BVwG W246 1432786-2

BVwGW246 1432786-27.9.2017

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
B-VG Art.133 Abs4
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2017:W246.1432786.2.00

 

Spruch:

W246 1432786-2/8E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Heinz VERDINO als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX (auch XXXX und XXXX), StA. Afghanistan, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Herbert POCHIESER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.10.2016, Zl. 821154202-150530738, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25. und 26.07.2017 zu Recht:

 

A)

 

I. Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen die Spruchpunkte I. bis III. des angefochtenen Bescheides richtet, gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 9 Abs. 1 Z 1, § 10 Abs. 1 Z 5 und § 57 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z 4, § 52 Abs. 9 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

 

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides wird mit der Maßgabe stattgegeben, dass die Dauer des Einreiseverbots gemäß § 53 Abs. 1 iVm § 53 Abs. 3 Z 1 FPG auf sechs Jahre herabgesetzt wird.

 

III. Der Antrag auf Kostenersatz wird als unzulässig zurückgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 28.08.2012 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

 

2. Das - zum damaligen Zeitpunkt zuständige - Bundesasylamt wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 08.02.2013 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 38/2011, ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm gemäß § 8 Abs. 1 leg.cit. den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 leg.cit. eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.), die in der Folge mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.02.2014 verlängert wurde.

 

3. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.06.2015 wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen den o.a. Bescheid vom 08.02.2013 erhobene Beschwerde mit Erkenntnis vom 23.07.2015 gemäß § 3 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 70/2015, als unbegründet ab.

 

4. Nach am 10.03.2016 erfolgter Einvernahme des Beschwerdeführers erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ihm mit Bescheid vom 29.10.2016 den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 24/2016, von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.). Weiters erteilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ihm gegenüber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 leg.cit., erließ ihm gegenüber gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 leg.cit. eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 144/2013, und stellte gemäß § 52 Abs. 9 leg.cit. fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 leg.cit. zulässig sei (Spruchpunkt II.). Zudem sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 leg.cit. die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt III.). Schließlich erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 iVm § 53 Abs. 3 Z 1 leg.cit. ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt IV.).

 

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl aus, dass auf Grund der Verurteilung des Beschwerdeführers wegen eines Verbrechens, konkret einer Vergewaltigung nach § 201 Abs. 1 StGB, ein Verfahren zur Aberkennung des ihm zuvor zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten einzuleiten gewesen sei. Den aktuellen Länderinformationen folgend sei zwar nach wie vor von einer allgemeinen Gefährdungslage in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers auszugehen, jedoch sei dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul durchaus zumutbar. Schließlich führt der angefochtene Bescheid aus, dass die öffentlichen Interessen an der Außerlandesbringung des Beschwerdeführers gegenüber seinen privaten Interessen am Verbleib in Österreich überwiegen würden und ein Eingriff in seine durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte daher als gerechtfertigt anzusehen sei.

 

5. Mit Verfahrensanordnung vom 30.09.2016 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 25/2016, der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

 

6. Der Beschwerdeführer erhob gegen den oben angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.10.2016 fristgerecht Beschwerde, welche am 31.10.2016 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. In der Beschwerde wird u.a. beantragt, dass dem Rechtsträger der belangten Behörde gemäß § 35 VwGVG iVm der VwG-Aufwandersatzverordnung der Ersatz der dem Beschwerdeführer entstandenen Verfahrenskosten aufzutragen sei.

 

6.1. Die Beschwerde führt unter Hinweis auf verschiedene Länderberichte und Judikatur v.a. aus, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan eine Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK nach sich ziehen würde und daher unzulässig sei. Die Sicherheitslage sei in ganz Afghanistan prekär, in der Hauptstadt Kabul verschlimmere sich diese zunehmend. Zudem leide der Beschwerdeführer an einer posttraumatischen Belastungsstörung, die in Afghanistan nicht behandelt werden könne.

 

6.2. Weiters führt die Beschwerde aus, dass eine grundlegende Interessenabwägung zwischen den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich und den öffentlichen Interessen an seiner Außerlandesbringung nicht vorgenommen worden sei und daher sein Recht auf Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK verletzt worden sei. Er lebe nunmehr seit vier Jahren in Österreich und sei von Anfang an darum bemüht gewesen, sich in sprachlicher, beruflicher und sozialer Sicht gut zu integrieren. Bei der Begehung seiner Straftaten sei der Beschwerdeführer minderjährig gewesen, zudem leide er auf Grund seiner schwerstbelastenden Lebensgeschichte an einer Traumafolgestörung. Er stehe nun in medizinischer Behandlung und habe sich seither nichts zu Schulden kommen lassen. Er beherrsche die deutsche Sprache entgegen der Annahme des Bundesamtes für Fremdenwesen nicht nur auf "einfachem Niveau", sondern habe er zuletzt auch einen B1-Kurs besucht und der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl auch ohne Dolmetscher ausreichend folgen können bzw. die Fragen des Referenten auf Deutsch beantworten können.

 

6.3. Mit der Beschwerde legte der Beschwerdeführer folgende Unterlagen vor:

 

* Teilnahmebestätigung am Workshop zum Thema "Gesellschaft"

 

* "Sozialbericht der Bewährungshilfe" vom 06.07.2016

 

* Schreiben des forensisch-therapeutischen Zentrums Wien vom 08.09.2016, wonach der Beschwerdeführer medikamentös behandelt werde und an einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer Anpassungsstörung leide

 

* "Bestätigung über Psychotherapie" des forensisch-therapeutischen Zentrums Wien vom 01.07.2016

 

* Fachärztliche Bestätigung des Ambulatoriums für Kinder und Jugendliche in Krisensituationen vom 20.10.2015, wonach der Beschwerdeführer an einer posttraumatischen Belastungsstörung mit massiven Angstzuständen leide

 

7. Mit Schreiben vom 18.11.2016 legte der Beschwerdeführer im Wege seines Rechtsvertreters eine Dienstnehmerbestätigung und einen Lohnzettel, beides von Oktober 2016, vor.

 

8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 25. und 26.07.2017 u.a. in Anwesenheit des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer u.a. ausführlich zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat und zu seinem Privat- und Familienleben befragt wurde. Weiters wurden der in Österreich aufhältige ältere Bruder und die Bewährungshelferin des Beschwerdeführers als Zeugen einvernommen.

 

Der Beschwerdeführer legte in der mündlichen Verhandlung folgende Unterlagen vor:

 

* "Bestätigung über Psychotherapie" des forensisch-therapeutischen Zentrums Wien vom 27.06.2017

 

* Schreiben seines Dienstgebers vom 20.07.2017

 

* Lohn- und Gehaltsbestätigung vom 20.07.2017

 

* Lohnzettel von Dezember 2016

 

* Praktikumsvertrag vom 23.11.2016

 

* Ausbildungsvertrag vom 08.11.2016

 

* Teilnahmebestätigung am Workshop zum Thema "Berufswelt"

 

9. Mit Schreiben vom 17.08.2017 nahm der Beschwerdeführer im Wege seines Rechtsvertreters zu den vom Bundesverwaltungsgericht mit der Ladung übermittelten bzw. in der mündlichen Verhandlung übergebenen Länderberichten Stellung.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Antrages auf internationalen Schutz, der Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Stellungnahme vom 17.08.2017, der Einsichtnahme in die Bezug habenden Verwaltungs- und Gerichtsakten sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, Fremdeninformationssystem, Strafregister und Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

 

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

 

1.1.1. Der Beschwerdeführer trägt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren. Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und sunnitischer Muslim.

 

Der Beschwerdeführer wurde in einem Dorf im Distrikt XXXX in der Provinz Nangarhar in Afghanistan geboren, wo er sechs Jahre die Schule besuchte. Der Beschwerdeführer war in Afghanistan nie berufstätig und nie außerhalb der Provinz Nangarhar wohnhaft.

 

Die Mutter, drei Schwestern und der jüngere Bruder des Beschwerdeführers sind nach wie vor im Heimatdorf aufhältig; der Beschwerdeführer steht mit diesen Familienangehörigen in regelmäßigem Kontakt und unterstützt sie - wie auch sein in Österreich aufhältiger älterer Bruder - von Österreich aus durch finanzielle Zuwendungen.

 

1.1.2. Der Beschwerdeführer reiste im Sommer 2011 gemeinsam mit seinem älteren Bruder aus Afghanistan aus und gelangte über Pakistan und den Iran in die Türkei, wo er von seinem Bruder getrennt wurde und in der Folge für einen längeren Zeitraum aufhältig war. In weiterer Folge gelangte er über ihm unbekannte Länder nach Österreich, wo er am 28.08.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

 

1.1.3. Der Beschwerdeführer leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer Anpassungsstörung und einer Traumafolgestörung. Er steht in psychotherapeutischer Behandlung.

 

1.1.4. Seit seiner Antragstellung befindet sich der Beschwerdeführer auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 idF BGBl. I Nr. 68/2017, (in der Folge: AsylG 2005) durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet.

 

Er bezog von seiner Einreise bis Februar 2016 Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung. Der Beschwerdeführer absolvierte von 28.11. bis 23.12.2016 ein Praktikum als Koch in einem Restaurant in XXXX, wo er nun seit 12.04.2017 als Abwäscher bzw. Küchengehilfe beschäftigt ist und € XXXX netto/Monat verdient. Zudem arbeitete der Beschwerdeführer zuvor für mehrere Monate bei einer Firma als Verpacker von Lebensmitteln, die an Supermärkte geliefert werden.

 

Der Beschwerdeführer besuchte mehrere Deutschkurse. Er spricht zwar etwas gebrochen, aber hinreichend verständlich Deutsch.

 

Der Beschwerdeführer nahm an Workshops zu den Themen "Gesellschaft" und "Berufswelt" teil.

 

Seit Begehung seiner zweiten strafrechtlichen Verurteilung ist der Beschwerdeführer erkennbar um seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft und seine Integration in Österreich bemüht.

 

Der ältere Bruder des Beschwerdeführers, XXXX, geb. XXXX, ist in Österreich aufhältig und war von 11.11.2014 bis zum Erreichen der Volljährigkeit des Beschwerdeführers mit seiner Obsorge betraut. Der Beschwerdeführer lebt seit ca. drei Jahren bei seinem Bruder in einer Wohnung in Wien. Der Beschwerdeführer und sein Bruder pflegen ein enges Verhältnis und stehen sich Nahe. Der Bruder des Beschwerdeführers ist willig, den Beschwerdeführer finanziell zu unterstützen.

 

Der Beschwerdeführer weist in Österreich folgende strafgerichtliche Verurteilungen auf:

 

* Urteil des Landesgerichtes für XXXX vom XXXX hinsichtlich 4-wöchiger, bedingter Freiheitsstrafe als junger Erwachsener wegen Sachbeschädigung sowie Versuchs des gewerbsmäßigen Erwerbs, des Besitzes und der Überlassung von Suchtgift (§ 125 StGB; §§ 27 Abs. 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall, 27 Abs. 2 und 3; Tatzeitpunkt

XXXX),

 

* Urteil des Landesgerichtes für XXXX vom XXXX hinsichtlich 18-monatiger, bedingter Freiheitsstrafe als junger Erwachsener wegen Vergewaltigung (§ 201 Abs. 1 StGB; Tatzeitpunkt XXXX; Milderungsgründe: "bisher ordentlicher Lebenswandel, psychische Beeinträchtigung").

 

1.2. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

 

Dem Beschwerdeführer würde zwar bei einer Rückkehr nach Afghanistan in die Provinz Nangarhar ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen. Jedoch liefe der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedlung in der Stadt Kabul nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

 

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

 

1.3.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017 samt Aktualisierung von Mai 2017 (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

 

Sicherheitslage

 

Allgemeines

 

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten - speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.1.2017).

 

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint Einzelberichten zufolge auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan, 17.2.2017).

 

Mit Stand September 2016 schätzt die Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren, und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung, und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghaninischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.1.2017).

 

Einem Bericht des U.S.-amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen - ausgeführt durch die Polizei und das Militär - landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 5.1.2017).

 

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: Intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.8. - 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

 

Kontrolle von Distrikten und Regionen

 

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im 3. Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.1.2017).

 

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. -einfluss; dies bedeutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal: Zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren Uruzgan mit 5 von 6 Distrikten und Helmand mit 8 von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, den Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand) sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.1.2017).

 

Rebellengruppen

 

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin durch Bedrohungen, Entführungen und gezielte Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).

 

Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistischen Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan - gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).

 

Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihren Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9 .2016).

 

Taliban und ihre Offensive

 

Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).

 

Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstützte Regierung zu vertreiben (Reuters 12.4.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).

 

Der derzeitig Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen wie dem Islamischen Staat waren die afghanischen Taliban geschwächt. Hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz - größtenteils unter Talibankontrolle - liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand wie einst Mansour (Reuters 27.1.2017).

 

Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.5.2016; vgl. auch: The National 13.1.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt - ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter -, der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.5.2016; vgl. auch: The National 13.1.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.1.2017) und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.5.2016).

 

Haqqani-Netzwerk

 

Das Haqqani-Netzwerk ist eine sunnitische Rebellengruppe, die durch Jalaluddin Haqqani gegründet wurde. Sirajuddin Haqqani, Sohn des Jalaluddin, führt das Tagesgeschäft, gemeinsam mit seinen engsten Verwandten (NCTC o.D.). Sirajuddin Haqqani wurde zum Stellvertreter des Talibanführers Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt (The National 13.1.2017).

 

Das Netzwerk ist ein Verbündeter der Taliban - dennoch ist es kein Teil der Kernbewegung (CRS 26.5.2016). Das Netzwerk ist mit anderen terroristischen Organisationen in der Region, inklusive al-Qaida und den Taliban, verbündet (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (CRS 12.1.2017). Das Netzwerk ist hauptsächlich in Nordwaziristan (Pakistan) zu verorten und führt grenzübergreifende Operationen nach Ostafghanistan und Kabul durch (NCTC o.D.).

 

Das Haqqani-Netzwerk ist fähig - speziell in der Stadt Kabul - Operationen durchzuführen; es finanziert sich durch legale und illegale Geschäfte in den Gegenden Afghanistans, in denen es eine Präsenz hat, aber auch in Pakistan und im Persischen Golf. Das Netzwerk führt vermehrt Entführungen aus - wahrscheinlich um sich zu finanzieren und seine Wichtigkeit zu stärken (CRS 12.1.2017).

 

Kommandanten des Haqqani-Netzwerks sagten zu Journalist/innen, das Netzwerk sei bereit, eine politische Vereinbarung mit der afghanischen Regierung zu treffen, sofern sich die Taliban dazu entschließen würden, eine solche Vereinbarung einzugehen (CRS 12.1.2017).

 

Al-Qaida

 

Laut US-amerikanischen Beamten war die Präsenz von al-Qaida in den Jahren 2001 bis 2015 minimal (weniger als 100 Kämpfer); al-Qaida fungierte als Unterstützer für Rebellengruppen (CRS 12.1.2017). Im Jahr 2015 entdeckten und zerstörten die afghanischen Sicherheitskräfte gemeinsam mit US-Spezialkräften ein Camp der al-Quaida in der Provinz Kandahar (CRS 12.1.2017; vgl. auch: FP 2.11.2015); dabei wurden 160 Kämpfer getötet (FP 2.11.2015). Diese Entdeckung deutet darauf hin, dass al-Qaida die Präsenz in Afghanistan vergrößert hat. US-amerikanische Kommandanten bezifferten die Zahl der Kämpfer in Afghanistan mit 100 - 300, während die afghanischen Behörden die Zahl der Kämpfer auf 300 - 500 schätzten (CRS 12.1.2017). Im Dezember 2015 wurde berichtet, dass al-Qaida sich primär auf den Osten und Nordosten konzentrierte und nicht wie ursprünglich von US-amerikanischer Seite angenommen nur auf Nordostafghanistan (LWJ 16.4.2016).

 

IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh - Islamischer Staat

 

Seit dem Jahr 2014 hat die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) eine kleine Präsenz in Afghanistan etabliert (RAND 28.11.2016). Die Führer des IS nennen diese Provinz Wilayat Khorasan - in Anlehnung an die historische Region, die Teile des Irans, Zentralasien, Afghanistan und Pakistan beinhaltete (RAND 28.11.2016; vgl. auch:

MEI 5.2016). Anfangs wuchs der IS schnell (MEI 5.2016). Der IS trat im Jahr 2014 in zwei getrennten Regionen in Afghanistan auf: In den östlichsten Regionen Nangarhars, an der AfPak-Grenze und im Distrikt Kajaki in der Provinz Helmand (USIP 3.11.2016).

 

Trotz Bemühungen, seine Macht und seinen Einfluss in der Region zu vergrößern, kontrolliert der IS nahezu kein Territorium außer kleineren Gegenden wie z.B. die Distrikte Deh Bala, Achin und Naziyan in der östlichen Provinz Nangarhar (RAND 28.11.2016; vgl. auch: USIP 3.11.2016). Zwar kämpfte der IS hart in Afghanistan, um Fuß zu fassen. Die Gruppe wird von den Ansässigen jedoch großteils als fremde Kraft gesehen (MEI 5.2016). Nur eine handvoll Angriffe führte der IS in der Region durch. Es gelang ihm nicht, sich die Unterstützung der Ansässigen zu sichern; auch hatte er mit schwacher Führung zu kämpfen (RAND 28.11.2016). Der IS hatte mit Verlusten zu kämpfen (MEI 5.2016). Unterstützt von internationalen Militärkräften führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

 

Auch wenn die Gruppierung weiterhin interne Streitigkeiten der Taliban ausnützt, um die Präsenz zu halten, ist sie mit einem harten Kampf konfrontiert, um permanenter Bestandteil komplexer afghanischer Stammes- und Militärstrukturen zu werden. Anhaltender Druck durch US-amerikanische Luftangriffe haben weiterhin die Möglichkeiten des IS in Afghanistan untergraben; auch wird der IS weiterhin davon abgehalten, seinen eigenen Bereich in Afghanistan einzunehmen (MEI 5.2016). Laut US-amerikanischem Außenministerium hat der IS keinen sicherheitsrelevanten Einfluss außerhalb von isolierten Provinzen in Ostafghanistan (SIGAR 30.1.2017).

 

Unterstützt von internationalen Militärkräften führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch - dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

 

Presseberichten zufolge betrachtet die afghanische Bevölkerung die Talibanpraktiken als moderat im Gegensatz zu den brutalen Praktiken des IS. Kämpfer der Taliban und des IS gerieten aufgrund politischer oder anderer Differenzen, aber auch aufgrund der Kontrolle von Territorium, aneinander (CRS 12.1.2017).

 

Zivile Opfer

 

Die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) dokumentiert weiterhin regierungsfeindliche Elemente, die illegale und willkürliche Angriffe gegen Zivilist/innen ausführen (UNAMA 10.2016). Zwischen 1.1. und 31.12.2016 registrierte UNAMA 11.418 zivile Opfer (3.498 Tote und 7.920 Verletzte) - dies deutet einen Rückgang von 2% bei Getöteten und eine Erhöhung um 6% bei Verletzten im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 an. Bodenkonfrontation waren weiterhin die Hauptursache für zivile Opfer, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attentaten sowie unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen (IED) und gezielter und willkürlicher Tötungen (UNAMA 6.2.2017).

 

UNAMA verzeichnete 3.512 minderjährige Opfer (923 Kinder starben und 2.589 wurden verletzt) - eine Erhöhung von 24% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres; die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn. Hauptursache waren Munitionsrückstände, deren Opfer meist Kinder waren. Im Jahr 2016 wurden 1.218 weibliche Opfer registriert (341 Tote und 877 Verletzte), dies deutet einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vorjahr an (UNAMA 6.2.2017).

 

Hauptsächlich waren die südlichen Regionen von dem bewaffneten Konflikt betroffen: 2.989 zivile Opfer (1.056 Tote und 1.933 Verletzte) - eine Erhöhung von 17% gegenüber dem Jahr 2015. In den zentralen Regionen wurde die zweithöchste Rate an zivilen Opfern registriert: 2.348 zivile Opfer (534 Tote und 1.814 Verletzte) - eine Erhöhung von 34% gegenüber dem Vorjahreswert, aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Angriffen auf die Stadt Kabul. Die östlichen und nordöstlichen Regionen verzeichneten einen Rückgang bei zivilen Opfern: 1.595 zivile Opfer (433 Tote und 1.162 Verletzte) im Osten und 1.270 zivile Opfer (382 Tote und 888 Verletzte) in den nordöstlichen Regionen. Im Norden des Landes wurden 1.362 zivile Opfer registriert (384 Tote und 978 Verletzte) sowie in den südöstlichen Regionen 903 zivile Opfer (340 Tote und 563 Verletzte). Im Westen wurden 836 zivile Opfer (344 Tote und 492 Verletzte) und 115 zivile Opfer (25 Tote und 90 Verletzte) im zentralen Hochgebirge registriert (UNAMA 6.2.2017).

 

Laut UNAMA waren 61% aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben (hauptsächlich Taliban), 24% regierungsfreundlichen Kräften (20% den afghanischen Sicherheitskräften, 2% bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppen und 2% internationalen militärischen Kräften); Bodenkämpfe zwischen regierungsfreundlichen Kräften und regierungsfeindlichen Kräften waren Ursache für 10% ziviler Opfer, während 5% der zivilen Opfer vorwiegend durch Unfälle mit Munitionsrückständen bedingt waren (UNAMA 6.2.2017).

 

Sicherheitsbehörden

 

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) bestehen aus folgenden Komponenten: Der afghanischen Nationalarmee (ANA), welche auch die Luftwaffe (AAF) und das ANA-Kommando für Spezialoperationen (ANASOC) beinhaltet; der afghanischen Nationalpolizei (ANP), die ebenso die uniformierte afghanische Polizei beinhaltet (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Grenzpolizei (ABP) und der afghanischen Polizei, die Verbrechen bekämpft (AACP). Sie stehen unter der Kontrolle des Verteidigungsministeriums. Die afghanische Lokalpolizei (ALP) sowie ihre Komponenten (etwa die afghanischen Kräfte zum Schutz der Öffentlichkeit [APPF] und die afghanische Polizei zur Drogenbekämpfung [CNPA]) sind unter der Führung des Innenministeriums (USDOD 6. 2016).

 

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (Afghan National Defense and Security Forces, ANDSF) haben - wenn auch unbeständig - Fortschritte gemacht. Sie führten ihre Frühjahrs- und Sommeroperationen erfolgreich durch. Ihnen gelang es, im August 2016 mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern. Schwierigkeiten in Schlüsselbereichen wie Spionage, Luftfahrt und Logistik verbesserten sich, beeinträchtigten dennoch die Schlagkraft. Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016).

 

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben zwar im Jahr 2015 die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernommen (AA 9 .2016; vgl. auch: USIP 5.2016); dennoch werden sie teilweise durch US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 6.2016).

 

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan's Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan Local Police (ALP). Die (Afghan National Police [ANP]) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig. Ihre primäre Aufgabe ist die Bekämpfung der Aufständischen. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen (USDOS 13.4.2016).

 

Die autorisierte Truppenstärke der ANDSF wird mit 352.000 beziffert (USDOD 6.2016), davon 4.228 Frauen (SIGAR 30.7.2016).

 

Die monatlichen Ausfälle (umfasst alle geplanten und ungeplanten Ausfälle von Pensionierungen über unerlaubte Abwesenheit bis hin zu Gefallenen) der ANDSF liegen bei 2.4% - eine leichte Erhöhung gegenüber dem Dreijahresmittel von 2.2% (USDOD 6.2016).

 

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

 

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption und die Produktion sowie den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit aber in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Das Langzeitziel der ANP ist weiterhin, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln. Mit Stand 31.5.2016 beträgt die Stärke der ANP etwa 148.000 Mann. Dies beinhaltet nicht die rund 6.500 Auszubildenden in Polizeiakademien und andere, die Ausbildungszentren landesweit ausgebildet werden. Frauen sind mit etwa 1.8% in der ANP vertreten (USDOD 6.2016). 2.834 Polizistinnen sind derzeit bei der Polizei, dies beinhaltete auch jene, die in Ausbildung sind (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: Sputnik News 14.6.2016).

 

Die Personalstärke der ALP beträgt etwa 28.800 Mann; zusätzlich autorisiert sind weitere 30.000 Mann, welche nicht in der allgemeinen ANDSF-Struktur inkludiert sind (USDOD 6.2016). Aufgabe der ALP ist es, Sicherheit innerhalb von Dörfern und ländlichen Gebieten zu gewährleisten, indem die Bevölkerung vor Angriffen durch Aufständische geschützt wird, Anlagen gesichert und lokale Aktionen gegen Rebellen durchgeführt werden (USDOD 6.2016).

 

Die monatlichen Ausfälle der ANP betragen über die letzten Jahre relativ stabil durchschnittlich 1.9% (USDOD 6.2016).

 

Afghanische Nationalarmee (ANA)

 

Die afghanische Nationalarmee (ANA) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit verantwortlich, primär bekämpft sie den Aufstand im Inneren (USDOS 13.4.2016).

 

Mit Stand 31. Mai 2016 betrug der autorisierte Personalstand der ANA 171.000 Mann, inklusive 7.100 Mann in den Luftstreitkräften (Afghan Air Force - AAF); etwa 820 Frauen sind in der ANA, inklusive AAF. Die Ausfälle in der ANA sind je nach Einheit unterschiedlich. Die allgemeine Ausfallsquote lag unter 3%, gegenüber 2,5% in der letzten Berichtsperiode. Die Einheiten der Luftstreitkräfte und der afghanischen Spezialeinheiten (ASSF) hielten weiterhin die niedrigsten Ausfallsquoten und die höchsten Verbleibquoten aller ANDSF-Teile (USDOD 6.2016).

 

Die Vereinigten Staaten von Amerika errichteten fünf Militärbasen in: Herat, Gardez, Kandahar, Mazar-e Sharif und Kabul (CRS 8.11.2016).

 

Resolute Support Mission

 

Die "Resolute Support Mission" ist eine von der NATO-geführte Mission, die mit 1. Jänner 2015 ins Leben gerufen wurde. Hauptsächlich konzentriert sie sich auf Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsaktivitäten auf ministerieller und Behördenebene sowie in höheren Ebenen der Armee und Polizei. Die personelle Stärke der Resolute Support Mission beträgt 13.000 (durch NATO und anderen Partnernationen). Das Hauptquartier ist in Kabul (Bagram) mit vier weiteren Niederlassungen in Mazar-e-Sharif, Herat, Kandahar und Laghman (NATO 5.2016).

 

Sicherheitslage in den einzelnen Provinzen

 

Kabul

 

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, an Nangarhar im Südosten, an Logar im Süden und an (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham-Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten (Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.523.718 geschätzt (CSO 2016).

 

Im Zeitraum 1.9.2015 bis 31.5.2016 wurden im Distrikt Kabul 151 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016). Im Zeitraum 1.9.2015. bis 31.5.2016 wurden in der gesamten Provinz Kabul 161 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

 

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren (USDOD 12.2015). Aufständischengruppen planen oft Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund: Afghanische und US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisation, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen sowie Bildungszentren (Khaama Press 13.1.2017). Nach einem Zeitraum länger andauernder relativer Ruhe in der Hauptstadt explodierte im Jänner 2017 in der Nähe des afghanischen Parlaments eine Bombe; bei diesem Angriff starben mehr als 30 Menschen (DW 10.1.2017). Die Taliban bekannten sich zu diesem Vorfall und gaben an, hochrangige Beamte des Geheimdienstes wären ihr Ziel gewesen (BBC News 10.1.2017).

 

In der Provinz Kabul finden regelmäßig militärische Operationen statt (Afghanistan Times 8.2.2017; Khaama Press 10.1.2017; Tolonews 4.1.2017; Bakhtar News 29.6.2016). Taliban-Kommandanten der Provinz Kabul wurden getötet (Afghan Spirit 18.7.2016). Zusammenstöße zwischen Taliban und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 4.1.2017a).

 

Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig religiöse Orte, wie z.B. Moscheen, an. In den letzten Monaten haben eine Anzahl von Angriffen, gezielt gegen schiitische Muslime, in Hauptstädten wie Kabul und Herat stattgefunden (Khaama Press 2.1.2017; vgl. auch: UNAMA 6.2.2017).

 

Nangarhar

 

Die Provinz Nangarhar liegt im Osten von Afghanistan. Im Norden grenzt sie an die Provinzen Kunar und Laghman, im Westen an die Hauptstadt Kabul und die Provinz Logar sowie den Gebirgszug Spinghar im Süden an (Pajhwok o.D.g). Die Provinzhauptstadt Jalalabad ist 120 km von Kabul entfernt (Xinhua 10.2.2017). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.545.448 geschätzt (CSO 2016).

 

Im Zeitraum 1.9.2015 - 31.5.2016 wurden in der Provinz Nangarhar

1.901 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

 

Seit dem Auftreten des Islamischen Staates in der bergreichen Provinz Nangarhar kommt es zu Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und IS-Aufständischen (Xinhua 18.2.2017; vgl. auch: Xinhua 10.2.2017). Die Aktivitäten des Islamischen Staates in der Provinz sind auf einige Gebiete in Nangarhar beschränkt (Tolonews 19.2.2017). Berichten zufolge sind dies insbesondere die Distrikte Achin, Kot, Haska Mina sowie andere abgelegene Distrikte in Nangarhar (Khaama Press 22.1.2017).

 

In der Provinz werden regelmäßig Luftangriffe gegen den Islamischen Staat durchgeführt (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: Khaama Press 21.2.2017; Khaama Press 14.2.2017; ICT 7.2.2017; Global Times 28.1.2017; Khaama Press 29.12.2016). Auch werden regelmäßig militärische Operationen durchgeführt, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: Khaama Press 16.2.2017; Khaama Press 14.2.2017; Xinhua 10.2.2017; Xinhua 14.1.2017; Pajhwok 26.7.2016); getötet wurden dabei hochrangige Führer des IS (Khaama Press 16.2.2017; Xinhua 10.2.2017; vgl. auch:

Shanghai Daily 4.2.2017), aber auch Anführer der Taliban (Khaama Press 29.12.2017). In manchen Teilen der Provinz hat sich die Sicherheitslage aufgrund von militärischen Operationen verbessert (Pajhwok 19.9.2016). Einem hochrangigen Beamten zufolge werden die afghanischen Sicherheitskräfte weiterhin Druck auf Sympathisanten des IS in Ostafghanistan ausüben, um zu verhindern, dass diese sich in den Distrikten Nangarhars oder anderen Provinzen ausweiten (Khaama Press 24.1.2017).

 

Kurzinformation vom 11.5.2017: Aktualisierung der Sicherheitslage in Afghanistan

 

Den Vereinten Nationen zufolge hat sich im Jahr 2016 die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert; dieser Trend zieht sich bis ins Jahr 2017. Gefechte fanden vorwiegend in den folgenden fünf Provinzen im Süden und Osten statt: Helmand, Nangarhar, Kandahar, Kunar und Ghazni; 50% aller Vorfälle wurden in diesen Regionen verzeichnet (für das Jahr 2016 wurden 23.712 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert). Der Konflikt hat sich geographisch ausgeweitet, da die Taliban ihre Aktivitäten in Nord- und Nordostafghanistan sowie in der westlichen Provinz Farah verstärkt haben. In den Provinzhauptstädten von Farah, Kunduz, Helmand und Uruzgan übten die Taliban Druck auf die Regierung aus. Wesentlich für die Machterhaltung der Regierung in diesen Provinzhauptstädten war die Entsendung afghanischer Spezialeinheiten und die Luftunterstützung durch internationale und afghanische Kräfte (UN GASC 3.3.2017).

 

Im Jahr 2016 hat sich die Zahl der Gefechte zwischen Taliban und Regierungskräften (meist Angriffe der Taliban) um 22% erhöht und macht damit 63% der sicherheitsrelevanten Vorfälle aus. Die Anzahl der IED-Vorfälle war 2016 um 25% niedriger als im Jahr davor und ist damit weiterhin rückläufig (UN GASC 3.3.2017).

 

ANDSF - afghanische Sicherheits- und Verteidigungskräfte

 

Die afghanischen Sicherheitskräfte sind auch weiterhin signifikanten Herausforderungen ausgesetzt - speziell was ihre operative Leistungsfähigkeit betrifft: Schwächen in den Bereichen Führung und Kontrolle, Leitung und Logistik sowie hohe Ausfallsraten haben maßgebliche Auswirkungen auf Moral, Rekrutierung und Leistungsfähigkeit (UN GASC 3.3.2017). Dennoch haben die afghanischen Sicherheitskräfte hart gegen den Talibanaufstand und terroristische Gruppierungen gekämpft und mussten dabei hohe Verluste hinnehmen. Gleichzeitig wurden qualitativ hochwertige Spezialeinheiten entwickelt und Aufständische davon abgehalten, Bevölkerungszentren einzunehmen oder zu halten (SIGAR 30.4.2017).

 

Der sich intensivierende Konflikt hat zunehmend Opfer bei Sicherheitskräften und Taliban gefordert. Die Rate der Neu- bzw. Weiterverpflichtungen ist zu niedrig, um die zunehmenden Desertionen und Ausfälle zu kompensieren. Bis Februar 2016 war die Truppenstärke des afghanischen Heeres bei 86% und die der afghanischen Nationalpolizei bei 94% ihres geplanten Mannschaftsstandes (UN GASC 3.3.2017).

 

Berichtszeitraum 18.11.2016 bis 14.2.2017

 

Im Berichtszeitraum wurden von den Vereinten Nationen 5.160 sicherheitsrelevanter Vorfälle registriert; dies bedeutet eine Erhöhung von 10% zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 (UN GASC 3.3.2017).

 

Im Jänner 2017 wurden 1.877 bewaffnete Zusammenstöße registriert; die Anzahl hatte sich gegenüber dem vorigen Vergleichszeitraum um 30 erhöht. Im Berichtszeitraum haben sich IED-Angriffe im Vergleich zum Vorjahr um 11% verstärkt (UN GASC 3.3.2017).

 

High-profile-Angriffe

 

Nahe der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif in der afghanischen Nordprovinz Balkh sind bei einem Angriff der Taliban auf eine Militärbasis mindestens 140 Soldaten getötet und mehr als 160 verwundet worden (FAZ 21.4.2017; vgl. auch: al-Jazeera 29.4.2017, Reuters 23.4.2017). Balkh gehört zu den eher sicheren Provinzen Afghanistans; dort ist die Kommandozentrale für den gesamten Norden des Landes (FAZ 21.4.2017). Dies war afghanischen Regierungskreisen zufolge der bislang folgenschwerste Angriff auf einen Militärstützpunkt. Laut dem Sprecher der Taliban war der Angriff die Vergeltung für die Tötung mehrerer ranghoher Rebellenführer. Vier der Angreifer seien in die Armee eingeschleust worden. Sie hätten dort einige Zeit ihren Dienst verrichtet. Das wurde aber von der afghanischen Armee nicht bestätigt (Reuters 23.4.2017).

 

Dies ist der zweite Angriff auf eine Militäreinrichtung innerhalb weniger Monate nach dem Angriff auf ein Militärkrankenhaus in Kabul Anfang März, zu dem sich die Terrormiliz Islamischer Staat bekannt hatte. Damals kamen mindestens 49 Menschen ums Leben und 76 weitere wurden verletzt (FAZ 21.4.2017; vgl. auch: BBC 8.5.2017, NYT 7.5.2017, Dawn 7.5.2017, SIGAR 30.4.2017, FAZ 8.3.2017).

 

Regierungsfeindliche Gruppierungen

 

Angaben, welche Gebiete von den Aufständischen in Afghanistan kontrolliert werden, sind unterschiedlich: Schätzungen der BBC zufolge wird bis zu ein Drittel des Landes von den Taliban kontrolliert (BBC 9.5.2017). Einer US-amerikanischen Quelle zufolge stehen 59,7% der Distrikte unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Sicherkräfte (Stand: 20.2.2017), was eine Steigerung von 2,5% gegenüber dem letzten Quartal wäre, jedoch einen Rückgang von 11% gegenüber dem Vergleichswert des Jahres 2016 bedeutet. Die Anzahl der Distrikte, die unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen sind, hat sich in diesem Quartal um 4 Distrikte vermehrt: Es sind dies 45 Distrikte in 15 Provinzen (SIGAR 30.4.2017). Die ANDSF konnten die Taliban davon abhalten, Provinzhauptstädte einzunehmen oder zu halten; die Aufständischen haben die Kontrolle über gewisse ländliche Gebiete behalten. (SIGAR 30.4.2017).

 

Taliban

 

Die Taliban haben ihre diesjährige Frühjahrsoffensive Ende April 2017 eröffnet; seitdem kommt es zu verstärkten Gefechtshandlungen in Nordafghanistan (BBC 7.5.2017). Bisher haben die Taliban ihre alljährliche Kampfsaison durch die Frühjahrsoffensive eingeläutet; allerdings haben dieses Jahr die Taliban-Aufständischen auch in den Wintermonaten weitergekämpft (BBC 28.4.2017).

 

Helmand

 

Die Taliban haben den Druck auf die Provinz Helmand erhöht; heftige Gefechte fanden Ende Jänner und Anfang Februar im Distrikt Sangin statt (UN GASC 3.3.2017): 10 der 14 Distrikte in Helmand werden entweder von den Taliban kontrolliert oder sind umstritten. In die Provinz Helmand wurde bereits eine Anzahl US-amerikanischer Soldaten entsendet (al-Jazeera 29.4.2017; vgl. auch: Khaama Press 11.4.2017). Auch das afghanische Verteidigungsministerium hat Befreiungsoperationen gestartet, die sogenannten Khalid-Operationen in Helmand aus den beiden Distrikten Garamser und Nad-e Ali heraus (Khaama Press 11.4.2017). Militärischen Quellen zufolge wurde im Mai eine riesige Kommandozentrale der Taliban im Distrikt Nad-e Ali zerstört (Sputnik News 10.5.2017).

 

Kunduz

 

Seit zwei Jahren ist Kunduz Zentrum intensiver Gefechte zwischen Taliban und Sicherheitskräften (LWJ 9.5.2017); die Stadt Kunduz fiel zweimal bevor die ANDSF und die Koalitionskräfte sie wieder unter ihre Kontrolle bringen konnten (SIGAR 30.4.2017; vgl. auch: LWJ 9.5.2017).

 

IS/ISIS/ISKP/ISIL-KP/Daesh

 

Der IS-Zweig in Afghanistan - teilweise bekannt als IS Khorasan - ist seit dem Jahr 2015 aktiv; er kämpft gegen die Taliban sowie auch gegen die afghanischen und US-amerikanischen Kräfte (Dawn 7.5.2017). Der IS verliert weiterhin Gebiete, die zuvor von ihm kontrolliert wurden; verantwortlich dafür sind hauptsächlich die Aktivitäten der afghanischen Luftstreitkräfte mit Unterstützung der Luftangriffe der NATO (SCR 28.2.2017).

 

Abdul Hasib, der IS-Anführer in Afghanistan, wurde im Rahmen einer militärischen Operation in Nangarhar getötet (BBC 8.5.2017; vgl. auch: NYT 7.5.2017); von Hasib wird angenommen für viele high-profile Angriffe verantwortlich zu sein - so auch für den Angriff gegen das Militärkrankenhaus in Kabul (Dawn 7.5.2017; vgl. auch: BBC 8.5.2017).

 

In diesem Jahr wurden hunderte IS-Aufständische entweder getötet oder gefangen genommen (BBC 8.5.2017). Im April 2017 wurde die größte nicht-nukleare Bombe in einer Region in Ostafghanistan eingesetzt, die dafür bekannt ist, von IS-Aufständischen bewohnt zu sein (Independent 13.4.2017). Netzwerke bestehend aus Höhlen und Tunnels wurden zerstört und 94 IS-Kämpfer sowie vier Kommandanten getötet (Dawn 7.5.2017). Quellen zufolge waren keine Zivilisten von dieser Explosion betroffen (BBC 14.4.2017; vgl. auch: The Guardian 13.4.2017, al-Jazeera 14.4.2017).

 

Religionsfreiheit

 

Etwa 99.7% der Bevölkerung sind Muslime, davon sind 84.7 - 89.7% Sunniten (CIA 21.11.2016; vgl. USCIRF 4.2016). Schätzungen zufolge, sind etwa 10 - 19% der Bevölkerung Schiiten (AA 9 .2016; vgl. auch:

CIA 21.10.2016). Andere in Afghanistan vertretene Glaubensgemeinschaften wie z.B. Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen zusammen nicht mehr als 1% der Bevölkerung aus. Offiziell lebt noch ein Jude in Afghanistan (AA 9 .2016).

 

Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Religionsfreiheit ist in der afghanischen Verfassung verankert, dies gilt allerdings ausdrücklich nur für Anhänger/innen anderer Religionen als dem Islam. Die von Afghanistan ratifizierten internationalen Verträge und Konventionen wie auch die nationalen Gesetze sind allesamt im Lichte des generellen Islamvorbehalts (Art. 3 der Verfassung) zu verstehen (AA 9 .2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Die Glaubensfreiheit, die auch die freie Religionsauswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan daher für Muslime nicht. Darüber hinaus ist die Abkehr vom Islam (Apostasie) nach Scharia-Recht auch strafbewehrt (AA 9.11.2016).

 

Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 verbessert, wird aber noch immer durch Gewalt und Drangsale gegen religiöse Minderheiten und reformierte Muslime behindert. Blasphemie und Abtrünnigkeit werden als Kapitalverbrechen angesehen. Nichtmuslimische Religionen sind erlaubt, doch wird stark versucht, deren Missionierungsbestrebungen zu behindern (FH 27.1.2016). Hindus, Sikhs und Schiiten, speziell jene, die den ethnischen Hazara angehören, sind Diskriminierung durch die sunnitische Mehrheit ausgesetzt (FH 27.1.2016; vgl. auch:

CSR 8.11.2016).

 

Im Strafgesetzbuch gibt es keine Definition für Apostasie. Laut der sunnitisch-hanafitischen Rechtsprechung gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, für Frauen lebenslange Haft, sofern sie die Apostasie nicht bereuen. Ein Richter kann eine mindere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Zu Verfolgung von Apostasie und Blasphemie existieren keine Berichte. Dennoch hatten Individuen, die vom Islam konvertierten, Angst vor Konsequenzen. Christen berichteten, dass sie aus Furcht vor Vergeltung Situationen vermieden, in denen es gegenüber der Regierung so aussehe, als ob sie missionieren würden (USDOS 10.8.2016).

 

Nichtmuslimische Minderheiten, wie Sikh, Hindu und Christen, sind sozialer Diskriminierung und Belästigung ausgesetzt, und in manchen Fällen sogar Gewalt. Dieses Vorgehen ist jedoch nicht systematisch (USDOS 10.8.2016). Dennoch bekleiden Mitglieder dieser Gemeinschaften vereinzelt Ämter auf höchster Ebene (CSR 8.11.2016). Im Mai 2014 bekleidete ein Hindu den Posten des afghanischen Botschafters in Kanada (RFERL 15.5.2014). Davor war Sham Lal Bathija als hochrangiger Wirtschaftsberater von Karzai tätig (The New Indian Express 16.5.2012).

 

Ethnische Minderheiten

 

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2016 mehr als 33.3 Millionen Menschen (CIA 12.11.2016). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (Staatendokumentation des BFA 7.2016). Schätzungen zufolge sind 40% Paschtunen, rund 30% Tadschiken, ca. 10% Hazara und 9% Usbeken. Auch existieren noch andere ethnische Minderheiten, wie z.B. die Aimaken, die ein Zusammenschluss aus vier semi-nomadischen Stämmen mongolisch-iranischer Abstammung sind, sowie die Belutschen, die zusammen etwa 4% der Bevölkerung ausmachen (GIZ 1.2017).

 

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: "Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane' wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet."

(Staatendokumentation des BFA 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 9 .2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 13.4.2016).

 

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor (AA 9 .2016). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 13.4.2016).

 

Grundversorgung und Wirtschaft

 

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan im 'Human Development Index' (HDI) den 171. von 188 Plätzen (UNDP 2016; vgl. auch: AA 11 .2016). Afghanistan bleibt trotz eines gewaltigen Fortschritts innerhalb einer Dekade eines der ärmsten Länder weltweit. Die Sicherheit und politische Ungewissheit sowie die Reduzierung internationaler Truppen gemeinsam mit einer schwachen Regierung und schwachen Institutionen haben Wachstum und Beschäftigung gehemmt und seit kurzem zu einer erhöhten Migration geführt (IWF 13.4.2016).

 

Trotz eines guten Wirtschaftswachstums von 2007 bis 2011 stagnierte die Armutsrate bei 36%. Am häufigsten tritt Armut in ländlichen Gebieten auf, wo die Existenzgrundlage von der Landwirtschaft abhängig ist (WB 2.5.2016). Die Regierung hat die landwirtschaftliche Entwicklung zur Priorität erhoben. Dadurch sollen auch gering qualifizierte Afghaninnen und Afghanen bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz bekommen. Insbesondere sollen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse Afghanistans wieder eine stärkere Rolle auf den Weltmärkten spielen. Gerade im ländlichen Raum bleiben die Herausforderungen für eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung angesichts mangelnder Infrastruktur, fehlender Erwerbsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft und geringem Ausbildungsstand der Bevölkerung (Analphabetenquote auf dem Land von rund 90%) aber groß. Sicher ist, dass die jährlich rund 400.000 neu auf den Arbeitsmarkt drängenden jungen Menschen nicht vollständig vom landwirtschaftlichen Sektor absorbiert werden können (AA 11 .2016).

 

Das BIP-Wachstum im Jahr 2015 wurde auf 1,5% geschätzt, als Faktoren zählten die sich verschlechternde Sicherheitslage, welche Privatinvestitionen schwächte, die verspätete Vollstreckung des Haushaltsplanes und unvorteilhafte Wetterbedingungen, die zu einem niedrigeren landwirtschaftlichen Ertrag führten (IMF 13.4.2016). Die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans wird trotz positiver Wachstumsraten in der letzten Dekade weiterhin nicht durch ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum, sondern durch die Zuschüsse der internationalen Gebergemeinschaft stimuliert. Den größten Anteil am BIP (2015: 19,2 Mrd. USD, lt. Weltbank) hat der Dienstleistungssektor mit 55%, gefolgt von der Landwirtschaft mit 22,6%. Industrieproduktion ist kaum vorhanden. Trotz einer großen Bedeutung des Außenhandels - Afghanistan ist in hohem Maße von Importen abhängig - sind afghanische Produkte bisher auf internationalen sowie regionalen Märkten kaum wettbewerbsfähig (AA 11 .2016). Das Wirtschaftswachstum ist in den Jahren 2014 und 2015 stark auf 1.5-2% gesunken; internationale Entwicklungshilfe führte zu Wachstum und Jobs in Konfliktregionen, dennoch steuerte es nicht zu einer gesteigerten Produktivität bei. Ungleichheit stieg parallel zur ungleichen Wachstumsverteilung. Regionen im Nordosten, Osten sowie im Westen des Zentralgebietes scheinen aufgrund ihrer geografischen Abgelegenheit, starken Klimaveränderungen, niedriger Hilfe und Unsicherheit nachzuhinken. Arbeitslosigkeit, Naturgefahren, fehlender Zugang zu Dienstleistungen sowie Gewalt sind Hauptfaktoren für die hohe Armutsrate in Afghanistan. Entwicklungsschwierigkeiten verstärkten die wachsende Unsicherheit, Verunsicherung und schrumpfende Hilfe (WB 2.5.2016).

 

Wichtige Erfolge wurden im Bereich des Ausbaus der Infrastruktur erzielt. Durch den Bau von Straßen und Flughäfen konnte die infrastrukturelle Anbindung des Landes verbessert werden. Große wirtschaftliche Erwartungen werden an die zunehmende Erschließung der afghanischen Rohstoffressourcen geknüpft. In Afghanistan lagern die weltweit größten Kupfervorkommen sowie Erdöl, Erdgas, Kohle, Lithium, Gold, Edelsteine und seltene Erden. Mit dem 2014 verabschiedeten Rohstoffgesetz wurden die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Investitionen in diesem Bereich verbessert. Entscheidend für Wachstum, Arbeitsplätze und Einnahmen aus dem Rohstoffabbau ist die Umsetzung des Gesetzes. Darüber hinaus müssen Mechanismen zum Einnahmenmanagement etabliert werden. Der Abbau der Rohstoffe erfordert große und langfristige Investitionen in die Exploration und Infrastruktur durch internationale Unternehmen. Bisher sind diese noch kaum im Abbau von Rohstoffen im Land aktiv. Derzeit niedrige Weltmarktpreise lassen die Investitionsbereitschaft zusätzlich sinken (AA 11 .2016).

 

Afghanistan bleibt weiterhin der weltweit größte Produzent für Opium, Heroin und Cannabis. Trotz einer breit angelegten Strategie verhindern die angespannte Sicherheitslage in den Hauptanbaugebieten im Süden des Landes sowie die weit verbreitete Korruption eine effiziente Bekämpfung des Drogenanbaus. Die hohen Gewinnmargen erschweren zudem die Einführung von alternativen landwirtschaftlichen Produkten (AA 11 .2016).

 

Projekte der afghanischen Regierung

 

Im September 2016 fiel der Startschuss für das "Citizens' Charter National Priority Program"; dieses Projekt zielt darauf ab, die Armut zu reduzieren und den Lebensstandard zu erhöhen, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden. Die erste Phase des Projektes hat ein Drittel der 34 Provinzen zum Ziel; die vier Städte Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar sind Schwerpunkt des städtischen Entwicklungsprogrammes, welche als erste behandelt werden sollen. In der ersten Phase sollen 8,5 Millionen Menschen erreicht werden, mit dem Ziel 3,4 Millionen Menschen sauberes Trinkwasser zur Verfügung zu stellen, die Gesundheitsdienstleistungen zu verbessern, Bildung, Landstraßen, Elektrizität sowie Zufriedenheit zu steigern und Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu erhöhen. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Menschen mit Behinderung, arme Menschen und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016).

 

Medizinische Versorgung

 

Die Datenlage zur medizinischen Versorgung in Afghanistan bleibt äußerst lückenhaft. In vielen Bereichen liegen Daten nur unzuverlässig oder nur ältere statistische Erhebungen der afghanischen Regierung oder der Weltgesundheitsorganisation vor. Besonders betroffen von unzureichender Datenlage sind hierbei die südlichen und südwestlichen Provinzen (AA 9 .2016).

 

Gemäß der afghanischen Verfassung ist die primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen, inklusive Medikamente, kostenfrei [Anm.: siehe dazu afghanische Verfassung

Artikel 52] (Max Planck Institute 27.1.2004).

 

Im regionalen Vergleich fällt die medizinische Versorgung weiterhin drastisch zurück (AA 9 .2016). Dennoch hat das afghanische Gesundheitssystem in der letzten Dekade ansehnliche Fortschritte gemacht (The World Bank Group 10.2016; vgl. auch: AA 9 .2016). Dies aufgrund einer soliden öffentlichen Gesundheitspolitik, innovativer Servicebereitstellung, sorgfältiger Überwachung und Evaluierung sowie Entwicklungshilfe. Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsservices, wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und unter 5-jährigen, sind die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin schlechter als die der Niedrigeinkommensländer. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41% der Kinder unter 5 Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralstoffmangel (The World Bank Group 10.2016).

 

Die medizinische Versorgung leidet trotz erkennbarer und erheblicher Verbesserungen landesweit weiterhin an unzureichender Verfügbarkeit von Medikamenten und Ausstattung der Kliniken, insbesondere aber an fehlenden Ärztinnen und Ärzten, sowie gut qualifiziertem Assistenzpersonal (v.a. Hebammen). Im Jahr 2013 stand 10.000 Einwohnern Afghanistans ca. eine medizinisch qualifiziert ausgebildete Person gegenüber. Auch hier gibt es bedeutende regionale Unterschiede innerhalb des Landes, wobei die Situation in den Nord- und Zentralprovinzen um ein Vielfaches besser ist als in den Süd- und Ostprovinzen (AA 9 .2016).

 

Erhebliche Fortschritte der letzten Dekade sind: Die Mütter- und Kindersterblichkeitsrate hat sich signifikant reduziert; die Sterberate von Kindern unter 5 Jahren ist von 257 auf 55 pro 1.000 Lebendgeburten gesunken, die Säuglingssterblichkeitsrate von 165 auf

45. Die Müttersterblichkeitsrate ist auf 327 bei 100.000 Lebendgeburten gesunken (WB 2.11.2016). Im Vergleich dazu betrug die Müttersterblichkeitsrate im Jahr 2002 noch 1.600. Die Zahl funktionierender Gesundheitsanstalten verbesserte sich von 496 im Jahr 2002 auf 2.000 im Jahr 2012. Proportional dazu erhöhte sich die Zahl der Anstalten mit weiblichem Personal (WB 2.11.2016). Bei 34% der Geburten war ausgebildetes Gesundheitspersonal anwesend. Schätzungen der UN Population Division zufolge verwenden 23% der Frauen im gebärfähigem Alter moderne Methoden der Empfängnisverhütung (USDOS 13.4.2016).

 

Krankenkassen und Gesundheitsversicherung

 

Es gibt keine staatliche Krankenkasse und die privaten Anbieter sind überschaubar und teuer, somit für die einheimische Bevölkerung nicht erschwinglich. Die staatlich geförderten öffentlichen Krankenhäuser bieten ihre Dienste zwar umsonst an, jedoch sind Medikamente häufig nicht verfügbar und müssen bei privaten Apotheken von den Patient/innen selbst bezahlt werden. Untersuchungen, Labortests sowie Routine Check-Ups sind in den Krankenhäusern umsonst (IOM 21.9.2016). Da kein gesondertes Verfahren existiert, haben alle Staatsbürger Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Physisch und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch müssen eine starke familiäre und gesellschaftliche Unterstützung sicherstellen. Für verschiedene Krankheiten und Infektionen ist medizinische Versorgung nicht verfügbar. Chirurgische Eingriffe können nur in ausgewählten Orten geboten werden, welche zudem meist einen Mangel an Ausstattung und Personal aufweisen. Diagnostische Ausstattungen wie Computer-Tomographie ist in Kabul (1 in Kabul) verfügbar (IOM 2016).

 

Medikamente

 

Medikamente sind auf jedem Markt in Afghanistan erwerblich, Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produktes (IOM 2016). Obwohl freie Gesundheitsdienstleistungen in öffentlichen Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden, können sich viele Haushalte gewisse Kosten für Medikamente oder den Transport zu Gesundheitsvorsorgeeinrichtungen nicht leisten bzw. ist es vielen Frauen nicht erlaubt, alleine zu einer Gesundheitseinrichtung zu fahren (USDOS 13.4.2016).

 

Beispiele für Behandlung psychischer Fälle in Afghanistan

 

In öffentlichen und privaten Kliniken ist beispielsweise paranoide Schizophrenie behandelbar. Die Behandlung in privaten Kliniken ist für Menschen mit durchschnittlichen Einkommen nicht leistbar. In öffentlichen Krankenhäusern müssen die Patient/innen nichts für ihre Aufnahme bezahlen. Die Patient/innen müssen ihre Medikamente in außenstehenden Apotheken kaufen (IOM 11.10.2016). In Kabul gibt es zwei psychiatrische Einrichtungen: Das Mental Health Hospital mit 100 Betten und die Universitätsklinik Aliabad mit 48 Betten. In Jalalabad und Herat gibt es jeweils 15 Betten für psychiatrische Fälle. In Mazar-e Scharif gibt es eine private Einrichtung, die psychiatrische Fälle stationär aufnimmt. Folgebehandlungen sind oft schwierig zu leisten, insbesondere wenn Patient/innen kein unterstützendes Familienumfeld haben. Traditionell mangelt es in Afghanistan an einem Konzept für psychisch Kranke. Sie werden nicht selten in spirituellen Schreinen unter teilweise unmenschlichen Bedingungen "behandelt", oder es wird ihnen in einer "Therapie" mit Brot, Wasser und Pfeffer der "böse Geist ausgetrieben". Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung sowohl über das Internet als auch in Form von Comics (für Analphabeten) zu betreiben. Die Bundesregierung finanziert Projekte zur Verbesserung der Möglichkeiten psychiatrischer Behandlung und psychologischer Begleitung in Afghanistan (AA 9 .2016).

 

Krankenhäuser in Afghanistan

 

Eine begrenzte Zahl staatlicher Krankenhäuser in Afghanistan bietet kostenfreie medizinische Versorgung. Die Kosten für Medikamente in diesen Einrichtungen weichen vom lokalen Marktpreis ab. Privatkrankenhäuser gibt es zumeist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e-Sharif, Herat und Kandahar. Die Behandlungskosten in diesen Einrichtungen variieren. Um Zugang zu erhalten, benötigt man die afghanische Nationalität (Ausweis/Tazkira). Man kann sich mit seinem Ausweis in jedem afghanischen Krankenhaus registrieren und je nach gesundheitlichen Beschwerden einem Arzt zugewiesen werden. Sollten Operation und ein Krankenhausaufenthalt nötig sein, wird dem Patienten in dem Krankenhaus ein Bett zur Verfügung gestellt (IOM 2016).

 

In Kandahar eröffnete eine pädiatrische Abteilung im Mirwais Krankenhaus mit dem Ziel, die extrem hohe Säuglingssterberate zu reduzieren: Unter anderem verdoppelte sich die Zahl der Säuglingsschwestern; die neue Brutkasteneinheit unterstützt die Spezialist/innen der Neonatalogie (The Guardian 1.12.2016).

 

Krankenhäuser in Kabul:

 

* Antani Hospital Address: Salan Watt, District 2, Kabul Tel: +93 (0)20 2201 372

 

* Ataturk Children's Hospital Address: Behild Aliabaad (near Kabul University), District 3, Kabul Tel: +93 (0)75 2001893 / +93 (0)20 250 0312

 

* Ahyaia Mujadad Hospital Address: Cinema Pamir, 1st District, Kabul Tel: +93(0)20 2100436

 

* Centre Poly Clinic Address: District 1, Cinema Pamir, Kabul Tel:

+93 (0)202100445

 

* Istiqlal Hospital Address: District 6, Kabul Tel: +93 (0)20 2500674

 

* Ibnisina Emergency Hospital Address: Pull Artal, District 1, Kabul

Tel: +93 (0)202100359

 

* Jamhoriat Hospital Address: Ministry of Interior Road, Sidarat

Square, District 2,Kabul Tel: +93 (0)20 220 1373/ 1375

 

* Malalai Maternity Hospital Address: Malalai Watt, Shahre Naw,

Kabul Tel: +93(0)20 2201 377

 

* Noor Eye Hospital Address: Cinema Pamir, Kabul Tel: +93 (0)20 2100 446

 

* Rabia-i-Balki Maternity Hospital Address: Frosh Gah, District 2, Kabul Tel: +93(0)20 2100439

 

* Tuberculosis Hospital Address: Sana Turiam, Dar-ul-Aman, District 6, Kabul Tel:+93 (0)75 201 4842

 

Flugverbindungen

 

Laut dem World Factbook existieren in Afghanistan 23 Flughäfen mit asphaltierten Landebahnen und 29 Flughäfen, die nicht über asphaltierte Landebahnen verfügen (The World Factbook 25.2.2016).

 

Internationaler Flughafen Kabul

 

Der Flughafen in Kabul ist ein internationaler Flughafen (NYT 4.1.2016; vgl. auch: Hamid Karzai Airport 2015). Ehemals bekannt als internationaler Flughafen Kabul, wurde er im Jahr 2014 in den internationalen Flughafen Hamid Karzai umbenannt. Dieser liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. In den letzten Jahren wurde der Flughafen erweitert und modernisiert. Ein neues internationales Terminal wurde hinzugefügt und das alte Terminal wird nun für nationale Flüge benützt (Hamid Karzai Airport 2015).

 

Rückkehr

 

Seit Jänner 2016 sind mehr als 700.000 nicht registrierte Afghanen aus dem Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt (Thomson Reuters Foundation 12.1.2017); viele von ihnen sind laut Internationalem Währungsfonds (IMF) hauptsächlich aus Pakistan, aus dem Iran, Europa und anderen Regionen nach Afghanistan zurückgekehrt. Viele Afghan/innen, die jahrzehntelang im Ausland gelebt haben, kehren in ihr Land zurück und sind Konflikten, Unsicherheit und weitreichender Armut ausgesetzt. Aufgrund schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen sind Rückkehrer/innen im Allgemeinen arm. Auch wenn reichere Rückkehrer/innen existieren, riskiert ein typischer rückkehrender Flüchtling in die Armut abzurutschen (RFL/RE 28.1.2017). Die meisten Rückkehrer/innen (60%) entschlossen sich - laut UNHCR - dazu, in den städtischen Gegenden Kabuls, Nangarhars und von Kunduz niederzulassen (UNHCR 6.2016).

 

IOM verlautbarte eine Erhöhung von 50.000 Rückkehrer/innen gegenüber dem Vorjahr. UNHCR hat im Jahr 2016 offiziell 372.577 registrierte Afghanen in die Heimat zurückgeführt. Laut UNHCR und IOM waren der Großteil der Rückkehrer junge Männer aus dem Iran, die auf der Suche nach Arbeit oder auf dem Weg nach Europa waren (Thomson Reuters Foundation 12.1.2017). Der Minister für Flüchtlinge und Repatriierung sprach sogar von einer Million Flüchtlingen, die im letzten Jahr nach Afghanistan zurückgekehrt sind; davon sind über 900.000 freiwillig in ihre Heimat zurückgekehrt (Khaama Press 17.1.2017).

 

Afghanische Rückkehrer/innen, afghanische Flüchtlinge und nicht registrierte Afghan/innen

 

Pakistan

 

Pakistan hat seit 1978 nicht weniger als eine Million Afghan/innen beherbergt. In den Jahren 1986 bis 1991 waren etwa drei Millionen Flüchtlinge in Pakistan. Zwischen 2002 und 2015 unterstützte UNHCR 3,9 Millionen Afghan/innen bei der Rückkehr. Der Großteil davon kehrte bis Ende 2008 zurück, danach ging die Rückkehrrate signifikant zurück (HRW 13.2.2017).

 

Wegen zunehmender Spannungen zwischen der afghanischen und pakistanischen Regierung (Die Zeit 13.2.2017) waren im Jahr 2016

249.832 Afghan/innen entweder freiwillig oder durch Abschiebung aus Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt (Stand: 7.1.2017) (IOM 8.1.2017).

 

Bis Ende 2017 soll eine weitere halbe Million Afghan/innen aus Pakistan zurückkehren. Die Anzahl der Rückkehrer/innen ist in den letzten zwei Jahren stetig gestiegen (DAWN 12.1.2017). In der ersten Jännerwoche 2017 kehrten 1.643 nicht registrierte Afghan/innen aus Pakistan (freiwillig oder im Rahmen von Abschiebungen) nach Afghanistan zurück (IOM 8.1.2017). In der zweiten Jännerwoche sind insgesamt 1.579 nicht registrierte Afghan/innen über Nangarhar und Kandahar entweder freiwillig oder im Zuge von Abschiebungen zurückgekehrt. IOM hat im Berichtszeitraum 79% nicht registrierte Afghan/innen unterstützt; dies beinhaltete Essen und Unterbringung in Transitzentren in Grenznähe sowie Haushaltsgegenstände und andere Artikel für Familien, spezielle Unterstützung für Personen mit speziellen Bedürfnissen, eine Ein-Monatsration vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme - WFP) und andere relevante Hygieneartikel. Im Rahmen einer Befragung gaben 76% der Befragten Ende 2016 an, Nangarhar als Niederlassungsprovinz zu wählen, für 16% war dies Kabul, für 4% war es Laghman, 2% gingen nach Kunar und weitere 2% nach Logar (IOM 15.1.2017).

 

Im Februar 2017 veröffentlichte Human Rights Watch (HRW) einen Bericht, in dem von "Zwangsrückführungen" afghanischer Flüchtlinge gesprochen wird (HRW 13.2.2017). Der HRW-Bericht basiert auf 115 Interviews mit afghanischen Rückkehrer/innen nach Afghanistan sowie afghanischen Flüchtlingen und nicht registrierten Afghan/innen in Pakistan (DAWN 13.2.2017; vgl. auch: HRW 13.2.2017). UNHCR hatte im Juni 2016 die finanzielle Unterstützung für jede(n) Rückkehrer/in von US$ 200,-- auf US$ 400,-- erhöht (HRW 13.2.2017). HRW argumentiert, dies sei ein Faktor, der afghanische Flüchtlinge dazu bewogen habe, nach Afghanistan zurückzukehren. Laut UNHCR wurden

4.500 Rückkehrer/innen bei ihrer Ankunft interviewt, von denen keiner die Bargeldzuschüsse als primären Faktor für die Rückkehrentscheidung angab (DAWN 13.2.2017). Als Gründe für die Rückkehr wurde unter anderem Folgendes angegeben: Einrichtung formeller Grenzkontrolle in Torkham; große Besorgnis über die Gültigkeit der Proof of Registration Card (PoR-Cards); Kampagne der afghanischen Regierung in Pakistan ("home sweet home"), die Afghan/innen bat, nach Hause zurückzukehren (UNHCR 3.2.2017).

 

Iran

 

Seit 1. Jänner 2016 sind insgesamt 461.112 nicht-registrierte Afghan/innen aus dem Iran nach Afghanistan zurückgekehrt. In der zweiten Jännerwoche 2017 sind insgesamt 9.378 nicht registrierte Afghan/innen nach Afghanistan durch Herat oder Nimroz zurückgekehrt; von diesen sind 3.531 freiwillig und 5.847 im Zuge von Abschiebungen zurückgekehrt. 2% der nicht registrierten Afghan/innen, die in den Transitzentren in Herat oder Nimroz ankamen, wurden von IOM unterstützt. Dazu zählten 101 UMF (Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge), denen IOM eine besondere Unterstützung zukommen ließ, inklusive medizinischer Behandlung, sicherer Unterkünfte und der Suche nach Familienangehörigen (IOM 15.1.2017).

 

Ein UNHCR-Vertreter berichtete, dass afghanische Flüchtlinge in Gegenden zurückkehrten, in denen der Friede wiederhergestellt wurde. Dennoch sei es schwierig, alle afghanischen Flüchtlinge eines Jahres zu verteilen, da der Iran afghanische Migrant/innen zurückschickt und Afghanistan eine Anzahl wohnungsloser Menschen hat, die zusätzlich die Situation verkomplizieren (Pakistan Observer 2.1.2017). Die IOM-Transitzentren in Grenznähe bieten elementare Unterkünfte, Schutz für unbegleitete Minderjährige, Haushaltsgegenstände (Töpfe und Pfannen) sowie Transportmöglichkeiten für Familien, um sich in ihren Wunschgebieten ansiedeln zu können (DAWN 12.1.2017).

 

Unterstützung durch verschiedene Organisationen vor Ort

 

Eine steigende Zahl von Institutionen bietet Mikrofinanzleistungen an. Die Voraussetzungen hierfür unterscheiden sich, wobei zumeist der Fokus auf die Situation/Gefährdung des Antragenden und die Nachhaltigkeit des Projekts gelegt wird. Rückkehrer und insbesondere Frauen erhalten regelmäßig Unterstützung durch Mikrofinanzleistungen. Jedoch sind die Zinssätze in der Regel vergleichsweise hoch (IOM 2016).

 

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme - WFP) hat in Afghanistan eine neunmonatige Operation eingeleitet, um die wachsende Zahl der Rückkehrer/innen aus Pakistan und Binnenvertriebene zu unterstützen, indem ihnen Notfallsnahrung und andere Mittel zur Verfügung gestellt werden:

Sowohl das WFP als auch andere UN-Organisationen arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen sowie Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen. Die Organisation bietet 163.000 nicht-registrierten Rückkehrer/innen, 200.000 dokumentierten Rückkehrer/innen und 150.000 binnenvertriebenen Flüchtlingen Nahrungs- und Finanzhilfe an; auch 35.000 Flüchtlinge in den Provinzen Khost und Paktika wurden unterstützt. Das WAFP hat seine Unterstützungen in Ostafghanistan verstärkt, um Unterernährung zu vermeiden; das WFP unterstützte mehr als 23.000 Kleinkinder aus Rückkehrer-Familien. Ziel des WFP ist es, 550.000 Menschen durch Notfallsorganisationen zu helfen (UN News Centre 15.11.2016).

 

Einige Länder arbeiten auch eng mit IOM in Afghanistan im Rahmen des Programms Assisted Voluntary Return zusammen, insbesondere, um die Reintegration zu erleichtern. IOM bietet Beratung und psychologische Betreuung im Aufnahmeland, Unterstützung bei Reiseformalitäten, Ankunft in Kabul und Begleitung der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Gewährung eines Anstoßkredits an. Obwohl IOM Abschiebungen nicht unterstützt und keine Abschiebungsprogramme durchführt, gibt IOM auch abgeschobenen Asylbewerber/innen Unterstützung nach der Ankunft im Land (AA 9 .2016). Mit Ausnahme von IOM gibt es keine weiteren Organisationen, die Unterstützung bei der Reintegration von Rückkehrer/innen in Afghanistan anbieten (IOM 2016).

 

Staatliches Pensionssystem

 

Es ist nur ein öffentliches Rentensystem etabliert. Das übliche Rentenalter liegt zwischen 63 und 65 Jahren, hängt jedoch vom Einzelfall ab. Personen, die in Afghanistan gearbeitet haben, haben Zugang zu Rentenzahlungen. Es gibt keine Einschränkungen, die einzige Voraussetzung ist, dass die Person mehr als 32 Jahre gearbeitet hat und zwischen 63 und 65 Jahren alt ist. Menschen mit körperlichen oder psychischen Behinderungen werden als vulnerabel/schutzbedürftig eingestuft. Sie können Sozialhilfe beziehen und zumindest körperlich benachteiligte Menschen werden in der Gesellschaft respektvoll behandelt. Schwierig ist es allerdings mit mental erkrankten Menschen, diese können beim Roten Halbmond und in entsprechenden Krankenhäusern (Ali Abad Mental Hospital, siehe Kontakte) behandelt werden (IOM 2016).

 

Es gibt keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Arbeitsministerium und der NGO ACBAR (www.acbar.org ) angeboten (IOM 2016).

 

Erhaltungskosten in Kabul

 

Die monatlichen Lebenshaltungskosten in Kabul für eine Person sind abhängig von den Ausgaben und liegen durchschnittlich zwischen 150 und 250 USD pro Person. Diese Zahlen beziehen sich nur auf Kleidung, Nahrung und Transport, die Unterbringung (Miete) ist dabei nicht berücksichtigt. Die Haus- oder Wohnungsmiete hängt von der Lage ab. Die Unterbringung im Zentrum der Stadt beträgt für eine Ein-Zimmer Wohnung (Bad und Küche) beginnend von 6.000 AFA (88 USD) bis zu 10.000 AFD (146 USD) pro Monat (IOM 22.4.2016). In Kabul sowie im Umland und auch anderen Städten stehen eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul City sind jedoch höher als in den Vororten oder auch anderen Provinzen. Private Immobilienhändler bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser, Apartments etc. an. Rückkehrer können bis zu 2 Wochen im IOM-Empfangszentrum in Jangalak untergebracht werden (IOM 2016).

 

Auszüge aus dem Bankensystem in Afghanistan

 

Nach einer Zeit mit begrenzten Bankdienstleistungen entstehen im Finanzsektor in Afghanistan schnell mehr und mehr kommerzielle Banken und Leistungen. Die kommerziellen Angebote der Zentralbank gehen mit steigender Kapazität des Finanzsektors zurück. Es ist einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Die Bank wird dabei nach Folgendem fragen: Tazkira/(Personalausweis/Pass); 2 Passfotos und AFA 1,000 bis 5,000 als Mindestkapital für das Bankkonto (IOM 2016).

 

Bis heute sind mehr als ein Dutzend Banken im Land aktiv:

Afghanistan International Bank, Azizi Bank, Arian Bank, Alfalah Bank Ltd., Bank-E-Millie Afghan, BRAC Afghanistan Bank, Development Bank of Afghanistan, Export Promotion Bank, Habib Bank of Pakistan, Kabul Bank, National Bank of Pakistan, Pashtany Bank, Punjab National Bank - India, The First Microfinance Bank, Ghazanfar Bank, Maiwand Bank, Bakhtar Bank. Zu deren Leistungen zählen: Internationaler Geldtransfer via SWIFT (Society For World Wide Interbank Funds Transfer), inländische Geldtransfers in Afghanistan, diverse Kreditprodukte und andere Handelsleistungen sowie Sparen und Girokonten (IOM 2016).

 

Internationaler Geldtransfer via SWIFT ist seit 2003 über die Zentralbank verfügbar. Auch kommerzielle Banken bieten derzeit internationalen Geldtransfer an, manche nutzen eigene Möglichkeiten, andere greifen auf die Ressourcen der Zentralbank zurück. Die Zentralbank kann die Nachfrage des Bankensektors nach Bargeld in afghanischer Währung sowie in US-Dollar bedienen. Um Geld nach Afghanistan zu überweisen, müssen die Betroffenen ein Konto in Afghanistan haben. Die Zentralbank beabsichtigt, sich vom kommerziellen Bankgeschäft zurückzuziehen, da die kommerziellen Banken ihre Tätigkeiten in Afghanistan ausbauen. Die Zentralbank kann Überweisungen und andere Bankdienstleistungen in den Provinzen in ganz Afghanistan gewährleisten (IOM 2016). Geldtransferanbieter wie Western Union sind ebenfalls weit verbreitet (IOM 2016; vgl. auch: Western Union Holdings, Inc 2016 und Azizi Bank 2014).

 

Memorandum of Understanding (MoU)

 

Die Schweiz, Australien, Iran, Norwegen, Pakistan, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande und Schweden haben seit 2002 mit Afghanistan und dem UNHCR sog. Drei-Parteien-Abkommen (MoU - Memorandum of Understanding) zur Regelung der freiwilligen Rückkehr von afghanischen Flüchtlingen in ihr Heimatland geschlossen. Die Abkommen sehen u.a. die Übernahme von Reisekosten, Wiedereingliederungshilfe und Unterstützungsmaßnahmen für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge vor. Großbritannien, Frankreich, Italien, Dänemark, Norwegen, Schweden und Australien schieben abgelehnte Asylbewerber/innen afghanischer Herkunft nach Afghanistan ab. Von Norwegen ist bekannt, dass auch Familien mit minderjährigen Kindern abgeschoben werden. Der afghanische Flüchtlingsminister Balkhi (seit Ende Januar 2015 im Amt) lehnt die Rücknahme von afghanischen Flüchtlingen ab und ignoriert die MoUs, wurde jedoch von Präsident Ghani in seinem Einfluss beschnitten. Ein deutsch-afghanisches Rücknahme-MoU wurde am 2. Oktober 2016 in Kabul unterzeichnet (AA 9 .2016).

 

Binnenflüchtlinge (IDPs) und Flüchtlinge

 

Einem Bericht des Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge, verkomplizieren rückkehrende Flüchtlinge die Situation der bereits mehr als eine Million Binnenvertriebenen, deren Anzahl sich aufgrund des Aufstandes im Jahr 2016 erhöht hat. Nach Meinung des IWF wird dies die Kapazitäten des Landes überfordern.

 

Die Zahl der Internvertriebenen im Jahr 2017 betrug 9.759 (Stand 4. Februar 2017). 636.503 Menschen wurden insgesamt im Jahr 2016 aufgrund des Konfliktes vertrieben. Mehr als die Hälfte dieser Menschen (56%) waren Kinder unter 18 Jahren. Von Binnenvertreibung betroffen waren 31 Provinzen in unterschiedlichem Ausmaß; alle 34 Provinzen beherbergten Binnenvertriebene. Im Jahr 2016 stammten die meisten Binnenvertriebenen aus den Provinzen Kunduz, Uruzgan, Farah und Helmand. Gleichzeitig nahmen die Provinzen Helmand, Takhar, Farah, Kunduz und Kandahar die meisten Binnenvertriebenen auf. Viele Menschen suchen also in der Nähe ihrer Heimat Schutz. Binnenvertriebene tendieren dazu aus ländlichen Gebieten in die Provinzhauptstädte zu ziehen, oder in die angrenzenden Provinzen zu gehen. Sobald der Konflikt zu Ende ist, versuchen sie bald wieder nach Hause zu kehren.

 

Der verhängnisvollste Monat war Oktober, in welchem die Taliban mehrere Provinzhauptstädte gleichzeitig angriffen: Kunduz City, Farah City, Maimana, und Lashkar Gah. Der Anstieg der IDP-Zahlen ist auch auf den Rückzug internationaler Truppen zurückzuführen, die durch Luftangriffe unterstützten; mittlerweile haben die Taliban ihre Angriffstaktik geändert und sind zu Bodenoffensiven übergegangen. Bodenoffensiven sind nicht nur die Ursache für Tote und Verletzte innerhalb der Zivilbevölkerung, sondern zwingen die Menschen, aus ihren Heimen zu fliehen.

 

Im Rahmen von humanitärer Hilfe wurden Binnenvertriebene, je nach Region und Wetterbedingungen, unterschiedlich unterstützt: Bargeld, Paket für Familien, winterliche Ausrüstung, Nahrungspakete, Hygienepakete, Decken, Zelte, und andere Pakete, die keine Nahrungsmittel enthielten usw. Auch wurde Aufklärung in Bereichen wie Hygiene betrieben.

 

Unterschiedliche Organisationen, wie z.B. das Internationale Rote Kreuz (IRC) oder das Welternährungsprogramm (WFP) usw. sind je nach Verantwortungsbereichen für die Verteilung von Gütern zuständig.

Dazu zählten: Nahrung, Zelte, sowie andere Güter, die keine Nahrungsmittel waren.

 

UNHCR unterstützt Rückkehrer/innen mit finanziellen Beihilfen in vier Geldausgabezentren, außerdem mit Transiteinrichtungen und elementaren Gesundheitsleistungen. Zusätzlich wurden sie in anderen Bereichen aufgeklärt, wie z.B. Schuleinschreibungen, Gefahren von Minen etc.

 

Im Jänner 2017 wurde ein humanitärer Plan für US$ 550 Millionen aufgestellt, mit dem Ziel im Jahr 2017 die vulnerabelste und marginalisierteste Bevölkerung des Landes zu unterstützen. Ziel sind strategische und lebensnotwendige Interventionen: Nahrung, Unterkunft, Gesundheitsvorsorge, Ernährung, sauberes Wasser und Hygiene. Im Rahmen des "Afghanistan 2017 Humanitarian Response Plan" sollen etwa 5,7 Millionen Menschen erreicht werden.

 

Im September 2016 suchten die Vereinten Nationen um 152 Millionen US Dollar an, um lebensnotwendige Hilfe für Internvertriebenen, nicht-dokumentierten Rückkehrer/innen und registrierten Flüchtlingen bieten zu können. Von den zugesagten 42 Millionen US Dollar wurden 40,2 Millionen US Dollar bereits entgegengenommen. Somit stand die gesamte humanitäre Unterstützung für Afghanistan im November 2016 bei 401 Millionen US Dollar."

 

1.3.2. Auszug aus einer gutachterlichen Stellungnahme des Ländersachverständigen Dr. RASULY vom 23.10.2015 zur Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul im Verfahren betreffend einen anderen Asylwerber vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Zl. W119 2006001-1 (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

 

"Versorgungs- und Sicherheitslage in der Stadt Kabul:

 

Betreffend die Versorgungs- und Sicherheitslage in Kabul habe ich in Kabul vom 24.08. bis zum 03.09.2015 Forschungen angestellt. Außerdem habe ich bis Mitte Oktober durch meine Mitarbeiter in Kabul Informationen zu diesem Thema erhalten. Meine persönlichen Beobachtungen in Kabul umfassten folgende Schritte:

 

1. Ich habe in Kabul zivile Angestellten und Beamten des Staates, Angehörige der Sicherheitsministerien und Vertragsbedienstete zu diesem Zweck befragt und Zahlen betreffend das Gehaltsschema der Ministerien und Firmen gesammelt.

 

2. Ich habe auch Privatfirmen, wie Laden- und Firmenbesitzer und Geschäftsmänner, Pendler aus den umliegenden Regionen von Kabul und aus anderen Provinzen, die nach Kabul kommen und arbeiten bzw. Arbeit suchen, befragt.

 

3. Ich habe Studenten, Politiker, Hoteliers, Straßenkinder, Rückkehrer aus dem Ausland, die auf der Straße leben, Straßenbettler, Geschäftsleute und Familien vom 06. - 09.01.2015 in Kabul angetroffen und sie befragt.

 

4. Meine Mitarbeiter haben ihre diesbezüglichen Beobachtungen in meinem Auftrag bis Mitte Oktober fortgesetzt und ihre Informationen mir telefonisch übermittelt. Nach diesen

 

Informationen und nach meinen Beobachtungen in Kabul möchte ich das folgende Gutachten zur derzeitigen Versorgungs- und Sicherheitslage in Kabul erstatten:

 

Versorgungslage in Kabul:

 

In Kabul ist die Versorgungslage verschieden zu beurteilen: In Kabul gibt es alle Konsumgüter, die man in Europa vorfindet, d.h. man kann in Kabul jede Konsumware finden, die man in Österreich kaufen kann.

 

Allerdings sind die Preise der meisten Luxuswaren unerschwinglich, und ein Afghane mit dem Gehalt eines Lehrers oder eines Soldaten oder eines Hilfsarbeiters kann sich nicht diese Waren leisten.

 

Versorgungslage für Unterschicht und Rückkehrer ohne Familienrückhalt:

 

Die Waren, die für Grundversorgung benötigt werden, sind auch für die breite Schicht der Kabuler Bevölkerung, die zunehmend aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit verarmen, sehr teuer geworden, z.B. Lebensmittel, Kleidung, Medikamente und Miete. Für einen Afghanen, der als Lehrer oder Hilfsarbeiter oder Soldat in Kabul lebt, sind die Preise dieser Waren derzeit sehr hoch. Sie können sich und ihre Familie in Kabul mit notwendigsten Grundnahrungsmitteln ernähren, aber nicht ausreichend, sodass die Mehrheit der Unterschicht in Kabul im Winter vor Hunger, Kälte, und Krankheiten nicht geschützt ist. Die Unterschicht ist froh, wenn sie täglich zwei Mal am Tag Brot und Tee und Gemüse, welche sie sich leisten können, als Hauptspeise vor sich finden. Mindestens 20% der Kabul Bevölkerung sind sehr verarmt; sie sind teilweise die internen Flüchtlinge, können manchmal nur einmal am Tag für ihre Familie Brot und Tee besorgen. Diese Familien können sich Monate lang kein Fleisch leisten, und sie wären froh, wenn sie bei einer Totenzeremonie oder einer anderen Almosen-Gabe etwas Fleisch oder Reis oder etwas anderes zubereitetes Essen vielleicht in der Woche einmal zu sich nehmen könnten. Wenn es die internationale Hilfe, die sehr spärlich ist, und Almosengabe in der Gesellschaft nicht gäbe und wenn die Flüchtlinge im Ausland ihre Familien nicht unterstützen könnten, würde unter diesen 20% der Bevölkerung in Kabul im Winter eine Hungersnot ausbrechen.

 

[...]

 

Versorgungslage für Rückkehrer mit Familienrückhalt aus der Mittel- und Oberschicht:

 

Personen, die in Kabul eine eigene Wohnung oder ein Haus besitzen und mindestens einen kleinen Laden betreiben oder Familien haben, zu denen sie hinziehen könnten, haben keine Versorgungsschwierigkeiten. Besonders die Jugendlichen werden von ihren Eltern und leiblichen Brüdern langfristig aufgenommen und auch versorgt.

 

Unter engen Verwandten gibt es eine traditionelle verpflichtende Solidarität, dass kein enges Familienmitglied vom Hause der Familie verstoßen wird. Solange einer der Elternteile am Leben ist, ist der Rückkehrer am Erbe beteiligt. Ausgenommen die Jugendlichen, die in die Drogenszene geraten und mit ihren Familien nicht auskommen. Diese behausen unter den Brücken und in Abbruchhäusern in Kabul.

 

Fachkräfte wie gute Köche, gut ausgebildete Mechaniker, Krankenschwester, gute Buchhalter, soweit sie eine Arbeit finden und benötigt werden, können mit ihrem Gehalt in Kabul ohne besondere Probleme leben. [...]

 

[...]

 

Lebenskosten in Kabul:

 

Ausgehend von diesen Informationen braucht z.B. ein junger Rückkehrer in Kabul, um ein menschenwürdigen Leben führen zu können, im Monat für sich alleine folgendes am Mittel:

 

Eine Einzelperson braucht in Kabul ca. USD 350.- für seine Lebensunterhaltskosten. Diese Kosten beinhalten: Zimmermiete, Kleidung, Transport und Essen.

 

Eine Familie benötigt ca. USD 600.- im Monat in Kabul für ihre Lebensunterhaltskosten. Diese Kosten beinhalten Wohnungsmiete, Kleidung, Fahrtkosten und Lebensmittelkosten.

 

Wenn eine Person oder eine Familie schon im Vorhinein ein eigenes Privat-Haus oder Privatwohnung in Kabul hat, können diese Kosten sich auf $250.- bzw. auf $400 minimieren.

 

[...]

 

Zusammenfassung:

 

Kosten für Lebensunterhalt einer Person pro Monat $ 200-300,--

 

Kosten für Lebensunterhalt einer Familie pro Monat: $ 500,--

 

[...]

 

Wenn die Rückkehrer nach Kabul keine familiäre Bindung und kein Geldmittel bei sich haben, werden sie mit großen wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert sein. Wenn sie Fachausbildung haben, könnten sie sich im Lauf der Zeit etwas verdienen bzw. eine Stelle bekommen oder ein Geschäft gründen. Aber wenn junge Leute keine Bildung- und keine Fachausbildung haben, werden sie mit Sicherheit in ernster Versorgungssituation geraten. Die jungen Leute in den Dörfern laufen zu den Taliban über, damit sie etwas verdienen können. Auf diesem Weg sind viele Fronten in Dörfern entstanden, die mit den Taliban Ideologisch nichts am Hut haben, aber sie arbeiten für sie als Söldner.

 

Die schlechte Versorgungslage in Kabul hat auch dazu geführt, dass Gewaltbereitschaft und Raubüberfälle in den Außenbezirken Kabuls vermehr zugenommen haben.

 

[...]"

 

Diese Ausführungen hat der Ländersachverständige in der Folge in mehreren gutachterlichen Stellungnahmen im Wesentlichen bestätigt und sind diese somit nach wie vor aktuell (vgl. BVwG 22.09.2016, W151 1435926-2; 28.07.2016, W154 2009999-1 ua.; 03.02.2017, W217 2122982-1).

 

1.3.3. Auszug aus der Auskunft der Länderanalyse der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 05.04.2017 zu psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlungen in Afghanistan (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

 

[...]

 

2 Psychische Erkrankungen[...]

 

Posttraumatische Belastungsstörung und andere psychische Krankheiten weit verbreitet. Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände, die durch den Krieg hervorgerufen wurden, stellen gemäss mehreren Quellen eine ‚verborgene Epidemie' in Afghanistan dar.[...] Laut der letzten verfügbaren Untersuchung der Weltgesundheitsorganisation von 2004, zitiert in einem Bericht von Samuel Hall, litten 68 Prozent der Befragten an einer Depression, 72 Prozent an Angstzuständen und 42 Prozent an einer posttraumatischen Belastungsstörung.[...] 2005 litten gemäß Guardian 16,5 Prozent der Afghaninnen und Afghanen an psychischen Krankheiten. Seither dürfte sich die Zahl psychisch leidender Menschen höchstwahrscheinlich noch erhöht haben.[...]

 

[...]

 

Kaum Kapazitäten zur Behandlung psychischer Erkrankungen. Gemäß Samuel Hall wurden psychosoziale Probleme und psychische Erkrankungen in Afghanistan bisher stark unterschätzt und daher kaum angegangen, wenn nicht sogar ignoriert. Obwohl die Bedürfnisse nach Behandlung wegen der weiten Verbreitung solcher Erkrankungen akut seien, herrsche weiterhin ein Mangel an ausgebildetem Personal, namentlich an Psychiaterinnen und Psychiater, Sozialarbeitenden, Psychologinnen und Psychologen sowie an angemessener Infrastruktur. Das Bewusstsein, dass psychische Erkrankungen dringend behandelt werden müssen, fehle. [...]

 

3 Gesundheitsversorgung

 

Keine staatliche Krankenversicherung, private Gesundheitsdienstleistungen unerschwinglich, auch in staatlichen Einrichtungen müssen Medikamente oft selbst bezahlt werden. Gemäß dem deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gibt es in Afghanistan keine staatliche Krankenversicherung. Private Gesundheitseinrichtungen bieten Behandlungen an, sind jedoch für einheimische Patientinnen und Patienten unerschwinglich. Behandlungen, Labortests und Routineuntersuchungen in öffentlichen Krankenhäusern sind kostenlos. Medikamente sind dort allerdings oft nicht verfügbar, so dass Patientinnen und Patienten diese in privaten Apotheken selbst kaufen und bezahlen müssen.[...]

 

[...]

 

4 Verfügbarkeit von Medikamenten und Behandlungen

 

[...]

 

4.1.2 Verfügbarkeit in öffentlichen Einrichtungen

 

Kostenlose Verfügbarkeit von Medikamenten in öffentlichen Einrichtungen, hängt von internationaler Finanzierung ab. Die kostenlose Verfügbarkeit von Medikamenten in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen in Afghanistan beruht auf der Basic Package of Health Services (BPHS), die von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) bereitgestellt wird. Die Bereitstellung von Medikamenten durch öffentliche Kliniken ist ein Bestandteil der BPHS. Die Finanzierung dieses Programms erfolgt durch internationale Geldgeber und Partner wie die US Agency for International Development (USAID), die Weltbank oder die Europäische Kommission. Das Programm selbst wird von NGOs umgesetzt und vom afghanischen Gesundheitsministerium verwaltet.[...]

 

Sertralin, Flupentixol und Amitriptylin oder wirkstoffgleiche Medikamente sind für Patientinnen und Patienten öffentlicher Spitäler kostenlos, allerdings nur, solange die Finanzierung durch NGOs gesichert ist. Gemäß einer am Kabul Mental Health and Drug Addicts Hospital (KMHH) lehrenden Fachperson sind wirkstoffgleiche Medikamente für die drei benötigten Wirkstoffe in Kabul erhältlich. Patientinnen und Patienten im KMHH erhalten sie kostenlos. Dieses Spital erhält die oben genannten Medikamente durch die NGO HealthNet28. Wenn der Vorrat an diesen Medikamenten im Spital aufgebraucht ist, wird Nachschub bei der NGO Health-Net angefordert. Die Nachlieferung erfolgt ungefähr einen Monat nach der Bestellung. HealthNet stellt dem KMHH Medikamente und Weiterbildungen auf der Grundlage einer Vertragsvereinbarung zur Verfügung, die vor einem Jahr abgeschlossen wurde und noch ein weiteres Jahr läuft. Es ist bisher unklar, ob HealthNet die Vereinbarung verlängern wird, oder ob eine andere NGO sie übernehmen wird. Im Zeit-raum zwischen 2001 und 2017 stellten NGOs dem Spital während insgesamt fünf Jahren Medikamente zur Verfügung. Wenn sich nach Ablauf der aktuellen Vereinbarung keine NGO für die Versorgung mit Medikamenten bereit erklärt, müssen die Patientinnen und Patienten im KMHH verschriebene Medikamente auf dem freien Markt kaufen. 80 Prozent der Kosten müssen sie dann selbst bezahlen. Die afghanische Regierung vergütet nur 20 Prozent der Kosten für solche Medikamente, übernimmt für Patientinnen und Patienten des KMHH daneben aber unter anderem die Kosten für Verpflegung, stationäre Behandlung und Beratung (counseling).[...]

 

4.2 Verfügbarkeit von Behandlungen

 

Verfügbarkeit von ambulanten und stationären Behandlungen in zwei staatlichen Spitälern in Kabul. Laut einer am Kabul Mental Health and Drug Addicts Hos-pital (KMHH) lehrenden Fachperson bietet dieses Spital ambulante psychiatrische Behandlungen an. Es ist das einzige staatliche Spital in Afghanistan, das spezialisierte Behandlungen für eine größere Zahl von Patientinnen und Patienten einschliesslich medikamentöser Behandlung, Psychotherapie (Gruppen-, individuelle und kognitive Verhaltenstherapie), Ergotherapie sowie Beratungen anbietet. Außerdem hat dieses Spital 100 Betten. Durchschnittlich bietet es psychiatrische Behandlungen in Form von Operationalisierter Psychodynamischer Diagnostik (OPD) für 100 Patientinnen und Patienten pro Tag an. Patientinnen und Patienten, die stationär aufgenommen werden müssen, bleiben für mindestens zwei Wochen in diesem Spital. In Kabul gibt es außerdem ein zweites staatliches Spital, Ali Abad, das ebenfalls psychiatrische Behandlungen anbietet, allerdings in kleinerem Rahmen als das KMHH.[...]

 

Bedarf übersteigt die Kapazität der beiden staatlichen Spitäler in Kabul. Diese beiden staatlichen Spitäler können den Bedarf an psychiatrischen und psychotherapeutischen Behandlungen bei weitem nicht decken. Im KMHH wird versucht, Patientinnen und Patienten mit schweren psychischen Erkrankungen einen Spitalaufenthalt zu ermöglichen. Patientinnen und Patienten ohne suizidale Symptome und Personen, die keine Gefahr für andere darstellen, werden ambulant und durch Familientherapie behandelt. Ihre Familien werden informiert, wie sie mit den Patientinnen und Patienten umgehen und wann sie sie ins Spital bringen sollen.[...] Gemäß dem Direktor des privaten Shefa Curative Hospital ist die Anzahl der Betten für stationäre Behandlungen in den staatlichen Spitälern begrenzt. Diese könnten daher nicht viele stationäre Patientinnen und Patienten behandeln.[...] Weitere staatliche Spitäler in Afghanistan haben zwar eine psychiatrische Abteilung, allerdings stellen entsprechende Behandlungen dort keine Priorität dar.[...]

 

Mehrere private Einrichtungen in Kabul bieten psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungen an; nur wenige Personen können sich private Behandlungen leisten. In Kabul gibt es eine Reihe von lizenzierten Fachpersonen mit Spezialisierung im Bereich Psychiatrie, die psychiatrische Medikamente sowie ambulante psychotherapeutische Behandlungen in ihren Privatkliniken verschreiben. Die Kosten für privat verschriebene Medikamente und Behandlungen müssen vollständig von den Patientinnen und Patienten getragen werden.[...] Gemäß einer im afghanischen Gesundheitsministerium tätigen Fachperson belaufen sich beispielsweise die Kosten für eine Psychotherapie zur Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome in einer privaten Einrichtung auf monatlich ungefähr 1000 AFN (14.04 EUR).[...] Die meisten psychiatrischen Patientinnen und Patienten wenden sich an staatliche Einrichtungen in Kabul, da eine Behandlung dort kostenlos ist.[...]

 

Das private Shefa Curative Hospital bietet psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungen an. Es gibt in Kabul zwei weitere private Spitäler im Bereich Psychiatrie: Nademi Hospital und Syed Jamaludin Hospital.[...] Im privaten French Medical Institute for Children (FMIC) in Kabul gibt es nur eine Fachperson, die ambulante psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungen anbietet. Die Kosten müssen vollständig von den Patientinnen und Patienten getragen werden. Sehr arme und arbeitslose Personen sowie Personen mit finanziellen Schwierigkeiten können beim FMIC einen Kostenerlass beantragen. In diesem Fall schätzt das FMIC basierend auf einem Gespräch die finanzielle Situation der Person ein. Möglich sind Kostenerlässe von bis zu 30 Prozent, in sehr seltenen Fällen von bis zu 80 Prozent der Gesamtkosten.[...]

 

[...]"

 

1.3.4. Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19.04.2016:

 

"[...] Bei der Prüfung der Relevanz einer internen Schutzalternative für afghanische Antragsteller müssen die folgenden Aspekte erwogen werden:

 

(i) Der instabile, wenig vorhersehbare Charakter des bewaffneten Konflikts in Afghanistan hinsichtlich der Schwierigkeit, potenzielle Neuansiedlungsgebiete zu identifizieren, die dauerhaft sicher sind, und

 

(ii) die konkreten Aussichten auf einen sicheren Zugang zum vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet unter Berücksichtigung von Risiken im Zusammenhang mit dem landesweit verbreiteten Einsatz von improvisierten Sprengkörpern und Landminen, Angriffen und Kämpfen auf Straßen und von regierungsfeindlichen Kräften auferlegte Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Zivilisten.

 

[...] Im Lichte der verfügbaren Informationen über schwerwiegende und weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte [...] in von ihnen kontrollierten Gebieten sowie der Unfähigkeit des Staates, für Schutz gegen derartige Verletzungen in diesen Gebieten zu sorgen, ist nach Ansicht von UNHCR eine interne Schutzalternative in Gebieten des Landes, die sich unter tatsächlicher Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte [...] befinden, nicht gegeben; es sei denn in Ausnahmefällen, in denen Antragsteller über zuvor hergestellte Verbindungen zur Führung der regierungsfeindlichen Kräfte [...] im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet verfügen. UNHCR geht davon aus, dass eine interne Schutzalternative in den vom aktiven Konflikt betroffenen Gebieten unabhängig davon, von wem die Verfolgung ausgeht, nicht gegeben ist.

 

[...]

 

Ob eine interne Schutzalternative zumutbar ist, muss anhand einer Einzelfallprüfung unter vollständiger Berücksichtigung der Sicherheits-, Menschenrechts- und humanitären Lage im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet zum Zeitpunkt der Entscheidung festgestellt werden. Insbesondere stellen die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtssituation von Afghanen, die derzeit innerhalb des Landes vertrieben wurden, relevante Erwägungen dar, die bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer vorgeschlagenen internen Schutzalternative berücksichtigt werden müssen. UNHCR ist der Auffassung, dass eine vorgeschlagene interne Schutzalternative nur dann zumutbar ist, wenn der Zugang zu (i) Unterkunft, (ii) grundlegender Versorgung wie sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsdiensten und Bildung und zu (iii) Erwerbsmöglichkeiten gegeben ist. Ferner ist UNHCR der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann zumutbar sein kann, wenn betroffene Personen Zugang zu einem traditionellen Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gruppe im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet haben und davon ausgegangen werden kann, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen.

 

Die einzigen Ausnahmen von dieser Anforderung der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in urbanen und semiurbanen Umgebungen leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung bieten und unter tatsächlicher staatlicher Kontrolle stehen. Angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft aufgrund jahrzehntelang währender Kriege, der massiven Flüchtlingsströme und der internen Vertreibung ist gleichwohl eine einzelfallbezogene Analyse notwendig. [...]"

 

1.3.5. Auszug aus den Anmerkungen von UNHCR von Dezember 2016 zur Situation in Afghanistan (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

 

"[...]

 

Mit Blick auf eine regionale Differenzierung der Betrachtung der Situation in Afghanistan möchte UNHCR anmerken, dass UNHCR aufgrund der sich ständig ändernden Sicherheitslage bei der Feststellung internationalen Schutzbedarfes selbst keine Unterscheidung von ‚sicheren' und ‚unsicheren' Gebieten vornimmt. Für jede Entscheidung über den internationalen Schutzbedarf von Antragstellern aus Afghanistan ist es vor allem erforderlich, die Bedrohung unter Einbeziehung sämtlicher individueller Aspekte des Einzelfalls zu bewerten. Die Differenzierung ist also in erster Linie eine individuelle, welche die den Einzelfall betreffenden regionalen und lokalen Gegebenheiten berücksichtigt.

 

Dasselbe gilt auch hinsichtlich der Feststellung einer internen Schutzalternative. Ein pauschalierender Ansatz, der bestimmte Regionen hinsichtlich der Gefahr von Menschenrechtsverletzungen, wie sie für den Flüchtlingsschutz oder den subsidiären Schutz relevant sind, als sichere und zumutbare interne Schutzalternative ansieht, ist nach Auffassung von UNHCR vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in Afghanistan nicht möglich. Vielmehr ist stets eine sorgfältige Einzelfallprüfung erforderlich.

 

UNHCR möchte des Weiteren betonen, dass die Situation in Afghanistan volatil ist. Vor diesem Hintergrund ist zu unterstreichen, dass die Bewertung des Schutzbedarfs stets aufgrund aller zum Zeitpunkt der Entscheidung verfügbaren, neuesten Erkenntnisse erfolgen muss. Bei einem bereits länger zurückliegenden negativen Abschluss eines Asylverfahrens wird somit häufig Anlass bestehen, aufgrund der Veränderung der Faktenlage eine neue Ermittlung des Schutzbedarfs vorzunehmen.

 

[...]

 

Im Hinblick auf die Prüfung der Zumutbarkeit einer Neuansiedlung wird in den UNHCR-Richtlinien betont, dass den Antragsteller keine ‚unzumutbaren Härten' treffen sollten, was die Sicherheit, die Achtung der Menschenrechte und die Möglichkeiten für das wirtschaftliche Überleben unter menschenwürdigen Bedingungen im vorgeschlagenen Neuansiedlungsgebiet anbelangt. Dazu sollten Punkte, wie beispielsweise Zugang zu einer Unterkunft, die Verfügbarkeit grundlegender Infrastruktur und Zugang zu grundlegender Versorgung wie Trinkwasser, sanitärer Infrastruktur, Gesundheitsversorgung und Bildung sowie Erwerbsmöglichkeiten zur Sicherung der Grundversorgung sorgfältig geprüft werden. Es bedeutet auch, nicht von interner Vertreibung bedroht zu sein.

 

[...]

 

Die Zahl der Selbstmordanschläge in Kabul hat im Laufe des Jahres zugenommen. Sie sind außerdem komplexer geworden und führen zu einer höheren Zahl an Todesopfern als die sporadischen Zusammenstöße in anderen Teilen des Landes.[...]

 

Außerdem ist Kabul massiv vom starken Anstieg der Zahl der Rückkehrer aus Pakistan betroffen, mit fast einem Viertel der 55.000 registrierten zurückkehrenden Familien und einem ähnlichen Anteil an nicht dokumentierten Rückkehrern aus Pakistan, die sich in den überfüllten informellen Siedlungen in Kabul niedergelassen haben. Angesichts des ausführlich dokumentierten Rückgangs der wirtschaftlichen Entwicklung in Kabul als Folge des massiven Abzugs der internationalen Streitkräfte im Jahr 2014 ist die Aufnahmekapazität der Stadt aufgrund begrenzter Möglichkeiten der Existenzsicherung, Marktliquidität, der fehlenden Verfügbarkeit angemessener Unterbringung sowie des mangelnden Zugangs zu grundlegenden Versorgungsleistungen, insbesondere im Gesundheits- und Bildungswesen, äußerst eingeschränkt.

 

[....]

 

Die Wohnraumsituation sowie der Dienstleistungsbereich in Kabul sind aufgrund der seit Jahren andauernden Primär- und Sekundärfluchtbewegungen im Land, die in Verbindung mit einer natürlichen (nicht konfliktbedingten) Landflucht und Urbanisierung zu Massenbewegungen in Richtung der Stadt geführt hat, extrem angespannt. Im Jahr 2016 wurde die Situation durch den Umstand, dass mehr als 25 Prozent der Gesamtzahl der aus Pakistan zurückgekehrten Afghanen nach Kabul gezogen ist, weiter erschwert. Diese Umstände haben unmittelbare Auswirkungen auf die Prüfung, ob Kabul als interne Schutzalternative vorgeschlagen werden kann, insbesondere mit Blick auf eine Analyse der Zumutbarkeit. Die in den UNHCR-Richtlinien vom April 2016 dargestellten Erwägungen bleiben für die Bewertung des Vorhandenseins einer internen Schutzalternative in Kabul bestehen. Die Verfügbarkeit einer internen Schutzalternative im Umfeld eines dramatisch verschärften Wettbewerbs um den Zugang zu knappen Ressourcen muss unter Berücksichtigung der besonderen Umstände jedes einzelnen Antragstellers von Fall zu Fall geprüft werden.

 

[...]"

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers (Pkt. II.1.1.):

 

2.1.1. Die Feststellung zum Namen des Beschwerdeführers ergibt sich aus den - dem diesbezüglichen Verwaltungs- und Gerichtsakt entnehmbaren - Angaben des Beschwerdeführers im ersten Verfahrensgang und aus seinen damit übereinstimmenden Angaben im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, in der Beschwerde sowie vor dem Bundesverwaltungsgericht in diesem Verfahrensgang. Die Feststellung zum Geburtsdatum ergibt sich aus dem nachvollziehbaren und unbedenklichen medizinischen Sachverständigengutachten vom 21.01.2013 (s. Aktenseiten 169 ff. des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes des ersten Verfahrensganges). Die zur Identität des Beschwerdeführers (Name und Geburtsdatum) getroffenen Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung des Beschwerdeführers im Verfahren.

 

2.1.2. Die Feststellungen zur Staats-, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben im vorherigen Verfahrensgang und im gegenständlichen Verfahren; das Bundesverwaltungsgericht sieht keine Veranlassung, an diesen - im Wesentlichen gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zu Afghanistan deckenden - Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

 

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Herkunftsprovinz Nangarhar und seinen dortigen Schulbesuchszeiten, seinen Aufenthaltsorten, seiner Fluchtroute sowie zu seinen in Afghanistan aufhältigen Familienangehörigen sind chronologisch stringent und vor dem Hintergrund der in Afghanistan bestehenden sozio-ökonomischen Strukturen plausibel. Die vom Beschwerdeführer in seinen beiden Verfahrensgängen hierzu getätigten Angaben waren im Wesentlichen gleichbleibend und widerspruchsfrei. Das Datum der Antragstellung ergibt sich aus dem Akteninhalt.

 

2.1.3. Die Feststellungen zu den beim Beschwerdeführer vorliegenden Erkrankungen und seiner diesbezüglichen Behandlung ergeben sich aus der von ihm vorgelegten fachärztlichen Bestätigung vom 20.10.2015, dem Schreiben des forensisch-therapeutischen Zentrums Wien vom 08.09.2016, den Bestätigungen vom 01.07.2016 sowie 27.06.2017 (vgl. Pkt. I.6. und I.8.) und dem "Jugendneuropsychiatrischen Sachverständigengutachten" vom 07.08.2015 (Aktenseiten 973 ff. des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes des ersten Verfahrensganges).

 

2.1.4. Die Feststellung zu den Bezugszeiten von Leistungen aus der Grundversorgung ergibt sich aus dem eingeholten Auszug aus dem Grundversorgungs-Informationssystem. Die Feststellung zum vom Beschwerdeführer absolvierten Praktikum als Koch ergibt sich aus dem von ihm vorgelegten Praktikumsvertrag vom 23.11.2016. Die Feststellungen zu seiner Beschäftigung als Abwäscher bzw. Küchengehilfe und zu seinem diesbezüglichen Gehalt folgen aus dem Schreiben seines Dienstgebers vom 20.07.2017 und den vom Beschwerdeführer bzw. seinem Bruder getätigten Angaben. Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer für mehrere Monate als Verpacker von Lebensmitteln tätig war, ergibt sich aus seinem diesbezüglich glaubhaften Vorbringen.

 

Die Feststellungen zu den vom Beschwerdeführer besuchten Deutschkursen und seinen Deutschkenntnissen ergeben sich aus den im Laufe der Verfahren vorgelegten Bestätigungen sowie den vom erkennenden Richter in der mündlichen Verhandlung vom Beschwerdeführer gewonnenen Eindruck (s. S. 6 ff. des Verhandlungsprotokolls).

 

Die Feststellungen zur Teilnahme des Beschwerdeführers an diversen Workshops ergeben sich aus den von ihm vorgelegten Teilnahmebestätigungen.

 

Die Feststellungen zum Bemühen des Beschwerdeführers zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft nach seiner zweiten strafrechtlichen Verurteilung und zur Integration in Österreich ergeben sich aus den vom erkennenden Richter in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer, aus den von seiner Bewährungshelferin (S. 9 f. des Verhandlungsprotokolls) und seinem Bruder (S. 14 ff.) in der mündlichen Verhandlung getätigten Angaben sowie aus den im erstinstanzlichen Verwaltungsakt des ersten Verfahrensganges aufliegenden Unterlagen.

 

Die Feststellungen zum in Österreich aufhältigen Bruder des Beschwerdeführers folgen aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt des ersten Verfahrensganges sowie den Angaben des Beschwerdeführers und dieses Bruders in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (s. S. 7 f. und 15 f. des Verhandlungsprotokolls). Die Feststellung, dass dieser Bruder des Beschwerdeführers bis zum Erreichen der Volljährigkeit des Beschwerdeführers mit seiner Obsorge betraut war, ergibt sich aus dem im erstinstanzlichen Verwaltungsakt des ersten Verfahrensgangs aufliegenden Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt vom 11.11.2014.

 

Die Feststellungen zu den strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug sowie dem im Verfahrensakt aufliegenden Strafurteil vom 22.12.2015 (Aktenseiten 927 ff. des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes des ersten Verfahrensganges).

 

2.2. Zu den Feststellungen zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat (Pkt. II.1.2.):

 

2.2.1. Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr des Beschwerdeführers in die Provinz Nangarhar ergeben sich aus den o.a. Länderfeststellungen (Pkt. II.1.3.1.). Daraus geht im Wesentlichen hervor, dass es in der Provinz Nangarhar regelmäßig zu sicherheitsrelevanten Vorfällen kommt und militärische Operationen durchgeführt werden, um bestimmte Gegenden von Aufständischen zu befreien.

 

2.2.2. Die Feststellungen zur Rückkehr des Beschwerdeführers in die Stadt Kabul ergeben sich aus den o.a. Länderfeststellungen (Pkt. II.1.3.) unter Berücksichtigung des vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerde sowie in seiner Stellungnahme vom 17.08.2017 diesbezüglich angeführten Länderberichtsmaterials in Zusammenschau mit den vom Beschwerdeführer glaubhaft dargelegten persönlichen Umständen.

 

2.3. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat (Pkt. II.1.3.):

 

2.3.1. Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums (Aktualisierung des Länderinformationsblatts von Juni 2017) für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Von einer (weiteren) Aktualisierung der Länderfeststellungen konnte daher abgesehen werden.

 

2.3.2. Der Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Pkt. II.1.3.1.), der Auszug aus einer gutachterlichen Stellungnahme eines Ländersachverständigen zur Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul (Pkt. II.1.3.2.), der Auszug aus den UNHCR-Richtlinien vom 19.04.2016 (Pkt. II.1.3.4.) und der Auszug aus den Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan von Dezember 2016 (Pkt. II.1.3.5.) wurden dem Beschwerdeführer gemeinsam mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelt. Der Auszug aus der Auskunft der Länderanalyse der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 05.04.2017 (Pkt. II.1.3.3.) wurde dem Beschwerdeführer (bzw. seinem Rechtsvertreter) in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht übergeben und diesem eine dreiwöchige Frist zur Abgabe einer Stellungnahme zu den Länderfeststellungen eingeräumt. Mit der im Wege seines Rechtsvertreters erhobenen Stellungnahme vom 17.08.2017 trat der Beschwerdeführer diesen Länderberichten nicht substantiiert entgegen.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 25/2016, (in der Folge: BFA-VG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

 

Nach § 6 BVwGG, BGBl. I Nr. 10/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da weder im BFA-VG noch im AsylG 2005 eine Senatsentscheidung vorgesehen ist, liegt in der vorliegenden Rechtssache Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 24/2017, (in der Folge: VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 1 leg.cit. trat dieses Bundesgesetz mit 01.01.2014 in Kraft. Nach § 58 Abs. 2 leg.cit. bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Nach § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 28 Abs. 2 leg.cit. hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

 

Zu A)I. Abweisung der - zulässigen - Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkte I. bis III. des angefochtenen Bescheides:

 

3.1.1. Die maßgeblichen Bestimmungen zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides) lauten wie folgt:

 

Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 8 Abs. 1 leg.cit. nicht mehr vorliegen.

 

Nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen,

 

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

 

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

 

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 leg.cit. mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 leg.cit. oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 leg.cit. zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 leg.cit.) offen steht.

 

Nach § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz von Asylwerbern, denen in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden kann, und denen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann, abzuweisen (innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

 

3.1.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich jüngst mit der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung zum realen Risiko einer drohenden Verletzung der Art. 2 und 3 EMRK und zur ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im innerstaatlichen Konflikt auseinandergesetzt und diese wie folgt zusammengefasst (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137):

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0053 mwN).

 

Um von der realen Gefahr ("real risk") einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist. Es bedarf vielmehr einer darüber hinausgehenden Wahrscheinlichkeit, dass sich eine solche Gefahr verwirklichen wird (vgl. etwa VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479 und 23.09.2009, 2007/01/0515 mwN).

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass ein "real risk" (reales Risiko) vorliegt, wenn stichhaltige Gründe ("substantial grounds") dafür sprechen, dass die betroffene Person im Falle der Rückkehr in die Heimat das reale Risiko (insbesondere) einer Verletzung ihrer durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte zu gewärtigen hätte. Dafür spielt es grundsätzlich keine Rolle, ob dieses reale Risiko in der allgemeinen Sicherheitslage im Herkunftsstaat, in individuellen Risikofaktoren des Einzelnen oder in der Kombination beider Umstände begründet ist. Allerdings betont der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Rechtsprechung auch, dass nicht jede prekäre allgemeine Sicherheitslage ein reales Risiko iSd Art. 3 EMRK hervorruft. Im Gegenteil lässt sich seiner Judikatur entnehmen, dass eine Situation genereller Gewalt nur in sehr extremen Fällen ("in the most extreme cases") diese Voraussetzung erfüllt (vgl. etwa EGMR 28.11.2011, Appl. 8319/07 und 11.449/07, Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Rz 218, mit Hinweis auf EGMR 17.07.2008, Appl. 25.904/07, NA gegen Vereinigtes Königreich). In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen ("special distinguishing features"), auf Grund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen (vgl. etwa EGMR 28.11.2011, Appl. 8319/07 und 11.449/07, Sufi und Elmi gegen Vereinigtes Königreich, Rz 217).

 

Thurin (Der Schutz des Fremden vor rechtswidriger Abschiebung2, 2012, 203) fasst die bezughabenden Aussagen in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte dahingehend zusammen, dass der maßgebliche Unterschied zwischen einem "realen Risiko" und einer "bloßen Möglichkeit" prinzipiell im Vorliegen oder Nichtvorliegen von "special distinguishing features" zu erblicken ist, die auf ein "persönliches" ("personal") und "vorhersehbares" ("foreseeable") Risiko schließen lassen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bestehe nur in sehr extremen Fällen ("most extreme cases"), wenn die allgemeine Lage im Herkunftsstaat so ernst sei, dass praktisch jeder, der dorthin abgeschoben wird, einem realen und unmittelbar drohenden ("real and imminent") Risiko einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sei. Diesfalls sei das reale Risiko bereits durch die extreme allgemeine Gefahrenlage im Zielstaat indiziert.

 

Auch im jüngst ergangenen Urteil der Großen Kammer vom 23.08.2016, Appl. 59.166/12, J.K. u.a. gegen Schweden, beschäftigte sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mit seiner einschlägigen Rechtsprechung und führte u.a. aus, dass die Beweislast für das Vorliegen eines realen Risikos in Bezug auf individuelle Gefährdungsmomente für eine Person grundsätzlich bei dieser liege (v.a. Rz 91 und 96), gleichzeitig aber die Schwierigkeiten, mit denen ein Asylwerber bei der Beschaffung von Beweismitteln konfrontiert sei, in Betracht zu ziehen seien und bei einem entsprechend substantiierten Vorbringen des Asylwerbers, weshalb sich seine Lage von jener anderer Personen im Herkunftsstaat unterscheide (vgl. Rz 94), im Zweifel zu seinen Gunsten zu entscheiden sei (Rz 97). Soweit es um die allgemeine Lage im Herkunftsstaat gehe, sei jedoch ein anderer Ansatz heranzuziehen. Diesbezüglich hätten die Asylbehörden vollen Zugang zu den relevanten Informationen und es liege an ihnen, die allgemeine Lage im betreffenden Staat (einschließlich der Schutzfähigkeit der Behörden im Herkunftsstaat) von Amts wegen festzustellen und nachzuweisen (Rz 98).

 

Der Tatbestand einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes in § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 orientiert sich an Art. 15 lit. c der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EG ) und umfasst - wie der Gerichtshof der Europäischen Union erkannt hat - eine Schadensgefahr allgemeiner Art, die sich als "willkürlich" erweist, also sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann. Entscheidend für die Annahme einer solchen Gefährdung ist nach den Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union, dass der den bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, eine Zivilperson liefe bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr, einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Dabei ist zu beachten, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er auf Grund von seiner persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist (vgl. EuGH 17.02.2009, C-465/07 , Elgafaji, und vom 30.01.2014, C-285/12 , Diakité).

 

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).

 

Darüber hinaus ist auf die Rechtsprechung der Höchstgerichte zu verweisen, wonach es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 05.10.2016, Ra 2016/19/0158 mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden, Appl. 61.204/09 mwH).

 

Selbst wenn einem Antragsteller in seiner Herkunftsregion eine Art. 3 EMRK-widrige Situation drohen sollte, ist seine Rückführung dennoch möglich, wenn ihm in einem anderen Landesteil seines Herkunftsstaates eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht (§ 11 AsylG 2005). Ihre Inanspruchnahme muss dem Fremden - im Sinne eines zusätzlichen Kriteriums - zumutbar sein (Prüfung der konkreten Lebensumstände am Zielort); für die Frage der Zumutbarkeit (im engeren Sinn) muss daher ein geringerer Maßstab als für die Zuerkennung subsidiären Schutzes als maßgeblich angesehen werden (vgl. Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 11 AsylG 2005, K15). Dass das mögliche Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch bei der Prüfung des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 AsylG 2005, wonach sich die innerstaatliche Fluchtalternative, die als ein Kriterium u.a. die Zumutbarkeit des Aufenthalts in einem bestimmten Teil des Staatsgebietes vorsieht, auf den "Antrag auf internationalen Schutz" und somit auch auf jenen auf Zuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigten bezieht (vgl. hierzu auch VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0233).

 

3.1.3. Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Judikatur eine konkrete Auseinandersetzung mit den den Beschwerdeführer konkret und individuell betreffenden Umständen, die er bei Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul zu gewärtigen hätte (VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0233). Vor diesem Hintergrund ging der Verwaltungsgerichtshof mitunter auch davon aus, dass betreffend die Beschwerdeführer in den konkreten Verfahren - auf Basis der darin getroffenen Feststellungen - keine Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul dargetan worden sei (vgl. VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0063). Die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative erfordert nämlich im Hinblick auf das ihr u.a. innewohnende Zumutbarkeitskalkül insbesondere nähere Feststellungen über die zu erwartende konkrete Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet (VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151; 08.09.2016, Ra 2016/20/0063).

 

In einer jüngst ergangenen Entscheidung führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass - auf Basis der in dem zugrundeliegenden Erkenntnis getroffenen Feststellungen - nicht von vornherein erkennbar sei, weshalb ein Fremder durch mangelnde tragfähige Beziehungen und mangelnde Ortskenntnisse in afghanischen Großstädten trotz Vertrautheit mit den kulturellen Gegebenheiten und der Sprache in eine Situation ernsthafter individueller Bedrohung des Lebens komme (vgl. VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095; der dortige Beschwerdeführer hatte noch nie in der Stadt Kabul gelebt, hatte keine Familienangehörigen in der Stadt Kabul und verfügte darüber hinaus - im Gegensatz zum Beschwerdeführer im vorliegenden Fall - auch über keine keine finanziellen Unterstützungsmöglichkeiten durch Familienangehörige).

 

3.1.4. Vor diesem Hintergrund ist für den vorliegenden Fall Folgendes festzuhalten:

 

3.1.4.1. Der Beschwerdeführer stammt aus der Provinz Nangarhar, die - wie in der Beweiswürdigung unter Pkt. II.2.2. ausgeführt - eine der volatilen Provinzen Afghanistans ist. Das Bundesverwaltungsgericht geht angesichts der prekären Sicherheitslage und der in der Provinz Nangarhar immer wieder auftretenden Kampfhandlungen in Übereinstimmung mit dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (s. S. 61 f. des angefochtenen Bescheides) davon aus, dass dem Beschwerdeführer bei einer Überstellung nach Afghanistan in diese Provinz die reale Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK drohen würde.

 

3.1.4.2. In Übereinstimmung mit dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl geht das Bundesverwaltungsgericht jedoch - unter Berücksichtigung der von UNHCR aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan (vgl. Pkt. II.1.3.4.) - nach den o.a. Länderfeststellungen (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation [Pkt. II.1.3.1.], Auszug aus einer gutachterlichen Stellungnahme eines Ländersachverständigen zur Sicherheits- und Versorgungslage in Kabul [Pkt. II.1.3.2.], Auszug aus der Auskunft der Länderanalyse der Schweizer Flüchtlingshilfe vom 05.04.2017 [Pkt. II.1.3.3.] und Auszug aus den Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan von Dezember 2016 [Pkt. II.1.3.5.]) in Zusammenschau mit den - vom Beschwerdeführer glaubhaft dargelegten (vgl. Pkt. II.2.1.) - persönlichen Lebensumständen aus folgenden Gründen davon aus, dass der Beschwerdeführer in zumutbarer Weise auf die Übersiedlung in andere Landesteile Afghanistans, konkret in die Hauptstadt Kabul, verwiesen werden kann:

 

3.1.4.2.1. Es wird seitens des erkennenden Gerichts im Hinblick auf die o.a. Länderfeststellungen (v.a. hinsichtlich der Anmerkungen von UNHCR zur Situation in Afghanistan von Dezember 2016) und das in der Beschwerde sowie v.a. in der Stellungnahme vom 17.08.2017 dargelegte Berichtsmaterial zwar keineswegs verkannt, dass die Sicherheitslage (auch) in der Stadt Kabul nach wie vor angespannt ist. Dennoch ist festzuhalten, dass die afghanische Regierung nach wie vor die Kontrolle über Kabul und größere Transitrouten innehat, zudem ist Kabul auf Grund des vorhandenen Flughafens über den Luftweg gut erreichbar. Aus dem vorliegenden Berichtsmaterial geht hervor, dass Terroranschläge, insbesondere auf Einrichtungen mit Symbolcharakter, in der Stadt Kabul nicht auszuschließen sind und in unregelmäßigen Abständen auch stattfinden. Hierzu ist anzuführen, dass die weltweit zu verzeichnende Zunahme von Terroranschlägen für sich alleine betrachtet noch nicht die Schlussfolgerung zu tragen vermag, dass eine Ausweisung in einen von Terroranschlägen betroffenen Staat (bzw. ein bestimmtes Gebiet innerhalb eines Staates) automatisch eine Verletzung des Art. 3 EMRK nach sich ziehen würde bzw. für den Betroffenen unzumutbar wäre. Die in der Stadt Kabul verzeichneten Anschläge ereignen sich - wie sich aus einer Gesamtschau des vorliegenden Länderberichtsmaterials und dem notorischen Amtswissen ableiten lässt - hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen und richten sich in der Regel gezielt gegen die Regierung und internationale Organisationen sowie Restaurants, Hotels oder ähnliche Einrichtungen, in denen vorwiegend ausländische Personen verkehren. Diese Gefährdungsquellen sind jedoch in reinen Wohngebieten nicht in einem solchen Ausmaß anzunehmen, dass die Lage in der Stadt Kabul insgesamt als nicht ausreichend sicher zu bewerten ist.

 

3.1.4.2.2. Hinsichtlich der in der Stadt Kabul bestehenden Versorgungslage und allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung ist auszuführen, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung, zwar häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist, die Versorgung der Bevölkerung jedoch zumindest grundlegend gesichert ist. Allerdings werden Personen, die sich ohne jegliche familiäre Bindung, Fachausbildung und Geldmittel in Kabul ansiedeln, mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert sein.

 

Laut den oben auszugsweise wiedergegebenen Richtlinien des UNHCR müssen die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtslage von intern vertriebenen afghanischen Staatsangehörigen bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative berücksichtigt werden, wobei angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft auf Grund jahrzehntelang währender Kriege, massiver Flüchtlingsströme und interner Vertreibung hierfür jeweils eine Einzelfallprüfung notwendig ist (zur Indizwirkung von UNHCR-Richtlinien vgl. u.a. VwGH 10.12.2014, Ra 2014/18/0103).

 

3.1.4.2.3. Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen (physisch) gesunden jungen Mann im erwerbsfähigen Alter mit mehrjähriger Schulbildung (in Afghanistan) und mehrmonatiger Berufserfahrung als Verpacker und Küchengehilfe (in Österreich), der zudem ein 1-monatiges Praktikum als Koch in Österreich absolviert hat; beim Beschwerdeführer kann daher die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden. Er hat zwar bislang noch nicht in der Stadt Kabul gelebt und verfügt dort über keine familiären oder sonstigen sozialen Anknüpfungspunkte, er hat jedoch den überwiegenden Teil seines Lebens in Afghanistan verbracht, weshalb er mit den dortigen kulturellen und sozialen Gepflogenheiten sowie der dortigen Sprache bestens vertraut ist. Zudem gehört der Beschwerdeführer keinem Personenkreis an, von dem anzunehmen ist, dass er sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. Weiters kann der Beschwerdeführer durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise in der Stadt Kabul das Auslangen finden, weshalb nicht davon auszugehen ist, dass er bereits unmittelbar nach seiner Ankunft und noch bevor er in der Lage wäre, selbst für seinen Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnte. Seine Existenz könnte der Beschwerdeführer in der Stadt Kabul mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern, wobei ihm seine in Österreich erlangte Berufserfahrung zu Gute kommt. Schließlich ist hierzu insbesondere hervorzuheben, dass der in Österreich aufhältige Bruder des Beschwerdeführers ihn bei einer Rückkehr finanziell unterstützen würde, wie er es aktuell bereits hinsichtlich seiner in Afghanistan aufhältigen Familienmitglieder tut; internationaler Geldtransfer ist nach den o.a. Länderfeststellungen möglich.

 

3.1.4.2.4. Es ist nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes entgegen dem Vorbringen in der Beschwerde (s. S. 10 f. der Beschwerde) und in der Stellungnahme vom 17.08.2017 aus folgenden Gründen auch nicht ersichtlich, dass psychische Erkrankungen bzw. Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers in jener besonderen Schwere vorliegen, die nach der sehr strengen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 3 EMRK eine Abschiebung nach Afghanistan und eine Ansiedlung in der Stadt Kabul als unmenschliche Behandlung erscheinen ließen:

 

Den o.a. Länderfeststellungen ist zwar zu entnehmen, dass es in Afghanistan landesweit nach wie vor u.a. an ausreichenden Ärzten sowie Fachpersonal mangelt, sich die medizinische Versorgung in Afghanistan jedoch in den letzten zehn Jahren stark verbessert hat und grundsätzlich vorhanden ist; auch die Behandlung von psychischen Erkrankungen findet zwar nicht in ausreichendem Maße statt, ist aber - u.a. in Kabul mit zwei psychiatrischen Einrichtungen - grundsätzlich gegeben (Pkt. II.1.3.1. und 1.3.3.).

 

Unbestritten ist, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK eine Überstellung nach Afghanistan dann nicht zulässig wäre, wenn dort wegen fehlender Behandlungsmöglichkeiten schwerer Krankheiten eine existenzbedrohende Situation drohte.

 

Nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und jener des Verfassungsgerichtshofes hat auch - aus dem Blickwinkel des Art. 3 EMRK - im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden; dies selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich und kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gäbe (siehe VfSlg. 18.407/2008; nach diesen Kriterien hat auch der Verwaltungsgerichtshof wiederholt beurteilt, ob die Abschiebung eines Kranken zulässig ist - vgl. dazu etwa die Erkenntnisse vom 10.12.2009, 2008/19/0809 bis 0812, und vom 28.04.2010, 2008/19/0139 bis 0143).

 

Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK. Solche lägen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (EGMR 22.06.2010, Al-Zawatia gegen Schweden, Appl. 50.068/08; 27.05.2008, N. gegen Vereinigtes Königreich, Appl. 26.565/05, 42 ff.;

03.05.2007, Goncharova & Alekseytsev gegen Schweden, Appl. 31.246/06; 07.11.2006, Ayegh gegen Schweden, Appl. 4701/05;

04.07.2006, Karim gegen Schweden, Appl. 24.171/05; 10.11.2005, Paramsothy gegen die Niederlande, Appl. 14.492/03).

 

Für eine akute lebensbedrohende Krankheit des Beschwerdeführers, welche eine Überstellung nach Afghanistan gemäß der dargestellten Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte verbieten würde, liegen im konkreten Fall aus der Aktenlage heraus keine Hinweise vor. Auch wurde nicht hinreichend konkret dargelegt, dass sich der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers im Falle einer Überstellung derartig verschlechtern würde, sodass eine Überstellung iSd o.a. Judikatur als unzulässig anzusehen wäre. Abgesehen davon werden von der Fremdenpolizeibehörde anlässlich einer Abschiebung auch der aktuelle Gesundheitszustand und insbesondere die Transportfähigkeit der Betroffenen beurteilt sowie gegebenenfalls bei gesundheitlichen Problemen die entsprechenden Maßnahmen gesetzt.

 

Durch eine Abschiebung des Beschwerdeführers wird Art. 3 EMRK somit nicht verletzt, zumal es ausreicht, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten im Zielland der Abschiebung grundsätzlich verfügbar sind, was im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers der Fall ist; dass die Behandlung im Herkunftsstaat nicht den gleichen Standard wie in Österreich aufweist oder unter Umständen auch kostenintensiver ist, ist nicht relevant.

 

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass auch die oben vorgenommene Beurteilung zur Frage der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul durch die beim Beschwerdeführer vorliegende posttraumatische Belastungsstörung bzw. Anpassungsstörung zu keinem anderen Ergebnis führt.

 

3.1.4.3. Vor dem Hintergrund der o.a. Länderberichte und der persönlichen Situation des Beschwerdeführers ist in Übereinstimmung mit dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und entgegen dem Vorbringen in der Beschwerde sowie der Stellungnahme vom 17.08.2017 in einer Gesamtbetrachtung daher nicht zu erkennen, dass er im Fall seiner Überstellung nach Afghanistan und einer Ansiedlung in der Stadt Kabul in eine ausweglose Situation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 oder Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer eine Ansiedlung in der Stadt Kabul möglich und auch zumutbar ist.

 

Es ist dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl daher nicht entgegenzutreten, wenn es auf Grund der strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers gemäß § 9 Abs. 3 AsylG 2005 ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten eingeleitet und dem Beschwerdeführer in weiterer Folge auf Grund der nun nicht mehr vorliegenden Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten diesen von Amts wegen mit Bescheid aberkannt hat.

 

3.1.5. Die Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ist daher abzuweisen.

 

3.1.6. Soweit in der Beschwerde unter Darlegung näherer Ausführungen Bedenken gegen die Verfassungskonformität des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 geltend gemacht werden bzw. ein "Vorlageverfahren in Ansehung von EU-Rechtswidrigkeit" angeregt wird (s. S. 19 ff. der Beschwerdeschrift), ist lediglich der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - wie auch das Bundesverwaltungsgericht mit der vorliegenden Entscheidung - die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht auf § 9 Abs. 2 Z 3 leg.cit. sondern auf § 9 Abs. 1 Z 1 leg.cit. gestützt hat. Die dahingehenden Beschwerdeausführungen gehen daher schon aus diesem Grund ins Leere (vgl. zudem zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 VfGH 08.03.2016, G 440/2015 ua.).

 

Im Übrigen ist im Hinblick auf das in der Stellungnahme vom 17.08.2017 getätigte Vorbringen zur individuellen Verfolgung des Beschwerdeführers seitens der Taliban weiters darauf hinzuweisen, dass der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit in Rechtskraft erwachsenem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.07.2015 gemäß § 3 AsylG 2005 abgewiesen wurde und diese Frage daher nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist.

 

3.2.1. Die maßgeblichen Bestimmungen zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides) lauten wie folgt:

 

3.2.1.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 68/2017, (in der Folge: FPG) zu verbinden, wenn einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 des § 10 Abs. 1 leg.cit. von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 leg.cit. nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 des § 10 Abs. 1 leg.cit. kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.

 

3.2.1.2. Das AsylG 2005 regelt in seinem 7. Hauptstück die Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie das Verfahren zur Erteilung derselben. Die darin enthaltenen Bestimmungen lauten auszugsweise folgendermaßen:

 

"Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK

 

§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung plus' zu erteilen, wenn

 

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und

 

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungs-gesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

 

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine ‚Aufenthaltsberechtigung' zu erteilen.

 

[...]

 

Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz

 

§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.

 

(3) - (4) [...]

 

Antragstellung und amtswegiges Verfahren

 

§ 58. (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn

 

1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,

 

2. der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,

 

4. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder

 

5. ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.

 

(2) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

 

(3) Das Bundesamt hat über das Ergebnis der von Amts wegen erfolgten Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.

 

(4) - (13) [...]"

 

3.2.1.3. Die maßgeblichen Bestimmungen des 7. und 8. Hauptstücks des FPG lauten wie folgt:

 

"Abschiebung

 

§ 46. (1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

 

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

 

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

 

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

 

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

 

(2) - (6) [...]

 

[...]

 

Verbot der Abschiebung

 

§ 50. (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

[...]

 

Rückkehrentscheidung

 

§ 52. (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich

 

1. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder

 

2. nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

 

(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn

 

1. dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,

 

2. dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,

 

3. ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder

 

4. ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird

 

und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

(3) - (8) [...]

 

(9) Das Bundesamt hat mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.

 

(10) - (11) [...]"

 

3.2.1.4. § 9 BFA-VG lautet wie folgt:

 

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

(4) - (6) [...]"

 

3.2.2. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erkannte dem Beschwerdeführer mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid den zuvor zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 ab (vgl. hierzu oben unter Pkt. II.3.1.). In der Folge hatte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl daher die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung nach § 10 leg.cit zu prüfen.

 

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 leg.cit. von Amts wegen zu prüfen, wenn einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird. Nach § 58 Abs. 2 leg.cit. ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 leg.cit. nur von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

 

3.2.3. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil der Aufenthalt des Beschwerdeführers weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet ist noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist und der Beschwerdeführer auch nicht Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 leg.cit. wurde. Weder hat der Beschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe des § 57 leg.cit. behauptet, noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhaltes im Ermittlungsverfahren hervor.

 

3.2.4. Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist, dass dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 überhaupt in Betracht (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

 

3.2.4.1. Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Ob eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

 

3.2.4.2. Was einen allfälligen Eingriff in das Familienleben des Beschwerdeführers in Österreich betrifft, ist Folgendes festzuhalten:

 

3.2.4.2.1. Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern sind z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215; vgl. auch VfGH 12.03.2014, U 1904/2013) mitumfasst. Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen und von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, aktuell ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. etwa VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235).

 

Vor dem Hintergrund dieser Judikatur führt der Beschwerdeführer mit seinem älteren, im Bundesgebiet aufenthaltsberechtigten Bruder ein Familienleben iSd Art. 8 Abs. 1 EMRK: Der Beschwerdeführer lebt mit diesem Bruder seit ca. drei Jahren im gemeinsamen Haushalt, wobei dieser Bruder den Beschwerdeführer in diesem Zeitraum in jeder Hinsicht unterstützt hat und zur Seite gestanden ist (z.B. bei Arbeitssuche, Berufswahl oder Bewährungshilfeterminen); dieser Bruder des Beschwerdeführers war bis zum Erreichen seiner Volljährigkeit auch sein gesetzlicher Vertreter. Es ist im vorliegenden Fall daher von einer hinreichend stark ausgeprägten Nahebeziehung des Beschwerdeführers zu dem genannten Bruder auszugehen, um das Vorhandensein eines Familienlebens iSd Art. 8 EMRK zu diesem anzunehmen.

 

3.2.4.2.2. Der durch eine Rückkehrentscheidung erfolgende Eingriff in dieses Familienleben ist nach Lage des Falles allerdings statthaft:

 

Bei dem in Österreich aufhältigen Bruder des Beschwerdeführers mag es sich zwar aktuell um die engste familiäre Bezugsperson für ihn handeln, doch bedeutet dies nicht, dass er von diesem Familienmitglied durch eine Rückkehr in sein Herkunftsland völlig abgeschnitten wäre. So könnte er den Kontakt zum Bruder telefonisch aufrechthalten, wie es derzeit zwischen dem Beschwerdeführer und seinen in Afghanistan aufhältigen Verwandten der Fall ist. Dabei wird nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer zu seinem in Österreich aufhältigen Bruder eine besondere Beziehung pflegt, eine durch die Rückkehr des Beschwerdeführers in sein Herkunftsland erfolgende räumliche Trennung von seinem Bruder scheint jedoch nicht schlechterdings unzumutbar, zumal der Beschwerdeführer auch bereits vor dem gemeinsamen Zusammenleben mit seinem Bruder von diesem für einen längeren Zeitraum getrennt war. Schließlich ist festzuhalten, dass mit in Rechtskraft erwachsenem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.07.2015 der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Frage der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wurde; angesichts dieser Entscheidung konnte der Beschwerdeführer ab diesem Zeitpunkt auch nicht mehr auf die Fortsetzung seines in Österreich ausgeübten Familienlebens vertrauen.

 

3.2.4.2.3. In Zusammenschau mit seiner Integration in Österreich sowie den gewichtigen öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung (vgl. dazu sogleich näher unter Pkt. II.3.2.4.3.) ist somit durch die Erlassung einer Rückkehrentscheidung zwar ein Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung seines Familienlebens, nicht jedoch dessen Verletzung erkennbar.

 

3.2.4.3. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls lediglich in das Privatleben des Beschwerdeführers eingreifen:

 

3.2.4.3.1. Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen eines Menschen zu verstehen (vgl. EGMR 15.01.2007, Sisojeva ua. gegen Lettland, Appl. 60.654/00). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst der verstrichene Zeitraum im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007, 852 ff.). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, weil - abseits familiärer Umstände - eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass "der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte". Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 mwH).

 

Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwH).

 

3.2.4.3.2. Im vorliegenden Fall hält sich der Beschwerdeführer seit seiner Antragstellung im August 2012 im Bundesgebiet auf, wo er nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des bloß vorübergehenden Aufenthaltsrechts in seinem Asylverfahren verfügt hat. Der Beschwerdeführer ist illegal nach Österreich eingereist und stellte in weiterer Folge seinen Antrag auf internationalen Schutz, der sich hinsichtlich der Frage der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten mit dem in Rechtskraft erwachsenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.07.2015 als unberechtigt erwiesen hat. Die Dauer der Verfahren vor den einzelnen Behörden und Rechtsschutzeinrichtungen (Bundesasylamt, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie Bundesverwaltungsgericht) überstieg zudem noch nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg. 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Butt gegen Norwegen, Appl. 47.017/09, 85 f.).

 

In der Interessenabwägung ist zugunsten des Beschwerdeführers zu berücksichtigen, dass er sich in den vergangenen Jahren um seine Integration in Österreich aufrichtig bemüht hat. Dies äußert sich in seinem Bemühen um das Erlernen der deutschen Sprache (er besuchte in Österreich Deutschkurse und spricht zwar etwas gebrochenes, aber hinreichend verständliches Deutsch), in seiner Wiedereingliederung in die Gesellschaft nach seiner zweiten strafrechtlichen Verurteilung und in den von ihm besuchten Workshops zu verschiedenen gesellschaftlich relevanten Themen. Zudem ist der Beschwerdeführer sichtlich um seine Integration am Arbeitsmarkt bestrebt, indem er mehrere Monate als Verpacker tätig war, ein Praktikum als Koch absolvierte und aktuell eine Fixanstellung als Abwäscher bzw. Küchengehilfe innehat.

 

Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird die für die Integration eines Fremden wesentliche soziale Komponente durch vom Fremden begangene Straftaten erheblich beeinträchtigt (vgl. etwa VwGH 30.01.2007, 2004/21/0045 mwH). Im vorliegenden Fall muss sich der Beschwerdeführer in der ihn betreffenden Interessenabwägung entgegenhalten lassen, dass er im Laufe seines Aufenthaltes bereits zwei strafrechtliche Verurteilungen (u.a. wegen einer Vergewaltigung) aufweist, wobei er nach seiner ersten Verurteilung neuerlich straffällig wurde. Es wird seitens des erkennenden Gerichtes nicht verkannt, dass es sich bei den vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten um Jugendstraftaten handelt, dass der Beschwerdeführer diese Straftaten aufrichtig bereut und dass er sichtlich um eine Resozialisierung in die Gesellschaft bemüht ist. Nichtsdestotrotz muss ihm - gerade auch auf Grund der Schwere der Straftat der von ihm begangenen Vergewaltigung - eine grobe Missachtung der österreichischen Rechtsordnung vorgeworfen werden und schlagen die strafrechtlichen Handlungen des Beschwerdeführers gravierend zu seinen Ungunsten aus.

 

3.2.4.3.3. Den privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (zB VwGH 16.01.2001, 2000/18/0251).

 

Die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung, die sich insbesondere im Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften sowie darin manifestieren, dass das Asylrecht (und die mit der Einbringung eines Asylantrages verbundene vorläufige Aufenthaltsberechtigung) nicht zur Umgehung der allgemeinen Regelungen eines geordneten Zuwanderungswesens dienen darf, wiegen im vorliegenden Fall nach den oben dargelegten Erwägungen schwerer als die Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich.

 

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung iSd § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit entgegen den Ausführungen in der Beschwerdeschrift zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sein persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, wonach im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

 

3.2.4.4. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Rechts des Beschwerdeführers auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist daher ebenfalls nicht geboten.

 

3.2.5. Die Voraussetzungen des § 10 AsylG 2005 liegen vor: Da dem Beschwerdeführer der zuvor zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wurde, war die Rückkehrentscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 leg.cit. zu erlassen. Es ist auch - wie bereits ausgeführt - kein Aufenthaltstitel nach § 57 leg.cit. von Amts wegen zu erteilen.

 

§ 52 Abs. 2 Z 4 FPG setzt weiters voraus, dass kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt und dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Zusammenhang gegeben.

 

3.2.6. Mit der Erlassung der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, dass die Abschiebung gemäß § 46 leg.cit. in einen bestimmten Staat zulässig ist.

 

Die Abschiebung in einen Staat ist gemäß § 50 Abs. 1 FPG unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 EMRK oder das 6. oder 13. ZPEMRK verletzt würden oder für den Betroffenen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes verbunden wäre. Dies entspricht dem Tatbestand des § 8 Abs. 1 AsylG 2005. Das Vorliegen eines dementsprechenden Sachverhaltes wurde bereits bei der oben erfolgten Prüfung der Rechtmäßigkeit der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten verneint (vgl. Pkt. II.3.1.).

 

3.2.7. Da somit alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorliegen, ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

 

3.3. Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):

 

3.3.1. § 55 FPG lautet wie folgt:

 

"Frist für die freiwillige Ausreise

 

§ 55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.

 

(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.

 

(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.

 

(4) - (5) [...]"

 

3.3.2. Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 leg.cit. zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Gemäß § 55 Abs. 2 leg.cit. beträgt diese Frist 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, wenn nicht im Rahmen einer (vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzunehmenden) Abwägung festgestellt worden ist, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Gemäß § 55 Abs. 3 leg.cit. kann, wenn besondere Umstände überwiegen, die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als den 14 Tagen festgesetzt werden. Die besonderen Umstände hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen, zugleich hat er einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben.

 

Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht worden sind, ist die Frist vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides ist daher als unbegründet abzuweisen.

 

Zu A)II. Abweisung der - zulässigen - Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides:

 

3.4. Zur Erlassung eines befristeten Einreiseverbotes (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides):

 

3.4.1. Der zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Einreiseverbots relevante § 53 FPG lautet wie folgt:

 

"Einreiseverbot

 

§ 53. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung kann vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten. (Anm.: Abs. 1a aufgehoben durch BGBl. I Nr. 68/2013)

 

(2) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens fünf Jahren zu erlassen. [...]

 

(3) Ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 ist für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant ist, hat insbesondere zu gelten, wenn

 

1.-ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist;

 

2.-ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht wegen einer innerhalb von drei Monaten nach der Einreise begangenen Vorsatztat rechtskräftig verurteilt worden ist;

 

3.-ein Drittstaatsangehöriger wegen Zuhälterei rechtskräftig verurteilt worden ist;

 

4.-ein Drittstaatsangehöriger wegen einer Wiederholungstat oder einer gerichtlich strafbaren Handlung im Sinne dieses Bundesgesetzes oder des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes rechtskräftig bestraft oder verurteilt worden ist;

 

5.-ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

 

6.-auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB);

 

7.-auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

 

8.-ein Drittstaatsangehöriger öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

 

(4) Die Frist des Einreiseverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise des Drittstaatsangehörigen.

 

(5) Eine gemäß Abs. 3 maßgebliche Verurteilung liegt nicht vor, wenn sie bereits getilgt ist. § 73 StGB gilt.

 

(6) [...]"

 

3.4.2. Bei der für ein Einreiseverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0289; 24.03.2015, Ra 2014/21/0049).

 

Bei der Entscheidung betreffend die Verhängung eines Einreiseverbots ist - abgesehen von der Bewertung des bisherigen Verhaltens des Fremden - darauf abzustellen, wie lange die von ihm ausgehende Gefährdung zu prognostizieren ist (VwGH 15.12.2011, 2011/21/0237). Diese Prognose ist nachvollziehbar zu begründen, wobei im Allgemeinen auch der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukommt (VwGH 16.10.2014, Ra 2014/21/0039).

 

Weiters ist bei der Entscheidung über die Dauer des Einreiseverbots auch auf die privaten und familiären Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/21/0002; vgl. auch Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht, 2016, § 53 FPG, K12).

 

Schließlich darf bei der Verhängung eines Einreiseverbots das Ausschöpfen der vorgesehenen Höchstfristen nicht regelmäßig schon dann erfolgen, wenn einer der Fälle des § 53 Abs. 2 Z 1 bis 9 bzw. des § 53 Abs. 3 Z 1 bis 8 FPG vorliegt (vgl. etwa VwGH 30.6.2015, Ra 2015/21/0002 mwH).

 

3.4.3. Gemäß § 53 Abs. 3 FPG ist ein Einreiseverbot gemäß § 53 Abs. 1 FPG für die Dauer von höchstens zehn Jahren zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt. § 53 Abs. 3 Z 1 bis 8 FPG nennt bestimmte Tatsachen, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbots neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant sind.

 

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 22.12.2015 wegen des Verbrechens der Vergewaltigung als junger Erwachsener nach § 201 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten rechtskräftig verurteilt, womit der Tatbestand des § 53 Abs. 1 iVm § 53 Abs. 3 Z 1 FPG erfüllt ist. Es ist dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl daher nicht entgegenzutreten, wenn es gegen den Beschwerdeführer nach der genannten Bestimmung ein Einreiseverbot erlassen hat. Die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl festgesetzte Dauer des Einreiseverbots (10 Jahre) erscheint dem Bundesverwaltungsgericht jedoch aus folgenden Gründen nicht angemessen:

 

Es wird auch seitens des Bundesverwaltungsgerichtes keineswegs verkannt, dass es sich beim Beschwerdeführer begangenen Verbrechen der Vergewaltigung gemäß § 201 Abs. 1 StGB um "eine schwere und besonders verwerfliche strafbare Handlung gegen die Sittlichkeit und die körperliche Integrität einer anderen Person" handelt (VwGH 12.03.2002, 2002/18/0037); die Schwere der begangenen strafbaren Handlung fällt bei der anzustellenden Gefährlichkeitsprognose daher eindeutig zu Lasten des Beschwerdeführers aus. Darüber hinaus wurde der Beschwerdeführer bereits zuvor mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 28.01.2015 wegen Sachbeschädigung sowie Versuchs des gewerbsmäßigen Erwerbs, des Besitzes und der Überlassung von Suchtgift als junger Erwachsener nach § 125 StGB sowie §§ 27 Abs. 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall, 27 Abs. 2 und 3, zu einer 4-wöchigen, bedingten Freiheitsstrafe verurteilt, womit er in Österreich nicht nur einmal, sondern gleich mehrfach straffällig wurde.

 

Allerdings ist im Fall des Beschwerdeführers zunächst zu berücksichtigen, dass er vor seinen strafbaren Handlungen im Jahr 2015 in Österreich strafgerichtlich nicht in Erscheinung getreten und zum Tatzeitpunkt der Vergewaltigung bei ihm eine psychische Beeinträchtigung vorgelegen ist (was im Übrigen vom Landesgericht für Strafsachen Wien als strafmildernd erachtet wurde - s. Aktenseite 931 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes des ersten Verfahrensganges). Betrachtet man das vom Beschwerdeführer begangene Verbrechen der Vergewaltigung nach dem Strafgesetzbuch, so sieht § 201 Abs. 1 StGB einen Strafrahmen von einem bis zu zehn Jahren vor; die von der belangten Behörde verhängte Dauer des Einreiseverbotes von zehn Jahren steht im Vergleich zu der im gegenständlichen Fall tatsächlich verhängten (bedingten) Freiheitsstrafe von 18 Monaten nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes in keinem Verhältnis.

 

Weiters ist der Beschwerdeführer seit Begehung seiner zweiten strafrechtlichen Verurteilung erkennbar um seine Wiedereingliederung in die Gesellschaft und seine Integration in Österreich bemüht, indem er v.a. seine Termine mit der Bewährungshelferin wahrnahm (und nach wie vor wahrnimmt), mehrere Deutschkurse sowie Workshops besuchte und ein Praktikum als Koch in einem Restaurant in Wien absolvierte, wo er nunmehr als Abwäscher bzw. Küchengehilfe eingestellt ist.

 

Die vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl festgesetzte Dauer des Einreiseverbots von zehn Jahren ist nach Ansicht Bundesverwaltungsgerichtes, nach Abwägung aller dargelegten Umstände und vor dem Hintergrund des vom erkennenden Richter in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Beschwerdeführer, nicht angemessen. Allerdings erweist sich im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung des Fehlverhaltens des Beschwerdeführers eine Herabsetzung des Einreiseverbotes auf weniger als sechs Jahre - v.a. vor dem Hintergrund der Schwere des begangenen Verbrechens - als nicht angemessen.

 

3.4.4. Die Dauer des Einreiseverbots ist daher spruchgemäß in angemessener Weise auf sechs Jahre herabzusetzen und der Beschwerde insoweit stattzugeben.

 

Die Bestimmung des § 5 Z 10 JGG kann zugunsten des Beschwerdeführers schon deshalb keine Anwendung finden, weil sie für ihn als - zum Zeitpunkt der Begehung der Straftaten - jungen Erwachsenen mangels Nennung in § 19 Abs. 2 JGG nicht anwendbar ist.

 

Zu A)III. Zurückweisung des Antrags auf Kostenersatz:

 

3.5.1. Der mit "Kosten im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt" betitelte § 35 VwGVG lautet folgendermaßen:

 

"§ 35. (1) Die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG) obsiegende Partei hat Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei.

 

(2) Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei.

 

(3) Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.

 

(4) Als Aufwendungen gemäß Abs. 1 gelten:

 

1. die Kommissionsgebühren sowie die Barauslagen, für die der Beschwerdeführer aufzukommen hat,

 

2. die Fahrtkosten, die mit der Wahrnehmung seiner Parteirechte in Verhandlungen vor dem Verwaltungsgericht verbunden waren, sowie

 

3. die durch Verordnung des Bundeskanzlers festzusetzenden Pauschalbeträge für den Schriftsatz-, den Verhandlungs- und den Vorlageaufwand.

 

(5) Die Höhe des Schriftsatz- und des Verhandlungsaufwands hat den durchschnittlichen Kosten der Vertretung bzw. der Einbringung des Schriftsatzes durch einen Rechtsanwalt zu entsprechen. Für den Ersatz der den Behörden erwachsenden Kosten ist ein Pauschalbetrag festzusetzen, der dem durchschnittlichen Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand der Behörden entspricht.

 

(6) Die §§ 52 bis 54 VwGG sind auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

 

(7) Aufwandersatz ist auf Antrag der Partei zu leisten. Der Antrag kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden."

 

3.5.2. Der Beschwerdeführer beantragte im Beschwerdeschriftsatz den Ersatz der Verfahrenskosten und stützt sich dabei auf § 35 VwGVG.

 

§ 35 VwGVG regelt lediglich einen Kostenersatz für Beschwerden über Maßnahmen unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt iSd Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG. Gegenständlich handelt es sich jedoch um ein Verfahren gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit iSd Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG. Ein Anspruch auf Ersatz der Kosten im Beschwerdeverfahren gegen angefochtene Bescheide der Verwaltungsbehörden kann weder § 35 VwGVG, noch einer anderen Bestimmung des VwGVG entnommen werden und ergibt sich darüber hinaus auch aus keiner Bestimmung der anzuwendenden Materiengesetze oder des AVG.

 

3.5.3. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenersatz ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

 

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

 

3.6. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A) wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

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