BVwG W119 2102332-1

BVwGW119 2102332-110.8.2016

AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art.133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2016:W119.2102332.1.00

 

Spruch:

W119 2102332-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a EIGELSBERGER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, gebXXXX, StA: Afghanistan, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Klagenfurt-Land, Bereich 3-Jugend und Familie, Außenstelle Ferlach, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30. 1. 2015, Zl 13-821574403/1575044, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 16. 2. 2016 und am 11. 5. 2016 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der minderjährige Beschwerdeführer stellte am 30. 10. 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei seiner am selben Tag erfolgten Erstbefragung bei der Polizeiinspektion Traiskirchen EAST gab der Beschwerdeführer an, der Volksgruppe der Hazara anzugehören und von 2006 bis 2009 die Koranschule in XXXX besucht zu haben. In seinem Heimatland habe er mit seinen Eltern, seinen drei Brüdern und drei Schwestern gelebt. Zu seinem Fluchtgrund gab er an, dass seine Schwester fünfeinhalb Monate verheiratet gewesen sei und danach von ihrem Ehemann getötet worden sei. Daraufhin habe sein älterer Bruder Rache geübt, indem er den Ehemann seiner Schwester getötet habe. In weiterer Folge habe die Familie des Getöteten gedroht, seine Familie zu töten. Dann habe seine Familie beschlossen, die Flucht anzutreten.

Am 19. 3. 2013 wurde der Beschwerdeführer im Beisein seines gesetzlichen Vertreters beim Bundesasylamt einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen an, in Afghanistan zuletzt im Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Maidan Wardak gelebt zu haben. Er habe drei Jahre in einer Moschee bei einem Mullah den Koran gelernt. Er habe noch Verwandte im Distrikt XXXX. Sein Vater sei Landwirt gewesen und habe für andere Leute gearbeitet. Er habe gemeinsam mit seiner Familie Afghanistan verlassen. Auf dem Weg nach Österreich hätten sie sich verloren. Sein Fluchtgrund habe darin bestanden, dass die Familie seines Schwagers um die Hand seiner Schwester angehalten habe. Damals seien seine Eltern damit nicht einverstanden gewesen, weil es sich bei der Familie des Schwagers um keine "guten" Leute gehandelt habe. Als diese Familie erfahren habe, dass sich seine Familie weigern würde ihnen seine Schwester zur Frau zu geben, sei sie mit dem Tod bedroht worden. Daraufhin seien seine Eltern gezwungen gewesen, diesen seine Schwester zu übergeben. Dann habe seine Schwester geheiratet. Eine Woche später sei sie von ihrem Ehemann geflüchtet. Sein Schwager sei zur Familie des Beschwerdeführers gekommen, um nach seiner Ehefrau zu suchen. Seine Schwester sei zu einem Freund seines Vaters geflüchtet. Dieser Freund habe seinen Vater benachrichtigt, dass sich seine Schwester bei ihm befinde und sein Vater diese abholen solle. Daraufhin sei sein Schwager angerufen worden, um ihm mitzuteilen, dass sich seine Schwester bereits zuhause befinde. Sein Schwager habe seine Ehefrau abgeholt und zwei Tage später habe er der Familie des Beschwerdeführers gesagt, dass seine Ehefrau tot sei. Bei der Beisetzung habe sein Vater gesehen, dass sie im ganzen Gesicht verletzt gewesen sei. Sein Bruder habe sich gezwungen gesehen, ein oder zwei Tage nach der Beisetzung seinen Schwager umzubringen. Daraufhin hätten sie flüchten müssen, weil sie von der Familie seines Schwagers verfolgt worden seien. Sein Schwager habe XXXX geheißen und habe im Dorf XXXX gewohnt. Seine Nachbarn hätten erzählt, dass sein Schwager seine Ehefrau getötet habe. Diese hätten diesen Vorfall gesehen. Das Heimatdorf seines Schwagers sei eine halbe Autostunde entfernt. Sein Bruder, der seinen Schwager getötet habe, sei geflüchtet. Er selbst sei nicht bedroht worden. Sein Vater habe sich nicht an den Dorfältesten gewandt, weil die Familie seines Schwagers sehr viel Macht und Verbindungen zur Polizei gehabt habe. Diese habe auch mit der Regierung gearbeitet. Der Vaters eines Schwagers sei nämlich Vorsitzender des Dorfes XXXX gewesen. Die Familie seines Schwagers habe auch gewollt, dass seine Schwester im Dorf XXXX beerdigt werde. Im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan befürchte er, von der Familie seines Schwagers getötet zu werden, weil sie wegen seines Bruders Rache an ihm nehmen würden.

Mit Schreiben vom 16. 12. 2013 richtete das Bundesasylamt eine Anfrage an die Staatendokumentation. Es wurde ersucht mitzuteilen, ob es ein Dorf namens XXXX im Distrikt XXXX gebe, ob der Beschwerdeführer anhand übermittelter Fotos bekannt sei, ob die Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers geläufig sei, ob der Bruder des Beschwerdeführers, XXXX, bekannt sei, wo sich dieser aufhalte, ob die Gründe der Ausreise der Familie des Beschwerdeführers geläufig seien und ob sich noch weitere Angehörige des Beschwerdeführers in dieser Gegend aufhalten würden.

Mit Schreiben vom 2. 10. 2014 wurde die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation übermittelt. Darin wurde festgehalten, dass es im Distrikt XXXX zwei Dörfer namens XXXX (oder XXXX) gäbe. Es habe keiner der befragten Dorfbewohner den Beschwerdeführer identifizieren können. Es habe auch keine der befragten Personen Angaben über die Familie XXXX machen können. Es sei auch keinem der Befragten die Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers bekannt gewesen. Die Einwohner von XXXX würden ihren Lebensunterhalt üblicherweise in den Bereichen Landwirtschaft, Tierhaltung und Handel von Waren in XXXX und XXXX verdienen.

Schlussfolgernd wurde ausgeführt, dass keiner der befragten Einwohner der Dörfer XXXX angegeben habe, die Familie XXXX oder einzelne Mitglieder dieser Familie zu kennen. Die Einwohner seien sehr misstrauisch und hätten nur sehr zögerlich auf die gestellten Fragen geantwortet. Aufgrund der geringen Einwohnerzahl und deren enge ökonomische Bindung aneinander könne eine Verabredung der Dorfbewohner zu dem Zweck Stillschweigen über die Geschehnisse rund um die Familie XXXX zu bewahren, nicht ausgeschlossen werden. Allerdings müsse dies nicht als sehr wahrscheinlich angesehen werden, da selbst in den nächstgrößeren Besiedlungen von XXXX und XXXX niemand Kenntnis von der Familie XXXX und deren behauptetes Schicksal gehabt habe.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) vom 30. 1. 2015, Zl 13-821574403/1575044, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (Spruchpunkt III.).

Begründend wurde zu Spruchpunkt I ausgeführt, dass aus dem Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht hervorgehe, dass es zu einer individuellen, konkret gegen den Beschwerdeführer gerichtete Verfolgung gekommen sei.

Zu Spruchpunkt II wurde ausgeführt, dass sich Afghanistan derzeit noch in einer schwierigen Phase befinde und daher eine Prüfung des Zumutbarkeitskalküls geboten sei. Sowohl die Ausführungen des Beschwerdeführers als auch die Berücksichtigung individueller, den Beschwerdeführer betreffende Faktoren würden die Behörde zum Schluss kommen lassen, dass beim Beschwerdeführer die Kriterien für eine ausweglose Lage derzeit noch vorliegen würden und der Beschwerdeführer derzeit der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre.

Mit Verfahrensanordnung vom 2. 2. 2015 wurde dem Beschwerdeführer die ARGE Rechtsberatung amtswegig als Rechtsberaterin zur Seite gestellt.

Gegen diesen Bescheid erhob der gesetzliche Vertreter des Beschwerdeführers mit Schriftsatz vom 2. 3. 2015 Beschwerde. Darin wurde ausgeführt, dass das Bundesamt bei seiner Ermittlungspflicht zum Ergebnis hätte kommen müssen, dass der Beschwerdeführer einer persönlichen relevanten Bedrohungssituation ausgesetzt gewesen sei. Er habe nämlich konsistent und nachvollziehbar vorgebracht, dass seine gesamte Familie von der Familie seines Schwagers bedroht worden sei und es ihnen nicht möglich gewesen sei, Schutz bei den afghanischen Behörden zu suchen.

Zudem habe es das Bundesamt unterlassen, sich mit dem Umstand, dass der Beschwerdeführer der sozialen Gruppe der Minderjährigen angehöre, zu befassen und Ermittlungen anzustellen. Auch sei der Umstand, dass der Beschwerdeführer minderjährig sei, ignoriert worden.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 16. 2. 2016 und am 11. 5. 2016 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt nicht teilnahm. Anlässlich der mündlichen Verhandlung am 16. 2. 2016 gab der Beschwerdeführer an, im Dorf XXXX, im Distrikt XXXX in der Provinz Maidan Wardak gelebt zu haben. Dieses Dorf sei von den Dörfern XXXX und XXXX umgeben.

Seine Schwester sei deshalb von der Familie seines Schwagers XXXX zur Ehefrau auserkoren worden, weil sie sehr hilfsbereit und auch sehr hübsch gewesen sei. Diese Eigenschaften hätten dieser Familie gefallen. Diese Familie namens XXXX sei öfter in sein Heimatdorf gekommen. Der Vaters eines Schwagers sei Dorfvorsteher des Dorfes XXXX gewesen.

Die Familie von XXXX habe um die Hand seiner Schwester angehalten. Seine Eltern seien jedoch mit dieser Eheschließung nicht einverstanden gewesen. Als jedoch seine Familie von der Familie XXXX bedroht worden sei, habe seine Familie ihre Zustimmung erteilt. Eine Woche nach der Hochzeitszeremonie sei seine Schwester vor ihrem Ehemann geflüchtet. XXXX sei zu ihnen nach Hause gekommen und habe nach dem Aufenthaltsort seiner Ehefrau gefragt. Seine Schwester sei jedoch zu einem Freund seines Vaters geflüchtet. Dieser Freund habe den Vater des Beschwerdeführers angerufen und ihm gesagt, dass er seine Tochter nach Hause holen solle. Sein Vater habe sie abgeholt und XXXX davon informiert, dass er seine Ehefrau wieder zu sich nehmen könne. Zwei Tage später seien er und seine Familie vom Tod seiner Schwester informiert worden. Sie sei krank geworden und deshalb gestorben. Sein Vater habe jedoch ihre Leiche gesehen und bemerkt, dass sie blaue Flecken und Verletzungen im Gesicht gehabt habe. Daraufhin habe sein Vater die Familie XXXX des Todes seiner Tochter beschuldigt. Sein älterer Bruder habe daraufhin den Tod seiner Schwester rächen wollen. Die Tötung des XXXX sei auf einem Feld erfolgt und von einer anderen Person beobachtet worden. Dieser Mann sei danach zu seinem Vater gekommen und habe ihn gewarnt. Danach seien er und seine Familie geflüchtet. Er wisse nicht, wo sich sein Bruder aufhalte.

Der dem Verfahren beigezogene länderkundige Sachverständige wurde ersucht, zum Vorbringen des Beschwerdeführers ein schriftliches Gutachten zu erstatten.

In der am 11. 5. 2016 fortgesetzten Verhandlung wurde das schriftliche Gutachten in das Verfahren eingeführt. Der Sachverständige führte darin aus, dass der Lebensmittelpunkt des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht XXXX oder XXXX gewesen sein könne, weil der Beschwerdeführer zur Provinz Maidan Wardak angegeben habe, dass diese lediglich aus zwei Teilen bestehen würde, nämlich zwei XXXX. Zudem habe der Beschwerdeführer während der mündlichen Verhandlung ein städtisches bzw Hoch-Dari gesprochen. Bewohner aus Hazara-Dörfern würden hingegen Dari mit einem starken Hazaragi-Dialekt sprechen. Er schließe jedoch nicht aus, dass die Großeltern des Beschwerdeführers aus dieser Provinz stammen könnten.

Zum Fluchtgrund des Beschwerdeführers führte der Sachverständige aus, dass die Angaben des Beschwerdeführers, wonach seine Schwester zu einem im selben Dorf lebenden Freund ihres Vaters geflüchtet sei, nicht der Wirklichkeit der traditionellen Gesellschaften Afghanistans entsprechen würden. Es komme vor, dass Frauen vor einem gewalttätigen Ehemann entfliehen würden, aber in solch einem Fall würden sie zunächst in das elterliche und nicht in ein fremdes Haus flüchten. Sollte eine Frau mehrmals vor ihrem Ehemann davonlaufen und ihr Vater sie immer wieder zu ihrem Ehemann zurückschicken, sei es nicht ausgeschlossen, dass sie in solch einem Fall ein fremdes Haus aufsuchte. Es müsse sich jedoch um Personen handeln, die zum Freundeskreis ihrer Familie gehörten und diese mit dem Vater der Frau sprechen müssten, damit dieser sie nicht wieder zu ihrem Ehemann zurückbringe.

Da der Vater von XXXX Dorfvorsteher und damit ein angesehener Mann gewesen sei, handle es sich bei der Flucht seiner Schwiegertochter um eine Schande. Er würde in solch einem Fall versuchen, eine Einigung mit dem Vater der Frau zu erzielen. Eine vom Beschwerdeführer beschriebene Vorgehensweise, wonach der Ehemann der Frau zu ihrem Vater komme und ihn auffordere ihm seine Frau zurückzubringen, entspreche nicht den dortigen Gegebenheiten. Zudem hätte der Vater der Ermordeten bei der Behörde angezeigt, auch wenn der Vater des Mörders mächtiger sei. Unabhängig vom Ansehen der Personen würde die Behörde die Täter zur Verantwortung ziehen.

Dem Beschwerdeführer und seinem Rechtsberater wurden die Länderfeststellungen zur Situation in Afghanistan übergeben und diesen sowohl für die Feststellungen als auch das vom Sachverständigen erstellte Gutachten eine zweiwöchige Frist zur Abgabe einer Stellungnahme gewährt.

In einer solchen Stellungnahme führte der Rechtsberater zu der vom Sachverständigen angezweifelten Herkunft und des nicht erkennbaren Hazaragi-Dialektes beim Beschwerdeführer aus, dass sich der Beschwerdeführer schon seit vielen Jahren außerhalb seiner Heimatregion aufhalte. Zudem verfüge der Sachverständige nicht über den erforderlichen Sachverstand, um eine solche Feststellung zu treffen.

Weiters seien die Ausführungen im Gutachten zum Tätigwerden der Behörden nicht relevant, weil der Bruder des Beschwerdeführers den Mörder seiner Schwester getötet und dadurch den Zyklus der Blutrache ausgelöst habe. Es stelle sich alleine die Frage, ob die staatlichen Behörden die Familie des Beschwerdeführers vor einer Rache der Familie XXXX beschützen hätten wollen bzw können. Dies sei angesichts der Macht der Familie XXXX zu verneinen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekennt sich zum muslimisch-schiitischen Glauben. Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer aus der Provinz Maidan Wardak stammt, wobei jedoch nicht festgestellt werden kann, ob und wie lange er tatsächlich dort aufhältig war.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Schwester des Beschwerdeführers gezwungen wurde ihren Ehemann zu ehelichen.

Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass die Schwester des Beschwerdeführers aus Furcht vor ihrem Ehemann zu einem im selben Dorf aufhältigen Freund des Vaters des Beschwerdeführers geflüchtet ist, ohne zuerst ihre Familie um Aufnahme gebeten zu haben. Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass der Ehemann der Schwester des Beschwerdeführers im Wohnhaus ihrer Familie erschienen ist, um seine Ehefrau zu sich zu nehmen.

Weiters kann nicht festgestellt werden, dass die Schwester des Beschwerdeführers von ihrem Ehemann getötet wurde und der Bruder des Beschwerdeführers aus Rache den Ehemann seiner Schwester tötete.

Dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan einer sonstigen Verfolgung ausgesetzt wäre, kann ebenfalls nicht festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer verließ Afghanistan und stellte am 30. 12. 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Zur Situation in Afghanistan:

Verfassung:

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes im Jahr 2001 wurde eine neue Verfassung erarbeitet, die schließlich im Januar 2004 ratifiziert wurde (IDEA o.D.) und auf der Verfassung aus dem Jahr 1964 basiert. Bei Ratifizierung sah diese Verfassung vor, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und dass alle Bürger Afghanistans, Mann und Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA Staatendokumentation 3.2014; vgl. Max Planck Institute 27.01.2004).

Afghanistans Präsident und CEO:

Am 29.09.2014 wurde Ashraf Ghani als Präsident Afghanistans vereidigt (CRS 12.01.2015). Nach monatelangem Streit hatten sich Ghani und Abdullah auf eine gemeinsame Einheitsregierung geeinigt. Das Abkommen sieht vor, dass für den Zweitplatzierten bei der Wahl der Posten eines bislang nicht vorgesehenen Ministerpräsidenten geschaffen wird (FAZ 15.06.2014). Abdullah, der Verlierer der Präsidentschaftswahl, bekam den Posten des Geschäftsführers der Regierung bzw. "Chief Executive Officer" (CEO) der Regierung (CRS 12.01.2015). Diese per Präsidialdekret eingeführte Position weist Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers auf (AA 8.2015). Der CEO fungiert quasi als Premierminister, auch wenn eine Verfassungsänderung zur formalen Schaffung des Postens des Premierministers noch ausständig ist (CRS 12.01.2015).

Regierungsbildung:

Obwohl Ghani ursprünglich versprochen hatte, 45 Tage nach seiner Vereidigung eine Regierung zu präsentieren, zeichnete sich bald ab, dass dieses Versprechen nicht eingehalten werden kann, da für die Regierungsbildung in Afghanistan für die Kabinettsposten die Koalitionspartner aus Ghanis und Abdullahs Lager gleichermaßen berücksichtigt werden müssen. Eine Regierung muss die starken regionalen und ethnischen sowie Stammesbindungen und -befindlichkeiten berücksichtigen, soll sie im ganzen Land akzeptiert sein. Ferner beabsichtigte Ghani, die Ministerien nur Personen mit Fachkenntnissen anzuvertrauen und keine bisherigen Minister oder Parlamentarier ins Kabinett aufzunehmen, um so die Voraussetzungen für einen kompetenten Neuanfang zu schaffen. Doch wird die Übung unter solchen Prämissen zusätzlich erschwert. Ghanis Kabinettsliste war in Afghanistan mit Erleichterung aufgenommen worden, weil das Land endlich eine handlungsfähige Regierung braucht. Zwar fragten sich Beobachter wie das Afghanistan Analysts Network einerseits, inwieweit eine junge und recht unerfahrene Regierung den Herausforderungen gewachsen sei. Anderseits wurde Ghanis Festhalten am Versprechen, keine politischen Schwergewichte der Vergangenheit in die Regierung aufzunehmen, durchaus anerkennend kommentiert (NZZ 22.01.2015).

Parlament und Parlamentswahlen:

Die afghanische Nationalversammlung, Shuraye Melli, basiert auf einem Zweikammersystem, das sich in ein Unterhaus, Wolesi Jirga, und ein Oberhaus, Meshrano Jirga, auch Ältestenrat oder Senat genannt, gliedert. Das Unterhaus setzt sich aus 249 Sitzen zusammen, die sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen verteilen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze und für die Minderheit der Kuchi 10 Sitze im Unterhaus reserviert (USDOS 25.06.2015; vgl. CRS 15.10.2015 und CRS 12.01.2015).

Das Oberhaus setzt sich aus 102 Sitzen zusammen. Zwei Drittel von diesen werden von den gewählten Provinzräten vergeben. Ein Drittel der Sitze, wovon wiederum 50% mit Frauen besetzt werden müssen, vergibt der Präsident selbst, (CRS 12.01.2015; vgl. CRS 15.10.2015). Zwei der vom Präsidenten zu vergebenden Sitze sind verfassungsgemäß für die Kutschi-Minderheit und zwei weitere für Behinderte bestimmt. Die verfassungsmäßig vorgegebenen Quoten gewährleisten einen Frauenanteil von 25% im Parlament und über 30% in den Provinzräten. Ein Sitz im Oberhaus ist für die Ernennung eines Sikh- oder Hindu-Repräsentanten reserviert (USDOS 25.06.2015).

Eine der wesentlichen Neuerungen, welche die Parlamentswahlen 2005 und 2010 betrafen, war die "single non-transferable vote (SNTV)"-Regelung. Jedem Wahlkreis ist, proportional zur Bevölkerungszahl, mehr als ein Sitz im Parlament zugeteilt. Die Wähler des Wahlkreises können jeweils eine Stimme abgeben. Die Sitze des Wahlkreises gehen an die Kandidaten des Kreises in der Reihenfolge der Anzahl der von ihnen gewonnenen Stimmen. Dieses System ist weltweit sehr selten (UNAMA o.D.; vgl. NDI 2011; vgl. CRS 15.10.2015). Durch das System treten die Kandidaten individuell gegeneinander an und erlangen die Sitze nicht über Parteilisten (CRS 15.10.2015).

Die Rolle des Zweikammern-Parlaments (Unterhaus "Wolesi Jirga", Oberhaus "Meshrano Jirga") bleibt trotz wachsenden Selbstbewusstseins der Parlamentarier begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit der kritischen Anhörung und auch Abänderung von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist. Generell leidet die Legislative aber nicht nur unter ihrer schwachen Rolle im Präsidialsystem, sondern auch unter dem unterentwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 06.11.2015).

Parteien:

Die afghanische Parteienlandschaft ist wenig entwickelt und mit über 50 registrierten Parteien stark zersplittert. Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen jedoch mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien. Ethnischer Proporz, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen genießen in der Regel mehr Einfluss als politische Organisationen. Die Schwäche des Parteiensystems ist auch auf das Fehlen eines Parteienfinanzierungsgesetzes zurückzuführen sowie auf das Wahlsystem (Direktwahl mit einfacher, nicht übertragbarer Stimme). Reformversuche sind im Gange, werden aber durch die unterschiedlichen Interessenlagen der verschiedenen politischen Lager immer wieder gestört (AA 06.11.2015).

Oppositionsbewegungen und Parteien - ganz gleich ob Kommunisten oder rechtsreligiös - wurden gezwungen, entweder unterzutauchen oder ins Exil zu gehen. Unter einer neuen und formellen Verfassung haben sich seit 2001 früher islamistisch-militärische Fraktionen, kommunistische Organisationen, ethno-nationalistische Gruppen und zivilgesellschaftliche Gruppen zu politischen Parteien gewandelt. Sie repräsentieren einen vielgestaltigen Querschnitt der politischen Landschaft und haben sich in den letzten Jahren zu Institutionen entwickelt. Keine von ihnen ist eine Organisation politischen Glaubens oder Mobilmacher von Wähler/innen, wie es Parteien in reiferen Demokratie sind. Der Terminus Partei umfasst gegenwärtig eine Reihe von Organisationen mit sehr unterschiedlichen organisatorischen und politischen Hintergründen. Trotzdem existieren Ähnlichkeiten in ihrer Arbeitsweise. Einer Anzahl von ihnen war es möglich, die Exekutive und Legislative der Regierung zu beeinflussen, aber nicht immer durch Wahlerfolge (USIP 3.2015).

Die Machtstrukturen in Afghanistan sind vielschichtig und verwoben. Eignung, Befähigung und Leistung spielen oftmals eine untergeordnete Rolle bei der Verteilung politischer bzw. administrativer Ämter. Die Entscheidungen über viele Personalien, auch in entlegenen Provinzen, werden von der Zentralregierung in Kabul, häufig sogar vom Präsidenten getroffen. Im Vielvölkerstaat Afghanistan spielen informelle Beziehungsnetzwerke und der Proporz der Ethnien eine wesentliche Rolle. Die Machtverteilung wird national und auch lokal so austariert, dass die Loyalität einzelner Persönlichkeiten und Gruppierungen gesichert erscheint. Handeln lokale Machthaber entgegen der Regierungspolitik, bleiben Sanktionen allerdings häufig aus. Politische Allianzen werden in der Regel nach pragmatischen Gesichtspunkten geschmiedet. Dadurch kommt es, für Außenstehende immer wieder überraschend, zu Koalitionswechseln und dem Herauslösen von Einzelpersonen aus bestehenden politischen Verbindungen, unabhängig von Parteistrukturen (AA 06.11.2015).

Im Jahr 2009 wurde ein neues Parteiengesetz eingeführt, welches eine Neuregistrierung aller Parteien verlangte und ferner zum Ziel hatte, ihre Zahl zu reduzieren. Anstatt wie bisher die Unterschrift von 700 Mitgliedern vorzuweisen, mussten sie nun 10.000 Unterschriften aus allen Provinzen einbringen. Diese Bedingung reduzierte tatsächlich die Zahl der offiziell registrierten Parteien von mehr als 100 auf 63, trug aber scheinbar nur wenig zur Konsolidierung von Parteiunterstützungsbasen oder institutionalisieren Parteipraktiken bei (USIP 3.2015).

Friedens- und Versöhnungsprozess:

Der afghanische Friedens- und Versöhnungsprozess ist nach einem ersten direkten und öffentlichen Treffen zwischen Regierung und Taliban in diesem Jahr wieder ins Stocken geraten. Die von der RNE sofort nach Amtsantritt konsequent auf den Weg gebrachte Annäherung an Pakistan stagniert, seit die afghanische Regierung Pakistan der Mitwirkung an mehreren schweren Sicherheitsvorfällen in Afghanistan beschuldigte. Im Juli 2015 kam es erstmals zu direkten Vorgesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban über einen Friedensprozess, die aber nach der Enthüllung des jahrelang verschleierten Todes des Taliban-Führers Mullah Omar bereits nach der ersten Runde wieder eingestellt wurden. Beide Seiten haben sich aber grundsätzlich weiter zu Verhandlungen bereit erklärt. Die Reintegration versöhnungswilliger Insurgenten bleibt weiter hinter den Erwartungen zurück, auch wenn bis heute angeblich ca. 10.000 ehemalige Taliban über das "Afghanistan Peace and Reintegration Program" in die Gesellschaft reintegriert wurden (AA 06.11.2015).

Sicherheitslage:

Im Zeitraum 01.08.-31.10.2015 verzeichnete die UNO landesweit 6.601 sicherheitsrelevante Vorfälle. Diese Vorfälle beziehen sich auf Arbeit, Mobilität und Sicherheit von zivilen Akteuren in Afghanistan. Dies bedeutet eine Steigerung von 19% zum Vergleichszeitraum des Jahres 2014. 62% dieser Vorfälle fanden in den südlichen, südöstlichen und östlichen Regionen statt. Im Berichtszeitraum gelang es den Taliban, neben Kunduz City weitere 16 Distriktzentren einzunehmen. Deren Großteil befindet sich im Norden (Badakhshan, Baghlan, Faryab, Kunduz, Sar-e Pul und Takhar), im Westen (Faryab) und im Süden (Helmand und Kandahar) des Landes. Den afghanischen Sicherheitskräften war es jedoch möglich, bis Ende Oktober 13 Distriktzentren wieder zurückzuerobern (UN GASC 10.12.2015).

Im Zeitraum 01.06.-31.7.2015 registrierte die UNO landesweit 6.096 sicherheitsrelevante Vorfälle, ein Rückgang von 4,6% zum Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die geographische Reichweite des Konfliktes fokussierte sich hauptsächlich auf die nord-östlichen Regionen rund um Kunduz, Badakhshan und Badghis, im Nordwesten auf die Provinz Faryab und im Südosten auf Nangarhar und im Süden auf Helmand. Der Großteil der Vorfälle wurde in den südlichen und östlichen Teilen des Landes registriert. In Kandahar, Nangarhar, Ghazni, Helmand und Kunar wurden 44.5% aller sicherheitsrelevanten Vorfälle des Berichtszeitraumes registriert (UN GASC 01.09.2015).

Einige Experten haben auf Leistungsverbesserungen der afghanischen Sicherheitskräfte hingewiesen (SCR 9.2015). Ein erhöhtes Operationstempo hat zu einer signifikant höheren Opferzahl unter den afghanischen Sicherheitskräften geführt (+27% im Zeitraum von 01.01.-15.11.2015 im Vergleich zu 2014) (USDOD 12.2015). Ähnliche Zahlen nennt WP, mit 7.000 getöteten und 12.000 verletzten Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte (+26% zum Jahr 2014). Im gesamten Jahr 2014 wurde hingegen von 5.000 getöteten afghanischen Polizisten und Soldaten berichtet (SCR 9.2015). Zudem haben die Taliban ihre Angriffe auf Sicherheitskräfte seit Beginn ihrer jährlichen Frühjahrsoffensive im April 2015 erhöht (BBC 29.06.2015).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Transitrouten, Provinzhauptstädte und fast alle Distriktzentren. Die afghanischen Sicherheitskräfte sind im Allgemeinen fähig, die größeren Bevölkerungszentren effektiv zu beschützen, bzw. verwehren es den Taliban, für einen längeren Zeitraum Einfluss in einem Gebiet zu halten. Gleichzeitig haben die Taliban bewiesen, dass sie ländliche Gegenden einnehmen, Schlüsselgebiete bedrohen (z.B. in Helmand) und gleichzeitig high-profile Angriffe in Kabul durchführen können (USDOD 12.2015). Laut Angaben der afghanischen Regierung kontrollieren die Taliban nur vier der mehr als 400 Bezirke landesweit, aber es ist bekannt, dass diese Zahl stark untertrieben ist. Die afghanische Regierung hat außerdem oftmals nur Kontrolle über die Distriktzentren, aber nicht über die ländlichen Gebiete (The Long War Journal 22.09.2015).

Es gab Vorschläge zur Gründung regierungsfreundlicher Milizen - sogenannter lokaler Verteidigungskräfte -, um die afghanischen Sicherheitskräfte zu unterstützen. Diese existieren angeblich bereits in einer Anzahl von Provinzen (UNGASC 10.12.2015).

Es gibt drei Gründe für das Wiederaufleben der Taliban: Erstens das Ende der US-amerikanischen und NATO-Mission Ende 2014 sowie der Abzug der ausländischen Kräfte aus Afghanistan haben den militärischen Druck auf die Taliban verringert. Krisen in anderen Teilen der Welt (Syrien, Irak und Ukraine) nährten bei den Taliban die Hoffnungen auf ein Desinteresse der internationalen Gemeinschaft. Wenn Taliban militärische Stützpunkte, Distriktzentren und Check-Points Afghanistans überrennen, erbeuten sie jedes Mal Waffen für den Kampf gegen die afghanische Regierung. Zweitens vertrieb die pakistanische Militäroperation Zarb-e Azb in den Stammesgebieten Nordwaziristans im Juni 2014 tausende Aufständische - hauptsächlich Usbeken, Araber und Pakistanis -, die nach Afghanistan strömten und in den Rängen der Taliban aufstiegen. Die Taliban lenkten ohnehin eine große Anzahl ihrer eigenen Kämpfer von Pakistan aus. Drittens mangelt es den afghanischen Sicherheitskräften an Ausbildung und Ausstattung, vor allem in den Bereichen Luftstreitkräfte und Aufklärung. Außerdem nützen die Taliban interne Machtkämpfe der Kabuler Zentralregierung und deren scheinbare Schwäche in verschiedenen Bereichen in Kabul aus (BBC 05.01.2016).

Situation in Maidan Wardak:

Maidan Shahr ist die Provinzhauptstadt, zu den Distrikten der Provinz Wardak zählen: Sayed Abad, Jaghto, Chak, Daimirdad, Jalrez, central Bihsud und Hisa-i-Awal Bihsud. Kabul und Logar liegen im Osten der Provinz (Maidan) Wardak, Bamyan im Westen und Nordwesten, Ghazni im Süden und Südwesten, sowie die Provinz Parwan im Norden (Pajhwok o.D.u). Die Bevölkerungsanzahl der Provinz wird auf 596.287 geschätzt (UN OCHA 26.8.2015).

Die Sicherheitslage hat sich seit dem Jahr 2007 aufgrund von Infiltration durch regierungsfeindliche Elemente aus umliegenden Provinzen wie Ghazni und Logar, verschlechtert. Die Provinz wird strategisch als wichtig genug erachtet, um eine reduzierte Präsenz der USA nach 2014 zu rechtfertigen. Seit dem Jahr 2010 kämpfen die Hezb-e Islami und die Taliban im Distrikt Nirkh, und trotz Unterstützung durch afghanische Sicherheitskräfte ist es der Hezb-e Islami nicht gelungen die Taliban einzudämmen. Die ALP (Afghan Local Police) war mit ethnischen und politischen Herausforderungen, sowie unzureichenden Sicherheitsüberprüfungen und mangelnder Verantwortlichkeit konfrontiert. Dies war der Grund für die Entlassung von 258 Mitglieder der ALP im März 2012. Seitdem scheint es Verbesserungen zu geben, da Korruption und Kriminalität innerhalb der ALP vermehrt thematisiert wird. Des Weiteren kommt es auch aufgrund der saisonbedingten Migration der Kuchi - deren Reihen zunehmend von Aufständischen infiltriert sind - zu zusätzlichen Spannungen und Gewalt in den Hazara-Gebieten, wie z.B. in Behsoods und im nördlichen Daimirdad (Vertrauliche Quelle 15.9.2015).

Unterschiedliche Aufständischengruppen, inklusive der Taliban, operieren in manchen Gegenden der Provinz (Press TV 7.9.2015).

In der Provinz wurden militärische Operationen durchgeführt, um Gegenden von Aufständischen zu befreien (Khaama Press 10.1.2016, Press TV 7.9.2015; Press TV 28.10.2015; vgl. IHS Jane¿s 360 28.6.2015; Pajhwok 4.4.2015).

Quellen:

Rebellengruppen:

Durch die Talibanoffensiven in den Provinzen Helmand und Kunduz entsteht der Eindruck, dass die afghanischen Sicherheitskräfte die Hauptbevölkerungszentren nicht kontrollieren können. Dies untergräbt das öffentliche Vertrauen, selbst dann, wenn es afghanischen Sicherheitskräften möglich ist, die Zentren zurückerobern, und überschattet die zahlreichen Erfolge der afghanischen Sicherheitskräfte (USDOD 12.2015).

Militärische Operationen im pakistanischen Nordwaziristan haben hunderte gut ausgebildete ausländische Kämpfer nach Afghanistan abgedrängt, wo sie nun die Taliban und den islamischen Staat unterstützen (WP 27.12.2015; vgl. Pakistan Today 22.12.2015; UN GASC 10.12.2015; Tolonews 21.12.2015).

Doch die Taliban haben auch mit Rückschlägen zu kämpfen. Nach der Nachricht vom Tod Mullah Omars hat sich die Bewegung zersplittert, und Auseinandersetzungen zwischen Talibanführern begünstigen Fortschritte des IS, vor allem im östlichen Afghanistan (DS 06.01.2016).

Taliban und Frühlingsoffensive:

Während der warmen Jahreszeit (ca. Mai - Oktober) spricht man von der "Fighting Season", in der die meist koordinierten Angriffe von Aufständischen, in Gruppenstärke oder stärker, auf Einrichtungen der ANSF (Afghan Security Forces) oder GIROA (Government of Islamic Republic of Afghanistan) stattfinden. Manchmal sind auch Einrichtungen der IC (International Coalition) betroffen. Diese werden aber meist gemieden, da es sich hierbei um sogenannte "harte Ziele" handelt. Gegen die IC werden nach wie vor nicht-konventionelle Mittel eingesetzt (Sprengfallen, Magnetbomben). Außerhalb der "Fighting Season" verlegen kampfwillige Aufständische ihre Aktivtäten in die Städte, da hier die ungünstige Witterung kein Faktor ist (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Die Taliban haben signifikante Verluste zu verzeichnen - abgesehen von der temporären Einnahme der Stadt Kunduz war es ihnen nicht möglich, ihre Hauptstrategie und ihre Operationsziele für die Fighting Season 2015 zu erreichen. Auch in Kunduz war es ihnen nicht möglich, das Territorium für einen längeren Zeitraum zu halten. Während der gesamten Fighting Season bewiesen die Taliban Erfahrung in der Durchführung von Angriffen und Bedrohungen von ländlichen Distrikten und zwangen so die afghanischen Sicherheitskräfte in eine reaktive Position (USDOD 12.2015).

Al-Qaida:

Die amerikanischen Behörden gehen von einer Zahl von weniger als 100 Kämpfern der al-Qaida in Afghanistan aus. Die meisten von ihnen sind in den nordöstlichen Provinzen Afghanistans, wie Kunar, aktiv. Manche dieser Kämpfer gehören zu Gruppen, die an al-Qaida angegliedert und in Kunduz aktiv sind (CRS 22.12.2015).

Haqqani-Netzwerk:

Die Gruppe wurde in den späten 1970er Jahren durch Jalaluddin Haqqani gegründet. Sie ist mit al-Qaida und afghanischen Taliban verbündet, sowie mit anderen terroristischen Organisationen in der Region (Khaama Press 16.10.2014). Die Stärke des Haqqani-Netzwerks wird auf 3.000 Kämpfer geschätzt (NYT 17.10.2014).

Obwohl angenommen wird, dass das Netzwerk der al-Qaida näher steht als den Taliban (CRS 09.10.2014), wurde nach der Meldung vom Tod Mullah Omars Siraj Haqqani zum stellvertretenden Talibanführer befördert. Dies signalisiert, dass das Haqqani-Netzwerk auch weiterhin eine wichtige Komponente des Taliban-geführten Aufstandes ist (USDOD 12.2015).

Der Aufstand des Haqqani-Netzwerks ist vermehrt in den östlichen Provinzen Khost, Paktia, Paktika und Kunar vorzufinden (DW 17.10.2014).

Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG):

Die radikal-islamistische Rebellengruppe Hezb-e Islami Gulbuddin (HIG) [Anmerkung: auch Hizb-i-Islami Gulbuddin] wird von Mujahed Gulbuddin Hikmatyar geführt (CRS 22.12.2015). Er war ein ehemaliger Verbündeter der USA im Kampf gegen die Besatzungstruppen der Sowjetunion in den 1980er Jahren. Die HIG wird als kleiner Akteur in den Kampfzonen Afghanistans gesehen (CRS 09.10.2014). Sie ist über die Jahre für ihre Grausamkeit bekannt geworden, sodass sogar die Taliban sich von ihr abwendeten (BBC 02.09.2014). Die Gruppe selbst ist ideologisch wie auch politisch mit al-Qaida und den Taliban verbündet. In der Vergangenheit kam es mit den Taliban jedoch zu Kämpfen um bestimmte Gebiete (CRS 09.10.2014).

IS/ISIS/ISIL/Daesh - Islamischer Staat:

Der Islamische Staat hat seinen Einfluss in Afghanistan seit Mitte des Jahres 2014 erhöht. Es wird berichtet, dass der Führer des Islamischen Staates Abu Bakr al-Baghdadi, Berichten zufolge, unter dem Talibanregime in Kabul gelebt und mit al-Qaida kooperiert hat. Die Präsenz der Gruppe in Afghanistan hat sich Anfang des Jahres 2013 aus mehreren kleinen afghanischen Taliban- und anderen Aufständischenfraktionen herausentwickelt (CRS 22.12.2015). Die Präsenz des islamischen Staates hat sich ausgeweitet, als immer mehr Talibanfraktionen dem IS Treue schworen. So kam es zur Einnahme kleiner Gebiete, hauptsächlich im östlichen Afghanistan, durch den IS (CRS 22.12.2015; vgl. Tolonews 12.07.2015). Ende 2015 gab es Berichte über finanzielle Hilfe des IS für seinen afghanischen Zweig (CRS 22.12.2015). Ehemalige Kämpfer von al-Qaida, Taliban und Haqqani-Netzwerk steigen in den Rängen des IS auf (Pajhwok 26.05.2015).

Der afghanische Geheimdienst NDS hat eine Spezialeinheit damit beauftragt, Razzien gegen den IS durchzuführen (Pajhwok 01.07.2015). Das afghanische Innenministerium konzentriert sich auf bessere Ausbildung und Ausrüstung der nationalen und lokalen Polizei, damit nicht die Notwendigkeit zur Selbstjustiz für Anrainer/innen entsteht (Pajhwok 26.05.2015).

Drogenanbau:

Es ist im Jahr 2015 zu einer Reduzierung der Opiumproduktion um

3.300 Tonnen (48%) gekommen (UN News Centre 14.10.2015).

Zivile Opfer:

Zwischen 01.01. und 30.06.2015 registrierte UNAMA 4.921 zivile Opfer (1.592 Tote und 3.329 Verletzte) - dies deutet einen Rückgang von 6% bei getöteten bzw. von 4% bei verletzten Zivilisten (UNAMA 8.2015).

Konfliktbedingte Gewalt hatte in der ersten Hälfte 2015 Auswirkungen auf Frauen und Kinder. UNAMA verzeichnete 1.270 minderjährige Opfer (320 Kinder starben und 950 wurden verletzt). Das ist ein Anstieg von 23% im Vergleich zu den ersten sechs Monaten 2014. Es gab 559 weibliche Zivilopfer, davon wurden 164 Frauen getötet und 395 verletzt. Das bedeutet einen Anstieg von 13% gegenüber 2014 (UNAMA 8.2015).

Laut UNAMA waren 70% aller zivilen Opfer regierungsfeindlichen Elementen zuzuschreiben, 16% regierungsfreundlichen Kräften (15% den ANSF und regierungsfreundlichen bewaffneten Gruppen, sowie 1% den internationalen militärischen Kräften). UNAMA rechnete 4% der zivilen Opfer Unfällen mit Blindgängern zu (UNAMA 8.2015).

3.436 zivile Opfer (1.213 Tote und 2.223 Verletzte) gehen auf Operationen regierungsfeindlicher Elemente zurück. Das bedeutet einen Rückgang von 3% gegenüber 2014. UNAMA verzeichnete einen Anstieg von 78% bei zivilen Opfer aufgrund von komplexen Angriffen und Selbstmordattentaten, sowie einen Anstieg von individuellen Tötungen. UNAMA registrierte ebenso 46% Rückgang an zivilen Opfern in Bodenkämpfen und 21% Rückgang ziviler Opfer aufgrund von IEDs (improvised explosive devices) (UNAMA 8.2015).

Regierungsfreundliche Kräfte - speziell ANSF - waren auch weiterhin Grund für einen Anstieg bei zivilen Opfern im Jahr 2015. UNAMA registrierte hierzu 796 zivile Opfer (234 wurden getötet und 562 verletzt). Dies deutet einen Anstieg von 60% im Vergleich zum Jahr 2014. Der Großteil dieser zivilen Opfer geht auf Bodenkämpfe regierungsfreundlicher Gruppen, bei denen hauptsächlich Explosivwaffen, wie Mörser, Raketen oder Granaten verwendet wurden. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2015 waren regierungsfreundliche Gruppen für mehr zivile Opfer verantwortlich als regierungsfeindliche Elemente. Im Jahr 2015 haben die ANSF ihre Anzahl von Operationen, die am Boden durchgeführt wurden, signifikant erhöht, um den Regierungsbildungsprozess zu unterstützen und Angriffen regierungsfeindlicher Elemente entgegenzuwirken (UNAMA 8.2015).

Die UNAMA verzeichnete 37% Anstieg bei Entführungen von Zivilisten durch regierungsfeindliche Elemente und mehr Morde und Körperverletzungen an den Entführungsopfern. Von 76 entführten Zivilisten wurden im Berichtszeitraum (01.01.-30.06.2015) 62 getötet und 14 verletzt. UNAMA dokumentierte die Entführung von Zivilist/innen durch regierungsfeindliche Elemente für finanzielle Zwecke, zur Einschüchterung der Bevölkerung und um Zugeständnisse von anderen Parteien im Konflikt zu erhalten, z.B. Geiselaustausch (UNAMA 8.2015).

Mitarbeiter/innen internationaler Organisationen und der US-Streitkräfte:

In einem Bericht der norwegischen COI-Einheit Landinfo wurde im September 2015 berichtet, dass zuverlässige Dokumentation von konfliktbezogener Gewalt gegen Afghanen im aktiven Dienst für internationale Organisationen existiert. Andererseits konnte nur eingeschränkte Dokumentation zu konfliktbezogener Gewalt gegen ehemalige Übersetzer, Informanten oder andere Gruppen lokale Angestellte ziviler oder militärischer Organisationen festgestellt werden (Landinfo 09.09.2015). Ferner werden reine Übersetzerdienste, die auch geheime Dokumente umfassen, meist von US-Staatsbürgern mit lokalen Wurzeln durchgeführt, da diese eine Sicherheitszertifizierung benötigen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Grundsätzlich sind Anfeindungen afghanischer Angestellter der US-Streitkräfte üblich, da diese im Vergleich zu ihren Mitbürgern verhältnismäßig viel verdienen. Im Allgemeinen hält sich das aber in Grenzen, da der wirtschaftliche Nutzen für die gesamte Region zu wichtig ist. Tätliche Übergriffe kommen vor, sind aber nicht nur auf ein Arbeitsverhältnis zu ISAF zurückzuführen (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 10.11.2014). Des Weiteren bekommen afghanische Angestellte bei den internationalen Streitkräften Uniformen oder Dienstbekleidung, Verpflegung und Zugang zu medizinischer Versorgung nach westlichem Standard. Es handelt sich somit meist um Missgunst. Das Argument der Gefahr im Job für lokale Dolmetscher wurde von den US-Streitkräften im Bereich der SOF (Special Operation Forces), die sehr sensible Aufgaben durchführen, dadurch behoben, dass diesen Mitarbeitern nach einer gewissen Zeit die Mitnahme in die USA angeboten wurde. Dieses Vorgehen wurde von einer militärischen Quelle aus Deutschland bestätigt (Liaison Officer to Ministry of Interior of GIROA 14.11.2014).

Grundversorgung/Wirtschaft:

Für das Jahr 2013 belegte Afghanistan im 'Human Development Index' (HDI) den 169. Platz von mehr als 187 (Anm.: darunter befanden sich auch einige ex aequo Platzierungen) (UNDP 2014).

Die wirtschaftliche Entwicklung Afghanistans wird trotz Wachstumsraten in der letzten Dekade weiterhin nicht durch ein selbsttragendes Wirtschaftswachstum, sondern durch die Zuflüsse aus der internationalen Gebergemeinschaft stimuliert (AA 8.2015). Die Übergangsphase in Politik und Sicherheit hat die afghanische Wirtschaft stärker beeinträchtigt als erwartet. Das Wirtschaftswachstum ist im Jahr 2014 auf 1,3% gesunken, wobei es im Jahr davor noch 3,7% betrug (WB 10.2015; vgl. IMF 09.06.2015).

Das Wirtschaftswachstum war zum größten Teil getrieben von Expansion in Industrie (2,4%) und Dienstleistung (2,2%). Private Investitionsaktivitäten zeigten im Jahr 2014 Anzeichen eines Rückgangs, gekennzeichnet durch einen 50%igen Rückgang an neuen Firmenregistrierungen seit dem Jahr 2012. Die Anzahl der neuen Firmenregistrierungen im ersten Halbjahr 2015, die ein Indikator für Investorenvertrauen ist, blieb auf demselben Niveau wie im ersten Halbjahr des Jahres 2014. Eine sanfte Erholung wird für das Jahr 2016 erwartet (WB 2015).

Den größten Anteil am BIP (2014: 21,7 Mrd. USD) hat der Dienstleistungssektor mit 53,5%, gefolgt von der Landwirtschaft mit 27,7% des BIP. Industrieproduktion ist kaum vorhanden. Trotz einer großen Bedeutung des Außenhandels - Afghanistan ist in hohem Maße von Importen abhängig - sind afghanische Produkte bisher auf internationalen sowie regionalen Märkten kaum wettbewerbsfähig (AA 8.2015).

Es wird geschätzt, dass das reale Wachstum des Bruttoinlandprodukts um 3,1% im Jahr 2016 und 3,9% im Jahr 2017 wachsen wird, bedingt durch Verbesserungen im Bereich der Sicherheitslage und eine starke Reformdynamik (WB 10.2015). Wichtige Erfolge wurden im Bereich des Ausbaus der Infrastruktur erzielt. Durch den Bau von Straßen und Flughäfen konnte die infrastrukturelle Anbindung des Landes verbessert werden (AA 8.2015).

Trotz des seit drei Jahren hohen landwirtschaftlichen Produktionsniveaus konnten die starken Landwirtschaftserträge des Jahres 2013 nicht mehr erreicht werden, und so war die Landwirtschaft nicht Teil des Wirtschaftswachstums (WB 10.2015). Die neue Regierung hat die landwirtschaftliche Entwicklung zur Priorität erhoben. Dadurch sollen auch gering qualifizierte Afghaninnen und Afghanen bessere Chancen auf einen Arbeitsplatz bekommen. Insbesondere sollen die landwirtschaftlichen Erzeugnisse Afghanistans wieder eine stärkere Rolle auf den Weltmärkten spielen. Gerade im ländlichen Raum bleiben die Herausforderungen für eine selbsttragende wirtschaftliche Entwicklung angesichts mangelnder Infrastruktur, fehlender Erwerbsmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft und geringen Ausbildungsstands der Bevölkerung (Analphabetenquote auf dem Land von rund 90%) aber groß. Sicher ist, dass die jährlich rund 400.000 neu auf den Arbeitsmarkt drängenden jungen Menschen nicht vollständig vom landwirtschaftlichen Sektor absorbiert werden können (AA 8.2015).

Große wirtschaftliche Erwartungen werden an die zunehmende Erschließung der afghanischen Rohstoffressourcen geknüpft. In Afghanistan lagern die weltweit größten Kupfervorkommen sowie Erdöl, Erdgas, Kohle, Lithium, Gold, Edelsteine und Seltene Erden. Das seit langem erwartete Rohstoffgesetz wurde im August 2014 verabschiedet. Damit wurden die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliche Investitionen in diesem Bereich verbessert. Entscheidend für Wachstum, Arbeitsplätze und Einnahmen aus dem Rohstoffabbau ist die Umsetzung des Gesetzes. Darüber hinaus müssen Mechanismen zum Einnahmenmanagement etabliert werden. Der Abbau der Rohstoffe erfordert große und langfristige Investitionen in die Exploration und Infrastruktur durch internationale Unternehmen. Bisher sind diese noch kaum im Abbau von Rohstoffen im Land aktiv (AA 8.2015).

Afghanistan bleibt weiterhin der weltweit größte Produzent für Opium, Heroin und Cannabis (AA 8.2015; vgl. UN GASC 06.09.2015). Rund 2,2 Millionen Afghanen leben mittelbar oder unmittelbar vom Drogenanbau, -handel und -verkauf (AA 8.2015). Trotz einer breit angelegten Strategie verhindern die angespannte Sicherheitslage in den Hauptanbaugebieten im Süden des Landes sowie die weit verbreitete Korruption eine effiziente Bekämpfung des Drogenanbaus (AA 8.2015; vgl. UN GASC 06.09.2015). Die hohen Gewinnmargen erschweren zudem die Einführung von alternativen landwirtschaftlichen Produkten (AA 8.2015).

Die Internationale Gemeinschaft und Hauptgeber haben ihr Engagement und ihre Partnerschaft für Afghanistan im Rahmen der London Konferenz im Dezember 2014 bestätigt. Sie begrüßen das Engagement der neuen afghanischen Regierung für makroökonomische Stabilität und Reformen, welche Nachhaltigkeit und integratives Wachstum beinhaltet (IMF 5.2015).

Medizinische Versorgung:

Die Datenlage zur medizinischen Versorgung in Afghanistan bleibt äußerst lückenhaft. In vielen Bereichen liegen Daten nur unzuverlässig oder nur ältere statistische Erhebungen der afghanischen Regierung oder der Weltgesundheitsorganisation vor. Besonders betroffen von unzureichender Datenlage sind hierbei die südlichen und südwestlichen Provinzen (AA 16.11.2015). Ferner können sich die im Zuge der Recherche gefundenen Informationen auch widersprechen.

Grundsätzlich hat sich die medizinische Versorgung, insbesondere im Bereich der Grundversorgung, in den letzten zehn Jahren erheblich verbessert, fällt jedoch im regionalen Vergleich weiterhin drastisch zurück (AA 16.11.2015). Auch hat sich seit dem Jahr 2001 der Zugang zur Grundleistung für die afghanische Bevölkerung in fast allen Bereichen erheblich verbessert: der Deckungsgrad medizinischer Gesundheitsversorgung hat sich von 9% im Jahr 2001 auf 80% im Jahr 2011 erweitert (WB 4.2015). Jedoch fällt diese Grundversorgung im regionalen Vergleich weiterhin drastisch zurück (AA 02.03.2015).

Die Sterberate von Kindern unter fünf Jahren ist von 257 auf 165 pro 1.000 Lebendgeburten gesunken, die Säuglingssterblichkeitsrate von 97 auf 77 bei 1.000 Lebendgeburten, und die Müttersterblichkeitsrate ist auf 327 bei 100.000 Lebendgeburten gesunken. Im Vergleich dazu betrug die Müttersterblichkeitsrate im Jahr 2002 noch 1.600. Ferner erhöhte sich die Zahl funktionierender Gesundheitsanstalten von 496 im Jahr 2002 auf 2.000 im Jahr 2012. Proportional dazu erhöhte sich die Zahl der Anstalten mit weiblichem Personal (WB 4.2015).

In der letzten Dekade hat das afghanische Gesundheitssystem ansehnliche Fortschritte gemacht. Dies aufgrund starker Regierungsführung, einer soliden öffentlichen Gesundheitspolitik, innovativer Servicebereitstellung, sorgfältiger Überwachung und Evaluierung sowie Entwicklungshilfe. Trotz signifikanter Verbesserungen im Bereich des Deckungsgrades und der Qualität der Gesundheitsservices, wie auch einer Reduzierung der Sterberate von Müttern, Säuglingen und Unter-fünf-jährigen, sind die afghanischen Gesundheitsindikatoren weiterhin schlechter als die der Niedrigeinkommensländer, was ferner andeutet, dass die Notwendigkeit besteht, Zugangshindernisse zu Leistungen für Frauen zu beseitigen. Des Weiteren hat Afghanistan eine der höchsten Unterernährungsraten der Welt. Etwa 41% der Kinder unter fünf Jahren leiden unter chronischer Unterernährung. Sowohl Frauen als auch Kinder leiden an Vitamin- und Mineralspiegeldefiziten (WB 4.2015).

Die medizinische Versorgung leidet trotz der erkennbaren und erheblichen Verbesserungen landesweit weiterhin an unzureichender Verfügbarkeit von Medikamenten und Ausstattung der Kliniken, insbesondere aber an fehlenden Ärztinnen und Ärzten, sowie gut qualifiziertem Assistenzpersonal (v.a. Hebammen). Im Jahr 2013 stand 10.000 Einwohnern Afghanistans ca. eine medizinisch qualifiziert ausgebildete Person gegenüber. Auch hier gibt es bedeutende regionale Unterschiede innerhalb des Landes, wobei die Situation in den Nord- und Zentralprovinzen um ein Vielfaches besser ist als in den Süd- und Ostprovinzen (AA 16.11.2015; vgl. AA 02.03.2015).

Obwohl freie Gesundheitsdienstleistungen in öffentlichen Einrichtungen zur Verfügung gestellt wurden, können sich viele Haushalte gewisse Kosten für Medikamente oder den Transport zu Gesundheitsvorsorgeeinrichtungen nicht leisten bzw. war es vielen Frauen nicht erlaubt, alleine zu einer Gesundheitseinrichtung zu fahren (USDOS 25.06.2015).

Gemäß der afghanischen Verfassung ist die primäre Gesundheitsversorgung in öffentlichen Einrichtungen, inklusive Medikamente, kostenfrei [Anm.: siehe dazu afghanische Verfassung Art. 52 (Max Planck Institute 27.01.2004)]. Jedoch sind die Bestände oft erschöpft, und die Patient/innen sind gezwungen, die Medikamente in privaten Apotheken oder am Bazar zu kaufen (IRIN 02.07.2014). Obwohl Qualitätskontrollmaßnahmen für Medikamente im öffentlichen Gesundheitsvorsorgesystem existieren, ist die Umsetzung laut einem US-amerikanischen Bericht schwach. Der Großteil der verschriebenen Medikamente wird verschrieben und privat verkauft. Auch, so der Bericht weiter, gibt es keine Daten zu Pharmazisten, die im privaten Sektor arbeiten. Bis zu 300 in Pakistan ansäßige Unternehmen produzieren Medikamente, die speziell für den Export nach Afghanistan vorgesehen sind, aber den von für Pakistan vorgeschriebenen Standards nicht entsprechen (IJACMEC 10.2014; vgl. The Guardian 07.01.2015).

Die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - findet, abgesehen von einzelnen Pilotprojekten, nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt. Gleichzeitig leiden viele Afghaninnen und Afghanen unter psychischen Symptomen der Depression, Angststörungen oder posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS). In Kabul gibt es zwei psychiatrische Einrichtungen: das Mental Health Hospital mit 100 Betten und die Universitätsklinik Aliabad mit 48 Betten. In Jalalabad und Herat gibt es jeweils 15 Betten für psychiatrische Fälle. In Mazar-e Scharif gibt es eine private Einrichtung, die psychiatrische Fälle stationär aufnimmt. Folgebehandlungen sind oft schwierig zu leisten, insbesondere wenn der Patient oder die Patientin kein unterstützendes Familienumfeld hat. Traditionell mangelt es in Afghanistan an einem Konzept für psychisch Kranke. Sie werden nicht selten in spirituellen Schreinen unter teilweise unmenschlichen Bedingungen "behandelt", oder es wird ihnen in einer "Therapie" mit Brot, Wasser und Pfeffer der "böse Geist ausgetrieben". Es gibt jedoch aktuelle Bemühungen, die Akzeptanz und Kapazitäten für psychiatrische Behandlungsmöglichkeiten zu stärken und auch Aufklärung sowohl über das Internet als auch in Form von Comics (für Analphabeten) zu betreiben. Die Bundesregierung finanziert Projekte zur Verbesserung der Möglichkeiten psychiatrischer Behandlung und psychologischer Begleitung in Afghanistan (AA 16.11.2015).

Behandlung nach Rückkehr:

In den letzten zehn Jahren sind im Rahmen der freiwilligen Rückkehr durch UNHCR 3.5 Millionen afghanische Flüchtlinge zurückgekehrt. Insgesamt sind 5,8 Millionen Afghaninnen und Afghanen aus verschiedenen Teilen der Welt nach Afghanistan zurückgekehrt (DW 19.10.2015). USDOS berichtet, dass in den Jahren von 2002 bis 2014 Finanzierungen verwendet wurden, um Transportkosten und anfängliche Notwendigkeit bei Rückkehr für mehr als 4.7 Millionen zur Verfügung zu stellen (SIGAR 8.2015; vgl. AA 02.03.2015). Somit hat eine große Zahl der afghanischen Bevölkerung einen Flüchtlingshintergrund (AA 02.03.2015). Im Jahr 2015 sind 50.000 afghanische Flüchtlinge aus Pakistan im Rahmen des Programms der freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan zurückgekehrt (DW 19.10.2015).

Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Rückkehrer aus Iran und Pakistan stark gestiegen. 2014 lag die Zahl der Rückkehrer bei knapp 17.000, davon über 12.000 aus Pakistan. Bis Ende Oktober 2015 sind im laufenden Jahr fast 56.000 zurückgekehrt, davon über 53.000 aus Pakistan. Zwei Drittel der Rückkehrer siedeln sich in fünf Provinzen an: Kabul, Nangarhar, Kunduz, Logar und Baghlan (AA 16.11.2015). Laut UNHCR-Afghanistan kehrten im Jahr 2014 insgesamt 17.000 Menschen freiwillig nach Afghanistan zurück (UNHCR 29.10.2015). Die Kapazität der Regierung, Rückkehrer/innen aufzunehmen, war auch weiterhin niedrig. Die Zahl der Rückkehrer/innen während des Jahres 2014 verringerte sich aufgrund von Unsicherheiten in Bezug auf die Sicherheitslage im Rahmen des Post-Transitionszeitraumes und aufgrund des Auslaufens der proof of Residence Card (PoR Card) für afghanische Flüchtlinge in Pakistan (USDOS 25.06.2015). In Pakistan werden etwa 1,5 Millionen afghanische Flüchtlinge, die im Besitz einer PoR Card sind, von UNHCR unterstützt (BFA Staatendokumentation 9.2015).

Die afghanische Regierung kooperierte auch weiterhin mit UNHCR, der Internationalen Organisation für Migration (IOM), sowie anderen humanitären Organisationen, um intern vertriebenen Personen, Flüchtlingen, Rückkehrer/innen und anderen Menschen Schutz und Unterstützung zur Verfügung zu stellen. Regierungsunterstützung für vulnerable Personen, inklusive Rückkehrer/innen aus Pakistan und Iran, war gering, mit einer anhaltenden Abhängigkeit von der internationalen Gemeinschaft. Die Reintegration von Rückkehrer/innen war schwierig. Rückkehrerinnen und Rückkehrer hatten angeblich gleichwertigen Zugang zu Gesundheits-, Bildungs- und anderen Leistungen, obwohl manche Gemeinden, die für Rückkehrer/innen vorgesehen waren, angaben, dass eingeschränkter Zugang zu Transport und Straßen zu größeren, besser etablierten Dörfern und städtischen Zentren fehlte. Dies erschwerte den Zugang zu Dienstleistungen und wirtschaftlichen Möglichkeiten (USDOS 25.06.2015).

In Iran und Pakistan halten sich derzeit noch ca. 3 Millionen afghanische Flüchtlinge auf. Dazu kommen nicht registrierte Afghanen, die von der iranischen Regierung jedoch nicht als Flüchtlinge anerkannt sind. Insbesondere von iranischer Seite, in Teilen auch von Pakistan, werden sie gelegentlich als politisches Druckmittel gegenüber Afghanistan ins Feld geführt. Gleichzeitig gelten die Flüchtlinge auch als günstige Arbeitskräfte. In Afghanistan wird zwischen Rückkehrern aus den Nachbarstaaten Iran und Pakistan (die größte Gruppe afghanischer Flüchtlinge) und freiwilliger Rückkehr oder Abschiebung aus v.a. westlichen Staaten unterschieden. Für Rückkehrer aus den genannten Nachbarländern leistet UNHCR in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung bestehen Probleme in der Koordinierung zwischen humanitären Akteuren und Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit, sodass Hilfe nicht immer dort ankommt, wo Rückkehrer sich niedergelassen haben (AA 02.03.2015; vgl. AA 16.11.2015).

Die Schweiz, Australien, Iran, Norwegen, Pakistan, Dänemark, Frankreich, die Niederlande und Schweden haben mit Afghanistan und dem UNHCR sog. Drei-Parteien-Abkommen zur Regelung der freiwilligen Rückkehr von afghanischen Flüchtlingen in ihr Heimatland geschlossen. Die Abkommen sehen u.a. die Übernahme von Reisekosten, Wiedereingliederungshilfe und Unterstützungsmaßnahmen für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge vor. Von Großbritannien, Frankreich, Italien, Dänemark, Norwegen, Schweden und Australien ist bekannt, dass diese Länder abgelehnte Asylbewerber afghanischer Herkunft nach Afghanistan abschieben. Von Norwegen ist bekannt, dass auch Familien mit minderjährigen Kindern abgeschoben werden. Einige Länder arbeiten eng mit IOM in Afghanistan zusammen, insbesondere auch, um die Reintegration zu erleichtern. IOM bietet psychologische Betreuung, Unterstützung bei Reiseformalitäten, Ankunft in Kabul und Begleitung der Reintegration einschließlich Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche an (AA 02.03.2015; vgl. AA 16.11.2015).

Eine Diskriminierung oder Strafverfolgung aufgrund exilpolitischer Aktivitäten nach Rückkehr aus dem Ausland ist nicht anzunehmen. Auch einige Führungsfiguren der RNE sind aus dem Exil zurückgekehrt, um Ämter bis hin zum Ministerrang zu übernehmen. Präsident Ashraf Ghani selbst verbrachte die Zeit der Bürgerkriege und der Taliban-Herrschaft in den 1990er Jahren weitgehend im pakistanischen und US-amerikanischen Exil (AA 16.11.2015).

Blutrache

Gemäß alt hergebrachter Verhaltens- und Ehrvorstellungen töten bei einer Blutfehde die Mitglieder einer Familie als Akte der Vergeltung die Mitglieder einer anderen Familie. In Hinblick auf Afghanistan sind Blutfehden in erster Linie eine Tradition der Paschtunen und im paschtunischen Gewohnheitsrechtssystem Pashtunwali verwurzelt. Blutfehden können durch Morde ausgelöst weden, aber auch durch andere Vergehen wie die Zufügung dauerhafter, ernsthafter Verletzungen, Entführungen oder Vergewaltigung verheirateter Frauen oder ungelöster Streitigkeiten um Land, Zugang zu Wasser oder Eigentum. Blutfehden können zu lang anhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen. Nach dem Pashtunwali muss die Rache sich grundsätzlich gegen den Täter selbst richten, unter bestimmten Umständen kann aber auch der Bruder des Täters oder ein anderer Verwandter, der aus der väterlichen Linie stammt, zum Ziel der Rache werden. Im Allgemeinen werden Racheakte nicht an Frauen und Kindern verübt. Wenn die Familie des Opfers nicht in der Lage ist, sich zu rächen, dann kann die Blutfehde ruhen, bis die Familie des Opfers sich in der Lage sieht, Racheakte auszuüben. Daher kann sich die Rache Jahre oder sogar Generationen nach dem eigentlichen Vergehen ereignen.

* ACCORD, 11.06.2013 und 25.08.2014; CORI, 02.2014; UNHCR, 06.08.2013

Situation der Hazara in Afghanistan (Gutachten des Sachverständigen Dr. Rasuly vom 17. 2. 2016):

Kurzer Rückblick zu den Hazara bis zum Sturz des Taliban-Regime im Jahre 2001:

Die Hazara wurden bis zum kommunistischen Putsch im Jahre 1978 aus ethnisch-religiösen Gründen stark diskriminiert. Sie durften im afghanischen Staat keine höheren staatlichen Positionen erlangen und waren in der Gesellschaft wegen ihres schiitischen Glaubens und wegen ihrer Ethnie oft Benachteiligungen und Verspottung ausgesetzt. Sie waren als Trägervolk und Dienervolk bekannt und gehörten zur ärmsten Bevölkerungsschicht Afghanistans. Ihre ursprünglichen Heimatregionen in Zentralafghanistan: Bamiyan, Teile der Provinzen Ghazni, Daykundi und Maidan Wardak gehören Großteils zu den schwer zugänglichen und kargen Regionen des Landes. Diese Bedingungen in den Abstammungsregionen der Hazara haben dazu geführt, dass sie im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts aufgrund der Arbeitssuche in Städte wie in Kabul, Kandahar, Herat, Mazar-e Sharif, Kunduz usw. zuwanderten und sich dort niederließen. Im 19. Jahrhundert wurden Hazara vom damaligen afghanischen Emir, Abdurrahman Khan, im Zuge dessen Zentralisierungspolitik, schwer verfolgt. Tausende Hazara wurden damals getötet und eine hohe Anzahl von ihnen war gezwungen, ihre Heimatregionen zu verlassen und sich in anderen Regionen Afghanistans niederzulassen, oder ins Ausland zu flüchten, allen voran nach Quetta/Pakistan. Im 20. Jahrhundert wurden sie zwar nicht mehr verfolgt, aber sie wurden weiterhin diskriminiert und ihre Wohngebiete gehörten weiterhin zu den unterentwickeltsten Regionen des Landes. Mehrheitlich arbeiteten sie in den Städten als Träger und Diener und konnten damit ihr Überleben sichern. Viele von Ihnen wurden vor 1965, dem Beginn der Demokratisierungsphase, von den Behörden auch zur Zwangsarbeit herangezogen. Die Hazara durften im Sicherheitsapparat, im Verteidigungs- und Innenministerium, sowie im Außenministerium keine Karriere machen.

Erst mit der Demokratisierungsphase im Jahre 1964/5 durften die Hazara allmählich am politisch-gesellschaftlichen Prozess teilnehmen und auch Abgeordnete in das demokratische Parlament entsenden und waren im Kabinett mit einem Minister vom Gnaden des Königs vertreten. Die Hazara durften zwar in den Städten Schulen besuchen und auch studieren, aber aufgrund ihrer schlechten Wirtschaftslage war die Zahl der Analphabeten unter ihnen viel höher als bei anderen Ethnien. In den Städten konnte ein kleiner Teil der Hazara Schulen und Bildungs- und Ausbildungseinrichtungen besuchen. Sie durften hauptsächlich im Bildungs- und Gesundheitsbereich, als Ärzte und Lehrer arbeiten. Bis zum kommunistischen Putsch im Jahre 1978 waren nicht mehr als 7 Prozent der Gesamtbevölkerung Afghanistans alphabetisiert bzw. gebildet.

Die Stellung der Hazara nach dem Putsch der Kommunisten im Jahre 1978:

Die Stellung der Hazara im afghanischen Staat und in der Gesellschaft hat sich nach der Machtergreifung der Kommunisten im Jahre 1978 grundlegend geändert. Unter den Kommunisten wurden sie zum ersten Mal in der Geschichte Afghanistans an der politisch-militärischen Macht beteiligt. Sie stellten im kommunistischen Staat das Amt des Ministerpräsidenten und hatten einige Ministerämter inne. Sie waren im Sicherheitsapparat vertreten und die Entwicklungspläne der Kommunisten für das Land umfassten auch die Hauptsiedlungsgebiete der Hazara, Hazarajat.

Der Einmarsch der sowjetischen Truppen in Afghanistan im Dezember 1979 und die damit verbundene Entstehung der Mujaheddin-Gruppen war ein weiteres Ereignis, das zur Emanzipation der Hazara in Afghanistan maßgebend beigetragen hat. Im Jahre 1980 wurden 7 sunnitische Widerstandsgruppen mit der Unterstützung der Saudi-Arabiens, Pakistans und des Westens, allen voran der USA, in Pakistan gegründet.

Daraufhin wurden im Iran 8 Hazara bzw. schiitische Mujaheddin-Gruppen mit Unterstützung der iranischen Machthaber gegründet. Sie wurden vom iranischen Staat bewaffnet und bekamen auch politische Rückendeckung vom Iran, welche sie befähigte, sich auch am Widerstand gegen die sowjetische Armee zu beteiligen, ohne von den Sunniten zurückgedrängt zu werden. Die Beteiligung der Hazara im kommunistischen Staat und ihre Teilnahme am "Heiligen Krieg" gegen die Sowjets hatten ihnen geholfen, sich zu bewaffnen und allmählich gegen ihre Diskriminierung und Benachteiligungen zur Wehr zu setzen. Im Zuge des "Heiligen Krieges" von 1980 bis 1992 gegen die Kommunisten und die sowjetische Armee und im Zuge des Bürgerkrieges von 1992 bis 1998 haben die Hazara ihre Hauptsiedlungsgebiete in Zentralafghanistan, in Nordwest-Afghanistan und in einigen Bezirken von Kabul vollständig unter ihre Kontrolle gebracht und die Verwaltung dieser Regionen übernommen.

Bürgerkrieg in Afghanistan von 1992 bis 1996 bzw. bis 1998 und die Hazara:

Die Hazara waren am Bürgerkrieg in Kabul, in Mazar-e Sharif, in Ghazni, Bamiyan, Baghlan, in Uurzgan und in Teilen West-Afghanistan bewaffnet beteiligt. Während des Bürgerkrieges konnte die Hezb-e Wahdat, die Partei der Hazara, diese Minderheit militärisch und politisch soweit mobilisieren, dass Hunderttausende Hazara für die Hezb-e Wahdat gegen andere Gruppen, wie Jamiat-e islami, Hezb-e islami und die Taliban kämpften. Als die Taliban im Jahre 1995 Ghazni, ausgenommen Hazara-Gebiete, 1996 in Kabul, 1998 in Mazar-e Sharif und Hazarajat eroberten, unterdrückten sie die Hazara schwer, töteten tausende von ihnen und vertrieben tausende aus den Städten. Die Hazara zogen sich in ihre Hauptsiedlungsgebiete in Hazarajat zurück, als die Taliban im Jahre 1996 Kabul eingenommen hatten und verteidigten ihre Siedlungsgebiete bis zum Jahre 1998. Die Taliban führten einen brutalen Krieg gegen die Hazara und töteten in wenigen Tagen in Mazar-e Sharif im Jahre 1998 mehr als 8000 Hazara.

Im Jahre 1998 haben die Taliban alle Siedlungsgebiete der Hazara erobert. Die Gruppenkonflikte innerhalb der Hazara hatten dazu geführt, dass einige Hazara-Kommandanten mit den Taliban kooperierten und die Taliban bei der Einnahme ihrer eigenen Siedlungsgebiete unterstützten. Zwischen 1995 bis 2001 flüchteten hunderttausende Hazara in die Nachbarländer Iran und Pakistan. Tausende junge Hazara schlossen sich dem Widerstand gegen die Taliban an, der in den Bergen des Hazarajat von der Hezb-e Wahdat weitergeführt wurde.

Die Lage der Hazara seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001:

Nach dem Sturz des Taliban-Regimes wurde Ende 2001 in einer Konferenz in Bonn festgelegt, dass alle Ethnien Afghanistans, einschließlich der Hazara an der staatlichen Macht beteiligt werden müssen. So haben die Hazara und andere schiitische Gruppen seit Ende 2001 im afghanischen Staat einen stellvertretenden Staatspräsidenten, fünf Ministerposten und jeweils einen stellvertretenden Minister im Staatssicherheits- Verteidigungs- und Innenministerium. Außerdem haben sie mehrere Schlüsselpräsidien in diesen Ministerien. Der stellvertretende Armee-Chef ist derzeit ein Hazara namens General Morad Ali Morad. General Morad hat weitgehende Befehlsbefugnisse und befehligt derzeit in verschiedenen Provinzen wie Kunduz, Baghlan oder Helmand die Operationen gegen die Taliban. Die Hazara-Parteien, allen voran die Hezb-e Wahdat, kontrollieren derzeit die Hauptsiedlungsgebiete der Hazara im Rahmen der staatlichen Authorität.

Diese Gebiete sind: Bamiyan, Daykundi, die Distrikte Jaghuri, Malistan, Nawur, Jaghatu, Teile von Qarabagh usw. in der Provinz Ghazni, die Hazara-Wohnbezirke in Mazar-e Sharif und einige Distrikte der Provinzen Samangan, wie Dara-e Suf, Hazara-Siedlungsgebiete in der Provinz Sara-e Pul und in der Provinz Balkh, sowie die von Hazara bewohnten Distrikte und Dörfer in der Provinz Maidan Wardak, vor allem Hessa-i-Awal-i XXXX, XXXX-i Markazi und Daymirdad. Die Hazara sind in Kabul im politisch-kulturellen Leben und im Bildungs- und Wirtschaftsbereich maßgebend vertreten. Sie betreiben mehrere Fernsehsendungen und haben dutzende Privatuniversitäten und Institute im Land. Sie stellen in den staatlichen Universitäten im Verhältnis zu ihrer Anzahl mehr Studenten als jede andere Ethnie des Landes, weil sie durch ihre leidgeprüfte Geschichte die derzeitigen Möglichkeiten besser wahrnehmen.

Die Hazara und andere Schiiten haben in Großstädten wie in Kabul, Mazar-e Sharif und Herat eigene islamische Bildungseinrichtungen für die schiitische Islam-Lehre. Diese werden vom Iran finanziert und mit Lehrkräften unterstützt. Die Hazara als Schiiten dürfen zum ersten Mal in der Geschichte Afghanistans seit dem Sturz des Taliban-Regimes ungestört und in vollem Umfang schiitische Rituale, wie den wichtigsten Feiertag, Ashura, den Gedenktag an den Märtyrertod Imam Husain, mit Prozessionen auch in den nicht schiitischen Bezirken in Kabul und Mazar-e Sharif und in anderen Städten zelebrieren, ohne von den Sunniten gestört und lächerlich gemacht zu werden. Früher haben sie nur in ihren Moscheen unter sich gefeiert. ca. ein Drittel der Parlamentsabgeordneten in Kabul sind Hazara bzw. Schiiten und sind mit den sunnitischen Abgeordneten gleichberechtigt am politischen Prozess beteiligt. Somit sind die Hazara an der Staatsgewalt maßgebend beteiligt. Sie waren bis zum Sturz des Taliban-Regimes im Jahre 2001 in diesem Ausmaß in Afghanistan nie an der staatlichen Macht beteiligt.

Sie sind nicht nur an der Zentralgewalt beteiligt, sondern sie stellen auch die Gouverneure und die Sicherheitskommandanten in ihren Provinzen Bamiyan, Daikundi und in allen anderen hauptsächlich von den Hazara bewohnten Distrikten in Ghazni und in Maidan Wardak. Alle bedeutenden Distrikte wie Jaghuri, Malistan, Jaghatu, Nawur und Teile von Qarabagh in Ghazni werden von den Kommandanten der Hezb-e Wahdat behördlich verwaltet. Auch in Maidan Wardak werden die Hauptsiedlungsgebiete von Hazara, wie Hisa-i-Awal-i Behsud, Behsud-e Markazi und Day Mirdad von den Kommandanten der Hezb-e Wahdat kontrolliert und verwaltet. Mit ihrer neuen Stellung, ihrer Widerstandsfähigkeit und ihren Möglichkeiten befinden sich die Hazara in Afghanistan seit Ende 2001 nicht mehr in einer Opferrolle. Sie sind im Stande, sich kollektiv mit ihren Möglichkeiten im Rahmen des Staates zu verteidigen. Allerdings kommt es vor, dass immer wieder Taliban auf den Hauptstraßen zwischen den Provinzen im Süden, Westen und auf dem Weg nach Maidan Wardak und Bamiyan Reisebusse anhalten und bestimmte Reisende mitnehmen. Die meisten dieser Geiseln auf diesen Strecken sind Hazara. In den Jahren 2013 bis 15 ist es mehrere Male vorgekommen, dass auf dieser Strecke Hazara aus den Reisebussen gezerrt und mitgenommen worden sind. Einige von ihnen wurden freigelassen, dutzende wurden getötet. Diese Aktionen der Taliban gegen die Hazara richten nicht nur gegen die Hazara, sondern die Taliban töten und entführen auch Paschtunen, Usbeken und Tajiken. Bei jeder dieser Aktion erwecken die Taliban den Anschein, als wäre sie nur gegen die jeweilige Volksgruppe, deren Mitglieder sie gerade entführt und getötet haben, gerichtet. Die Hauptroute von Kabul über den Salang-Pass nach Norden, Baghlan - Mazar-e Sharif - Kunduz, wird hauptsächlich von Paschtunen, Tajiken und Usbeken befahren. Die Strecke zwischen Baghlan und Kunduz ist sehr gefährlich und die Reisenden versuchen, bis 14 Uhr die Strecke Baghlan nach Kunduz zu passieren, weil nachmittags die Taliban die Route immer wieder kurzfristig unter ihre Kontrolle bringen. Sie zerren willkürlich Personen aus Reisebussen und Taxis und nehmen sie als Geiseln mit. Einige dieser Personen werden von den Taliban später getötet. Dies sind Großteils Tajiken und Usbeken. Die meisten von den Taliban kontrollierten Gebiete in Afghanistan werden von Usbeken, Paschtunen und Tajiken bewohnt. In diesen Gebieten werden die Menschen willkürlich bestraft und Personen, die einmal für die Regierung gearbeitet haben, geraten unter die Verfolgung und Unterdrückung der Taliban. Die Provinzen und Distrikte, wo hauptsächlich die Hazara wohnen, werden von diesen kontrolliert. Sie haben bis jetzt ihre Siedlungsgebiete soweit geschützt, dass die Taliban dort nicht eindringen konnten. Aber Distrikte, wie Gisab in Uruzgan und Nirkh in Maidan Wardak, die auch von Paschtunen bewohnt werden, sowie einige Dörfer, die in den mehrheitlich von Paschtunen oder Usbeken bewohnten Gebieten liegen, werden nicht von den Hazara-Parteien kontrolliert. Manche dieser Gebiete werden immer wieder von den Taliban kurzfristig kontrolliert.

Die Taliban sind Anhänger der arabischen Fundamentalisten, allen voran Saudis, die gegen den Iran und damit gegen die Schiiten eingestellt sind. Daher kommt es immer wieder vor, dass die Taliban ihre Opfer, wenn sie Schiiten sind, zur Schau stellen. Aber sie bringen mehr Paschtunen und Usbeken um, deren Gebiete sie leicht unter ihre Kontrolle bringen können. In diesen Gebieten kommt es häufig vor, dass die Taliban willkürlich Menschen verfolgen, töten und die Jugendlichen, wenn sie benötigt werden, rekrutieren. Eine Zwangsrekrutierung seitens der Taliban ist dort möglich, wo sie vorherrschen.

Diese Gebiete liegen in den von Paschtunen und Uzbeken bewohnten Provinzen, wie Nangarhar, Kandahar, Kunar, Kunduz, Faryab, Helmand usw. Wenn die Jugendlichen sich nicht dort befinden oder sich der Zwangsrekrutierung der Taliban entziehen und in Großstädte oder ins Ausland flüchten, werden sie von den Taliban nicht weiter gesucht. Allerding können diese Jugendlichen nicht mehr in ihre Heimatregion zurückkehren, wenn die Taliban weiterhin dort vorherrschend sind. Zwangsrekrutierung ist nicht weit verbreitet, weil viele Jugendliche aus Gründen der Arbeitslosigkeit und ethnischer Solidarität sich den Taliban anschließen. Auch gibt es Regionen deren Bevölkerung aus Gründen der Paschtunwali - dem Rechts- und Ehrenkodex der Paschtunen - es in "Krisenzeiten" für notwendig erachtet, den Taliban freiwillig Soldaten bereit zu stellen. Die meisten Opfer der Taliban sind von 2013 bis Februar 2016 in den von Paschtunen bewohnten Provinzen, Kandahar, Nangarhar, Kunar, Helmand, Logar, Wardak und in den Provinzen Kunduz, Faryab, Baghlan und Badakhshan zu verzeichnen, wo hauptsächlich Usbeken, Tajiken und Paschtunen wohnen. Die Taliban haben im Oktober 2015 die Stadt Kunduz eingenommen und haben in wenigen Tagen den UNO-Berichten zufolge mehr als 800 Menschen getötet. Die getöteten Zivilisten waren Tajiken und Usbeken. Derzeit werden die meisten Distrikte von Nangarhar von den Taliban kontrolliert und von ihnen werden immer wieder Massaker an der Zivilbevölkerung verübt. Hierzu möchte ich auf folgende Internetquellen hinweisen, die diesem Gutachten beigelegt werden.

Beilage 1: Betreffend das Vorgehen der Taliban in Kunduz.

Beilage 2: betreffend den Angriff der Taliban auf den Distrikt Burka in Baghlan.

Beilage 3: Selbstmordanschlag der Taliban in Paktia, Siedlungsgebiet der Paschtunen, während eines Handballspiels der Schüler, bei dem mehr als 50 Schüler sterben.

Beilage 4: Taliban töten gezielt paschtunische Stammesälteste in Helmand.

Beilage 5: Eine Abspaltung von den Taliban tötet mehr als 30 Menschen in Jalalabad in Nangarhar. Jalalabad wird von Paschtunen, Tajiken und Paschais bewohnt.

Beilage 6: Ein weiteres Beispiel der Brutalität der Taliban bzw. des IS in Nangarhar, im Siedlungsgebiet der Paschtunen.

Beilage 7: Taliban töten 30 Hazara-Polizisten, die in Jalrez in Maidan Wardak Dienst versahen.

Beilage 8: Taliban haben 30 Hazara-Zivilisten auf der Reise in die Provinz Zabul entführt und sieben von ihnen geköpft. In diesem Beitrag ist zu lesen, wie die Hazara in Kabul unter der Beteiligung von mehreren hunderttausend Menschen gegen die Brutalität der Taliban demonstrieren.

Beilage 9: durch eine Bombe der Taliban werden dutzenden Menschen in Kapisa, einem Siedlungsgebiet der Tajiken und Paschtunen, getötet.

Beilage 10: Acht Zivilisten werden durch die Explosion einer Bombe in Nangarhar getötet.

Beilage 11: Dutzende Menschen werden 2014 bei einem Selbstmordanschlag der Taliban in Faryab, einer von Usbeken besiedelten Provinz, getötet.

Beilage 12: Bei einem Selbstmordanschlag der Taliban im Juli 2015 werden in Faryab 15 Menschen getötet und 38 verletzt.

Der länderkundige Sachverständige erstattete zum Vorbringen des Beschwerdeführers mit Schriftsatz vom 12. 3. 2016 nachfolgendes schriftliches Gutachten:

Die Angaben des Beschwerdeführers während der Beschwerdeverhandlung zu seiner Herkunft haben nicht den Gegebenheiten in Afghanistan entsprochen. Der Beschwerdeführer hat bei der Erstbefragung beim BAA und in seiner Beschwerdeschrift sein Dorf mit XXXX oder XXXX angegeben, während er in der Beschwerdeverhandlung sein Dorf mit der Bezeichnung XXXX angegeben hat. Auf der Landkarte von XXXX konnte ich zwei Dörfer mit den Namen XXXX und XXXX finden:

http://www.haqiqat.se/images/stories/Afghanistan_Mapper/Wardak Map/hisa_i_awali_bihsud.pdf )

Aber das Wort XXXX kann mit dem Wort oder Bezeichnung XXXX oder XXXX oder XXXX nicht verwechselt werden.

Wenn eine Person angibt, immer in einem Hazara-Dorf, fern von der Stadt gewohnt und nur dort für eine kurze Zeit eine Moschee-Schule besucht zu haben, müsste er Dari mit Hazaragi Dialekt sprechen. Der Beschwerdeführer hat während der Beschwerdeverhandlung ein städtisches bzw. Hoch-Dari gesprochen. Die Dorfbewohner in Hazara-Dörfern, weit entfernt von den Städten und mit geringem Bildungsstand, drücken sich nicht in Hoch-Dari aus, sondern sie sprechen Dari mit starkem Hazaragi-Dialekt. Auch die Angaben des Beschwerdeführers, dass Maidan Wardak nur aus zwei Teilen, nämlich XXXX und XXXX bestehen würde, stimmen nicht mit den Tatsachen in Maidan Wardak überein. Die beiden Distrikte sind zwar zu mehr als 90% von Hazaras bewohnt, aber 6 Distrikte von Maidan Wardak werden mehrheitlich von Paschtunen bewohnt und sie machen 70% der Einwohner von Maidan Wardak aus. (siehe Beilage 1 und 2)

In folgenden Distrikten von Maidan Wardak wohnen mehrheitlich Hazara: Hisa-I-Awali Bihsud und Markazi Bihsud (=Hesa-e Doum Behsud). Die Distrikt wie Chaki Wardak, in Maydan Shahr, Saydabad, Jaghatu, Jalrezund Nirkh werden mehrheitlich von Paschtunen bewohnt. In Maidan Wardak wohnen auch Tajiken, Sayeds und Qizilbash-Shiiten.

Vor allem die Existenz von Tajiken und Qizilbash-Schiiten müsste auch einem Hazara aus Maidan Wardak bekannt sein. Ich schließe aber nicht aus, dass die Großeltern des Beschwerdeführers ursprünglich aus XXXX stammen könnten, weil viele Hazara in Städten wie Kabul aus Hazarajat stammen. Sie sind wegen der Arbeitssuche oder aus politischen Gründen in die Städte gekommen. Aber der Lebensmittelpunkt der Familie des Beschwerdeführers kann nicht in XXXX oder XXXX gewesen sein, sonst hätte sich der Beschwerdeführer über Wardak nicht wie ein fremde Person ausgedrückt und nicht erklärt, dass Wardak nur aus diesen zwei Teilen, nämlich aus zwei XXXX bestehen würde.

Betreffend die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtgrund möchte ich folgendes ausführen: Die Angaben des Beschwerdeführers, dass seine Schwester zum Freund ihres Vaters zuerst geflüchtet sei und der Freund ihres Vaters im selben Dorf wie ihr Vater gewohnt hätte, stimmen nach meiner Information nicht mit der Wirklichkeit der traditionellen Gesellschaften Afghanistans überein. Es kommt aber tatsächlich vor, dass eine Frau vor ihrem gewalttätigen Ehemann flüchtet, aber sie flüchtet das erste Mal auf alle Fälle zu ihrem elterlichen Haus und nicht zu einem fremden Haus. Erst wenn die Frau mehrmals aus dem Hause ihres Mannes flüchtet und ihr Vater sie immer wieder zu ihrem Mann zurückschickt, ist es nicht ausgeschlossen, dass eine solche Frau zu einer fremde Familie, die

auch zum Freundeskreis ihrer Familie gehört, flüchtet und sie um Hilfe bittet, mit ihrem Vater zu sprechen, um nicht wieder zu ihrem gewalttätigen Mann zurückgeschickt zu werden.

Wenn der Vater von XXXX Dorfvorsteher war und viele Grundstücke besessen hat, ist er nach afghanischer Tradition ein angesehener Mann in der Region. Wenn seine Schwiegertochter flüchtet, ist das für ihn eine Schande und er würde nun mit dem Vater der Frau versuchen eine Einigung zu erzielen, als dass sein Sohn zum Vater seiner Frau kommt und ihn auffordert, seine Tochter zu ihm zurückzubringen, wenn er sie findet.

Auch wenn der Vater der Frau aus ärmeren Verhältnissen stammt, würde er nicht versuchen seine Tochter sofort zu ihrem Mann zu schicken. Er versucht, mit dem Vater von XXXX zu reden, weil er Dorfvorsteher und damit ein angesehener Mann ist. Im Normal Fall versucht die Familie der jungen Frau mit dem Dorfältesten und der Familie des Mannes eine Einigung zu erzielen. Nach der Behauptung des Beschwerdeführers wurde seine Schwester unter Zwang verehelicht. In solch einem Fall kann ihr Vater sie nicht sofort zurück schicken, sondern wird versuchen, sie zu schützen.

Wenn ein Vater beim Begräbnis seiner Tochter Verletzungen an ihrem ganzen Gesicht erkennt, wird er das Familienoberhaupt der Familie des Ehemannes seiner Tochter darauf ansprechen. Wenn dieses nicht auf ihn hört, wird er sich an die Behörde wenden. Das ist in Afghanistan der übliche Weg, wenn die Tochter eines Mannes von seinem Schwiegersohn ermordet wird. Wenn ein Mitglied einer Familie getötet wird - auch wenn der Mörder aus einer mächtigen Familie stammt - wird der Vater der getöteten Frau bei der Behörde eine Anzeige erstatten, anstatt zu schweigen. In Distrikten wie XXXX existiert die Behörde und diese Behörde wird sofort in Mordfällen tätig. Unabhängig vom Ansehen der Personen in Mordfällen zieht die Behörde die Mörder zur Verantwortung. Es kommt vor, dass sich die Täter später freikaufen, aber die Kriminalpolizei kommt auf alle Fälle zum Tatort und versucht, die Todesursache einer Person festzustellen. In den meisten Fällen werden ein Mitglied oder mehrere Mitglieder der Täterfamilie festgenommen, in Gewahrsam genommen und in das Gefängnis in die Stadt gebracht.

2. Beweiswürdigung:

Die Länderfeststellungen gründen auf den jeweils angeführten Länderberichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen sowie aus dem schriftlichen Gutachten des länderkundigen Sachverständigen vom 12. 3. 2016. Angesichts der Seriosität der Quellen und der Plausibilität ihrer Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln, sodass sie den Feststellungen zur Situation in Afghanistan zugrunde gelegt werden konnten.

Der Sachverständige ist in Afghanistan geboren und aufgewachsen, er hat in Kabul das Gymnasium absolviert, in Wien Politikwissenschaft studiert und war in den neunziger Jahren an mehreren Aktivitäten der Vereinten Nationen zur Befriedung Afghanistans beteiligt. Er hat Werke über die politische Lage in Afghanistan verfasst und verfügt dort über zahlreiche Kontakte, ist mit den dortigen Gegebenheiten vertraut und recherchiert dort selbst - auch für den unabhängigen Bundesasylsenat, den Asylgerichtshof und das Bundesverwaltungsgericht - immer wieder (zuletzt im April 2016). Darüber hinaus hält er an der Universität Wien Lehrveranstaltungen ab, die sich mit Afghanistan beschäftigen. Auf Grund seiner Sachkenntnis wurde er bereits in vielen Verfahren als Gutachter herangezogen; er hat im Auftrag vieler Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, des Asylgerichtshofes und des Bundesverwaltungsgerichtes zahlreiche nachvollziehbare und schlüssige Gutachten zur aktuellen Lage in Afghanistan erstattet.

Zu der vom Beschwerdeführer behaupteten Herkunft aus einem Dorf im Distrikt XXXX ist festzuhalten, dass zwar von seiner Herkunft aus Maidan Wardak auszugehen ist, aber nicht festgestellt werden konnte, wie lange der Aufenthalt des Beschwerdeführers dort andauerte.

Nach Ansicht der erkennenden Richterin ist es dem Beschwerdeführer während des gesamten Verfahrens nicht gelungen, eine konkrete, ihm in Afghanistan drohende Verfolgungsgefahr glaubhaft zu machen.

Der Beschwerdeführer brachte vor, dass seine Schwester von ihrem Ehemann getötet worden sei, woraufhin sein älterer Bruder den Ehemann seiner Schwester getötet habe. Aufgrund dieses Vorfalles sei er im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan gefährdet Opfer von Blutrache durch die Familie des Getöteten zu werden, da der Täter (sein Bruder) geflüchtet sei.

Konkret führte der Beschwerdeführer aus, dass seine Schwester eine Woche nach ihrer Verehelichung von ihrem Ehemann zu einem Freund seines Vaters (des Beschwerdeführers) geflüchtet sei, der im selben Dorf wie die Familie des Beschwerdeführers gelebt habe. Dazu führte der Sachverständige in seinem Gutachten aus, dass eine solche vom Beschwerdeführer behauptete Vorgehensweise nicht in Einklang mit der Realität Afghanistans zu bringen ist. Wenngleich es tatsächlich Fälle gibt, in denen Frauen vor ihren gewalttätigen Männern flüchten, erfolgt das Entfliehen zunächst in das elterliche und nicht in ein fremdes Wohnhaus. Eine solche Vorgehensweise wäre dann möglich, wenn eine Frau mehrmals aus dem ehelichen Wohnhaus flüchtet und ihr Vater sie immer wieder zwingt zu ihrem Ehemann zurückzukehren.

Dazu ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens behauptet hatte, dass seine Schwester mehrmals von ihrem Ehemann geflüchtet sei, sodass unter Zugrundelegung der Ausführungen des länderkundigen Sachverständigen die vom Beschwerdeführer beschriebene Flucht seiner Schwester zu einem Freund ihres Vaters nicht den afghanischen Gegebenheiten entspricht. Dem sind auch weder der Beschwerdeführer noch der der Verhandlung beigezogene Rechtsberater entgegengetreten. Auch in der schriftlichen Stellungnahme des Rechtsberaters findet sich kein diesbezüglicher Hinweis.

Weiters führte der Sachverständige aus, dass es sich beim Vater des Ehemannes der Schwester des Beschwerdeführers - den Angaben des Beschwerdeführers folgend - um einen Dorfvorsteher gehandelt habe, der damit nach afghanischer Tradition folgend, ein angesehener Mann ist. Für einen Dorfvorsteher würde die Flucht seiner Schwiegertochter vor ihrem Ehemann eine Schande bedeuten, sodass der Dorfvorsteher in einem solchen Fall versuchen würde, mit dem Vater der Schwiegervater gütlich ein Einvernehmen zu erzielen. Die vom Beschwerdeführer dargestellte Vorgehensweise entspricht wiederum unter Zugrundelegung des Gutachtens nicht den afghanischen Gegebenheiten. Dem sind weder der Beschwerdeführer noch sein Rechtsberater entgegengetreten.

Überdies führte der Sachverständige aus, dass ein Vater seine Tochter nicht sofort ihrem Ehemann übergeben würde, sondern mit den Dorfältesten und der Familie des Ehemannes eine Einigung zu erzielen versuche.

Dass es solche Lösungsversuche gegeben habe, wurde vom Beschwerdeführer nicht dargetan.

Unter Zugrundelegung obiger Ausführungen kann nicht davon auszugehen, dass die vom Beschwerdeführer beschriebenen Vorgänge zur Flucht seiner Schwester den Tatsachen entsprechen, sodass die vom Beschwerdeführer fortgeführten Angaben zum Tod seiner Schwester und der nachfolgenden Tötung des Schwagers durch seinen älteren Bruder aufgrund des bereits nicht glaubhaften Vorbringens zur Flucht seiner Schwester ebenso wenig Glauben geschenkt werden kann.

Damit gehen auch die Ausführungen des Rechtsberaters in seiner Stellungnahme zur Frage, ob die staatlichen Behörden die Familie des Beschwerdeführers vor einer Rache durch die Familie des Getöteten ins Leere.

Da der Beschwerdeführer der Volksgruppe der Hazara angehört ist darauf hinzuweisen, dass es notorisches Wissen ist und auch in den Länderfeststellungen dargelegt wird, dass die Hazara nach dem Sturz der Taliban, zu dem sie im Rahmen der Hezb-e Wahdat als Teil der Nordallianz einen nicht unbedeutenden militärischen Beitrag leisteten, im politischen Machtgefüge und im Militär zu den tragenden Säulen des afghanischen Staates zählen. So haben die Hazara im afghanischen Staat einen stellvertretenden Staatspräsidenten, fünf Ministerposten und jeweils einen stellvertretenden Minister im Staatssicherheits- Verteidigungs- und Innenministerium. Außerdem haben sie mehrere Schlüsselpräsidien in diesen Ministerien. Der stellvertretende Armee-Chef ist derzeit ein Angehöriger der Hazara, welcher weitgehende Befehlsbefugnisse hat und derzeit in verschiedenen Provinzen wie Kunduz, Baghlan oder Helmand die Operationen gegen die Taliban befehligt. Auch sind ca. ein Drittel der Parlamentsabgeordneten Hazara bzw. Schiiten. Hazara stellen auch die Gouverneure und die Sicherheitskommandanten in ihren Provinzen Bamiyan, Daikundi und in allen anderen hauptsächlich von den Hazara bewohnten Distrikten in Ghazni und in Maidan Wardak. Alle bedeutenden Distrikte wie Jaghuri, Malistan, Jaghatu, Nawur und Teile von Qarabagh in Ghazni werden von den Kommandanten der Hezb-e Wahdat behördlich verwaltet. Auch in Maidan Wardak werden die Hauptsiedlungsgebiete von Hazara, wie Hisa-i-Awal-i Behsud, Behsud-e Markazi und Day Mirdad von den Kommandanten der Hezb-e Wahdat kontrolliert und verwaltet. Angesichts dieser umfangreichen Verankerung der Hazara in den politischen und militärischen Machtstrukturen des Staates und der Effektivität der Hazara ihre Siedlungsgebiete militärisch gegen regierungsfeindliche Gruppierungen zu behaupten, kann eine Gruppenverfolgung, die sich gegen die Hazara richten würde, jedenfalls in Siedlungsgebieten der Hazara, trotz woanders noch bestehender gesellschaftlicher Diskriminierung, nicht angenommen werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG 2005 idF ist das AsylG 2005 am 1.1.2006 in Kraft getreten; es ist gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren.

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz (Art. 2 FNG) idF des Art. 2 FNG-Anpassungsgesetz BGBl. I 68/2013 und des BG BGBl. I 144/2013 (in der Folge: BFA-VG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes.

Das vorliegende Verfahren war am 31.12.2005 nicht anhängig; das Beschwerdeverfahren ist daher nach dem AsylG 2005 zu führen.

Gemäß § 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, Art. 1 BG BGBl. I 33/2013 (in der Folge: VwGVG), idF BG BGBl. I 122/2013 ist das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht durch das VwGVG geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens bereits kundgemacht waren, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit im VwGVG nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG - wie die vorliegende - das AVG mit Ausnahme seiner §§ 1 bis 5 und seines IV. Teiles, die Bestimmungen weiterer, hier nicht relevanter Verfahrensgesetze und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, welche die Verwaltungsbehörde in jenem Verfahren angewandt hat oder anzuwenden gehabt hätte, das dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangen ist. Dementsprechend sind im Verfahren über die vorliegende Beschwerde Vorschriften des AsylG 2005 und des BFA-VG anzuwenden. (So enthalten zB § 16 Abs. 1 zweiter Satz und § 21 Abs. 7 BFA-VG ausdrücklich Sonderbestimmungen gegenüber dem VwGVG.)

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht - und somit auch das Bundesverwaltungsgericht - über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder seine Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Verwaltungsbehörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde "unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens" widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Verwaltungsbehörde ist dabei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von der das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine andere als die Zuständigkeit des Einzelrichters ist für die vorliegende Rechtssache nicht vorgesehen, daher ist der Einzelrichter zuständig.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFA VG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

Zu A)

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318;

09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN;

19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131;

25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, Zl. 98/20/0399; 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

Im vorliegenden Fall ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, objektiv begründete Furcht vor aktueller und landesweiter Verfolgung in gewisser Intensität glaubhaft zu machen. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung von internationalem Schutz, nämlich die Gefahr einer aktuellen Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe, liegen daher nicht vor.

In der Beweiswürdigung wurde auch begründet, weshalb der Beschwerdeführer einzig aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara nicht einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wäre.

Auch aus der allgemeinen Lage in Afghanistan lässt sich für den Beschwerdeführer eine Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nicht herleiten: Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation stellt nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinen hinreichenden Grund für eine Asylgewährung dar (vgl. etwa VwGH vom 14.3.1995, 94/20/0798; 17.6.1993, 92/01/1081). Wirtschaftliche Benachteiligungen können nur dann asylrelevant sein, wenn sie jegliche Existenzgrundlage entziehen (vgl. etwa VwGH 9.5.1996, 95/20/0161; 30.4.1997, 95/01/0529, 8.9.1999, 98/01/0614). Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist eine Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt - nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung - zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen wäre (dies gilt gleicher Maßen für die vom Beschwerdeführer angedeuteten Gefahren, die sich als der allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan ergeben).

Wenn im Beschwerdeschriftsatz auf die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur sozialen Gruppe der Minderjährigen hingewiesen wird, ist Folgendes auszuführen:

Im Fall des in drei Monaten XXXX Jahre alt werdenden Beschwerdeführers kann bei einer Gesamtschau nicht davon ausgegangen werden, dass er im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan gegenwärtig einer spürbar stärkeren, besonderen Gefährdung in Afghanistan ausgesetzt wäre. Wenngleich sich die Eltern des Beschwerdeführers nicht mehr in Afghanistan aufhalten, ist dennoch davon auszugehen, dass sich noch immer eine Tante und ein Onkel des Beschwerdeführers im Heimatdorf des Beschwerdeführers aufhalten. Es ist nicht ersichtlich und wurde auch nicht dargetan, dass und weshalb sich die Rückkehrsituation des in drei Monaten XXXX Jahre alt werdenden Beschwerdeführers im Hinblick auf (fehlende) Sicherheit und (fehlende) Lebensgrundlage in Afghanistan von jener etwa von 19 Jahre oder 22 Jahre alten afghanischen Staatsangehörigen ohne familiäre Bindungen in Afghanistan (die vom Alter her nicht mehr als besonders vulnerabel einzuordnen wären) wesentlich unterscheiden würde bzw. dass und weshalb die Auswirkungen der (für alle Einwohner Afghanistans) besonders prekären Situation für den Beschwerdeführer spürbar stärker wären. Prekäre Lebensbedingungen wie etwa im Fall von verwaisten Kindern und Jugendlichen, die ohne Unterstützung in sklavenähnlichen Verhältnissen leben müssen, können im Fall des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr nach Afghanistan jedenfalls nicht bejaht werden (vgl. etwa VwGH vom 09.07.2002, Zl. 2001/01/0281). Es ist somit von keiner existentiellen Bedrohung in Afghanistan im Hinblick auf seine Versorgung (etwa existenzbedrohende Armut) auszugehen.

Damit ist beim Beschwerdeführer von keiner asylrelevanten Verfolgung aufgrund seiner behaupteten Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Minderjährigen auszugehen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen; in vielen Punkten steht die Tatfrage im Vordergrund.

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