European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022140168.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige von Somalia, stellte am 26. Mai 2020 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) und begründete diesen damit, dass ihre Familie sie wegen ihrer Heirat mit einem aus einer ethnischen Minderheit stammenden Mann töten wolle.
2 Mit Bescheid vom 27. November 2020 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte der Revisionswerberin keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass ihre Abschiebung nach Somalia zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 In der Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, die Revisionswerberin sei nicht mit einem Angehörigen der Gabooye verheiratet und habe auch keine drei Kinder von diesem Mann. Sie werde in Somalia nicht von ihrer Familie wegen einer Mischehe verfolgt und es drohe ihr keine Zwangsverheiratung. Es lägen auch vor dem Hintergrund der Länderberichte und den Feststellungen zu ihrer persönlichen Situation keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Hindernisses bei der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat vor.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Die vorliegende Revision wendet sich in ihrer Zulässigkeit, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status einer Asylberechtigten richtet, gegen die Beweiswürdigung im angefochtenen Erkenntnis, wonach die Revisionswerberin im gesamten Verfahren ein substantiiertes und umfassendes Vorbringen zur Verfolgung durch ihre Familie aufgrund der Mischehe erstattet habe, das Bundesverwaltungsgericht aber ohne nähere Differenzierung von der Unglaubwürdigkeit der Revisionswerberin ausgehe.
9 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 7.4.2022, Ra 2021/14/0253, mwN). Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 24.5.2022, Ra 2022/14/0123, mwN).
10 Das Bundesverwaltungsgericht hat nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der es die Revisionswerberin umfassend zu ihren Fluchtgründen befragte und sich damit auch einen persönlichen Eindruck verschaffen konnte, mit näherer Begründung dargelegt, weshalb es von der Unglaubwürdigkeit der Angaben der Revisionswerberin ausging. Es hat sich mit dem zentralen Vorbringen, sie sei eine Mischehe eingegangen, habe drei Kinder und werde von ihrer Familie verfolgt, auseinandergesetzt und dazu ‑ entgegen dem Revisionsvorbringen ‑ positive Feststellungen getroffen. Dass diese aufgrund der vom Verwaltungsgericht angenommenen Unglaubwürdigkeit der Angaben der Revisionswerberin nicht mit ihren Aussagen übereinstimmten, entspricht dem Wesen der freien Beweiswürdigung.
11 Eine Mangelhaftigkeit der Beweiswürdigung im Rahmen des dargelegten Maßstabes für das Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zeigt die Revision mit ihren Ausführungen, die nur einzelne Aspekte der umfangreichen beweiswürdigenden Überlegungen des Bundesverwaltungsgerichts herausgreift, nicht auf.
12 Soweit sich die Revisionswerberin in diesem Zusammenhang darauf stützt, dass das Bundesverwaltungsgericht das Fluchtvorbringen nicht vor dem Hintergrund der Länderberichte ausreichend geprüft habe, ist darauf hinzuweisen, dass eine Feststellung allgemeiner Umstände im Herkunftsstaat die Glaubhaftmachung der Gefahr einer konkreten, individuell gegen den Revisionswerber gerichteten Verfolgung nicht ersetzen kann (vgl. VwGH 18.5.2022, Ra 2022/14/0122, mwN).
13 Die Revision rügt im Rahmen des Zulässigkeitsvorbringens weiters, dass das Bundesverwaltungsgericht dem Beweisantrag auf Einholung eines Gutachtens eines Facharztes für Gynäkologie nicht nachgekommen sei und es unterlassen habe, dies entsprechend zu begründen. Mit ihrem Vorbringen übersieht die Revisionswerberin, dass das Bundesverwaltungsgericht die Abstandnahme von der Beweisaufnahme auf Einholung eines solchen Gutachtens in seinen beweiswürdigenden Überlegungen begründet hat und demzufolge der geltend gemachte Begründungsmangel nicht vorliegt. Vor diesem Hintergrund zeigt die Revision nicht auf, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Notwendigkeit der Durchführung von Beweisanträgen (vgl. dazu VwGH 12.10.2021, Ra 2020/14/0229, mwN) abgewichen wäre.
14 Die Revision wendet sich, was ihre Zulässigkeit betrifft, auch gegen die Versagung des Status der subsidiär Schutzberechtigten und stützt sich vor allem darauf, dass das Bundesverwaltungsgericht nicht geprüft habe, ob aktuell die Dürrekatastrophe und die extrem steigenden Lebensmittelpreise bzw. die Lebensmittelknappheit Auswirkungen auf das Leben der Revisionswerberin im Fall ihrer Rückkehr hätten. Auch habe das Verwaltungsgericht nicht den im Entscheidungszeitpunkt verfügbaren Bericht der FAO (Food and Agricultural Organization) herangezogen, aus dem sich ergebe, dass die Versorgungslage in der Herkunftsprovinz der Revisionswerberin die IPC‑Stufe 4 [Karte mit statistischen Daten zur Bewertung der Versorgungssituation] („Emergency“) ausweise.
15 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK ‑ auf eine solche bezieht sich die Revisionswerberin im Zusammenhang mit dem soeben wiedergegebenen Vorbringen ‑ eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. etwa VwGH 25.4.2022, Ra 2020/20/0088, mwN).
16 Entgegen dem Zulässigkeitsvorbringen legte das Bundesverwaltungsgericht im Einzelnen dar, warum es aufgrund der persönlichen Verhältnisse der Revisionswerberin und der allgemeinen („angespannten [IPC‑Phase 2]“) Lage in ihrer Herkunftsprovinz, auch unter Bedachtnahme auf die Unterstützung durch ihre Familie, eine Rückkehr für möglich erachtete, ohne dass die Revisionswerberin dadurch einer realen Gefahr ausgesetzt wäre, in den durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechten verletzt zu werden. Dem vermag die Revision ‑ auch mit dem auf den Bericht der FAO gestützten Vorbringen ‑ nichts Stichhaltiges entgegenzusetzen.
17 Zudem weicht die Revision von dem festgestellten Sachverhalt ab, wenn sie eine fehlende Unterstützung der Familie aufgrund der Mischehe und die Zugehörigkeit zur besonders vulnerablen Gruppe der alleinstehenden Frau geltend macht (vgl. VwGH 4.5.2021, Ra 2021/14/0144, mwN), weil das Bundesverwaltungsgericht diesen Sachverhalt gerade nicht festgestellt hat.
18 Wenn die Revision in diesem Zusammenhang die Beachtung aktueller Länderberichte ‑ so den Bericht der FAO vom März 2022 ‑ einfordert, ist darauf hinzuweisen, dass immer dann, wenn Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt werden, schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden müssen. Dies setzt voraus, dass ‑ auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 14.9.2021, Ra 2020/20/0405, mwN).
19 Diesen Anforderungen wird die Zulässigkeitsbegründung nicht gerecht. Mit dem Verweis auf den Bericht der FAO und den daraus zitierten bloß allgemein gehaltenen Ausführungen, verabsäumt sie es, konkret auszuführen, welche Feststellungen, zu treffen gewesen wären und weshalb diese zu einer anderen Entscheidung hätten führen können.
20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 22. Juli 2022
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