VwGH 2010/21/0224

VwGH2010/21/022421.12.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des D, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 2. Juni 2010, Zl. E1/17703/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
MRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §44 Abs4;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
MRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §44 Abs4;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, reiste im November 2003 illegal nach Österreich ein und stellte einen Asylantrag, der mit dem im Juni 2009 (im Instanzenzug) ergangenen Erkenntnis des Asylgerichtshofes rechtskräftig abgewiesen wurde. Unter einem wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei zulässig sei.

In der Folge wurde der Beschwerdeführer mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Perg vom 16. September 2009 gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.

Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit dem angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 2. Juni 2010 keine Folge gegeben.

In der Begründung gab die belangte Behörde zunächst (zusammengefasst) den wesentlichen Inhalt des erstinstanzlichen Bescheides wieder. Nach Darstellung des Berufungsvorbringens und nach Zitierung der maßgeblichen Rechtsvorschriften führte die belangte Behörde dann aus, der Beschwerdeführer halte sich seit dem rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens rechtswidrig im Bundesgebiet auf.

Zweifelsohne werde in Anbetracht dessen, dass sich der Beschwerdeführer seit ca. sechs Jahren in Österreich aufhalte, ihm eine der Dauer dieses Aufenthaltes entsprechende Integration zuzubilligen sein; dies machten auch die vorgelegten Unterstützungserklärungen deutlich. Überdies hielten sich auch einige (nahe) Verwandte des Beschwerdeführers in Österreich auf; die Kernfamilie (Eltern) befinde sich allerdings in der Türkei. Den Inlandsbeziehungen des Beschwerdeführers sei jedoch gegenüberzustellen, dass das Gewicht der aus der Aufenthaltsdauer ableitbaren Integration maßgebend dadurch gemindert werde, als der Aufenthalt während des Asylverfahrens nur aufgrund eines unberechtigten Antrages temporär berechtigt gewesen sei. Dem Beschwerdeführer sei bewusst gewesen, dass er ein "Privat- und Familienleben" während dieses Zeitraums geschaffen habe, in dem er einen unsicheren Aufenthaltsstatus gehabt habe. Er habe nicht von vornherein damit rechnen dürfen, nach einem allfällig negativen Ausgang des Asylverfahrens weiterhin in Österreich bleiben zu können. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass das Asylbegehren erstinstanzlich bereits am 17. November 2003 "negativ entschieden" worden sei, was ein eindeutiges Indiz für einen nur zeitlich begrenzten weiteren Aufenthalt dargestellt habe.

Der Beschwerdeführer halte sich seit 23. Juni 2009, also seit ca. einem Jahr, illegal in Österreich auf. Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährde die öffentliche Ordnung in hohem Maße; die Ausweisung sei demnach gemäß § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Beachtung durch die Normadressaten komme nämlich aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu.

Die öffentliche Ordnung werde - so führte die belangte Behörde im Rahmen der Interessenabwägung weiter aus - schwerwiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde unerlaubt nach Österreich begeben, um damit die inländischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Das gelte auch dann, wenn Fremde nach Auslaufen einer Aufenthaltsberechtigung bzw. nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verlassen. Die Ausweisung sei in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte. Vor diesem Hintergrund sei auch das Ermessen nicht zugunsten des Beschwerdeführers zu üben, insbesondere weil das dem Beschwerdeführer "vorwerfbare (Fehl-)Verhalten (fast einjähriger illegaler Aufenthalt)" im Verhältnis zu der von ihm "geltend gemachten Integration (Aufenthalt in Österreich seit 2003; Aufenthalt naher Verwandter von Ihnen in Österreich)" überwiege. Es seien auch sonst keine besonderen Umstände ersichtlich, die eine andere Ermessensübung begründen könnten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen hat:

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. In der Beschwerde wird ausdrücklich zugestanden, dass über den Asylantrag des Beschwerdeführers "schlussendlich negativ entschieden" worden sei, und es wird nicht bestritten, dass sich der Beschwerdeführer seit dem Abschluss des Asylverfahrens mit dem Asylgerichtshofserkenntnis vom 23. Juni 2009 nicht mehr rechtmäßig in Österreich aufhält. Gegen die behördliche Annahme, der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei verwirklicht, bestehen somit keine Bedenken, zumal auch nach der Aktenlage keine Anhaltspunkte für ein Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers bestehen.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über eine Ausweisung ist der Behörde Ermessen eingeräumt (siehe etwa das Erkenntnis vom 29. April 2010, Zl. 2010/21/0085).

Betreffend die Beurteilung nach § 66 FPG wird in der Beschwerde kritisiert, die belangte Behörde habe keine Gesamtabwägung vorgenommen, sondern stütze die ablehnende Entscheidung "einzig und allein" darauf, dass sich die Integration des Beschwerdeführers aufgrund eines letztendlich als unberechtigt erwiesenen Asylantrages ergeben habe. Hätte sie eine Gesamtabwägung vorgenommen, wäre sie "zweifellos" zu einem anderslautenden Bescheid gelangt, was als entscheidungswesentlicher Begründungsmangel geltend gemacht werde. Diesbezüglich werde noch darauf hingewiesen, dass die Dauer des Asylverfahrens nicht vom Beschwerdeführer habe beeinflusst werden können und dass er mit der Zustellung der ersten negativen Entscheidung im Asylverfahren im Hinblick auf die dagegen eingebrachte Berufung auch nicht davon habe ausgehen müssen, sein Aufenthalt in Österreich sei unsicher. Weiters sei dabei zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber in den §§ 43 ff NAG für "Langzeitasylwerber" die Möglichkeit geschaffen habe, eine Niederlassungsbewilligung zu erlangen. Werde nun jede gelungene, auf ein Asylverfahren zurückzuführende Integration relativiert, so würde den genannten Bestimmungen des NAG jeglicher Anwendungsbereich entzogen.

Dem Beschwerdeführer ist einzuräumen, dass die fallbezogene Auseinandersetzung mit seiner Integration im angefochtenen Bescheid nicht sehr ausführlich erfolgt ist. Ungeachtet dessen liegt aber trotzdem kein relevanter Begründungsmangel vor, weil die belangte Behörde die in der Beschwerde angeführten und weitgehend schon in der Berufung vorgebrachten integrationsbegründenden Umstände - vor allem die (bis zur Bescheiderlassung) etwa sechseinhalbjährige Aufenthaltsdauer und den Inlandsaufenthalt von Seitenverwandten - erkennbar ihrer Beurteilung nach § 66 FPG zugrundegelegt und bei der Interessenabwägung auch die Unterstützungserklärungen einbezogen hat. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers hätte die belangte Behörde aus den genannten Umständen aber nicht ableiten müssen, seine Ausweisung aus Österreich sei unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK am Maßstab der in § 66 Abs. 2 FPG angeführten Kriterien unzulässig. Die geltend gemachten - nur das Privat- und nicht auch das Familienleben des Beschwerdeführers betreffenden - Umstände stellen sich auch in Verbindung mit der Aufenthaltsdauer nicht als so außergewöhnlich dar, dass unter dem genannten Gesichtspunkt von einer Ausweisung hätte Abstand genommen werden und hätte akzeptiert werden müssen, dass der Beschwerdeführer mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen ("fait accompli") zu schaffen. Daran vermögen auch seine Unbescholtenheit und die ins Treffen geführten Deutschkenntnisse nichts Maßgebliches zu ändern, zumal der ledige Beschwerdeführer in Österreich bisher auch keiner Beschäftigung nachgegangen ist.

Angesichts des familiären Rückhaltes in der Türkei ist dem Beschwerdeführer - mögen ihn seine Eltern (wie in der Beschwerde behauptet) auch nicht finanziell unterstützen können - eine Wiedereingliederung in die erst im Alter von 28 Jahren verlassene Heimat zuzumuten. Weshalb der Beschwerdeführer dort in eine "existenzgefährdende Notlage" käme, wird in der Beschwerde nicht weiter begründet und bleibt sohin nicht nachvollziehbar, zumal auch nicht dargetan wird, weshalb die offenbar jetzt gewährte Unterstützung durch seine Geschwister und Onkeln bei einem Aufenthalt im Heimatland nicht auch möglich wäre. Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz in der Türkei sind aber - letztlich auch als Folge des seinerzeit, ohne ausreichenden (die Asylgewährung oder Einräumung von Abschiebungsschutz rechtfertigenden) Grund für eine Flucht nach Österreich vorgenommenen Verlassens des Heimatlandes - im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen hinzunehmen.

Bei der Bewertung des privaten Interesses des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich durfte die belangte Behörde im Sinne des § 66 Abs. 2 Z 8 FPG aber - entgegen der Beschwerdemeinung - auch berücksichtigen, dass er auf der Grundlage der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung, die ihm während des Asylverfahrens zugekommen war, nicht damit rechnen durfte, er werde dauernd in Österreich verbleiben können. Diesbezüglich war auch die Annahme berechtigt, spätestens nach der Erlassung der erstinstanzlichen, den Asylantrag abweisenden Entscheidung Mitte November 2003 sei sich der Beschwerdeführer seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen. Die bloße Einbringung einer Berufung gegen den Bundesasylamtsbescheid vermag das Bewusstsein eines - auf der Basis einer positiven Erledigung des Asylgesuches - auch in der Zukunft gesicherten Aufenthalts nicht zu rechtfertigen (vgl. in diesem Sinn das schon erwähnte Erkenntnis vom 29. April 2010, Zl. 2010/21/0085, mwN). Die belangte Behörde hat daher zu Recht das Gewicht der erlangten Integration als maßgeblich gemindert angesehen.

Das führt entgegen der Meinung in der Beschwerde auch nicht dazu, dass den Bestimmungen über die Erteilung von sogenannten humanitären Aufenthaltstiteln (§ 43 Abs. 2 und § 44 Abs. 3 NAG sowie § 44 Abs. 4 NAG) der Anwendungsbereich entzogen wäre, weil § 66 Abs. 2 Z 8 FPG schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz hat, dass der während eines unsicheren Aufenthaltsstatus erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes privates Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte (vgl. in diesem Sinn bereits das hg. Erkenntnis vom 26. August 2010, Zl. 2010/21/0211). Im Übrigen kommt in einem Verfahren zur Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" nach § 44 Abs. 4 NAG in einem wegen des hohen Integrationsgrades besonders zu berücksichtigenden "Altfall" eine Relativierung wegen des "unsicheren Aufenthaltsstatus" im Sinne der Bestimmung des § 66 Abs. 2 Z 8 FPG nicht in Betracht (vgl. das Erkenntnis vom 29. April 2010, Zl. 2009/21/0300; siehe zum unterschiedlichen Beurteilungsmaßstab auch das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2010/21/0214, mwN)

Im Ergebnis ist es im vorliegenden Fall nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde das Interesse des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich nicht höher bewertete als das gegenläufige, der Aufrechterhaltung des - hoch zu bewertenden -

geordneten Fremdenwesens dienende öffentliche Interesse an der Beendigung des seit Juni 2009 unrechtmäßigen Inlandsaufenthalts des Beschwerdeführers. Ein die Unzulässigkeit der Ausweisung bewirkendes, direkt aus Art. 8 EMRK abzuleitendes Aufenthaltsrecht musste dem Beschwerdeführer nicht zugestanden werden (vgl. zum Ganzen auch das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0068).

In der Beschwerde werden schließlich auch keine Gründe aufgezeigt, wonach die Ermessensübung durch die belangte Behörde nicht im Sinne des Gesetzes erfolgt wäre.

Zusammenfassend ergibt sich somit, dass die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 21. Dezember 2010

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