VwGH Ro 2014/11/0030

VwGHRo 2014/11/003027.5.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Krawarik, über die Revision des J M in W, vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Hamerlingplatz 7/14, gegen den Bescheid der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten beim Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom 10. Dezember 2013, Zl. 41.550/651-9/13, betreffend Eintragung von Zusatzvermerken in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:

Normen

BBG 1990 §40 Abs1;
BBG 1990 §42 Abs1;
BBG 1990 §45;
VwGbk-ÜG 2013 §4 Abs1 erster Satz;
BBG 1990 §40 Abs1;
BBG 1990 §42 Abs1;
BBG 1990 §45;
VwGbk-ÜG 2013 §4 Abs1 erster Satz;

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten vom 10. Dezember 2013 wurde der Antrag des Revisionswerbers vom 22. März 2013 auf Eintragung des Zusatzvermerkes "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" in den Behindertenpass mangels Vorliegen der Voraussetzungen dafür abgewiesen.

Begründend führte die Bundesberufungskommission zusammengefasst aus, im eingeholten Sachverständigengutachten Dris. M, eines medizinischen Amtssachverständiger (Fachrichtung Orthopädie und orthopädische Chirurgie) vom 27. September 2013 werde Folgendes festgestellt:

"Diagnosen:

1) Unterschenkelamputation links

Beurteilung:

Bei dem 58jährigen finden sich ein Z.n. US-Amputation mit guter Hautdeckung und zufriedenstellend langem Amputationsstumpf und guter Knieerstbeweglichkeit für eine prothetische Versorgung ausreichend die aber in den letzten Jahren nicht in Anspruch genommen wurde.

Alle großen Gelenke und der übrige Bewegungsapparat sind von guter Funktion. An der oberen Extremität findet sich aus orthopädischer Sicht keine Funktionsbehinderung, sodass eine kurze Wegstrecke von 300-400m aus eigener Kraft unter Zuhilfenahme von zwei Unterarmstützkrücken zurückgelegt werden kann. Die Benützung von Unterarm-Stützkrücken erschwert die Benützung des öffentlichen Verkehrsmittels nicht in hohem Maße. Das Ein- und Aussteigen und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel sind gegeben. Die angegebenen Einwendungen sind aus orthopädischer Sicht nicht nachvollziehbar. Der Bewegungsapparat ist, abgesehen auf die Unterschenkelamputation, von guter Funktion. Warum bisher keine adäquate Prothesenversorgung beim heutigen Stand der Orthopädietechnik durchgeführt wurde, entzieht sich der Beurteilung. Der aktuelle Stand der technischen Versorgung ist derart, dass sogar sportliche Aktivitäten mit Unterschenkelamputation zumutbar sind.

Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist uneingeschränkt möglich.

Zu Vergleichsgutachten: Gute Konsolidierung des Narbenstumpfes bei guter Beweglichkeit im Kniegelenk daher eine Rückstufung erforderlich

Zu Gutachten der 1. Instanz: Das Schreiben gibt lediglich die Einschätzung wieder."

Mit Schreiben vom 6. November 2013 und Ergänzung vom 20. November 2013 habe der Revisionswerber Einspruch gegen das Ergebnis des Ermittlungsverfahren erhoben und im Wesentlichen vorgebracht, dass er mit der Einschätzung seines Leidenszustandes im eingeholten Sachverständigengutachten nicht einverstanden sei. Nach 40 Jahren habe sich sein Gesundheitszustand sicherlich nicht gebessert, der ganze Bewegungsapparat sei in Mitleidenschaft gezogen. Er fordere die beantragte Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel".

Nach Wiedergabe der relevanten Rechtsvorschriften führte die Bundesberufungskommission weiters aus, nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe (allenfalls unter Verwendung der zweckmäßigen Behelfe) ohne Unterbrechung zurückgelegt werden könne oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwere. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirke.

Das eingeholte Sachverständigengutachten Dris. M sei hinsichtlich der Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel schlüssig und nachvollziehbar. Die erhobenen Einwendungen hätten das Sachverständigengutachten nicht entkräften können, weil die Einwendungen lediglich eine Wiederholung des Berufungsvorbringens, welches bei der Begutachtung bereits berücksichtigt worden wäre, zum Inhalt gehabt hätten.

Das Sachverständigengutachten stehe mit den Erfahrungen des Lebens, der ärztlichen Wissenschaft und den Denkgesetzen nicht in Widerspruch, es werde auf die Art der Leiden, deren Ausmaß und Auswirkung auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ausführlich eingegangen und diese schlüssig beurteilt. Die getroffenen Einschätzungen basierten auf dem im Rahmen der persönlichen Untersuchung erhobenen Befund, entsprechend den festgestellten Funktionseinschränkungen. Der Revisionswerber sei dem schlüssigen Sachverständigengutachten nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten.

Das eingeholte Sachverständigengutachten Dris. M sei daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde zu legen.

Es sei objektiviert worden, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen kein Ausmaß erreichen, welches die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bedinge, und daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Revision nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens (unter Abstandname von der Erstattung einer Gegenschrift) durch das eingetretene Bundesverwaltungsgericht erwogen:

1.1. Die maßgeblichen Rechtsvorschriften des Bundesbehindertengesetzes (BBG), BGBl. Nr. 283/1990 idF. BGBl. I Nr. 138/2013, lauten auszugsweise:

"BEHINDERTENPASS

§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

...

§ 42. (1) Der Behindertenpaß hat den Vor- und Familiennamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

...

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben oder der Paß eingezogen wird.

..."

1.2. Das Kraftfahrzeugsteuergesetz 1992, BGBl. Nr. 449/1992 idF BGBl. I Nr. 112/2012, lautet auszugsweise:

"§ 2. (1) Von der Steuer sind befreit:

...

12. Kraftfahrzeuge, die für Körperbehinderte zugelassen sind und von diesen infolge körperlicher Schädigung zur persönlichen Fortbewegung verwendet werden müssen, unter folgenden Voraussetzungen:

...

b) Nachweis der Körperbehinderung durch

...

- die Eintragung einer dauernden starken Gehbehinderung, der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung oder der Blindheit im Behindertenpass (§ 42 Abs. 1 des Bundesbehindertengesetzes 1990);

..."

2. Die Revision ist unbegründet.

2.1. Die vorliegende Revision ist gemäß § 4 Abs. 1 erster Satz VwGbk-ÜG zulässig, weil der angefochtene Bescheid noch vor dem 31. Dezember 2013 zugestellt wurde. Für die Behandlung dieser Revision gelten gemäß § 4 Abs. 5 leg. cit. die Bestimmungen des VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung sinngemäß.

2.2.1. Die Revision bringt im Wesentlichen vor, der angefochtene Bescheid sei mit Rechtswidrigkeit belastet, da das zugrunde gelegte Gutachten mangelhaft und unschlüssig in Bezug auf die zu klärende Frage der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei. Es hätten in den Gutachten die Auswirkungen der Gesundheitsschädigungen des Revisionswerbers auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise aufgezeigt werden müssen. Auf die vorgebrachten Schmerzen sei der Sachverständige nicht eingegangen. Da zum Untersuchungszeitpunkt keine Röntgenbilder vorgelegen seien, hätte der Sachverständige die Durchführung einer derartigen Untersuchung veranlassen müssen, um seriös urteilen zu können. Die bloße Beweglichkeit eines Gelenks sage noch nichts darüber aus, ob die Bewegung mit Schmerz verbunden sei. Schon aufgrund der allgemeinen Lebenserfahrung ergebe sich, dass jemand mit zwei Unterarmstützkrücken bei der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels erheblich beeinträchtigt sei. Es hätte überprüft werden müssen, ob ihm sowohl das Ein- als auch das Aussteigen sowie längeres Stehen zumutbar sei.

2.2.2. Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Juni 2013, Zl. 2010/11/0021, mit Verweis auf die Erkenntnisse vom 23. Februar 2011, Zl. 2007/11/0142, und vom 23. Mai 2012, Zl. 2008/11/0128).

2.2.3. Der Revisionswerber wurde im Verwaltungsverfahren am 27. September 2013 einer ärztlichen Begutachtung unterzogen. Der orthopädische Sachverständige Dr. M gelangte zu dem Ergebnis, dass dem Revisionswerber die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sei, weil dieser kurze Wegstrecken (300 - 400 m) aus eigener Kraft und ohne Fremdhilfe zurücklegen könne und seine Gesundheitsschädigung keine Auswirkungen auf das Ein- und Aussteigen sowie auf die sichere Beförderung im öffentlichen Verkehrsmittel habe und diese nicht in erheblichem Maße erschwert werde. Dieses Gutachtensergebnis wird vom Revisionswerber nicht substantiiert bestritten. Dieser bestreitet weder konkret, eine Wegstrecke von 300 bis 400 m nicht (ohne Schmerzen) zurücklegen zu können, noch, dass ihm das sichere Ein- und Aussteigen sowie das Stehen in einem Verkehrsmittel nicht möglich wäre. Das alleinige Vorbringen, dass ein Umstand "nicht nachvollziehbar" sei oder etwas "überprüft hätte werden müssen", stellt kein substantiiertes Vorbringen zum eingeholten Sachverständigengutachten dar, welches geeignet wäre, die erfolgte Einschätzung und die Schlussfolgerungen der belangten Behörde in Zweifel zu ziehen.

Damit unterlässt es der Revisionswerber, die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels aufzuzeigen.

2.2.4. Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel kommt es entscheidend auf die Art und Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel an, nicht aber auf andere Umstände wie die Entfernung zwischen der Wohnung und der nächstgelegenen Haltestelle öffentlicher Verkehrsmittel (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0258, und vom heutigen Tag, Zl. Ro 2014/11/0013).

Wenn die belangte Behörde daher die Ansicht vertritt, in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Betreffende eine Wegstrecke von 300 bis 400 m ohne Fremdhilfe zurücklegen könne und das Ein- und Aussteigen sowie die sichere Beförderung im öffentlichen Verkehrsmittel gewährleistet seien, sei (typischer Weise) die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar, so ist dies nicht als rechtswidrig zu erkennen (vgl. auch das Erkenntnis vom 23. Mai 2012, Zl. 2008/11/0128).

2.3. Sofern die Revision vorbringt, das Gutachten sei auch in Hinblick auf die Herabstufung des Grades der Behinderung von 60 vH auf 50 vH unschlüssig, ist zu entgegnen, dass der Grad der Behinderung nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens war (vgl. dazu das den Revisionswerber betreffende hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. Ro 2014/11/0033).

2.4. Die Revision war aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 27. Mai 2014

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