VwGH 99/20/0419

VwGH99/20/041921.3.2002

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des FO in Wien, geboren am 10. Juni 1973, vertreten durch Dr. Ernst Grossmann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Singerstraße 27, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 12. Mai 1999, Zl. 209.703/0-V/15/99, betreffend §§ 6 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §6 Z3;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57;
AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §38;
AsylG 1997 §6 Z3;
AsylG 1997 §6;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo, reiste am 17. März 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 18. März 1999 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 19. März 1999 gab er im Wesentlichen an, er habe in der Nähe von Goma auf dem Land gelebt, sei im Mai 1998 von Soldaten des Rebellenführers Wamba di Wamba entführt, in ein Militärcamp gebracht und dort in weiterer Folge ausgebildet worden und habe im Jänner 1999 flüchten können. Im Falle einer Rückkehr würden ihn die Soldaten des Wamba di Wamba töten.

Das Bundesasylamt sah es als erwiesen an, dass der Beschwerdeführer nicht Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo sei, wies den Asylantrag in Spruchpunkt I. des erstinstanzlichen Bescheides vom 1. April 1999 gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte in Spruchpunkt II. fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen (nicht feststellbaren tatsächlichen) "Herkunftsstaat" sei zulässig.

In seiner Berufung gegen diese Entscheidung beantragte der Beschwerdeführer zu beiden Spruchpunkten des erstinstanzlichen Bescheides seine persönliche Einvernahme, ohne sich allerdings mit der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes in der Berufung konkret auseinander zu setzen. Darüber hinaus wurde in der Berufung ein aktueller Bericht von Amnesty International über die "außer Kontrolle" geratene Lage in der Demokratischen Republik Kongo wörtlich wiedergegeben.

Die belangte Behörde wies mit dem angefochtenen, ohne mündliche Berufungsverhandlung ergangenen Bescheid die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 3 AsylG ab und stellte "gemäß § 8 AsylG iVm § 57 Abs. 1" FrG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Demokratische Republik Kongo sei zulässig. Zur Begründung verwies sie im Wesentlichen auf Teile der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides. Sie verband dies mit dem Hinweis, der in der Berufung wiedergegebene Bericht lasse keinen Rückschluss auf die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers zu, und mit Ausführungen darüber, dass sich der Ausspruch gemäß § 8 AsylG nicht auf den unbekannten tatsächlichen, sondern auf den behaupteten Herkunftsstaat des Beschwerdeführers zu beziehen habe. In Bezug auf diesen habe "der offensichtlich nicht aus diesem Staat stammende Berufungswerber das Bestehen einer aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung der relevanten Rechtsgüter nicht glaubhaft zu machen" vermocht, weshalb spruchgemäß zu entscheiden gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Abweisung der Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 3 AsylG hat die belangte Behörde "die von der erstinstanzlichen Behörde getroffene Feststellung, dass der Berufungswerber nicht Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo wäre, zugrunde" gelegt. Sie gelangte "auf Grund dessen zu der rechtlichen Schlussfolgerung, dass der vom Berufungswerber eingebrachte Asylantrag eindeutig jeder Grundlage entbehrt und daher als offensichtlich unbegründet im Sinne des § 6 Z 3 AsylG abzuweisen ist". Dem durchgeführten Ermittlungsverfahren seien "das Vorbringen des Berufungswerbers und der auf den Dokumentationsunterlagen beruhende behördliche Wissensstand zugrundegelegt" worden. Die belangte Behörde schließe sich "der von der erstinstanzlichen Behörde ausführlich begründeten Beweiswürdigung vollinhaltlich an" und erhebe "die entsprechenden Passagen des erstinstanzlichen Bescheides zum Inhalt des gegenständlichen Bescheides".

Zu diesen Ausführungen ist zunächst zu bemerken, dass näher bezeichnete "Dokumentationsunterlagen" weder im erstinstanzlichen noch im angefochtenen Bescheid erwähnt sind und ein "behördlicher Wissensstand" - gemeint wohl: über die Verhältnisse in der Demokratischen Republik Kongo - weder im erstinstanzlichen noch im angefochtenen Bescheid nachvollziehbar dargelegt wird. Die belangte Behörde hat es aber vor allem unterlassen, das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner Herkunft und zu der ihm im behaupteten Herkunftsstaat drohenden Verfolgung an dem in § 6 Z 3 AsylG vorgegebenen Maßstab der "offensichtlichen" Tatsachenwidrigkeit zu messen (vgl. zu diesem Maßstab etwa das hg. Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214; zum Erfordernis "offensichtlicher" Tatsachenwidrigkeit der Behauptung eines bestimmten Herkunftsstaates, wenn deren Unglaubwürdigkeit die Subsumtion des Falles unter § 6 Z 3 AsylG tragen soll, das Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0447). Der erstinstanzliche Bescheid, auf dessen Ausführungen zur Beweiswürdigung verwiesen wird, beruht in dieser Hinsicht auf einer offenkundigen Verkennung der Rechtslage, weil in der rechtlichen Würdigung des Sachverhaltes zunächst die Voraussetzungen des § 6 AsylG dargestellt, diesen dann aber als "essentielles Erfordernis für die Gewährung von Asyl" gegenüber gestellt wird, der Asylwerber müsse die ihm drohende Verfolgung "glaubhaft" machen, und die Subsumtion des Vorbringens unter § 6 Z 3 AsylG daran anschließend mit der Begründung erfolgt, dem Vorbringen des Beschwerdeführers habe "kein Glauben geschenkt werden" können. Dementsprechend enthält (auch) der erstinstanzliche Bescheid keine Auseinandersetzung mit der Frage, ob die angenommene Tatsachenwidrigkeit des Vorbringens im Sinne des Gesetzes "offensichtlich" sei oder es einer ins Einzelne gehenden Abwägung für und gegen die Glaubwürdigkeit der Angaben sprechender Gesichtspunkte bedürfe. Das Erfordernis einer derartigen Abgrenzung gegenüber der Abweisungsreife des Asylantrages gemäß § 7 AsylG hat auch die belangte Behörde nicht erkannt, was ihre Entscheidung über den Asylantrag des Beschwerdeführers mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Im fortgesetzten Verfahren wird aber auch zu beachten sein, dass die von der belangten Behörde übernommene Beweiswürdigung des Bundesasylamtes - wie in der sehr ausführlich begründeten Beschwerde näher dargelegt wird - insofern zu kurz greift, als das zum Teil auch vorhandene Wissen des Beschwerdeführers über die Verhältnisse in der Demokratischen Republik Kongo nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt wurde und es angesichts des Verlaufes der erstinstanzlichen Einvernahme einer Beurteilung der Gesamtpersönlichkeit des Beschwerdeführers bedurft hätte, um die Annahme, er präsentiere "eine für die Demokratische Republik Kongo 'zurechtgeschneiderte' Geschichte", plausibel erscheinen zu lassen. Die belangte Behörde wird schon zur Beurteilung des Asylantrages daher eine mündliche Berufungsverhandlung durchzuführen und sich auf Grund der Ergebnisse dieser Verhandlung eine Meinung darüber zu bilden haben, ob die Annahme einer "offensichtlichen" Tatsachenwidrigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers, im Besonderen hinsichtlich seiner behaupteten Staatsangehörigkeit, zutrifft.

In Bezug auf den Ausspruch gemäß § 8 AsylG hätte es einer mündlichen Berufungsverhandlung schon im Hinblick darauf bedurft, dass sich das Bundesasylamt mit der Frage der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Demokratische Republik Kongo auf Grund einer unzutreffenden Rechtsansicht überhaupt nicht auseinander gesetzt hatte. In Bezug auf diesen Teil ihrer Entscheidung hätte die belangte Behörde - gleichfalls mit der Konsequenz des Erfordernisses einer mündlichen Berufungsverhandlung - auch auf den in der Berufung wiedergegebenen Bericht über die außer Kontrolle geratene Lage in der Demokratischen Republik Kongo und darüber hinaus nach Maßgabe der von ihr anzuwendenden Verfahrensgesetze auf ihre Pflicht zur amtswegigen Ermittlung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes Bedacht zu nehmen gehabt (vgl. zur Demokratischen Republik Kongo auch das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 99/20/0410). Der Ausspruch gemäß § 8 AsylG ist aber auch inhaltlich rechtswidrig. Die belangte Behörde hat ihn im Spruch ihrer Entscheidung nämlich ausdrücklich auf "§ 8 AsylG iVm § 57 Abs. 1" FrG beschränkt (vgl. insoweit zuletzt die Nachweise etwa in dem hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0411) und ist auch uneingeschränkt davon ausgegangen, dass es einer "durch staatliche Stellen zumindest gebilligten Bedrohung" im Zielstaat bedürfe (vgl. insoweit die Erkenntnisse vom 26. Februar 2002, Zl. 99/20/0509 und Zl. 99/20/0571, jeweils mit weiteren Nachweisen).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2001.

Wien, am 21. März 2002

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