BVwG W231 2133814-1

BVwGW231 2133814-116.6.2017

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art.133 Abs4
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2017:W231.2133814.1.00

 

Spruch:

W231 2133801-1/20E

 

W231 2133806-1/20E

 

W231 2133811-1/18E

 

W231 2133814-1/18E

 

W231 2133803-1/18E

 

W231 2133808-1/18E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

I. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Birgit HAVRANEK über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , Österreichische Caritaszentrale, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.08.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.03.2017 und am 30.05.2017, zu Recht:

 

A)

 

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

 

III. Gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 16.06.2018 erteilt.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Birgit HAVRANEK über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , Österreichische Caritaszentrale, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.08.2016, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.03.2017 und am 30.05.2017, zu Recht:

 

A)

 

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 2 Asylgesetz 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

 

III. Gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 16.06.2018 erteilt.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

III. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Birgit HAVRANEK über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.08.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.03.2017 und am 30.05.2017, zu Recht:

 

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 2 Asylgesetz 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

 

III. Gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 16.06.2018 erteilt.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

IV. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Birgit HAVRANEK über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.08.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.03.2017 und am 30.05.2017, zu Recht:

 

A)

 

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I. Die Beschwerde gegen den Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

II. Der Beschwerde gegen den Spruchpunkte II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 2 Asylgesetz 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

 

III. Gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 16.06.2018 erteilt.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

V. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Birgit HAVRANEK über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.08.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.03.2017 und am 30.05.2017, zu Recht:

 

A)

 

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkte II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 2 Asylgesetz 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

 

III. Gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 16.06.2018 erteilt.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

VI. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Birgit HAVRANEK über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.08.2016, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.03.2017 und am 30.05.2017, zu Recht:

 

A)

 

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 2 Asylgesetz 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

 

III. Gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 16.06.2018 erteilt.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

I.1. Die Beschwerdeführer verließen Ihr Herkunftsland ca. Mitte 2015 und stellten am 03.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

 

I.2. Bei ihrer Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab die Erstbeschwerdeführerin zu den Fluchtgründen befragt an, sie habe kein Geld und ihr Mann sei verstorben. Sie wolle ihren Kindern eine Schul- und Berufsbildung ermöglichen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan hätte sie Angst vor den Taliban. Ihr Mann sei ca. 2011 erschossen worden und sie fürchte, dass ihren Söhnen dasselbe passieren könnte. Ihre minderjährigen leiblichen Kinder, der Drittbeschwerdeführer, die Viertbeschwerdeführerin und die Fünftbeschwerdeführerin, hätten keine eigenen Fluchtgründe. Für den Sechstbeschwerdeführer, ihren Stiefsohn, wurden ebenfalls keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht.

 

Der Zweitbeschwerdeführer gab am selben Tag zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass sein Vater wegen eines Grundstückstreites getötet worden sei und sein Bruder sich in Afghanistan versteckt habe, da er Probleme mit diesen Leuten habe, welche Mitglieder der afghanischen Regierung seien. Seine Familie habe das Land auch wegen der finanziellen Probleme verlassen.

 

I.3. Bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme am 19.07.2016 gab die Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Graz, Außenstelle Graz (in Folge: BFA) an, dass ihre bisherigen Angaben im Verfahren der Wahrheit entsprächen. Zu ihrem Gesundheitszustand befragt gab sie an, dass sie Unterleibsschmerzen gehabt habe, es ihr aber wieder gut gehe. Weiters gab sie an, Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken sowie schiitische Moslemin zu sein. Sie habe keine Schul- oder Berufsausbildung, sondern habe sich um den Haushalt und die Familie gekümmert. Die Erstbeschwerdeführerin sei die leibliche Mutter des Zweitbeschwerdeführers, des Drittbeschwerdeführers, der Viertbeschwerdeführerin und der Fünftbeschwerdeführerin. Der Sechstbeschwerdeführer sei der Sohn der Zweitfrau ihres verstorbenen Ehemannes mit ihrem verstorbenen Ehemann. Die beiden Familien hätten bis zu ihrer Ausreise gemeinsam unter einem Dach in XXXX gelebt. Die Kinder des verstorbenen Ehemannes mit der Zweitfrau, darunter der Sechstbeschwerdeführer, lebten auch im selben Haus mit der Familie der Erstbeschwerdeführerin. In XXXX befänden sich noch die älteste Tochter der Erstbeschwerdeführerin, die Zweitfrau ihres verstorbenen Ehemannes und deren zwei Kinder.

 

Zu ihren Fluchtgründen befragt gab die Erstbeschwerdeführerin auf das Wesentlichste zusammengefasst an, dass ihr Ehemann vor ca. 4 Jahren wegen Grundstücksstreitigkeiten ermordet worden sei. Ihre zwei ältesten Söhne, darunter der Zweitbeschwerdeführer, hätten ihr erzählt, dass sie vom Mörder ihres Ehemannes nach dessen Tod bedroht worden seien. Sie kenne den Mörder ihres Mannes nicht und habe diesen auch nie gesehen. Nach dem Tod ihres Ehemannes habe die Familie bis zur ihrer Ausreise noch drei Jahre in XXXX gelebt. In XXXX würden noch ihre Tochter und die Zweitfrau des verstorbenen Ehemannes mit Kindern leben, ein weiterer Sohn sei in den Iran geflohen, er sei aber noch in XXXX gewesen, als sie nach Europa gegangen seien. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan hätte sie Angst vor dem Mörder ihres Ehemannes. Auch ihre Kinder seien in Afghanistan in Gefahr.

 

I.4. Bei der niederschriftlichen Einvernahme am 19.07.2016 gab der Zweitbeschwerdeführer vor dem BFA im Beisein seiner gesetzlichen Vertreterin an, dass seine bisherigen Angaben im Verfahren der Wahrheit entsprächen. Weiters gab der Zweitbeschwerdeführer an, Angehöriger der Volksgruppe der Sadat sowie schiitischer Moslem zu sein. Er sei neun Jahre in XXXX zur Schule gegangen, eine Berufsausbildung habe er nicht absolviert. In XXXX würden noch die die Stiefmutter des Zweitbeschwerdeführers, deren zwei Kinder und seine Schwester leben.

 

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Zweitbeschwerdeführer zusammenfassend an, dass sein älterer Bruder vor vier Jahren nach dem Tod des Vaters von einem näher genannten Mann bedroht worden sei. Es sei zweimal auf das Auto des Bruders geschossen worden und einmal sei er auf dem Heimweg mit einem Elektroschockgerät angegriffen worden. Dieser Mann und seine Söhne wären eine Mafiabande. Zwei dieser Söhne hätten den Vater des Zweitbeschwerdeführers wegen Streitigkeiten bezüglich eines Grundstückes getötet. Es sei auch mit Steinen auf das Wohnhaus der Beschwerdeführer geworfen worden, wobei ein Fenster zu Bruch gegangen und der Zweitbeschwerdeführer von einem Splitter an der Stirn getroffen worden sei. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan fürchte sich der Zweitbeschwerdeführer vor diesen Männern.

 

Eine Integrationsbestätigung der Marktgemeinde XXXX und eine handschriftliche Deutschkursbestätigung, sowie Dokumente eines XXXX Gerichtes, eine polizeiliche Anzeige, ein Bericht der Staatsanwaltschaft in XXXX und ein Bericht der Kommandantenstelle in XXXX , allesamt in Kopie, wurden dem BFA vorgelegt. Eine Übersetzung dieser Dokumente wurde vom BFA offenbar nicht veranlasst, es findet sich keine Übersetzung im Akt.

 

I.5. Am 26.07.2016 reichte die Erstbeschwerdeführerin Arztbefunde nach.

 

I.6. Das BFA wies mit Bescheiden vom 11.08.2016 (Erstbeschwerdeführerin) Zl. XXXX , (Zweitbeschwerdeführer) Zl. XXXX , (Drittbeschwerdeführer) Zl. XXXX , (Viertbeschwerdeführerin) Zl. XXXX , (Fünftbeschwerdeführerin) Zl. XXXX , (Sechstbeschwerdeführer) Zl. XXXX , die gegenständlichen Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde den Beschwerdeführern gemäß §§ 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.) und dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für ihre freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

 

Zur Begründung der Bescheide führte die belangte Behörde aus, dass von der Erstbeschwerdeführerin eine Verfolgung aus asylrelevanten Gründen gegen sie oder ihre Familie, insbesondere ihre zwei Söhne, nicht glaubhaft gemacht werden konnte und sie Afghanistan vielmehr auf Grund der allgemeinen schwierigen Lage bzw. dem Wunsch, ein besseres Leben außerhalb des Herkunftsstaates führen zu wollen, verlassen habe. Dem Zweitbeschwerdeführer wurde die Glaubwürdigkeit wegen seines widersprüchlichen Vorbringens abgesprochen. Die Behörde ging davon aus, dass seine Angaben fiktiv seien und nur der Asylerlangung dienten. Für den Drittbeschwerdeführer, die Viertbeschwerdeführerin, die Fünftbeschwerdeführerin und den Sechstbeschwerdeführer wurden keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht. Weiters ging das BFA davon aus, dass die Erstbeschwerdeführerin gesund sei und somit nichts ihrer Rückkehr nach Afghanistan entgegenstehe. Dem Zweitbeschwerdeführer als gesunden, jungen und arbeitsfähigen Mann, sei es im Falle einer Rückkehr nach XXXX zumutbar, seinen Lebensunterhalt durch Gelegenheitsjobs zu bestreiten. Ferner könnten die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer auch auf ein familiäres Netzwerk in XXXX zurückgreifen, welches sie unterstützen könnte. Zuletzt kommt das BFA zu dem Schluss, dass die öffentlichen Interessen an der Außerlandesbringung der Beschwerdeführer gegenüber ihren privaten Interessen am Verbleib in Österreich überwiegen würden und ein Eingriff in ihre durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte daher als gerechtfertigt anzusehen sei.

 

I.7. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 12.08.2016 wurde den Beschwerdeführern gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG der Verein Menschenrechte Österreich als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

 

I.8. Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, mit Unterstützung des Rechtsberaters rechtzeitig eingebrachten Beschwerden. Die Beschwerdeführer beantragen, die Bescheide wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben oder abzuändern sowie eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Im Wesentlichen wurde ausschließlich der bereits vorgebrachte Fluchtgrund wiederholt und auf eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, nämlich konkret jener der Familienangehörigen eines Getöteten, verwiesen.

 

1.9. Die Beschwerde samt Verwaltungsakt langte am 31.08.2016 beim BVwG ein. Gleichzeitig verzichtete das BFA auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung.

 

1.10. Am 10.02.2017 langte beim BVwG eine nochmalige Mitteilung des BFA betreffend der Nichtteilnahme an der mündlichen Verhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen ein.

 

I.11. Am 10.03.2017 fand am Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein der Beschwerdeführer und ihrer Rechtsvertretung statt. Die Beschwerdeführer legten dabei Auszüge aus einer Tageszeitung aus XXXX , zu den Anzeigen betreffend den Tod des Ehemannes bzw. Vaters, eine ärztliche Mitteilung betreffend die Erstbeschwerdeführerin, einen USB-Stick mit Dateien betreffend den Tod des Ehemannes bzw. Vaters, Referenzschreiben zu Integrationsbemühungen der Beschwerdeführer, eine Teilnahmebestätigung der Erstbeschwerdeführerin an einem Deutschkurs und eine Teilnahmebestätigung der Erstbeschwerdeführerin an einem Taschennähprojekt vor. Im Rahmen der Verhandlung wurde die anwesende Dolmetscherin beauftragt, eine zusammenfassende Übersetzung der vorgelegten Dokumente bis zur fortgesetzten Verhandlung vorzunehmen. Mit der Ladung zur fortgesetzten Verhandlung wurde den Beschwerdeführern die ACCORD-Anfragebeantwortung vom 19. November 2015 "Informationen zu Blutrache/Blutfehden" übermittelt, ebenso die ACCORD-Anfragebeantwortung vom 20.09.2010 "Volksgruppe der Sadat".

 

I.12. Mit Stellungnahme vom 22.03.2017 reichten die Beschwerdeführer Befunde zum Gesundheitszustand der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers nach.

 

I.13. Am 12.04.2017 langte eine weitere Stellungnahme der Beschwerdeführer beim BVwG ein. Vorgebracht wird nunmehr erstmals, dass es sich bei der Erstbeschwerdeführerin und ihren in Österreich aufhältigen minderjährigen Töchtern um "westlich-orientierte" Frauen handelte, die im Fall ihrer Rückkehr dem Verfolgungsrisiko aus Gründen ihrer politisch-religiösen Gesinnung ausgesetzt wären. Weiters wären die Töchter der Erstbeschwerdeführerin der Gefahr der Zwangsverheiratung ausgesetzt. Die Erstbeschwerdeführerin und ihre Töchter gehörten der sozialen Gruppe der alleinstehenden afghanischen Frauen/Mädchen, die von Zwangsheirat bedroht seien, an. Es sei auch von keinem verbesserten Zugang zu Bildung für Mädchen im Herkunftsstaat auszugehen. Es bestehe außerdem das Risiko einer Verfolgung aufgrund von ungelösten Grundstücksstreitigkeiten. Durch die Anzeige seien die Mörder des Ehemannes/Vaters in ihrer Ehre verletzt worden und wollten sich an der Familie rächen. Die Gefahr, im Zuge einer Blutfehde getötet zu werden, bestehe vor allem hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers, weil er nun als ältester im Herkunftsstaat aufhältiger Sohn zur Verantwortung gezogen werden würde. Das afghanische Rechtsschutzsystem weise gravierende Mängel auf und biete keinen effektiven Schutz. Der Zweitbeschwerdeführer und seine Familie wären daher bei einer Rückkehr der maßgeblichen Gefahr ausgesetzt, wegen Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe der in einer Blutfehde verwickelten (Konflikt)Familien verfolgt zu werden. Den Beschwerdeführern wäre Asyl zu gewähren, jedenfalls aber subsidiärer Schutz. Die Familie verfüge im Herkunftsstaat über kein tragfähiges soziales/familiäres Netz und keinen Wohnraum bzw. wirtschaftliche Grundlage zum Überleben. Dazu wurden eine Zusammenstellung von Länderinformationen zur Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan sowie Länderinformationen und Judikatur zur internen Flucht- oder Schutzalternative in XXXX beigelegt.

 

Außerdem wurden eine Besuchsbestätigung eines Deutschkurses betreffend die Erstbeschwerdeführerin, eine Bestätigung des Vereins XXXX betreffend die Erstbeschwerdeführerin, eine Bestätigung der Musikschule XXXX betreffend die minderjährigen Kinder der Erstbeschwerdeführerin und eine Anmerkung von UNHCR zur Situation in Afghanistan vorgelegt.

 

I.14. Mit Schriftsatz vom 02.05.2017 teilte das BFA mit, dass die Teilnahme eines informierten Vertreters an der fortgesetzten mündlichen Beschwerdeverhandlung aus dienstlichen und personellen Gründen nicht möglich sei. Ungeachtet dessen ersuchte die Behörde abermals auf Grund der gegebenen Aktenlage die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde und beantrage die Übersendung des aufgenommenen Verhandlungsprotokolls.

 

I.15. Am 29.05.2017 langte beim Bundesverwaltungsgericht die zusammenfassende Übersetzung der von den Beschwerdeführern vorgelegten Dokumente betreffend den Tod ihres Ehemannes bzw. Vaters ein.

 

I.16. Am 30.05.2017 fand am Bundesverwaltungsgericht die fortgesetzte mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers sowie ihrer Rechtsvertretung statt. Die Beschwerdeführer legten dabei eine Stellungnahme zur Volksgruppe der Sadat vor, aus der zusammengefasst hervorgeht, dass nicht eindeutig belegt sei, ob es sich bei Sadat um eine gesonderte Volksgruppe, Untergruppe einer bzw. mehrerer ethnischen Gruppen oder um eine religiöse Strömung handle. Sadat können sowohl dem schiitischen als auch dem sunnitischen Islam angehören. Außerdem wurde eine ACCORD-Anfragebeantwortung zum Thema des fehlenden staatlichen Schutzes vor Racheakten zuzüglich einer Stellungnahme dazu vorgelegt die bestätige, dass Blutfehden unter anderem aus Streitigkeiten in Zusammenhang mit Eigentum und Ehre hervorgehen können. Betroffen seien vor allem männliche Verwandte. Es herrsche keine Einigkeit darüber, ob auch Kinder oder Frauen Ziel der Blutfehde werden können, dies stelle laut manchen Experten jedoch eher eine Ausnahme dar. Weiters legte sie eine Stellungnahme zur Glaubwürdigkeit von Minderjährigen und Personen mit psychischen Problemen vor, in der darauf hingewiesen wurde, dass bei der Bewertung des Aussageverhaltens der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers die gesellschaftlichen Besonderheiten, wie Bedeutung von Jahreszahlen oder Kenntnis des Geburtstages, der psychische Gesundheitszustand, sowie der Reifegrad zu berücksichtigen seien. Letztlich legte die Rechtsvertretung auch noch einen Auszug aus dem Jahresbericht 2017 "US Commission on International Religious Freedom" vor, wonach Frauen auch außerhalb ländlicher und von den Taliban kontrollierten Gebieten, durch gesellschaftliche Regeln Diskriminierung und Verfolgung drohe.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

II.1. Feststellungen:

 

Auf Grundlage der Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz vom 03.08.2015, der Erstbefragung nach dem Asylgesetz, der Einvernahme der Beschwerdeführer vor dem BFA, der angefochtenen Bescheide vom 11.08.2016, der Beschwerden vom 25.08.2016 dagegen, der Einsichtnahme in die Bezug habenden Verwaltungsakten und auf Grundlage der vor dem Bundesverwaltungsgericht durchgeführten mündlichen Verhandlungen am 10.03.2017 sowie am 30.05.2017, in der sich die erkennende Richterin einen persönlichen Eindruck von der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer verschaffen konnte, sowie aller im Verwaltungs- und Gerichtsakt einliegenden Schriftstücke bzw. Nachweise werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:

 

II.1.1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die leibliche Mutter des Zweitbeschwerdeführers, des Drittbeschwerdeführers, der Viertbeschwerdeführerin und der Fünftbeschwerdeführerin sowie die Stiefmutter des Sechstbeschwerdeführers. Der Drittbeschwerdeführer, die Viertbeschwerdeführerin und die Fünftbeschwerdeführerin sowie der Sechstbeschwerdeführer sind minderjährig, der Zweitbeschwerdeführer reiste minderjährig nach Österreich ein und wurde nach Antragstellung in Österreich volljährig.

 

Die Beschwerdeführer führen die im Spruch genannten Namen, sind afghanische Staatsangehörige und schiitische Moslems. Der Name des Zweitbeschwerdeführers war aufgrund seiner nachvollziehbaren Angaben in der mündlichen Verhandlung auf " XXXX " richtig zu stellen.

 

Welcher Volksgruppe die Beschwerdeführer zugehörig sind, kann nicht zweifelsfrei festgestellt werden. Die Erstbeschwerdeführerin gibt an, der Volksgruppe der Tadschiken zugehörig zu sein. Das bestreitet der Zweitbeschwerdeführer, der angibt, sie seien Angehörige der Volksgruppe der Sayed. Die Muttersprache der Beschwerdeführer ist Dari. Ihre Identität steht nicht zweifelsfrei fest.

 

II.1.2. Die Erstbeschwerdeführerin stammt aus der Provinz Maidan Wardak und lebte dann mit ihrer Familie bis zu ihrer Ausreise in XXXX . Der Zweitbeschwerdeführer ist in Maidan Wardak geboren, der Drittbeschwerdeführer, die Viertbeschwerdeführerin und die Fünftbeschwerdeführerin sind in XXXX geboren. Die Erstbeschwerdeführerin verfügt über keine Schul- oder Berufsausbildung, ist Analphabetin und hat sich im Herkunftsstaat um den Haushalt und die Erziehung der Kinder gekümmert. Der Zweitbeschwerdeführer besuchte in XXXX neun Jahre die Schule. Er hat keine Berufsausbildung und auch keine Berufserfahrung.

 

II.1.3. Im Herkunftsstaat lebt noch die älteste, ca. 16 Jahre alte Tochter der Erstbeschwerdeführerin. Sie ist nunmehr verheiratet und lebt gemeinsam mit ihrem Ehemann bei ihren Schwiegereltern in XXXX . Die Ehe wurde von der Zweitfrau des verstorbenen Ehemannes arrangiert. Mit ihr besteht telefonischer Kontakt, über ihre Lebensverhältnisse wissen die Beschwerdeführer nichts Näheres, da sie nach ihrer Ausreise geheiratet hat und die Beschwerdeführer die Familie ihres Ehemannes nicht näher kennen.

 

Es konnte nicht festgestellt werden, dass sonst Verwandte der Beschwerdeführer dauerhaft in XXXX leben. Die Zweitfrau des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin lebt mit ihren Kindern nunmehr in der Provinz Maidan Wardak, zu ihr besteht jedoch kein Kontakt. Der älteste Sohn der Erstbeschwerdeführerin XXXX lebt mit seiner Ehefrau und seinem Kind im Iran.

 

Die Beschwerdeführer haben bis zur Flucht in XXXX gelebt, im gemeinsamen Haushalt mit er Zweitfrau des verstorbenen Ehemannes.

 

Nach dem Tod des Vaters kam der älteste Sohn für den Lebensunterhalt der Beschwerdeführer auf, darüber hinaus lebten die Beschwerdeführer von Erspartem. Das Haus der Familie in XXXX wurde zur Finanzierung der Ausreise aus Afghanistan verkauft. Die Beschwerdeführer verfügen in Afghanistan über keine Besitztümer und finanzielle Ressourcen mehr.

 

II.1.4. 2011/2012 – mindestens drei Jahre vor der Ausreise der Beschwerdeführer - kam der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin und Vater der gemeinsamen Kinder bzw. des Sechstbeschwerdeführers gewaltsam zu Tode. Der älteste Sohn der Erstbeschwerdeführerin erstattete Anzeige deswegen gegen bestimmte Personen bei der Polizei. Im erstinstanzlichen Verfahren wurde zumindest einer der Genannten in Abwesenheit zu 18 Jahren Haft verurteilt. Dieses Urteil wurde in der zweiten Instanz aufgehoben, und es wurden neue Ermittlungen angeordnet. Über den Stand dieser Ermittlungen oder eines allfälligen neuen Gerichtsverfahrens ist nichts bekannt.

 

Etwa drei Jahre später reisten die Beschwerdeführer aus Afghanistan aus und stellten in Österreich am 03.08.2015 Anträge auf internationalen Schutz. Der älteste Sohn der Erstbeschwerdeführerin organisierte die Reise der Beschwerdeführer nach Europa, verließ selbst erst ca. 7 Monate nach den Beschwerdeführern Afghanistan, und hält sich seither mit seiner Familie im Iran auf.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der älteste Sohn der Erstbeschwerdeführerin oder die die Beschwerdeführer selbst in Folge der Erstattung der Anzeige von den mutmaßlichen Mördern des Vaters in Afghanistan tatsächlich angegriffen und bedroht wurden und die Ausreise der Beschwerdeführer aus diesem Grund erfolgte. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Bedrohung in diesem Zusammenhang ausgesetzt wären.

 

Die weiblichen Beschwerdeführerinnen (Erstbeschwerdeführerin, Viertbeschwerdeführerin und Fünftbeschwerdeführerin) wären im Herkunftsstaat auch allein aufgrund ihres Geschlechts keiner asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt.

 

Die Beschwerdeführer halten sich erst seit 03.08.2015 in Österreich auf. Es konnte nicht glaubhaft dargelegt werden, dass die Erstbeschwerdeführerin während dieses relativ kurzen Aufenthalts in Österreich eine Lebensweise angenommen hätte, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. Die Erstbeschwerdeführerin ist Analphabetin und erfuhr in Afghanistan keinerlei Schul- oder Berufsausbildung, weil den Frauen von den männlichen Familienangehörigen ein Schulbesuch bzw. eine Ausbildung verboten wurde. Sie war weder in Afghanistan noch in Österreich erwerbstätig. Sie spricht noch nicht Deutsch und bedarf auch in Österreich bei alltäglichen Rechtsgeschäften und einer Vielzahl von Erledigungen der Unterstützung und Hilfe ihrer Kinder bzw. sonstiger Betreuungspersonen.

 

Die Beschwerdeführer haben vor ihrer Ausreise in XXXX gelebt. In Afghanistan besteht Schulpflicht, wo ein Schulangebot faktisch auch vorhanden ist. Vor diesem Hintergrund besteht keine Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung, wenn die Erstbeschwerdeführerin ihren Töchtern eine grundlegende Bildung zukommen lässt. Ebenso wenig besteht die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung, wenn die Erstbeschwerdeführerin eine zwangsweise Verheiratung ihrer Töchter ablehnt. Auch der Zweitbeschwerdeführer verwehrt sich nunmehr nicht mehr dem Bildungswunsch der weiblichen Familienmitglieder.

 

Auch der Kleidungsstil der Erstbeschwerdeführerin in Österreich – sie trägt jedenfalls Kopftuch, langen Rock und Hosen darunter - verstößt jedenfalls nicht in einer solchen Form gegen die sozialen Normen in Afghanistan, dass er eine (asylrelevante) Verfolgung auslösen würde. Eine vorübergehende intensivere Verhüllung zur Vermeidung einer etwaigen sozialen Ausgrenzung wäre der Beschwerdeführerin im Übrigen zumutbar.

 

Bei der Viertbeschwerdeführerin und der Fünftbeschwerdeführerin handelt es sich um unmündige minderjährige Mädchen von neun und acht Jahren, die in Österreich die Schule besuchen. Sie sind damit noch zweifelsfrei in einem anpassungsfähigen Alter. Es kann nicht festgestellt werden, dass es der Viertbeschwerdeführerin oder der Fünftbeschwerdeführerin unmöglich oder unzumutbar wäre, sich (wieder) in das afghanische Gesellschaftssystem zu integrieren.

 

II.1.5. Die Erstbeschwerdeführerin besucht seit August 2015 Deutschkurse bzw. Alphabetisierungskurse, spricht aber faktisch kein Deutsch. Sie kümmert sich auch in Österreich überwiegend um den Haushalt und ihre minderjährigen Kinder. Sie ist zwar durchaus froh, dass alle ihre Kinder in Österreich in die Schule gehen, kann aber nicht konkret angeben, in welcher Schulstufe alle ihre Kinder sind, welche Schulen die Kinder konkret besuchen, oder wie alle Pädagogen heißen. Die Kinder werden teilweise von Lehrern bzw. Betreuungspersonen zur Schule und wieder nach Hause gebracht, teilweise gehen sie schon selbst.

 

Die Erstbeschwerdeführerin engagiert sich als Köchin für einen Verein und nimmt am Nähprojekt eines anderen Vereins teil. Sie wird auch zu schulischen Aktivitäten ihrer Kinder oder Feiern der Gemeinde eingeladen. Sie hat eine gute Beziehung zu den freiwilligen Helfern ihrer Gemeinde, durch die sie im Alltag intensiv unterstützt wird. Sie bedarf auch der intensiven Unterstützung im Alltag durch ihre Kinder und (freiwillige) Helfer.

 

Der Zweitbeschwerde besucht einen HTL-Lehrgang für Flüchtlingskinder. Er versteht und spricht bereits gut Deutsch. Er hat Kontakt zu österreichischen Jugendlichen, die er aus der Schule bzw. aus seiner Gemeinde kennt. Er unterstützt seine Mutter beim Einkauf und bei der Vorbereitung der Schuljause seine Geschwister. Der Drittbeschwerdeführer besucht die Neue Mittelschule und die Viert- bis Sechstbeschwerdeführer besuchen die Volksschule. Die Dritt- bis Sechstbeschwerdeführer sind auch Mitglieder der Musikschule und nehmen an Sportveranstaltungen teil. Die diversen Empfehlungsschreiben zeugen von einem Interesse und Bemühen an der Integration in Österreich.

 

II.1.6. Die Erstbeschwerdeführerin leidet an einer rezidivierenden depressiven Störung und einer Anpassungsstörung und weist erhöhte Zuckerwerte auf. Beim Zweitbeschwerdeführer wurde nach einer Gastroskopie im Juli 2016 ein Zwerchfellbruch diagnostiziert und eine medikamentöse Therapie empfohlen. Der ärztlichen Mitteilung ist zu entnehmen, dass zuletzt im September 2016 ein Rezept ausgestellt wurde, einen Kontrolltermin habe es nicht gegeben.

 

Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer waren beide sowohl physisch als auch psychisch in der Lage, der Verhandlung zu folgen und die an sie gerichteten Fragen zu beantworten.

 

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

 

II.1.7. Die Erstbeschwerdeführerin, die sich um ihre vier minderjährigen Kinder zu kümmern hat, wäre bei einer Rückkehr nach Afghanistan in ihrem Herkunftsort XXXX einem realen Risiko ausgesetzt, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten. Denn bei der Erstbeschwerdeführerin handelt es sich um eine verwitwete Frau ohne Schul- und Berufsbildung und ohne Berufserfahrung mit vier minderjährigen Kindern, die sie zu versorgen hat. Bei der Beurteilung der Fähigkeit der Erstbeschwerdeführerin, ihre gesamte Familie zu ernähren, sind, auch die bei ihr diagnostizierten Erkrankungen zu berücksichtigen, die ihr die Aufnahme einer Erwerbsmöglichkeit noch weiter erschweren würden. Der Zweitbeschwerdeführer ist zwar ein junger, gerade volljähriger, arbeitsfähiger, gesunder Mann, jedoch auch ohne Berufsausbildung oder Berufserfahrung, bei dem nicht davon ausgegangen werden kann, dass er angesichts seiner fehlenden Schul- und Berufsbildung und-Berufserfahrung eine insgesamt sechsköpfige Familie ernähren kann.

 

In Afghanistan leben zwar noch die Tochter der Erstbeschwerdeführerin und die Zweitfrau ihres verstorbenen Ehemannes. Ihre – selbst noch minderjährige Tochter (diese ist ca. 16 Jahre alt) - lebt in XXXX jedoch im Familienverband ihres Ehemannes, mit ihren Schwiegereltern zusammen, wo den Beschwerdeführern, einer sechsköpfigen Familie, kein Wohnraum zur Verfügung steht.

 

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Sohn aus dem Iran eine sechsköpfige Familie finanziell hinreichend in XXXX unterstützen kann, er hat dort auch keine Aufenthaltsgenehmigung.

 

Die Zweitfrau des verstorbenen Ehemannes lebt mittlerweile wieder in Maidan Wardak, einer volatilen Provinz in Afghanistan, sodass eine Rückkehr der Erstbeschwerdeführerin und ihrer Kinder dorthin mit einer ernstzunehmenden Gefahr für Leib und Leben verbunden wäre.

 

II.1.6. Das BVwG trifft folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 02.03.2017 [Schreibfehler teilweise korrigiert]):

 

Politische Lage:

 

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet (IDEA o.D.) und im Jahre 2004 angenommen (Staatendokumentation des BFA 7.2016; vgl. auch: IDEA o.D.). Sie basiert auf der Verfassung aus dem Jahre 1964. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation des BFA 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.01.2004).

 

Die Innenpolitik ist seit der Einigung zwischen den Stichwahlkandidaten der Präsidentschaftswahl auf eine Regierung der Nationalen Einheit (RNE) von mühsamen Konsolidierungsbemühungen geprägt. Nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Lagern der Regierung unter Führung von Präsident Ashraf Ghani und dem Regierungsvorsitzenden (Chief Executive Officer, CEO) Abdullah Abdullah sind kurz vor dem Warschauer NATO-Gipfel im Juli 2016 schließlich alle Ministerämter besetzt worden (AA 9 .2016). Das bestehende Parlament bleibt erhalten (CRS 12.01.2017), nachdem die für Oktober 2016 angekündigten Parlamentswahlen wegen bisher ausstehender Wahlrechtsreformen nicht am geplanten Termin abgehalten werden konnten (AA 9 .2016; vgl. CRS 12.01.2017).

 

Parlament und Parlamentswahlen:

 

Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wähler/innen. Seit Mitte 2015 ist die Legislaturperiode des Parlamentes abgelaufen. Seine fortgesetzte Arbeit unter Ausbleiben von Neuwahlen sorgt für stetig wachsende Kritik (AA 9 .2016). Im Jänner 2017 verlautbarte das Büro von CEO Abdullah Abdullah, dass Parlaments- und Bezirksratswahlen im nächsten Jahr abgehalten werden (Pajhwok 19.01.2017).

 

Die afghanische Nationalversammlung besteht aus dem Unterhaus, Wolesi Jirga, und dem Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt. Das Unterhaus hat 249 Sitze, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kutschi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 13.04.2016 vgl. auch: CRS 12.01.2017).

 

Das Oberhaus umfasst 102 Sitze. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Das verbleibende Drittel, wovon 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst. Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßigen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für einen Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 13.04.2016).

 

Die Rolle des Zweikammern-Parlaments bleibt trotz mitunter erheblichem Selbstbewusstsein der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Zugleich nutzt das Parlament seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Regierungsarbeit destruktiv zu behindern, deren Personalvorschläge zum Teil über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse teuer abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus spielt hier eine unrühmliche Rolle und hat sich dadurch sowohl die RNE als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht (AA 9 .2016).

 

Parteien:

 

Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einigen von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen (USIP 3.2015).

 

Die afghanische Parteienlandschaft ist mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen traditionell mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des sich noch entwickelnden Parteiensystems ist auf fehlende strukturelle Elemente (wie z.B. ein Parteienfinanzierungsgesetz) zurückzuführen sowie auf eine allgemeine Skepsis der Bevölkerung und der Medien. Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen immer wieder gestört, etwa durch das Unterhaus selbst (AA 9 .2016).

 

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, das von allen Parteien verlangte, sich neu zu registrieren, und zum Ziel hatte, ihre Anzahl zu reduzieren. Anstatt wie zuvor die Unterschrift von 700 Mitgliedern müssen sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen erbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber "scheinbar" nur wenig zur Konsolidierung des Parteiensystems bei (USIP 3.2015).

 

Unter der neuen Verfassung haben sich seit 2001 zuvor islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine weltanschauliche Organisation oder ein Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind (USIP 3.2015). Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani verbrachte selbst die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 9 .2016).

 

Friedens- und Versöhnungsprozess:

 

Im afghanischen Friedens- und Versöhnungsprozess gibt es weiterhin keine greifbaren Fortschritte. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte. Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Die Reintegration versöhnungswilliger Aufständischer bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 9 .2016).

 

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG):

 

Nach zweijährigen Verhandlungen (Die Zeit 22.09.2016) unterzeichneten im September 2016 Vertreter der afghanischen Regierung und der Hezb-e Islami ein Abkommen (CRS 12.01.2017), das der Hezb-e Islami Immunität für "vergangene politische und militärische" Taten zusichert. Dafür verpflichtet sich die Gruppe, alle militärischen Aktivitäten einzustellen (DW 29.09.2016). Einen Tag nach Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der Hezb-e Islami und der Regierung erklärte erstere in einer Stellungnahme eine Waffenruhe (The Express Tribune 30.09.2016). Das Abkommen beinhaltet unter anderem die Möglichkeit eines Regierungspostens für Hekmatyar; auch soll sich die afghanische Regierung bemühen, internationale Sanktionen gegen Hekmatyar aufheben zu lassen (CRS 12.01.2017). Sobald internationale Sanktionen aufgehoben sind, wird von Hekmatyar erwartet, nach 20 Jahren aus dem Exil nach Afghanistan zurückkehren. Im Jahr 2003 war Hekmatyar von den USA zum "internationalen Terroristen" erklärt worden (NYT 29.09.2016). Schlussendlich wurden im Februar 2017 die Sanktionen gegen Hekmatyar von den Vereinten Nationen aufgehoben (BBC News 04.02.2017).

 

Sicherheitslage:

 

Die Sicherheitslage ist beeinträchtigt durch eine tief verwurzelte militante Opposition. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte zeigten Entschlossenheit und steigerten auch weiterhin ihre Leistungsfähigkeit im Kampf gegen den von den Taliban geführten Aufstand. Die Taliban kämpften weiterhin um Distriktzentren, bedrohten Provinzhauptstädte und eroberten landesweit kurzfristig Hauptkommunikationsrouten; speziell in Gegenden von Bedeutung wie z.B. Kunduz City und der Provinz Helmand (USDOD 12.2016). Zu Jahresende haben die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) Aufständische in Gegenden von Helmand, Uruzgan, Kandahar, Kunduz, Laghman, Zabul, Wardak und Faryab bekämpft (SIGAR 30.01.2017).

 

In den letzten zwei Jahren hatten die Taliban kurzzeitig Fortschritte gemacht, wie z.B. in Helmand und Kunduz, nachdem die ISAF-Truppen die Sicherheitsverantwortung den afghanischen Sicherheits- und Verteidigungskräften (ANDSF) übergeben hatten. Die Taliban nutzen die Schwächen der ANDSF aus, wann immer sie Gelegenheit dazu haben. Der IS (Islamischer Staat) ist eine neue Form des Terrors im Namen des Islam, ähnlich der al-Qaida, auf zahlenmäßig niedrigerem Niveau, aber mit einem deutlich brutaleren Vorgehen. Die Gruppierung operierte ursprünglich im Osten entlang der afghanisch-pakistanischen Grenze und erscheint Einzelberichten zufolge auch im Nordosten und Nordwesten des Landes (Lokaler Sicherheitsberater in Afghanistan 17.02.2017).

 

INSO beziffert die Gesamtzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle in Afghanistan im Jahr 2016 mit 28.838 (INSO 2017).

 

Mit Stand September 2016 schätzt die Unterstützungsmission der NATO, dass die Taliban rund 10% der Bevölkerung beeinflussen oder kontrollieren. Die afghanischen Verteidigungsstreitkräfte (ANDSF) waren im Allgemeinen in der Lage, große Bevölkerungszentren zu beschützen. Sie hielten die Taliban davon ab, Kontrolle in bestimmten Gegenden über einen längeren Zeitraum zu halten und reagierten auf Talibanangriffe. Den Taliban hingegen gelang es, ländliche Gegenden einzunehmen; sie kehrten in Gegenden zurück, die von den ANDSF bereits befreit worden waren und in denen die ANDSF ihre Präsenz nicht halten konnten. Sie führten außerdem Angriffe durch, um das öffentliche Vertrauen in die Sicherheitskräfte der Regierung und deren Fähigkeit, für Schutz zu sorgen, zu untergraben (USDOD 12.2016). Berichten zufolge hat sich die Anzahl direkter Schussangriffe der Taliban gegen Mitglieder der afghanischen Nationalarmee (ANA) und afghanischen Nationalpolizei (ANP) erhöht (SIGAR 30.01.2017).

 

Einem Bericht des U.S. amerikanischen Pentagons zufolge haben die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte gemacht, wenn auch keine dauerhaften (USDOD 12.2016). Laut Innenministerium wurden im Jahr 2016 im Zuge von militärischen Operationen – ausgeführt durch die Polizei und das Militär – landesweit mehr als 18.500 feindliche Kämpfer getötet und weitere 12.000 verletzt. Die afghanischen Sicherheitskräfte versprachen, sie würden auch während des harten Winters gegen die Taliban und den Islamischen Staat vorgehen (VOA 05.01.2017).

 

Obwohl die afghanischen Sicherheitskräfte alle Provinzhauptstädte sichern konnten, wurden sie von den Taliban landesweit herausgefordert: Intensive bewaffnete Zusammenstöße zwischen den Taliban und afghanischen Sicherheitskräften verschlechterten die Sicherheitslage im Berichtszeitraum (16.08. – 17.11.2016) (UN GASC 13.12.2016; vgl. auch: SCR 30.11.2016). Den afghanischen Sicherheitskräften gelang es im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern (USDOD 12.2016).

 

Kontrolle von Distrikten und Regionen:

 

Den Aufständischen misslangen acht Versuche, die Provinzhauptstadt einzunehmen; den Rebellen war es möglich, Territorium einzunehmen. High-profile Angriffe hielten an. Im vierten Quartal 2016 waren 2,5 Millionen Menschen unter direktem Einfluss der Taliban, während es im dritten Quartal noch 2,9 Millionen waren (SIGAR 30.01.2017).

 

Laut einem Sicherheitsbericht für das vierte Quartal sind 57,2% der 407 Distrikte unter Regierungskontrolle bzw. –einfluss; dies deutet einen Rückgang von 6,2% gegenüber dem dritten Quartal an: Zu jenem Zeitpunkt waren 233 Distrikte unter Regierungskontrolle, 51 Distrikte waren unter Kontrolle der Rebellen und 133 Distrikte waren umkämpft. Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Rebelleneinfluss oder -kontrolle waren: Uruzgan mit fünf von sechs Distrikten und Helmand mit acht von 14 Distrikten. Regionen, in denen Rebellen den größten Einfluss oder Kontrolle haben, konzentrieren sich auf den Nordosten in Helmand, Nordwesten von Kandahar und die Grenzregion der beiden Provinzen (Kandahar und Helmand), sowie Uruzgan und das nordwestliche Zabul (SIGAR 30.01.2017).

 

Rebellengruppen:

 

Regierungsfeindliche Elemente versuchten weiterhin, durch Bedrohungen, Entführungen und gezielte Tötungen ihren Einfluss zu verstärken. Im Berichtszeitraum wurden 183 Mordanschläge registriert, davon sind 27 gescheitert. Dies bedeutet einen Rückgang von 32% gegenüber dem Vergleichszeitraum im Jahr 2015 (UN GASC 13.12.2016). Rebellengruppen, inklusive hochrangiger Führer der Taliban und des Haqqani Netzwerkes, behielten ihre Rückzugsgebiete auf pakistanischem Territorium (USDOD 12.2016).

 

Afghanistan ist mit einer Bedrohung durch militante Opposition und extremistische Netzwerken konfrontiert; zu diesen zählen die Taliban, das Haqqani Netzwerk und in geringerem Maße al-Qaida und andere Rebellengruppen und extremistische Gruppierungen. Die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen eine von Afghanen geführte und ausgehandelte Konfliktresolution in Afghanistan – gemeinsam mit internationalen Partnern sollen die Rahmenbedingungen für einen friedlichen politischen Vergleich zwischen afghanischer Regierung und Rebellengruppen geschaffen werden (USDOD 12.2016).

 

Zwangsrekrutierungen durch die Taliban, Milizen, Warlords oder kriminelle Banden sind nicht auszuschließen. Konkrete Fälle kommen jedoch aus Furcht vor Konsequenzen für die Rekrutierten oder ihre Familien kaum an die Öffentlichkeit (AA 9 .2016).

 

Taliban und ihre Offensive:

 

Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016). Die Taliban erhöhten das Operationstempo im Herbst 2016, indem sie Druck auf die Provinzhauptstädte von Helmand, Uruzgan, Farah und Kunduz ausübten sowie die Regierungskontrolle in Schlüsseldistrikten beeinträchtigten und versuchten, Versorgungsrouten zu unterbrechen (UN GASC 13.12.2016). Die Taliban verweigern einen politischen Dialog mit der Regierung (SCR 12.2016).

 

Die Taliban haben die Ziele ihrer Offensive "Operation Omari" im Jahr 2016 verfehlt (USDOD 12.2016). Ihr Ziel waren großangelegte Offensiven gegen Regierungsstützpunkte, unterstützt durch Selbstmordattentate und Angriffe von Aufständischen, um die vom Westen unterstützte Regierung zu vertreiben (Reuters 12.04.2016). Gebietsgewinne der Taliban waren nicht dauerhaft, nachdem die ANDSF immer wieder die Distriktzentren und Bevölkerungsgegenden innerhalb eines Tages zurückerobern konnte. Die Taliban haben ihre lokalen und temporären Erfolge ausgenutzt, indem sie diese als große strategische Veränderungen in sozialen Medien und in anderen öffentlichen Informationskampagnen verlautbarten (USDOD 12.2016). Zusätzlich zum bewaffneten Konflikt zwischen den afghanischen Sicherheitskräften und den Taliban kämpften die Taliban gegen den ISIL-KP (Islamischer Staat in der Provinz Khorasan) (UN GASC 13.12.2016).

 

Der derzeitige Talibanführer Mullah Haibatullah Akhundzada hat im Jänner 2017 16 Schattengouverneure in Afghanistan ersetzt, um seinen Einfluss über den Aufstand zu stärken. Aufgrund interner Unstimmigkeiten und Überläufern zu feindlichen Gruppierungen, wie dem Islamischen Staat, waren die afghanischen Taliban geschwächt. Hochrangige Quellen der Taliban waren der Meinung, die neu ernannten Gouverneure würden den Talibanführer stärken, dennoch gab es keine Veränderung in Helmand. Die südliche Provinz – größtenteils unter Talibankontrolle – liefert der Gruppe den Großteil der finanziellen Unterstützung durch Opium. Behauptet wird, Akhundzada hätte nicht den gleichen Einfluss über Helmand wie einst Mansour (Reuters 27.01.2017).

 

Im Mai 2016 wurde der Talibanführer Mullah Akhtar Mohammad Mansour durch eine US-Drohne in der Provinz Balochistan in Pakistan getötet (BBC News 22.05.2016; vgl. auch: The National 13.01.2017). Zum Nachfolger wurde Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt – ein ehemaliger islamischer Rechtsgelehrter – der bis zu diesem Zeitpunkt als einer der Stellvertreter diente (Reuters 25.05.2016; vgl. auch:

The National 13.01.2017). Dieser ernannte als Stellvertreter Sirajuddin Haqqani, den Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (The National 13.01.2017), und Mullah Yaqoub, Sohn des Talibangründers Mullah Omar (DW 25.05.2016).

 

Haqqani-Netzwerk:

 

Das Haqqani-Netzwerk ist eine sunnitische Rebellengruppe, die durch Jalaluddin Haqqani gegründet wurde. Sirajuddin Haqqani, Sohn des Jalaluddin, führt das Tagesgeschäft gemeinsam mit seinen engsten Verwandten (NCTC o.D.). Sirajuddin Haqqani wurde zum Stellvertreter des Talibanführers Mullah Haibatullah Akhundzada ernannt (The National 13.01.2017).

 

Das Netzwerk ist ein Verbündeter der Taliban – dennoch ist es kein Teil der Kernbewegung (CRS 26.05.2016). Das Netzwerk ist mit anderen terroristischen Organisationen in der Region, inklusive al-Qaida und den Taliban, verbündet (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (CRS 12.01.2017). Das Netzwerk ist hauptsächlich in Nordwaziristan (Pakistan) zu verorten und führt grenzübergreifende Operationen nach Ostafghanistan und Kabul durch (NCTC o.D.).

 

Das Haqqani-Netzwerk ist fähig – speziell in der Stadt Kabul –,Operationen durchzuführen; es finanziert sich durch legale und illegale Geschäfte in den Gegenden Afghanistans, in denen es eine Präsenz hat, aber auch in Pakistan und im Persischen Golf. Das Netzwerk führt vermehrt Entführungen aus – wahrscheinlich, um sich zu finanzieren und seine Wichtigkeit zu stärken (CRS 12.01.2017).

 

Kommandanten des Haqqani Netzwerk sagten zu Journalist/innen, das Netzwerk sei bereit, eine politische Vereinbarung mit der afghanischen Regierung zu treffen, sofern sich die Taliban dazu entschließen würden, eine solche Vereinbarung einzugehen (CRS 12.01.2017).

 

Al-Qaida:

 

Laut US-amerikanischen Beamten war die Präsenz von al-Qaida in den Jahren 2001 bis 2015 minimal (weniger als 100 Kämpfer); al-Qaida fungierte als Unterstützer für Rebellengruppen (CRS 12.01.2017). Im Jahr 2015 entdeckten und zerstörten die afghanischen Sicherheitskräfte gemeinsam mit US-Spezialkräften ein Camp der al-Quaida in der Provinz Kandahar (CRS 12.01.2017; vgl. auch: FP 02.11.2015); dabei wurden 160 Kämpfer getötet (FP 02.11.2015). Diese Entdeckung deutet darauf hin, dass al-Qaida die Präsenz in Afghanistan vergrößert hat. US-amerikanische Kommandanten bezifferten die Zahl der Kämpfer in Afghanistan mit 100-300, während die afghanischen Behörden die Zahl der Kämpfer auf 300-500 schätzten (CRS 12.01.2017). Im Dezember 2015 wurde berichtet, dass al-Qaida sich primär auf den Osten und Nordosten konzentrierte und nicht, wie ursprünglich von US-amerikanischer Seite angenommen, nur auf Nordostafghanistan (LWJ 16.04.2016).

 

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG):

 

Siehe oben unter "Friedens- und Versöhnungsprozess".

 

IS/ISIS/ISIL/ISKP/ISIL-K/Daesh – Islamischer Staat:

 

Seit dem Jahr 2014 hat die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) eine kleine Präsenz in Afghanistan etabliert (RAND 28.11.2016). Die Führer des IS nennen diese Provinz Wilayat Khorasan – in Anlehnung an die historische Region, die Teile des Irans, Zentralasien, Afghanistan und Pakistan beinhaltete (RAND 28.11.2016; vgl. auch:

MEI 5.2016). Anfangs wuchs der IS schnell (MEI 5.2016). Der IS trat im Jahr 2014 in zwei getrennten Regionen in Afghanistan auf: in den östlichsten Regionen Nangarhars, an der AfPak-Grenze und im Distrikt Kajaki in der Provinz Helmand (USIP 03.11.2016).

 

Trotz Bemühungen, seine Macht und seinen Einfluss in der Region zu vergrößern, kontrolliert der IS nahezu kein Territorium außer kleineren Gegenden wie z.B. die Distrikte Deh Bala, Achin und Naziyan in der östlichen Provinz Nangarhar (RAND 28.11.2016; vgl. auch: USIP 03.11.2016). Zwar kämpfte der IS hart in Afghanistan, um Fuß zu fassen, die Gruppe wird von den Ansäßigen jedoch großteils als fremde Kraft gesehen (MEI 5.2016). Nur eine Handvoll Angriffe führte der IS in der Region durch. Es gelang ihm nicht, sich die Unterstützung der Ansäßigen zu sichern; auch hatte er mit schwacher Führung zu kämpfen (RAND 28.11.2016). Der IS hatte mit Verlusten zu kämpfen (MEI 5.2016). Unterstützt von internationalen Militärkräften führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch – dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

 

Auch wenn die Gruppierung weiterhin interne Streitigkeiten der Taliban ausnützt, um die Präsenz zu halten, ist sie mit einem harten Kampf konfrontiert, um permanenter Bestandteil komplexer afghanischer Stammes- und Militärstrukturen zu werden. Anhaltender Druck durch US-amerikanische Luftangriffe haben weiterhin die Möglichkeiten des IS in Afghanistan untergraben; auch wird der IS weiterhin davon abgehalten, seinen eigenen Bereich in Afghanistan einzunehmen (MEI 5.2016). Laut US-amerikanischem Außenministerium hat der IS keinen sicherheitsrelevanten Einfluss außerhalb von isolierten Provinzen in Ostafghanistan (SIGAR 30.10.2017).

 

Unterstützt von internationalen Militärkräften führten die afghanischen Sicherheitskräfte regelmäßig Luft- und Bodenoperationen gegen den IS in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch – dies verkleinerte die Präsenz der Gruppe in beiden Provinzen. Eine kleinere Präsenz des IS existiert in Nuristan (UN GASC 13.12.2016).

 

Presseberichten zufolge betrachtet die afghanische Bevölkerung die Talibanpraktiken als moderat im Gegensatz zu den brutalen Praktiken des IS. Kämpfer der Taliban und des IS gerieten aufgrund politischer oder anderer Differenzen, aber auch aufgrund der Kontrolle von Territorium, aneinander (CRS 12.01.2017).

 

Zivile Opfer:

 

Die Mission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) dokumentiert weiterhin regierungsfeindliche Elemente, die illegale und willkürliche Angriffe gegen Zivilist/innen ausführen (UNAMA 10.2016). Zwischen 01.01. und 31.12.2016 registrierte UNAMA 11.418 zivile Opfer (3.498 Tote und 7.920 Verletzte) – dies deutet einen Rückgang von 2% bei Getöteten und eine Erhöhung um 6% bei Verletzten im Gegensatz zum Vergleichszeitraum des Jahres 2015 an. Bodenkonfrontation war weiterhin die Hauptursache für zivile Opfer, gefolgt von Selbstmordangriffen und komplexen Attentaten sowie unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtung (IED) und gezielten und willkürlichen Tötungen (UNAMA 06.02.2017).

 

UNAMA verzeichnete 3.512 minderjährige Opfer (923 Kinder starben und 2.589 wurden verletzt) – eine Erhöhung von 24% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres; die höchste Zahl an minderjährigen Opfern seit Aufzeichnungsbeginn. Hauptursache waren Munitionsrückstände, deren Opfer meist Kinder waren. Im Jahr 2016 wurden 1.218 weibliche Opfer registriert (341 Tote und 877 Verletzte), dies deutet einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vorjahr an (UNAMA 06.02.2017).

 

Hauptsächlich waren die südlichen Regionen von dem bewaffneten Konflikt betroffen: 2.989 zivile Opfer (1.056 Tote und 1.933 Verletzte) – eine Erhöhung von 17% gegenüber dem Jahr 2015. In den zentralen Regionen wurde die zweithöchste Rate an zivilen Opfern registriert: 2.348 zivile Opfer (534 Tote und 1.814 Verletzte) – eine Erhöhung von 34% gegenüber dem Vorjahreswert aufgrund von Selbstmordangriffen und komplexen Angriffen auf die Stadt Kabul. Die östlichen und nordöstlichen Regionen verzeichneten einen Rückgang bei zivilen Opfern: 1.595 zivile Opfer (433 Tote und 1.162 Verletzte) im Osten und 1.270 zivile Opfer (382 Tote und 888 Verletzte) in den nordöstlichen Regionen. Im Norden des Landes wurden 1.362 zivile Opfer registriert (384 Tote und 978 Verletzte) sowie in den südöstlichen Regionen 903 zivile Opfer (340 Tote und 563 Verletzte). Im Westen wurden 836 zivile Opfer (344 Tote und 492 Verletzte) und 115 zivile Opfer (25 Tote und 90 Verletzte) im zentralen Hochgebirge registriert (UNAMA 06.02.2017).

 

Laut UNAMA waren 61% aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben (hauptsächlich Taliban), 24% regierungsfreundlichen Kräften (20% den afghanischen Sicherheitskräften, 2% bewaffneten regierungsfreundlichen Gruppen und 2% internationalen militärischen Kräften); Bodenkämpfe zwischen regierungsfreundlichen Kräften und regierungsfeindlichen Kräften waren Ursache für 10% zivile Opfer, während 5% der zivilen Opfer vorwiegend durch Unfälle mit Munitionsrückständen bedingt waren (UNAMA 06.02.2017).

 

Kabul

 

Die Provinzhauptstadt von Kabul und gleichzeitig Hauptstadt von Afghanistan ist Kabul Stadt. Die Provinz Kabul grenzt im Nordwesten an die Provinz Parwan, im Nordosten an Kapisa, im Osten an Laghman, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden und (Maidan) Wardak im Südwesten. Kabul ist mit den Provinzen Kandahar, Herat und Mazar durch die sogenannte Ringstraße und mit Peshawar in Pakistan durch die Kabul-Torkham Autobahn verbunden. Die Stadt hat 22 Stadtgemeinden und 14 administrative Einheiten (Pajhwok o.D.z). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 4.523.718 geschätzt (CSO 2016)

 

Distrikt Kabul

 

Im Zeitraum 1.9.2015 – 31.5.2016 wurden im Distrikt Kabul 151 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

 

Provinz Kabul

 

Im Zeitraum 1.9.2015. – 31.5.2016 wurden in der gesamten Provinz Kabul 161 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

 

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren (USDOD 12.2015). Aufständischengruppen planen oft Angriffe auf Gebäude und Individuen mit afghanischem und amerikanischem Hintergrund: afghanische und US-amerikanische Regierungseinrichtungen, ausländische Vertretungen, militärische Einrichtungen, gewerbliche Einrichtungen, Büros von Nichtregierungsorganisation, Restaurants, Hotels und Gästehäuser, Flughäfen und Bildungszentren (Khaama Press 13.1.2017). Nach einem Zeitraum länger andauernder relativer Ruhe in der Hauptstadt, explodierte im Jänner 2017 in der Nähe des afghanischen Parlaments eine Bombe; bei diesem Angriff starben mehr als 30 Menschen (DW 10.1.2017). Die Taliban bekannten sich zu diesem Vorfall und gaben an, hochrangige Beamte des Geheimdienstes wären ihr Ziel gewesen (BBC News 10.1.2017).

 

In der Provinz Kabul finden regelmäßig militärische Operationen statt (Afghanistan Times 8.2.2017; Khaama Press 10.1.2017; Tolonews 4.1.2017a; Bakhtar News 29.6.2016). Taliban Kommandanten der Provinz Kabul wurden getötet (Afghan Spirit 18.7.2016). Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 4.1.2017a).

 

Regierungsfeindliche Aufständische greifen regelmäßig religiöse Orte, wie z.B. Moscheen, an. In den letzten Monaten haben eine Anzahl von Angriffen, gezielt gegen schiitische Muslime, in Hauptstädten, wie Kabul und Herat stattgefunden (Khaama Press 2.1.2017; vgl. auch: UNAMA 6.2.2017).

 

Wardak/ Maidan Wardak

 

Maidan Shahr ist die Provinzhauptstadt. Distrikte der Provinz Wardak sind: Sayed Abad, Jaghto, Chak, Daimirdad, Jalrez, central Bihsud und Hisa-i-Awal Bihsud. Kabul und Logar liegen im Osten der Provinz (Maidan) Wardak, Bamyan im Westen und Nordwesten, Ghazni im Süden und Südwesten, sowie die Provinz Parwan im Norden (Pajhwok o.D.u). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 606.077 geschätzt (CSO 2016).

 

Die Hauptautobahn Kabul-Kandahar geht durch die Provinz Maidan Wardak und verbindet dadurch die südlichen, aber auch südöstlichen Provinzen mit der Hauptstadt Kabul (Khaama Press 6.5.2016).

 

Im Zeitraum 1.9.2015 – 31.5.2016 wurden in der Provinz Wardak 359 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert (EASO 11.2016).

 

Im Vergleich zum vorigen Berichtszeitraum wurden Veränderungen der Sicherheitslage in der Provinz festgehalten – gleichwohl sind die Gewinne der Taliban in diesen Teilen des Landes minimal und unbeständig (USDOD 12.2016). Talibanaufständische sind in einer Anzahl von abgelegenen Distrikten in der Provinz aktiv (Khaama Press 3.7.2016). Aufständische werden durch die Sicherheitskräfte in der Provinz Wardak bekämpft (SIGAR 30.1.2017) und auch militärische Operationen werden durchgeführt (Khaama Press 25.9.2016; Khaama Press 28.10.2016; Khaama Press 17.8.2016; Khaama Press 21.7.2016; Khaama Press 1.6.2016).

 

Rechtsschutz/Justizwesen:

 

Trotz großer legislativer Fortschritte in den vergangenen 14 Jahren gibt es keine einheitliche und korrekte Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (kodifiziertes Recht, Scharia (islamisches Gesetz), Gewohnheits-/Stammesrecht) (AA 9 .2016; vgl. auch: USIDP o.D. und WP 31.5.2015). Fast 80% der Dispute werden außerhalb des formellen Justizsystems gelöst - üblicherweise durch Schuras, Jirgas, Mullahs und andere in der Gemeinschaft verankerte Akteure (USIP o.D.; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).

 

Traditionelle Rechtsprechungsmechanismen bleiben für viele Menschen, insbesondere in den ländlichen Gebieten, weiterhin der bevorzugte Rechtsweg (USDOS 13.4.2016, vgl. auch: FH 27.1.2016). Das kodifizierte Recht wird unterschiedlich eingehalten, wobei Gerichte gesetzliche Vorschriften oft zugunsten der Scharia oder lokaler Gepflogenheiten missachteten (USDOS 13.4.2016). In einigen Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle setzen die Taliban ein paralleles Rechtssystem um (FH 27.1.2016).

 

Obwohl das islamische Gesetz in Afghanistan weitverbreitet akzeptiert ist, stehen traditionelle Praktiken nicht immer mit diesem in Einklang. Unter den religiösen Führern in Afghanistan bestehen weiterhin tiefgreifende Auffassungsunterschiede darüber, wie das islamische Recht tatsächlich zu einer Reihe von rechtlichen Angelegenheiten steht. Dazu zählen unter anderem Frauenrecht, Strafrecht und –verfahren, Verbindlichkeit von Rechten gemäß internationalem Recht und der gesamte Bereich der Grundrechte (USIP o. D.). Das formale Justizsystem ist in den städtischen Zentren relativ stark verankert, da die Zentralregierung dort am stärksten ist, während es in den ländlichen Gebieten - wo ungefähr 76% der Bevölkerung leben - schwächer ausgeprägt ist (USDOS 13.4.2016).

 

Dem Justizsystem mangelt es weiterhin an der Leistungsfähigkeit um die hohe Zahl an neuen und novellierten Gesetzen zu beherrschen. Der Mangel an qualifiziertem, juristischem Personal behindert die Gerichte. Die Zahl der Richter/innen, welche ein Rechtsstudium absolviert haben erhöht sich weiterhin (USDOS 13.4.2016). Im Jahr 2014 wurde die Zahl der Richter/innen landesweit mit 1.300 beziffert (SZ 29.9.2014; vgl. auch: CRS 8.11.2016), davon waren rund 200 Richterinnen (CRS 8.11.2016). Im Jahr 2015 wurde von Präsident Ghani eine führende Anwältin als erste Frau zur Richterin des Supreme Courts ernannt (RFE/RL 30.6.2016). Die Zahl registrierter Anwälte/innen hat sich in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt (WP 31.5.2015). Der Zugang zu Gesetzestexten wird besser, ihre geringe Verfügbarkeit stellt für einige Richter/innen und Staatsanwälte immer noch eine Behinderung dar (USDOS 13.4.2016).

 

Ein Mangel an qualifiziertem Justizpersonal behindert die Gerichte (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: FH 27.1.2016). Manche Amtsträger/innen in Gemeinden und Provinzen verfügen über eine eingeschränkte Ausbildung und gründen ihre Entscheidungen daher auf ihrem persönlichen Verständnis der Scharia, ohne jeglichen Bezug zum kodifizierten Recht, Stammeskodex oder traditionellen Bräuchen (USDOS 13.4.2016).

 

Innerhalb des Gerichtswesens ist Korruption weiterhin vorhanden (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: FH 27.1.2016); Richter/innen und Anwält/innen sind oftmals Ziel von Bedrohung oder Bestechung durch lokale Anführer oder bewaffneten Gruppen (FH 27.1.2016), um Entlassungen oder Reduzierungen von Haftstrafen zu erwirken (USDOS 13.4.2016). Afghanische Gerichte sind durch öffentliche Meinung und politische Führer leicht beeinflussbar (WP 31.5.2015). Im Juni 2016 errichtete Präsident Ghani das Strafrechtszentrum für Anti-Korruption, um innerhalb des Rechtssystems gegen korrupte Minister/innen, Richter/innen und Gouverneure/innen vorzugehen, die meist vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt waren (Reuters 12.11.2016).

 

Laut dem allgemeinen Islamvorbehalt in der Verfassung darf kein Gesetz im Widerspruch zum Islam stehen. Eine Hierarchie der Normen ist nicht gegeben, so ist nicht festgelegt, welches Gesetz in Fällen des Konflikts zwischen traditionellem islamischem Recht und seinen verschiedenen Ausprägungen einerseits und der Verfassung und dem internationalen Recht andererseits zur Anwendung kommt. Diese Unklarheit und eine fehlende Autoritätsinstanz zur einheitlichen Interpretation der Verfassung führen nicht nur zur willkürlichen Anwendung eines Rechts, sondern auch immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen (AA 9 .2016).

 

Sicherheitsbehörden:

 

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) bestehen aus folgenden Komponenten: der afghanischen Nationalarmee (ANA), welche auch die Luftwaffe (AAF) und das ANA-Kommando für Spezialoperationen (ANASOC) beinhaltet; der afghanischen Nationalpolizei (ANP), die ebenso die uniformierte afghanische Polizei beinhaltet (AUP), der afghanischen Nationalpolizei für zivile Ordnung (ANCOP), der afghanischen Grenzpolizei (ABP) und der afghanischen Polizei die Verbrechen bekämpft (AACP). Sie stehen unter der Kontrolle des Verteidigungsministeriums Die afghanische Lokalpolizei (ALP), sowie ihre Komponenten (etwa die afghanischen Kräfte zum Schutz der Öffentlichkeit (APPF) und die afghanische Polizei zur Drogenbekämpfung (CNPA) sind unter der Führung des Innenministeriums (USDOD 6. 2016).

 

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (Afghan National Defense and Security Forces, ANDSF) haben - wenn auch unbeständig - Fortschritte gemacht. Sie führten ihre Frühjahrs- und Sommeroperationen erfolgreich durch. Ihnen gelang im August 2016, mehrere große Talibanangriffe auf verschiedene Provinzhauptstädte zu vereiteln, und verlorenes Territorium rasch wieder zurückzuerobern. Schwierigkeiten in Schlüsselbereichen wie Spionage, Luftfahrt und Logistik, verbesserten sich, beeinträchtigten dennoch die Schlagkraft. Die afghanischen Sicherheitskräfte behielten die Kontrolle über große Ballungsräume und reagierten rasch auf jegliche Gebietsgewinne der Taliban (USDOD 12.2016).

 

Die afghanischen Sicherheitskräfte haben zwar im Jahr 2015 die volle Verantwortung für die Sicherheit des Landes übernommen (AA 9 .2016; vgl. auch: USIP 5.2016); dennoch werden sie teilweise durch US-amerikanische bzw. Koalitionskräfte unterstützt (USDOD 6.2016).

 

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan Local Police (ALP). Die (Afghan National Police (ANP) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig. Ihre primäre Aufgabe ist die Bekämpfung der Aufständischen. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen (USDOS 13.4.2016).

 

Die autorisierte Truppenstärke der ANDSF wird mit 352.000 beziffert (USDOD 6.2016), davon 4.228 Frauen (SIGAR 30.7.2016).

 

Die monatlichen Ausfälle (umfasst alle geplanten und ungeplanten Ausfälle von Pensionierungen über unerlaubte Abwesenheit bis hin zu Gefallenen) der ANDSF liegen bei 2.4% - eine leichte Erhöhung gegenüber dem Dreijahresmittel von 2.2% (USDOD 6.2016).

 

Afghan National Police (ANP) und Afghan Local Police (ALP)

 

Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption und die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit aber in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Das Langzeitziel der ANP ist weiterhin, sich in einen traditionellen Polizeiapparat zu verwandeln. Mit Stand 31.5.2016 beträgt die Stärke der ANP etwa 148.000 Mann. Dies beinhaltet nicht die rund 6.500 Auszubildenden in Polizeiakademien und andere die Ausbildungszentren landesweit ausgebildet werden. Frauen machen sind mit etwa 1.8% in der ANP vertreten (USDOD 6.2016). 2.834 Polizistinnen sind derzeit bei der Polizei, dies beinhaltete auch jene die in Ausbildung sind (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: Sputnik News 14.6.2016).

 

Die Personalstärke der ALP beträgt etwa 28.800 Mann; zusätzlich autorisiert sind weitere 30.000 Mann, welche nicht in der allgemeinen ANDSF-Struktur inkludiert sind (USDOD 6.2016). Aufgabe der ALP ist, Sicherheit innerhalb von Dörfern und ländlichen Gebieten zu gewährleisten - indem die Bevölkerung vor Angriffen durch Aufständische geschützt wird, Anlagen gesichert und lokale Aktionen gegen Rebellen durchgeführt werden (USDOD 6.2016).

 

Die monatlichen Ausfälle der ANP betragen über die letzten Jahre relativ stabil durchschnittlich 1.9% (USDOD 6.2016).

 

Afghanische Nationalarmee (ANA)

 

Die afghanische Nationalarmee (ANA) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit verantwortlich, primär bekämpft sie den Aufstand im Inneren (USDOS 13.4.2016).

 

Mit Stand 31. Mai 2016 betrug der autorisierte Personalstand der ANA 171.000 Mann, inklusive 7.100 Mann in den Luftstreitkräften (Afghan Air Force – AAF); etwa 820 Frauen sind in der ANA, inklusive AAF. Die Ausfälle in der ANA sind je nach Einheit unterschiedlich. Die allgemeine Ausfallsquote lag unter 3%, gegenüber 2,5% in der letzten Berichtsperiode. Die Einheiten der Luftstreitkräfte und der afghanischen Spezialeinheiten (ASSF) hielten weiterhin die niedrigsten Ausfallsquoten und die höchsten Verbleibquoten aller ANDSF-Teile (USDOD 6.2016).

 

Die Vereinigten Staaten von Amerika errichteten fünf Militärbasen in: Herat, Gardez, Kandahar, Mazar-e Sharif und Kabul (CRS 8.11.2016).

 

Resolute Support Mission

 

Die "Resolute Support Mission" ist eine von der NATO-geführte Mission, die mit 1. Jänner 2015 ins Leben gerufen wurde. Hauptsächlich konzentriert sie sich auf Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsaktivitäten auf ministerieller und Behördenebene, sowie in höheren Ebenen der Armee und Polizei. Die personelle Stärke der Resolute Support Mission beträgt 13.000 (durch NATO und anderen Partnernationen). Das Hauptquartier ist in Kabul (Bagram), mit vier weiteren Niederlassungen in: Mazar-e-Sharif, Herat, Kandahar und Laghman (NATO 5.2016).

 

Schiiten:

 

Die Bevölkerung schiitischer Muslime wird auf 10-19% geschätzt (AA 9 .2016; vgl. auch: CIA 21.10.2016). Zu der schiitischen Bevölkerung zählen die Ismailiten und die ethnischen Hazara (USDOS 10.8.2016). Die meisten Hazara Schiiten gehören der Jafari-Sekte (Zwölfer-Sekte) an. Im letzten Jahrhundert ist allerdings eine Vielzahl von Hazara zur Ismaili-Sekte übergetreten. Es gibt einige Hazara-Gruppen, die zum sunnitischen Islam konvertierten. In Uruzgan und vereinzelt in Nordafghanistan sind einige schiitische Belutschen (BFA Staatendokumentation 7.2016).

 

Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten. Sowohl im Rat der Religionsgelehrten (Ulema), als auch im Hohen Friedensrat sind Schiiten vertreten; beide Gremien betonen, dass die Glaubensausrichtung keinen Einfluss auf ihre Zusammenarbeit habe (AA 9 .2016). Afghanische Schiiten und Hazara sind dazu geneigt weniger religiös und gesellschaftlich offener zu sein, als ihre religiösen Brüder im Iran (CRS 8.11.2016).

 

Die Situation der afghanisch schiitisch-muslimischen Gemeinde hat sich seit dem Ende des Taliban-Regimes wesentlich gebessert (USCIRF 30.4.2015). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung gegen die schiitische Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch gab es Berichte zu lokalen Vorfällen (USDOS 10.8.2016).

 

Ethnische Hazara sind gesellschaftlicher Diskriminierungen ausgesetzt (USDOS 13.4.2016). Informationen eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul zufolge, sind Hazara, entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung, keiner gezielten Diskriminierung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt (Vertrauliche Quelle 29.9.2015).

 

Afghanischen Schiiten ist es möglich ihre Feste öffentlich zu feiern - manche Paschtunen sind über die öffentlichen Feierlichkeiten verbittert, was gelegentlich in Auseinandersetzungen resultiert (CRS 8.11.2016). Im November 2016, hat ein Kämpfer der IS-Terrormiliz, während einer religiösen Zeremonie in der Bakir-al-Olum-Moschee - einer schiitischen Moschee in Kabul - am schiitischen Feiertag Arbain, einen Sprengstoffanschlag verübt (Tolonews 22.11.2016; vgl. auch: FAZ 21.11.2016). Bei diesem Selbstmordanschlag sind mindestens 32 Menschen getötet und 80 weitere verletzt worden (Khaama Press 22.11.2016). In Kabul sind die meisten Moscheen trotz Anschlagsgefahr nicht besonders geschützt (FAZ 21.11.2016). Am 23. Juli 2016 wurde beim schwersten Selbstmordanschlag in der afghanischen Geschichte die zweite Großdemonstration der Enlightenment-Bewegung durch den ISKP angegriffen. Es dabei starben über 85 Menschen, rund 240 wurden verletzt. Dieser Schlag richtete sich fast ausschließlich gegen Schiiten (AA 9 .2016).

 

Einige Schiiten bekleiden höhere Ämter (CRS 8.11.2016); sowie andere Regierungsposten. Schiiten verlautbarten, dass die Verteilung von Posten in der Regierung die Demographie des Landes nicht adäquat berücksichtigte. Das Gesetz schränkt sie bei der Beteiligung am öffentlichen Leben nicht ein – dennoch verlautbarten Schiiten - dass die Regierung die Sicherheit in den Gebieten, in denen die Schiiten die Mehrheit stellten, vernachlässigte. Hazara leben hauptsächlich in den zentralen und westlichen Provinzen, während die Ismailiten hauptsächlich in Kabul, den zentralen und nördlichen Provinzen leben (USDOS 10.8.2016).

 

Unter den Parlamentsabgeordneten befinden sich vier Ismailiten. Manche Mitglieder der ismailitischen Gemeinde beschweren sich über Ausgrenzung von Position von politischen Autoritäten (USDOS 10.8.2015).

 

Volksgruppe der Sayed:

 

Innerhalb der Gruppe der Hazara gibt es Personen, die für sich eine Abstammung vom Propheten in Anspruch nehmen und dementsprechend als Sayed gelten (AfPAK, Grundlagen der Stammes- und Clanstruktur, 18).

 

Volksgruppe der "Sadat" (oder "Sayed", "Sayyid", "Sayeed"):

Existenz, Merkmale, Bevölkerungszahl (insbesondere in der Provinz Paktia), historischer Hintergrund; Übergriffe, eigene Sprachprägung a-7347 (ACC-AFG-7347), 20. September 2010 (verfügbar auf ecoi.net)

 

http://www.ecoi.net/file_upload/response_de_148142.html (Zugriff am 12. Juni 2017):

 

In einer vom Program for Culture & Conflict Studies (CCS) veröffentlichten undatierten Auflistung zu Stämmen (jüngste darin zitierte Quelle: Februar 2007), die mit den Hazara assoziiert würden, wird eine Gruppe namens Sadat als eine Untergruppe der Hazara erwähnt (CCS, ohne Datum, S. 5). Des weiteren wird eine Gruppe mit dem Namen Kami-I-Sadat angeführt, diese sei eine Untergruppe der Kham-I-Aba, die als "Abkömmlinge des Stammes der Hazara" (engl. "Descendents of Hazara Tribe") beschrieben werden (CCS, ohne Datum, S. 18).

 

UN High Commissioner for Refugees (UNHCR) erwähnt in einem älteren Bezirksprofil zum Bezirk Yakawlang (Provinz Bamiyan) vom September 2002 unter anderem, dass sich dessen Bevölkerung ethnisch zu 41 Prozent aus Sadat (sowie zu 59 Prozent aus Hazara) zusammensetze.

 

Bezugnehmend auf die Erwähnung der Sadat im soeben zitierten UNHCR-Bezirksprofil zu Yakawlang schreibt das australische zweitinstanzliche Refugee Review Tribunal (RRT) in einer Anfragebeantwortung vom August 2005, dass "sayyid" (Plural: "sadat") auf arabisch soviel wie "Prinz", "Herrscher" oder "Herr" bedeute und als Titel für die Nachkommen Mohammeds verwendet werde. In Afghanistan finde der Begriff auch als Bezeichnung für Heiler und "heilige Männer" Anwendung. Gemeinden von "sayyid" gebe es in der Provinz Kunar und im Hazarajat, wo sie einen erblichen Klerus bilden würden. Sie seien auch unter der Bezeichnung "Sayeed" bekannt.

 

Das Program for Culture & Conflict Studies (CCS) hält in einer undatierten Übersicht zu ethnischen Gruppen in Afghanistan bezüglich der Sayyid (Sadat) fest, dass diese sich als Nachkommen der Familie des Propheten betrachten würden und eine angesehene Stellung innerhalb Afghanistans innehätten. Sie würden großteils dem sunnitischen Islam angehören und seien vor allem in den Provinzen Balkh und Kundus im Norden, sowie Nangarhar im Osten ansässig, jedoch gebe es in der Provinz Bamiyan sowie anderswo auch einige von ihnen, die schiitischen Glaubens seien. Diese würden häufig als "Sadat" bezeichnet. Dieses Wort sei traditionell im nördlichen Hedschas-Gebiet sowie in Britisch-Indien zur Bezeichnung der Nachkommen der ersten schiitischen Märtyrer Hasan und Hussein angewandt worden.

 

Frauen:

 

Jahrzehntelanger Kampf gegen patriarchale und frauenfeindliche Normen, führte zu einer Sensibilisierung in Bezug auf Frauen und ihrer Rechte. Allmählich entwickelt sich die Rolle von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Bereichen (AF 7.12.2016). Die Situation der Frauen hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert; die vollumfängliche Realisierung ihrer Rechte innerhalb der konservativ-islamischen afghanischen Gesellschaft bleibt schwierig. Die konkrete Situation von Frauen kann sich allerdings je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark unterscheiden (AA 9 .2016).

 

Artikel 22 der afghanischen Verfassung besagt, dass jegliche Form von Benachteiligung oder Bevorzugung unter den Bürgern Afghanistans verboten ist. Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechte und Pflichten (Max Planck Institut 27.1.2004). Ein Meilenstein in dieser Hinsicht war die Errichtung des afghanischen Ministeriums für Frauenangelegenheiten (MoWA) im Jahr 2001 (BFA Staatendokumentation 3.2014).

 

Bildung

 

Afghanistan ist eine Erfolgsgeschichte in der Verbesserung des Zugangs zu Bildung – auch für Mädchen (Education for Development 7.7.2015). Das Recht auf Bildung wurde den Frauen nach dem Fall der Taliban im Jahr 2001 eingeräumt (BFA Staatendokumentation 3.2014).

Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben. Laut Artikel 4 des afghanischen Bildungsgesetzes ist mittlere (elementare) Bildung in Afghanistan verpflichtend. Artikel 43 der afghanischen Verfassung besagt, dass alle afghanischen Staatsbürger das Recht auf Bildung haben (SIGAR 4.2016; vgl. auch: Max Planck Institut 27.1.2004).

 

Seit dem Jahr 2000 hat sich die durchschnittliche Zahl der Kinder, die eine Schule besuchen von 2,5 Jahren auf 9,3 Jahre erhöht (AF 2015). Das afghanische Bildungsministerium errichtete gemeinsam mit USAID und anderen Gebern, mehr als 16.000 Schulen; rekrutierte und bildete mehr als 154.000 Lehrerinnen und Lehrer aus, und erhöhte die Zahl der Schuleinschreibungen um mehr als 60%. Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen. Frauen und Mädchen gehen öfter zu Schule wenn sie keine langen Distanzen zurücklegen müssen. USAID hat 84.000 afghanische Mädchen dabei unterstützt Schulen innerhalb ihrer Gemeinden besuchen zu können, damit sich nicht durch teilweise gefährliche Gegenden pendeln müssen (USAID 19.12.2016).

 

Laut dem afghanischen Statistikbüro, gab es landesweit 15.645 Schulen, 9.184.494 Schüler/innen, davon waren 362.906 weiblich. Diese Zahlen beinhalten alle Schultypen, dazu zählen Volks- und Mittelschulen, Abendschulen, Berufsschulen, Lehrerausbildungszentren, etc. Die Zahl der Schülerinnen hat sich im Zeitraum 2015-2016 zum Vergleichszeitraum 2014 – 2015 um 2,2% erhöht. Die Gesamtzahl der Lehrer/innen betrug 199.509, davon waren

63.911 Frauen (CSO 2016).

 

Frauenuniversität in Kabul

 

Seit dem Jahr 2008 hat sich die Studierendenzahl in Afghanistan um 50% erhöht. Im Mai 2016 eröffnete in Kabul die erste Privatuniversität für Frauen im Moraa Educational Complex, mit dazugehörendem Kindergarten und Schule für Kinder der Studentinnen. Die Universität bietet unter anderem Lehrveranstaltungen für Medizin, Geburtshilfe etc. an. (The Economist 13.8.2016; vgl. auch:

MORAA 31.5.2016).

 

Im Herbst 2015 eröffnete an der Universität Kabul der Masterlehrgang für "Frauen- und Genderstudies" (Khaama Press 18.10.2015; vgl. auch:

University Herold 18.10.2015); im ersten Lehrgang waren 28 Student/innen eingeschrieben, wovon 10 Männer waren (University Herold 18.10.2015).

 

Berufstätigkeit

 

Für viele Frauen ist es noch immer sehr schwierig, außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors Berufe zu ergreifen. Einflussreiche Positionen werden abhängig von Beziehungen und Vermögen vergeben (AA 9 .2016). Oft scheitern Frauen schon an den schwierigen Transportmöglichkeiten und eingeschränkter Bewegungsfreiheit ohne männliche Begleitung (AA 9 .2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016).

 

Bemerkenswert ist die Steigerung jener Afghan/innen, die der Meinung sind, Frauen sollen sich bilden und außerhalb des Heimes arbeiten dürfen. Bei einer Befragung gaben 81% der Befragten an, Männer und Frauen sollten gleiche Bildungschancen haben (The Diplomat 9.12.2016; vgl. auch: AF 7.12.2016).

 

Die Erwerbstätigkeit von Frauen hat sich seit dem Jahr 2001 stetig verbessert und betrug im Jahr 2016 19%. Rund 64% der Afghan/innen befürworteten Frauen außerhalb ihres Heimes arbeiten zu dürfen. Frauen sind dennoch einer Vielzahl von Hindernissen ausgesetzt; dazu zählen: Einschränkungen, Belästigung, Diskriminierung und Gewalt, aber auch praktische Hürden, wie z.B. fehlende Arbeitserfahrung, Fachkenntnisse und (Aus)Bildung (UN Women 2016). Die Alpahbetisierungsrate bei Frauen in Afghanistan liegt durchschnittlich bei 17%, in manchen Provinzen sogar unter 2% (UN Women 2016; vgl. auch: UNESCO Institute for statistics o.D.). In der Altersklasse der 15 - 24 jährigen betrug die Alphabetisierungsrate im Jahr 2015 bei Frauen 46,11%, bei den über 65-jährigen 4,33% (UNESCO Institute for statistics o.D.).

 

Viele Frauen haben sich in bedeutenden Positionen in den verschiedenen Bereichen von nationaler Wichtigkeit entwickelt, dazu zählen Politik, Wirtschaft und die Zivilgesellschaft. Der Raum für weibliche Führungskräfte bleibt eingeschränkt, von Gebern abhängig und ist hauptsächlich in den Städten vertreten. Frauen sind im Privatsektor unterrepräsentiert und haben keine aktive Rolle in der Wirtschaftsproduktion. Unsicherheit, Belästigung, Immobilität, religiöser Extremismus und Korruption sind verbreitet. Begriffe wie zum Beispiel Geschlechtergleichstellung werden weiterhin missverstanden. Frauen in Führungspositionen werden als symbolisch betrachtet, werden politisch mangelhaft unterstützt, haben schwach ausgebildete Entscheidungs- und Durchsetzungskompetenzen und mangelnden Zugang zu personellen und finanziellen Mitteln (USIP 9.2015). Frauen sind im Arbeitsleben mit gewissen Schwierigkeiten konfrontiert, etwa Verwandte, die verlangen sie sollen zu Hause bleiben; oder Einstellungsverfahren, die Männer bevorzugten. Jene die arbeiteten, berichteten von sexueller Belästigung, fehlenden Transport- und Kinderbetreuungsmöglichkeiten; Benachteiligungen bei Lohnauszahlungen existieren im Privatsektor. Journalistinnen, Sozialarbeiterinnen und Polizistinnen berichteten von, Drohungen und Misshandlungen (USDOS 13.4.2016).

 

Frauen machen 30% der Medienmitarbeiter/innen aus. Teilweise leiten Frauen landesweit Radiostationen - manche Radiostationen setzten sich ausschließlich mit Frauenangelegenheiten auseinander. Nichtsdestotrotz, finden Reporterinnen es schwierig ihren Job auszuüben. Unsicherheit, fehlende Ausbildung und unsichere Arbeitsbedingungen schränken die Teilhabe von Frauen in den Medien weiterhin ein (USDOS 13.4.2016).

 

Frauen im öffentlichen Dienst

 

Die politische Partizipation von Frauen ist rechtlich verankert und hat sich deutlich verbessert. So sieht die afghanische Verfassung Frauenquoten für das Zweikammerparlament vor: Ein Drittel der 102 Sitze im Oberhaus (Meshrano Jirga) werden durch den Präsidenten vergeben; die Hälfte davon ist gemäß Verfassung für Frauen bestimmt (AA 9 .2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). Zurzeit sind 18 Senatorinnen in der Meshrano Jirga vertreten. Im Unterhaus (Wolesi Jirga) sind 64 der 249 Sitze für Parlamentarierinnen reserviert; derzeit sind 67 Frauen Mitglied des Unterhauses. Die von Präsident Ghani bewirkten Wahlreformen sehen zudem Frauenquoten von 25% der Sitze für Provinz- und Distriktratswahlen vor; zudem sind mindestens zwei von sieben Sitzen in der einflussreichen Wahlkommission (Independent Election Commission) für Frauen vorgesehen. Die afghanische Regierung hat derzeit vier Ministerinnen (von insgesamt 25 Ministern) (AA 9 .2016). Drei Afghaninnen sind zu Botschafterinnen ernannt worden (UN Women 2016). Frauen in hochrangigen Regierungspositionen waren weiterhin Opfer von Drohungen und Gewalt (USDOS 13.4.2016).

 

Das Netzwerk von Frauenrechtsaktivistinnen "Afghan Women‘s Network" berichtet von Behinderungen der Arbeit seiner Mitglieder bis hin zu Bedrohungen und Übergriffen, teilweise von sehr konservativen und religiösen Kreisen (AA 9 .2016).

 

Frauen in den afghanischen Sicherheitskräften

 

Polizei und Militär sind Bereiche, in denen die Arbeit von Frauen besonders die traditionellen Geschlechterrollen Afghanistans herausfordert. Der Fall des Taliban-Regimes brachte, wenn auch geringer als zu Beginn erwartet, wesentliche Änderungen für Frauen mit sich. So begannen Frauen etwa wieder zu arbeiten (BFA Staatendokumentation 26.3.2014). Im Jahr 2016 haben mehr Frauen denn je die Militärschule und die Polizeiakademie absolviert (AF 7.12.2016). Das Innenministerium bemüht sich um die Einstellung von mehr Polizistinnen, allerdings wird gerade im Sicherheitssektor immer wieder über Gewalt gegen Frauen berichtet. Die afghanische Regierung hat sich bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Frauen ehrgeizige Ziele gesetzt und plant u.a. in der ersten Jahreshälfte 2016 ein Anti-Diskriminierungspaket für Frauen im öffentlichen Sektor zu verabschieden. Dieses ist allerdings bisher noch nicht geschehen (AA 9 .2016). 2.834 Polizistinnen sind derzeit bei der Polizei, dies beinhaltete auch jene die in Ausbildung sind (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: Sputnik News 14.6.2016). Laut Verteidigungsministerium werden derzeit 400 Frauen in unterschiedlichen Bereichen des Verteidigungsministeriums ausgebildet: 30 sind in der nationalen Militärakademie, 62 in der Offiziersakademie der ANA, 143 in der Malalai Militärschule und 109 Rekrutinnen absolvieren ein Training in der Türkei (Tolonews 28.1.2017).

 

Im Allgemeinen verbessert sich die Situation der Frauen innerhalb der Sicherheitskräfte, bleibt aber weiterhin fragil. Der Schutz von Frauenrechten hat in größeren städtischen Gegenden, wie Kabul, Mazar-e Sharif und in der Provinz Herat, moderate Fortschritte gemacht; viele ländliche Gegenden sind extrem konservativ und sind aktiv gegen Initiativen, die den Status der Frau innerhalb der Gesellschaft verändern könnte (USDOD 6.2016).

 

Auch wenn die Regierung Fortschritte machte, indem sie zusätzliche Polizistinnen rekrutierte, erschweren kulturelle Normen und Diskriminierung die Rekrutierung und den Verbleib in der Polizei (USDOS 13.4.2016).

 

Teilnahmeprogramme für Frauen in den Sicherheitskräften

 

Initiiert wurde ein umfassendes Programm zur Popularisierung des Polizeidienstes für Frauen (SIGAR 30.7.2016; vgl. auch: Sputnik News 5.12.2016). Dies Programm fördert in verschiedenster Weise Möglichkeiten zur Steigerung der Frauenrate innerhalb der ANDSF (SIGAR 30.7.2016). Das afghanische Innenministerium gewährte im Vorjahr 5.000 Stellen für Frauen bei der Polizei, diese Stellen sind fast alle noch immer vakant (Sputnik News 5.12.2016; vgl. auch:

SIGAR 30.7.2016). Eines der größten Probleme ist, dass sowohl junge Mädchen als auch Ehefrauen in ihren Familien nichts selbständig entscheiden dürften (Sputnik News 5.12.2016). Die afghanische Nationalpolizei schuf zusätzlich neue Posten für Frauen – womit sich deren Zahl auf 5.969 erhöhte; 5.024 dieser Posten sind innerhalb der afghanischen Nationalpolizei, 175 in Gefängnissen und Haftanstalten, sowie 770 zivile Positionen (SIGAR 30.7.2016). Im Juni 2016 verlautbarten die Behörden in Kabul, bis März 2017 die Polizei mit 10.000 neuen Stellen für weibliche Polizeikräfte aufzustocken. Die Behörden möchten der steigenden Gewalt gegen Frauen in Afghanistan entgegentreten und effektiver gegen die Terrorbedrohung und den Drogenhandel im Land vorgehen (Sputnik News 14.6.2016).

 

Seit fast einem Jahrzehnt schaffen afghanische Behörden massiv Arbeitsstellen für Frauen bei der Polizei und versuchen alljährlich den Frauenanteil zu erhöhen. Das dient vor allem dazu, den Afghaninnen Schutz zu gewähren. Wenn Verdächtigte und mutmaßliche Verbrecher Frauen seien, werden Polizistinnen bevorzugt. Allerdings haben Beamtinnen wegen ihres Polizeidienstes öfter Probleme mit ihren konservativen Verwandten (Sputnik News 14.6.2016). Im Arbeitskontext sind Frauen von sexualisierter und geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen: so sind z. B. Polizistinnen massiven Belästigungen und auch Gewalttaten durch Arbeitskollegen oder im direkten Umfeld ausgesetzt (AA 9 .2016; vgl. auch: Sputnik News 14.6.2016).

 

Strafverfolgung und Unterstützung

 

Afghanistan verpflichtet sich in seiner Verfassung durch die Ratifizierung internationaler Konventionen und durch nationale Gesetze, die Gleichberechtigung und Rechte der Frauen zu achten und zu stärken. In der Praxis mangelt es jedoch oftmals an der praktischen Umsetzung dieser Rechte (AA 9 .2016). Viele Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten, und auch gewisser vom Islam vorgegebener, Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern oder traditionellen Stammesstrukturen bestimmt wird, nur in eingeschränktem Maße möglich (AA 9 .2016; vgl. USDOS 13.4.2016). Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage oder auf Grund tradierter Wertevorstellungen und nicht gewillt, Frauenrechte zu schützen. Gesetze zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Frauen werden nur langsam umgesetzt. Das Personenstandsgesetz enthält diskriminierende Vorschriften für Frauen, insbesondere in Bezug auf Heirat, Erbschaft und Beschränkung der Bewegungsfreiheit (AA 9 .2016)

 

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte, sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht, nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen (AA 9 .2016). Gleichzeitig führt aber eine erhöhte Sensibilisierung auf Seiten der afghanischen Polizei und Justiz zu einer sich langsam, aber stetig verbessernden Lage der Frauen in Afghanistan. Insbesondere die Schaffung von auf Frauen spezialisierte Staatsanwaltschaften in einigen Provinzen, hatte positive Auswirkungen (AA 9 .2016; vgl. auch: USDOS 13.4.2016). In der patriarchalischen Gesellschaft Afghanistans trauen sich Frauen selbst oftmals nicht, an Polizisten zu wenden (Sputnik News 14.6.2016).

 

Anlässlich des dritten "Symposium on Afghan Women's Empowerment" im Mai 2016 in Kabul bekräftigte die afghanische Regierung auf höchster Ebene den Willen zur weiteren Umsetzung. Inwieweit sich dies in das System an sich und bis in die Provinzen fortsetzt, ist zumindest fraglich (AA 9 .2016).

 

Das EVAW-Gesetz wurde durch ein Präsidialdekret im Jahr 2009 eingeführt (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: AA 9 .2016; UN Women 2016); und ist eine wichtige Grundlage für den Kampf gegen Gewalt gegen Frauen – inklusive der weit verbreiteten häuslichen Gewalt. Dennoch ist eine Verabschiedung des EVAW-Gesetzes durch beide Parlamentskammern noch ausständig und birgt die Gefahr, dass die Inhalte verwässert werden (AA 9 .2016). Das Gesetz kriminalisiert Gewalt gegen Frauen, inklusive Vergewaltigung, Körperverletzung, Zwangsverheiratung bzw. Kinderheirat, Erniedrigung, Einschüchterung und Entzug des Erbes, jedoch war die Umsetzung eingeschränkt. Im Falle von Vergewaltigung sieht das Gesetz eine Haftstrafe von 16-20 Jahren vor. Sollte die Vergewaltigung mit dem Tod eines Opfers enden, sieht das Gesetz die Todesstrafe für den Täter vor. Der Straftatbestand der Vergewaltigung beinhaltet nicht Vergewaltigung in der Ehe. Das Gesetz wurde nicht weitgehend verstanden und manche öffentliche und religiöse Gemeinschaften erachteten das Gesetz als unislamisch. Der politische Wille das Gesetz umzusetzen und seine tatsächliche Anwendung ist begrenzt (USDOS 13.4.2016). Außerhalb der Städte wird das EVAW-Gesetz weiterhin nur unzureichend umgesetzt (AA 9 .2016). Laut Angaben von Human Rights Watch, verabsäumte die Regierung Verbesserungen des EVAW–Gesetzes durchzusetzen. Die Regierung verabsäumt ebenso die Verurteilung sogenannter Moral-Verbrechen zu stoppen, bei denen Frauen, die häuslicher Gewalt und Zwangsehen entfliehen, zu Haftstrafen verurteilt werden (HRW 27.1.2016). Die Regierung registrierte 5.406 Fälle von Gewalt an Frauen, 3.715 davon wurden unter dem EVAW-Gesetz eingebracht (USDOS 13.4.2016). Einem UNAMA-Bericht zufolge, werden 65% der Fälle, die unter dem EVAW-Gesetz eingebracht werden (tätlicher Angriff und andere schwerwiegende Misshandlungen) durch Mediation gelöst, während 5% strafrechtlich verfolgt werden (HRW 27.1.2016).

 

Die erste EVAW-Einheit (Law on the Elimination of Violence Against Women) wurde im Jahre 2010 durch die afghanische Generalstaatsanwaltschaft initiiert und hat ihren Sitz in Kabul (USDOS 13.4.2016). Die Generalstaatsanwaltschaft erhöhte weiterhin die Anzahl der EVAW-Einheiten. Mit Stand September 2015 existieren sie mittlerweile in 20 Provinzen. In anderen Provinzen wurde Staatsanwälten durch die Generalstaatsanwaltschaft Fälle zur Behandlung zugeteilt. Im März hielt das Büro der Generalstaatsanwaltschaft das erste nationale Treffen von EVAW-Staatsanwälten ab, um die Kommunikation zwischen den unterschiedlichen EVAW-Einheiten in den Provinzen zu fördern und gemeinsame Probleme zu identifizieren (USDOS 13.4.2016). Ein im April veröffentlichter Bericht der UNAMA zu Erfahrungen von 110 rechtssuchenden Frauen im Justizsystem; zeigte, dass sich die Effektivität der Einheiten stark unterschied, diese aber dennoch Frauen, die Gewalt erlebt hatten, ermutigten ihre Fälle zu verfolgen (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: UNAMA 4.2015).

 

Der UN-Sonderberichterstatter zu Gewalt an Frauen berichtet von Frauen in Afghanistan, die das formelle Justizsystem als unzugänglich und korrupt bezeichnen; speziell dann wenn es um Angelegenheiten geht, die die Rechte von Frauen betreffen - sie bevorzugen daher die Mediation (USDOS 13.4.2016).

 

Die unabhängige afghanische Menschenrechtskommission (Afghanistan Independent Human Rights Commission – AIHRC), veröffentlichte einen Bericht, der 92 Ehrenmorde auflistete (Berichtszeitraum: März 2014 – März 2015), was eine Reduzierung von 13% gegenüber dem Vorjahr andeutete. Diesem Bericht zufolge wurden auch 67% der Täterbei Vergewaltigung oder Ehrenmord verhaftet; 60% wurden verurteilt und bestraft (USDOS 13.4.2016).

 

Wenn Justizbehörden das EVAW-Gesetz beachten, war es Frauen in manchen Fällen möglich angemessene Hilfe zu erhalten. Staatsanwält/innen und Richter/innen in abgelegenen Provinzen ist das EVAW-Gesetz oft unbekannt, andere werden durch die Gemeinschaft unter Druck gesetzt um Täter freizulassen. Berichten zufolge, geben Männer, die der Vergewaltigung bezichtigt werden, oft an, das Opfer hätte dem Geschlechtsverkehr zugestimmt, was zu "Zina"-Anklagen gegen die Opfer führt (USDOS 13.4.2016).

 

Im Juni 2015 hat die afghanische Regierung den Nationalen Aktionsplan für die Umsetzung der VN-SR-Resolution 1325 auf den Weg gebracht (AA 9 .2016; vgl. auch: HRW 12.1.2017). Dennoch war bis November 2016 kein finales Budget für den Umsetzungsplan aufgestellt worden (HRW 12.1.2017).

 

Gewalt an Frauen: Vergewaltigung, Ehrenverbrechen und Zwangsverheiratung

 

Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist weit verbreitet. Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen finden zu über 90% innerhalb der Familienstrukturen statt. Die Gewalttaten reichen von Körperverletzungen und Misshandlungen über Zwangsehen bis hin zu Vergewaltigungen und Mord (AA 9 .2016). In den ersten acht Monaten des Jahres 2016 dokumentierte die AIHRC 2.621 Fälle häuslicher Gewalt – in etwa dieselbe Zahl wie im Jahr 2015; obwohl angenommen wird, die eigentliche Zahl sei viel höher (HRW 12.1.2017). Die AIHRC berichtet von mehr als 4.250 Fällen von Gewalt an Frauen, die in den ersten neun Monaten des afghanischen Jahres (beginnend März 2015) gemeldet wurden (USDOS 13.4.2016). Diese Fälle beinhalten unterschiedliche Formen von Gewalt: physische, psychische, verbale, sexuelle und wirtschaftliche. In den ersten sechs Monaten des Berichtszeitraumes wurden 190 Frauen und Mädchen getötet; in 51 Fällen wurde der Täter verhaftet (Khaama Press 23.3.2016).

 

Viele Gewaltfälle gelangen nicht vor Gericht, sondern werden durch Mediation oder Verweis auf traditionelle Streitbeilegungsformen (Schuren und Jirgas) verhandelt. Traditionelle Streitbeilegung führt oft dazu, dass Frauen ihre Rechte sowohl im Strafrecht als auch im zivilrechtlichen Bereich wie z. B. im Erbrecht nicht gesetzeskonform zugesprochen werden. Viele Frauen werden darauf verwiesen, den "Familienfrieden" durch Rückkehr zu ihrem Ehemann wiederherzustellen. Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (kein Straftatbestand, aber oft als Versuch der zina gewertet) (AA 9 .2016).

 

Ehrenmorde

 

Ehrenmorde an Frauen werden typischerweise von einem männlichen Familien- oder Stammesmitglied verübt (BFA Staatendokumentation 2.7.2014). Mädchen unter 18 Jahren sind auch weiterhin dem Risiko eines Ehrenmordes ausgesetzt, wenn eine außereheliche sexuelle Beziehung angenommen wird, wenn sie vor Zwangsverheiratung davonlaufen oder Opfer eines sexuellen Übergriffs werden. Die AIHRC gab bekannt, zwischen März 2014 und März 2015 92 Ehrenmorde registriert zu haben (USDOS 13.4.2016).

 

Afghanische Expert/innen sind der Meinung, dass die Zahl der Mordfälle an Frauen und Mädchen viel höher ist, da sie normalerweise nicht zur Anzeige gebracht werden. Der Grund dafür ist Misstrauen in das juristische System durch einen Großteil der afghanischen Bevölkerung (Khaama Press 23.3.2016).

 

Legales Heiratsalter:

 

Das Zivilgesetz Afghanistans definiert für Mädchen 16 Jahre und für Burschen 18 Jahre als das legale Mindestalter für Vermählungen (Girls not brides 2016). Ein Mädchen, welches jünger als 16 Jahre ist, kann mit der Zustimmung eines Vormunds oder eines zuständigen Gerichtes heiraten. Die Vermählung von Mädchen unter 15 Jahren ist auch weiterhin üblich (USDOS 13.4.2016). Die UN und HRW schätzen die Zahl der Zwangsehen auf 70% (USDOS 13.4.2016; vgl. auch: AA 9 .2016).

 

In Fällen von Gewalt oder unmenschlicher traditioneller Praktiken laufen Frauen oft von zu Hause weg, oder verbrennen sich sogar selbst (USDOS 13.4.2016). Darüber hinaus kommt immer wieder vor, dass Frauen inhaftiert werden, wenn sie z.B. eine Straftat zur Anzeige bringen, von der Familie aus Gründen der "Ehrenrettung" angezeigt werden, Vergewaltigung werden oder von zu Hause weglaufen (AA 9 .2016).

 

Frauenhäuser

 

USDOS zählt 28 formelle Frauenhäuser- um einige Frauen vor Gewalt durch die Familien zu schützen, nahmen die Behörden diese in Schutzhaft. Die Behörden wandten die Schutzhaft auch dann an, wenn es keinen Platz in Frauenhäusern gab (USDOS 13.4.2016).

 

Weibliche Opfer von häuslicher Gewalt, Vergewaltigung oder Zwangsehe sind meist auf Schutzmöglichkeiten außerhalb der Familie angewiesen, da die Familie oft (mit-)ursächlich für die Notlage ist. Landesweit gibt es in den großen Städten Frauenhäuser, deren Angebot sehr oft in Anspruch genommen wird. Manche Frauen finden vorübergehend Zuflucht, andere wiederum verbringen dort viele Jahre. Die Frauenhäuser sind in der afghanischen Gesellschaft höchst umstritten, da immer wieder Gerüchte gestreut werden, diese Häuser seien Orte für unmoralische Handlungen und die Frauen in Wahrheit Prostituierte. Sind Frauen erst einmal im Frauenhaus untergekommen, ist es für sie sehr schwer, danach wieder in ein Leben außerhalb zurückzufinden (AA 9 .2016).

 

Die Schwierigkeit für eine nachhaltige Lösung für Frauen, war der soziale Vorbehalt gegen Frauenhäuser, nämlich der Glaube, das "Weglaufen von zu Hause" sei eine ernsthafte Zuwiderhandlung gegen gesellschaftliche Sitten. Frauen, die vergewaltigt wurden, wurden von der Gesellschaft als Ehebrecherinnen angesehen (USDOS 13.4.2016).

 

Berichten zufolge, würde das MoWA, aber auch NGOs, versuchen Ehen für Frauen zu arrangieren, die nicht zu ihren Familien zurückkehren konnten (USDOS 13.4.2016).

 

Medizinische Versorgung – Gynäkologie

 

Das Recht auf Familienplanung wird von wenigen Frauen genutzt. Auch wenn der weit überwiegende Teil der afghanischen Frauen Kenntnisse über Verhütungsmethoden hat, nutzen nur etwa 22 % (überwiegend in den Städten und gebildetere Schichten) die entsprechenden Möglichkeiten. Viele Frauen gebären Kinder bereits in sehr jungem Alter (AA 9 .2016).

 

Weibliche Genitalverstümmelung ist in Afghanistan nicht üblich (AA 9 .2016)

 

Kinder:

 

Die Situation der Kinder hat sich in den vergangenen Jahren verbessert. So werden mittlerweile rund zwei Drittel aller Kinder eingeschult. Mädchen waren unter der Taliban-Herrschaft fast vollständig vom Bildungssystem ausgeschlossen (AA 9 .2016). Das Bildungsministerium gibt die Zahl der Schüler/innen mit ca. 9 Millionen an, davon sind etwa 40% Mädchen (USAID 19.12.2016). Der Anteil der Mädchen nimmt jedoch mit fortschreitender Klassen- und Bildungsstufe ab. Aber auch geografisch gibt es Unterschiede. Den geringsten Mädchen-Anteil findet man im Süden und Südwesten des Landes (Helmand, Uruzgan, Zabul und Paktika) (AA 9 .2016).

 

Der gewaltfreie Umgang mit Kindern hat sich in Afghanistan noch nicht als Normalität durchsetzen können. Körperliche Züchtigung und Übergriffe im familiären Umfeld, in Schulen oder durch die afghanische Polizei sind verbreitet. Dauerhafte und durchsetzungsfähige Mechanismen seitens des Bildungsministeriums, das Gewaltpotenzial einzudämmen, gibt es nicht. Gerade in ländlichen Gebieten gehört die Ausübung von Gewalt zu den gebräuchlichen Erziehungsmethoden an Schulen. Das Curriculum für angehende Lehrer beinhaltet immerhin Handreichungen zur Vermeidung eines gewaltsamen Umgangs mit Schülern (AA 9 .2016).

 

Bildungssystem in Afghanistan:

 

In Afghanistan gibt es zwei parallele Bildungssysteme. Religiöse Bildung liegt in der Verantwortung des Klerus in den Moscheen, während die Regierung kostenfreie Bildung an staatlichen Einrichtungen bietet. Im Alter von 7 bis 13 Jahren gehen die Schüler in die Primärschule. Darauf folgen 3 Jahre Mittelschule. Studieninteressenten müssen am Ende dieses Abschnitts ein Examen bestehen. In der Sekundarschule haben die Schüler/innen die Wahl entweder für 3 weitere Jahre den akademischen Weg einzuschlagen, welcher weiter zur Universität führen kann; oder Themen wie angewandte Landwirtschaft, Luftfahrt, Kunst, Handel etc. zu lernen. Beide Programme enden mit einem "Bacculuria"-Examen. Aus- und Weiterbildung: Bildungseinrichtungen umfassen auch Berufsschulen, technische Hochschulen und tertiäre Institute wie das Kabul Polytechnic Institute. Viele Einrichtungen, unter der Leitung des Ministeriums für Arbeit und Soziales, bieten Trainings an. Auch das Ministerium für Bildung betreibt eine Abteilung für Weiterbildung (41 Schulen), die Unterstützung bieten. Diese fokussieren sich hauptsächlich auf Mechanik, Tischlerei, Sanitär, Metallarbeiten, Friseur, Schneiderei und Bürotätigkeiten. Öffentliche Schulen und Kindergärten sind bis zum Universitätslevel kostenlos. Private Bildungseinrichtungen und Universitäten müssen bezahlt werden.

Kinderbetreuung: Es gibt einige staatlich finanzierte und verwaltete Kindergärten. Diese gewähren Kindern von Mitarbeiter/innen kostenfreien Zugang (IOM 2016).

 

Viele Kinder sind unterernährt. Ca. 10% (laut offizieller Statistik 91 von 1.000, laut Weltbank 97 von 1.000) der Kinder sterben vor ihrem fünften Geburtstag. Straßenkinder gehören zu den am wenigsten geschützten Gruppen Afghanistans und sind jeglicher Form von Missbrauch und Zwang ausgesetzt (AA 9 .2016).

 

Grundversorgung und Wirtschaft:

 

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan im 'Human Development Index' (HDI) den 171. von 188 Plätzen (UNDP 2016; vgl. auch: AA 11 .2016). Afghanistan bleibt trotz eines gewaltigen Fortschritts innerhalb einer Dekade eines der ärmsten Länder. Die Sicherheit und politische Ungewissheit sowie die Reduzierung internationaler Truppen, gemeinsam mit einer schwachen Regierung und [schwachen] Institutionen, haben Wachstum und Beschäftigung gehemmt und seit kurzem zu einer erhöhten Migration geführt (IWF 13.04.2016).

 

Trotz eines guten Wirtschaftswachstums von 2007 bis 2011 stagnierte die Armutsrate bei 36%. Am häufigsten tritt Armut in ländlichen Gebieten auf, wo die Existenzgrundlage von der Landwirtschaft abhängig ist (WB 02.05.2016). Die Regierung hat die landwirtschaftliche Entwicklung zur Priorität erhoben. Dadurch sollen auch gering qualifizierte Afghaninnen und Afghanen bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz bekommen. Insbesondere sollen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse Afghanistans wieder eine stärkere Rolle auf den Weltmärkten spielen. Gerade im ländlichen Raum bleiben die Herausforderungen für eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung angesichts mangelnder Infrastruktur, fehlender Erwerbsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft und geringen Ausbildungsstandes der Bevölkerung (Analphabetenquote auf dem Land von rund 90%) aber groß. Sicher ist, dass die jährlich rund 400.000 neu auf den Arbeitsmarkt drängenden jungen Menschen nicht vollständig vom landwirtschaftlichen Sektor absorbiert werden können (AA 11 .2016).

 

Das BIP-Wachstum im Jahr 2015 wurde auf 1,5% geschätzt. Als Faktoren zählten die sich verschlechternde Sicherheitslage, die Privatinvestitionen schwächte, verspätete Vollstreckung des Haushaltsplanes und unvorteilhafte Wetterbedingungen, die zu einem niedrigeren landwirtschaftlichen Ertrag führten (IMF 13.4.2016). Die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans wird trotz positiver Wachstumsraten in der letzten Dekade weiterhin nicht durch ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum, sondern durch die Zuschüsse der internationalen Gebergemeinschaft stimuliert. Den größten Anteil am BIP (2015: 19,2 Milliarden USD laut Weltbank) hat der Dienstleistungssektor mit 55%, gefolgt von der Landwirtschaft mit 22,6%. Industrieproduktion ist kaum vorhanden. Trotz einer großen Bedeutung des Außenhandels – Afghanistan ist in hohem Maße von Importen abhängig – sind afghanische Produkte bisher auf internationalen sowie regionalen Märkten kaum wettbewerbsfähig (AA 11 .2016). Das Wirtschaftswachstum ist in den Jahren 2014 und 2015 stark auf 1.5 - 2% gesunken; internationale Entwicklungshilfe führte zu Wachstum und Jobs in Konfliktregionen, dennoch steuerte es nicht zu einer gesteigerten Produktivität bei. Ungleichheit stieg parallel zur ungleichen Wachstumsverteilung – Regionen im Nordosten, Osten, sowie im Westen des Zentralgebietes scheinen aufgrund ihrer geografischen Abgelegenheit, starken Klimaveränderungen, niedriger Hilfe und Unsicherheit nachzuhinken. Arbeitslosigkeit, Naturgefahren, fehlender Zugang zu Dienstleistungen sowie Gewalt sind Hauptfaktoren für die hohe Armutsrate in Afghanistan. Entwicklungsschwierigkeiten verstärkten die wachsende Unsicherheit, Verunsicherung und schrumpfende Hilfe (WB 02.05.2016).

 

Wichtige Erfolge wurden im Bereich des Ausbaus der Infrastruktur erzielt. Durch den Bau von Straßen und Flughäfen konnte die infrastrukturelle Anbindung des Landes verbessert werden. Große wirtschaftliche Erwartungen werden an die zunehmende Erschließung der afghanischen Rohstoffressourcen geknüpft. In Afghanistan lagern die weltweit größten Kupfervorkommen sowie Erdöl, Erdgas, Kohle, Lithium, Gold, Edelsteine und seltene Erden. Mit dem 2014 verabschiedeten Rohstoffgesetz wurden die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Investitionen in diesem Bereich verbessert. Entscheidend für Wachstum, Arbeitsplätze und Einnahmen aus dem Rohstoffabbau ist die Umsetzung des Gesetzes. Darüber hinaus müssen Mechanismen zum Einnahmenmanagement etabliert werden. Der Abbau der Rohstoffe erfordert große und langfristige Investitionen in die Exploration und Infrastruktur durch internationale Unternehmen. Bisher sind diese noch kaum im Abbau von Rohstoffen im Land aktiv. Derzeit niedrige Weltmarktpreise lassen die Investitionsbereitschaft zusätzlich sinken (AA 11 .2016).

 

Afghanistan bleibt weiterhin der weltweit größte Produzent für Opium, Heroin und Cannabis. Trotz einer breit angelegten Strategie verhindern die angespannte Sicherheitslage in den Hauptanbaugebieten im Süden des Landes sowie die weit verbreitete Korruption eine effiziente Bekämpfung des Drogenanbaus. Die hohen Gewinnmargen erschweren zudem die Einführung von alternativen landwirtschaftlichen Produkten (AA 11 .2016).

 

Projekte der afghanischen Regierung:

 

Im September 2016 fiel der Startschuss für das "Citizens’ Charter National Priority Program"; dieses Projekt zielt darauf ab, die Armut zu reduzieren und den Lebensstandard zu erhöhen, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden. Die erste Phase des Projektes hat ein Drittel der 34 Provinzen zum Ziel; die vier Städte Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar sind Schwerpunkt des städtischen Entwicklungsprogrammes, welche als erste behandelt werden sollen. In der ersten Phase sollen 8,5 Millionen Menschen erreicht werden, mit dem Ziel, 3,4 Millionen Menschen sauberes Trinkwasser zur Verfügung zu stellen, die Gesundheitsdienstleistungen zu verbessern, Bildung, Landstraßen, Elektrizität, sowie die Zufriedenheit zu steigern und das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu erhöhen. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Menschen mit Behinderung, arme Menschen und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016).

 

Rückkehr:

 

Seit Jänner 2016 sind mehr als 700.000 nicht registrierte Afghanen aus dem Iran und Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt (Thomson Reuters Foundation 12.01.2017); viele von ihnen sind laut Internationalem Währungsfonds (IMF) hauptsächlich aus Pakistan, aus dem Iran, Europa und anderen Regionen nach Afghanistan zurückgekehrt. Viele Afghan/innen, die jahrzehntelang im Ausland gelebt haben, kehren in ein Land zurück und sind Konflikten, Unsicherheit und weitreichender Armut ausgesetzt. Aufgrund schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen sind Rückkehrer/innen im Allgemeinen arm. Auch wenn reichere Rückkehrer/innen existieren, riskiert ein typischer rückkehrender Flüchtling, in die Armut abzurutschen (RFL/RE 28.01.2017). Die meisten Rückkehrer/innen (60%) entschlossen sich – laut UNHCR –, sich in den städtischen Gegenden Kabuls, Nangarhar und Kunduz niederzulassen (UNHCR 6.2016).

 

IOM verlautbarte eine Erhöhung von 50.000 Rückkehrer/innen gegenüber dem Vorjahr. UNHCR hat im Jahr 2016 offiziell 372.577 registrierte Afghanen in die Heimat zurückgeführt. Laut UNHCR und IOM waren der Großteil der Rückkehrer junge Männer aus dem Iran, die auf der Suche nach Arbeit oder auf dem Weg nach Europa waren (Thomson Reuters Foundation 12.01.2017). Der Minister für Flüchtlinge und Repatriierung sprach sogar von einer Million Flüchtlingen, die im letzten Jahr nach Afghanistan zurückgekehrt sind – davon sind über 900.000 freiwillig in ihre Heimat zurückgekehrt (Khaama Press 17.01.2017).

 

Afghanische Rückkehrer/innen, afghanische Flüchtlinge und nicht registrierte Afghan/innen:

 

Pakistan:

 

Pakistan hat seit 1978 nicht weniger als eine Million Afghan/innen beherbergt. In den Jahren 1986 bis 1991 waren etwa drei Millionen Flüchtlinge in Pakistan. Zwischen 2002 und 2015 unterstützte UNHCR 3,9 Millionen Afghan/innen bei der Rückkehr. Der Großteil davon kehrte bis Ende 2008 zurück, danach ging die Rückkehrrate signifikant zurück (HRW 13.02.2017).

 

Wegen zunehmender Spannungen zwischen der afghanischen und pakistanischen Regierung (Die Zeit 13.02.2017) waren im Jahr 2016

249.832 Afghan/innen entweder freiwillig oder durch Abschiebung aus Pakistan nach Afghanistan zurückgekehrt (Stand: 07.01.2017) (IOM 08.01.2017).

 

Bis Ende 2017 soll eine weitere halbe Million Afghan/innen aus Pakistan zurückkehren. Die Anzahl der Rückkehrer/innen ist in den letzten zwei Jahren stetig gestiegen (DAWN 12.01.2017). In der ersten Jännerwoche 2017 kehrten 1.643 nicht registrierte Afghan/innen aus Pakistan (freiwillig oder im Rahmen von Abschiebungen) nach Afghanistan zurück (IOM 08.01.2017). In der zweiten Jännerwoche sind insgesamt 1.579 nicht registrierte Afghan/innen über Nangarhar und Kandahar, entweder freiwillig oder im Zuge von Abschiebungen, zurückgekehrt. IOM hat im Berichtszeitraum 79% nicht registrierte Afghan/innen unterstützt; dies beinhaltete Essen und Unterbringung in Transitzentren in Grenznähe, sowie Haushaltsgegenstände und andere Artikel für Familien, spezielle Unterstützung für Personen mit speziellen Bedürfnissen, eine ein-Monatsration vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme – WFP) und andere relevante Hygieneartikel. Im Rahmen einer Befragung gaben 76% Ende 2016 an, Nangarhar als Niederlassungsprovinz zu wählen, für 16% war dies Kabul, für 4% war es Laghman, 2% gingen nach Kunar und weitere 2% nach Logar (IOM 15.01.2017).

 

Im Februar 2017 veröffentlichte Human Rights Watch (HRW) einen Bericht, in dem von "Zwangsrückführungen" afghanischer Flüchtlinge gesprochen wird (HRW 13.02.2017). Der HRW-Bericht basiert auf 115 Interviews mit afghanischen Rückkehrer/innen nach Afghanistan, sowie afghanischen Flüchtlingen und nicht registrierten Afghan/innen in Pakistan (DAWN 13.02.2017; vgl. auch: HRW 13.02.2017). UNHCR hatte im Juni 2016 die finanzielle Unterstützung für jede Rückkehrer/in von US$ 200 auf US$ 400 erhöht (HRW 13.02.2017). HRW argumentiert, dies sei ein Faktor, der afghanische Flüchtlinge dazu bewogen habe, nach Afghanistan zurückzukehren. Laut UNHCR wurden 4.500 Rückkehrer/innen bei Ankunft interviewt, von denen keiner die Bargeldzuschüsse als primären Faktor für die Rückkehrentscheidung angab (DAWN 13.02.2017). Als Gründe für die Rückkehr wurden unter anderem folgendes angegeben: Einrichtung formeller Grenzkontrolle in Torkham; große Besorgnis über die Gültigkeit der Proof of Registration Card (PoR-Cards); Kampagne der afghanischen Regierung in Pakistan ("home sweet home"), die Afghan/innen bat, nach Hause zurückzukehren (UNHCR 03.02.2017).

 

Iran:

 

Seit 01.01.2016 sind insgesamt 461.112 nicht-registrierte Afghan/innen aus dem Iran nach Afghanistan zurückgekehrt. In der zweiten Jännerwoche 2017 sind insgesamt 9.378 nicht registrierte Afghan/innen nach Afghanistan durch Herat oder Nimroz zurückgekehrt; von diesen sind 3.531 freiwillig und 5.847 im Zuge von Abschiebungen zurückgekehrt – 2% der nicht registrierten Afghan/innen, die in den Transitzentren in Herat oder Nimroz ankamen, wurden von IOM unterstützt. Dazu zählten 101 UMF (unbegleitete minderjährige Flüchtlinge), denen IOM eine besondere Unterstützung zukommen ließ, inklusive medizinischer Behandlung, sichere Unterkünfte und die Suche nach Familienangehörigen (IOM 15.01.2017).

 

Ein UNHCR-Vertreter berichtete, dass afghanische Flüchtlinge in Gegenden zurückkehrten, in denen der Friede wieder hergestellt wurde. Dennoch sei es schwierig, alle afghanischen Flüchtlinge eines Jahres zu verteilen, da der Iran afghanische Migrant/innen zurückschicke und Afghanistan eine [hohe] Anzahl wohnungsloser Menschen hat, die zusätzlich die Situation verkomplizieren (Pakistan Observer 02.01.2017). Die IOM-Transitzentren in Grenznähe bieten elementare Unterkünfte, Schutz für unbegleitete Minderjährige, Haushaltsgegenstände (Töpfe und Pfannen), sowie Transportmöglichkeiten für Familien, um sich in ihren Wunschgebieten ansiedeln zu können (DAWN 12.01.2017).

 

Unterstützung durch verschiedene Organisationen vor Ort:

 

Eine steigende Zahl von Institutionen bietet Mikrofinanzleistungen an. Die Voraussetzungen hierfür unterscheiden sich, wobei zumeist der Fokus auf die Situation/Gefährdung des Antragenden und die Nachhaltigkeit des Projekts gelegt wird. Rückkehrer und insbesondere Frauen erhalten regelmäßig Unterstützung durch Mikrofinanzleistungen. Jedoch sind die Zinssätze in der Regel vergleichsweise hoch (IOM 2016).

 

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (United Nations World Food Programme – WFP) hat in Afghanistan eine neunmonatige Operation eingeleitet, um die wachsende Zahl der Rückkehrer/innen aus Pakistan und Binnenvertriebe zu unterstützen, indem ihnen Notfallsnahrung und andere Mittel zur Verfügung gestellt werden:

Sowohl das WFP als auch andere UN-Organisationen arbeiten eng mit der afghanischen Regierung zusammen, um die Kapazität humanitärer Hilfe zu verstärken, rasch Unterkünfte zur Verfügung zu stellen, Hygiene- und Nahrungsbedürfnisse zu stillen. Die Organisation bietet 163.000 nicht-registrierten Rückkehrer/innen, 200.000 dokumentierten Rückkehrer/innen und 150.000 Binnenvertriebenen Nahrungs- und Finanzhilfe an; auch 35.000 Flüchtlinge in den Provinzen Khost und Paktika wurden unterstützt. Das WAFP hat seine Unterstützungen in Ostafghanistan verstärkt, um Unterernährung zu vermeiden; das WFP unterstützte mehr als 23.000 Kleinkinder aus Rückkehrer-Familien. Ziel des WFP ist es, 550.000 Menschen durch Notfallsorganisationen zu helfen (UN News Centre 15.11.2016).

 

Einige Länder arbeiten auch eng mit IOM in Afghanistan im Rahmen des Programms Assisted Voluntary Return zusammen – insbesondere, um die Reintegration zu erleichtern. IOM bietet Beratung und psychologische Betreuung im Aufnahmeland, Unterstützung bei Reiseformalitäten, Ankunft in Kabul und Begleitung der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Suche nach einer Beschäftigung oder Gewährung eines Anstoßkredits an. Obwohl IOM Abschiebungen nicht unterstützt und keine Abschiebungsprogramme durchführt, gibt IOM auch abgeschobenen Asylbewerber/innen Unterstützung nach der Ankunft im Land (AA 9 .2016). Mit Ausnahme von IOM gibt es keine weiteren Organisationen, die Unterstützung bei der Reintegration von Rückkehrer/innen in Afghanistan anbieten (IOM 2016).

 

Staatliches Pensionssystem:

 

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Es gibt keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Arbeitsministerium und der NGO ACBAR (www.acbar.org ) angeboten (IOM 2016).

 

Erhaltungskosten in Kabul:

 

Die monatlichen Lebenshaltungskosten in Kabul für eine Person sind abhängig von den Ausgaben und liegen durchschnittlich zwischen 150-250 USD pro Person. Diese Zahlen beziehen sich nur auf Kleidung, Nahrung und Transport, die Unterbringung (Miete) ist dabei nicht berücksichtigt. Die Haus- oder Wohnungsmiete hängt von der Lage ab. Die Unterbringung im Zentrum der Stadt beträgt für eine Ein-Zimmer Wohnung (Bad und Küche) beginnend von 6.000 AFA (88 USD) bis zu 10.000 AFD (146 USD) pro Monat (IOM 22.04.2016). In Kabul sowie im Umland und auch anderen Städten steht eine große Anzahl an Häusern und Wohnungen zur Verfügung. Die Kosten in Kabul City sind jedoch höher als in den Vororten oder auch anderen Provinzen. Private Immobilienhändler bieten Informationen zu Mietpreisen für Häuser, Apartments etc. an. Rückkehrer können bis zu zwei Wochen im IOM Empfangszentrum in Jangalak untergebracht werden (IOM 2016).

 

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Memorandum of Understanding (MoU):

 

Die Schweiz, Australien, Iran, Norwegen, Pakistan, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, die Niederlande und Schweden haben seit 2002 mit Afghanistan und dem UNHCR sog. Drei-Parteien-Abkommen (MoU – Memorandum of Understanding) zur Regelung der freiwilligen Rückkehr von afghanischen Flüchtlingen in ihr Heimatland geschlossen. Die Abkommen sehen unter anderem die Übernahme von Reisekosten, Wiedereingliederungshilfe und Unterstützungsmaßnahmen für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge vor. Großbritannien, Frankreich, Italien, Dänemark, Norwegen, Schweden und Australien schieben abgelehnte Asylbewerber/innen afghanischer Herkunft nach Afghanistan ab. Von Norwegen ist bekannt, dass auch Familien mit minderjährigen Kindern abgeschoben werden. Der afghanische Flüchtlingsminister Balkhi (seit Ende Januar 2015 im Amt) lehnt die Rücknahme von afghanischen Flüchtlingen ab und ignoriert die MoUs, wurde jedoch von Präsident Ghani in seinem Einfluss beschnitten. Ein deutsch-afghanisches Rücknahme-MoU wurde am 02.10.2016 in Kabul unterzeichnet (AA 9 .2016).

 

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Ausbildungen für Rückkehr/innen in Afghanistan:

 

In Afghanistan bieten staatliche Schulen, unter Leitung des Ministeriums für Bildung, und private Berufsschulen Trainings/Ausbildungen an. Die Einschreibung an Bildungseinrichtungen können Rückkehrer/innen beim Ministerium für Rückkehr beantragen. Diese verweisen Rückkehrer/innen an die Bildungsabteilung in Kabul (Marif Shahr); danach werden die Rückkehrer/innen in jenen Bildungseinrichtungen eingeschrieben, deren nachgewiesenem Bildungsniveau sie entsprechen. Um ausländische Abschlüsse anzuerkennen, sollten relevante Unterlagen (Zeugnisse, Diploma oder Abschlüsse) an das Ministerium für ausländische Angelegenheiten geschickt werden. Unter der Bedingung, dass diese Unterlagen zuvor vom Ministerium für ausländische Angelegenheiten im Gastland geprüft wurden, wird das Ministerium die Unterlagen akzeptieren. Danach werden die Unterlagen an das Ministerium für höhere Bildung weitergeleitet. Im Anschluss werden die vom Ministerium anerkannten Kopien der Unterlagen an den Inhaber zurückversandt (IOM 2016).

 

Risikogruppen:

 

In seinen "Richtlinien des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom April 2016" geht UNHCR (HRC/EG/AFG/16/02) von folgenden "möglicherweise gefährdeten Personenkreisen in Afghanistan" aus:

 

(1) Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft, einschließlich der internationalen Streitkräfte, verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen;

 

(2) Journalisten und in der Medienbranche tätige Personen;

 

(3) Männer im wehrfähigen Alter und Kinder im Zusammenhang mit der Einberufung von Minderjährigen und der Zwangsrekrutierung;

 

(4) Zivilisten, die der Unterstützung regierungsfeindlicher Kräfte verdächtigt werden;

 

(5) Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen die Scharia verstoßen haben;

 

(6) Personen, bei denen vermutet wird, dass sie gegen islamische Grundsätze, Normen und Werte gemäß der Auslegung regierungsfeindlicher Kräfte verstoßen haben;

 

(7) Frauen mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;

 

(8) Frauen und Männer, die angeblich gegen gesellschaftliche Normen verstoßen haben;

 

(9) Personen mit Behinderungen, insbesondere geistigen Beeinträchtigungen, und Personen, die unter psychischen Erkrankungen leiden;

 

(10) Kinder mit bestimmten Profilen oder unter spezifischen Umständen;

 

(11) Überlebende von Menschenhandel oder Zwangsarbeit und Personen, die entsprechend gefährdet sind;

 

(12) Personen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und/oder Geschlechtsidentität;

 

(13) Angehörige gewisser Volksgruppen, insbesondere ethnischer Minderheiten;

 

(14) An Blutfehden beteiligte Personen, und

 

(15) Geschäftsleute und andere wohlhabende Personen (sowie deren Familienangehörige).

 

Auszug aus einer ACCORD-Anfragebeantwortung vom 19.11.2015 zu Afghanistan: Informationen zu Blutrache/Blutfehden (allgemeine Informationen zum Vorgehen; Können Kriegshandlungen und Vergewaltigungen Anlassgründe sein? Können weibliche Familienmitglieder Ziel von Blutrache werden?) [a-9394-1]:

 

Mohammad Aziz Rahjo, ehemaliger Mitarbeiter von UNHCR Afghanistan, hält in dem im November 2007 von ACCORD und UNHCR veröffentlichten COI-Seminar-Bericht zu Afghanistan fest, dass Blutfehden unter anderem aus Streitigkeiten und Tötungen in Zusammenhang mit Eigentum und der Ehre von Frauen hervorgehen würden. In Afghanistan werde dabei das Wort "namus" verwendet, das sowohl mit "Ehre" als auch mit "Eigentum" übersetzt werden könne. Gemäß dem traditionellen Sprichwort "zan, zar, zamin" ("Frauen, Gold, Land") würde der Begriff "Eigentum" ("namus") neben Eigentum und dem Recht auf Wasser bzw. Land auch Ehefrauen bzw. die Ehre der weiblichen Familienmitglieder umfassen. Wenn ein Element des "namus" verletzt werde, würden Blutfehde und Rache jedenfalls zu einem Thema.

 

Können weibliche Familienmitglieder Ziel von Blutrache werden?

 

Laut dem weiter oben bereits zitierten ACCORD/UNHCR-COI-Seminar-Bericht vom November 2007 habe Mohammad Aziz Rahjo angegeben, dass Personen, die als

 

Täter/Täterin einer Handlung betrachtet würden, das Hauptziel von Blutrache seien. Weitere Personengruppen, die von Blutrache betroffen sein könnten, seien unter anderem nahe Verwandte solcher Personen, darunter Brüder und Cousins. Kinder würden erst zum Ziel, wenn sie die Volljährigkeit erreicht hätten. Verwandte, die den Täter / die Täterin unterstützt hätten, könnten ebenfalls zum Ziel von Blutrache werden.

 

In einem im März 2011 vom Afghanistan Analysts Network (AAN) veröffentlichten Bericht über das Paschtunwali, den Ehrenkodex der Paschtunen, schreibt Lutz Rzehak, Privatdozent am Zentralasien-Seminar des Instituts für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt- Universität zu Berlin, dass Rache von den patrilinearen Verwandten der verletzten, getöteten oder auf andere Weise geschädigten oder entehrten Person verübt werden könne. Dabei könne sich die Rache gegen den Täter selbst oder gegen einen seiner patrilinearen Verwandten richten.

 

Thomas Barfield schreibt in seinem 2003 veröffentlichten Bericht, dass Mord zur stärksten Forderung nach persönlicher Blutrache führe. Die Rache solle sich bestenfalls nur gegen den Mörder selbst richten, allerdings sehe das Paschtunwali unter bestimmten Voraussetzungen vor, dass Brüder und andere patrilineare Verwandte zu legitimen Ersatzzielen der Rache werden. Frauen und Kinder kämen unter keinen Umständen als Ziele in Frage.

 

Laut dem weiter oben bereits angeführten CORI-Bericht vom Februar 2014 habe Barfield auch in einem im Jänner 2014 mit ihm geführten Interview angegeben, dass Frauen, Mädchen und Jungen bei Blutfehden nicht als Ziele in Frage kommen würden.

 

Der an der London School of Economics and Political Science (LSE) tätige Afghanistan-Experte Antonio Giustozzi hält in seinen "Afghanistan Notes" vom Juni 2006 hingegen fest, dass bei einer Blutfehde normalerweise der ranghöchste Mann zum Ziel werde, sie sich aber auch bis hin zu den Töchtern ausdehnen könne.

 

In einer E-Mail-Antwort an ACCORD vom 6. Mai 2009 gab Giustozzi auf die Frage, ab welchem Alter eine Person Opfer von Blutrache werden könne, folgende Auskunft: Blutrache werde dann zu einem ernsthaften Problem, wenn ein Junge zu einem Mann werde, d.h. im Alter von 13 bis 14 Jahren, und damit fähig werde, Waffen zu tragen. Gelegentlich könnten auch jüngere männliche Kinder oder sogar Mädchen zu Opfern von Gewalt werden – dies komme jedoch selten vor, da es in Widerspruch zu den dominierenden kulturellen Mustern stehe (Giustozzi, 6. Mai 2009).

 

Der finnische Einwanderungsdienst (Finnish Immigration Service, FIS) erwähnt im Abschnitt zu "Blutfehden und ‚Ehrenmorde‘‘ ihres im Mai 2007 veröffentlichten Berichts zu einer Fact- Finding-Mission nach Afghanistan im September 2006, dass der jahrzehntelange Krieg das allgemeine Verständnis dafür verändert habe, was "normal" sei. So habe ein Vertreter einer afghanischen Menschenrechtsorganisation einen Fall geschildert, in dem die Mutter und der Bruder eines verurteilten Vergewaltigers getötet worden seien.

 

Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet in einem Artikel vom Jänner 2012, dass in der Provinz Kundus bei der Explosion eines Sprengsatzes, der in einem Heizgerät platziert worden sei, eine Frau und eine zwölfjährige Tochter getötet und zwei weitere Töchter sowie ein Sohn verletzt worden seien. Laut Behörden sei der Anschlag das Werk einer rivalisierenden Familie gewesen, die mit der betroffenen Familie im Streit gelegen habe. Der Grund für die Familienfehde sei unbekannt.

 

2. Beweiswürdigung:

 

II.2.1. Die getroffenen Feststellungen zu den Personen der Beschwerdeführer stützen sich auf folgende Beweiswürdigung:

 

Die Identität der Beschwerdeführer ergibt sich aus den von der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer im verwaltungsbehördlichen, wie auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren getätigten Angaben dazu, wobei die Feststellungen zur Identität der Beschwerdeführer ausschließlich für die Identifizierung ihrer Person im Asylverfahren gelten.

 

Das Geburtsdatum der Erstbeschwerdeführerin wurde von der Behörde mit 01.01.1975 angenommen; die Erstbeschwerdeführerin selbst bestätigte im Rahmen der mündlichen Verhandlung, dass die Angaben der Behörde im angefochtenen Bescheid zu Ihren Identitätsdaten korrekt seien. Lediglich der Zweitbeschwerdeführer merkte unter Bezugnahme auf die vorgelegte Tazkira an, dass die Erstbeschwerdeführerin 1960 geboren sei. Es ist zwar festzuhalten, dass die Erstbeschwerdeführerin optisch älter als 1.1.1975 geboren wirkte, die Annahme eines Geburtsjahres 1960 aber unwahrscheinlich (wenn auch nicht unmöglich) machen würde, dass die minderjährigen Beschwerdeführer die leiblichen Kinder der Erstbeschwerdeführerin sind. Da die erkennende Richterin nicht den Eindruck diesbezüglich unwahrer Angaben gewinnen konnte, und die Erstbeschwerdeführerin die Angaben bezüglich ihres Geburtsdatums der Behörde bestätigte, geht auch das erkennende Gericht weiter vom Geburtsdatum 01.01.1975 im Rahmen des Asylverfahrens aus.

 

Der Zweitbeschwerdeführer gab durchaus nachvollziehbar in der mündlichen Verhandlung an, dass die richtige Schreibweise seines (Vor)Namens " XXXX " ist, weshalb dieser Vorname festzustellen war.

 

Die Staats- und Religionszugehörigkeit der Beschwerdeführer beruhen auf ihren diesbezüglich glaubwürdigen Angaben im Verfahren. Bezüglich der Volksgruppenzugehörigkeit blieben die Aussagen der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers widersprüchlich. Die Erstbeschwerdeführerin gab vor dem BFA an, sie würden der Volksgruppe der Tadschiken angehören und in der ersten mündlichen Verhandlung gab sie ergänzend an, dass sie innerhalb dieser der Untergruppe der Sadat angehören würden. Der Zweitbeschwerdeführer brachte im Gegensatz dazu vor, sie wären Angehörige der Volksgruppe der Sadat/Sayed. Mit einem Auszug aus dem Dossier "Grundlagen der Stammes- und Clanstrukturen", wonach Sadat eine Untergruppe der Hazara sei, konfrontiert, schien die Erstbeschwerdeführerin sich nicht mehr an ihre Aussage erinnern zu können und der Zweitbeschwerdeführer wollte dies nicht kommentieren. In der Stellungnahme vom 11.04.2017 wurde zur Volksgruppe der Sadat zusammengefasst vorgebracht, dass laut den vorgelegten Länderinformationen nicht eindeutig belegt sei, ob es sich bei Sadat um eine gesonderte Volksgruppe, Untergruppe einer bzw. mehrerer ethnischen Gruppen oder um eine religiöse Strömung handele. Sadat können sowohl dem schiitischen als auch dem sunnitischen Islam angehören. Somit konnte insgesamt nicht festgestellt werden, welcher Volksgruppe die Beschwerdeführer angehören.

 

Die Angaben der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers zu ihrer Heimatstadt, dem familiären Hintergrund und ihrer Schul- und (fehlenden) Berufsbildung bildung sind gleichbleibend und plausibel. Die Erstbeschwerdeführerin gab auch glaubwürdig an, dass sie und ihre leiblichen Kinder zusammen mit der Zweitfrau ihres verstorbenen Ehemannes und deren Kindern bis zu ihrer Ausreise aus Afghanistan im gemeinsamen Haushalt gelebt haben, und dass die Zweitfrau die Zustimmung zur Mitreise des Sechstbeschwerdeführers gegeben hat, bzw. wollte, dass der Sechstbeschwerdeführer mitreist. Die in diesem Zusammenhang getätigten Angaben waren im Wesentlichen gleichbleibend und beinahe widerspruchsfrei und konnten daher als Feststellungen zugrunde gelegt werden.

 

II.2.2. Die Feststellungen, dass die älteste Tochter der Erstbeschwerdeführerin bei der Zweitfrau in XXXX zurückblieb und nunmehr auch in XXXX lebt, verheiratet ist, die Ehe von der Zweitfrau arrangiert wurde, und bei ihren Schwiegereltern lebt, folgen aus den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.

 

Vor diesem Hintergrund wurde auch nachvollziehbar dargelegt, dass es der ältesten Tochter nicht möglich wäre, bei einer Rückkehr der Beschwerdeführer nach Afghanistan einer sechsköpfigen Familie Wohnraum zu gewähren, oder sie beim Aufbau einer Existenzgrundlage zu unterstützen. Zu der Zweitfrau besteht seit der Verheiratung der ältesten Tochter kein Kontakt mehr, außerdem lebt diese in Maidan Wardak, wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt, einer volatilen Provinz, und hat selbst für zwei Kinder zu sorgen.

 

Über die finanzielle Situation des ältesten Sohnes bzw. Bruders im Iran konnten die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer keine Auskunft geben, er habe jedoch keine Aufenthaltsgenehmigung; es konnte somit nicht festgestellt werden, dass der Sohn aus dem Iran eine sechsköpfige Familie finanziell hinreichend in XXXX unterstützen kann.

 

Dass sonst keine Verwandten der Beschwerdeführer dauerhaft in XXXX leben ergibt sich aus der Aussage des Zweitbeschwerdeführers, wonach lediglich das Enkelkind des Onkels seines Vaters zwar in XXXX die Universität besuche, aber in Maidan Wardak lebe.

 

Dass die Beschwerdeführer in Afghanistan über keine Besitztümer mehr verfügen, folgt daraus, dass die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer übereinstimmend und nachvollziehbar angegeben haben, dass ihr Haus in XXXX vom ältesten Sohn bzw. Bruder für die Finanzierung ihrer Ausreise nach Europa verkauft worden ist.

 

II.2.3. Die Feststellungen zum Privatleben und der Integration der Beschwerdeführer in Österreich ergeben sich insbesondere aus den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung und den im Verfahren vorgelegten Integrationsnachweisen (Deutschkursbestätigungen, Schulbesuchsbestätigungen, Teilnahmebestätigungen, Empfehlungsschreiben).

 

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand beruhen auf den von der Erstbeschwerdeführerin und vom Zweitbeschwerdeführer vorgelegten ärztlichen Bestätigungen und ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung.

 

Die strafrechtliche Unbescholtenheit der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers ergibt sich aus den aktuellen Auszügen aus dem Strafregister.

 

II.2.4. Die belangte Behörde ist zu Recht davon ausgegangen, dass es weder der Erstbeschwerdeführerin noch dem Zweitbeschwerdeführer gelungen ist, eine konkrete, gegen ihre Person gerichtete asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen; dies aus folgenden Erwägungen:

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht. Mit der Glaubhaftmachung ist auch die Pflicht der Verfahrenspartei verbunden, initiativ alles darzulegen, was für das Zutreffen der behaupteten Voraussetzungen spricht und diesbezüglich konkrete Umstände anzuführen, die objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen dieser Voraussetzung liefern. Insoweit trifft die Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht. Allgemein gehaltene Behauptungen reichen für eine Glaubhaftmachung nicht aus (vgl. VwGH 17.10.2007, 2006/07/0007).

 

II.2.4.1. Als fluchtauslösendes Ereignis brachte die Erstbeschwerdeführerin in der Erstbefragung vor, sie habe kein Geld und wolle ihren Kindern eine Schul- und Berufsbildung ermöglichen. Befragt, was sie bei einer Rückkehr in die Heimat befürchte, gab sie an, Angst vor den Taliban zu habe. Ihr Mann wäre erschossen worden und sie habe Angst, ihren Söhnen würde das gleiche wiederfahren. Bei ihrer niederschriftlichen Befragung vor dem BFA gab sie weiter dazu befragt an, dass ihr Mann vor ca. vier Jahren vermutlich wegen Grundstückstreitigkeiten vor dem Wohnhaus der Familie erschossen worden sei, den Angreifer habe sie nicht gesehen, doch den Vorfall hätten ihre beiden Söhne bei der Polizei angezeigt. Derjenige, der ihren Mann umgebracht habe, habe auch ihre beiden Söhne, darunter den Zweitbeschwerdeführer, bedroht. Sie kenne diesen Mann nicht, von den Bedrohungen wisse sie durch ihre Söhne. Diese Drohungen seien gleich nach dem Tod ihres Mannes geschehen, danach sei nichts mehr passiert. Nach dem Tod ihres Mannes habe sie mit ihrer Familie noch ca. drei Jahre in XXXX , im gleichen Haus gewohnt. Bei Rückkehr nach Afghanistan habe sie Angst vor dem Mörder ihres Mannes.

 

Festzuhalten ist vorweg, dass der Zweitbeschwerdeführer ein Konvolut an Unterlagen bezüglich der mutmaßlichen Ermordung seines Vaters vorgelegt hat (Gerichtsdokumente, Dokumente der Staatsanwaltschaft, eine Anzeige bei der Polizei). Aus diesen ergibt sich im Zusammenhang mit den diesbezüglich glaubwürdigen Aussagen der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers, dass 2011/2012 der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater des Zweitbeschwerdeführer gewaltsam zu Tode gekommen ist, und der ältere Bruder des Zweitbeschwerdeführer, XXXX , bei der Polizei eine Anzeige deswegen gegen bestimmte Personen erstattet hat. Zumindest einer der Beschuldigten wurden in erster Instanz in Abwesenheit zu 18 Jahren Haft verurteilt, das erstinstanzliche Urteil wurde durch die zweite Instanz aufgehoben und neue Ermittlungen angeordnet. Dass über den Stand der neuen Ermittlungen bzw. eines allfälligen Verfahrens nichts bekannt ist, ergibt sich ebenso aus den Aussagen des Zweitbeschwerdeführers. Der gewaltsame Tod des Ehemannes/Vaters ist aufgrund der beigebrachten Beweismittel und den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben der Beschwerdeführer somit glaubhaft.

 

Nicht glaubhaft ist allerdings das Vorbringen im Verfahren, dass auch der ältere Bruder und die nunmehrigen Beschwerdeführer bereits Verfolgungshandlungen aus Rache wegen der Anzeige ausgesetzt waren, Afghanistan aus diesem Grund verlassen haben, oder solche Handlungen bei einer allfälligen Rückkehr zu befürchten hätten.

 

Zunächst ist festzuhalten, dass die Erstbeschwerdeführerin im Wege der Stellungnahme zur ersten mündlichen Verhandlung einen ärztlichen Befund vorgelegt hat, nachdem sie an einer rezidivierenden depressiven Störung und einer Anpassungsstörung leide. Aus dem Befund geht hervor, dass sie angibt, zunehmend unter Vergesslichkeit zu leiden, sie sei auch depressiv und ängstlich. Bereits in Afghanistan sei sie wegen Depressionen in Behandlung gewesen. Weiters leidet sie auch unter Diabetes mellitus Typ II, wie aus einer anderen ärztlichen Mitteilung hervorgeht. Die Rechtsvertreterin legte in der fortgesetzten mündlichen Verhandlung eine Stellungnahme vor, in der auf eine UNHCR Publikation "Beyond Proof. Credibility Assessment in EU Asylum Systems" vom Mai 2014 verwiesen wurde. Laut dieser hätten Personen, die an Depressionen leiden, öfters Schwierigkeiten vergangene Ereignisse detailliert und widerspruchsfrei wiedergeben zu könne. Auch auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes wurde verwiesen, nach der bei einer Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit ein großzügigerer Maßstab an die Detailliertheit des Vorbringens des Beschwerdeführers anzulegen ist (VfGH U1343/2012 vom 26.06.2013).

 

Auch in der mündlichen Verhandlung hat die Erstbeschwerdeführerin mehrfach angegeben, sich nicht erinnern zu können, bzw. nichts zu wissen. Selbst wenn man bei der Erstbeschwerdeführerin hinsichtlich der übrigen Schilderungen des Fluchtvorbringens einen solchen "großzügigerer Maßstab" anlegt, sind doch gravierende Widersprüche in den Schilderungen aufgetreten:

 

In der mündlichen Verhandlung wurde die Erstbeschwerdeführerin nach etwaigen Vorfällen, in denen jemand aus der Familie bedroht wurde, befragt. Sie gab an, ihr ältester Sohn, XXXX , sei ca. ein Jahr nach dem Tod ihres Ehemannes blutverschmiert nach Hause gekommen, und zehn Tage danach hätte sein Auto zwei Einschusslöcher gehabt.

 

Diese Aussage stimmt nicht mit ihren Angaben in der behördlichen Einvernahme überein, in der sie, zu den Drohungen gegen ihre Söhne befragt, lediglich angab, dass ihre Söhne ihr davon erzählt hätten und dass die Drohungen gleich nach dem Tod ihres Mannes stattgefunden hätten, danach sei nichts mehr passiert (Einvernahme BFA, Seite 9: "LA: Woher wissen Sie das Ihre Kinder bedroht werden. Wer hat Ihnen davon erzählt? VP: Meine Söhne ( XXXX und XXXX ) haben mir davon erzählt. LA: Wann wurden Sie bedroht) VP: Es war gleich nach dem Tod meines Mannes. Danach ist nichts mehr passiert.")

 

Auf Vorhalt der Richterin, dass diese Angaben sich widersprechen, sagte die Erstbeschwerdeführerin, dass sie sich nicht erinnern könne. Es ist allerdings nicht plausibel, dass die Erstbeschwerdeführerin bei der niederschriftlichen Einvernahme die in der mündlichen Verhandlung geschilderten Vorfälle bezüglich ihres Sohnes XXXX – nämlich dass er blutverschmiert nach Hause gekommen sei und dass sein Auto Einschusslöcher gehabt habe, wobei es sich doch wohl um einschneidende Erlebnisse handelt - nicht vorgebracht hätte, hätten diese tatsächlich stattgefunden, wobei auch anzumerken ist, dass die Erstbeschwerdeführerin in der fortgesetzten mündlichen Verhandlung angab, diese Vorfälle selbst wahrgenommen zu haben.

 

Weiters hat der Zweitbeschwerdeführer vor dem BFA einen Vorfall geschildert, bei dem einmal in der Nacht Steine auf das Haus der Beschwerdeführer geworfen worden seien, eine Glasscheibe zu Bruch gegangen sei, und der Zweitbeschwerdeführer dabei sogar verletzt worden sei. Über diesen Vorfall hat die Erstbeschwerdeführerin keinerlei Angaben gemacht. (VH-Protokoll vom 30.05.2017 S.11: "R:

Ich habe Sie bei der letzten VH gefragt, ob Sie sonst noch Vorfälle wahrgenommen haben. Sie haben auf diese Frage keine konkreten Vorfälle angegeben, sondern allgemein eine Bedrohung "immer wieder". Ihr Sohn (BF2) hat bei seiner Einvernahme einen Vorfall erwähnt, dass einmal in der Nacht Steine auf das Haus geworfen worden seien, wobei BF2 verletzt worden sei. Er hat sogar angegeben, von diesem Vorfall die Narbe auf der Stirn zu haben. Sie haben auch davon überhaupt nichts gesagt, weder bei der Behörde, noch in der letzten VH. Wie können Sie das erklären? BF1: Ich kann mich nicht erinnern. Ich vergesse diese Sachen."). Dies erscheint, selbst im Lichte ihrer psychischen Probleme sowie der damit angegebenen Schwierigkeiten, Vergangenes detailliert und widerspruchsfrei wiederzugeben, nicht lebensnah. Solch ein Vorfall, bei dem ihr Sohn, der Zweitbeschwerdeführer, sogar eine Narbe davon getragen haben soll, und den der Zweitbeschwerdeführer als so gravierend eingestuft hat, dass er sogar in der Nacht noch zum Arzt gehen musste, stellt für die Erstbeschwerdeführerin als Mutter wohl ein so einschneidendes Ereignis dar, dessen sie sich, selbst wenn sie Probleme mit der Erinnerung an Details hätte, wohl grundsätzlich entsinnen würde.

 

Zu erwähnen ist schließlich, dass die Erstbeschwerdeführerin in der Erstbefragung als fluchtauslösendes Ereignis primär finanzielle Probleme, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft für ihre Kinder und Angst vor den Taliban vorgebracht hat (Erstbefragung S. 6: "Ich habe kein Geld und auch mein Mann ist verstorben. Ich möchte meinen Kindern ermöglichen, dass sie zur Schule gehen und einen Beruf erlernen können. Sie sollen es besser haben, als ich es bisher in Afghanistan gehabt hatte.") Eine persönliche Bedrohung ihrerseits oder der restlichen Beschwerdeführer verneinte die Erstbeschwerdeführerin im weiteren Verfahren explizit. (VH-Protokoll vom 30.05.2017 S. 11: "R: Wurden Sie, BF2, oder die Kleinkinder jemals persönlich bedroht? BF1: Direkt wurde mein ältester Sohn bedroht.")

 

II.2.4.2. Die Angaben des Zweitbeschwerdeführers waren vor dem Hintergrund seiner bis vor kurzem bestehenden Minderjährigkeit zu betrachten. Hier ist die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes maßgeblich, wonach es zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Minderjährigen einer besonders sorgfältigen Beweiswürdigung bedarf (vgl. etwa VwGH 24.09.2014, Ra 2014/19/0020, 16.04.2002, 2000/20/0200 und 14.12.2006, 2006/01/0362). Es ist eine besonders sorgfältige Beurteilung der Art und Weise des erstatteten Vorbringens zu den Fluchtgründen erforderlich und die Dichte dieses Vorbringens darf nicht mit "normalen Maßstäben" gemessen werden. Das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers ist unter diesem Gesichtspunkt zu würdigen.

 

Allerdings wird selbst vor diesem Hintergrund das Fluchtvorbringen des Zweitbeschwerdeführers vom erkennenden Gericht nicht für glaubhaft erachtet, wobei im konkreten Fall ebenso zu berücksichtigen ist, dass der Zweitbeschwerdeführers nunmehr volljährig ist, und auch zum Zeitpunkt der Ausreise bereits 17 Jahre alt war.

 

Der Zweitbeschwerdeführer brachte in der Erstbefragung als fluchtauslösendes Ereignis vor, dass sein Vater wegen Grundstücksstreitigkeiten getötet worden sei. Sein Bruder hätte sich in Afghanistan versteckt, weil er Probleme mit diesen Leuten hätte. Finanzielle Probleme seien auch ein Grund dafür gewesen das Land zu verlassen. Bei seiner niederschriftlichen Befragung vor dem BFA gab er weiter dazu befragt an, dass sein Vater wegen eines Grundstücksstreits von bestimmten Männern getötet worden sei. Diese Männer seien Teil einer Mafiabande und wollten das Grundstück seines Vaters für sich. Sein älterer Bruder sei nach dem Tod des Vaters von diesen Männern bedroht worden. Zweimal sei auf sein Auto geschossen worden und einmal sei er mit einem Elektroschocker angegriffen worden. Es wäre "immer so weiter" gegangen, sie hätten "immer wieder Anzeigen" erstattet, aber diese Leute hätten sich immer freikaufen können. Der Zweitbeschwerdeführer verneinte, persönlich Probleme in Afghanistan gehabt zu haben. Nur sein älterer Bruder hätte mit diesen Leuten Probleme gehabt.

 

In der mündlichen Verhandlung gab der Zweitbeschwerdeführer an, dass der Grund für die Bedrohung in Afghanistan sei, dass sein ältester Bruder Anzeige gegen die Mörder seines Vaters erstattet habe. Über Vorhalt, dass nach Angaben des Zweitbeschwerdeführers die Verurteilung der Täter in zweiter Instanz aufgehoben worden sei und deshalb nicht nachvollziehbar sei, weshalb die Familie weiterhin von diesen bedroht sein sollte, gab der Zweitbeschwerdeführer an, dass dies der Fall sei, da sie sie angezeigt hätten (VH-Protokoll vom 30.05.2017 S.25: "R: Haben Sie gemeinsam mit dem älteren Bruder oder hat er alleine die Anzeige erstattet? BF2: Alleine. R: Die Anzeige ist der Grund, warum Sie bedroht werden? BF2: Ja. R: Sie sagten, dass in zweiter Instanz die Verurteilung erster Instanz aufgehoben wurde? Warum sollte man dann Ihnen noch etwas Böses wollen? BF2:

Weil wir sie angezeigt haben."). Jedoch hat der Zweitbeschwerdeführer auch in der mündlichen Verhandlung eine persönliche Bedrohung seiner Person oder seiner Mutter sowie jüngerer Geschwister verneint (VH-Protokoll vom 30.05.2017 S.29: "R:

Wurden Sie persönlich auch von diesen Leuten bereits bedroht? BF2:

Nein, ich hab das Haus gar nicht verlassen, außer um in die Schule zu gehen. R: Wurden Ihre kleinen Geschwister, oder Ihre Mutter persönlich bedroht? BF2: Nein, auch sie haben das Haus nicht verlassen.").

 

Auch zu den vermeintlichen Drohungen gegen seinen ältesten Bruder machte der Zweitbeschwerdeführer widersprüchliche und unschlüssige

Angaben: Vor dem BFA gab der Zweitbeschwerdeführer mehrfach an, dass zweimal auf seinen Bruder geschossen worden sei (Einvernahme BFA,

Seite 5 ff: "VP: Mein Bruder XXXX wurde von einem Mann namens XXXX bedroht. Zweimal hat er auf ihn geschossen. [ ] LA: Wie wurde ihr Bruder XXXX bedroht? VP: Zweimal wurde auf sein Auto geschossen. [ ]

LA: Wann wurde auf Ihren Bruder geschossen? VP: Ein Jahr und einige Monate vor meiner Ausreise. Es waren zwei Vorfälle."). In der mündlichen Verhandlung brachte der Zweitbeschwerdeführer allerdings nur einen Vorfall, bei dem auf seinen Bruder geschossen wurde, vor. Über Vorhalt, dass er vor der Behörde angegeben habe, dass zwei Mal auf das Auto geschossen worden sei, gab der Zweitbeschwerdeführer an, dass er auch seiner Rechtsberaterin gesagt hätte, dass es nur einmal gewesen sei, vermutlich sei es ein Missverständnis mit dem Dolmetscher. Weiters gab der Zweitbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung zur Reihenfolge der Vorfälle befragt an, dass sein Bruder zuerst mit dem Elektroschocker angegriffen und dann auf sein Auto geschossen worden sei. Dies stimmt jedoch nicht mit seinen Angaben vor dem BFA überein, bei denen er bezüglich der Reihenfolge zuerst den Vorfall mit dem Elektroschockgerät und dann die Schüsse vorbrachte (Einvernahme BFA, Seite 8: "LA Wann war der Vorfall mit dem Elektroschockgerät? VP: Es war nach den beiden Malen als er angeschossen wurde."). Dem Zweitbeschwerdeführer wurden auch die Aussagen seiner Mutter bezüglich der Drohungen gegen seinen ältesten Bruder vorgehalten (VH-Protokoll vom 10.03.2017 S.13: "R: Die Vorfälle, als ihr Sohn blutverschmiert nach Hause gekommen ist und das Auto Einschusslöcher hatte. Wann war das? Können Sie das zeitlich irgendwie einordnen? BF1: CA. ein Jahr, nach dem Tod meines Ehemannes kam es zu diesen Vorfällen. Zuerst kam er blutverschmiert nach Hause. Etwa zehn Tage später war der Vorfall mit den Einschusslöchern im Auto".) Der Zweitbeschwerdeführer gab in seiner behördlichen Einvernahme an, dass er nach dem Vorfall mit dem Elektroschockgerät noch ein Jahr und acht Monate in XXXX gewesen sei. Über Vorhalt in der fortgesetzten Verhandlung, dass die zeitlichen Angaben nicht mit denen seiner Mutter übereinstimmen gab er an, dass sie sich nicht an alles erinnere, er damals noch sehr jung gewesen sei und sie bei den Ersteinvernahmen auch nur gefragt worden seien, welche Vorfälle es gegeben habe. Diese Einschätzung wird jedoch, selbst bei Außerachtlassung der vermeintlichen Vergesslichkeit der Mutter, von der erkennenden Richterin nicht geteilt, da der Zweitbeschwerdeführer bei der behördlichen Einvernahme siebzehn Jahre alt war und das BFA ihn, wie aus der Niederschrift hervorgeht, sehr ausführlich zum zeitlichen Ablauf der Vorfälle befragt hat.

 

Abweichend von seiner behördlichen Einvernahme gab der Zweitbeschwerdeführer in der fortgesetzten Verhandlung an, dass es außer dem Schussattentat auf das Auto seines Bruder und die Attacke mit dem Elektroschockgerät keine Vorfälle gegeben habe (VH-Protokoll vom 30.05.2017 S.27: "R: Sie haben davon berichtet, dass einmal auf das Auto des Bruders geschossen wurde und einmal mit dem Elektroschocker attackiert wurde. Gab es sonst noch Vorfälle? BF2:

Nein, sonst gab es keine Vorfälle, weil er nicht so oft das Haus verlassen hat.") Über Vorhalt, dass der Zweitbeschwerdeführer bei der Behörde allerdings angegeben habe, dass auf ihr Haus mit Steinen geworfen worden sei, er davon jedoch in der mündlichen Verhandlung nichts mehr erwähnt habe, und sich seine Mutter an solch einen Vorfall auch nicht erinnere, gab er an, dass die Richterin ihn in der Verhandlung danach nicht gefragt hätte und seine Mutter vergesslich sei. Dazu ist festzuhalten, dass der Zweitbeschwerdeführer bei der behördlichen Einvernahme von selbst den Vorfall mit den Steinen vorgebracht hat (Einvernahme BFA, Seite 6: "LA: Wie wurde ihr Bruder XXXX bedroht? VP: Zweimal wurde auf sein Auto geschossen. Auf unser Haus wurde mit Steinen geworfen. Einmal war der Bruder von einem Autohaus auf dem Heimweg. Es wurde mit einem Elektroschockgerät elektrisiert."), und von der Richterin in der Verhandlung sehr wohl gefragt wurde, ob es noch weitere Vorfälle gegeben habe, was der Zweitbeschwerdeführer verneinte ("R:

Sie haben davon berichtet, dass einmal auf das Auto des Bruders geschossen wurde und einmal mit dem Elektroschocker attackiert wurde. Gab es sonst noch Vorfälle? BF2: Nein, sonst gab es keine Vorfälle, weil er nicht so oft das Haus verlassen hat.").

 

Als der Zweitbeschwerdeführer in der fortgesetzten Verhandlung aufgefordert wurde, von dem Vorfall im Detail zu erzählen, schilderte er diesen auch abweichend von seinen Angaben vor dem BFA. Der Zweitbeschwerdeführer gab an, dass vielleicht dreimal in den Abendstunden mit Steinen geworfen worden sei, es sei jedoch nichts passiert (VH-Protokoll vom 30.05.2017 S.28: "R: Erzählen Sie mir von dem Vorfall, wann war das? BF2: Manchmal hat man gegen die Abendstunden mit Steinen beworfen. R: Also mehrfach? BF2: Vielleicht dreimal. R: Was ist da jeweils passiert? BF2: Gar nichts. Sie wollten uns in Furcht versetzen.") Vor dem BFA gab er im Gegensatz dazu an, dass es nachts gewesen sei, sie den Einschlag gehört hätten, ein Fenster mit Doppelglas zerbrochen sei und ein Splitter ihn an der Stirn getroffen habe, wovon er eine Narbe am Kopf hätte. Erst über Vorhalt seiner behördlichen Aussagen, gab der Zweitbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung an, dass er verletzt worden sein und in der Nacht zum Arzt musste. Seine Mutter hätte diesen Vorfall auch mitbekommen, da sie alle zu Hause gewesen seien.

 

Ebenso widersprüchlich waren die Angaben des Zweitbeschwerdeführers zur Anzeigeerstattung seines Bruders nach den Schussattentaten. Bei der behördlichen Einvernahme gab er noch an, dass sein Bruder nach den Schüssen auf ihn eine Anzeige erstattet habe, und ihm daraufhin das Tragen einer Waffe erlaubt worden sei (Einvernahme BFA, Seite 8:

"LA: Wurde Ihr Bruder bei den beiden Vorfällen als auf ihn Bruder geschossen wurde verletzt? VP: Beide Male wurde nur die Autotür getroffen. Mein Bruder hat eine Anzeige erstattet. Daraufhin wurde ihm das Tragen einer Waffe erlaubt. [ ].") In der fortgesetzten mündlichen Verhandlung gab er zu dieser Anzeige befragt an, dass sein Bruder bereits vor diesem Vorfall eine Waffe besessen habe. Über Vorhalt seiner Angaben vor dem BFA gab der Zweitbeschwerdeführer an, dass sein Bruder diesbezüglich gar keine Anzeige gemacht hätte. Die Waffe hätte sein Bruder, abweichend von den durch das BFA protokollierten Angaben, auf Grund telefonischer Bedrohungen nach dem Tod des Vaters bewilligt bekommen (VH-Protokoll vom 30.05.2017 S.28: "R: Wie erklären Sie das, dass es im Protokoll so steht. BF2: Das kann ich gar nicht so gesagt haben, er hat die Waffe aufgrund der telefonischen Bedrohungen nach dem Tode meines Vaters bewilligt bekommen."). Eine telefonische Bedrohung seines Bruders brachte der Zweitbeschwerdeführer allerdings während des behördlichen Verfahrens nie vor.

 

Außerdem weichen die Aussagen des Zweitbeschwerdeführer bezüglich des Zeitpunktes der angeblichen Drohungshandlungen gegen seinen Bruder zwischen den Einvernahmen und sogar innerhalb dieser voneinander ab. In der behördlichen Einvernahme gab der Zweitbeschwerdeführer zum Zeitpunkt der Drohungen gegen seinen Bruder befragt zunächst an, dass er nach dem Tod seines Vaters, vor ungefähr 4 Jahren, bedroht worden sei. In derselben Einvernahme gab er dann danach befragt, wann auf seinen Bruder geschossen worden sei an, dass dies ein Jahr und einige Monate vor der Ausreise des Zweitbeschwerdeführers geschehen sei (Einvernahme BFA, Seite 5 ff:

"VP: Mein Bruder XXXX wurde von einem Mann namens XXXX bedroht. Zweimal hat er auf ihn geschossen. [ ] LA: Wann wurde ihr Bruder bedroht? VP: Er wurde nach dem Tod meines Vaters bedroht. Es war vor ungefähr 4 Jahren. [ ] LA: Wie wurde ihr Bruder XXXX bedroht? VP:

Zweimal wurde auf sein Auto geschossen. Auf unser Haus wurde mit Steinen geworfen. Einmal war der Bruder von einem Autohaus auf dem Heimweg. Es wurde mit einem Elektroschockgerät elektrisiert. LA:

Wann wurde auf Ihren Bruder geschossen? VP: Ein Jahr und einige Monate vor meiner Ausreise. Es waren zwei Vorfälle."). Zu diesen widersprüchlichen Angaben befragt, gab der Zweitbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung an, dass er dies gar nicht gesagt habe könne, weil noch keine 4 Jahre nach dem Tod seines Vaters vergangen seien. Doch nach seiner eigenen Aussage bezüglich des Todeszeitpunktes seines Vaters ergibt sich, dass die Zeitspanne zwischen diesem und der Einvernahme 4 Jahre beträgt. In der fortgesetzten mündlichen Verhandlung gab er dann zu Schüssen auf das Auto und die Attacke mit dem Schlagstock befragt an, dass diese Vorfälle eineinhalb oder zwei Jahre nach dem Tod seines Vaters gewesen seien.

 

II.2.4.3. Der Zweitbeschwerdeführer konnte ebenso wenig darlegen, welche konkreten Gefahren ihm bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat drohen würden. Zur Situation bei einer Rückkehr nach Afghanistan befragt, gab der Zweitbeschwerdeführer an, dass sie große Schwierigkeiten bekommen würden. Über Vorhalt, dass er bisher keine Schwierigkeiten gehabt habe, wobei der Tod des Vaters (zumindest drei) Jahre vor der Flucht eingetreten sei, gab er an, dass er nie alleine unterwegs gewesen sei. Daraufhin wurde ihm von der erkennenden Richterin vorgehalten, dass ein junger Mann auch auf dem Schulweg Probleme bekommen könne, wenn die Bedrohung ernst gemeint sei, worauf der Zweitbeschwerdeführer nichts erwidern konnte (VH-Protokoll vom 30.05.2017 S.31: "R: Was würde passieren, wenn Sie nach XXXX zurückkehren müssten? BF2: Wir bekommen große

Schwierigkeiten. R: Sie persönlich hatten doch bis jetzt keine

Schwierigkeiten. BF2: Ich bin nie alleine unterwegs gewesen. R: Wenn es jemand wirklich ernst meint, kann man einem jungen Mann auch auf dem Schulweg Probleme machen. BF2: Dazu kann ich nichts sagen.").

 

Auf die Frage, warum der ältere Bruder des Zweitbeschwerdeführers erst sieben Monate nach den Beschwerdeführern Afghanistan verlassen habe, wenn sich die Bedrohungen doch primär gegen ihn gerichtet hätten, und es nach dem Vorbringen schon Anschläge gegen ihn gegeben hätte, gab der Zweitbeschwerdeführer an, dass sein Bruder dafür gesorgt habe, dass sie zuerst das Land verlassen, weil die Mörder des Vaters mit Entführung der übrigen Familienmitgliedern gedroht hätten. Es ist jedoch festzuhalten, dass der Zweitbeschwerdeführer solche Androhungen einer Entführung im gesamten behördlichen Verfahren nicht erwähnt hat, weshalb das Vorbringen auch gesteigert ist (VH-Protokoll vom 30.05.2017 S. 25: "R: Sie haben von Anschlägen berichtet, die sich gegen Ihren Bruder gerichtet haben, dann wäre es logisch, wenn er als erster das Land verlassen würde? BF2: Es ist in AF üblich, dass die Kinder entführt werden und Geld erpresst wird, aus diesem Grund hat er dafür gesorgt, dass die Kinder zuerst weggehen. R: Gab es eine konkrete Androhung einer Einführung? BF2:

Ja, weil sie meinem Bruder böse waren, weil er diese Leute angezeigt hatte. R: Im bisherigen Verfahren, haben Sie in keiner Weise eine solche Androhung erwähnt. Können Sie mir dazu etwas Konkretes sagen?

BF2: Mein Bruder hat das gesagt. Er hat gesagt, die Kinder sollen nicht aus dem Haus gehen, weil sie sonst entführt werden. R: Waren diese Drohungen telefonisch? BF2: Er bekam ständig Anrufe auf seinem Handy, weil er das nicht ausgehalten hat, hat er das Handy ausgeschaltet. Wenn mein Bruder AF verlassen hätte, hätten sie ganz sicher die Kinder entführt und mein Bruder wäre gezwungen gewesen zurückzukommen."). Festzuhalten bleibt auch, dass auch im gerichtlichen Verfahren nichts von Problemen des älteren Bruders während der sieben Monate bis zu seiner Ausreise in den Iran berichtet wurde. Ebenso wenig wurde im gerichtlichen Verfahren davon berichtet, dass die in XXXX aufhältige Schwester Probleme mit den mutmaßlichen Mördern des Vaters hat(te).

 

Zu den aufgezeigten Widersprüchen ist zu sagen, dass der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer bei den Einvernahmen vor der Behörde genügend Zeit gegeben wurde, ihr Fluchtvorbringen ausführlich zu erstatten. Der Zweitbeschwerdeführer war dabei gesetzlich vertreten und es haben sich keine Hinweise darauf ergeben, dass die Befragungen nicht korrekt - unter Berücksichtigung des Alters und des Bildungsgrades des Zweitbeschwerdeführers - durchgeführt wurden. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer haben am Beginn der behördlichen Einvernahme auch angegeben, gesund und in der Lage zu sein, Angaben zum Asylverfahren zu machen. Der anwesende Vertreter hat gegen die Art der Durchführung der Einvernahme auch keinerlei Einwand erhoben, auch in der Beschwerde wird dazu nichts vorgebracht. Erst in der ersten mündlichen Verhandlung brachten die Erstbeschwerdeführerin und der Zweitbeschwerdeführer erstmals Verständigungsschwierigkeiten mit der Dolmetscherin vor dem BFA vor. Allerdings ist diesem Vorbringen entgegen zu halten, dass die beiden Beschwerdeführer sowohl zu Beginn, als auch zum Ende der behördlichen Vernehmung angegeben haben, dass sie die Dolmetscherin gut verstehen und keine Verständigungsschwierigkeiten haben. Auch den Einwänden der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers bezüglich der Protokollierung ihrer Aussagen ist nicht zu folgen, da sie beide angegeben haben, dass alles richtig und vollständig übersetzt und protokolliert worden sei. Diese Angaben haben sie mit ihrer Unterschrift bestätigt. Ihnen wurde gegen ihr Verlangen auch jeweils eine schriftliche Ausfertigung der Niederschriften vom BFA ausgefolgt und haben sie bis zur mündlichen Verhandlung keine Einwände gegen die Protokollierung erhoben. Deshalb sind die Angaben der Erstbeschwerdeführerin und des Zweitbeschwerdeführers in der behördlichen Einvernahme wie in der Beweiswürdigung dargelegt diesem Erkenntnis zu Grunde zu legen.

 

Aus den aufgezeigten Gründen ist daher schon nicht glaubhaft, dass der älteste Bruder des Zweitbeschwerdeführers bzw. Sohn der Erstbeschwerdeführerin in Afghanistan Verfolgungshandlungen seitens der mutmaßlichen Mörder des Vaters ausgesetzt war. Es konnte somit auch nicht glaubhaft dargetan werden, dass der Zweitbeschwerdeführer – als nunmehr ältester bei einer allfälligen Rückkehr "greifbarer" männlicher Angehöriger der Familie asylrelevanten Bedrohungen im Herkunftsstaat ausgesetzt wäre.

 

In Bezug auf die Erstbeschwerdeführerin, den Drittbeschwerdeführer, die Viertbeschwerdeführerin, die Fünftbeschwerdeführerin und den Sechstbeschwerdeführer ist darüber hinaus auf Feststellungen zum Thema Blutrache zu verweisen, die Frauen und Kinder - wenn überhaupt - nur in Ausnahmefällen als Ziele der Blutrache ansehen. Diesbezüglich ist auch anzumerken, dass die älteste Tochter der Erstbeschwerdeführerin bzw. die Schwester des Zweitbeschwerdeführers in XXXX lebt und von keinen Verfolgungshandlungen gegen sie berichtet wurde.

 

Eine persönliche Bedrohung, die gezielt gegen ihn selbst, seine Mutter oder seine jüngeren Geschwister gerichtet worden wäre, hat der Zweitbeschwerdeführer weder im behördlichen Verfahren noch in der mündlichen Verhandlung vorgebracht. Auch die Erstbeschwerdeführerin hat eine solche in der mündlichen Verhandlung explizit verneint.

 

An dieser Stelle ist auch wiederholt darauf hinzuweisen, dass der im Verfahren vorgebrachte Grund für die Bedrohungen in der Anzeigeerstattung durch den ältesten Sohn/Bruder nach dem gewaltsamen Tod am Vater liegt. Von diesem Zeitpunkt bis zu ihrer Ausreise aus Afghanistan sind zumindest drei Jahre vergangen, in denen auch nach ihren Aussagen keine persönlich gegen die Beschwerdeführer gerichtete Bedrohung erfolgte.

 

Auch bezüglich seines ältesten Bruders gab es – selbst wenn man der für das Fluchtvorbringen "günstigsten" Aussage des Zweitbeschwerdeführers zu Bedrohungen des Bruders folgen würde - bis zu einem Jahr und mehreren Monaten vor der Ausreise der Beschwerdeführer keine weiteren Vorfälle. Zu erwähnen ist auch, dass selbst nach den Angaben der Beschwerdeführer der älteste Sohn/Bruder das Herkunftsland erst sieben Monate nach ihnen Richtung Iran verlassen hat, ohne, dass von weitern Zwischenfällen berichtet wurde. Auch auf Grund dieser langen – ereignislosen - Zeitspanne kann nicht von einer asylrelevanten Verfolgung der Beschwerdeführer oder des älteste Sohnes/Bruders ausgegangen werden.

 

In diesem Zusammenhang ist ebenso erwähnen, dass die Beschwerdeführer angaben, der älteste Sohn/Bruder habe das Haus zur Finanzierung der Ausreise verkauft, was ebenso für eine langfristige Planung der Ausreise und weniger für eine Flucht aus asylrelevanten Gründen spricht.

 

II.2.5. Zur Verfolgung der Erstbeschwerdeführerin, der Viertbeschwerdeführerin und der Fünftbeschwerdeführerin auf Grund ihrer politisch-religiösen Gesinnung und ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der afghanischen Frauen die selbstbestimmt leben möchten, sowie ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der (alleinstehenden) afghanischen Frauen bzw. Mädchen, die von Zwangsheirat bedroht sind:

 

Zunächst ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführer noch nicht einmal zwei Jahre in Europa leben und eine als "westlich" zu bezeichnende Wertehaltung der Erstbeschwerdeführerin erstmals von ihrer Rechtsvertreterin in der Stellungnahme zur ersten mündlichen Verhandlung vorgebracht wurde. Davor wurde eine solche im Laufe des Verfahrens von der Erstbeschwerdeführerin selbst nie vorgebracht, und auch in der Beschwerde nicht thematisiert.

 

Es sind im gesamten Verfahren jedoch keine Umstände hervorgekommen, die darauf schließen lassen, dass die Erstbeschwerdeführerin in Österreich bereits in einem solchen Maße eine ("westliche") Lebensweise führt, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemeinverbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellt.

 

So handelt es sich bei der Erstbeschwerdeführerin um eine deutlich erwachsene, sehr einfache Frau, die sich primär um den Haushalt und die Kinder(erziehung) kümmert, was sie auch bisher im Herkunftsstaat getan hat. Sie gab in der mündlichen Verhandlung zu ihrem Tagesablauf befragt an: "Ich stehe in der Früh auf und versorge die Kinder. Ich räume auf. Um 10.00 Uhr gehe ich zum Deutschkurs. Einmal in der Woche besuche ich um 10.00 Uhr den Deutschkurs und zweimal um 09.00 Uhr. Hier in Österreich habe ich die Uhrzeit gelernt. Wenn ich nach Hause komme, wasche ich die Wäsche, koche zu Mittag, backe selbst Brot zu Hause und dann vergeht der Tag auch. Manchmal gehe [ich] mit XXXX zum Nordic Walking. Wenn die Kinder von der Schule aus laufen gehen, gehe ich auch mit. Eine Lehrerin kommt und sagt, ich solle mitgehen. Ich bin sehr zufrieden und glücklich hier. Hier sind alle meine "Geschwister". Wenn es Veranstaltungen gibt, bin ich die erste die benachrichtigt und eingeladen wird." (VH-Protokoll vom 30.05.2017 S. 13).

 

Die Erstbeschwerdeführerin hat dabei zwar angegeben, mit den Kindern in der Schule laufen zu gehen, wenn sie dazu von den Lehrern ermuntert wird; dies erscheint aber bereits angesichts dessen, dass die Kinder von zu Hause von Lehrern/Betreuern abgeholt werden und wieder nach Hause gebracht werden, und dass die Erstbeschwerdeführerin auch weder den Namen der Schulen noch den Namen der Pädagoginnen vollständig angeben konnte, nicht lebensnahe, und lässt sich dies auch mit dem persönlichen Eindruck, den die erkennende Richterin von der Erstbeschwerdeführerin im Rahmen von zwei Verhandlungstagen gewonnen hat, schwer in Einklang bringen.

 

Die Erstbeschwerdeführerin ist darüber hinaus bei den einfachsten alltäglichen Erledigungen auf die Unterstützung durch ihre Söhne, Deutschlehrer oder Sozialarbeiter angewiesen. So geht sie weder alleine zur Schule ihrer Kinder, noch erledigt sie Einkäufe oder Behördengänge alleine (VH-Protokoll vom 30.05.2017 S. 19: "R: Wenn Ihre Familie von einer Behörde in Österreich etwas brauchen, wer macht das? Wer geht zu der Behörde, Sie oder Ihr Sohn (BF2)? BF1:

Entweder mein Sohn, oder ich. R: Bei welcher Gelegenheit, waren Sie schon bei der Behörde? BF1: Nein, das war noch nicht der Fall. R:

Warum gehen nicht Sie zur Behörde? BF1: Es gab keine Gelegenheit dazu. R: Sie brauchen keine Anträge etwa im Zusammenhang mit dem Schulbesuch Ihrer Kinder oder dem Bezug der Grundversorgung? BF1:

Bis jetzt musste ich nicht alleine hin. Ich hatte eine Dolmetscherin mit. R: Was haben Sie mit der Dolmetscherin bei der Behörde erledigt? BF1: Ich war zb mit ihr in der Schule. [..] RV: Ich habe es so verstanden, dass die Familie von einer Dari sprechenden Sozialbetreuerin unterstützt wird, die sie zb als Dolmetscherin zu diversen Terminen begleitet. [..]R: Gehen Sie alleine einkaufen, der werden Sie von Ihrem Sohn begleitet? BF1: Ich nehme XXXX mit. Er bringt mir bei, was wieviel kostet. [..]".)

 

Wenn die Erstbeschwerdeführerin an anderer Stelle in der mündlichen Verhandlung auch behauptete, alleine einkaufen zu gehen, ist auf die gegenteilige Aussage des Zweitbeschwerdeführers zu verweisen, wonach die Erstbeschwerdeführerin bei Einkäufen Unterstützung benötigt, weil sie die Preise auch nicht einordnen kann ("R: Geht Ihre Mutter auch alleine einkaufen? BF2: Sie ist schon mal alleine einkaufen gegangen und hat alles gekauft was ihr in den Sinn gekommen ist und dann hat das Geld nicht gereicht, deswegen geht sie jetzt nicht mehr alleine einkaufen. Sie könnte schon alleine gehen, aber sie würde das ganze Geld ausgeben, weil sie die Preise nicht kennt.").

 

Die überschaubaren Kontakte, die sie bislang gewonnen hat, bestehen zu Personen, mit denen sie im Zusammenhang mit der Betreuung ihrer Kinder bzw. integrationsfördernden Maßnahmen in Berührung gekommen ist (VH-Protokoll vom 30.05.2017 S. 13: "R: Mit welchen in Österreich dauerhaft aufenthaltsberechtigten Personen oder Familien sind Sie befreundet, bitte nennen Sie Vor- und Familiennamen bzw. deren Adressen. BF1: XXXX , XXXX . R: Wer ist das? BF1: Sie sind von unserem Ort. XXXX hat mich zu sich nach Hause eingeladen. Einmal hat mich XXXX Mutter XXXX zu einer Geburtstagsfeier eingeladen. XXXX ist wie ein Familienmitglied. R: Wie haben Sie diese Frauen kennengelernt? Wie sind Sie in Kontakt gekommen? BF1: Sie bringen mir Deutsch bei.").

 

Ihr Engagement als Köchin für den Verein " XXXX " und beim Nähprojekt des Vereins " XXXX " zeigt zwar ihr Bemühen um Integration, alleine daraus lässt sich jedoch kein Rückschluss auf den Wunsch nach einer selbstbestimme Lebensweise ziehen. Dies erstens, da sich ihr diese Möglichkeiten im Rahmen der Freiwilligenhilfe ihrer Gemeinde erschließen, sie sich diese Angebote also nicht in Eigeninitiative gesucht hat, und zweitens weil diese Aktivitäten, wie Kochen und Nähen, nicht über die ihr bereits in ihrem Herkunftsstaat vertrauten Tätigkeiten hinausgehen.

 

Bezüglich des Berufswunsches der Erstbeschwerdeführerin wird ebenfalls auf die Länderfeststellungen verwiesen, wonach sich seit dem Jahr 2001 die Erwerbstätigkeit von Frauen in Afghanistan stetig verbessert und im Jahr 2016 19% betragen hat. So ist es gemäß den Länderfeststellungen für Frauen zwar noch immer schwierig, Berufe zu ergreifen, dies jedoch primär außerhalb des Bildungs- und Gesundheitssektors. Eine Tätigkeit in diesen Bereichen ist also durchaus möglich, vor allem in XXXX . Zwar sind die Angaben der Beschwerdeführerin, einen Berufswunsch zu haben, nachvollziehbar, ein besonderes eigenes Engagement und eine klare Vorstellung, sowie eine konkrete Planung ihres Berufszieles waren in der mündlichen Beschwerdeführung jedoch nicht erkennbar. Der grundsätzliche Wunsch nach einem Beruf, der von der Erstbeschwerdeführerin erstmals in der Beschwerdeverhandlung vorgebracht wurde, kann aber keineswegs als ausschlaggebendes Motiv für eine "westliche Orientierung" angesehen werden, aus der eine Verfolgung im Heimatland abzuleiten wäre. Derart stereotype Aussagen müssten ansonsten automatisch dazu führen, dass Beschwerdeführerinnen in jedem Fall Asyl aufgrund der sozialen Gruppe "Frauen" zu gewähren wäre (vgl. VfGH 12.06.2015, Zl. E 573/2015-9; VwGH 06.07.2011, 2008/19/0994; VwGH 16.01.2008, 2006/19/0182; BVwG 09.12.2014, W123 2007531-1).

 

Die Erstbeschwerdeführerin bringt zwar vor, hier in Österreich selbstständig zu sein und selbst arbeiten zu wollen, damit niemand über sie bestimmt. Diese Aussage weicht jedoch auch erkennbar von ihrer Lebenswirklichkeit ab. Bezüglich ihres Berufswunsches gab die Erstbeschwerdeführerin an, dass sie der Beruf der Schneiderin interessieren würde, sie würde auch jede Art von Arbeit machen. Die Erstbeschwerdeführerin war jedoch in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage, der erkennenden Richterin nachvollziehbar darzulegen, dass sie fähig, selbständig Schritte zu setzen, diesen Berufswunsch auch in die Tat umzusetzen. Dabei ist sicher auch zu berücksichtigen, dass sie Analphabetin ist und trotz regelmäßiger Deutschkursbesuche seit August 2015 kaum Fortschritte beim Erlernen der deutschen Sprache gemacht hat; sie beherrscht auch nur einzelne, einfache Wörter, wie "Kochen" oder "Löffel". Erschwerend kommen dabei auch ihr Alter und die von ihr vorgebrachten gesundheitlichen Probleme hinzu ("R: Wir haben versucht uns ein bisschen auf Deutsch zu unterhalten. Ich sehe leider wenig Fortschritte. Wie stellen Sie sich das vor, dass Sie auf dem österreichischen Arbeitsmarkt eine Arbeit finden. Wie würden Sie das anstellen? BF1: Wenn man jeden Tag ein Stück glücklicher wird, dann lernt man auch was. Das hat eine Wirkung auf jeden. Ich lerne auch, aber ich vergesse es im nächsten Moment wieder. Das ist das Problem. R: Wenn Sie einen positiven Bescheid bekommen würden und arbeiten dürften, wie würden Sie das konkret angehen? Wohin gehen Sie, wohin wenden Sie sich? BF1: Meine Kinder bringen mir Deutsch bei. Ich kann einige Wörter zb Kochen, Löffel, sitzen, morgen. R: Wo würden Sie hingehen, wenn Sie tatsächlich arbeiten wollten? BF1: Ich würde jemanden Fragen, zb würde ich Sie, Frau Rat, fragen.").

 

Als Grund dafür, dass die Erstbeschwerdeführerin in Afghanistan keine Schul- oder Berufsausbildung absolvieren konnte, gab sie zunächst an, dass dort Frauen nicht in die Schule gehen könnten. Über Vorhalt der Länderinformationen, aus denen hervorgeht dass dies jedenfalls in Großstädten wie XXXX sehr wohl möglich sei, räumte sie schließlich ein, dass die Männer des Hauses dies den Frauen nicht erlauben würden. Frauen unterliegen in Afghanistan jedoch keinem generellen grundsätzlichen Verbot, jegliche grundlegende Bildung – etwa das Lesen und Schreiben - zu erwerben. Vielmehr würde ein solches Verbot den geltenden afghanischen Gesetzen widersprechen und ist jedenfalls auch nicht die landesweit übliche Einstellung. Ein entsprechender Wunsch der Beschwerdeführerin nach Bildung für sich oder ihre Töchter würde damit keine asylrelevante Verfolgung auslösen, zumal für die Beschwerdeführerin in nächster Zeit angesichts ihres Alters und ihres Bildungsstandes ohnehin kein höherer Bildungserwerb als die grundlegende Alphabetisierung in Frage kommt. Selbst wenn ihr Ehemann ihr dies vor ihrer Ausreise verboten hätte, stünde dieser Möglichkeit nach seinem Tod nun nichts entgegen, insbesondere als auch der mittlerweile volljährige Zweitbeschwerdeführer sich einem Bildungswunsch der weiblichen Familienmitglieder nicht verwehrt.

 

Darüber hinaus stellen sich die von ihr geäußerten Wünsche betreffend die (zukünftige) Bildung ihrer Töchter ebenfalls nicht als substanzieller Bruch mit den gesellschaftlichen Normen in Afghanistan dar, da zumindest grundlegende Bildung für Mädchen/Frauen keineswegs verboten, sondern seitens des afghanischen Staates auch ausdrücklich unterstützt wird, und jedenfalls in XXXX auch faktisch die Möglichkeiten dazu gegeben sind, was von der Erstbeschwerdeführerin auch nicht substantiiert bestritten wird. Wenn dazu auf die – auch durch die Traditionen – eingeschränkten tatsächlichen Möglichkeiten hingewiesen wird, ist wiederholt darauf hinzuweisen, dass der nunmehr volljährige Zweitbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung nicht dargelegt hat, sich einem Bildungswunsch der weiblichen Familienmitglieder grundsätzlich zu verwehren.

 

In der ersten mündlichen Verhandlung gab die Erstbeschwerdeführerin zu ihrem Leben in Afghanistan befragt auch an, dass, als ihr Mann noch am Leben war, sie ein "ordentliches Leben" geführt hätten ("BF1: Als mein Mann am Leben war, haben wir ein ordentliches Leben geführt. Nach seinem Tod war alles durcheinander.") In der fortgesetzten mündlichen Verhandlung gab sie dann zur Situation als Frau in Afghanistan befragt erstmalig an, dass es keinen Tag gegeben hätte, an dem sie nicht von ihrem Mann mit der Faust geschlagen worden sei, und hätte sie auch nicht länger schlafen dürfen. Dies ist als unglaubwürdiges, gesteigertes Vorbringen zu werten, das sich aus den Schilderungen bis zur fortgesetzten Verhandlung nicht ansatzweise ableiten ließ.

 

Überzogen und einstudiert, sohin auch nicht glaubhaft, wirkten auch manche Aussagen der Erstbeschwerdeführerin zur Lebenssituation der Familie in Österreich: Befragt, ob ihre Töchter einen österreichischen, christlichen Freund mit nach Hause nehmen dürften, antwortete die Erstbeschwerdeführerin etwa, dass sie, wenn sie selbst einen Österreicher fände, diesen auch nehmen würde.

 

In der Stellungnahme zur ersten mündlichen Verhandlung wurde von der Rechtsvertreterin der Erstbeschwerdeführerin auch vorgebracht, dass der Kleidungsstil den in Afghanistan geforderten Bekleidungsvorschriften widerspreche. Dabei ist zunächst anzumerken, dass sie an beiden Verhandlungstagen mit einem locker um den Kopf gebundenen Kopftuch, einem Rock und engen Hosen darunter in der Verhandlung erschienen ist. Es ist jedoch nicht anzunehmen, dass ihr dieser Kleidungsstil zumindest in den Großstädten Afghanistans, vor allem in XXXX , grundlegende Probleme bereiten würde. Anzumerken ist auch, dass die Erstbeschwerdeführerin auf den von ihr vorgelegten Fotos, auf denen sie gemeinsam mit ihren Bekannten in Österreich zu sehen ist, auch deutlich "verhüllter" zu sehen ist, als sie bei der Verhandlung erschienen ist. Ungeachtet dessen stellt der Kleidungsstil für sich alleine genommen ohnehin kein entscheidendes Kriterium für einen "westlichen Lebensstil" dar. Vielmehr sind die von der Erstbeschwerdeführerin tatsächlich gelebten Umstände maßgeblich für eine selbstbestimmte "westliche" Lebensweise. Die oben erörterten Gesichtspunkte sind zur Determinierung der inneren Geisteshaltung wesentlicher als die bloße nach außen wahrnehmbare Art der Bekleidung. Es müssen folglich weitere Umstände hinzutreten, um von einer "westlichen Orientierung" ausgehen zu können.

 

Zusammenfassend kann somit im Falle der Erstbeschwerdeführerin festgestellt werden, dass diese eine "westlichen Orientierung", der eine selbstbestimmte und -verantwortliche Lebensweise immanent ist, weder verinnerlicht hat noch auch nur ansatzweise in ihrer alltäglichen Lebensführung verankert ist. Sie hat erst im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgebracht, eine selbstbestimmte "westliche Lebensweise" anzustreben. Die Erstbeschwerdeführerin ist eine zum Entscheidungszeitpunkt in hohem Maße unselbständige Frau, (faktisch) ohne Deutschkenntnisse, deren Lebensführung in Österreich sich insgesamt nicht wesentlich von jenem unterscheidet, welchen sie über Jahre in Afghanistan führte (Haushaltsführung und Kinderbetreuung) und den sie – zumindest zu Lebzeiten ihres Ehemannes – auch nie als problematisch ansah. Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen und aus dem im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung gewonnenen Gesamteindruck, den die Erstbeschwerdeführerin an den Verhandlungstagen hinterlassen hat, lässt sich ein Bestreben bzw. eine Verinnerlichung einer "westlichen Lebensweise" nicht ableiten.

 

II.2.5.1. Bei der Viert- und der Fünftbeschwerdeführerin handelt es sich um acht- und neunjährige Mädchen, die als unmündige Minderjährige, bis zur ihrer Ausreise in Afghanistan aufwuchsen. Dass die beiden sich nach wie vor deutlich in einem anpassungsfähigen Alter befinden, ergibt sich zweifelsfrei aus der einschlägigen Judikatur des Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshofes.

 

Der neuerlichen Integration kann auch nicht entgegenstehen, dass die Viert- und der Fünftbeschwerdeführerinnen (wie in der Stellungnahme vom 11.04.2017 ausgeführt) sehr bemüht sind die österreichische Kultur und Umgangsformen kennenzulernen, an diversen Sportveranstaltungen teilnehmen und in einem gemischtgeschlechtlichen Schülerchor singen. Soweit ausgeführt wird, dass sich die beiden nicht vorstellen könnten, sich den in Afghanistan vorherrschenden, "Frauen unterdrückenden Regeln" wieder unterzuordnen und ihnen dies auch nicht zumutbar sei, so befinden sich die acht- und neunjährige Viert- und Fünftbeschwerdeführerin nach wie vor deutlich nicht in einem "maßgeblichen Sozialisationsalter". Darunter ist jenes Alter zu verstehen, in dem die Anpassungsfähigkeit abnimmt und eine eigenständige Sozialisation abseits der Familie in den Mittelpunkt der Lebensführung tritt. Außerdem ist festzuhalten, dass für die Viert- und die Fünftbeschwerdeführerin auch hier in Österreich auf Grund ihres noch länger währenden Status als unmündige Minderjährige, eine gesetzlich massiv beschränkte Rechts- und Geschäftsfähigkeit gilt, weshalb dem Versuch der Rechtsvertreterin, Kinder dieses Alters als selbstbestimmt agierende Frauen darzustellen, seitens des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls nicht gefolgt wird. Das Bundesverwaltungsgericht geht auch nicht davon aus, dass unmündigen Minderjährigen dieses Alters eine eigene politische Gesinnung zugesonnen werden kann.

 

Die Rechtsvertreterin der Beschwerdeführer trat in der Stellungnahme vom 11.04.2017 dem Länderinformationsbericht zum verbesserten Zugang zur Bildung für Mädchen in den afghanischen Großstädten entgegen. Es wurde angeführt, dass sich aus diesen kein klares Bild betreffend der Zahl von Mädchen, die aktuell eine Schule in Afghanistan besuchen, ergibt. Es ist hier noch einmal festzustellen, dass Frauen in Afghanistan keinem generellen grundsätzlichen Verbot unterliegen, jegliche grundlegende Bildung zu erwerben. In XXXX , wo laut den Länderberichten Frauen eingeschränkt selbst der Zugang zu universitärer Bildung offen steht, ist daher von einer grundsätzlichen Möglichkeit des Schulbesuches für Mädchen auszugehen. Die Erstbeschwerdeführerin räumte selbst über Nachfrage der Richterin in der mündlichen Verhandlungen ein, dass der Grund, weshalb ihre Töchter keine Schule besuchen durften, ihr Ehemann und ihre Söhne gewesen seien, sohin die Verantwortung für die fehlende Bildung der Frauen bei den Männern der Familie lag, wobei anzumerken ist, dass sich der nunmehr volljährige Zweitbeschwerdeführer nicht mehr generell gegen Bildung für die weiblichen Familienmitglieder ausspricht.

 

II.2.5.2. Hinsichtlich der Frage einer eventuell drohenden Zwangsheirat der Viert- und der Fünftbeschwerdeführerin ist festzuhalten, dass eine solche aus Gründen des Alters der Betroffenen (Mädchen im Alter von acht und neun Jahren) im Entscheidungszeitpunkt eine rein spekulative Mutmaßung hinsichtlich einer eventuell denkbaren zukünftigen Problematik ist. Eine Relevanz zum Entscheidungszeitpunkt ist damit schon aus diesem Grund nicht gegeben. Zudem widerspricht die zwangsweise Verheiratung von Kindern ebenso wie jene von Unmündigen dem afghanischen Recht und kann auch nicht als soziale Norm angesehen werden, deren Nichteinhaltung praktisch automatisch eine Verfolgung von asylrelevanter Intensität auslöst. Belege, auf die sich eine solche Annahme stützen könnte, wurden auch nicht in das Verfahren eingebracht. Im Übrigen kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass Frauen in Afghanistan ganz generell in Ehen gezwungen werden (und somit jede unverheiratete Frau von einem derartigen Schicksal betroffen wäre). In der Stellungnahme vom 11.04.2017 wird argumentiert, dass die Zwangsverheiratung der ältesten, in XXXX lebenden, Tochter der Erstbeschwerdeführerin als Indiz für eine etwaige Zwangsverheiratung der Viert- und der Fünftbeschwerdeführerin anzusehen sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass es immerhin die Entscheidung der Familie der Beschwerdeführer war, die älteste Tochter im Herkunftsstaat bei der Zweitfrau des verstorbenen Ehemannes zurückzulassen, und die Heirat der ältesten Tochter auch nach dem Vorbringen der Beschwerdeführer durch die Zweitfrau des verstorbenen Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin arrangiert wurde. Die Viert- und der Fünftbeschwerdeführerin würden allerdings nur im Familienverband mit der Erstbeschwerdeführerin und dem (volljährigen) Zweitbeschwerdeführer nach Afghanistan zurückkehren. Die Erstbeschwerdeführerin hat sich in der mündlichen Verhandlung explizit gegen eine Zwangsverheiratung ihrer Töchter ausgesprochen und der Zweitbeschwerdeführer, der als ältestes männliches Familienmitglied das Familienoberhaupt darstellen würde, wäre in der Position, ein etwaiges Heiratsangebot abzulehnen.

 

Vollständigkeitshalber sei erwähnt, dass die Erstbeschwerdeführerin auch nicht allein auf Grund ihres reifen Alters und ihrer Mittellosigkeit bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat maßgeblich von Zwangsverheiratung bedroht wäre. Dies wurde weder von ihr noch von ihrer Rechtsvertreterin substantiiert vorgebracht. Auch hier wäre der volljährige Zweitbeschwerdeführer als Familienoberhaupt in der Position, ein etwaiges Heiratsangebot abzulehnen.

 

II.2.5.3. Außerdem wurde in der Stellungnahme vorgebracht, dass die Erstbeschwerdeführerin und ihre Töchter bei einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat, insbesondere mangels ausreichenden Schutzes durch männliche Familienmitglieder, massiven Einschränkungen und Diskriminierungen ausgesetzt wären. Wie bereits erwähnt, würde eine Rückkehr der Beschwerdeführer nur im Familienverband erfolgen, daher würde der Zweitbeschwerdeführer als ältestes männliches, nunmehr auch volljähriges, Familienmitglied, die Rolle des Familienoberhauptes übernehmen, sodass die weiblichen Familienmitglieder auch nicht als "alleinstehend" zu betrachten sind.

 

Eine Verfolgung von Frauen und Mädchen in Afghanistan allein aufgrund ihres Geschlechts ist den substanziell unbestrittenen Feststellungen zur Situation der Frauen in Afghanistan nicht zu entnehmen. Eine weitreichende Diskriminierung dieser Gruppe besteht jedoch unstrittig. Diese geht allerdings nicht so weit, dass sie jedenfalls, überwiegend oder auch nur in größerem Umfang eine Verletzung oder Gefährdung des Rechts auf Leben oder des Schutzes vor Folter und unmenschlicher Behandlung darstellt. Den im Rahmen der Stellungnahme vom 11.04.2017 ergänzend, zu der allgemeinen Lage der Frauen, vorgebrachten UNHCR-Richtlinien lässt sich eine generelle Verfolgung von Frauen und/oder Mädchen ohne das Hinzutreten eines spezifisches Verfolgungselementes, das in Bezug auf die Beschwerdeführerinnen nicht glaubhaft gemacht werden konnte, nicht entnehmen. Schließlich ist auch der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes nicht zu entnehmen, dass in Bezug auf Frauen/Mädchen in Afghanistan ohne Hinzutreten weiterer spezifischer Faktoren allein aufgrund ihres Geschlechts das reale Risiko besteht, im Herkunftsstaat ermordet, gefoltert oder unmenschlich behandelt zu werden.

 

II.2.6. Die Beschwerdeführer waren daher insgesamt nicht in der Lage, mit ihren jeweiligen Vorbringen eine asylrelevante Bedrohung geltend zu machen (vgl. dazu auch noch näher im Rahmen der Rechtlichen Beurteilung).

 

II.2.7. Dass die Beschwerdeführer bei einer allfälligen Rückkehr nach XXXX mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde, ergibt sich aus einer Zusammenschau der wiedergegebenen Länderberichte und insbesondere den festgestellten persönlichen Umständen und familiären (finanziellen) Verhältnissen der Beschwerdeführer; auf die näheren Ausführungen dazu im Rahmen der Rechtlichen Beurteilung wird an dieser Stelle verwiesen.

 

II.2.8. Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Es handelt sich dabei um aktuelle Berichte diverser anerkannter staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen bzw. Organisationen und bieten diese ein in inhaltlicher Hinsicht grundsätzlich übereinstimmendes und ausgewogenes Bild zur Situation in Afghanistan. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen Berichte älteren Datums zugrundeliegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation fallrelevant nicht wesentlich geändert haben.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

 

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

 

Da in den anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen keine gegenteiligen Bestimmungen enthalten sind, liegt gegenständlich somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

 

Zu A) II.3.1. Zu Spruchpunkt I der angefochtenen Bescheide:

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

 

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde.

 

Anhand dieses Maßstabes ist auch zu ermitteln, ob eine asylrelevante Verfolgung wegen Zugehörigkeit zu einer bestimmten (etwa ethnischen) Gruppe glaubhaft ist. Dabei spielen Häufigkeit und Intensität der bereits dokumentierten Übergriffe auf Mitglieder dieser Gruppe im Herkunftsstaat eine wesentliche Rolle.

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (vgl. VwGH v. 09.03.1999, Zl. 98/01/0370). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH v. 23.09.1998, Zl. 98/01/0224).

 

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet.

 

Die Verfolgungsgefahr muss auch aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass eine Person bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung ("Vorverfolgung") für sich genommen nicht hinreichend. Es ist entscheidend, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts weiterhin mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen gerechnet werden muss (vgl. aktuell VwGH 03.05.2016, Ra 2015/18/0212, mwN).

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren. Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (VwGH 16.11.2016, Ra 2016/18/0233, mwN).

 

II.3.1.1. Ausgehend von diesen rechtlichen Voraussetzungen ergibt sich für den konkreten Fall Folgendes:

 

Wie im Rahmen der Beweiswürdigung bereits ausführlich erörtert, konnten die Beschwerdeführer ihr Fluchtvorbringen hinsichtlich der drohenden Verfolgung durch die mutmaßlichen Mörder des Ehemannes/Vaters der Beschwerdeführer, auch im Zusammenhang mit Grundstücksstreitigkeiten, insgesamt nicht glaubhaft machen.

 

Darüber hinaus und abgesehen davon, sind sowohl Erbschafts- und/oder Grundstücksstreitigkeiten als auch kriminell motivierte Verfolgung – so etwa Verfolgung aus Rache wegen einer erstatteten Anzeige - grundsätzlich nicht auf einen der in der GFK genannten Gründe zurückzuführen (VwGH 14.01.2003, 2001/01/0432 mwH; 18.11.2015, Ra 2014/18/0162).

 

Ebenso darüber hinaus und abgesehen von der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens, kommt der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes folgend, einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung schließlich nur dann Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, solche Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat dann asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren.

 

Im konkreten Fall haben die Beschwerdeführer selbst – durch Vorlage entsprechender Dokumente – dargetan, dass die Behörden in XXXX nach Erstattung der Anzeige tätig geworden sind, Ermittlungen in Gang gesetzt wurden und es jedenfalls zu einer Verurteilung in erster Instanz gekommen ist.

 

Im vorliegenden Fall kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die dort ansässigen Behörden generell bei Übergriffen und Bedrohungen durch Privatpersonen schutzunfähig oder schutzunwillig wären; es haben sich im konkreten Fall der Beschwerdeführer auch keine substantiierten Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Polizei oder Gerichte untätig geblieben oder aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit wären, Schutz zu gewähren.

 

Lediglich ergänzend ist anzumerken, dass die Polizei zwar nicht in jedem Fall im Stande sein wird, ein Verbrechen (bzw. eine gerichtlich strafbare Handlung) bereits von Vornherein zu verhindern oder in der Folge lückenlos aufzuklären, dies jedoch nicht als Argument für ein völliges Fehlen staatlichen Schutzes herangezogen werden kann. Auch aus dem Umstand, dass polizeiliche Erhebungen längere Zeit andauern und unter Umständen auch erfolglos bleiben können, kann weder auf eine mangelnde Schutzfähigkeit noch auf die fehlende Schutzwilligkeit der Behörden geschlossen werden.

 

II.3.1.2. Zur vorgebrachten Verfolgung der Erstbeschwerdeführerin, der Viertbeschwerdeführerin und der Fünftbeschwerdeführerin auf Grund ihrer politisch-religiösen Gesinnung und ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der afghanischen Frauen die selbstbestimmt leben möchten sowie ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der (alleinstehenden) afghanischen Frauen bzw. Mädchen, die von Zwangsheirat bedroht sind:

 

Die bloße Tatsache, dass die Erstbeschwerdeführerin eine afghanische Frau ist, ist für sich alleine genommen ohne Berücksichtigung ihrer konkreten und individuellen Lebensumstände im Herkunftsstaat, ihrer persönlichen Einstellung und Wertehaltung, ihrem bisherigen Verhalten, sowie ohne gesamtheitliche Beurteilung der Glaubhaftigkeit ihres individuellen Fluchtvorbringens nicht ausreichend, um mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von einer asylrelevanten Verfolgung ausschließlich aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe ausgehen zu können.

 

Im Hinblick auf die derzeit vorliegenden herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen zur allgemeinen Lage von Frauen in Afghanistan haben sich keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass alle afghanischen Frauen gleichermaßen bloß auf Grund ihres gemeinsamen Merkmals der Geschlechtszugehörigkeit und ohne Hinzutreten weiterer konkreter und individueller Eigenschaften im Falle ihrer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr laufen würden, einer Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe ausgesetzt zu sein. In diesem Zusammenhang ist überdies darauf hinzuweisen, dass sich laut jüngsten Länderberichten die Situation der Frauen seit dem Ende der Taliban-Herrschaft erheblich verbessert hat.

 

Bezogen auf Afghanistan führt die Eigenschaft des Frau-Seins an sich gemäß der ständigen Judikatur der Höchstgerichte nicht zur Gewährung von Asyl. Lediglich die Glaubhaftmachung einer persönlichen Wertehaltung, die sich an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild (selbstbestimmt leben zu wollen) orientiert, wird als asylrelevant erachtet; bzw. ist zu prüfen, ob westliches Verhalten oder westliche Lebensführung derart angenommen und wesentlicher Bestandteil der Identität einer Frauen geworden ist, dass es für diese eine Verfolgung bedeuten würde, dieses Verhalten unterdrücken zu müssen (VfGH 12.06.2015, Zl. E 573/2015-9).

 

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes können Frauen Asyl beanspruchen, die aufgrund eines gelebten "westlich" orientierten Lebensstils bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat verfolgt würden (vgl. etwa VwGH vom 28.05.2014, 2014/20/0017-0018). Gemeint ist damit eine von ihnen angenommene Lebensweise, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt. Voraussetzung ist, dass diese Lebensführung zu einem solch wesentlichen Bestandteil der Identität der Frauen geworden ist, dass von ihnen nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken, um einer bedrohenden Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden politischen und/oder religiösen Normen zu entgehen (VwGH 22.03.2017, 2016/17/0388).

 

Wie in der Beweiswürdigung ausgeführt wurde, konnte im Fall der Erstbeschwerdeführerin jedoch nicht festgestellt werden, dass diese seit ihrer Einreise nach Österreich im August 2015 eine Lebensweise angenommen hat, die einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde, somit eine "westliche" Lebensführung angenommen hat, der ein wesentlicher Bestandteil ihrer Identität wurde, und mit dem sie mit den sozialen Gepflogenheiten des Heimatlandes brechen würden. Den bisherigen Aktivitäten bzw. der Lebensweise der Erstbeschwerdeführerin seit ihrer Einreise ist insgesamt nicht zu entnehmen, dass diese einen derartigen "westlichen", selbstbestimmen Lebensstil anstrebt oder bereits pflegt. Auch eine entsprechende innere Wertehaltung konnte nicht glaubhaft gemacht werden. Infolgedessen verletzt die Erstbeschwerdeführerin mit ihrer Lebensweise die herrschenden sozialen Normen in Afghanistan nicht in einem Ausmaß, dass ihr bei einer Rückkehr (unter Beibehaltung des derzeitigen Lebensstils) eine Verfolgung iSd Genfer Flüchtlingskonvention drohen würde.

 

Auch hinsichtlich der Viert- und der Fünftbeschwerdeführerin kann eine gegründete Furcht vor Verfolgung aus Gründen der GFK – und insbesondere aufgrund einer (zukünftigen) Werthaltung, die mit den gesellschaftlichen Normen Afghanistans in einem Ausmaß unvereinbar wäre, dass sie eine asylrelevante Verfolgung auslösen würde – nicht festgestellt werden. Dies insbesondere, weil es sich um Minderjährige im zweifelsfrei anpassungsfähigen Alter (von acht bzw. neun Jahren) handelt, denen eine Wiedereingliederung in das oder ein Aufwachsen im afghanischen Normensystem zumindest unter dem Aspekt des Fehlens einer drohenden asylrelevanten Verfolgung zumutbar wäre.

 

Das Vorbringen einer eventuell drohenden Zwangsverheiratung der Viert- und Fünftbeschwerdeführerin konnte auf Grund ihres jungen Alters wegen mangelnder Relevanz im Entscheidungszeitpunkt ebenfalls nicht festgestellt werden. Darüber hinaus ist die Zwangsverheiratung von Kindern oder Unmündigen unter 16 Jahren weder vom afghanischen Recht gedeckt noch als soziale Norm derart verankert, dass deren Nichteinhaltung praktisch automatisch eine Verfolgung von asylrelevanter Intensität auslöst.

 

Aus den vorliegenden Länderberichten sowie dem notorischen Amtswissen ist zudem nicht ableitbar, dass allein ein längerer Aufenthalt im (westlichen) Ausland bei einer Rückkehr nach Afghanistan bereits mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung asylrelevanter Intensität auslöst (vgl. hierzu auch die Ausführungen in BVwG 07.11.2016, W169 2007031-1); die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt dafür nicht (so z.B. VwGH 10.11.2015, 2015/19/0185, mwN).

 

II.3.1.3. Zuletzt ist festzuhalten, dass die allgemeine Lage in Afghanistan auch nicht dergestalt ist, dass bereits jedem, der sich dort aufhält, der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werden müsste (vgl. etwa AsylGH 07.06.2011, C1 411.358- 1/2010/15E, sowie den diesbezüglichen Beschluss des VfGH vom 19.09.2011, 1500/11-6). Im Urteil vom 09.04.2013, H. und B. gg. das Vereinigte Königreich, Zl. 70073/10 u. 44539/11, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgehalten, dass in Afghanistan derzeit keine Situation allgemeiner Gewalt herrscht ("Consequently, the Court does not consider that there is currently in Afghanistan a general situation of violence such that there would be a real risk of ill-treatment simply by virtue of an individual being returned there.") und Personen, die nur ein sogenanntes "low profile" aufweisen, selbst nach vorhergehender Tätigkeit für internationale Truppen oder internationale Organisationen nicht generell eine gezielte Verfolgung durch Taliban befürchten müssen.

 

Zudem hat der Verwaltungsgerichtshof im Beschluss vom 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, auf die Rechtsprechung des EGMR in jüngst ergangenen Urteilen hingewiesen, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert sei, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßen würde, unter Bezugnahme auf die Urteile des EGMR jeweils vom 12.01.2016, jeweils gegen Niederlande S. D. M. Nr. 8161-07; A. G. R. Nr. 13442-08; A. W. Q. und D. H., Nr. 25-077/06; S. S., Nr. 39575/06; M. R. A. ua., Nr. 46856-07 (vgl. auch VwGH 18.03.2016, 2015/01/0255; VwGH 13.09.2016, 2016/01/0096).

 

Sofern die Beschwerdeführer Afghanistan (auch) aus wirtschaftlichen Gründen verlassen haben sollten, ist festzuhalten, dass in allgemeinen schlechten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen keine Verfolgung gesehen werden kann (vgl. VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0597 unter Bezugnahme auf VwGH 24.10.1996, Zl. 95/20/0321, 0322; VwGH 17.02.1993, Zl. 92/01/0605) und eine existenzgefährdende Schlechterstellung der Beschwerdeführer/innen aus Gründen der GFK nicht ersichtlich ist.

 

Im Ergebnis wurde somit eine asylrelevante Verfolgung der Beschwerdeführer nicht dargelegt.

 

Daher waren die Beschwerden der Beschwerdeführer gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abzuweisen.

 

II.3.2. Zu Spruchpunkt II der angefochtenen Bescheide:

 

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

 

Nach § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz von Asylwerbern, denen in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden kann, und denen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann, abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.

 

Bei der Prüfung, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative gegeben ist, ist auf die allgemeinen Gegebenheiten des Herkunftsstaates und auf die persönlichen Umstände der Asylwerber zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag abzustellen (§ 11 Abs. 2 AsylG 2005).

 

Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

 

Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können aber besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaates im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 MRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen. In diesem Fall kann das reale Risiko der Verletzung von Art. 2 oder 3 MRK oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Person infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bereits in der Kombination der prekären Sicherheitslage und der besonderen Gefährdungsmomente für die einzelne Person begründet liegen (VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016, mwN).

 

Der VwGH hat in seiner jüngeren, zum Herkunftsstaat Afghanistan ergangenen Rechtsprechung wiederholt und unter Bezugnahme auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des EGMR ausgesprochen, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 MRK widersprechende Behandlung drohen würde. Es reicht nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen (VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016, mwN).

 

Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. etwa VwGH vom 19.02.2004, 99/20/0573). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde. Die bloße Möglichkeit eines realen Risikos oder Vermutungen, dass der Betroffene ein solches Schicksal erleiden könnte, reichen nicht aus. Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Beurteilung des Vorliegens eines tatsächlichen Risikos eine ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des "real risk", wobei sich die Gefahrenprognose auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. VwGH 31.03.2005, 2002/20/0582; 31.05.2005, 2005/20/0095).

 

Die Prüfung des Vorliegens einer realen Gefahr im Sinn des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 stellt eine rechtliche Beurteilung dar, die auf Basis der getroffenen Feststellungen zu erfolgen hat (VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016, mwN).

 

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 25.05.2016, Ra 2016/19/0036, mwN; 08.09.2016, Ra 2016/20/006).

 

Aus den im Verfahren herangezogenen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen ergibt sich, dass die aktuelle Situation in Afghanistan unverändert weder sicher noch stabil ist, doch variiert dabei die Sicherheitslage regional von Provinz zu Provinz und innerhalb der Provinzen von Distrikt zu Distrikt. Die allgemeine Situation in Afghanistan ist allerdings nicht so gelagert, dass die Ausweisung dorthin automatisch gegen Art. 3 MRK verstoßen würde (VwGH 25.04.2017, Ra 2017/01/0016, mwN).

 

Aus den Feststellungen zur Sicherheitslage in der Provinz und Stadt XXXX kann nicht abgeleitet werden, dass für jede dort lebende oder dorthin zurückkehrende Person das reale Risiko einer Verletzung der durch Art. 2 und 3 EMRK sowie Protokoll Nr. 6 zur EMRK geschützten Güter mit einer derartigen Wahrscheinlichkeit droht, dass dies zur Gewährung von subsidiärem Schutz führen müsste.

 

Was die Sicherheitslage betrifft, ist festzuhalten, dass die afghanische Regierung die Kontrolle über XXXX , größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren hat. Seit August 2008 liegt die Sicherheitsverantwortung für den städtischen Bereich der Provinz XXXX nicht länger in den Händen von ISAF, sondern bei der afghanischen Armee und Polizei. Diesen ist es nach anfänglichen Schwierigkeiten im Jahr 2010 gelungen, Zahl und Schwere sicherheitsrelevanter Zwischenfälle deutlich zu reduzieren, auch wenn es dort weiter zu vereinzelten Anschlägen kommt.

 

XXXX ist eine für Normalbürger, die nicht mit Ausländern zusammenarbeiten, vergleichsweise sichere und über den jeweiligen Flughafen gut erreichbare Stadt. Innerhalb XXXX existieren in verschiedenen Vierteln freilich unterschiedliche Sicherheitslagen. Aus den entsprechenden Länderberichten ergibt sich, dass sich die in der Stadt XXXX verzeichneten Anschläge hauptsächlich im Nahebereich staatlicher Einrichtungen bzw. Gebäuden mit ausländischem Hintergrund (etwa Regierungs- und Polizeigebäude) oder NGOs ereignen, wie sich auch am aktuellen Anschlag vom 31.05.2017 in XXXX , nahe der deutschen Botschaft bzw. in der Umgebung anderer Vertretungen sowie des afghanischen Präsidentenpalastes, zeigt (vgl. zB. "Die Presse" vom 31.05.2017, "Dutzende Tote und schwere Verwüstungen nach Anschlag in XXXX ").

 

Diese Gefährdungsquellen sind jedoch in reinen Wohngebieten nicht anzunehmen, weshalb bei der derzeitigen Gefahrenlage für die Beschwerdeführer noch keine stichhaltigen Gründe für ein reales Risiko der Verletzung seiner durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte vorliegt bzw. liegt deshalb noch keine ernsthafte Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts vor (VwGH 25.04.2017, 2017/01/0016, mwN).

 

Hinsichtlich der in Afghanistan vorherrschenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen der Bevölkerung ist auszuführen, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich ist. Die soziale Absicherung liegt traditionell bei den Familien und Stammesverbänden.

 

Für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan reicht es allerdings nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen, sondern es müssen vom Betroffenen auch individuelle Umstände glaubhaft gemacht werden, die im Fall der Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 3 EMRK für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen.

 

II.3.3.1 Solche Umstände konnte die Erstbeschwerdeführerin im Verfahren darlegen:

 

Bei der Erstbeschwerdeführerin handelt es sich um eine verwitwete Frau, die Sorgepflichten für vier unmündige minderjährige Kinder hat. Sie hat weder eine Schulbildung noch eine Berufsausbildung und wurde Zeit ihres Lebens von männlichen Familienmitgliedern für ihren Lebensunterhalt gesorgt. Sie hat sich in ihrem Herkunftsstaat um den Haushalt gekümmert und hat keinerlei berufliche Erfahrung gesammelt. Bis zum Tod ihres Ehemannes sorgte dieser als Familienoberhaupt für die Familie und nach dessen Tod kam ihr ältester Sohn für den Unterhalt der Familie auf, der sich aber mittlerweile im Iran befindet. Dass die Erstbeschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach XXXX von ihrem Sohn aus dem Iran oder sonst für eine mehrköpfige Familie mit minderjährigen Kindern hinreichend finanzielle Unterstützung erlange könnte, ließ sich nicht ermitteln.

 

In ihrem Herkunftsort XXXX lebt zwar ihre verheiratete, etwa sechzehnjährige Tochter, bei der Familie ihres Ehemannes. Die Beschwerdeführer konnten aber nachvollziehbar darlegen, dass ihnen dort weder Wohnraum zu Verfügung steht, noch, dass sie finanzielle Unterstützung für eine sechsköpfige Familie erhalten können. Die Zweitfrau ihres verstorbenen Ehemannes und ihre Kinder, mit denen sie vor der Ausreise zusammen gewohnt haben, hat XXXX ebenfalls verlassen, und lebt in Maidan Wardak, einer volatilen Provinz. Es kann daher im konkreten Fall nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführer über soziale oder familiäre Anknüpfungspunkte in XXXX verfügen, wobei es sich dabei um einen Umstand handelt, der auch gemäß der aktuellen Judikatur des VfGH (23.02.2017, E 1197/2016-12) bedeutsam ist.

 

Das Haus, in dem die Beschwerdeführer vor ihrer Ausreise gelebt haben, hat der älteste Sohn verkauft, um für die Schlepperkosten aufzukommen, somit hätten sie bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat weder eine Unterkunft noch finanzielle Ressourcen. Zudem sind die vier minderjährigen Kinder der Erstbeschwerdeführerin aufgrund ihres jungen Alters (sieben, acht, neun und elf Jahren) in einem besonderen Ausmaß von einer Betreuung durch die sie abhängig, weshalb unter Beachtung der aktuellen Lage in Afghanistan, auch in XXXX , der mittlerweile unzureichenden familiären bzw. sozialen Anknüpfungspunkte der Erstbeschwerdeführerin in XXXX , sowie unter Berücksichtigung der bei ihr diagnostizierten Erkrankungen nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden kann, dass sie als alleinerziehende Mutter in der Lage ist, den unbedingt notwendigen Unterhalt ihrer Familie zu erwirtschaften. Der Zweitbeschwerdeführer ist zwar ein junger, mittlerweile volljähriger, arbeitsfähiger, gesunder Mann, jedoch auch ohne Berufsausbildung oder Berufserfahrung, bei dem nicht davon ausgegangen werden kann, dass er angesichts seiner fehlenden Schul- und Berufsbildung und- Berufserfahrung eine insgesamt sechsköpfige Familie ernähren kann.

 

Auf Grundlage der in festgestellten, individuellen, familiären Situation der Erstbeschwerdeführerin sowie den wirtschaftlichen und allgemeinen Rahmenbedingungen für ihre erforderliche Versorgung im Herkunftsstaat gelangt das Bundesverwaltungsgericht daher in Gesamtschau zum Ergebnis, dass eine Rückverbringung der Erstbeschwerdeführerin nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine "reale Gefahr" einer Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten würde.

 

Daher war der Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattzugeben und der Erstbeschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen.

 

II.3.3.2 Subsidiärer Schutz betreffend den Zweitbeschwerdeführer, den Drittbeschwerdeführer, die Viertbeschwerdeführerin, die Fünftbeschwerdeführerin und den Sechstbeschwerdeführer im Familienverfahren:

 

Nach § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder im Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

 

Der vom Gesetzgeber verwendete Begriff "Kinder" erfasst in diesem Zusammenhang auch Adoptiv- und Stiefkinder (VwGH vom 22.12.2005, 2002/20/0514). Da die Definition von "Familienangehörigen" in § 2 Z 22 AsylG 2005, auf den § 34 Abs. 1 AsylG 2005 verweist, insoweit wortgleich jener in § 1 Z 6 AsylG idF AsylG-Novelle 2003 entspricht, auf welche § 10 Abs. 1 AsylG idF AsylG-Novelle 2003 Bezug nahm, ist an dieser Rechtsprechung auch für das AsylG 2005 festzuhalten (VwGH 24.03.2011, 2008/23/1338). An der soeben zitierten Judikatur ist auch im Hinblick auf die Novellierung des § 34 Abs. 1 AsylG 2005 mit BGBl. I Nr. 87/2012, der nun keinen Verweis auf § 2 Abs. 1 Z 22 mehr enthält, festzuhalten (vgl. RV 1803 BlgNR 24. GP , 43).

 

Stellt ein Familienangehöriger iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser gemäß § 34 Abs. 1 leg.cit. als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes. Die Behörde hat gemäß § 34 Abs. 2 leg.cit. auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3 leg.cit.), die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens iSd Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7 leg.cit.).

 

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang.

 

Die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer sind die leiblichen minderjährigen Kinder der Erstbeschwerdeführerin. Der Zweitbeschwerdeführer ist der leibliche mittlerweile volljährige Sohn der Erstbeschwerdeführerin, der jedoch zum Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährig war. Der Sechstbeschwerdeführer ist das minderjährige leibliche Kind des verstorbenen Ehegatten der Erstbeschwerdeführerin mit seiner Zweitfrau, und daher als Stiefsohn der Erstbeschwerdeführerin anzusehen. Der Zweitbeschwerdeführer bis Sechstbeschwerdeführer sind somit Familienangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 iVm. § 34 Abs. 2 AsylG 2005.

 

Zwischen dem Zweitbeschwerdeführer bis Sechstbeschwerdeführer und ihrer Mutter besteht ein aufrechtes Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK. Im gesamten Verfahren haben sich keinerlei Anhaltspunkte dahingehend ergeben, dass den Beschwerdeführern die Führung des Familienlebens in einem anderen Staat zumutbar oder möglich wäre.

 

Die Zweitbeschwerdeführer bis Sechstbeschwerdeführer sind nicht straffällig geworden. Gegen die Erstbeschwerdeführerin, der der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, ist ein Verfahren zur Aberkennung dieses Status gemäß § 7 AsylG 2005 nicht anhängig.

 

Der Erstbeschwerdeführerin wurde mit heutigem Erkenntnis der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Da im gegenständlichen Fall alle gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, war dem Zweitbeschwerdeführer bis Sechstbeschwerdeführer im Familienverfahren der Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 zuzuerkennen.

 

II.3.3. Zu Spruchpunkt III. der angefochtenen Bescheide:

 

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, von der zuerkennenden Behörde gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gilt ein Jahr und wird im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom BFA für jeweils zwei weitere Jahre verlängert. Nach einem Antrag des Fremden besteht die Aufenthaltsberechtigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verlängerung des Aufenthaltsrechts, wenn der Antrag auf Verlängerung vor Ablauf der Aufenthaltsberechtigung gestellt worden ist.

 

Im gegenständlichen Fall war dem den Beschwerdeführern der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuzuerkennen.

 

Daher war den Beschwerdeführern gemäß § 8 Abs. 4 AsylG gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte jeweils für die Dauer eines Jahres zu erteilen.

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