Normen
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1;
BFA-VG 2014 §21 Abs7;
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Somalias, beantragte am 30. Dezember 2011 internationalen Schutz in Österreich.
Als Fluchtgrund brachte die Revisionswerberin im Wesentlichen vor, Somalia aus Angst vor der Al Shabaab-Miliz verlassen zu haben. Nachdem ihr Ehemann im Mai 2010 getötet worden sei, habe sie auf der Straße Waren verkauft. Eines Tages hätten Al Shabaab-Mitglieder ihre Ware in Brand gesteckt, die Revisionswerberin mit einer Waffe geschlagen und sie mitgenommen, weil sie keine Süßigkeiten und Tabakwaren verkaufen und als Frau nicht arbeiten dürfe. Sie sei gemeinsam mit anderen Frauen zehn Tage lang festgehalten worden. Als es zwischen Al Shabaab-Mitgliedern und der Regierung zu einem Kampf gekommen sei, habe sie flüchten können.
2. Mit Bescheid vom 5. September 2012 wies das Bundesasylamt (nunmehr Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) den Antrag gemäß den §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) zur Gänze ab und wies die Revisionswerberin gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 nach Somalia aus.
Begründend führte das Bundesasylamt unter anderem aus, das Fluchtvorbringen der Revisionswerberin sei nicht glaubwürdig. So habe sie etwa zunächst angegeben, auf der Straße Gemüse verkauft zu haben und mitgenommen worden zu sein, weil sie als Frau nicht hätte arbeiten dürfen. In weiterer Folge habe sie dagegen angegeben, sie sei mitgenommen worden, weil sie aus Sicht der Al Shabaab keine Süßigkeiten und Tabakwaren hätte verkaufen dürfen. Weiters sei die Revisionswerberin nicht in der Lage gewesen, ihre zehntägige Gefangenschaft zu beschreiben. Details habe sie auch auf Nachfrage nicht schildern können. Darüber hinaus habe sich die Situation in Somalia, vor allem in Mogadischu, geändert.
3. In der gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid erhobenen Beschwerde beantragte die Revisionswerberin eine mündliche Verhandlung und trat den beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesasylamtes und auch den Länderfeststellungen zu Mogadischu im Einzelnen mit konkreten Argumenten zur Aufklärung ihr vorgeworfener Widersprüche und Unplausibilitäten in ihrem Vorbringen entgegen. Unter anderem brachte sie vor, sie habe zwar Gemüse verkauft, einmal in der Woche jedoch eine Lieferung mit Süßigkeiten und Tabakwaren erhalten. Die Männer der Al Shabaab seien deshalb auf sie aufmerksam geworden, weil sie als Frau unerlaubterweise einer Arbeit nachgegangen sei. Zu der von ihr behaupteten Gefangenschaft brachte die Revisionswerberin unter anderem vor, sie habe keine detaillierteren Angaben zum Haus, in dem sie festgehalten worden sei, machen können, weil sich die Frauen dort alle nur ein Zimmer geteilt hätten.
4. Im Beschwerdeverfahren übermittelte das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der Revisionswerberin Länderberichte zur aktuellen Lage in Somalia und räumte ihr die Möglichkeit ein, (unter anderem) dazu schriftlich Stellung zu nehmen.
Mit Stellungnahme vom 17. September 2014 trat die Revisionswerberin den ihr übermittelten vorläufigen Länderfeststellungen des BVwG unter Verweis auf einen weiteren Länderbericht zur Situation in Somalia und unter Vorlage diverser Zeitungsartikel, die die kritische Lage in Somalia belegen sollten, entgegen.
5. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde gemäß den §§ 3 Abs. 1 und 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet ab und verwies das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurück. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
In seiner Entscheidung schloss sich das BVwG den beweiswürdigenden Ausführungen der Verwaltungsbehörde im Wesentlichen an und ging ebenfalls von der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens aus und führte pauschal aus, das Beschwerdevorbringen habe die Widersprüche im Vorbringen nicht entkräften können. Die Aussagen der Revisionswerberin vor dem Bundesasylamt seien abstrakt und auf der Gefühlsebene distanziert geblieben, weshalb anzunehmen sei, dass sie das Geschilderte nicht selbst erlebt habe. In einer Eventualbegründung führte das BVwG zudem aus, dass "die Verfolgungsgefahr infolge einer Veränderung der Stellung der Al Shabaab in Mogadischu" nicht aktuell wäre.
6. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit und in der Sache (unter anderem) vorgebracht wird, das BVwG sei von der - näher dargelegten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Verhandlungspflicht abgewichen.
7. Die belangte Behörde vor dem BVwG erstattete keine Revisionsbeantwortung.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
1. Die Revision ist zulässig und begründet.
2.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seit dem Erkenntnis vom 28. Mai 2014, Ra 2014/20/0017, 0018, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, sind für ein Absehen von der mündlichen Verhandlung durch das BVwG nach § 21 Abs. 7 BFA-VG wegen geklärten Sachverhalts folgende Kriterien beachtlich:
Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.
2.2. Diese in der hg. Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen hat das BVwG im vorliegenden Fall nicht erfüllt.
Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass die Bestreitung der erstinstanzlichen Beweiswürdigung in der Beschwerde nicht bloß unsubstantiiert erfolgt ist. Das BVwG konnte daher nicht von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen, sondern hätte nach den oben dargestellten Kriterien eine mündliche Verhandlung durchführen müssen.
Dies gilt nicht nur für die Frage, ob die Angaben der Revisionswerberin zu den Fluchtgründen glaubwürdig sind, sondern auch für die Eventualbegründung, mit der eine Verfolgungsgefahr aufgrund der aktuellen Sicherheitslage in Mogadischu verneint wurde. Den diesbezüglichen Ausführungen der Verwaltungsbehörde ist die Revisionswerberin schon in der Beschwerde konkret entgegengetreten. Überdies ist noch darauf hinzuweisen, dass das BVwG die Notwendigkeit erkannt hat, die Feststellungen zur Situation in Somalia zu aktualisieren. Die im Beschwerdeverfahren vom BVwG eingeräumte Möglichkeit, zum Inhalt aktueller Länderberichte schriftlich Stellung zu nehmen, kann allerdings die Durchführung einer Verhandlung in einem Fall, wie er auch hier vorliegt, nicht ersetzen (vgl. etwa VwGH vom 24. Februar 2015, Ra 2014/19/0171, mwN).
3. Das angefochtene Erkenntnis war daher - auch in Bezug auf die aufbauenden Entscheidungen betreffend den subsidiären Schutz und die Zurückverweisung gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 - zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 29. Juni 2015
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