VwGH 2009/21/0300

VwGH2009/21/030029.4.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des K, vertreten durch Dr. Manfred Fuchsbichler, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Traungasse 14, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 29. Juli 2009, Zl. E1/3733/2009, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8 idF 2009/I/029;
EMRK Art8;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z8 idF 2009/I/029;
EMRK Art8;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß den §§ 31, 53 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG aus dem Bundesgebiet aus.

Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer sei am 28. Jänner 2002 illegal nach Österreich eingereist und habe am 31. Jänner 2002 einen Asylantrag gestellt. Das Verfahren sei mit erstinstanzlichem Bescheid vom 30. April 2003 samt feststellendem Ausspruch nach § 8 Asylgesetz 1997 "negativ entschieden" worden. Seit 19. Dezember 2008 liege eine zweitinstanzliche und damit rechtskräftige negative Entscheidung vor. Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 24. Februar 2009 sei die Behandlung einer dagegen erhobenen Beschwerde abgelehnt worden. Der Beschwerdeführer halte sich seit dem 4. März 2009, also seit fast fünf Monaten, rechtswidrig in Österreich auf. Ihm sei weder ein Einreisetitel nach dem FPG noch ein Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt worden. Ein Aufenthaltsrecht auf Grund einer anderen gesetzlichen Bestimmung sei weder behauptet worden, noch aus der Aktenlage ersichtlich.

Der Beschwerdeführer halte sich seit rund siebeneinhalb Jahren im Bundesgebiet auf. Er lebe im gemeinsamen Haushalt mit seinem Bruder, dessen Familie "bzw. Onkel und Cousins", zu denen er laut eigenen Angaben eine tief greifende persönliche Bindung habe und die in Österreich dauerhaft niedergelassen seien. Er weise sehr gute Deutschkenntnisse auf, sei unbescholten und laut eigenen Angaben "beinahe durchgehend einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen". Seit 25. Februar 2008 beziehe er aus einer unselbständigen Tätigkeit als Produktionshilfsarbeiter monatlich EUR 1.609,-- brutto und verfüge über einen Krankenversicherungsschutz. Weiters habe er in Österreich viele Bekannte und Freunde, zu denen er auch tief greifende persönliche Bindungen aufweise. Ihm sei daher eine diesen Umständen entsprechende Integration zuzugestehen und werde durch die Ausweisung in erheblicher Weise in sein Privat- und Familienleben eingegriffen.

Jedoch werde das Gewicht dieser Integration maßgebend dadurch gemindert, dass sein Aufenthalt nur auf Grund eines Asylantrages, der sich letztlich als unberechtigt erwiesen habe, temporär berechtigt gewesen sei. Dem Beschwerdeführer sei bewusst gewesen, dass er sein Privat- und Familienleben während eines Zeitraumes geschaffen habe, in dem er einen unsicheren Aufenthaltsstatus gehabt habe. Er habe nicht von vornherein damit rechnen können, nach einem allfälligen negativen Ausgang des Asylverfahrens weiterhin in Österreich bleiben zu dürfen. Dies gelte umso mehr für die Zeit nach der erstinstanzlichen Abweisung des Asylbegehrens am 30. April 2003. Aus diesem Grund relativiere sich auch die berufliche Integration, zumal der Beschwerdeführer überdies bereits bei fünf verschiedenen Dienstgebern beschäftigt gewesen sei und zwischenzeitlich zweimal Arbeitslosengeld bezogen habe. Für die unbefristet eingeräumte Unterkunft beim Bruder zahle der Beschwerdeführer keine Miete, sodass die diesbezüglich gewährte Unterstützung rechtlich nicht abgesichert erscheine. Weitere berücksichtigungswürdige familiäre Bindungen des Beschwerdeführers, der ledig sei und keine Lebensgemeinschaft führe, seien nicht ersichtlich. Auch sein Vorbringen, strafrechtlich unbescholten zu sein, könne nicht zu seinen Gunsten ausschlagen, weil dies weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Abschwächung des die Ausweisung gebietenden öffentlichen Interesses zur Folge habe. Dasselbe gelte für das Vorbringen, dem Staat nicht finanziell zur Last zu fallen.

Der Beschwerdeführer habe - so argumentierte die belangte Behörde weiter - die Türkei im Alter von 26 Jahren verlassen. Dort habe er die Grundschule besucht und in der elterlichen Landwirtschaft sowie von 1999 bis 2002 als Parteifunktionär (Gemeinderat) gearbeitet. Er sei daher im Heimatstaat gut situiert gewesen. In der Türkei lebten nach wie vor seine Eltern, vier Brüder, vier Schwestern, eine Großmutter, mehrere Cousins und mehrere Onkel, sodass ein familiäres Netzwerk bestehe, durch das eine neuerliche Einfügung gewährleistet sei. Der Antrag auf Gewährung eines Aufenthaltstitels aus humanitären Gründen stünde der Erlassung einer Ausweisung nicht entgegen.

Diese sei, zumal bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt die öffentliche Ordnung in hohem Maße gefährde, gemäß § 66 Abs. 1 FPG zu deren Wahrung dringend geboten. Die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften stelle nämlich einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar. Die öffentliche Ordnung werde schwer wiegend beeinträchtigt, wenn sich einwanderungswillige Fremde, ohne das betreffende Verfahren abzuwarten, unerlaubt nach Österreich begeben und versuchten, damit die österreichischen Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Dasselbe gelte, wenn Fremde nach Abschluss eines Asylverfahrens das Bundesgebiet nicht rechtzeitig verließen. Die Ausweisung sei in solchen Fällen erforderlich, um jenen Zustand herzustellen, der bestünde, wenn sich der Fremde gesetzestreu verhalten hätte. Vor diesem Hintergrund seien auch keine tauglichen Gesichtspunkte erkennbar, um das der Behörde durch § 53 Abs. 1 FPG eingeräumte Ermessen zu Gunsten des Beschwerdeführers zu üben.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 22. September 2009, B 1075/09-3, ablehnte und sie mit gesondertem Beschluss vom 6. Oktober 2009 dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Über die im vorliegenden Verfahren ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage (im hg. Verfahren Zl. 2009/21/0255 desselben Beschwerdeführers) erwogen:

Unter der Überschrift "Ausweisung Fremder ohne Aufenthaltstitel" ordnet § 53 Abs. 1 FPG an, dass Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden können, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, dass sein eingangs dargestelltes Asylverfahren rechtskräftig beendet ist. Auch ist der Beschwerde nicht zu entnehmen, dass eine der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 31 Abs. 1 FPG - insbesondere die Erteilung eines Aufenthaltstitels - beim Beschwerdeführer vorläge. Es bestehen somit keine Bedenken gegen die behördliche Annahme, der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG sei im vorliegenden Fall verwirklicht. Dass nicht zusätzlich ein Tatbestand nach § 53 Abs. 2 FPG erwiesen wurde, ist - entgegen der Auffassung in der Beschwerde - ohne Bedeutung.

Auch eine Antragstellung nach § 44 Abs. 4 NAG steht - anders als der Beschwerdeführer meint - einer Ausweisung nicht entgegen (vgl. dazu grundlegend das hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2009, Zl. 2009/21/0293).

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß § 66 Abs. 2 FPG in der hier anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

"1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

  1. 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
  2. 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
  3. 4. der Grad der Integration;
  4. 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;
  5. 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
  6. 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

    8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren."

    Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde eine erforderliche Interessenabwägung am Maßstab der Kriterien des § 66 Abs. 2 FPG in der genannten Fassung vorgenommen und dabei auch die in der Beschwerde angeführten, für einen Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sprechenden Umstände (rund siebeneinhalbjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet, jahrelange unselbständige Erwerbstätigkeit und damit verbundene Selbsterhaltungsfähigkeit, Wohnmöglichkeit im Eigenheim des Bruders, gute Kenntnisse der deutschen Sprache, Unbescholtenheit sowie Kontakte zu Angehörigen, Freunden und Bekannten in Österreich) in diese Beurteilung einbezogen.

    Dem Vorbringen zur Integration des Beschwerdeführers während seines langjährigen Aufenthaltes im Bundesgebiet hielt die belangte Behörde dabei aber zutreffend entgegen, dass dieser durch eine illegale Einreise begonnene und nur vorläufig rechtmäßige Aufenthalt lediglich auf einen unbegründeten Asylantrag zurückzuführen war und seit Beendigung des Asylverfahrens unrechtmäßig ist. Die während des Aufenthalts erlangten Gesichtspunkte der Integration wurden in einem Zeitraum erworben, als sich der Beschwerdeführer (spätestens) auf Grund der Abweisung seines Asylantrages mit erstinstanzlichem Bescheid vom 30. April 2003 der Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus bewusst war, er also - für den Fall eines negativen Ausgangs seines Asylverfahrens - nicht mit einem dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet rechnen durfte.

    Warum es an diesem Bewusstsein, das ohne weiteres jedenfalls ab Zustellung des den Asylantrag erstinstanzlich abweisenden Bescheides vom 30. April 2003 angenommen werden durfte, gefehlt haben soll, vermag die Beschwerde nicht schlüssig aufzuzeigen.

    Zwar hat § 66 Abs. 2 Z. 8 FPG schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während eines unsicheren Aufenthaltsstatus erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Ausweisung führen könnte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348). Jedoch sind nach dem Gesagten die im vorliegenden Fall zugunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände, darunter auch die in der Beschwerde hervorgehobene Unbescholtenheit, in ihrer Gesamtheit betrachtet nicht von solchem Gewicht, dass sie eine Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung begründen könnten.

    Auch tritt die Beschwerde der Ansicht der belangten Behörde nicht mit Erfolg entgegen, dass dem unverheirateten und kinderlosen Beschwerdeführer eine Ausreise in die Türkei als seinem Heimatstaat zuzumuten sei.

    Der Argumentation mit dem Fehlen dort bestehender sozialer Kontakte in nennenswertem Umfang ist zu entgegnen, dass kein Grund ersichtlich ist, warum derartige, vom Beschwerdeführer selbst aus eigenem Entschluss abgebrochene Beziehungen nicht wieder hergestellt werden könnten. Darüber hinaus sind mit einem wirtschaftlichen Neubeginn in der Türkei verbundene Schwierigkeiten auf Grund des öffentlichen Interesses an der Erlassung einer Ausweisung in Kauf zu nehmen.

    Die belangte Behörde ist nämlich im Recht, als sie im Verhalten des Beschwerdeführers eine maßgebliche Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen gesehen hat. Es trifft nämlich zu, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein sehr hoher Stellenwert zukommt (vgl. zum Ganzen neuerlich etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2009, Zl. 2009/21/0348, mwN).

    Soweit die Beschwerde als Mangelhaftigkeit des Verfahrens das Unterbleiben einer Einvernahme des Beschwerdeführers durch die belangte Behörde rügt, fehlt dem die Relevanz, wird in der Beschwerde doch nicht dargestellt, welche ergänzenden Feststellungen dadurch konkret ermöglicht worden wären. Darüber hinaus hatte der Beschwerdeführer ausreichend Gelegenheit, sich im Verwaltungsverfahren Parteiengehör zu verschaffen. Ergänzend ist er darauf zu verweisen, dass im fremdenrechtlichen Administrativverfahren vor der Sicherheitsdirektion kein Recht auf eine (mündliche) Berufungsverhandlung und auch kein Recht darauf besteht, von der Behörde, etwa zur Gewinnung eines unmittelbaren Eindrucks von seiner Persönlichkeit, mündlich gehört zu werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 8. September 2009, Zl. 2008/21/0600, mwN).

    Zusammenfassend ist es somit insgesamt fallbezogen nicht zu beanstanden, dass die belangte Behörde die Ausweisung des Beschwerdeführers unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht als unzulässigen Eingriff in sein Privatleben angesehen hat. Schließlich werden in der Beschwerde auch keine ausreichenden Gründe aufgezeigt, wonach die Ermessensübung durch die belangte Behörde nicht im Sinn des Gesetzes erfolgt wäre.

    Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

    Wien, am 29. April 2010

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