VwGH 2008/22/0742

VwGH2008/22/074224.4.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des Z, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Universitätsstraße 8/2, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. Juli 2007, Zl. 317.151/2-III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

12010E021 AEUV Art21;
12010E045 AEUV Art45;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §57;
12010E021 AEUV Art21;
12010E045 AEUV Art45;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §57;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.386,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den am 21. Dezember 2005 gestellten Antrag des Beschwerdeführers, eines serbischen Staatsangehörigen, auf erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft mit seiner österreichischen Ehefrau gemäß § 21 Abs. 1 und § 47 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei mit einem Visum, gültig vom 6. März 1995 bis 20. März 1995, in Österreich eingereist. Am 22. Juni 2005 habe er eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Seit seiner Einreise sei er in Österreich verblieben und gehe seit 1. Juli 2005 einer Erwerbstätigkeit nach. Seine Ehefrau wohne und arbeite seit 1. Jänner 2005 in der Schweiz. Diese habe ihren (österreichischen) Hauptwohnsitz seit 23. Dezember 2004 abgemeldet und "erst seit 7. November 2005 bzw. 21. Dezember 2005" ihren Nebenwohnsitz in Wien gemeldet; seinen Angaben zufolge habe sie ihren Hauptwohnsitz in die Schweiz verlegt, wo sie arbeite. Da sie somit in Österreich nicht dauernd wohnhaft sei, lägen die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 NAG nicht vor und es könne der gewünschte Aufenthaltstitel daher nicht erteilt werden. Es stehe eindeutig fest, dass der Beschwerdeführer den Antrag im Inland gestellt und sich vor, während und nach der Antragstellung in Österreich aufgehalten habe. Gemäß § 21 Abs. 1 NAG hätte er aber seinen Erstantrag im Ausland einbringen und dort die Entscheidung abwarten müssen. Sein illegaler Aufenthalt widerstreite auch "den Interessen im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG". Daran könne auch § 11 Abs. 3 NAG nichts ändern. Durch die Heranziehung des § 21 Abs. 1 NAG sei ein weiteres Eingehen auf seine persönlichen Verhältnisse, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, entbehrlich. Es sei auch aus dem Akteninhalt nicht ersichtlich, dass das Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen worden sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 18. Juni 2008, B 2005/07-7, abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die auftragsgemäß ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerde wendet sich im Wesentlichen gegen die Unterlassung einer Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK und ist damit im Recht.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, den gegenständlichen Antrag, der als Erstantrag anzusehen war, im Inland gestellt und entgegen § 21 Abs. 1 NAG die Entscheidung im Inland abgewartet zu haben. Das Recht, die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland abzuwarten, kommt im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 NAG (in der Stammfassung) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG (ebenfalls in der Stammfassung) vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2010, 2008/22/0287). Der Bindung eines Fremden an einen österreichischen Ehepartner kommt dabei im Rahmen der Abwägung nach Art. 8 EMRK große Bedeutung zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. März 2012, Zl. 2009/22/0272, mwN).

Aus der Begründung des angefochtenen Bescheides ist abzuleiten, dass die belangte Behörde ausgehend von einer falschen Rechtsansicht eine Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK zur Gänze unterlassen hat und daher in diesem Zusammenhang keine Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers, so zur Dauer seines Aufenthalts, seiner beruflichen Integration, seiner Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin getroffen hat und diese Umstände nicht in ihre Überlegungen miteinbezogen hat.

Bei Berücksichtigung dieser Gründe ist nicht auszuschließen, dass der Beschwerdeführer einen aus Art. 8 EMRK ableitbaren Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung geltend machen könne (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 22. März 2011, Zl. 2008/21/0238, mwN). Damit aber läge ein besonders berücksichtigungswürdiger Fall im Sinn des § 72 Abs. 1 NAG vor, weshalb die Inlandsantragstellung gemäß § 74 NAG von Amts wegen zuzulassen gewesen wäre (vgl. auch dazu das oz. hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2010).

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid schon deswegen wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Insoweit die belangte Behörde die Abweisung des Antrags auch auf § 47 Abs. 1 NAG mit der Begründung gestützt hat , die österreichische Ehefrau des Beschwerdeführers habe nach seinen eigenen Angaben im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme durch die erstinstanzliche Behörde ihren Hauptwohnsitz in die Schweiz verlegt, übersieht sie, dass der Beschwerdeführer in dieser Einvernahme aber auch ausgesagt hat, dies sei nur aus steuerrechtlichen Gründen erfolgt; seine Ehefrau arbeite seit 1. Jänner 2005 in der Schweiz und komme so oft wie möglich nach Wien, um den Beschwerdeführer zu sehen. Schon vor diesem Hintergrund erweist sich die ohne weitere Ermittlungen dazu getroffene Annahme der belangten Behörde, die österreichische Ehefrau sei nicht mehr dauernd in Österreich wohnhaft, als nicht ausreichend begründet.

Hinsichtlich der hier auch relevanten Frage, ob der Beschwerdeführer aufgrund der Erwerbstätigkeit und Niederlassung seiner Ehefrau in der Schweiz als begünstigter Drittstaatsangehöriger anzusehen sei, wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf das den Beschwerdeführer betreffende hg. Erkenntnis vom 21. Juli 2001, Zl. 2008/18/0142, verwiesen. Dazu wird die belangte Behörde nähere Feststellungen zu treffen haben. Nach österreichischem Recht ist nach § 57 NAG zu prüfen, ob der Österreicher (also die Ehefrau des Beschwerdeführers) sein Unionsrecht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat und demzufolge dem drittstaatszugehörigen Familienangehörigen ein abgeleitetes Recht zukommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 2012, Zl. 2010/22/0011). Sollte dies der Fall sein, wäre aber der Anwendung des § 21 Abs. 1 NAG der Boden entzogen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 3. April 2009, Zl. 2008/22/0439).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 24. April 2012

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