Normen
AsylG 2005 §3 Abs1;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2018:RA2018200177.L00
Spruch:
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Erstrevisionswerber und die Zweitrevisionswerberin sind miteinander verheiratet; die Dritt- und Viertrevisionswerberinnen sind deren minderjährige Kinder. Alle revisionswerbenden Parteien sind Staatsangehörige Afghanistans und der Volksgruppe der Hazara zugehörig. Sie stellten am 14. Oktober 2015 Anträge auf internationalen Schutz.
2 Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) jeweils vom 21. August 2017 wurden die Anträge sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten als auch der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, Rückkehrentscheidungen erlassen sowie unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der revisionswerbenden Parteien nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt.
3 Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit den angefochtenen Erkenntnissen als unbegründet ab und erklärte eine Revision dagegen für nicht zulässig.
4 Dagegen richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen.
5 Die ebenfalls dagegen gerichteten Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof lehnte dieser mit Beschlüssen jeweils vom 14. März 2018, E 839/2018-5, E 838/2018/-5, E 841/2018/-5 und E 840/2018/-5, ab. Das BVwG habe weder eine grundrechtswidrige Gesetzesauslegung vorgenommen noch seien ihm grobe Verfahrensfehler unterlaufen, die eine vom Verfassungsgerichtshof aufzugreifende Verletzung des genannten Grundrechtes (geltend gemacht wurde u.a. die Verletzung von Art. 2, 3 und 8 EMRK und Art. 1 BVG Kinderrechte) darstellten.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Soweit in der Zulässigkeitsbegründung zunächst der in den Revisionsschriftsätzen wiedergegebene Sachverhalt und Verfahrensgang zum Zulässigkeitsvorbringen erhoben wird, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach ein Verweis auf sonstige Ausführungen in der Revision nicht dem Erfordernis genügt, gesondert die Gründe zu nennen, warum die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliegen. Damit wird nämlich nicht konkret für die vorliegende Revisionssache aufgezeigt wird, welche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung der Verwaltungsgerichtshof in einer Entscheidung über die Revision zu lösen hätte (vgl. etwa VwGH 26.9.2017, Ra 2017/05/0217; 6.9.2016, Ra 2016/09/0069, jeweils mwN).
10 Dem Zulassungsvorbringen, es liege eine qualifizierte Rechtswidrigkeit vor, weil derselbe Sachverhalt vom selben Richter in den Erkenntnissen des Erstrevisionswerbers und der Zweitrevisionswerberin rechtlich unterschiedlich beurteilt worden sei, ist zu entgegnen, dass in beiden Fällen die Anträge auf internationalen Schutz abschlägig entschieden und somit gerade nicht unterschiedlich rechtlich beurteilt wurden.
11 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 19.10.2017, Ra 2017/20/0069).
12 Der VwGH hat in seiner Rechtsprechung auch wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass im Zusammenhang mit der Verquickung von Staat und Religion in muslimischen Staaten das Erfordernis einer Prüfung auch dem Schutz religiöser Werte dienender Strafvorschriften unter dem Gesichtspunkt einer unterstellten politischen Gesinnung besteht. Die völlige Unverhältnismäßigkeit staatlicher Maßnahmen, die wegen eines Verstoßes gegen bestimmte im Herkunftsstaat gesetzlich verbindliche Moralvorstellungen drohen, kann unter diesem Blickwinkel asylrelevant sein (vgl. VwGH 20.5.2015, Ra 2015/20/0030, mwN).
13 Die Revisionen, die in ihrer Zulässigkeitsbegründung der Beurteilung des BVwG, der von den Revisionswerbern befürchteten Verfolgung durch die Familie der Zweitrevisionswerberin läge ein rein kriminelles Motiv zugrunde (vgl. auch VwGH 20.5.2015, Ra 2015/20/0030; 18.11.2015, Ra 2014/18/0162), nicht substantiiert entgegen treten, monierten, das BVwG habe keine konkreten Feststellungen zur staatlichen Schutzwilligkeit betreffend Ehrverletzungen getroffen. Damit tut die Revision jedoch keine Asylrelevanz dar, weil sie nicht einmal behauptet, dass die afghanischen Behörden aus in der GFK genannten Gründen nicht bereit wären, die Revisionswerber zu schützen.
14 Auch der in der Zulassungsbegründung der Zweitrevisionswerberin angesprochene Feststellungsmangel iZm einem durch die afghanischen Behörden drohenden Strafverfahren lässt eine Relevanzdarstellung vermissen. Allein die Ausführung, es drohe Strafverfolgung, weil die Familie "möglicherweise" bereits Anzeige erstattet habe oder dies im Fall der Rückkehr machen würde, erweist sich als spekulativ und lässt eine aktuell drohende staatliche Verfolgung nicht als wahrscheinlich erscheinen. Inwieweit die inhaltliche Berücksichtigung der nach der mündlichen Verhandlung eingebrachten Stellungnahme an diesem Ergebnis etwas geändert hätte, legten die Revisionen indes nicht dar.
15 Das BVwG ist auf der Grundlage des festgestellten Sachverhaltes und unter Einbeziehung einschlägiger länderspezifischer Feststellungen auch zu der Beurteilung gelangt, dass den Revisionswerbern im Fall der Rückkehr nach Afghanistan keine aktuelle Verfolgung durch die Familie der Zweitrevisionswerberin drohe. Die Revision zeigt nicht konkret auf, dass diese Beurteilung unvertretbar wäre.
16 Den unsubstantiiert behaupteten Ermittlungsmängeln hinsichtlich der dem Erstrevisionswerber drohenden Zwangsrekrutierung ist zu entgegnen, dass er dazu im gesamten Verfahren keine konkrete Verfolgungsbehauptung erstattet hat. Darüber hinaus unterlassen die Revisionen auch diesbezüglich eine Relevanzdarstellung.
17 Soweit sich die Zweitrevisionswerberin gegen die Beurteilung des BVwG betreffend ihrer Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Frauen mit westlicher Orientierung wendet, ist sie auf die hg. Rechtsprechung zu verweisen, wonach nicht jede Änderung der Lebensführung einer Asylwerberin während ihres Aufenthalts in Österreich, die im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht mehr aufrecht erhalten werden könnte, dazu führt, dass der Asylwerberin deshalb internationaler Schutz gewährt werden müsste. Entscheidend ist vielmehr eine grundlegende und auch entsprechend verfestigte Änderung der Lebensführung der Asylwerberin, in der die Anerkennung, die Inanspruchnahme oder die Ausübung ihrer Grundrechte zum Ausdruck kommt, die zu einem wesentlichen Bestandteil ihrer Identität geworden ist, und die bei Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht gelebt werden könnte (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2017/18/0301 - 0306, mwN). Die in der Rechtsprechung behandelte Verfolgung von Frauen westlicher Orientierung wird darin gesehen, dass solche Frauen, obwohl ihr westliches Verhalten oder ihre westliche Lebensführung ein solch wesentlicher Bestandteil ihrer Identität geworden ist, dieses Verhalten unterdrücken müssten (vgl. VwGH 28.5.2014, Ra 2014/20/0017 bis 0018, unter Hinweis auf VwGH 6.7.2011, 2008/19/0994 bis 1000).
18 Im vorliegenden Fall hat sich das BVwG ausführlich mit den Lebensgewohnheiten der Zweitrevisionswerberin in Österreich im Vergleich zu der - auf entsprechende länderspezifische Feststellungen gestützten - zu erwartenden Situation in ihrem Herkunftsort Kabul auseinander gesetzt. Dabei kam es in nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis, dass sich die Zweitrevisionswerberin lediglich in Bezug auf ihren - auch in Österreich noch nicht umgesetzten - Berufswunsch als Frisörin und hinsichtlich ihres Kleidungsstils in gewissem Umfang - den Feststellungen sei nicht zu entnehmen, dass das Anlegen eines Tschadors erforderlich sei - an die örtlichen Verhältnisse anpassen müsste. Diese Lebensbereiche seien jedoch für sich genommen noch nicht zum wesentlichen Bestandteil ihrer Gesamtidentität geworden. Dem sonstigen, vom BVwG als wesentlich qualifizierten Teil ihrer gepflegten Lebensweise könnte die Zweitrevisionswerberin ohnehin im Rahmen ihrer Ehe mit dem Erstrevisionswerber in Kabul nachgehen. Dieser Einschätzung des BVwG tritt die Zweitrevisionswerberin nicht substantiiert entgegen; sie zeigt insbesondere nicht auf, dass jene fehlerhaft wäre.
19 Ergänzend enthalten die Zulässigkeitsvorbringen hinsichtlich der Dritt- und Viertrevisionswerberinnen unsubstantiierte Behauptungen von Ermittlungs- und Begründungsmängeln in Bezug auf deren behauptete Verfolgung aufgrund ihrer Eigenschaft als minderjährige Mädchen. Diesen Ausführungen kann nicht entnommen werden, welche konkreten Fehler dem BVwG zur Last gelegt werden und weshalb das BVwG zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können.
20 Mit dem Vorbringen zur Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten bemängeln die revisionswerbenden Parteien in der Zulässigkeitsbegründung, dass sich das BVwG im Rahmen der Prüfung der Gewährung des Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht mit der staatlichen Schutzfähigkeit und - willigkeit Afghanistans auseinandergesetzt hat. Diese Rüge versagt schon deshalb als Zulässigkeitsgrund, weil dieser Verfahrensmangel in den Revisionsgründen nicht mehr ausgeführt wird (vgl. VwGH 20.5.2015, Ra 2014/19/0175; VwGH 27.4.2017, Ra 2017/12/0030). Darüber hinaus legen die revisionswerbenden Parteien iZm diesem Abspruch weder konkret dar, in welchen Punkten die angefochtenen Entscheidungen von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweichen, noch wird die Relevanz des behaupteten Feststellungsmangels in Bezug auf die - nicht näher spezifizierte - medikamentöse Therapie der Viertrevisionswerberin dargetan.
21 Das Zulässigkeitsvorbringen bezüglich der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels und bezüglich der Ausreisefrist beschränkt sich auf den Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 10. November 2015, Ro 2015/19/0001, und den Hinweis, dass "in diesem Sinne" sämtliche Spruchpunkte der bekämpften Erkenntnisse angefochten seien. Ein behandlungsfähiges Zulässigkeitsvorbringen ist mit dieser Darlegung des Anfechtungsumfangs nicht erfolgt.
22 Die Revisionen der Dritt- und Viertrevisionswerberinnen enthalten schließlich noch Zulässigkeitsausführungen zur Erlassung der sie betreffenden Rückkehrentscheidungen und der Feststellungen der Zulässigkeit ihrer Abschiebungen nach Afghanistan.
23 Was die als unzureichend gerügte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK anlangt, so zeigen die Dritt- und Viertrevisionswerberinnen mit ihren allgemeinen Ausführungen zu dem zu berücksichtigenden Kindeswohl nicht konkret auf, dass die vom BVwG in diesem Rahmen im Einzelfall durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK - die im Übrigen auch der Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof standhielt - nicht auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt oder nicht in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen worden wäre, sodass sich diese als nicht revisibel erweist (vgl. VwGH 27.4.2018, Ra 2018/20/0195; 25.4.2018, Ra 2017/18/0509 - 0513, jeweils mwN).
24 In den Revisionen werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revisionen waren daher zurückzuweisen.
Wien, am 12. Juni 2018
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