Normen
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
B-VG Art133 Abs4;
VStG §16 Abs2;
VStG §25 Abs1;
VStG §25 Abs2;
VStG §44a Z3;
VStG §51 Abs6;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §41;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGVG 2014 §38;
VwGVG 2014 §42;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RA2016080141.L00
Spruch:
I. zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang des Ausspruches über die Strafe und die Verfahrenskosten wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
II. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Mödling vom 11. Dezember 2015 wurde die Revisionswerberin als persönlich haftende Gesellschafterin der C KG schuldig erkannt, sie habe es unterlassen, die bei der C KG im Zeitraum von 4. April 2013 bis 27. November 2014 in der Krankenversicherung (Vollversicherung) pflichtversicherte XG vor Arbeitsantritt beim zuständigen Sozialversicherungsträger als vollversicherte Person anzumelden. Sie habe hierdurch eine Verwaltungsübertretung nach § 111 Abs. 1 Z 1 iVm. § 33 Abs. 1 ASVG begangen. Gemäß § 111 Abs. 2 ASVG werde über sie eine Geldstrafe von EUR 3.000,-- und im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 72 Stunden verhängt. Gemäß § 64 Abs. 2 VStG werde ein Kostenbeitrag von EUR 300,-- festgesetzt.
2 Zur Strafhöhe führte die Bezirkshauptmannschaft Mödling begründend aus, es liege ein Wiederholungsfall im Sinn des § 111 Abs. 2 ASVG vor, weil die Revisionswerberin bereits einmal rechtskräftig nach dem ASVG bestraft worden sei.
3 In ihrer gegen dieses Straferkenntnis gerichteten Beschwerde brachte die Revisionswerberin vor, XG habe sich ihr bei der Bewerbung vor Arbeitsantritt unter Vorweis eines Personalausweises und einer E-Card als "Frau J(...) P(...)" (JP) vorgestellt. XG habe auch den Dienstvertrag vom 4. April 2013 und die Lohnbestätigung mit dem Namen JP unterschrieben. Da diese Täuschung nicht erkennbar gewesen sei, habe die Revisionswerberin eine auf JP lautende Anmeldung zur Sozialversicherung vorgenommen.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich der Beschwerde der Revisionswerberin teilweise Folge und änderte das angefochtene Straferkenntnis insoweit ab, als es den Tatzeitraum auf den 27. November 2014 einschränkte und aussprach, dass gemäß § 111 Abs. 2 ASVG eine Geldstrafe von EUR 730,-- (falls diese uneinbringlich ist eine Ersatzfreiheitsstrafe 112 Stunden) verhängt werde. Den Kostenbeitrag zum verwaltungsbehördlichen Verfahren setzte es gemäß § 64 Abs. 1 und 2 VStG nunmehr mit EUR 73,-- fest. Das Verwaltungsgericht sprach aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Das Verwaltungsgericht führte begründend aus, XG sei bei einer Kontrolle der Finanzpolizei am 27. November 2014 in der Küche eines von der C KG, deren unbeschränkt haftende Gesellschafterin die Revisionswerberin sei, betriebenen Restaurants arbeitend angetroffen worden, ohne beim zuständigen Krankenversicherungsträger angemeldet gewesen zu sein. Bei der Kontrolle habe sich XG als die zum Tatzeitpunkt als Dienstnehmerin der C KG angemeldete JP ausgegeben und sich mit einem Personalausweis der JP ausgewiesen.
6 Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht aus, den kontrollierenden Beamten seien die Unterschiede der äußeren Erscheinung der XG zu der am Lichtbild des Personalausweises abgebildeten Person sofort aufgefallen. Tatsächlich bestünden leicht erkennbare Unterschiede im Aussehen zwischen JP und XG. Wie JP als Zeugin glaubwürdig angegeben habe, sei sie tatsächlich von April 2013 bis 15. November 2014 in einem Restaurant der C KG als Dienstnehmerin tätig gewesen, weshalb sie der Revisionswerberin auch bekannt gewesen sein müsse. Es sei daher nicht glaubwürdig, dass die Revisionswerberin XG für JP gehalten hätte.
7 Bei der Strafzumessung sei die vorsätzliche Tatbegehung erschwerend zu werten gewesen. Die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung seien erheblich. Strafmildernde Umstände lägen nicht vor. Eine außerordentliche Strafmilderung komme somit nicht in Betracht. Es liege jedoch kein Wiederholungsfall mehr vor, weil die Vorstrafen nach dem ASVG, die Anfang des Jahres 2011 rechtskräftig geworden seien, zum Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses bereits getilgt gewesen seien, sodass die Geldstrafe herabzusetzen sei.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision. Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Einleitung des Vorverfahrens, in dem die Bezirkshauptmannschaft Mödling von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand genommen hat, erwogen:
9 Die Revisionswerberin bringt zur Zulässigkeit ihrer Revision vor, sie habe im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einholung eines graphologischen Gutachtens zum Beweis dafür beantragt, dass nicht JP, sondern XG den mit der Revisionswerberin abgeschlossenen Dienstvertrag vom 4. April 2013 unterschrieben habe. Dadurch hätte bewiesen werden können, dass XG die Revisionswerberin bei Abschluss des Dienstvertrages und danach getäuscht und sich als JP, zu der eine Meldung an den Krankenversicherungsträger erfolgt sei, ausgegeben habe. Das Verwaltungsgericht sei somit von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil es ohne Begründung den entscheidungsrelevanten Beweis eines graphologischen Gutachtens nicht aufgenommen habe. Die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes sei auch im Übrigen unschlüssig. Hinsichtlich der verhängten Strafe habe das Bundesverwaltungsgericht gegen das in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes anerkannte Verschlechterungsverbot verstoßen, indem es zwar die im Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Mödling verhängte Geldstrafe herabgesetzt, andererseits aber die Ersatzfreiheitsstrafe von 72 auf 112 Stunden erhöht habe.
10 Die Revision ist, soweit sie sich gegen den Strafausspruch richtet, aus dem aufgezeigten Grund zulässig und berechtigt. Im Übrigen - somit hinsichtlich des Ausspruches zur Schuld - ist die Revision zurückzuweisen.
Zum Ausspruch über die Schuld:
11 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
13 Gemäß § 38 VwGVG gilt im Verwaltungsstrafverfahren vor den Verwaltungsgerichten nach § 25 Abs. 1 VStG das Amtswegigkeitsprinzip und nach § 25 Abs. 2 VStG der Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit. Das Verwaltungsgericht hat daher alle zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise aufzunehmen, es darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 2016, Ra 2015/08/0184).
14 Beweisanträgen ist sohin grundsätzlich zu entsprechen, wenn die Aufnahme des darin begehrten Beweises im Interesse der Wahrheitsfindung notwendig erscheint. Dementsprechend dürfen Beweisanträge nur dann abgelehnt werden, wenn die Beweistatsachen als wahr unterstellt werden, es auf sie nicht ankommt oder das Beweismittel an sich ungeeignet ist, über den Gegenstand der Beweisaufnahme einen Beweis zu liefern und damit zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhalts beizutragen. Ob eine Beweisaufnahme in diesem Sinn notwendig ist, unterliegt aber der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. den hg. Beschluss vom 8. Jänner 2015, Ra 2014/08/0064).
15 Das Bundesverwaltungsgericht erachtete das Vorbringen der Revisionswerberin, sie sei von XG, die sich bei Unterzeichnung des Arbeitsvertrages und danach mithilfe eines Ausweises als JP ausgegeben habe, getäuscht worden, nicht als glaubhaft. Die Revisionswerberin habe gewusst, dass die Person, die sie zum Zeitpunkt der Kontrolle als JP beschäftigt habe, nicht JP gewesen sei. Dazu stützte sich das Verwaltungsgericht tragend auf die Aussage der JP, wonach diese von April 2013 bis Mitte November 2014 bei der C KG beschäftigt gewesen sei, sowie die deutlichen Unterschiede in den äußeren Erscheinungen der XP und der JP. Die Revisionswerberin vermag nicht darzulegen, warum die Ergebnisse eines graphologischen Gutachtens diese Argumentation erschüttern könnten. Dem gerügten Verfahrensmangel fehlt daher die Relevanz.
16 Die Beweiswürdigung ist einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz nach ständiger Rechtsprechung nur insofern zugänglich, als es um die ordnungsgemäße Ermittlung der Beweisergebnisse und die Kontrolle der Schlüssigkeit der angestellten Erwägungen geht. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung wäre nur dann gegeben, wenn das Verwaltungsgericht die diesbezügliche Würdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. zum Ganzen etwa den hg. Beschluss vom 26. Jänner 2017, Ra 2016/08/0091, mwN). Solche Mängel der Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes zeigt die Revisionswerberin mit ihrem diesbezüglich unsubstantiierten Vorbringen nicht auf.
17 In der Revision werden somit hinsichtlich des Ausspruches zur Schuld keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher insoweit zurückzuweisen.
Zum Ausspruch über die Strafe:
18 Gemäß § 111 Abs. 2 ASVG ist die Ordnungswidrigkeit nach § 111 Abs. 1 ASVG von der Bezirksverwaltungsbehörde als Verwaltungsübertretung zu bestrafen, und zwar
- mit Geldstrafe von EUR 730,-- bis zu EUR 2.180,--, im Wiederholungsfall von EUR 2.180,-- bis zu EUR 5.000,--,
- bei Uneinbringlichkeit der Geldstrafe mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen.
Bei erstmaligem ordnungswidrigem Handeln ist die Geldstrafe bis auf EUR 365,-- herabzusetzen, wenn das Verschulden geringfügig und die Folgen unbedeutend sind.
19 Gemäß § 16 Abs. 2 letzter Satz VStG ist eine Ersatzfreiheitsstrafe ohne Bedachtnahme auf § 12 VStG nach den Regeln der Strafbemessung festzusetzen.
20 Im vorliegenden Fall ist die Bezirkshauptmannschaft Mödling in ihrem Straferkenntnis von einem Wiederholungsfall ausgegangen und hat ausgehend vom zweiten Strafsatz des § 111 Abs. 2 eine Geldstrafe von EUR 3.000,-- und eine Ersatzfreiheitsstrafe von 72 Stunden verhängt. Das Verwaltungsgericht hat dagegen festgestellt, dass aufgrund der Tilgung der Vorstrafen zum Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses kein Wiederholungsfall mehr vorliegt. Es hat daher die Geldstrafe auf Grundlage des ersten Strafsatzes des § 111 Abs. 2 ASVG bemessen und mit EUR 730,-- - somit mit der Mindeststrafe - festgesetzt. Dagegen erhöhte es, ohne dies zu begründen, die Ersatzfreiheitsstrafe auf 112 Stunden; dies entspricht der zulässigen Höchststrafe nach § 111 Abs. 2 ASVG von 14 Tagen.
21 § 42 VwGVG lautet samt Überschrift:
"Verbot der Verhängung einer höheren Strafe
Auf Grund einer vom Beschuldigten oder auf Grund einer zu seinen Gunsten erhobenen Beschwerde darf in einem Erkenntnis oder in einer Beschwerdevorentscheidung keine höhere Strafe verhängt werden als im angefochtenen Bescheid."
22 Nach den Gesetzesmaterialien (ErlRV 2009 BlgNR 24. GP , 8) zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013, BGBl. I Nr. 33/2013, entspricht das mit § 42 VwGVG festgelegte Verbot der reformatio in peius der aufgehobenen Bestimmung des § 51 Abs. 6 VStG.
23 Bei einer zu Gunsten des Bestraften erhobenen Beschwerde hat das Verwaltungsgericht daher das Verschlechterungsverbot (Verbot der reformatio in peius) zu berücksichtigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. November 2014, Ra 2014/09/0018; vgl. dagegen zur Zulässigkeit einer anderen Subsumtion der Tat das hg. Erkenntnis vom 31. Juli 2014, Ro 2014/02/0099).
24 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, ausgesprochen, dass die Berufungsbehörde, wenn sie in Verwaltungsstrafsachen eine Geldstrafe nicht nur auf Grund der Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten herabsetzt, gemäß § 16 Abs. 2 letzter Satz VStG auch die Ersatzfreiheitsstrafe herabzusetzen hat (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 15. Dezember 2011, 2008/03/0098, und vom 4. Februar 1993, 92/18/0168, jeweils mwN) und eine Erhöhung der Ersatzfreiheitsstrafe durch die Berufungsbehörde dem Verschlechterungsverbot des § 51 Abs. 6 VStG widerspricht (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 25. Jänner 2007, 2006/07/0109, und vom 28. Februar 1995, 94/11/0369, mwN).
25 Diese Rechtsprechung ist, zumal das Verwaltungsgericht gemäß § 38 VwGVG § 16 Abs. 2 VStG anzuwenden hat und § 42 VwGVG der aufgehobenen Bestimmung des § 51 Abs. 6 VStG entspricht, auf das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten zu übertragen. Der Ausspruch über die Strafe im angefochtenen Erkenntnis, mit dem das Verwaltungsgericht die Geldstrafe herabgesetzt, die Ersatzfreiheitsstrafe jedoch erhöht hat, erweist sich daher als rechtswidrig.
26 Ist der Ausspruch bezüglich der Ersatzfreiheitsstrafe rechtswidrig, so ist der Strafausspruch zur Gänze aufzuheben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. September 2016, Ra 2016/09/0056, mwN).
27 Das angefochtene Erkenntnis war daher im Umfang des Strafausspruchs und in dem damit in untrennbarem Zusammenhang stehenden Ausspruch über die Verfahrenskosten wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
28 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 23. Juni 2017
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