VfGH G440/2015 ua

VfGHG440/2015 ua8.3.2016

Abweisung der Anträge des Verwaltungsgerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichtes auf Aufhebung der Regelung über die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten infolge strafgerichtlicher Verurteilung wegen eines Verbrechens; Anknüpfen an die Kategorie des mit strengeren Strafdrohungen bewehrten Verbrechens nach dem StGB im rechtpolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers

Normen

AsylG 2005 §9 Abs2 Z3
StGB §17
Statusrichtlinie 2004/83/EG Art17, Art19

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2016:G440.2015

 

Spruch:

Die Anträge werden abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Anträge

Mit den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG gestützten Anträgen begehrt der Verwaltungsgerichtshof, §9 Abs2 Z3 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005), BGBl I 100 idF BGBl I 122/2009, als verfassungswidrig aufzuheben (protokolliert zu G440/2015, G13/2016 und G28/2016). Das Bundesverwaltungsgericht begehrt mit seinen auf Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG gestützten Anträgen (protokolliert zu G543/2015, G590/2015, G638/2015, G643/2015, G652/2015, G668/2015 und G37/2016) ebenfalls die Aufhebung des §9 Abs2 Z3 leg.cit. sowie in eventu (mit Ausnahme des zu G37/2016 protokollierten Antrages) die Aufhebung des §8 Abs3a leg.cit.

II. Rechtsvorschriften

Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Rechtsvorschriften lauten wie folgt (die angefochtenen Gesetzesbestimmungen sind hervorgehoben):

1. §8 Abs3a AsylG 2005, BGBl I 100 idF BGBl I 122/2009, lautet:

"(3a) Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs1 oder aus den Gründen des Abs3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß §9 Abs2 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 EMRK, Art3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist."

§9 Abs2 AsylG 2005, BGBl I 100 idF BGBl I 122/2009, lautet:

"(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn

1. einer der in Art1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;

2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des §73 StGB, BGBl Nr 60/1974, entspricht.

In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 EMRK, Art3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde."

2. Die Aberkennungstatbestände des §9 Abs2 AsylG 2005 dienen der Umsetzung der in Art19 Abs3 iVm Art17 Abs1 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Statusrichtlinie) normierten Ausschluss- bzw. Aberkennungstatbestände (RV 330 BlgNR 24. GP , 9). Diese Bestimmungen lauten:

"Artikel 19

Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung des subsidiärenSchutzstatus

(1) – (2) [...]

(3) Die Mitgliedstaaten erkennen einem Drittstaatsangehörigen oder einem Staatenlosen den subsidiären Schutzstatus ab, beenden diesen oder lehnen eine Verlängerung ab, wenn

a) er nach der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß Artikel 17 Absätze 1 und 2 von der Gewährung subsidiären Schutzes hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen wird;

b) [...]

(4) [...]"

Der in dieser Bestimmung u.a. bezogene Art17 Abs1 lautet:

"Artikel 17

Ausschluss

 

(1) Ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser ist von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er

a) ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne der internationalen Vertragswerke begangen hat, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen festzulegen;

b) eine schwere Straftat begangen hat;

c) sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen;

d) eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit des Landes darstellt,

in dem er sich aufhält."

Die Statusrichtlinie erfuhr mit ihrer Neufassung, der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, die am 9. Jänner 2012 in Kraft getreten ist, lediglich geringfügige Änderungen. Die Bestimmungen betreffend den Ausschluss bzw. die Aberkennung des Flüchtlingsstatus sowie des subsidiären Schutzstatus – somit die für den vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen der Statusrichtlinie – wurden nicht geändert.

3. Den Erläuterungen zu §8 Abs3a AsylG 2005 sowie §9 Abs2 leg.cit. lässt sich Folgendes entnehmen (RV 330 BlgNR 24. GP , 9 f.):

"Zu Z5 (§8 Abs3a):

Im Hinblick auf die neuen Aberkennungstatbestände betreffend den Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen Straffälligkeit gemäß §9 Abs2 wird mit dem neuen Abs3a durch Einführung eines Ausschlussgrundes konsequenterweise bestimmt, dass in diesen Fällen der Status des subsidiär Schutzberechtigten auch nicht zuzuerkennen ist. Das betrifft naturgemäß einerseits die Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, anderseits auch die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Aberkennung des Status des Asylberechtigten. […]

Aus der Anwendbarkeit des §8 Abs3a folgt daher, dass die Abschiebung eine Gefahr für die Verletzung der Rechte nach der EMRK im Sinne des Refoulementverbots bedeuten würde, weshalb eine Entscheidung nach §8 Abs3a mit der Feststellung zu verbinden ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist. […]

Liegt ein Fall des Abs3a vor, so ist der Aufenthalt des Fremden im Bundesgebiet, solange eine Abschiebung unzulässig ist, gemäß §46a FPG geduldet. […]

[…]

Zu Z7 (§9 Abs2 und 3):

Die geltende Rechtslage führt zu dem rechtspolitisch unbefriedigenden Ergebnis, dass Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten – samt den damit verbundenen Rechten (Arbeitsmarktzugang uä.) – nicht aberkannt werden kann, solange die Abschiebung in den Herkunftsstaat eine Menschenrechtsverletzung im Sinne der EMRK bedeuten würde. Dies gilt auch dann, wenn der Fremde in Österreich mittlerweile (auch schwerste) Straftaten begangen hat. Nunmehr soll dies möglich sein und damit ein Zeichen gesetzt werden, dass Straffälligkeit mit dem Verlust von Rechten einhergeht und die Rechtsposition dieser Fremden auf das notwendige Maß beschränkt werden.

Der neue Abs2 stellt demgemäß eine Erweiterung der Aberkennungstatbestände des Abs1 dar. So hat eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auch in drei weiteren Fällen von Amts wegen zu erfolgen (Z1 bis 3). Diese Aberkennungstatbestände entsprechen den in Art19 Abs3 iVm Art17 Abs1 der Statusrichtlinie (RL 2004/83/EG des Rates) normierten Aberkennungstatbeständen. Von diesen europarechtlich vorgesehenen Aberkennungsmöglichkeiten soll nun innerstaatlich Gebrauch gemacht werden. Die Z1 und 2 orientieren sich dabei auch an den Aberkennungs- bzw. Ausschlussgründen für den Status des Asylberechtigten gemäß §6 Abs1 Z2 und 3. Abweichend von der in Z3 geforderten formalen Grenze des 'Verbrechens (§17 StGB)' kann der Aberkennungstatbestand der Z2 auch dann erfüllt sein, wenn mehrere minderschwere Straftaten vorliegen, welche für sich das Kriterium der Z3 nicht erfüllen. Der in Art17 Abs1 litb der Statusrichtlinie geregelte Aberkennungstatbestand der 'schweren Straftat' wird im Sinne der österreichischen Strafrechtsterminologie mit der 'rechtskräftigen Verurteilung zu einem Verbrechen (§17 StGB)' umgesetzt (Z3). Die hier geforderte Schwelle des Verbrechens im Sinne des §17 StGB steht in keinem direkten Bezug zum 'besonders schweren Verbrechen' gemäß §6 Abs1 Z4. Die Beurteilung einer Tat (oder mehrerer Taten) als besonders schweres Verbrechen im Sinne des §6 Abs1 Z4 ist vielmehr unabhängig von dieser formalen Einordnung und nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine Straftat, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzt.

[…] Da die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bei einer drohenden Verletzung der Rechte nach der EMRK im Sinne des Refoulementverbots selbstverständlich nicht zu einer Abschiebung des Fremden führen soll, ist die Aberkennung nach Abs2 mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist. […] Der Aufenthalt dieser Fremden im Bundesgebiet ist gemäß dem neuen §46a FPG geduldet, solange eine Abschiebung unzulässig ist. […]"

III. Vorangegangenes Prüfungsverfahren

1. Alle Anträge beziehen sich auf Bedenken, die der Verfassungsgerichtshof in seinem Prüfungsbeschluss vom 3. Juli 2015, U32/2014-12, betreffend die Verfassungsmäßigkeit des §9 Abs2 Z3 AsylG 2005 idF BGBl I 122/2009 geäußert hat.

2. Dem Anlassfall lag folgender Sachverhalt zugrunde:

2.1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise am 26. Juni 2009 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 5. Juni 2012 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 zuerkannt und gemäß §8 Abs4 leg.cit. eine für ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt. Seine Entscheidung begründete der Asylgerichtshof im Wesentlichen mit den mangelnden familiären Anknüpfungspunkten und der aktuell schlechten Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan.

2.2. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 27. Juli 2012 wurde der Beschwerdeführer wegen §§15 iVm 87 Abs1 StGB (versuchte absichtliche schwere Körperverletzung) zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt.

2.3. In der Folge wurde dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20. Juni 2013 der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §9 Abs2 Z3 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt, die erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß §9 Abs4 leg.cit. entzogen und festgestellt, dass im Hinblick auf die getroffenen Länderfeststellungen eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan unzulässig sei. Diesen Bescheid bestätigte der Asylgerichtshof mit der im Anlassverfahren angefochtenen Entscheidung. Den Ausführungen des Asylgerichtshofes zufolge sei auf Grund der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers wegen eines Verbrechens im Sinne des §17 StGB (der Strafrahmen für absichtliche schwere Körperverletzung beträgt 1 bis 5 Jahre) der Aberkennungstatbestand des §9 Abs2 Z3 AsylG 2005 verwirklicht. Eine positive Zukunftsprognose sei nicht von Relevanz.

3. Der Verfassungsgerichtshof begründete seine Bedenken betreffend §9 Abs2 Z3 AsylG 2005 in seinem Prüfungsbeschluss vom 3. Juli 2014 zu U32/2014 – unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu dem aus dem Gleichheitssatz abzuleitenden Erfordernis der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen (u.a. VfSlg 9901/1983, 10.517/1985, 10.926/1986, 11.587/1987, 19.342/2011), der zufolge die Rechtsfolgen einer Rechtsverletzung nicht unverhältnismäßig gegenüber den Umständen des Einzelfalles und dessen Unrechtsgehalt sein dürfen – wie folgt:

"3.1. Der Gleichheitssatz verbietet u.a., wesentlich Gleiches ohne sachliche Rechtfertigung ungleich zu behandeln (vgl. VfSlg 2956/1956, 5727/1968, 7947/1976, 8279/1978, 10.001/1984, 10.413/1985, 13.471/1993). Er richtet sich auch an den Gesetzgeber. Er setzt ihm insofern verfassungsrechtliche Schranken, als er ihm verbietet, sachlich nicht begründbare gesetzliche Regelungen zu treffen (VfSlg 11.369/1987).

3.2. In VfSlg 9901/1983 prüfte der Verfassungsgerichtshof eine Bestimmung des Finanzstrafgesetzes, die vorsah, dass bei bestimmten Finanzvergehen zwingend auf den Verfall von Sachen (oder einen an ihre Stelle tretenden Wertersatz) zu erkennen ist, hinsichtlich derer es begangen worden ist. Der Verfassungsgerichtshof hob diese Bestimmung wegen Widerspruchs zum Gleichheitssatz zusammengefasst mit der Begründung auf, dass der obligatorisch auszusprechende Verfall eine absolute Strafe sei, die deswegen unverhältnismäßig sei, weil sie unabhängig vom Grad des Verschuldens und unabhängig von der Höhe des durch das Finanzvergehen bewirkten Schadens (etwa der Abgabenverkürzung) vorgesehen sei.

Der Verfassungsgerichtshof führte dazu näher aus: 'Daß der Wert der verfallenden Sachen ein Vielfaches des Schadens ausmachen kann, liegt aber im System der in Prüfung gezogenen Verfallsregelung, da diese auf das Verhältnis zwischen dem Wert der dem Verfall unterliegenden Sache einerseits und der Schadenshöhe und der Schuld andererseits nicht Bedacht nimmt. Es hängt von den Zufälligkeiten des Einzelfalles ab, wie bei dieser Finanzstrafe die Relation gestalte[t] ist. Diese Diskrepanz kann nicht mit dem Hinweis darauf gerechtfertigt werden, sie trete nur in seltenen Härtefällen auf. Härtefälle können nämlich nur dann in Kauf genommen werden, wenn die Regelung an sich gleichheitssatzgemäß ist und der Gesetzgeber lediglich aus praktischen Gründen bei der notwendigen Abstraktion des Gesetzes, nicht auf alle denkbaren Einzelfälle Bedacht nehmen konnte. Hier aber ist die Möglichkeit eines exzessiven Mißverhältnisses vom System der Regelung mitgedacht.'

In VfSlg 11.587/1987 (zur Nachfolgeregelung der mit VfSlg 9901/1983 aufgehobenen Bestimmung) bekräftigte der Verfassungsgerichtshof diese Rechtsprechung und betonte, 'daß nämlich zumindest schwere Strafen (auch jene des Verfalls) in angemessenem Verhältnis zu den Umständen des Einzelfalles stehen müssen'. Dass der Verfall nur mehr bei Vorsatzdelikten zu verhängen sei, ändere daran nichts, entscheidend sei, dass es an der nötigen Flexibilität mangle. Bei dieser Rechtsprechung blieb der Verfassungsgerichtshof in unmittelbar vergleichbaren Fällen (vgl. zB VfSlg 10.597/1985, 10.904/1986) und übertrug sie verallgemeinernd auf sonstige Fälle eines (exzessiven) Mißverhältnisses von Strafe und Unrechtsgehalt bzw. verursachtem Schaden (VfSlg 12.151/1989, 12.282/1990, 15.785/2000, 16.407/2001, 16.633/2002, 17.719/2005).

Bereits mit dem Erkenntnis VfSlg 10.517/1985 erweiterte der Verfassungsgerichtshof diese Judikatur auf andere einschneidende Sanktionen, insbesondere auf – unabhängig vom Verschulden und den Umständen des Einzelfalles – eintretende Gebühren- und sonstige Abgabenerhöhungen (vgl. weiters zB VfSlg 11.833/1988, 17.077/2003).

In VfSlg 10.926/1986 übertrug der Verfassungsgerichtshof diesen Grundgedanken auf andere schwerwiegende Rechtsfolgen im Gefolge von Rechtsverstößen ohne Bedachtnahme auf den Unrechtsgehalt (Grunderwerbssteuerpflicht bei Verletzung von Offenlegungspflichten), vgl. weiters VfSlg 12.240/1989 (Almmeldepflicht), VfSlg 12.763/1991 (Marktordnung), VfSlg 15.247/1998 (Rückzahlung Arbeitslosengeld) und VfSlg 15.804/2000 (Erlöschen Einzelvertrag).

Zuletzt erachtete der Verfassungsgerichtshof in VfSlg 19.342/2011 eine Vorschrift als unverhältnismäßig (und daher im konkreten Fall als gegen das verfassungsmäßig gewährleistete Recht der Erwerbsausübungsfreiheit und den Gleichheitssatz verstoßend), die zwingend, ohne Bedachtnahme auf die Umstände des Einzelfalls, den Verlust der Börsemitgliedschaft eines Unternehmens vorsah, das selbst oder dessen Geschäftsleiter wegen Marktmanipulation (verwaltungsstrafrechtlich) bestraft wurde. Er betonte, dass es von der Konzeption des Straftatbestandes her von vornherein auszuschließen sei, dass alle Verstöße von gleicher Gravität seien, stets aber unausweichlich die gleiche gravierende Sanktion eintrete. Dies führe (auch) zu einer Verletzung des Gleichheitssatzes, weil es zu einer Gleichbehandlung von Fällen komme, die sich voneinander im Tatsächlichen wesentlich unterschieden.

[…]

3.3.1. Die Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigen gemäß §9 Abs2 AsylG 2005 bildet eine gravierende Rechtsfolge bzw. zieht sie eine solche nach sich.

Personen, denen der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wurde, deren Abschiebung aber auf Grund des Refoulementverbots nicht möglich ist, werden gemäß §46a Abs1 Z2 FPG geduldet. §31 Abs1a Z3 FPG bestimmt, dass es sich bei der Duldung nicht um einen rechtmäßigen Aufenthalt handelt. Dies führt dazu, dass mit der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wesentliche Rechtspositionen (bspw. das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt oder auf bestimmte Sozialleistungen) verloren gehen; die betreffende Person wird letztlich auf einen geduldeten Aufenthalt ohne rechtlichen Status beschränkt.

3.3.2. Dieser (mitunter existentielle) Rechtsverlust tritt zwingend mit der Verurteilung wegen eines Verbrechens, also einer vorsätzlich begangenen Straftat, die mit mindestens dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht ist (§17 StGB), ein. Unter diese Kategorie fallen aber äußerst unterschiedliche Straftaten mit unterschiedlichstem Unrechtsgehalt und Schuldgehalt in der Tatbegehung; im Gesetzesprüfungsverfahren wird auch zu klären sein, ob der Grund der Verfassungswidrigkeit darin liegt, dass das Gesetz an die Strafdrohung und nicht (auch) an die konkret verhängte Strafe anknüpft.

Zwar sieht Art17 Abs1 litb der Statusrichtlinie vor, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen ist, wenn dieser eine schwere Straftat begangen hat. Dies lässt aber den Mitgliedstaaten einerseits einen Spielraum in der Festlegung des Begriffs 'schwere Straftat', andererseits dürfte diese Vorschrift nicht dazu zwingen, Straftaten ausschließlich nach der Strafdrohung zu kategorisieren, sondern die Berücksichtigung der Schwere bzw. des Unrechtsgehalts einer konkreten Straftat zulassen.

Der Verfassungsgerichtshof bezweifelt nun angesichts des vorliegenden Falles nicht, dass die Konkretisierung des Begriffs 'schwere Straftat' in Art17 der Statusrichtlinie mit dem 'Verbrechen' im Sinne des §17 StGB grundsätzlich richtlinienkonform ist. Allerdings hegt er das Bedenken, dass das ausschließliche Abstellen des Gesetzgebers auf die Höhe der Strafdrohung mit der vorhin wiedergegebenen Judikatur in Widerspruch steht, wonach die Rechtsfolgen einer Rechtsverletzung nicht unverhältnismäßig gegenüber den Umständen der Tatbegehung und deren Unrechtsgehalt sein dürfen.

Wie das vorliegende Beschwerdeverfahren zeigt, führt auch die Verurteilung wegen einer versuchten Straftat, die nicht einmal die Verhängung eines Rückkehrverbots rechtfertigt (also die Beendigung eines rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich wegen Gefährdung öffentlicher Interessen), trotzdem dazu, dass der Betreffende den rechtmäßigen Aufenthalt mit den daraus resultierenden Rechtsfolgen verliert. Dass damit im Sinne der vorhin wiedergegebenen Judikatur ungleiche Sachverhalte mit gleichen Folgen belegt werden, dürfte auf der Hand liegen.

Der Verfassungsgerichtshof hegt daher das Bedenken, dass die in Prüfung zu ziehende Vorschrift gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt."

4. Wie dem Verfassungsgerichtshof nach diesem Prüfungsbeschluss vom Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 10. August 2015 bekannt gegeben wurde, wurde dem Beschwerdeführer – in Folge einer neuerlichen Asylantragstellung – mit Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11. Dezember 2014 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Der Beschwerdeführer war daher ab diesem Zeitpunkt klaglos gestellt, weswegen das Beschwerdeverfahren gemäß §86 VfGG mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 24. September 2015 eingestellt wurde (s. VfGH 24.9.2015, U32/2014-19).

Da die Klaglosstellung schon im Zeitpunkt der Unterbrechung des Beschwerdeverfahrens vorlag und der Verfassungsgerichtshof demnach die in Prüfung gezogene Gesetzesbestimmung zu diesem Zeitpunkt nicht mehr iSd Art140 Abs2 B‑VG "anzuwenden" hatte, wurde das von Amts wegen eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren in sinngemäßer Anwendung des §62 Abs4 VfGG ebenfalls mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 24. September 2015 eingestellt (s. VfGH 24.9.2015, G371/2015).

5. In der Folge langten drei Anträge des Verwaltungsgerichtshofes sowie insgesamt sieben Anträge des Bundesverwaltungsgerichtes beim Verfassungsgerichtshof ein, mit welchen jeweils die Aufhebung des §9 Abs2 Z3 AsylG 2005 begehrt wird, wobei sich die antragstellenden Gerichte den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes ausnahmslos anschließen.

IV. Anlassfälle, Vorbringen und Vorverfahren

1. G440/2015 (Antrag des Verwaltungsgerichtshofes):

1.1. Die beim Verwaltungsgerichtshof revisionswerbende Partei (in der Folge: Revisionswerber), ein Staatsangehöriger von Somalia, stellte am 9. Juli 2008 einen Antrag auf internationalen Schutz, dem mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25. Juni 2009 dahingehend entsprochen wurde, dass dem Revisionswerber der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt und ihm eine für ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt wurde. Dieser wurde zuletzt mit Bescheid vom 15. Juni 2011 auf Antrag für ein Jahr verlängert.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Korneuburg vom 5. März 2012 wurde der Revisionswerber wegen §114 Abs1, Abs3 Z1 und Abs4 1. Fall Fremdenpolizeigesetz – FPG sowie §207a Abs3 1. und 2. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, davon 8 Monate unbedingt, verurteilt.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17. Juli 2012 wurde dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt, die befristete Aufenthaltsberechtigung entzogen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Revisionswerbers nach Somalia für unzulässig erklärt. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte den Bescheid mit der Begründung, dass die Tatsache, dass der Revisionswerber im Bereich des unteren Strafrahmens verurteilt worden sei und in seinem Fall ein positive Prognose vorliege, angesichts des Vorliegens der Voraussetzungen nach §9 Abs2 Z3 AsylG 2005, der allein auf die rechtskräftige Verurteilung wegen eines Verbrechens abstelle, nicht von Bedeutung sei.

1.2. Zur Begründung seines Antrages bringt der Verwaltungsgerichtshof vor, dass er von der Präjudizialität des §9 Abs2 Z3 AsylG 2005 ausgehe und dass die im Prüfungsbeschluss vom Verfassungsgerichtshof geäußerten Bedenken "auf den gegenständlichen Fall uneingeschränkt übertragbar" seien (VfGH 3.7.2015, U32/2014, Pkt. III.3.). Hinsichtlich der Zulässigkeit einer solchen Pauschalverweisung weist der Verwaltungsgerichtshof auf das Erkenntnis VfSlg 18.517/2008 hin.

2. G543/2015 (Antrag des Bundesverwaltungsgerichtes):

2.1. Die beim Bundesverwaltungsgericht beschwerdeführende Partei (im Folgenden: Beschwerdeführer), ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 5. April 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 1. Dezember 2011 wurde der Antrag des Beschwerdeführers abgewiesen und der Beschwerdeführer nach Afghanistan ausgewiesen. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2012 Beschwerde an den Asylgerichtshof. Das seitdem anhängige Beschwerdeverfahren wird seit dem 1. Jänner 2014 vom Bundesverwaltungsgericht weitergeführt.

Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Linz vom 3. Dezember 2013 wurde der Beschwerdeführer wegen §15 StGB iVm §28a Abs1 5. Fall Suchtmittelgesetz – SMG, §§127 und 130 1. Fall StGB sowie §27 Abs1 Z1 1. und 2. Fall SMG unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt.

2.2. Das Bundesverwaltungsgericht führt in seinem Antrag aus, dass der Beschwerdeführer aus einer Provinz in Afghanistan stamme, bei der es sich Länderberichten zufolge um eines der am meisten umkämpften Gebiete Afghanistans handle. Darüber hinaus verfüge der Beschwerdeführer über keine Familie in Afghanistan bzw. habe er zu entfernteren Verwandten keinen Kontakt mehr. Da der Beschwerdeführer im Zuge des Beschwerdeverfahrens seine Beschwerde hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Asylstatus zurückgezogen habe und sich nur mehr gegen die Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzstatus beschwere, müsse das Bundesverwaltungsgericht gemäß §8 Abs3a AsylG 2005 prüfen, ob die Voraussetzungen für die Abweisung des Antrages wegen Vorliegens eines Aberkennungsgrundes gemäß §9 Abs2 leg.cit. vorlägen.

Es seien daher beide Bestimmungen präjudiziell. In der Sache schließt sich das Bundesverwaltungsgericht den im Prüfungsbeschluss vom 3. Juli 2015 zu U32/2014 geäußerten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes an.

Da die Bedenken inhaltlich auch auf §8 Abs3a AsylG 2005 zuträfen, der auf §9 Abs2 leg.cit. verweise, werde der Eventualantrag gestellt.

3. G590/2015 (Antrag des Bundesverwaltungsgerichtes):

3.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Liberias, stellte am 14. April 2007 einen Antrag auf internationalen Schutz, dem schließlich mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 8. Oktober 2009 insofern stattgegeben wurde, als ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt wurde.

Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 1. März 2011 wurde der Beschwerdeführer wegen §§83 Abs1 und 84 Abs1 StGB zu einer Geldstrafe von 240 Tagessätzen verurteilt. Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 3. August 2012 wurde der Beschwerdeführer wegen §§27 Abs1 und 28a Abs1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren unbedingt verurteilt.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 29. Juli 2013 wurde dem Beschwerdeführer der subsidiäre Schutzstatus aberkannt, die befristete Aufenthaltsberechtigung entzogen und der Beschwerdeführer nach Liberia ausgewiesen.

3.2. In seinem Antrag führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass dem Beschwerdeführer auf Grund der Situation in Liberia subsidiärer Schutz zu gewähren wäre. Die Aufhebung des angefochtenen Bescheides sei jedoch ausgeschlossen, weil das Bundesverwaltungsgericht das Vorliegen von Ausschlussgründen nach §9 Abs2 Z3 AsylG 2005 zu prüfen habe und ein solcher auf Grund der Verurteilung wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels gegeben sei. Inhaltlich schließt sich das Bundesverwaltungsgericht den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes an.

Da die Bedenken auch auf §8 Abs3a AsylG 2005 zuträfen, der auf §9 Abs2 leg.cit. verweise, werde auch der Eventualantrag gestellt, §8 Abs3a leg.cit. als verfassungswidrig aufzuheben.

4. G638/2015 (Antrag des Bundesverwaltungsgerichtes):

4.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Mauretaniens, stellte am 25. Dezember 2005 einen Asylantrag. Bis zur Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus und der Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. November 2007 wurde der Beschwerdeführer in den Jahren 2006 und 2007 dreimal wegen des Vergehens nach §27 SMG verurteilt. 2008 folgten zwei weitere Verurteilungen, einmal wegen des Vergehens nach §27 SMG und einmal wegen des Vergehens nach §231 StGB.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 5. November 2009 wurde der Beschwerdeführer wegen §28a Abs1 5. Fall und Abs3 1. Fall SMG sowie wegen §27 Abs1 Z1 2. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten unbedingt verurteilt.

In der Folge wurde dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18. Juni 2010 der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt, die befristete Aufenthaltsberechtigung entzogen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Mauretanien für unzulässig erklärt. 2011 wurde der Beschwerdeführer neuerlich wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §27 SMG verurteilt.

4.2. Das Bundesverwaltungsgericht führt in seinem Antrag aus, dass es bei der Beurteilung, ob ein Ausschlussgrund vorliege, §9 Abs2 Z3 AsylG 2005 anzuwenden habe. Ein solcher liege auf Grund der Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Suchtgifthandels vor. Inhaltlich schließt sich das Bundesverwaltungsgericht den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes an.

Der Eventualantrag werde gestellt, weil die Bedenken auch auf §8 Abs3a AsylG 2005, der auf §9 Abs2 leg.cit. verweise, zuträfen.

5. G643/2015 (Antrag des Bundesverwaltungsgerichtes):

5.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Mauretaniens, stellte am 27. November 2008 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14. Dezember 2009 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 9. Jänner 2012 wurde der Beschwerdeführer wegen §28a Abs1 2., 3. und 5. Fall SMG, §28 Abs1 SMG iVm §15 StGB sowie §27 Abs1 Z1 1. und 2. Fall und Abs2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten unbedingt verurteilt.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 16. Juli 2012 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt, die befristete Aufenthaltsberechtigung entzogen sowie die Ausweisung nach Mauretanien ausgesprochen.

5.2. Das Vorbringen des Bundesverwaltungsgerichtes entspricht im Wesentlichen dem bereits zu G590/2015 und G638/2015 erstatteten Vorbringen (s. Pkt. IV.3.2. und IV.4.2.).

6. G652/2015 (Antrag des Bundesverwaltungsgerichtes):

6.1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 30. Jänner 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 4. Jänner 2012 wurde der Antrag des Beschwerdeführers abgewiesen und der Beschwerdeführer nach Afghanistan ausgewiesen.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 4. Februar 2015 wurde der Beschwerdeführer wegen §28 Abs1 2. und 3. Fall, §27 Abs1 Z1 2. Fall und Abs2 und wegen §28a Abs1 2. und 5. Fall und Abs4 Z3 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren, davon ein Jahr unbedingt, verurteilt.

6.2. Dem Vorbringen des Bundesverwaltungsgerichtes zufolge wäre der Status des subsidiär Schutzberechtigten auf Grund der derzeitigen Situation in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers und mangels Vorliegens einer innerstaatlichen Fluchtalternative zuzuerkennen. Es liege aber ein Ausschlussgrund nach §9 Abs2 Z3 AsylG 2005 vor, weswegen der Antrag auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus gemäß §8 Abs3a leg.cit., der auf §9 Abs2 leg.cit. verweise, abzuweisen sei. Es seien folglich beide Bestimmungen präjudiziell.

Inhaltlich schließt sich das Gericht den Bedenken des Verfassungsgerichtshofes an und richtet diese auch gegen §8 Abs3a AsylG 2005.

7. G668/2015 (Antrag des Bundesverwaltungsgerichtes):

7.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Angolas, stellte am 4. Dezember 2001 einen Asylantrag. Nachdem mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 22. November 2011 die Rechtssache gemäß §66 Abs2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundes-asylamt zurückverwiesen worden war, erließ das Bundesasylamt am 24. Jänner 2012 einen Bescheid, mit welchem der Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen und der Status des subsidiär Schutzberechtigten auf Grund einer strafgerichtlichen Verurteilung (s. unten) nicht zuerkannt wurde, und mit welchem die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Angola für unzulässig erklärt wurde.

Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde dem Beschwerdeführer nicht zuerkannt, weil er mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 7. Februar 2011 wegen §§127 und 130 1. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, davon 2 Monate unbedingt, verurteilt wurde.

7.2. Das Vorbringen des Bundesverwaltungsgerichtes entspricht im Wesentlichen dem bereits zu G590/2015 und G638/2015 erstatteten Vorbringen (s. Pkt. IV.3.2. und IV.4.2.).

8. G13/2016 (Antrag des Verwaltungsgerichtshofes):

8.1. Der Revisionswerber, ein georgischer Staatsangehöriger, stellte am 20. Juli 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde mit Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28. Juli 2015 im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde auf Grund einer Verurteilung wegen eines Verbrechens (s. unten) nicht zuerkannt. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Revisionswerbers "nach Abchasien" wurde für unzulässig erklärt.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 10. September 2013 wurde der Revisionswerber wegen §§15, 127 und 130 1. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten, davon 4 Monate unbedingt, verurteilt.

8.2. Das Antragsvorbringen des Verwaltungsgerichtshofes entspricht im Wesentlichen dem zu G440/2015 erstatteten Vorbringen (s. Pkt. IV.1.2.).

9. G28/2016 (Antrag des Verwaltungsgerichtshofes):

9.1. Der Revisionswerber, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 16. Juni 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesem wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18. Oktober 2011 dahingehend entsprochen, dass dem Revisionswerber der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt wurde.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 27. August 2014 wurde der Revisionswerber wegen §§127 und 130 1. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten verurteilt.

In der Folge wurde dem Revisionswerber mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17. März 2015 der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt und die befristete Aufenthaltsberechtigung entzogen. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Somalia wurde für unzulässig erklärt. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

9.2. Das Vorbringen des Verwaltungsgerichtshofes entspricht im Wesentlichen dem bereits zu G440/2015 erstatteten Vorbringen (s. Pkt. IV.1.2.).

10. G37/2016 (Antrag des Bundesverwaltungsgerichtes):

10.1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 18. März 2013 einen Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21. März 2015 wurde der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, jedoch der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 27. Juli 2015 wurde der Beschwerdeführer wegen §114 Abs1 und 3 Z1, 2 und 3 sowie Abs4 1. Fall FPG zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten, davon 6 Monate unbedingt, verurteilt.

In der Folge wurde dem Revisionswerber mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30. Dezember 2015 der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt und die befristete Aufenthaltsberechtigung entzogen. Die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Syrien wurde für unzulässig erklärt.

10.2. Das Bundesverwaltungsgericht führt in seinem Antrag aus, dass auf Grund der vorliegenden Verurteilung der Tatbestand des §9 Abs2 Z3 AsylG 2005 verwirklicht sei. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe diese Bestimmung daher zu Recht angewandt; auch das antragstellende Gericht habe diese Bestimmung bei der Beurteilung der bei ihm anhängigen Beschwerde anzuwenden.

Hinsichtlich des Anfechtungsumfangs und der Bedenken gegen die Bestimmung verweist das Bundesverwaltungsgericht auf den Prüfungsbeschluss des Verfassungsgerichtshofes zu U32/2014.

11. Vorverfahren:

11.1. Die Bundesregierung hat von der Erstattung einer Äußerung abgesehen.

11.2. Die beim Verwaltungsgerichtshof revisionswerbende Partei im zu G440/2015 protokollierten Verfahren hat eine Äußerung erstattet, in der sie sich im Wesentlichen den im Prüfungsbeschluss vom 3. Juli 2015 zu U32/2014 geäußerten Bedenken des Verfassungsgerichtshofes sowie den Bedenken des Verwaltungsgerichtshofes anschließt.

11.3. Die beim Bundesverwaltungsgericht beschwerdeführenden Parteien in den zu G543/2015 und G590/2015 protokollierten Verfahren haben ebenso jeweils eine Äußerung erstattet, in denen sie sich im Wesentlichen den seinerzeitigen Bedenken des Verfassungsgerichtshofes sowie den Bedenken des Bundesverwaltungsgerichtes anschließen.

V. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Anträge erwogen:

1. Zur Zulässigkeit der Anträge

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B‑VG bzw. des Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.2. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Dieser Grundposition folgend hat der Gerichtshof die Rechtsauffassung entwickelt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. zB VfSlg 8155/1977, 12.235/1989, 13.915/1994, 14.131/1995, 14.498/1996, 14.890/1997, 16.212/2001). Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Gesetzesbestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).

1.3. Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was am Vorliegen dieser Voraussetzungen zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweisen sich die Anträge des Verwaltungsgerichtshofes (zu G440/2015, G13/2016 und G28/2016) sowie die jeweiligen Hauptanträge des Bundesverwaltungsgerichtes (zu G543/2015, G590/2015, G638/2015, G643/2015, G652/2015, G668/2015 und G37/2016) insgesamt als zulässig. Damit erübrigt sich ein Eingehen auf den vom Bundesverwaltungsgericht in seinen Anträgen jeweils gestellten Eventualantrag.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl. VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

2.2. Der Verfassungsgerichtshof hält die von ihm im Prüfungsbeschluss vom 3. Juli 2015 zu U32/2014 geäußerten Bedenken nicht aufrecht; die vorliegenden Anträge sind nicht begründet.

Mit der Einteilung in Verbrechen und Vergehen trifft §17 StGB eine grundsätzliche Unterscheidung der Straftaten, durch die "das besondere Gewicht der als Verbrechen geltenden Straftaten ihrer Art nach betont werden" soll (Höpfel in Höpfel/Ratz, WK2 StGB §17, Rz 1). Über die Bezeichnung dieser Straftaten hinaus – mit "Verbrechen" wird schon rein sprachlich ein höherer Unwert konnotiert – bringt die Anknüpfung an ein Mindestmaß der Strafdrohung von mehr als dreijähriger oder lebenslanger Freiheitsstrafe sowie die Einschränkung auf Vorsatztaten zum Ausdruck, dass es sich um solche handelt, denen ein besonders hoher Unrechtsgehalt innewohnt. Dementsprechend knüpft die Rechtsordnung verschiedentlich an diese Unterscheidung an (auch wenn sie bei weitem nicht mehr jene Bedeutung hat, vor allem auch für die Zuständigkeitseinteilung, wie früher, insbesondere vor dem Strafrechtsänderungsgesetz 1987, BGBl 605 [dazu im Einzelnen Höpfel in Höpfel/Ratz, WK2 StGB §17, Rz 2 ff.]). Dadurch wird zum Teil zum Ausdruck gebracht, dass Vergehen nicht im gleichen Ausmaß verfolgungswert bzw. strafwürdig sind wie Verbrechen. So kann im Falle von Vergehen die Strafbarkeit von Jugendstraftaten unter Umständen zur Gänze entfallen. Auch die Zulässigkeit eines Abwesenheitsverfahrens ist generell auf Vergehen beschränkt (§427 StPO). Die Durchführung eines Scheingeschäfts ist dagegen u.a. dann zulässig, wenn die Aufklärung eines Verbrechens andernfalls wesentlich erschwert wäre (§132 StPO). Die Intensität von Strafverfolgungsmaßnahmen knüpft ebenso an die Unterscheidung von Vergehen und Verbrechen an, indem nur für letztere besonders eingriffsintensive bzw. die Rechte Dritter gefährdende Ermittlungsbefugnisse zulässig sind, wie insbesondere bestimmte Formen des Datenabgleichs oder die Rasterfahndung (vgl. im Einzelnen wiederum die Beispiele in Höpfel in Höpfel/Ratz, WK2 StGB §17, Rz 11a). Schließlich ist ein lebensgefährdender Waffengebrauch gegen Menschen nur zur Verhinderung der Flucht oder zur Wiederergreifung eines Strafgefangenen zulässig, der wegen eines Verbrechens verurteilt worden ist (§105 Abs6 Z3 StVG).

Es ist dem Gesetzgeber daher nicht entgegenzutreten, wenn er zur Konkretisierung des Begriffs "schwere Straftat" im Sinne des Art17 Abs1 litb Statusrichtlinie (s. oben Pkt. II.2.) auf diese im österreichischen Recht vorgefundene Unterscheidung zurückgreift. Er bewegt sich damit innerhalb der grundlegenden Systematik der Einteilung von Straftaten nach der Schwere ihres Unrechtsgehalts, sodass angesichts dessen der Gesichtspunkt des Gebotes der Angemessenheit einer Sanktion zu den Umständen des Einzelfalls, wie sie aus der im Rahmen der Bedenken wiedergegebenen Judikatur folgt, zurücktreten kann. Angesichts dessen, dass die Kategorie des Verbrechens definitionsgemäß mit strengeren Strafdrohungen bewehrt ist, liegt es im rechtspolitischen Ermessen des Gesetzgebers, daran auch zusätzliche nachteilige Rechtsfolgen zu knüpfen.

VI. Ergebnis

1. Da die Bedenken somit nicht zutreffen, sind die Anträge abzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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