BVwG W119 2142462-1

BVwGW119 2142462-124.4.2017

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2017:W119.2142462.1.00

 

Spruch:

W119 2142462-1/10E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a EIGELSBERGER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA: Afghanistan, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Leibnitz, Kinder- und Jugendhilfe, vertreten durch Mag. Marie-Luise KROBATH-FUCHS, Caritas, Diözese Graz-Seckau, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11. 11. 2016, Zl 1051738803-150163379/BMI-BFA_STM_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15. 2. 2017, zu Recht erkannt:

 

A)

 

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

Der minderjährige Beschwerdeführer stellte am 11. 2. 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Im Zuge der am 13. 2. 2017 bei der Polizeiinspektion Traiskirchen durchgeführten Erstbefragung nach dem AsylG gab der Beschwerdeführer zunächst an, der Volksgruppe der Hazara anzugehören und aus der Provinz Ghazni zu stammen. Er sei vor zwei Jahren mit seiner Mutter in den Iran gereist. Der Grund habe darin bestanden, dass Ghazni eine unsichere Provinz sei, in der auch Taliban aufhältig seien. Sein Vater sei bei einer Explosion in der Stadt Ghazni ums Leben gekommen.

 

Der Beschwerdeführer wurde am 30. 8. 2016 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) einvernommen. Dort gab er eingangs an, ungefähr elf oder zwölf Jahre alt gewesen zu sein, als er Afghanistan verlassen habe. Er wisse nicht, ob er in Afghanistan Verwandte besitze. Auf die Frage, ob er etwas von seiner Mutter gehört habe, gab er an, zu wissen, dass sie im Iran aufhältig sei. Er habe ein - oder zweimal mit ihr gesprochen, das letzte Mal vor ungefähr zwei oder drei Monaten. Er sei gemeinsam mit seiner Mutter aus Afghanistan ausgereist. Nachbarn hätten ihnen bei der Flucht geholfen. An der iranisch-türkischen Grenze seien sie getrennt worden. Er wisse jedoch, dass sie nunmehr wieder in Teheran lebe. Zu seinen Fluchtgründen führte der Beschwerdeführer aus, dass sich in seinem Heimatgebiet sehr viele Taliban befunden hätten. Daher habe seine Mutter beschlossen, das Land zu verlassen. Sein Vater sei bereits gestorben. Dieser sei Taxifahrer gewesen. Auf dem Weg nach Kabul dürfte sein Vater bei einem Anschlag ums Leben gekommen sein. Er habe in Afghanistan keine Schule besucht. Nach dem Tod seines Vaters habe es seine Mutter irgendwie geschafft, sie beide über die Runden zu bringen. Er habe im Iran als Schweißer gearbeitet. Er habe den Iran deshalb verlassen, weil er dort die Schule nicht habe besuchen dürfen. Im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan habe er Angst vor dem Krieg.

 

Mit Schriftsatz vom 9. 9. 2016 erstattete der gesetzliche Vertreter des Beschwerdeführers eine Stellungnahme, in der auf die aktuelle Sicherheitslage in Afghanistan Bezug genommen wurde, insbesondere auf das verstärkte Auftreten der Taliban in der Heimatprovinz des Beschwerdeführers. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass dort Hazara entführt und getötet werden würden.

 

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 11. 11. 2016, Zl 1051738803-150163379/BMI-BFA_STM_RD, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

 

Begründend wurde zu Spruchpunkt I ausgeführt, dass sich unter Zugrundelegung der Angaben des Beschwerdeführers keine individuelle Verfolgungssituation durch oder in seinem Herkunftsstaat erkennen lasse, die unter die Bestimmungen der GFK zu subsumieren wäre. Es sei plausibel und glaubwürdig, dass der Beschwerdeführer wegen der dort allgemein herrschenden Lage verlassen habe. Nicht glaubhaft sie jedoch eine Bedrohung durch die Taliban aufgrund der vagen und allgemeingehaltenen Angaben des Beschwerdeführers, zumal er eine individuelle Bedrohung oder Verfolgung dezidiert verneint habe. Auch habe der Beschwerdeführer eine Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara weder substantiiert vorgebracht noch würden sich hierfür Hinweise aus den aktuellen Länderberichten ergeben.

 

Zu Spruchpunkt II wurde dargetan, dass das Bundesamt im Fall des Beschwerdeführers von einer realen Gefahr einer Bedrohung ausgehe. Afghanistan befinde sich in einer schwierigen Phase und es sei daher eine Prüfung unter Zugrundelegung des Zumutbarkeitskalküls geboten. Die derzeitige Lage in Afghanistan und die Berücksichtigung individueller Faktoren wie Alter, Bildungsgrad, Berufsausübung, Volksgruppe würde das Bundesamt zum Schluss kommen lassen, dass dem Beschwerdeführer objektiv die Lebensgrundlage in seinem Herkunftsstaat entzogen sei.

 

Mit Verfahrensanordnung vom 14. 11. 2016 wurde dem Beschwerdeführer die ARGE-Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe amtswegig als Rechtsberaterin zur Seite gestellt.

 

Gegen diesen Bescheid erhob der gesetzliche Vertreter des Beschwerdeführers mit Schriftsatz vom 9. 12. 2016 gegen Spruchpunkt I des Bescheides Beschwerde. Darin wurde ausgeführt, dass es sich beim Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers um ein Gebiet mit hoher Talibanpräsenz handle. Es müsse daher als ausreichend wahrscheinlich angenommen werden, dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in seine Heimatprovinz von den Taliban verfolgt und sogar getötet werden würde, zumal er insbesondere durch seine Flucht in einen westlichen Staat zum Ausdruck gebracht hat, dass es sich gegen deren politische Ziele stelle und die Extremisten im Kampf nicht unterstützen werde. Spätestens damit würde er in den besonderen Fokus der Taliban als "Staatsfeind" geraten.

 

Weiters wurde darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer der Volksgruppe der Hazara angehöre, deren Lage sich zusehends verschlechtere, da die Taliban und andere regierungsfeindliche Truppen verstärkt Hazara angreifen würden.

 

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 15. 2. 2017 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt nicht teilgenommen hat. Der Beschwerdeführer gab eingangs an, im Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Ghazni gelebt zu haben. Er habe mit seiner Familie in einem Mietshaus gelebt. Er glaube nicht, dass er in anderen Städten Afghanistans Verwandte habe. Sein Vater sei Taxifahrer gewesen und habe Leute chauffiert. Er sei vor circa fünf oder sechs Jahren ums Leben gekommen. Seine Mutter habe ihm erzählt, dass sein Vater bei einem Bombenanschlag oder Selbstmordattentat ums Leben gekommen sei. Für den Fall seiner Rückkehr habe er Furcht vor der dort herrschenden unsicheren Lage, der Arbeitslosigkeit und dem Umstand, dass er dort kein Familienoberhaupt besitze.

 

Der der mündlichen Verhandlung beigezogene länderkundige Sachverständige wurde ersucht sich gutachterlich dahingehend zu äußern, ob beim Beschwerdeführer die Gefahr bestünde, von den Taliban verfolgt und getötet zu werden, weil er den Beschwerdeausführungen zufolge durch seine Flucht in einen westlichen Staat zum Ausdruck gebracht habe, sich gegen die politischen Ziele der Taliban und anderer Extremisten gestellt zu haben.

 

Dazu äußerte sich der länderkundige Sachverständige folgendermaßen:

 

Seit Beginn des Krieges in Afghanistan vor mehr als 35 Jahren seien Millionen Afghanen zunächst in die Nachbarländer geflüchtet, davon seien mehr als 1,5 Millionen Personen nach Europa, Amerika, Kanada, in die ehemaligen Sowjetrepubliken, vor allem Russland, die auch zum europäischen Kulturraum zu zählen seien, gereist.

 

Die meisten Flüchtlinge, die einen Flüchtlingsstatus erhalten hätten, würden regen Kontakt nach Afghanistan, Pakistan und in den Iran pflegen. Es gebe in Europa viele Flüchtlinge, die die Taliban unterstützen würden oder ihre Sympathisanten seien. Wie aus den Medien zu entnehmen sei, seien tausende junge Menschen aus Europa nach Syrien, Irak, Pakistan und Afghanistan unterwegs, um die Taliban- und IS-Terroristen zu unterstützen. Daher würden die Taliban die Flüchtlinge im europäischen Ausland auf keinen Fall als Zielscheibe betrachten. Auch tausende Familienmitglieder der Taliban würden im europäischen Ausland als Flüchtlinge leben. Sie seien Eltern, Kinder oder Geschwister der Taliban und hätten regen Kontakt mit diesen.

 

Er habe in Afghanistan während seiner letzten Forschungsreise vom 31. 01. – 10. 02. 2017 in Erfahrung bringen können, dass in Afghanistan manche Dörfer ausschließlich von ausländischen Terroristen kontrolliert werden würden, die teilweise aus Europa dorthin eingereist seien.

 

Daher schließe er aus, dass der Beschwerdeführer von den Taliban wegen seines Aufenthaltes in Europa als Flüchtling zur Zielscheibe werde.

 

Aber wenn jemand im Taliban-Herrschaftsbereich mit diesen zusammengearbeitet bzw. gelebt habe und eine weitere Zusammenarbeit mit diesen abgelehnt habe und ins Ausland geflüchtet sei, ist nicht auszuschließen, dass er im Falle seiner Rückkehr in den Herrschaftsbereich der Taliban, aus dem er geflüchtet sei, von den Taliban bestraft werde. Dabei könne ihm vorgeworfen werden, durch seine Flucht ins Ausland eine Zusammenarbeit mit den Taliban verweigert zu haben.

 

Der gesetzlichen Vertreterin des Beschwerdeführer wurden die Länderfeststellungen zur Situation in Afghanistan übergeben und ihr sowohl für die Feststellungen als auch für das vom Sachverständigen erstellte Gutachten eine zweiwöchige Frist zur Abgabe einer Stellungnahme gewährt. Eine solche ist jedoch ausgeblieben.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an. Er ist im Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Ghazni geboren. Er lebte dort mit seiner Familie. Der Vater des Beschwerdeführers war Taxifahrer und wurde vor fünf oder sechs Jahren während einer solchen Fahrt auf dem Weg nach Kabul Opfer eines Anschlages. Kurze Zeit später reiste der Beschwerdeführer mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in den Iran. Dort besuchte er keine Schule, sondern war als Schweißer tätig. Er trat gemeinsam mit seiner Familie die Flucht an, wobei sich die Familie in der Türkei aus den Augen verlor und der Beschwerdeführer alleine nach Österreich weiterreiste. Die Familie des Beschwerdeführers kehrte in den Iran zurück.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan Gefahr liefe, wegen seines Aufenthaltes im westlichen Ausland von den Taliban oder anderen terroristischen Gruppierungen verfolgt zu werden.

 

Er stellte am 11. 2. 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Zur Situation in Afghanistan:

 

Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 21.01.2016, zuletzt aktualisiert am 19.12.2016):

 

Verfassung:

 

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet, die schließlich im Januar 2004 ratifiziert wurde (IDEA o.D.) und auf der Verfassung aus dem Jahr 1964 basiert. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und dass alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.01.2004).

 

Afghanistans Präsident und CEO:

 

Am 29.09.2014 wurde Ashraf Ghani als Präsident Afghanistans vereidigt (CRS 12.01.2015). Nach monatelangem Streit hatten sich Ghani und Abdullah auf eine gemeinsame Einheitsregierung geeinigt. Das Abkommen sieht vor, dass für den Zweitplatzierten bei der Wahl der Posten eines bislang nicht vorgesehenen Ministerpräsidenten geschaffen wird (FAZ 15.06.2014). Abdullah, der Verlierer der Präsidentschaftswahl, bekam den Posten des Geschäftsführers der Regierung bzw. "Chief Executive Officer" (CEO) der Regierung (CRS 12.01.2015). Diese per Präsidialdekret eingeführte Position weist Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers auf (AA 8 .2015). Der CEO fungiert quasi als Premierminister, auch wenn eine Verfassungsänderung zur formalen Schaffung des Postens des Premierministers noch ausständig ist (CRS 12.01.2015).

 

Regierungsbildung:

 

Obwohl Ghani ursprünglich versprochen hatte, 45 Tage nach seiner Vereidigung eine Regierung zu präsentieren, zeichnete sich bald ab, dass dieses Versprechen nicht eingehalten werden kann, da für die Regierungsbildung in Afghanistan für die Kabinettsposten die Koalitionspartner aus Ghanis und Abdullahs Lager gleichermaßen berücksichtigt werden müssen. Eine Regierung muss die starken regionalen und ethnischen sowie Stammesbindungen und -befindlichkeiten berücksichtigen, soll sie im ganzen Land akzeptiert sein. Ferner beabsichtigte Ghani, die Ministerien nur Personen mit Fachkenntnissen anzuvertrauen und keine bisherigen Minister oder Parlamentarier ins Kabinett aufzunehmen, um so die Voraussetzungen für einen kompetenten Neuanfang zu schaffen. Doch wird die Übung unter solchen Prämissen zusätzlich erschwert. Ghanis Kabinettsliste war in Afghanistan mit Erleichterung aufgenommen worden, weil das Land endlich eine handlungsfähige Regierung braucht. Zwar fragten sich Beobachter wie das Afghanistan Analysts Network einerseits, inwieweit eine junge und recht unerfahrene Regierung den Herausforderungen gewachsen sei. Anderseits wurde Ghanis Festhalten am Versprechen, keine politischen Schwergewichte der Vergangenheit in die Regierung aufzunehmen, durchaus anerkennend kommentiert (NZZ 22.01.2015).

 

Parlament und Parlamentswahlen:

 

Die afghanische Nationalversammlung, Shuraye Melli, basiert auf einem Zweikammersystem, das sich in ein Unterhaus, Wolesi Jirga, und ein Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt, gliedert. Das Unterhaus setzt sich aus 249 Sitzen zusammen, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kuchi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 25.06.2015; vgl. CRS 15.10.2015 und CRS 12.01.2015).

 

Das Oberhaus setzt sich aus 102 Sitzen zusammen. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Ein Drittel der Sitze, wovon wiederum 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst, (CRS 12.01.2015; vgl. CRS 15.10.2015). Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßig vorgegebenen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für die Ernennung eines Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 25.06.2015).

 

Eine der wesentlichen Neuerungen, welche die Parlamentswahlen 2005 und 2010 betrafen, war die "single non-transferable vote (SNTV)"-Regelung. Jedem Wahlkreis ist, proportional zur Bevölkerungszahl, mehr als ein Sitz im Parlament zugeteilt. Die Wähler des Wahlkreises können jeweils eine Stimme abgeben. Die Sitze des Wahlkreises gehen an die Kandidaten des Kreises in der Reihenfolge der Anzahl der von ihnen gewonnenen Stimmen. Dieses System ist weltweit sehr selten (UNAMA o.D.; vgl. NDI 2011; vgl. CRS 15.10.2015). Durch das System treten die Kandidaten individuell gegeneinander an und erlangen die Sitze nicht über Parteilisten (CRS 15.10.2015).

 

Die Rolle des Zweikammern-Parlaments (Unterhaus "Wolesi Jirga", Oberhaus "Meshrano Jirga") bleibt trotz wachsenden Selbstbewusstseins der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Generell leidet die Legislative aber nicht nur unter ihrer schwachen Rolle im Präsidialsystem, sondern auch unter dem unterentwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 06.11.2015).

 

Parteien:

 

Die afghanische Parteienlandschaft ist wenig entwickelt und mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen in der Regel mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des Parteiensystems ist auch auf das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes zurückzuführen sowie auf das Wahlsystem (Direktwahl mit einfacher, nicht übertragbarer Stimme). Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen der verschiedenen politischen Lager immer wieder gestört (AA 06.11.2015).

 

Oppositionsbewegungen und Parteien – ganz gleich ob Kommunisten oder rechtsreligiös – wurden gezwungen, entweder unterzutauchen oder ins Exil zu gehen. Unter einer neuen und formellen Verfassung haben sich seit 2001 früher islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine Organisation politischen Glaubens oder Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratien sind. Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen, aber nicht immer durch Wahlerfolge (USIP 3.2015).

 

Die Machtstrukturen in Afghanistan sind vielschichtig und verwoben. Eignung, Befähigung und Leistung spielen oftmals eine untergeordnete Rolle bei der Verteilung politischer bzw. administrativer Ämter. Die Entscheidungen über viele Personalien, auch in entlegenen Provinzen, werden von der Zentralregierung in Kabul, häufig sogar vom Präsidenten getroffen. Im Vielvölkerstaat Afghanistan spielen informelle Beziehungsnetzwerke und der Proporz der Ethnien eine wesentliche Rolle. Die Machtverteilung wird national und auch lokal so austariert, dass die Loyalität einzelner Persönlichkeiten und Gruppierungen gesichert erscheint. Handeln lokale Machthaber entgegen der Regierungspolitik, bleiben Sanktionen allerdings häufig aus. Politische Allianzen werden in der Regel nach pragmatischen Gesichtspunkten geschmiedet. Dadurch kommt es, für Außenstehende immer wieder überraschend, zu Koalitionswechseln und dem Herauslösen von Einzelpersonen aus bestehenden politischen Verbindungen, unabhängig von Parteistrukturen (AA 06.11.2015).

 

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, welches eine Neuregistrierung aller Parteien verlangte und ferner zum Ziel hatte, ihre Zahl zu reduzieren. Anstatt wie bisher die Unterschrift von 700 Mitgliedern vorzuweisen, mussten sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen einbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber scheinbar nur wenig zur Konsolidierung von Parteiunterstützungsbasen oder institutionalisieren Parteipraktiken bei (USIP 3.2015).

 

Friedens- und Versöhnungsprozess:

 

Der afghanische Friedens- und Versöhnungsprozess ist nach einem ersten direkten und öffentlichen Treffen zwischen Regierung und Taliban in diesem Jahr wieder ins Stocken geraten. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte. Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Beide Seiten haben sich aber grundsätzlich weiter zu Verhandlungen bereit erklärt. Die Reintegration versöhnungswilliger Insurgenten bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 06.11.2015).

 

Sicherheitslage:

 

Im Zeitraum 01.08.-31.10.2015 verzeichnete die UNO landesweit 6.601 sicherheitsrelevante Vorfälle. Diese Vorfälle beziehen sich auf Arbeit, Mobilität und Sicherheit von zivilen Akteuren in Afghanistan. Dies bedeutet eine Steigerung von 19% zum Vergleichszeitraum des Jahres 2014. 62% dieser Vorfälle fanden in den südlichen, südöstlichen und östlichen Regionen statt. Im Berichtszeitraum gelang es den Taliban, neben Kunduz City weitere 16 Distriktzentren einzunehmen. Deren Großteil befindet sich im Norden (Badakhshan, Baghlan, Faryab, Kunduz, Sar-e Pul und Takhar), im Westen (Faryab) und im Süden (Helmand und Kandahar) des Landes. Den afghanischen Sicherheitskräften war es jedoch möglich, bis Ende Oktober 13 Distriktzentren wieder zurückzuerobern (UN GASC 10.12.2015).

 

Im Zeitraum 01.06.-31.07.2015 registrierte die UNO landesweit 6.096 sicherheitsrelevante Vorfälle, ein Rückgang von 4,6% zum Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die geographische Reichweite des Konfliktes fokussierte sich hauptsächlich auf die nord-östlichen Regionen rund um Kunduz, Badakhshan und Badghis, im Nordwesten auf die Provinz Faryab und im Südosten auf Nangarhar und im Süden auf Helmand. Der Großteil der Vorfälle wurde in den südlichen und östlichen Teilen des Landes registriert. In Kandahar, Nangarhar, Ghazni, Helmand und Kunar wurden 44.5% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle des Berichtszeitraumes registriert (UN GASC 01.09.2015).

 

Einige Experten haben auf Leistungsverbesserungen der afghanischen Sicherheitskräfte hingewiesen (SCR 9.2015). Ein erhöhtes Operationstempo hat zu einer signifikant höheren Opferzahl unter den afghanischen Sicherheitskräften geführt (+27% im Zeitraum von 01.01.-15.11.2015 im Vergleich zu 2014) (USDOD 12.2015). Ähnliche Zahlen nennt WP, mit 7.000 getöteten und 12.000 verletzten Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte (+26% zum Jahr 2014). Im gesamten Jahr 2014 wurde hingegen von 5.000 getöteten afghanischen Polizisten und Soldaten berichtet (SCR 9.2015). Zudem haben die Taliban ihre Angriffe auf Sicherheitskräfte seit Beginn ihrer jährlichen Frühjahrsoffensive im April 2015 erhöht (BBC 29.06.2015).

 

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte sind im Allgemeinen fähig, die größeren Bevölkerungszentren effektiv zu beschützen, bzw. verwehren es den Taliban, für einen längeren Zeitraum Einfluss in einem Gebiet zu halten. Gleichzeitig haben die Taliban bewiesen, dass sie ländliche Gegenden einnehmen, Schlüsselgebiete bedrohen (z.B. in Helmand) und gleichzeitig high-profile Angriffe in Kabul durchführen können (USDOD 12.2015). Laut Angaben der afghanischen Regierung kontrollieren die Taliban nur vier der mehr als 400 Bezirke landesweit, aber es ist bekannt, dass diese Zahl stark untertrieben ist. Die afghanische Regierung hat außerdem oftmals nur Kontrolle über die Distriktzentren, aber nicht über die ländlichen Gebiete (The Long War Journal 22.09.2015).

 

Es gab Vorschläge zur Gründung regierungsfreundlicher Milizen – sogenannter lokaler Verteidigungskräfte –, um die afghanischen Sicherheitskräfte zu unterstützen. Diese existieren angeblich bereits in einer Anzahl von Provinzen (UNGASC 10.12.2015).

 

Es gibt drei Gründe für das Wiederaufleben der Taliban: Erstens das Ende der US-amerikanischen und NATO-Mission Ende 2014 sowie der Abzug der ausländischen Kräfte aus Afghanistan haben den militärischen Druck auf die Taliban verringert. Krisen in anderen Teilen der Welt (Syrien, Irak und Ukraine) nährten bei den Taliban die Hoffnungen auf ein Desinteresse der internationalen Gemeinschaft. Wenn Taliban militärische Stützpunkte, Distriktzentren und Check-Points Afghanistans überrennen, erbeuten sie jedes Mal Waffen für den Kampf gegen die afghanische Regierung. Zweitens vertrieb die pakistanische Militäroperation Zarb-e Azb in den Stammesgebieten Nordwaziristans im Juni 2014 tausende Aufständische – hauptsächlich Usbeken, Araber und Pakistanis –, die nach Afghanistan strömten und in den Rängen der Taliban aufstiegen. Die Taliban lenkten ohnehin eine große Anzahl ihrer eigenen Kämpfer von Pakistan aus. Drittens mangelt es den afghanischen Sicherheitskräften an Ausbildung und Ausstattung, vor allem in den Bereichen Luftstreitkräfte und Aufklärung. Außerdem nützen die Taliban interne Machtkämpfe der Kabuler Zentralregierung und deren scheinbare Schwäche in verschiedenen Bereichen in Kabul aus (BBC 05.01.2016).

 

Sicherheitslage in der Provinz Ghazni:

 

Ghazni ist eine der wichtigsten zentralen Provinzen in Afghanistan und laut dem afghanischen Statistikbüro (CSO) die mit der zweithöchsten Bevölkerung. Ghazni liegt 145 km südlich von Kabul Stadt an der Autobahn Kabul-Kandahar. Die Provinzen (Maidan) Wardak und Bamyan liegen im Norden, während die Provinzen Paktia, Paktyka und Logar im Osten liegen. Zabul liegt zwar südlich, grenzt aber gemeinsam mit Uruzgan an den Westen der Provinz (Pajhwok o.D.a). Die Provinz ist in neunzehn Distrikte unterteilt: Jaghuri, Malistan, Nawur, Ajiristan, Andar, Qarabagh, Giro, Muqur, Waghaz, Gelan, Ab Band, Nawa, Dih Yak, Rashidan, Zana Khan, Khugiani, Khwaja Omari, Jaghatu und Ghazni City (Vertrauliche Quelle 15.9.2015). Die Haupstadt Ghazni City liegt 145 km südlich von Kabul, auf der Autobahn Kabul – Kandahar (Pajhwok o.D.a). Die Bevölkerungszahl der Provinz wird auf 1.228.831 geschätzt (UN OCHA 26.8.2015).

 

Ghazni zählt zu den volatilen Provinzen im Südosten Afghanistans, wo regierungsfeindliche aufständische Gruppen in den verschiedenen Distrikten aktiv sind und regelmäßig Aktionen durchführen (Khaama Press 19.8.2015; vgl. Tolonews 5.4.2015; UNGASC 1.9.2015). Laut einem Bericht der Vereinten Nationen, wurde ein Großteil sicherheitsrelevanter Vorfälle in den südlichen und östlichen Teilen Afghanistan aufgezeichnet (UNGASC 1.9.2015). Des Weiteren wurde von Tolonews berichtet, dass im März 2015 Ghazni als jene Provinz angesehen wurde, die die höchste Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle in Monat März zu verzeichnen hatte (Tolonews 5.4.2015).

 

Eine Anzahl von Selbstmordattentaten, gezielte Tötungen und Entführungen wurde registriert. Dies hat dazu geführt, dass die Sicherheitsatmosphäre auch weiterhin volatil ist. Aber auch den Aufständischen wurde mit einer Anzahl von erfolgreichen militärischen Operationen entgegengetreten. Die internationalen Kräfte (USA und Polen) haben sich im Jahr 2014 aus der Provinz zurückgezogen und die afghanischen Sicherheitskräfte führen die Operationen seitdem eigenständig durch (Vertrauliche Quelle 15.9.2015).

 

In der Provinz werden Antiterror-Operationen durchgeführt, um gewisse Gegenden von Terroristen zu befreien (Khaama Press 10.1.2016; Press TV 8.1.2016; Xinhua 3.1.2016; Business Standard 30.12.2015; Xinhua 16.12.2015; Xinhua 21.12.2015; Ariana News 26.7.2015; Tolonews 6.6.2015; Tolonews 2.6.2015; Tolonews 2.5.2015; Tolonews 25.4.2015; Tolonews 2.3.2015; Tolonews 3.2.2015; Tolonews 13.1.2015; Tolonews 14.12.2014; Tolonews 12.11.2014).

 

Rebellengruppen:

 

Durch die Talibanoffensiven in den Provinzen Helmand und Kunduz entsteht der Eindruck, dass die afghanischen Sicherheitskräfte die Hauptbevölkerungszentren nicht kontrollieren können. Dies untergräbt das öffentliche Vertrauen, selbst dann, wenn es afghanischen Sicherheitskräften möglich ist, die Zentren zurückerobern, und überschattet die zahlreichen Erfolge der afghanischen Sicherheitskräfte (USDOD 12.2015).

 

Militärische Operationen im pakistanischen Nordwaziristan haben hunderte gut ausgebildete ausländische Kämpfer nach Afghanistan abgedrängt, wo sie nun die Taliban und den islamischen Staat unterstützen (WP 27.12.2015; vgl. Pakistan Today 22.12.2015; UN GASC 10.12.2015; Tolonews 21.12.2015).

 

Doch die Taliban haben auch mit Rückschlägen zu kämpfen. Nach der Nachricht vom Tod Mullah Omars hat sich die Bewegung zersplittert, und Auseinandersetzungen zwischen Talibanführern begünstigen Fortschritte des IS, vor allem im östlichen Afghanistan (DS 06.01.2016).

 

Taliban und Frühlingsoffensive:

 

Während der warmen Jahreszeit (ca. Mai – Oktober) spricht man von der "Fighting Season", in der die meist koordinierten Angriffe von Aufständischen, in Gruppenstärke oder stärker, auf Einrichtungen der ANSF (Afghan Security Forces) oder GIROA (Government of Islamic Republic of Afghanistan) stattfinden. Manchmal sind auch Einrichtungen der IC (International Coalition) betroffen. Diese werden aber meist gemieden, da es sich hierbei um sogenannte "harte Ziele" handelt. Gegen die IC werden nach wie vor nicht-konventionelle Mittel eingesetzt (Sprengfallen, Magnetbomben). Außerhalb der "Fighting Season" verlegen kampfwillige Aufständische ihre Aktivtäten in die Städte, da hier die ungünstige Witterung kein Faktor ist (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

 

Die Taliban haben signifikante Verluste zu verzeichnen – abgesehen von der temporären Einnahme der Stadt Kunduz war es ihnen nicht möglich, ihre Hauptstrategie und ihre Operationsziele für die Fighting Season 2015 zu erreichen. Auch in Kunduz war es ihnen nicht möglich, das Territorium für einen längeren Zeitraum zu halten. Während der gesamten Fighting Season bewiesen die Taliban Erfahrung in der Durchführung von Angriffen und Bedrohungen von ländlichen Distrikten und zwangen so die afghanischen Sicherheitskräfte in eine reaktive Position (USDOD 12.2015).

 

Al-Qaida:

 

Die amerikanischen Behörden gehen von einer Zahl von weniger als 100 Kämpfern der al-Qaida in Afghanistan aus. Die meisten von ihnen sind in den nordöstlichen Provinzen Afghanistans, wie Kunar, aktiv. Manche dieser Kämpfer gehören zu Gruppen, die an al-Qaida angegliedert und in Kunduz aktiv sind (CRS 22.12.2015).

 

Haqqani-Netzwerk:

 

Die Gruppe wurde in den späten 1970er Jahren durch Jalaluddin Haqqani gegründet. Sie ist mit al-Qaida und afghanischen Taliban verbündet, sowie mit anderen terroristischen Organisationen in der Region (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (NYT 17.10.2014).

 

Obwohl angenommen wird, dass das Netzwerk der al-Qaida näher steht als den Taliban (CRS 09.10.2014), wurde nach der Meldung vom Tod Mullah Omars Siraj Haqqani zum stellvertretenden Talibanführer befördert. Dies signalisiert, dass das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin eine wichtige Komponente des Taliban-geführten Aufstandes ist (USDOD 12.2015).

 

Der Aufstand des Haqqani-Netzwerks ist vermehrt in den östlichen Provinzen Khost, Paktia, Paktika und Kunar vorzufinden (DW 17.10.2014).

 

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG):

 

Die radikal-islamistische Rebellengruppe Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG) [Anmerkung: auch Hizb-i-Islami Gulbuddin] wird von Mujahed Gulbuddin Hikmatyar geführt (CRS 22.12.2015). Er war ein ehemaliger Verbündeter der USA im Kampf gegen die Besatzungstruppen der Sowjetunion in den 1980er Jahren. Die HIG wird als kleiner Akteur in den Kampfzonen Afghanistans gesehen (CRS 09.10.2014). Sie ist über die Jahre für ihre Grausamkeit bekannt geworden, sodass sogar die Taliban sich von ihr abwendeten (BBC 02.09.2014). Die Gruppe selbst ist ideologisch wie auch politisch mit al-Qaida und den Taliban verbündet. In der Vergangenheit kam es mit den Taliban jedoch zu Kämpfen um bestimmte Gebiete (CRS 09.10.2014).

 

IS/ISIS/ISIL/Daesh – Islamischer Staat:

 

Der Islamische Staat hat seinen Einfluss in Afghanistan seit Mitte des Jahres 2014 erhöht. Es wird berichtet, dass der Führer des Islamischen Staates Abu Bakr al-Baghdadi, Berichten zufolge, unter dem Talibanregime in Kabul gelebt und mit al-Qaida kooperiert hat. Die Präsenz der Gruppe in Afghanistan hat sich Anfang des Jahres 2013 aus mehreren kleinen afghanischen Taliban- und anderen Aufständischenfraktionen herausentwickelt (CRS 22.12.2015). Die Präsenz des islamischen Staates hat sich ausgeweitet, als immer mehr Talibanfraktionen dem IS Treue schworen. So kam es zur Einnahme kleiner Gebiete, hauptsächlich im östlichen Afghanistan, durch den IS (CRS 22.12.2015; vgl. Tolonews 12.07.2015). Ende 2015 gab es Berichte über finanzielle Hilfe des IS für seinen afghanischen Zweig (CRS 22.12.2015). Ehemalige Kämpfer von al-Qaida, Taliban und Haqqani-Netzwerk steigen in den Rängen des IS auf (Pajhwok 26.05.2015).

 

Der afghanische Geheimdienst NDS hat eine Spezialeinheit damit beauftragt, Razzien gegen den IS durchzuführen (Pajhwok 01.07.2015). Das afghanische Innenministerium konzentriert sich auf bessere Ausbildung und Ausrüstung der nationalen und lokalen Polizei, damit nicht die Notwendigkeit zur Selbstjustiz für Anrainer/innen entsteht (Pajhwok 26.05.2015).

 

Drogenanbau:

 

Es ist im Jahr 2015 zu einer Reduzierung der Opiumproduktion um

3.300 Tonnen (48%) gekommen (UN News Centre 14.10.2015).

 

Zivile Opfer:

 

Zwischen 01.01. und 30.06.2015 registrierte UNAMA 4.921 zivile Opfer (1.592 Tote und 3.329 Verletzte) – dies deutet einen Rückgang von 6% bei getöteten bzw. von 4% bei verletzten Zivilisten (UNAMA 8.2015).

 

Konfliktbedingte Gewalt hatte in der ersten Hälfte 2015 Auswirkungen auf Frauen und Kinder. UNAMA verzeichnete 1.270 minderjährige Opfer (320 Kinder starben und 950 wurden verletzt). Das ist ein Anstieg von 23% im Vergleich zu den ersten sechs Monaten 2014. Es gab 559 weibliche Zivilopfer, davon wurden 164 Frauen getötet und 395 verletzt. Das bedeutet einen Anstieg von 13% gegenüber 2014 (UNAMA 8.2015).

 

Laut UNAMA waren 70% aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben, 16% regierungsfreundlichen Kräften (15% den ANSF und regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppen, sowie 1% den internationalen militärischen Kräften). UNAMA rechnete 4% der zivilen Opfer Unfällen mit Blindgängern zu (UNAMA 8.2015).

 

3.436 zivile Opfer (1.213 Tote und 2.223 Verletzte) gehen auf Operationen regierungsfeindlicher Elemente zurück. Das bedeutet einen Rückgang von 3% gegenüber 2014. UNAMA verzeichnete einen Anstieg von 78% bei zivilen Opfern aufgrund von komplexen Angriffen und Selbstmordattentaten, sowie einen Anstieg von individuellen Tötungen. UNAMA registrierte ebenso 46% Rückgang an zivilen Opfern in Bodenkämpfen und 21% Rückgang ziviler Opfer aufgrund von IEDs (improvised explosive devices) (UNAMA 8.2015).

 

Regierungsfreundliche Kräfte – speziell ANSF – waren auch weiterhin Grund für einen Anstieg bei zivilen Opfern im Jahr 2015. UNAMA registrierte hierzu 796 zivile Opfer (234 wurden getötet und 562 verletzt). Dies deutet einen Anstieg von 60% im Vergleich zum Jahr 2014. Der Großteil dieser zivilen Opfer geht auf Bodenkämpfe regierungsfreundlicher Gruppen, bei denen hauptsächlich Explosivwaffen, wie Mörser, Raketen oder Granaten verwendet wurden. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2015 waren regierungsfreundliche Gruppen für mehr zivile Opfer verantwortlich als regierungsfeindliche Elemente. Im Jahr 2015 haben die ANSF ihre Anzahl von Operationen, die am Boden durchgeführt wurden, signifikant erhöht, um den Regierungsbildungsprozess zu unterstützen und Angriffen regierungsfeindlicher Elemente entgegenzuwirken (UNAMA 8.2015).

 

Die UNAMA verzeichnete 37% Anstieg bei Entführungen von Zivilisten durch regierungsfeindliche Elemente und mehr Morde und Körperverletzungen an den Entführungsopfern. Von 76 entführten Zivilisten wurden im Berichtszeitraum (01.01.-30.06.2015) 62 getötet und 14 verletzt. UNAMA dokumentierte die Entführung von Zivilist/innen durch regierungsfeindliche Elemente für finanzielle Zwecke, zur Einschüchterung der Bevölkerung und um Zugeständnisse von anderen Parteien im Konflikt zu erhalten, z.B. Geiselaustausch (UNAMA 8.2015).

 

Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen und der US-Streitkräfte:

 

In einem Bericht der norwegischen COI-Einheit Landinfo wurde im September 2015 berichtet, dass zuverlässige Dokumentation von konfliktbezogener Gewalt gegen Afghanen im aktiven Dienst für internationale Organisationen existiert. Andererseits konnte nur eingeschränkte Dokumentation zu konfliktbezogener Gewalt gegen ehemalige Übersetzer, Informanten oder andere Gruppen lokale Angestellte ziviler oder militärischer Organisationen festgestellt werden (Landinfo 09.09.2015). Ferner werden reine Übersetzerdienste, die auch geheime Dokumente umfassen, meist von US-Staatsbürgern mit lokalen Wurzeln durchgeführt, da diese eine Sicherheitszertifizierung benötigen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

 

Grundsätzlich sind Anfeindungen afghanischer Angestellter der US-Streitkräfte üblich, da diese im Vergleich zu ihren Mitbürgern verhältnismäßig viel verdienen. Im Allgemeinen hält sich das aber in Grenzen, da der wirtschaftliche Nutzen für die gesamte Region zu wichtig ist. Tätliche Übergriffe kommen vor, sind aber nicht nur auf ein Arbeitsverhältnis zu ISAF zurückzuführen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 10.11.2014). Des Weiteren bekommen afghanische Angestellte bei den internationalen Streitkräften Uniformen oder Dienstbekleidung, Verpflegung und Zugang zu medizinischer Versorgung nach westlichem Standard. Es handelt sich somit meist um Missgunst. Das Argument der Gefahr im Job für lokale Dolmetscher wurde von den US-Streitkräften im Bereich der SOF (Special Operation Forces), die sehr sensible Aufgaben durchführen, dadurch behoben, dass diesen Mitarbeitern nach einer gewissen Zeit die Mitnahme in die USA angeboten wurde. Dieses Vorgehen wurde von einer militärischen Quelle aus Deutschland bestätigt (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

 

Grundversorgung/Wirtschaft:

 

Für das Jahr 2013 belegte Afghanistan im 'Human Development Index' (HDI) den 169. Platz von mehr als 187 (Anm.: darunter befanden sich auch einige ex aequo Platzierungen) (UNDP 2014).

 

Die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans wird trotz Wachstumsraten in der letzten Dekade weiterhin nicht durch ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum, sondern durch die Zuflüsse aus der internationalen Gebergemeinschaft stimuliert (AA 8 .2015). Die Übergangsphase in Politik und Sicherheit hat die afghanische Wirtschaft stärker beeinträchtigt als erwartet. Das Wirtschaftswachstum ist im Jahr 2014 auf 1,3% gesunken, wobei es im Jahr davor noch 3,7% betrug (WB 10.2015; vgl. IMF 09.06.2015).

 

Das Wirtschaftswachstum war zum größten Teil getrieben von Expansion in Industrie (2,4%) und Dienstleistung (2,2%). Private Investitionsaktivitäten zeigten im Jahr 2014 Anzeichen eines Rückgangs, gekennzeichnet durch einen 50%igen Rückgang an neuen Firmenregistrierungen seit dem Jahr 2012. Die Anzahl der neuen Firmenregistrierungen im ersten Halbjahr 2015, die ein Indikator für Investorenvertrauen ist, blieb auf demselben Niveau wie im ersten Halbjahr des Jahres 2014. Eine sanfte Erholung wird für das Jahr 2016 erwartet (WB 2015).

 

Den größten Anteil am BIP (2014: 21,7 Mrd. USD) hat der Dienstleistungssektor mit 53,5%, gefolgt von der Landwirtschaft mit 27,7% des BIP. Industrieproduktion ist kaum vorhanden. Trotz einer großen Bedeutung des Außenhandels – Afghanistan ist in hohem Maße von Importen abhängig – sind afghanische Produkte bisher auf internationalen sowie regionalen Märkten kaum wettbewerbsfähig (AA 8 .2015).

 

Es wird geschätzt, dass das reale Wachstum des Bruttoinlandprodukts um 3,1% im Jahr 2016 und 3,9% im Jahr 2017 wachsen wird, bedingt durch Verbesserungen im Bereich der Sicherheitslage und eine starke Reformdynamik (WB 10.2015). Wichtige Erfolge wurden im Bereich des Ausbaus der Infrastruktur erzielt. Durch den Bau von Straßen und Flughäfen konnte die infrastrukturelle Anbindung des Landes verbessert werden (AA 8 .2015).

 

Trotz des seit drei Jahren hohen landwirtschaftlichen Produktionsniveaus konnten die starken Landwirtschaftserträge des Jahres 2013 nicht mehr erreicht werden, und so war die Landwirtschaft nicht Teil des Wirtschaftswachstums (WB 10.2015). Die neue Regierung hat die landwirtschaftliche Entwicklung zur Priorität erhoben. Dadurch sollen auch gering qualifizierte Afghaninnen und Afghanen bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz bekommen. Insbesondere sollen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse Afghanistans wieder eine stärkere Rolle auf den Weltmärkten spielen. Gerade im ländlichen Raum bleiben die Herausforderungen für eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung angesichts mangelnder Infrastruktur, fehlender Erwerbsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft und geringen Ausbildungsstands der Bevölkerung (Analphabetenquote auf dem Land von rund 90%) aber groß. Sicher ist, dass die jährlich rund 400.000 neu auf den Arbeitsmarkt drängenden jungen Menschen nicht vollständig vom landwirtschaftlichen Sektor absorbiert werden können (AA 8 .2015).

 

Große wirtschaftliche Erwartungen werden an die zunehmende Erschließung der afghanischen Rohstoffressourcen geknüpft. In Afghanistan lagern die weltweit größten Kupfervorkommen sowie Erdöl, Erdgas, Kohle, Lithium, Gold, Edelsteine und Seltene Erden. Das seit langem erwartete Rohstoffgesetz wurde im August 2014 verabschiedet. Damit wurden die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Investitionen in diesem Bereich verbessert. Entscheidend für Wachstum, Arbeitsplätze und Einnahmen aus dem Rohstoffabbau ist die Umsetzung des Gesetzes. Darüber hinaus müssen Mechanismen zum Einnahmenmanagement etabliert werden. Der Abbau der Rohstoffe erfordert große und langfristige Investitionen in die Exploration und Infrastruktur durch internationale Unternehmen. Bisher sind diese noch kaum im Abbau von Rohstoffen im Land aktiv (AA 8 .2015).

 

Afghanistan bleibt weiterhin der weltweit größte Produzent für Opium, Heroin und Cannabis (AA 8 .2015; vgl. UN GASC 06.09.2015). Rund 2,2 Mio. Afghanen leben mittelbar oder unmittelbar vom Drogenanbau, -handel und -verkauf (AA 8 .2015). Trotz einer breit angelegten Strategie verhindern die angespannte Sicherheitslage in den Hauptanbaugebieten im Süden des Landes sowie die weit verbreitete Korruption eine effiziente Bekämpfung des Drogenanbaus (AA 8 .2015; vgl. UN GASC 06.09.2015). Die hohen Gewinnmargen erschweren zudem die Einführung von alternativen landwirtschaftlichen Produkten (AA 8 .2015).

 

Die Internationale Gemeinschaft und Hauptgeber haben ihr Engagement und ihre Partnerschaft für Afghanistan im Rahmen der London Konferenz im Dezember 2014 bestätigt. Sie begrüßen das Engagement der neuen afghanischen Regierung für makroökonomische Stabilität und Reformen, welche Nachhaltigkeit und integratives Wachstum beinhaltet (IMF 5.2015).

 

Medizinische Versorgung:

 

Die Datenlage zur medizinischen Versorgung in Afghanistan bleibt äußerst lückenhaft. In vielen Bereichen liegen Daten nur unzuverlässig oder nur ältere statistische Erhebungen der afghanischen Regierung oder der Weltgesundheitsorganisation vor. Besonders betroffen von unzureichender Datenlage sind hierbei die südlichen und südwestlichen Provinzen (AA 16.11.2015). Ferner können sich die im Zuge der Recherche gefundenen Informationen auch widersprechen.

 

Grundsätzlich hat sich die medizinische Versorgung, insbesondere im Bereich der Grundversorgung, in den letzten zehn Jahren erheblich verbessert, fällt jedoch im regionalen Vergleich weiterhin drastisch zurück (AA 16.11.2015). Auch hat sich seit dem Jahr 2001 der Zugang zur Grundleistung für die afghanische Bevölkerung in fast allen Bereichen erheblich verbessert: der Deckungsgrad medizinischer Gesundheitsversorgung hat sich von 9% im Jahr 2001 auf 80% im Jahr 2011 erweitert (WB 4.2015). Jedoch fällt diese Grundversorgung im regionalen Vergleich weiterhin drastisch zurück (AA 02.03.2015).

 

Die Sterberate von Kindern unter fünf Jahren ist von 257 auf 165 pro 1.000 Lebendgeburten gesunken, die Säuglingssterblichkeitsrate von 97 auf 77 bei 1.000 Lebendgeburten, und die Müttersterblichkeitsrate ist auf 327 bei 100.000 Lebendgeburten gesunken. Im Vergleich dazu betrug die Müttersterblichkeitsrate im Jahr 2002 noch 1.600. Ferner erhöhte sich die Zahl funktionierender Gesundheitsanstalten von 496 im Jahr 2002 auf 2.000 im Jahr 2012. Proportional dazu erhöhte sich die Zahl der Anstalten mit weiblichem Personal (WB 2015).

 

In der letzten Dekade hat das afghanische Gesundheitssystem ansehnliche Fortschritte gemacht. Dies aufgrund starker Regierungsführung, einer soliden öffentlichen Gesundheitspolitik, innovativer Servicebereitstellung, sorgfältiger Überwachung und Evaluierung sowie Entwicklungshilfe. Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsservices, wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und Unter-fünf-jährigen, sind die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin schlechter als die der Niedrigeinkommensländer, was ferner andeutet, dass die Notwendigkeit besteht, Zugangshindernisse zu Leistungen für Frauen zu beseitigen. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41% der Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralspiegeldefiziten (WB 4.2015).

 

Die medizinische Versorgung leidet trotz der erkennbaren und erheblichen Verbesserungen landesweit weiterhin an unzureichender Verfügbarkeit von Medikamenten und Ausstattung der Kliniken, insbesondere aber an fehlenden Ärztinnen und Ärzten, sowie gut qualifiziertem Assistenzpersonal (v.a. Hebammen). Im Jahr 2013 stand 10.000 Einwohnern Afghanistans ca. eine medizinisch qualifiziert ausgebildete Person gegenüber. Auch hier gibt es bedeutende regionale Unterschiede innerhalb des Landes, wobei die Situation in den Nord- und Zentralprovinzen um ein Vielfaches besser ist als in den Süd- und Ostprovinzen (AA 16.11.2015; vgl. AA 02.03.2015).

 

Obwohl freie Gesundheitsdienstleistungen in öffentlichen Einrichtungen zur Verfügung gestellt wurden, können sich viele Haushalte gewisse Kosten für Medikamente oder den Transport zu Gesundheitsvorsorgeeinrichtungen nicht leisten bzw. war es vielen Frauen nicht erlaubt, alleine zu einer Gesundheitseinrichtung zu fahren (USDOS 25.06.2015).

 

Gemäß der afghanischen Verfassung ist die primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen, inklusive Medikamente, kostenfrei [Anm.: siehe dazu afghanische Verfassung Art. 52 (Max Planck Institute 27.01.2004)]. Jedoch sind die Bestände oft erschöpft, und die Patient/innen sind gezwungen, die Medikamente in privaten Apotheken oder am Bazar zu kaufen (IRIN 02.07.2014). Obwohl Qualitätskontrollmaßnahmen für Medikamente im öffentlichen Gesundheitsvorsorgesystem existieren, ist die Umsetzung laut einem US-amerikanischen Bericht schwach. Der Großteil der verschriebenen Medikamente wird verschrieben und privat verkauft. Auch, so der Bericht weiter, gibt es keine Daten zu Pharmazisten, die im privaten Sektor arbeiten. Bis zu 300 in Pakistan ansäßige Unternehmen produzieren Medikamente, die speziell für den Export nach Afghanistan vorgesehen sind, aber den von für Pakistan vorgeschriebenen Standards nicht entsprechen (IJACMEC 10.2014; vgl. The Guardian 07.01.2015).

 

Die Behandlung von psychischen Erkrankungen – insbesondere Kriegstraumata – findet, abgesehen von einzelnen Pilotprojekten, nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt. Gleichzeitig leiden viele Afghaninnen und Afghanen unter psychischen Symptomen der Depression, Angststörungen oder posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS). In Kabul gibt es zwei psychiatrische Einrichtungen: das Mental Health Hospital mit 100 Betten und die Universitätsklinik Aliabad mit 48 Betten. In Jalalabad und Herat gibt es jeweils 15 Betten für psychiatrische Fälle. In Mazar-e Scharif gibt es eine private Einrichtung, die psychiatrische Fälle stationär aufnimmt. Folgebehandlungen sind oft schwierig zu leisten, insbesondere wenn der Patient oder die Patientin kein unterstützendes Familienumfeld hat. Traditionell mangelt es in Afghanistan an einem Konzept für psychisch Kranke. Sie werden nicht selten in spirituellen Schreinen unter teilweise unmenschlichen Bedingungen "behandelt", oder es wird ihnen in einer "Therapie" mit Brot, Wasser und Pfeffer der "böse Geist ausgetrieben". Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung sowohl über das Internet als auch in Form von Comics (für Analphabeten) zu betreiben. Die Bundesregierung finanziert Projekte zur Verbesserung der Möglichkeiten psychiatrischer Behandlung und psychologischer Begleitung in Afghanistan (AA 16.11.2015).

 

Behandlung nach Rückkehr:

 

In den letzten zehn Jahren sind im Rahmen der freiwilligen Rückkehr durch UNHCR 3.5 Mio. afghanische Flüchtlinge zurückgekehrt. Insgesamt sind 5,8 Mio. Afghaninnen und Afghanen aus verschiedenen Teilen der Welt nach Afghanistan zurückgekehrt (DW 19.10.2015). USDOS berichtet, dass in den Jahren von 2002 bis 2014 Finanzierungen verwendet wurden, um Transportkosten und anfängliche Notwendigkeit bei Rückkehr für mehr als 4.7 Mio. zur Verfügung zu stellen (SIGAR 8.2015; vgl. AA 02.03.2015). Somit hat eine große Zahl der afghanischen Bevölkerung einen Flüchtlingshintergrund (AA 02.03.2015). Im Jahr 2015 sind 50.000 afghanische Flüchtlinge aus Pakistan im Rahmen des Programms der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan zurückgekehrt (DW 19.10.2015).

 

Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Rückkehrer aus Iran und Pakistan stark gestiegen. 2014 lag die Zahl der Rückkehrer bei knapp 17.000, davon über 12.000 aus Pakistan. Bis Ende Oktober 2015 sind im laufenden Jahr fast 56.000 zurückgekehrt, davon über 53.000 aus Pakistan. Zwei Drittel der Rückkehrer siedeln sich in fünf Provinzen an: Kabul, Nangarhar, Kunduz, Logar und Baghlan (AA 16.11.2015). Laut UNHCR-Afghanistan kehrten im Jahr 2014 insgesamt 17.000 Menschen freiwillig nach Afghanistan zurück (UNHCR 29.10.2015). Die Kapazität der Regierung, Rückkehrer/innen aufzunehmen, war auch weiterhin niedrig. Die Zahl der Rückkehrer/innen während des Jahres 2014 verringerte sich aufgrund von Unsicherheiten in Bezug auf die Sicherheitslage im Rahmen des Post-Transitionszeitraumes und aufgrund des Auslaufens der proof of Residence Card (PoR Card) für afghanische Flüchtlinge in Pakistan (USDOS 25.06.2015). In Pakistan werden etwa 1,5 Mio. afghanische Flüchtlinge, die im Besitz einer PoR Card sind, von UNHCR unterstützt (BFA Staatendokumentation 9.2015).

 

Die afghanische Regierung kooperierte auch weiterhin mit UNHCR, der Internationalen Organisation für Migration (IOM), sowie anderen humanitären Organisationen, um intern vertriebenen Personen, Flüchtlingen, Rückkehrer/innen und anderen Menschen Schutz und Unterstützung zur Verfügung zu stellen. Regierungsunterstützung für vulnerable Personen, inklusive Rückkehrer/innen aus Pakistan und Iran, war gering, mit einer anhaltenden Abhängigkeit von der internationalen Gemeinschaft. Die Reintegration von Rückkehrer/innen war schwierig. Rückkehrerinnen und Rückkehrer hatten angeblich gleichwertigen Zugang zu Gesundheits-, Bildungs- und anderen Leistungen, obwohl manche Gemeinden, die für Rückkehrer/innen vorgesehen waren, angaben, dass eingeschränkter Zugang zu Transport und Straßen zu größeren, besser etablierten Dörfern und städtischen Zentren fehlte. Dies erschwerte den Zugang zu Dienstleistungen und wirtschaftlichen Möglichkeiten (USDOS 25.06.2015).

 

In Iran und Pakistan halten sich derzeit noch ca. 3 Mio. afghanische Flüchtlinge auf. Dazu kommen nicht registrierte Afghanen, die von der iranischen Regierung jedoch nicht als Flüchtlinge anerkannt sind. Insbesondere von iranischer Seite, in Teilen auch von Pakistan, werden sie gelegentlich als politisches Druckmittel gegenüber Afghanistan ins Feld geführt. Gleichzeitig gelten die Flüchtlinge auch als günstige Arbeitskräfte. In Afghanistan wird zwischen Rückkehrern aus den Nachbarstaaten Iran und Pakistan (die größte Gruppe afghanischer Flüchtlinge) und freiwilliger Rückkehr oder Abschiebung aus v.a. westlichen Staaten unterschieden. Für Rückkehrer aus den genannten Nachbarländern leistet UNHCR in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung bestehen Probleme in der Koordinierung zwischen humanitären Akteuren und Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit, sodass Hilfe nicht immer dort ankommt, wo Rückkehrer sich niedergelassen haben (AA 02.03.2015; vgl. AA 16.11.2015).

 

Die Schweiz, Australien, Iran, Norwegen, Pakistan, Dänemark, Frankreich, die Niederlande und Schweden haben mit Afghanistan und dem UNHCR sog. Drei-Parteien-Abkommen zur Regelung der freiwilligen Rückkehr von afghanischen Flüchtlingen in ihr Heimatland geschlossen. Die Abkommen sehen u.a. die Übernahme von Reisekosten, Wiedereingliederungshilfe und Unterstützungsmaßnahmen für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge vor. Von Großbritannien, Frankreich, Italien, Dänemark, Norwegen, Schweden und Australien ist bekannt, dass diese Länder abgelehnte Asylbewerber afghanischer Herkunft nach Afghanistan abschieben. Von Norwegen ist bekannt, dass auch Familien mit minderjährigen Kindern abgeschoben werden. Einige Länder arbeiten eng mit IOM in Afghanistan zusammen, insbesondere auch, um die Reintegration zu erleichtern. IOM bietet psychologische Betreuung, Unterstützung bei Reiseformalitäten, Ankunft in Kabul und Begleitung der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche an (AA 02.03.2015; vgl. AA 16.11.2015).

 

Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani selbst verbrachte die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 16.11.2015).

 

Ethnische Minderheiten:

 

Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Art. 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht. Diese weiteren in der Verfassung genannten Sprachen sind Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 16.11.2015; vgl. Max Planck Institut 27.01.2004).

 

In Afghanistan leben laut Schätzungen vom Juli 2015 mehr als 32,5 Millionen Menschen (CIA 20.10.2015). Davon sind 42%-45% Pashtunen, 25% Tadschiken, rund 10% Hazara, 10% Usbeken. Es existieren noch mehrere andere religiöse und ethnische Minderheiten (CRS 12.01.2015), wie z.B. Aimaken 4%, Turkmenen 3%, Balutschen 2% und andere kleinere ethnische Gruppen (CIA 24.06.2014).

 

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung verankert. Fälle von Sippenhaft oder sozialer Diskriminierung sind jedoch nicht auszuschließen und kommen vor allem in Dorfgemeinschaften auf dem Land häufig vor (AA 16.11.2015). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 25.06.2015).

 

Hazara:

 

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 10% der Bevölkerung aus. Sie hat sich ökonomisch und politisch durch Bildung verbessert. In der Vergangenheit wurden die Hazara von den Pashtunen verachtet, da diese dazu tendierten, die Hazara als Hausangestellte oder für andere niedere Arbeiten einzustellen. Berichten zufolge schließen viele Hazara, inklusive Frauen, Studien ab oder schlagen den Weg in eine Ausbildung in Informationstechnologie, Medizin oder anderen Bereichen ein, die in den unterschiedlichen Sektoren der afghanischen Wirtschaft besonders gut bezahlt werden (CRS 12.01.2015).

 

Für die während der Taliban-Herrschaft besonders verfolgten Hazara hat sich die Lage verbessert. Sie sind in der öffentlichen Verwaltung aber nach wie vor unterrepräsentiert. Unklar ist, ob dies Folge der früheren Marginalisierung oder eine gezielte Benachteiligung neueren Datums ist. Gesellschaftliche Spannungen bestehen fort und leben in lokal unterschiedlicher Intensität gelegentlich wieder auf (AA 16.11.2015; AA 02.03.2015). Gesellschaftliche Diskriminierung gegen die schiitischen Hazara mit Bezug auf Klasse, Ethnie und Religion hält weiter an – in Form von Erpressung, durch illegale Besteuerung, Zwangsrekrutierung und Zwangsarbeit, physische Misshandlung und Verhaftung (USDOS 25.06.2015). Informationen eines Vertreters einer internationalen Organisation mit Sitz in Kabul zufolge sind Hazara, entgegen ihrer eigenen Wahrnehmung, keiner gezielten Diskriminierung aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit ausgesetzt (Vertrauliche Quelle 29.09.2015).

 

Mitglieder der Hazarastämme, meist schiitische Muslime, sind in den Provinzen Bamiyan, Daikundi und Ghazni in Zentralafghanistan vertreten (CRS 15.10.2015). Eine prominente Vertreterin der Minderheit der Hazara ist die Vorsitzende der unabhängigen afghanischen Menschenrechtskommission Sima Simar (CRS 12.01.2015). Die Hazara sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 10% in der Afghan National Army und der Afghan National Police repräsentiert (Brookings 31.07.2015).

 

Situation der Hazara in Afghanistan (Gutachten des Sachverständigen Dr. Rasuly vom 17. 2. 2016):

 

Kurzer Rückblick betreffend Hazaras bis zum Sturz des Taliban-Regimes im Jahre 2001:

 

Die Hazaras wurden bis vor dem kommunistischen Putsch im Jahre 1978 wegen ihrer ethnisch-religiösen Herkunft stark diskriminiert. Sie dürften im afghanischen Staat keine höheren staatlichen Positionen erreichen und sie waren in der Gesellschaft wegen ihrer religiösen Richtung als Schiiten und wegen ihrer Ethnie als Hazara oft der Benachteiligungen und Verspottung ausgesetzt. Sie waren als Trägervolk und Dienervolk bekannt und sie gehörten zur ärmsten Bevölkerungsschicht Afghanistans. Ihre ursprüngliche Heimatregionen in Zentralafghanistan: Bamiyan, Teile der Provinz Ghazni, Provinz Daykundi und Teile der Provinz Maidan Wardak gehören Großteils zu den schwer zugänglichen und karge Regionen des Landes. Diese Bedingungen in den Abstammungsregionen der Hazaras haben dazu geführt, dass sie im Laufe des 19. Und 20. Jahrhunderts wegen Arbeitssuche, in die Städte wie in Kabul, Kandahar, Herat, Mazar-e Sharif, Kunduz usw. zugewandert und sich dort niedergelassen haben. Im 19. Jahrhundert wurden Hazaras vom damaligen afghanischen Emir, Abdurrahman Khan, im Zuge seiner Zentralisierungspolitik, schwer verfolgt. Tausende Hazaras wurden damals getötet und eine hohe Anzahl von ihnen war gezwungen, ihre Heimatregionen zu verlassen und in anderen Regionen Afghanistans sich niederzulassen oder ins Ausland, allen voran nach Quetta/Pakistan, zu flüchten.

 

Im 20. Jahrhundert wurden sie zwar nicht mehr verfolgt, aber sie wurden weiterhin diskriminiert und ihre Wohngebiete gehörten weiterhin zu den unterentwickeltsten Regionen des Landes. Mehrheitlich arbeiteten sie in den Städten als Trägern und Diener und so konnten sie ihr Überleben sichern. Viele von Ihnen wurden vor 1965, Beginn der Demokratisierungsphase, auch zur Zwangsarbeit von der Behörde herangezogen. Die Hazaras dürften im Sicherheitsapparat, Verteidigungs- und Innenministerium, sowie im Außenministerium keine Kariere machen.

 

Erst mit der Demokratisierungsphase im Jahre 1964/5 dürften die Hazaras allmählich im politisch-gesellschaftlichen Prozess teilnehmen und auch in das demokratische Parlament Abgeordneten entsenden und im Kabinett mit einem Minister vom Gnaden des Königs vertreten sein. Die Hazaras dürften zwar in den Städten Schulen besuchen und auch studieren, aber aufgrund ihrer schlechten Wirtschaftslage war die Zahl der Analphabeten unter den Hazaras viel höher als bei anderen Ethnien. In den Städten konnte ein kleiner Teil der Hazaras Schulen und Bildungs- und Ausbildungsstädte besuchen. Sie dürften aber hauptsächlich im Bildungs- und Gesundheitsbereich als Ärzte und Lehrer arbeiten. Ich möchte darauf hinweisen, dass bis zum kommunistischen Putsch im Jahre 1978 nicht mehr als 7 Prozent der Gesamtbevölkerung Afghanistans alphabetisiert bzw. gebildet war.

 

Die Stellung der Hazaras nach dem Putsch der Kommunisten im Jahre 1978:

 

Die Stellung der Hazaras im afghanischen Staat und Gesellschaft hat sich nach der Machtergreifung der Kommunist im Jahre 1978 grundlegend geändert. Unter den Kommunisten wurden sie zum ersten Mal in der Geschichte Afghanistans an der politisch-militärischen Macht beteiligt. Sie stellten im kommunistischen Staat das Amt des Ministerpräsidenten und hatten einige Ministerämter Inne. Sie waren im Sicherheitsapparat vertreten und die Entwicklungsplane der Kommunisten für das Land umfassten auch die Hauptsiedlungsgebiete der Hazaras, Hazarajat.

 

Der Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan im Dezember 1979 und die damit verbundene Entstehung der Mujaheddin-Gruppen war ein weiteres Ereignis, das zur Emanzipation der Hazaras in Afghanistan maßgebend beigetragen hat. Im Jahre 1980 wurden 7 sunnitische Widerstandsgruppen mit der Unterstützung der Saudi-Arabiens, Pakistans und des Westens, allen voran USA, in Pakistan gegründet.

 

Daraufhin wurden im Iran 8 Hazara bzw. schiitische Mujaheddin-Gruppen mit der Unterstützung der iranischen Machthaber gegründet. Sie wurden vom iranischen Staat bewaffnet und bekamen auch politische Rückendeckung vom Iran, welche sie befähigte, sich auch am Widerstand gegen die sowjetische Armee zu beteiligen, ohne von den Sunniten zurückgedrängt zu werden. Die Beteiligung der Hazaras im kommunistischen Staat und ihre Teilnahme am "Heiligen Krieg" gegen die Sowjets hatten ihnen geholfen, sich zu bewaffnen und allmählich gegen ihre Diskriminierung und Benachteiligungen zur Wehr zu setzen. Im Zuge des "Heiligen Krieges", von 1980 bis 1992, gegen Kommunisten und der sowjetischen Armee und im Zuge des Bürgerkrieges, von 1992 bis 1998, haben die Hazaras ihre Hauptsiedlungsgebiete in Zentralafghanistan, in Nordwest-Afghanistan und in einigen Bezirken von Kabuls, vollständig unter ihre Kontrolle gebracht und die Verwaltung dieser Regionen mit ihrer eigenen Leute besetzt.

 

Bürgerkrieg in Afghanistan von 1992 bis 1996 bzw. bis 1998 und die Hazaras:

 

Die Hazaras waren am Bürgerkrieg in Kabul, in Mazar-e Sharif, in Ghazni, Bamiyan, Baghlan, in Uurzgan und in Teilen West-Afghanistan bewaffnet beteiligt. Während des Bürgerkrieges konnte die Hezb-e Wahdat, Partei der Hazaras, ihre Bevölkerung militärisch und politisch soweit mobilisieren, dass Hunderttausende Hazaras sich bewaffnet an der Seite der Hezb-e Wahdat an den Bürgerkriegshandlungen gegen anderen Gruppen, wie Jamiat-e islami, Hezb-e islami und die Taliban beteiligt haben. Als die Taliban im Jahre 1995 in Ghazni, ausgenommen Hazara-Gebiete, im 1996 in Kabul, im Jahre 1998 in Mazar-e Sharif und Hazarajat an die Macht kamen, haben sie die Hazaras schwer unterdrückt und sie haben tausende Hazaras aus den Städten vertrieben und tausende von ihnen getötet.

 

Die Hazaras zogen sich in ihren Hauptsiedlungsgebieten in Hazarajat zurück, als die Taliban im Jahre 1996 Kabul eingenommen haben und sie verteidigten ihre Siedlungsgebiete bis zum Jahre 1998. Die Taliban führten einen brutalen Krieg gegen die Hazaras und sie haben in Mazar-e Sharif im Jahre 1998 mehr als 8000 Hazaras in wenigen Tagen getötet. Im Jahre 1998 haben die Taliban Alle Siedlungsgebiete der Hazaras erobert. Die Gruppenkonflikte innerhalb der Hazaras führten dazu, dass einige Hazara-Kommandanten mit den Taliban kooperierten und die Taliban bei der Einnahme ihrer eigenen Siedlungsgebiete unterstützten. Zwischen 1995 bis 2001 flüchteten hunderttausende Hazaras in den Nachbarländern Iran und Pakistan und Tausende junge Hazaras schlossen sich dem Widerstand gegen die Taliban an, der in den Bergen von Hazarajat von Hezb-e Wahdat weitergeführt wurde.

 

Die Lage der Hazaras seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001:

 

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes wurde, Ende 2001, in einer Konferenz in Bonn festgelegt, dass alle Ethnien Afghanistans, einschließlich die Hazaras an der staatlichen Macht beteiligen werden müssen. So haben die Hazaras und andere Schiitische Gruppen seit Ende 2001 im afghanischen Staat einen Stellvertretenden Staatspräsidenten, fünf Ministerposten und jeweils einen Stellvertretenden Minister im Staatssicherheits- Verteidigungs- und Innenministerium. Außerdem haben sie mehrere Schlüsselpräsidien in diesen Ministerien. Der Stellvertreter Armee-Chef ist derzeit kommt aus der Reihe der Hazaras namens General Morad Ali Morad. General Morad hat weitgenende Befehlsbefugnisse und er befehligt derzeit die Kriege gegen die Taliban in verschiedenen Provinzen wie Kunduz, Baghlan, Helmand. Die Hazara-Parteien, allen voran die Hezb-e Wahdat, kontrollieren derzeit die Hauptsiedlungsgebiete der Hazaras als Teil der staatlichen Macht.

 

Diese Gebiete sind: Bamiyan, Daykundi, die Distrikte Jaghuri, Malistan, Nawur, Jaghatu, Teile von Qarabagh usw.) in der Provinz Ghazni, Die Hazara-Wohnbezirke in Mazar-e Sharif und einige Distrikte der Provinzen Samangan, wie Dara-e Suf, Hazara-Siedlungsgebiete in der Provinz Sara-e Pul und in der Provinz Balkh, sowie die von Hazara bewohnten Distrikte und Dörfer in der Provinz Maidan Wardak, vor allem Hessa-i-Awal-i Behsud, Behsud-i Markazi und Daymirdad. Die Hazaras sind in Kabul im politisch-kulturellen Leben und im Bildungs- und Wirtschaftsbereich maßgebend vertreten. Die Hazaras besitzen mehrere Fernsehsendungen und haben dutzende Privatuniversitäten und Institute im Lande. Die Hazaras stellen in den staatlichen Universitäten im Verhältnis zu ihrer Anzahl mehr Studenten als jede andere Ethnie des Landes; weil sie durch ihre leidgeprüfte Geschichte die derzeitige Möglich besser zu ihren Gunsten wahrnehmen. Die Hazaras und andere Schiiten haben in Großstädten wie in Kabul, Mazar-e Sharif und Herat eigene islamische Bildungsstädte für schiitische Islam-Lehre. Die Bildungsstädte werden vom Iran finanziert und mit Lehrkräften unterstützt. Die Hazaras als Schiiten dürfen zum ersten Mal in der Geschichte Afghanistans seit dem Sturz des Taliban-Regimes ungestört und in voller Umfang schiitischen Rituale, wie das wichtigste Feiertag, Ashura, den Gedenktag an den Märtyrertod Imam Husain, mit Prozession auch in den nicht schiitischen Bezirken in Kabul und Mazar-e Sharif und anderen Städten zelebrieren, ohne von den Sunniten gestört und lächerlich gemacht zu werden. Früher haben sie nur ihren Moscheen unter sich gefeiert. Ca. ein Drittel der Parlamentsabgeordneten in Kabul sind Hazaras bzw. Schiiten und sie sind wie die sunnitischen Abgeordneten gleichberechtigt am politischen Prozess beteiligt. Somit sind die Hazaras in der Staatsgewalt bzw. Staatsmacht maßgebend beteiligt. Sie waren bis zum Sturz des Taliban-Regimes im Jahre 2001 nie in diesem Ausmaß in Afghanistan an der staatlichen Macht beteiligt.

 

Sie sind nicht nur an der Zentralgewalt beteiligt, sondern sie stellen die Gouverneure und die Sicherheitskommandanten ihrer Provinzen, wie in Bamiyan, Daikundi und allen anderen hauptsächlich von den Hazaras bewohnten Distrikten in Ghazni und in Maidan Wardak. Alle bedeutenden Distrikte wie Jaghuri, Malistan, Jaghatu, Nawur, und Teile von Qarabagh in Ghazni werden von den Kommandanten der Hezb-e Wahdat als Behörde verwaltet. Auch in Maidan Wardak werden die Hauptsiedlungsgebiete von Hazaras, wie Hisa-i-Awal-i Behsud, Behsud-e Markazi und Day Mirdad werden von den Kommandanten der Hezb-e Wahdat kontrolliert und verwaltet. Mit der neuen Stellung und ihrer Widerstandsfähigkeit und Möglichkeiten befinden sich die Hazaras in Afghanistan seit Ende 2001 nicht mehr in einer Opferrolle, sondern sie sind im Stande, sich kollektiv mit ihrer Möglichkeiten im Rahmen des Staates, sich zu verteidigen. Allerdings kommt es vor, dass immer wieder Taliban auf den Hauptstraßen zwischen den Provinzen im Süden, Westen und auf dem Wege nach Maidan Wardak und Bamiyan Reisebusse anhalten und bestimmte Reisende mitnehmen. Die meisten dieser Geiseln in auf diesen Strecken sind Hazaras. In den Jahren 2013 bis 15 ist mehrere Male vorgekommen, dass auf dieser Strecke Hazaras aus den Reisebussen hinaus gezerrt und mitgenommen worden sind. Einige von diesen Personen wurden freigelassen und dutzende Personen wurden getötet. Diese Aktion der Taliban gegen die Hazaras richtet nicht nur gegen die Hazaras, sondern sie töten und Entführen auch Paschtunen, Usbeken und Tajiken. Bei jeder solchen Aktion erwecken die Taliban den Anschein, als wäre diese oder jene ihre Aktion nur gegen jeweilige Volksgruppe, deren Mitglieder sie gerade entführt und getötet haben, richten würde. Die Hauptroute von Kabul über Salang-Pass nach Norden, Baghlan – Mazar-e Sharif – Kunduz, wird hauptsächlich von den Paschtunen, Tajiken und Usbeken befahren. Die Strecke zwischen Baghlan und Kunduz ist sehr gefährlich und die Reisenden versuchen, bis 14 Uhr die Strecke Baghlan nach Kunduz zu passieren, weil nachmittags die Taliban die Route immer wieder kurzfristig unter ihre Kontrolle bringen. Sie stoppen die Reisebusse und zerren willkürlich Personen aus den Reisebussen und Taxis und nehmen sie als Geisel mit. Einige dieser Personen werden von den Taliban später getötet. Diese Personen sind Großteils Tajiken und Usbeken. Die Meisten von den Taliban kontrollierten Gebiete in Afghanistan werden von den Usbeken, Paschtunen und Tajiken bewohnt. In diesen Gebieten werden Menschen willkürlich bestraft und Personen, die einmal für die Regierung gearbeitet haben, geraten der Verfolgung und Unterdrückung der Taliban.

 

Die Provinzen und Distrikte, wo hauptsächlich die Hazaras wohnen, werden von den Hazaras kontrolliert und sie haben bis jetzt ihre Siedlungsgebiete soweit geschützt, dass die Taliban dort nicht eindringen konnten. Aber Distrikte, wie Gisab in Uruzgan und Nirkh in Maidan Wardak, die auch von Paschtunen bewohnt werden, sowie einige Dörfer, die in den mehrheitlich von Paschtunen oder Usbeken bewohnten Gebieten liegen, werden nicht von den Hazara-Parteien kontrolliert. Manche diese Gebiete werden immer wieder von den Taliban kurzfristig kontrolliert.

 

Die Taliban sind Anhänger der arabischen Fundamentalisten, allen voran Saudis, die gegen Iran und damit gegen die Schiiten eingestellt sind. Aus diesem Standpunkt kommt es immer wieder vor, dass die Taliban ihre Opfer, wenn sie Schiiten sind, zur Schau stellen. Aber sie bringen mehr Paschtunen und Usbeken um, deren Gebiete sie leicht unter ihre Kontrolle bringen können. In diesen Gebieten kommt es häufig vor, dass die Taliban willkürlich Menschen verfolgen, Töten und die Jungendlichen, wenn sie benötigt werden, rekrutieren. Eine Zwangsrekrutierung seitens der Taliban ist dort möglich, wo sie vorherrschen.

 

Diese Gebiete liegen in den von Paschtunen und Uzbeken bewohnten Provinzen, wie Nangarhar, Kandahar, Kunar, Kunduz, Faryab, Helmand usw. Wenn die Jugendlichen sich nicht dort befinden oder sich der Zwangsrekrutierung der Taliban entziehen und in Großstädten oder ins Ausland flüchten, werden sie von den Taliban nicht weiter gesucht. Allerding können diese Jugendlichen nicht mehr in ihre Heimatregion zurückkehren, wenn die Taliban weiterhin dort vorherrschend sind. Zwangsrekrutierung ist nicht weitverbreitet, weil viele Jugendlichen aus Gründen der Arbeitslosigkeit und ethnischer Solidarität sich den Taliban anschließen. Oder, es gibt Regionen deren Bevölkerung aus Gründen der Paschtunwali, Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen , "Krisenzeiten" für notwendig erachtet, den Taliban freiwillig Soldaten bereit zu stellen. Die meisten Opfer der Taliban sind von 2013 bis Februar 2016 in den Paschtunen bewohnten Provinzen, Kandahar, Nangarhar, Kunar, Helmand, Logar, Wardak und in den Provinzen Kunduz, Faryab, Baghlan und Badakhshan zu verzeichnen, wo hauptsächlich Usbeken, Tajiken und Paschtunen wohnen. Die Taliban haben im Oktober 2015 die Stadt Kunduz eingenommen und haben in wenigen Tagen den Uno-Berichten zur Folge mehr als 800 Menschen getötet. Die getöteten Personen waren Zivilisten aus der Reihe der Tajiken und Usbeken. Derzeit werden die meisten Distrikte von Nangarhar von den Taliban kontrolliert und es wird immer wieder Massaker an der Zivilbevölkerung seitens der Taliban verübt. Hierzu möchte ich auf folgende Internetquellen hinweisen, die als Beilagen diesem Gutachten beigelegt werden.

 

Beilage 1: Betreffend das Vorgehen der Taliban in Kunduz.

 

Beilage 2: betreffend Angriff der Taliban auf den Distriktes Burka in Baghlan.

 

Beilage 3: Selbstmordanschlag der Taliban in Paktia, Siedlungsgebiet der Paschtunen, während eines Handballspiels der Schüler, bei dem mehr als 50 Schüler sterben.

 

Beilage 4: Taliban töten gezielt paschtunische Stammesältesten in Helmand.

 

Beilage 5: Eine Abspaltung von Taliban töten mehr als 30 Menschen in Jalalabad in Nangarhar. Jalalabad wird von Paschtunen, Tajiken und Paschais bewohnt.

 

Beilage 6: Ein weiteres Beispiel der Brutalität der Taliban bzw. IS in Nangarhar, in Siedlungsgebiet der Paschtunen.

 

Beilage 7: Taliban töten 30 Hazara-Polizisten, die in Jalrez in Maidan Wardak Dienst versahen.

 

Beilage 8: Taliban haben 30 Hazara-Zivilisten auf der Reise nach Provinz Zabul entführt und sieben von Ihnen haben sie geköpft. In diesem Beitrag ist zu lesen, wie die Hazaras in Kabul unter der Beteiligung von mehreren hunderttausend Menschen gegen die Brutalität der Taliban demonstrieren.

 

Beilage 9: durch die Bombe der Taliban werden dutzenden Menschen in Kapisa, Siedlungsgebiet der Tajiken und Paschtunen getötet.

 

Beilage 10: Acht Zivilisten werden durch Explosion einer Bombe in Nangarhar getötet.

 

Beilage 11: Dutzende Menschen werden in Faryab, ein von Usbeken besiedelte Provinz, bei einem Selbstmordanschlag der Taliban, 2014, getötet.

 

Beilage 12: Bei einem Selbstmordanschlag der Taliban im Juli 2015 werden in Faryab 15 Menschen getötet und 38 Personen verletzt.

 

Zur Zwangsrekrutierung der Hazaras durch die Taliban:

 

Betreffend die Zwangsrekrutierung aus den Reihen der Hazaras durch Taliban in Afghanistan möchte ich ausführen, dass die Hazaras weitgehend ihre Siedlungsgebiete selber kontrollieren und es ist mir nicht bekannt, dass die Taliban in den Siedlungsgebieten der Hazaras oder anderen Ethnien eindrängen, um Jugendlichen zu zwangsrekrutieren. Wenn aber die Taliban ein Gebiet einnehmen und für einige Zeit dort herrschen, dann kommt es vor, dass sie Junge Menschen, sogar Minderjährigen, zwangsrekrutieren, dabei können auch Hazara-Jungendlichen auch rekrutiert werden, wenn die Taliban gerade Soldaten brauchen. In Gebieten, wo die Hezb-e Wahdat herrscht können die Jungendlichen nicht rekrutiert werden. Die Taliban haben Hazaras, die sie auf den Hauptstraßen entführt haben, Teils enthauptet und Teils mit ihren Gefangenen ausgetauscht. Es ist nicht bekannt geworden, dass die Taliban ihre Hazara-Geiseln bewaffnet und zum Krieg mitgenommen hätten.

 

Die Kämpfer der Taliban stammen mehrheitlich aus der Reihe der Paschtunen in Pakistan und in Afghanistan, neuerlich auch aus der Reihe der Usbekischen, deren Dörfer von den Taliban eingenommen worden sind, aus der Reihe der ausländischen Terroristen, z.B. aus Saudi-Arabien, Arabischen Emirate, aus Chechenien, Tajikistan und Usbekistan. Da die Taliban derzeit einen Partisanen Krieg führen, können Soldaten, denen sie nicht vertrauen und Schiiten sind, nicht mitschleppen und sie sind Risiko-Faktor. Während ihrer Herrschaft bis 2001 haben sie aus der Reihe der Nicht-paschtunischen auch Jugendlichen unter Zwang zum Kriegsdienst mitgenommen und als Kanonenfutter an der vordersten Reihe eingesetzt.

 

Nach einer neuerlichen Information, die ich in Afghanistan erhalten habe, sind verschiedene Militäreinheiten von der Regierung erstellt beauftragt worden, die Routen zwischen Kabul bis Zabul, die auch von Hazara-Reisenden benutzt werden und die Straßenverbindungen zwischen verschiedenen Hazara-Distrikten in Ghazni zu kontrollieren. Diese Einheiten werden Großteils von den Hazara-Offizieren und Kommandanten befehligt.

 

Gutachten des länderkundigen Sachverständigen anlässlich der mündlichen Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht vom 15. 2. 2017:

 

Wenn sich der Beschwerdeführer über die schlechte Sicherheitslage in Ghazni geäußert hat, ist diese Sorge des Beschwerdeführers berechtigt, weil nach den Informationen des Sachverständigen, die er in Afghanistan vom 31. 01. bis 10. 02. 2017 gesammelt hatte, die Sicherheitslage in großen Teilen der Provinz Ghazni äußerst prekär ist.

 

Seit Beginn des Krieges in Afghanistan vor mehr als 35 Jahren flüchteten und flüchten Millionen Afghanen zunächst in die Nachbarländer. Von diesen Flüchtlingen flüchten mehr als 1,5 Millionen Personen nach Europa, Amerika, Kanada, in die ehemaligen Sowjetrepubliken, vor allem Russland, die auch zum europäischen Kulturraum zu zählen sind.

 

Die meisten Flüchtlinge, die einen Flüchtlingsstatus erhalten, haben regen Kontakt nach Afghanistan, Pakistan und dem Iran. Es gibt in Europa viele Flüchtlinge, die die Taliban unterstützen oder ihre Sympathisanten sind. Wie aus Medien zu entnehmen ist, reisen tausende junge Menschen aus Europa nach Syrien, Irak, Pakistan und Afghanistan, um den Taliban- und IS-Terroristen zu dienen. Daher werden die Taliban die Flüchtlinge im europäischen Ausland auf keinen Fall als Zielscheibe betrachten. Auch tausende Familienmitglieder der Taliban leben im europäischen Ausland als Flüchtlinge. Sie sind Eltern oder Kinder oder Geschwister der Taliban und haben regen Kontakt mit diesen.

 

Der Sachverständige hat in Afghanistan während seiner letzten Forschungsreise vom 31. 01. – 10. 02.2017 in Erfahrung bringen können, dass in Afghanistan manche Dörfer ausschließlich von ausländischen Terroristen kontrolliert werden, die teilweise aus Europa eingereist sind.

 

Daher schließt er aus, dass der Beschwerdeführer von den Taliban wegen seines Aufenthaltes in Europa zur Zielscheibe gemacht wird.

 

Aber wenn jemand im Taliban-Herrschaftsbereich mit diesen zusammengearbeitet bzw. gelebt hat, eine weitere Zusammenarbeit mit diesen abgelehnt und ins Ausland geflüchtet ist, ist nicht auszuschließen, dass er im Falle seiner Rückkehr in den Herrschaftsbereich der Taliban, von wo er geflüchtet ist, von diesen bestraft wird. Dabei kann ihm vorgeworfen werden, dass er durch seine Flucht ins Ausland eine Zusammenarbeit mit den Taliban verweigert hätte.

 

2. Beweiswürdigung:

 

Die Länderfeststellungen gründen auf den jeweils angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen sowie dem in der mündlichen Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht erstatteten Gutachten des länderkundigen Sachverständigen. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten.

 

Der Sachverständige ist in Afghanistan geboren und aufgewachsen, er hat in Kabul das Gymnasium absolviert, in Wien Politikwissenschaft studiert und war in den neunziger Jahren an mehreren Aktivitäten der Vereinten Nationen zur Befriedung Afghanistans beteiligt. Er hat Werke über die politische Lage in Afghanistan verfasst und verfügt dort über zahlreiche Kontakte, ist mit den dortigen Gegebenheiten vertraut und recherchiert dort selbst - auch für den unabhängigen Bundesasylsenat, den Asylgerichtshof und das Bundesverwaltungsgericht - immer wieder (zuletzt im Februar 2017). Auf Grund seiner Sachkenntnis wurde er bereits in vielen Verfahren als Gutachter herangezogen; er hat im Auftrag vieler Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, des Asylgerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichtes zahlreiche nachvollziehbare und schlüssige Gutachten zur aktuellen Lage in Afghanistan erstattet.

 

Die gutachterlichen Ausführungen des länderkundigen Sachverständigen anlässlich der durchgeführten mündlichen Verhandlung stammen aus seiner im Februar 2017 durchgeführten Forschungsreise.

 

Die Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Nationalität und seiner Religionszugehörigkeit werden – wie bereits im Bescheid des Bundesamtes - den Feststellungen zugrunde gelegt. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer tatsächlich aus der Provinz Ghazni stammt.

 

Der Beschwerdeführer brachte in der mündlichen Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht vor, im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan Furcht vor der unsicheren Lage, der Arbeitslosigkeit sowie dem Umstand, dort kein Familienoberhaupt zu besitzen, zu haben.

 

Dem wurde bereits durch die Gewährung subsidiären Schutzes Rechnung getragen.

 

Im Beschwerdeschriftsatz machte der Beschwerdeführer jedoch geltend, im Fall seiner Rückkehr in seine Heimatprovinz von den Taliban verfolgt und unter Umständen getötet zu werden, zumal er durch seine Flucht in einen westlichen Staat zum Ausdruck gebracht habe, sich gegen deren Ziele zu stellen und die Extremisten im Kampf nicht zu unterstützen.

 

Wenngleich der Beschwerdeführer diese Verfolgung anlässlich der mündlichen Verhandlung nicht vorbrachte, wurde der länderkundige Sachverständige beauftragt zu dieser Frage Stellung zu beziehen. Dazu führte er aus, dass seiner Sachkenntnis zufolge, die aus im gegenständlichen Fall auf seiner letzten Forschungsreise beruht, eine Verfolgungsgefahr durch die Taliban dann zutreffen würde, wenn jemand mit diesen zusammengearbeitet hat, eine weitere Zusammenarbeit abgelehnt und in das Ausland geflüchtet ist. In solch einem Fall wäre nicht auszuschließen, dass eine solche Person im Fall ihrer Rückkehr in den Herrschaftsbereich der Taliban, von diesen bestraft werden würde. Dabei könnte ihr auch vorgeworfen werden, durch sihre Flucht in das Ausland eine Zusammenarbeit mit den Taliban verweigert zu haben.

 

Der Beschwerdeführer hat jedoch zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens behauptet, während seines Aufenthaltes in Afghanistan mit den Taliban in Kontakt getreten zu sein noch mit diesen kooperiert zu haben. Somit ist den gutachterlichen Ausführungen zufolge eine Verfolgung des Beschwerdeführers wegen seines Aufenthaltes im westlichen Ausland der Boden entzogen. Die gesetzliche Vertreterin des Beschwerdeführers ist den Ausführungen des Sachverständigen in keiner Weise entgegengetreten.

 

Weiters wies der Beschwerdeführer im Beschwerdeschriftsatz auf die sich ständig verschlechternde Lage der Hazara hin, wonach die Taliban und andere regierungsfeindliche Truppen diese Volksgruppe verstärkt angreifen würden. In diesem Zusammenhang ist zunächst auf das in den Länderfeststellungen beinhaltete Gutachten des länderkundigen Sachverständigen hinzuweisen, in dem vom bisherigen Erfolg der Hazara, ihre Siedlungsgebiete militärisch gegen die Taliban, ausgegangen wird. Darüber hinaus ist es notorisches Wissen und wird auch im Gutachten dargestellt, dass die Hazara nach dem Sturz der Taliban, zu dem sie im Rahmen der Hezb-e Wahdat als Teil der Nordallianz einen nicht unbedeutenden militärischen Beitrag leisteten, im politischen Machtgefüge und im Militär zu den tragenden Säulen des afghanischen Staates zählen. So haben die Hazara im afghanischen Staat einen stellvertretenden Staatspräsidenten, fünf Ministerposten und jeweils einen stellvertretenden Minister im Staatssicherheits- Verteidigungs- und Innenministerium. Außerdem haben sie mehrere Schlüsselpräsidien in diesen Ministerien. Der stellvertretende Armee-Chef ist derzeit ein Angehöriger der Hazara, welcher weitgehende Befehlsbefugnisse hat und derzeit in verschiedenen Provinzen wie Kunduz, Baghlan oder Helmand die Operationen gegen die Taliban befehligt. Auch sind ca. ein Drittel der Parlamentsabgeordneten Hazara bzw. Schiiten. Hazara stellen auch die Gouverneure und die Sicherheitskommandanten in ihren Provinzen Bamiyan, Daikundi und in allen anderen hauptsächlich von den Hazara bewohnten Distrikten in Ghazni und in Maidan Wardak. Alle bedeutenden Distrikte wie Jaghuri, Malistan, Jaghatu, Nawur und Teile von Qarabagh in Ghazni werden von den Kommandanten der Hezb-e Wahdat behördlich verwaltet. Auch in Maidan Wardak werden die Hauptsiedlungsgebiete von Hazara, wie Hisa-i-Awal-i Behsud, Behsud-e Markazi und Day Mirdad von den Kommandanten der Hezb-e Wahdat kontrolliert und verwaltet.

 

Angesichts der sich aus den obigen Länderfeststellungen ergebenen umfangreichen Verankerung der Hazara in die politischen und militärischen Machtstrukturen des Staates sind keine Hinweise auf eine Gruppenverfolgung von Hazara (und Schiiten) zu erkennen, vielmehr hat sich deren Situation in Afghanistan seit dem Ende der Talibanherrschaft nachhaltig und wesentlich verbessert, weshalb im Fall des Beschwerdeführers keine Gruppenverfolgung beruhend auf seiner Volksgruppenzugehörigkeit der Hazara festgestellt werden kann.

 

Den Länderfeststellungen, insbesondere zur Situation der Hazara, wurde von der gesetzlichen Vertreterin des Beschwerdeführers ebenso wenig entgegengetreten.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG 2005 idF ist das AsylG 2005 am 1.1.2006 in Kraft getreten; es ist gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren.

 

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz (Art. 2 FNG) idF des Art. 2 FNG-Anpassungsgesetz BGBl. I 68/2013 und des BG BGBl. I 144/2013 (in der Folge: BFA-VG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes.

 

Das vorliegende Verfahren war am 31.12.2005 nicht anhängig; das Beschwerdeverfahren ist daher nach dem AsylG 2005 zu führen.

 

Gemäß § 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, Art. 1 BG BGBl. I 33/2013 (in der Folge: VwGVG), idF BG BGBl. I 122/2013 ist das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch das VwGVG geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens bereits kundgemacht waren, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit im VwGVG nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG - wie die vorliegende - das AVG mit Ausnahme seiner §§ 1 bis 5 und seines IV. Teiles, die Bestimmungen weiterer, hier nicht relevanter Verfahrensgesetze und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, welche die Verwaltungsbehörde in jenem Verfahren angewandt hat oder anzuwenden gehabt hätte, das dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangen ist. Dementsprechend sind im Verfahren über die vorliegende Beschwerde Vorschriften des AsylG 2005 und des BFA-VG anzuwenden. (So enthalten zB § 16 Abs. 1 zweiter Satz und § 21 Abs. 7 BFA-VG ausdrücklich Sonderbestimmungen gegenüber dem VwGVG.)

 

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht - und somit auch das Bundesverwaltungsgericht - über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Verwaltungsbehörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde "unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens" widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Verwaltungsbehörde ist dabei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

 

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine andere als die Zuständigkeit des Einzelrichters ist für die vorliegende Rechtssache nicht vorgesehen, daher ist der Einzelrichter zuständig.

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

 

A)

 

Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG 2005 idF ist das AsylG 2005 am 1.1.2006 in Kraft getreten; es ist gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren.

 

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz (Art. 2 FNG) idF des Art. 2 FNG-Anpassungsgesetz BGBl. I 68/2013 und des BG BGBl. I 144/2013 (in der Folge: BFA-VG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes.

 

Das vorliegende Verfahren war am 31.12.2005 nicht anhängig; das Beschwerdeverfahren ist daher nach dem AsylG 2005 zu führen.

 

Gemäß § 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, Art. 1 BG BGBl. I 33/2013 (in der Folge: VwGVG), idF BG BGBl. I 122/2013 ist das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch das VwGVG geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens bereits kundgemacht waren, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit im VwGVG nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG - wie die vorliegende - das AVG mit Ausnahme seiner §§ 1 bis 5 und seines IV. Teiles, die Bestimmungen weiterer, hier nicht relevanter Verfahrensgesetze und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, welche die Verwaltungsbehörde in jenem Verfahren angewandt hat oder anzuwenden gehabt hätte, das dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangen ist. Dementsprechend sind im Verfahren über die vorliegende Beschwerde Vorschriften des AsylG 2005 und des BFA-VG anzuwenden. (So enthalten zB § 16 Abs. 1 zweiter Satz und § 21 Abs. 7 BFA-VG ausdrücklich Sonderbestimmungen gegenüber dem VwGVG.)

 

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht - und somit auch das Bundesverwaltungsgericht - über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Verwaltungsbehörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde "unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens" widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Verwaltungsbehörde ist dabei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

 

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine andere als die Zuständigkeit des Einzelrichters ist für die vorliegende Rechtssache nicht vorgesehen, daher ist der Einzelrichter zuständig.

 

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

 

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

 

Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

 

Zu A)

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), droht.

 

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318;

09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN;

19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131;

25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

 

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

 

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

 

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

 

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße – möglicherweise vorübergehende – Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, Zl. 98/20/0399; 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

 

Im vorliegenden Fall ist dem Beschwerdeführer nicht gelungen, objektiv begründete Furcht vor aktueller und landesweiter Verfolgung in gewisser Intensität glaubhaft zu machen. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung von internationalem Schutz, nämlich die Gefahr einer aktuellen Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe, liegen daher nicht vor.

 

In der Beweiswürdigung wurde auch begründet, weshalb der Beschwerdeführer einzig aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara nicht einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre.

 

Auch aus der allgemeinen Lage in Afghanistan lässt sich für den Beschwerdeführer eine Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nicht herleiten: Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. etwa VwGH 14.3.1995, 94/20/0798; 17.6.1993, 92/01/1081).

 

Es war spruchgemäß zu entscheiden.

 

B)

 

Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. die oben im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zu Spruchteil A angeführten zahlreichen Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

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