer für einen Hauptschulabschlusskurs ab September angemeldet ist, ergibt sich aus der vorgelegten Anmeldebestätigung. Dass durch die Rückkehr in den Herkunftsstaat sein Bildungsweg abgebrochen würde, kann auf Grund des in Österreich erfolglosen Schulbesuchs, der im Februar 2016 endete, nicht festgestellt werden.
Die Angaben betreffend den Kontakt der Beschwerdeführer zu ihren in Österreich und im Herkunftsstaat lebenden Verwandten ergeben sich aus deren Angaben: so brachte auch der Drittbeschwerdeführer vor, dass es regelmäßig wechselseitige Besuche gebe. Dass eine besonders enge Beziehung zu FRAU XXXX, seiner Nachhilfelehrerin, besteht, kann nicht festgestellt werden, da der Drittbeschwerdeführer verzogen ist und das Unterstützungsschreiben aus 2013 datiert. Dass er einen Freund aus der tschetschenischen Community gefunden hat, ergibt sich aus seinen Angaben. Dass er seit 2013 bis zur hg. mündlichen Verhandlung im Juni 2016 nicht Mitglied in einem Verein war, ergibt sich aus seinen Angaben; dass er danach begann in einem Taekwondo-Verein zu trainieren, wurde nicht belegt, kann jedoch auf Grund der Kürze der Aktivität von weniger als zwei Monaten dies falls keine wesentliche Integrationsverfestigung darstellen. Dass der Drittbeschwerdeführer sich in XXXX, wo er seit weniger als einem halben Jahr lebt, mit der österreichischen Gesellschaft vertraut gemacht habe und über zahlreiche Freunde und Bekannte verfüge, wie in der Stellungnahme zu den Länderberichten nahe gelegt wird, findet in seinen Angaben keine Deckung.
2.4. Die Feststellungen zu den Lebensumständen der Beschwerdeführer im Herkunftsstaat beruhen auf den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren.
2.5. Dass für die minderjährigen Beschwerdeführer keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht wurden, ergibt sich aus den konsistenten Angaben des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin vor der belangten Behörde im ersten und zweiten Asylverfahren sowie in der hg. mündlichen Verhandlung.
Dass die Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin im ersten Asylverfahren unglaubwürdig sind, ergibt sich aus den Erkenntnissen vom 26.11.2013. Dass die Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin im zweiten Asylverfahren unglaubwürdig sind, ergibt sich aus deren Erkenntnissen vom heutigen Tag. Aus diesen ergibt sich auch, dass den erwachsenen Beschwerdeführern im Falle der Rückkehr weder asylrelevante Verfolgung, noch eine Gefahr iSd Art. 2, 3 EMRK, 6., 12. ZPEMRK droht.
Da auf Grund der in den Erkenntnissen in den Verfahren des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin ausgeführten Gründe keine Probleme der erwachsenen Beschwerdeführer festgestellt werden konnten, geht auch die in der hg. mündlichen Verhandlung geäußerte Befürchtung der Zweitbeschwerdeführerin, ihre Probleme könnten sich auf ihre Söhne erstrecken, ins Leere. Eine Gefährdung besteht auch nicht auf Grund des Onkels des Drittbeschwerdeführers, dem Asyl gewährt wurde, da auch die nächsten Verwandten des Onkels (seine Brüder und sein Vater) im Herkunftsstaat an ihrer Adresse leben, Pension beziehen bzw. arbeiten. Es ist nicht ersichtlich, warum der Drittbeschwerdeführer, anders als seine in der Russischen Föderation lebenden Verwandten, aus diesem Grund verfolgt werden sollte. Eine Verfolgung kann auch nicht auf Grund des Nachbarn seines Großvaters väterlicherseits festgestellt werden, zumal der Großvater ebenso wie die Onkel väterlicherseits weiterhin im Herkunftsstaat leben.
Auch eine maßgebliche Änderung der Lage im Herkunftsstaat ist entgegen dem Vorbringen in der Stellungnahme nicht zu erkennen: Da nicht festgestellt werden konnte, dass staatliches Interesse an den Beschwerdeführern besteht, besteht auch keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass die Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr Behördenwillkür ausgesetzt sein würden. Dass die Beschwerdeführer wegen unterstellter Unterstützung des Widerstands oder Kontakt zu Widerständlern ins Visier der Behörden geraten würden, ist aus den bereits dargelegten Gründen unglaubwürdig. Dass sich die allgemeine Lage seit der Entscheidung über den ersten Asylantrag nicht verschlechtert hat, bestätigt auch die Stellungnahme der Beschwerdeführer. Soweit sich die Stellungnahme auf Personen bezieht, die nicht die Meinung der tschetschenischen Regierung vertreten, ist darauf hinzuweisen, dass der Erstbeschwerdeführer nie behauptet hat, oppositionell zu sein; gleiches gilt für die übrigen Familienmitglieder.
Auch soweit die Stellungnahme vorbringt, dass eine innerstaatliche Relokation unzumutbar wäre, geht sie ins Leere, da auf Grund der Länderberichte feststeht, dass es in vielen Städten in der Russischen Föderation eine tschetschenische Diaspora gibt; ein Clankonflikt, der die Integration in die jeweilige tschetschenische Community erschweren würde, wurde nicht vorgebracht. Der Erstbeschwerdeführer gibt an, arbeitsfähig zu sein und in Österreich auf freiwilliger Basis zu arbeiten; wenn auch ohne Ausbildung, verfügt er über Arbeitserfahrung als Mechaniker, Lackierer und Taxifahrer und spricht neben Tschetschenisch auch Russisch, ebenso wie die Zweitbeschwerdeführerin, die ab 2009 den Lebensunterhalt als Kosmetikvertreterin verdiente. Dass er den Lebensunterhalt nicht bestreiten könnte, weil er keine schwere Arbeit verrichten könnte, wie die Stellungnahme zu den Länderberichten vorbringt, widerspricht den Angaben des Erstbeschwerdeführers, er arbeite im Bauhof der Gemeinde mit, und der vorgelegten Einstellungszusage eines Bauunternehmens. Dass die Zweitbeschwerdeführerin als Frau keine Arbeit finden werde, wie in der Stellungnahme zu den Länderberichten vorgebracht wird, widerspricht dem Vorbringen der Zweitbeschwerdeführerin, sie sei, ebenso wie ihre Schwestern, in Tschetschenien erwerbstätig gewesen. Es ist auch nicht ersichtlich, warum der Drittbeschwerdeführer, der im Herkunftsstaat sechs Jahre lang die Schule besuchte und sowohl Russisch als auch Tschetschenisch spricht, im Herkunftsstaat nicht arbeiten könnte, zB in den Bereichen, in denen er in Österreich arbeiten wollte - Einzelhandel und Gastronomie. Auch dass ein Zugang zu den staatlichen Leistungen auf Grund der Korruption unmöglich wäre, wie in der Stellungnahme zu den Länderberichten releviert wird, kann auf Grund des Vorbringens des Erstbeschwerdeführers, beide Elternteile würden eine staatliche Rente bekommen, und der Zweitbeschwerdeführerin, ihr Vater beziehe Pension, nicht festgestellt werden. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass dies im Falle einer Relokation in einen anderen Landesteil nicht möglich wäre.
Soweit die Stellungnahme zu den Länderberichten die Probleme alleinstehender Mütter näher beleuchtet, ist nicht ersichtlich, wie daraus eine Gefährdung der Zweitbeschwerdeführerin abgeleitet werden kann, da weder die Zweitbeschwerdeführerin, noch der Erstbeschwerdeführer Scheidungsabsichten behaupteten, darüber hinaus ein dichtes soziales Netz besteht und der Erstbeschwerdeführer an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten leidet. Das Gleiche gilt für das Vorbringen betreffend rückkehrende Frauen ohne Familienanschluss.
Auf Grund der Länderberichte steht auch fest, dass ein Zugang zu Wohnraum außerhalb Tschetscheniens auch für Tschetschenen möglich ist, ebenso eine Registrierung. Soweit die Stellungnahme eine aussichtslose Lage auf Grund von Wohnungslosigkeit vorbringt, geht sie auch im Übrigen ins Leere, da auf Grund der Angaben der Beschwerdeführer feststeht, dass der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin nicht nur über eine Wohnung verfügten, die die Zweitbeschwerdeführerin zur Finanzierung der Ausreise verkauft habe, sondern bringt die Zweitbeschwerdeführerin auch vor, bei einer Tante gemeldet gewesen zu sein und mit den Kindern bei einer Schwester gelebt zu haben; weiters steht auf Grund der Vorortrecherche fest, dass der Erstbeschwerdeführer den Rechtsstreit betreffend einer weiteren Wohnung gewann. Zudem könnten die Beschwerdeführer, wie jedenfalls vor 2004, bei den Eltern des Erstbeschwerdeführers Unterkunft nehmen. In seinem Fluchtvorbringen schilderte der Erstbeschwerdeführer überdies, dass seine Familie Rebellen in ihren weiteren Häusern untergebracht habe; die Familie des Erstbeschwerdeführers verfügt demzufolge über mehrere Häuser. Weiters gab der Erstbeschwerdeführer nicht an, warum er nicht, wie seinen Angaben zufolge vor 2012, bei der Bekannten seiner Familie in XXXX wohnen könnte, wo die gesamte Familie, den Angaben der Zweitbeschwerdeführerin entsprechend, zeitweilig während des Krieges lebte.
2.6. Der Drittbeschwerdeführer litt an Angstzuständen und stand bis 2014 in psychotherapeutischer Behandlung. Auf Grund der Angaben der Zweitbeschwerdeführerin steht fest, dass diese Behandlung mit der Geburt der Fünftbeschwerdeführerin 2014 abgebrochen wurde, weil sie ihn aus diesem Grund nicht begleiten konnte und er nicht alleine hingehen wollte. Seither steht der Drittbeschwerdeführer nicht mehr in Behandlung. Dass er auf Grund des Umzugs nach XXXX im März 2016 nicht mehr in Behandlung stehe, weil es so lange Wartelisten gebe, wie in der Stellungnahme zu den Länderberichten ausgeführt wird, findet in den Angaben der Zweitbeschwerdeführerin keine Deckung. Dass der Drittbeschwerdeführer an einer physischen Erkrankung leidet, wie in der Stellungnahme zu den Länderberichten vorgebracht wird, findet in den Angaben der Beschwerdeführer keine Deckung. Es kann daher nicht festgestellt werden, dass der Drittbeschwerdeführer aktuell an einer behandlungsbedürftigen Krankheit leidet.
2.7. Die Feststellungen zu den Länderberichten ergeben sich aus den a. a.O. zitierten Quellen.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.
Gemäß § 1 VwGVG regelt dieses Bundesgesetz das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der BAO, des AgrVG und des DVG und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte. Entgegenstehende Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht sind, bleiben unberührt (§ 58 Abs. 2 VwGVG).
§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG 2005 und FPG bleiben unberührt. Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA-VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.
Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).
Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.
Zu A.)
3.2. Zur Entscheidung über die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten:
3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 idgF kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; VwGH 19.04.2001, 99/20/0273).
Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).
Kann Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden, und kann ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden, so ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind (§ 11 Abs. 1 AsylG).
3.2.2. Das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer, die einen Folgeantrag stellten, im ersten Asylverfahren wurde mit Erkenntnissen des Asylgerichtshofes vom 26.11.2013 rechtskräftig für unglaubwürdig erachtet und ebenso rechtskräftig festgestellt, dass dem Erstbeschwerdeführer und seiner Familie im Herkunftsstaat weder Verfolgung noch Art. 2, 3 EMRK, 6., 13. ZPEMRK widersprechende Behandlung droht.
Die Beschwerdeführer bzw. ihre Vertreterin bekämpfen mit dem Vorbringen in der hg. mündlichen Verhandlung, der Asylgerichtshof habe keine mündliche Verhandlung durchgeführt, was Art. 47 GRC verletze und die Beschwerdeführer in ihrem Rechtsschutz verletzt habe, inhaltlich die Erkenntnisse des Asylgerichtshofes vom 26.11.2013. Gleiches gilt für das Vorbringen in der Stellungnahme zu den Länderberichten, das erste Asylverfahren sei äußerst mangelhaft geführt worden. In diesem Verfahren sei die posttraumatische Belastungsstörung sowie das Schädel-Hirn-Trauma völlig ignoriert worden, ebenso das Fluchtvorbringen der Zweitbeschwerdeführerin. Durch die Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung habe der Asylgerichtshof im ersten Asylverfahren sowohl Art. 47 GRC als auch das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
Das Bundesverwaltungsgericht ist jedoch nicht zur Revision rechtskräftiger Entscheidungen des Asylgerichtshofes zuständig. Anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 47 GRC, da der Gerichtshof der Europäischen Union in ständiger Rechtsprechung die Rechtssicherheit als anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsatz achtet und judiziert, dass das Unionsrecht Verwaltungsbehörden nicht verpflichtet, eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen (EuGH Rs C-453/00 Kühne, Slg. 2004, I-837, Rz 34; vgl. Öhlinger/Potacs, EU-Recht und staatliches Recht4, 93 f. mwN).
3.2.3. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Beschwerde nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH 30.9.1994, 94/08/0183; 30.5.1995, 93/08/0207; 9.9.1999, 97/21/0913; 7.6.2000, 99/01/0321).
"Entschiedene Sache" iSd § 68 Abs. 1 AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH 9. 9.1999, 97/21/0913; 27.9.2000, 98/12/0057; 25.4.2002, 2000/07/0235). Werden nur Nebenumstände modifiziert, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind, so ändert dies nichts an der Identität der Sache. Nur eine wesentliche Änderung des Sachverhaltes - nicht bloß von Nebenumständen - kann zu einer neuerlichen Entscheidung führen (vgl. zB VwGH 27.9.2000, 98/12/0057; 25.4.2007, 2004/20/0100). Liegt keine relevante Änderung der Rechtslage oder des Begehrens vor und hat sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt nicht geändert, so steht die Rechtskraft des Vorbescheides einer inhaltlichen Erledigung des neuerlichen Antrages entgegen. Stützt sich ein Asylantrag auf einen Sachverhalt, der verwirklicht worden ist, bevor das Verfahren über einen (früheren) Antrag beendet worden ist, so steht diesem (zweiten) Antrag die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH 10.6.1998, 96/20/0266).
Anderes ergibt sich auch nicht aus § 34 Abs. 4 AsylG 2005: Auf Grund dieser Bestimmung ist abweichend von § 68 Abs. 1 AVG im Familienverfahren gegenüber allen Familienangehörigen dieselbe Art der Erledigung zu treffen, dh. wenn weder der Status des Asylberechtigten, noch der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist, sind entweder alle Anträge zurückzuweisen oder alle Anträge abzuweisen (VwGH 25.11.2009, 2007/01/1153). Die im Verfahren des Familienmitgliedes, das sich im ersten Asylverfahren befindet, vorgebrachten Fluchtgründe, sind nämlich auch in den Verfahren der übrigen Familienmitglieder zu berücksichtigen (vgl. VwGH 09.04.2008, 2008/19/0205). Dies führt aber darüber hinaus nicht dazu, dass die bereits rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren der Familienmitglieder, die Folgeanträge stellen, nochmals abzuführen bzw. dass die in diesen abgeschlossenen Verfahren erstatteten Fluchtvorbringen einer neuerlichen Prüfung im Folgeverfahren zu unterziehen wären. Diese offenbar der Stellungnahme der Beschwerdeführer zugrundeliegende Rechtsansicht würde nicht nur die Absicht des Gesetzgebers, durch § 34 Abs. 4 AsylG 2005 eine Vereinfachung und Straffung der Asylverfahren zu schaffen (RV 952 BlgNR 22. GP 54 f.) und der Verfahrensökonomie und Verfahrensbeschleunigung zu dienen (VwGH 25.11.2009, 2007/01/1153), konterkarieren, sondern § 34 Abs. 4 AsylG 2005 sowohl im Hinblick auf Art. 136 Abs. 2 B-VG bzw. Art. 11 Abs. 2 B-VG, als auch im Hinblick auf Art. 1 BVG Rassendiskriminierung einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellen, da es keinen sachlichen Grund dafür gibt, dass über dasselbe, bereits rechtskräftig erledigte Vorbringen im Verfahren über einen Folgeantrag nochmals in der Sache abgesprochen werden soll, weil nach dem rechtskräftigen Abschluss des ersten Asylverfahrens ein weiteres Familienmitglied seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz stellte; dies würde vielmehr zu einer unsachlichen Besserstellung von Folgeantragstellern im Familienverfahren führen, die auch nicht zur Aufrechterhaltung des Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK (vgl. Filzwieser ua., Asyl-und Fremdenrecht 2016, AsylG 2005 § 34 K1-4) notwendig ist, da durch § 34 Abs. 4 AsylG 2005 ohnedies sichergestellt ist, dass betreffend alle Familienmitglieder gleichlautende Entscheidungen ergehen. Auf Grund des § 34 Abs. 4 AsylG 2005 ist in einem solchen Fall folglich - neben den ohnedies zu prüfenden sonstigen relevierten Sachverhaltsänderungen - zu prüfen, ob sich die im Verfahren dieses weiteren Familienmitgliedes vorgebrachten Fluchtgründe auch auf den Folgeantragsteller beziehen und darüber eine Sachentscheidung zu fällen, nicht aber sein bereits rechtskräftig erledigtes Fluchtvorbringen einer neuerlichen Beurteilung zu unterziehen.
Einer neuerlichen Entscheidung über das im ersten Asylverfahren erstattete Vorbringen steht daher die Rechtskraft der Erkenntnisse vom 26.11.2013 entgegen.
3.2.4. Aus den, in den in den Verfahren der Eltern ergangenen Erkenntnissen dargelegten Gründen kann nicht erkannt werden, dass dem Erstbeschwerdeführer oder der Zweitbeschwerdeführerin aus ihren im zweiten Asylverfahren vorgebrachten Gründen in ihrem Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung drohen würde. Betreffend die minderjährigen Beschwerdeführer wurden keine eigenen, nicht von den Eltern abgeleiteten Fluchtgründe vorgebracht. Es kann daher nicht erkannt werden, dass der Drittbeschwerdeführer im Falle der Rückkehr asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt wäre. Es bestehen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass das Leben oder die Freiheit der Beschwerdeführer aus Gründen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht wären.
Eine Gefahr bei der Wiedereinreise in die Russische Föderation besteht aus diesen Gründen ebenfalls nicht. Zurückkehrende werden wegen der Stellung eines Asylantrages im Ausland nicht verfolgt (vgl. AA 10.6.2013). Freiwillig zurückkehrende sind bei Behördenkontakten in der Regel nicht mit besonderen Problemen konfrontiert (ÖB Moskau September 2013).
3.3. Zur Entscheidung über die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten:
3.3.1. Wird ein Asylantrag "in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten" abgewiesen, so ist dem Asylwerber gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, "wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde". Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung dieses Status mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 AsylG 2005 zu verbinden.
Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. Letzteres wurde wiederum durch das Protokoll Nr. 6 beziehungsweise Nr. 13 zur Abschaffung der Todesstrafe hinfällig. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. etwa VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus. Gemäß der Judikatur des VwGH erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582; VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0095).
3.3.2. Es sind keine Umstände amtsbekannt, dass in der Russischen Föderation aktuell eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung iSd Art. 2 und 3 EMRK ausgesetzt wäre. Wie sich aus den Feststellungen ergibt, ist die Situation in Tschetschenien auch nicht dergestalt, dass eine Rückkehr der Beschwerdeführer für diese als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde; in Tschetschenien ist aktuell eine Zivilperson nicht alleine aufgrund ihrer Anwesenheit einer solchen Bedrohung ausgesetzt. Die Lage in der Russischen Föderation hat sich im Vergleich zum ersten Asylverfahren des Drittbeschwerdeführers nicht verschlechtert.
Vor dem Hintergrund der genannten Erkenntnisquellen und den darauf basierenden Feststellungen finden sich weder Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Wahrscheinlichkeit einer Gefährdungssituation im Sinne des § 8 AsylG 2005 ausgesetzt sein würden, noch das "außergewöhnliche Umstände" der Rückkehr der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat entgegenstünden. Es lässt sich nicht ersehen, dass es den Beschwerdeführern in der Russischen Föderation aktuell an der notdürftigsten Lebensgrundlage fehlen würde:
Die Beschwerdeführer verfügen über mehrere Wohnmöglichkeiten in der Russischen Föderation. Die Zweitbeschwerdeführerin war vor der Ausreise im Kosmetikbereich selbständig erwerbstätig und es sind keine Gründe ersichtlich, warum sie nicht - wie auch ihre Schwester - wieder in diesem Bereich arbeiten könnte. Auch der Erstbeschwerdeführer ist arbeitsfähig und verfügt über Berufserfahrung als Mechaniker, Lackierer und Taxifahrer. Da sowohl Familienmitglieder des Erstbeschwerdeführers als auch der Zweitbeschwerdeführerin Zugang zu Sozialleistungen haben, ist auch davon auszugehen, dass diese den Beschwerdeführern offenstehen. Alle Beschwerdeführer sprechen neben Tschetschenisch auch Russisch und verfügen über ein familiäres Netz, das sie im Falle der Rückkehr, wie auch vor ihrer Ausreise, in Anspruch nehmen können. Im Übrigen haben die Beschwerdeführer im Gegensatz zu der Stellungnahme zu den Länderberichten auch nicht behauptet, dass ihnen im Falle einer Rückkehr in ihre Heimat die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre, vielmehr brachte sowohl der Erstbeschwerdeführer als auch die Zweitbeschwerdeführerin vor, aus einer wohlhabenden Familie zu stammen. Es gibt auch NGOs, von denen die Beschwerdeführer Unterstützung erhalten können. Durch die Geburt der gesunden Fünftbeschwerdeführerin trat auch diesbezüglich keine maßgebliche Sachverhaltsänderung ein, zumal in der Russischen Föderation diverse Sozialleistungen aus dem Titel der Mutterschaft bestehen.
Irgendein besonderes "real risk", dass es durch die Rückführung der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe kommen würde, kann nicht erkannt werden, außergewöhnliche Umstände im Sinne der Judikatur des EGMR, die gegen eine Abschiebung in die Russische Föderation sprechen würden, sind nicht erkennbar.
3.4. Zum Familienverfahren:
3.4.1. Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen. Gemäß § 34 Abs. 5 AsylG 2005 gelten die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat; dies gilt weiters auch für eingetragene Partner, sofern die eingetragene Partnerschaft bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.
3.4.2. Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sind Familienangehörige iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005. Da keinem der Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz weder im Hinblick auf die Zuerkennung der Status der Asylberechtigten, noch im Hinblick auf die Zuerkennung der Status der subsidiär Schutzberechtigten stattzugeben war, kommt eine Schutzgewährung im Rahmen des § 34 Abs. 1 AsylG 2005 aber nicht in Betracht.
Da die Fünftbeschwerdeführerin erst ihren ersten Antrag auf internationalen Schutz stellte und dieser mit Erkenntnis vom selben Tag abgewiesen wird, ist gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 auch der Antrag des Drittbeschwerdeführers abzuweisen.
3.5. Zur Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung (§§ 57 und 55 AsylG sowie § 52 FPG):
3.5.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt.
Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1a FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht, zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
Der Drittbeschwerdeführer befindet sich erst seit 19.09.2012 im Bundesgebiet und sein Aufenthalt ist nicht iSd § 46 FPG geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch keine Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im verwaltungsbehördlichen Verfahren, noch im verwaltungsgerichtlichen behauptet wurde.
3.5.2. Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
Der Drittbeschwerdeführer ist kein begünstigter Drittstaatsangehörigen und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG 2005 mit der Erlassung dieser Entscheidung endet. Weder liegt ein Fall des § 8 Abs. 3a AsylG 2005 noch des § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vor.
3.5.3. Ob eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist, ergibt sich aus § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG: Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist nach § 9 Abs. 1 BFA-VG die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind nach § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, sowie die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist, zu berücksichtigen. Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.
3.5.4. Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff in die Ausübung des Rechts auf Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Vom Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z. B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, Appl. 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, Appl. 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).
Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Sisojeva ua., Appl. 60654/00, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Die Verhältnismäßigkeit einer Ausweisung - nunmehr Rückkehrentscheidung - ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.
Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VfSlg. 18.224/2007, 18.135/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).
3.5.4.1. Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme greift nicht unverhältnismäßig in das Recht des Drittbeschwerdeführers auf Familienleben ein:
Die Kernfamilie besteht aus dem Erstbeschwerdeführer, der Zweitbeschwerdeführerin sowie den minderjährigen Beschwerdeführern. Die Beschwerdeführer leben im gemeinsamen Haushalt. Da die Anträge aller Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl im Hinblick auf die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten, als auch im Hinblick auf die Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen werden und keinem der Beschwerdeführer ein Aufenthaltsrecht in Österreich außerhalb des Asylverfahrens zukam oder zukommt, stellt eine Rückkehrentscheidung zeitgleich mit den genannten Familienangehörigen vollzogen keinen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens dar; ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte Familie betroffen, greift sie lediglich in das Privatleben der Familienmitglieder und nicht auch in ihr Familienleben ein; auch dann, wenn sich einige Familienmitglieder der Abschiebung durch Untertauchen entziehen sollten (EGMR 20. 3. 1991, Fall Cruz Varas, Appl. 15.576/89).
Zu dem in Österreich als anerkannter Flüchtling lebenden Bruder der Zweitbeschwerdeführerin sowie deren Cousine besteht kein wie auch immer geartetes Abhängigkeitsverhältnis des Drittbeschwerdeführers.
3.5.4.2. Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme greift auch nicht unverhältnismäßig in das Recht des Drittbeschwerdeführers auf Privatleben ein:
Bei der Beurteilung der Frage, ob der Drittbeschwerdeführer in Österreich über schützenswertes Privatleben verfügt, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Ausgehend davon, dass der Verwaltungsgerichtshof bei einem dreieinhalbjährigen Aufenthalt im Allgemeinen von einer eher kürzeren Aufenthaltsdauer ausgeht (vgl. Chvosta, ÖJZ 2007/74 unter Hinweis auf die VwGH 8.3.2005, 2004/18/0354; 27.3.2007, 2005/21/0378), und im Erkenntnis vom 26.6.2007, 2007/10/0479, feststellt, "dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte", ist im Fall des Drittbeschwerdeführers, der sich erst seit September 2012 - sohin seit weniger als vier Jahren - in Österreich aufhält, anzunehmen, dass der Aufenthalt im Bundesgebiet zu kurz ist, um schützenswertes Privatleben in Österreich zu entwickeln.
Selbst für den Fall, dass man vom Vorliegen schützenswerten Privatlebens ausginge, wäre ein Eingriff in dieses verhältnismäßig:
Dass der Fremde strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (zB VwGH 25.2.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.4.2012, 2011/18/0253).
Der Drittbeschwerdeführer reiste in Begleitung seiner Eltern illegal nach Österreich ein (vgl. dazu VwGH 22.1.2009, 2008/21/0654) und verfügte nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens. Sein erster Asylantrag wurde mit Erkenntnis vom 26.11.2013 abgewiesen. Seither hält er sich entgegen der Ausreiseverpflichtung auf Grund der mit diesem Erkenntnis gegen ihn erlassenen Ausweisung in Österreich auf; die Schutzwürdigkeit seines Privatlebens für die Zeit danach ist sohin deutlich gemindert, auch wenn ihm das nicht im selben Ausmaß wie seinen Eltern zuzurechnen ist. Die Dauer der Asylverfahren überstieg mit etwas mehr als einem Jahr bzw. weniger als drei Jahren nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthalts im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 4.12.2012, Fall Butt, Appl. 47.017/09, Z 85 f.).
Soweit Kinder von einer Ausweisung betroffen sind, sind nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen (vgl. EGMR 18.10.2006, Fall Üner, Appl. 46.410/99, Z 58; 6.7.2010, Fall Neulinger ua., Appl. 1615/07, Z 146). Maßgebliche Bedeutung hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dabei den Fragen beigemessen, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter ("adaptable age"; vgl. EGMR 31.7.2008, Fall Darren Omoregie ua., Appl. 265/07, Z 66; EGMR 17.2.2009, Fall Onur, Appl. 27.319/07, Z 60; 24.11.2009, Fall Omojudi, Appl. 1820/08, Z 46; siehe dazu auch VwGH 17.12.2007, Zlen. 2006/01/0216 bis 0219) befinden.
Der sechzehnjährige Drittbeschwerdeführer ist in der Russischen Föderation geboren und verbrachte dort die ersten zwölf Jahre seines Lebens. Zudem lebt er auch in Österreich im Familienverband mit den Eltern, wo Tschetschenisch gesprochen wird, und hat Kontakt mit den in Österreich lebenden Familien des Bruders und der Cousine der Zweitbeschwerdeführerin sowie seit 2016 einen russischen Freund in XXXX, weshalb davon auszugehen ist, dass er mit den kulturellen Gegebenheiten ihres Heimatlandes und seiner Muttersprache vertraut gemacht wurden.
Er verfügt auch in der Russischen Föderation über zahlreiche Verwandte, mit denen er zum Teil sogar in Hausgemeinschaft lebte (zB die Familie seiner Tante mütterlicherseits und die Großeltern väterlicherseits), weshalb nicht festgestellt werden kann, dass die Beziehung zu den in Österreich lebenden Verwandten schwerer zu gewichten ist, als die Beziehung zu den in der Russischen Föderation lebenden Verwandten.
Der Drittbeschwerdeführer besuchte in Österreich dreieinhalb Jahre - allerdings erfolglos - die Schule, in der Russischen Föderation sechs Jahre lang. Auch wenn der Drittbeschwerdeführer angibt, die österreichischen Lehrer vorzuziehen, kann daraus kein Überwiegen der Beziehung zu Österreich abgeleitet werden. Er spricht Tschetschenisch, Russisch, Deutsch und ein bisschen Englisch.
Der Drittbeschwerdeführer befindet sich mit sechzehn Jahren nicht mehr im anpassungsfähigen Alter. Auf Grund seiner engen Beziehungen zum russischen Kulturraum in Österreich durch die Beziehung zu seiner Familie, den Verwandten und dem Freund einerseits und der Tatsache, dass er zwölf Jahre seines Lebens und auch den Großteil seiner Schulbildung in der Russischen Föderation verbracht hat, kann nicht festgestellt werden, dass er bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft in der Russischen Föderation vor unverhältnismäßigen Hürden stünde.
Das Interesse der Beschwerdeführer an der Aufrechterhaltung ihrer privaten Kontakte in Österreich ist noch zusätzlich dadurch geschwächt, dass sie sich bei allen Integrationsschritten ihres unsicheren bzw. unrechtmäßigen Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit ihrer Integrationsschritte bewusst sein mussten: Die Beschwerdeführer durften sich hier bisher nur auf Grund ihrer Anträge auf internationalen Schutz aufhalten, die zu keinem Zeitpunkt berechtigt waren (vgl. zB VwGH 20.2.2004, 2003/18/0347; 26.2.2004, 2004/21/0027; 27.4.2004, 2000/18/0257; sowie EGMR 8.4.2008, Fall Nnyanzi, Appl. 21.878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten darf, begründetes Privatleben per se nicht geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).
Dass sich Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat ihres unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit ihrer Integrationsschritte bewusst sein müssen, gilt so für Asylwerber, die selbstständig nach Österreich einreisen; minderjährigen Kindern kann dies nicht in gleichem Maß zugerechnet werden wie den Obsorgeberechtigten (VfSlg. 19.086/2010, 19.357/2011, 19.612/2011, 19.752/2013). Dennoch überwiegen auf Grund der vorliegenden Umstände die öffentlichen Interessen auch im Hinblick auf den minderjährigen Drittbeschwerdeführer.
Diesen schwach ausgeprägten privaten Interessen des Drittbeschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251). Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes überwiegen daher derzeit die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, insbesondere das Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit die privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet (vgl. dazu VfSlg. 17.516/2005 sowie ferner VwGH 26.6.2007, 2007/01/0479).
Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet das persönliche Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden, die im gegenständlichen Fall den Ausspruch, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, rechtfertigen würden.
3.5.5. Gemäß § 55 Abs.1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn 1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.
Obigen Erwägungen zufolge sind daher auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 55 AsylG 2005 nicht gegeben.
3.5.6. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.
Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
Nach § 50 Abs. 2 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 Genfer Flüchtlingskonvention), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
Nach § 50 Abs. 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
Die Zulässigkeit der Abschiebung des Drittbeschwerdeführers in den Herkunftsstaat ist gegeben, da den Feststellungen (vgl. II/1.) zufolge keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.
3.5.7. Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.
Da somit alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer Rückkehrentscheidung und die gesetzte Frist für die freiwillige Ausreise vorliegen, ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides gemäß §§ 52 Abs. 2 Z 2 iVm Abs. 9 und 55 Abs. 1 FPG idgF sowie §§ 55 und 57 AsylG 2005 idgF als unbegründet abzuweisen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen - im Rahmen der rechtlichen Beurteilung bereits wiedergegebenen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
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