Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1.1. Mit Straferkenntnis vom 23. April 1987 legte die Bezirkshauptmannschaft dem Mitbeteiligten zur Last, er habe es als Arbeitgeber unterlassen, dafür zu sorgen, daß in seinem Kunststoffverarbeitungsbetrieb in M an den einzelnen Laminierarbeitsplätzen in der Polyesterhalle die entstehenden, gesundheitsschädlichen Monostyroldämpfe nicht möglichst an der Entstehungsstelle abgesaugt würden, weil anstatt des maximal zulässigen Arbeitsplatzkonzentrationswertes (MAK-Wertes) für Monostyrol von 100 ppm dieser Wert, gemessen von einem Arbeitsinspektionsorgan des Arbeitsinspektorates
1. beim Polyestern von Sandstrahlbehältern am 30. Oktober 1986 - 400 ppm,
2. beim Polyestern von Zulaufverteilern am 30. Oktober 1986 - 300 ppm,
3. beim Polyestern von Sandstrahlbehälterfüßen am 30. Oktober 1986 - 300 ppm,
4. beim Polyestern von Futterbehälterdächern am 11. November 1986 - 300 ppm,
5. beim Polyestern von Heckleuchten am 11. November 1986 - 400 ppm, betragen habe. Der Mitbeteiligte habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 31 Abs. 2 lit. p des Arbeitnehmerschutzgesetzes, BGBl. Nr. 234/1972 (im folgenden: ASchG), in Verbindung mit § 16 Abs. 2 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung 1983, BGBl. Nr. 218 (im folgenden: AAV), in fünf Fällen begangen. Über den Mitbeteiligten wurde eine Geldstrafe von S 5.000,-- pro Punkt, zusammen S 25.000,-- (Ersatzarrest insgesamt 25 Tage) verhängt.
Nach der Begründung dieses Bescheides sei der Mitbeteiligte als Arbeitgeber verpflichtet, auch nur einer möglichen Gesundheitsgefährdung mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln entgegenzutreten. Beim Polyestern entstünden zwangsweise gesundheitsschädliche Monostyroldämpfe. Zu den Tatzeitpunkten sei eine dem § 16 Abs. 2 AAV entsprechende Absauganlage, die die Dämpfe direkt an der Entstehungsstelle absauge, noch nicht in Betrieb gewesen.
Der Mitbeteiligte erhob Berufung.
1.2. Mit Bescheid vom 20. April 1988 gab der Landeshauptmann von Niederösterreich dieser Berufung teilweise Folge und setzte die Geldstrafe von S 25.000,-- auf S 5.000,-- sowie die Ersatzarreststrafe auf fünf Tage herab. Nach der Begründung dieses Bescheides sei der Mitbeteiligte nur wegen einer Verwaltungsübertretung zu bestrafen. Es liege ein fortgesetztes Delikt vor, denn es seien eine Gleichartigkeit der Begehungsform, ein enger zeitlicher Zusammenhang und ein erkennbares Gesamtkonzept vorhanden. Obwohl sich die verhängte Geldstrafe im untersten Bereich des gesetzlichen Strafrahmens bewege, reiche diese dennoch aus, um den Mitbeteiligten in Hinkunft von der Begehung gleichartiger oder ähnlicher strafbarer Handlungen abzuhalten.
1.3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, auf § 9 Abs. 2 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1974 gestützte Beschwerde des Bundesministers für Arbeit und Soziales. Geltend gemacht wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Nach der Beschwerdebegründung seien die Messungen des Arbeitsinspektorates an zwei Tagen und an fünf verschiedenen Laminierarbeitsplätzen durchgeführt worden. Zwar könne das Unterlassen des Absaugens der gesundheitsschädlichen Dämpfe an den einzelnen Arbeitsplätzen als eine Reihe von gesetzwidrigen Einzelhandlungen, die eine gewisse Einheit bildeten, aufgefaßt werden. Die belangte Behörde übersehe jedoch, daß bei Angriffen auf höchstpersönliche Rechtsgüter, wie Leben, Ehre und Gesundheit, ein Fortsetzungszusammenhang dann zu verneinen sei, wenn die einzelnen Angriffe gegen verschiedene Personen gerichtet seien. Die Gebotsnorm des § 16 Abs. 2 AAV diene dem Schutz der Gesundheit. Aus der Stellungnahme der Arbeitsinspektionsärztin vom 30. April 1987 gehe hervor, daß im Betrieb des Mitbeteiligten verschiedene Arbeitnehmer beim Laminieren der Innenflächen von größeren Behältern angetroffen worden seien, wobei sie sich in den Behälter hineinbeugen hätten müssen und dabei keine lokalen Absaugungen vorhanden gewesen seien. Da durch das gesetzwidrige Handeln des Mitbeteiligten die Gesundheit, ja sogar das Leben, von Arbeitnehmern an fünf überprüften Arbeitsplätzen, wobei an jedem Werkstück zumindest ein Arbeitnehmer gearbeitet hätte, gefährdet worden sei, sei ein Fortsetzungszusammenhang im Sinne der Rechtsprechung zu verneinen. Der Bestrafung seien fünf Verwaltungsübertretungen zugrunde zu legen. Mit den weiteren Beschwerdeausführungen wird die Strafbemessung bekämpft.
1.4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor. 2.0. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
2.1. Hat jemand durch verschiedene selbständige Taten mehrere Verwaltungsübertretungen begangen oder fällt eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen, so sind die Strafen gemäß § 22 Abs. 1 VStG nebeneinander zu verhängen.
§ 16 Abs. 1 AAV lautet auszugsweise:
"Bei Arbeiten in Betriebsräumen, bei denen sich die Entwicklung von Gasen, Dämpfen oder Schwebstoffen gesundheitsfährdender Arbeitsstoffe in einer gefährlichen oder in anderer Weise für die Gesundheit nachteiligen Konzentration nicht vermeiden läßt, ist die mit diesen Arbeitsstoffen verunreinigte Luft durch geräuscharm arbeitende Absaugeanlagen möglichst an der Entstehungs- oder Austrittsstelle abzuführen. Eine Konzentration im Sinne des ersten Satzes liegt jedenfalls dann vor, wenn die in den Amtlichen Nachrichten des Bundesministeriums für soziale Verwaltung und des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz verlautbarten Maximalen Arbeitsplatzkonzentrationen und Technischen Richtkonzentrationen von Arbeitsstoffen überschritten sind ..."
2.2. Mit dem angefochtenen Berufungsbescheid qualifizierte die belangte Behörde die im erstinstanzlichen Straferkenntnis genannten fünf Tathandlungen als fortgesetztes Delikt und verhängte über den Mitbeteiligten nicht fünf Verwaltungsstrafen, sondern lediglich eine.
Die Sachverhaltsfeststellungen in der Begründung des angefochtenen Bescheides lassen aber eine nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof hinsichtlich der Gesetzmäßigkeit der Nichtanwendung des im § 22 Abs. 1 VStG normierten Kumulationsprinzips nicht mit hinreichender Sicherheit zu. Dabei ist von folgenden Erwägungen auszugehen:
2.2.1. Tritt eine Reihe von gesetzwidrigen Handlungen zufolge der Gleichartigkeit der Begehungsform und der äußeren Begleitumstände, des engen zeitlichen Zusammenhanges und des diesbezüglichen Gesamtkonzeptes zu einer Einheit zusammen, dann manifestiert sich diese Einheit in der strafrechtlichen Figur des sogenannten fortgesetzten Deliktes (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 19. April 1979, Zlen. 668,
669/78 = ZfVB 1980/1/224). In derartigen Fällen liegt lediglich EINE strafbare Handlung vor. Dies schließt die Anwendung des im § 22 Abs. 1 VStG normierten Kumulationsprinzips aus.
Diese neben der Gleichartigkeit der äußeren Umstände vor allem auf das Merkmal des Vorliegens oder des Fehlens eines einheitlichen Willensentschlusses abstellende Betrachtungsweise wird nicht nur für die "fortgesetzten" Delikte in der engeren Bedeutung dieses Wortes angewendet, sondern auch für GLEICHZEITIG gesetzte Einzelhandlungen (vgl. hiezu etwa das hg. Erkenntnis vom 10. Juli 1987, Zl. 86/17/0017 = ZfVB 1988/3/1199).
2.2.2. Bei der Rechtsfigur des fortgesetzten Deliktes wird zwar grundsätzlich die Identität des Angriffsobjektes nicht gefordert. Handelt es sich aber um höchstpersönliche Rechtsgüter wie Leben, Ehre oder Gesundheit, so ist ein Fortsetzungszusammenhang dann zu verneinen, wenn die einzelnen Angriffe gegen verschiedene Personen gerichtet sind.
In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger
Rechtsprechung judiziert, daß bei Verletzung von
Schutzvorschriften des KJBG (Erkenntnis vom 29. Oktober 1984,
Zl. 81/11/0081 = ZfVB 1985/3/1110), des AZG (hg. Erkenntnisse
vom 21. November 1984, Zl. 82/11/0091 = ZfVB 1985/3/901, und
vom 30. März 1982, Zl. 81/11/0087 = ZfVB 1983/3/1409) sowie des
ARG (hg. Erkenntnisse vom 29. Juni 1987,
Zl. 86/08/0250 = ZfVB 1988/3/775, und vom 10. November 1988,
Zl. 88/08/0041 = ZfVB 1990/2/853) in Ansehung verschiedener
Arbeitnehmer ein fortgesetztes Delikt nicht vorliege. Wohl aber
ist auch im Anwendungsbereich dieser Gesetze bei ein und
demselben Arbeitnehmer ein zeitlicher Fortsetzungszusammenhang
anzunehmen (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom
30. März 1982, Zl. 81/11/0087 = ZfVB 1983/3/1409).
2.2.3. Im anlagenbezogenen Arbeitnehmerschutzrecht hingegen hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, einer namentlichen Nennung von Arbeitnehmern im Spruch des Straferkenntnisses in Ansehung einer Übertretung nach § 7 Abs. 1 der Bauarbeiterschutzverordnung komme keine rechtliche Bedeutung zu; wesentlich dafür sei allein, daß eine "Arbeitsstelle" vorliege (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. September 1990, Zl. 90/19/0235 = ZfVB 1991/4/1358).
Im vorliegenden Beschwerdefall erachtet es der Verwaltungsgerichtshof nach dem Tatbestand des § 16 Abs. 2 AAV als entscheidend, ob an den verschiedenen Arbeitsplätzen, die nach der vorliegenden Fallgestaltung die Entstehungsquelle der Gase, Dämpfe oder Schwebstoffe gesundheitsgefährdender Arbeitsstoffe bilden, eine wirksame Absaugungsvorrichtung eingerichtet war oder nicht. Handelt es sich um eine Mehrzahl solcher konkreter Plätze, so wird - wegen der Vielzahl der Gefährdungsquellen für die Gesundheit von Arbeitnehmern - eine einheitliche Straftat nicht angenommen werden können. Andererseits spielt es im anlagenbezogenen Arbeitnehmerschutzrecht keine entscheidende Rolle, ob an einem solchen Arbeitsplatz gleichzeitig oder in zeitlicher Abfolge verschiedene Arbeitnehmer tätig sind.
2.2.4. Da im angefochtenen Bescheid keine Feststellungen darüber getroffen wurden, ob die fünf im erstinstanzlichen Bescheid genannten Tathandlungen einen oder mehrere Arbeitsplätze betrafen, wurden von der belangten Behörde Verfahrensvorschriften außer acht gelassen, bei deren Einhaltung sie zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Schon aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 und 3 VwGG aufzuheben, ohne daß im gegenwärtigen Verfahrensstadium auf die Frage der Strafbemessung eingegangen zu werden brauchte.
2.3. Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
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