VwGH 2008/21/0238

VwGH2008/21/023822.3.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Senft, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Rudolf Breuer, Rechtsanwalt in 2700 Wiener Neustadt, Hauptplatz 28, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 18. Juli 2007, Zl. 316.571/2- III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53;
EMRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §53;
EMRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1975 geborene Beschwerdeführer stammt aus dem Kosovo. Er reiste am 28. Oktober 2004 in das Bundesgebiet ein und stellte hier einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag im Juni 2005 ab, erklärte (insbesondere) die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Kosovo für zulässig und wies ihn dorthin aus.

Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid des Bundesasylamtes Berufung. Am 9. Juli 2005 heiratete er eine österreichische Staatsbürgerin, bei der er bereits seit 10. Februar 2005 gemeldet war. Im Hinblick auf diese Ehe stellte er am 15. Juli 2005 einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung. In der Folge erging per 14. September 2005 seitens der Bundespolizeidirektion Wiener Neustadt die Verfahrensanordnung, "nachstehende Urkunden … vorzulegen: rechtskräftiger Abschluss des noch immer offenen Asylverfahrens (Zurückziehung der Berufung gegen die Ausweisung)".

Der Beschwerdeführer entsprach der eben genannten Aufforderung mit Eingabe vom 22. September 2005. Der Landeshauptmann von Niederösterreich wies den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels dann jedoch mit Bescheid vom 17. November 2006 gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 iVm § 11 Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab. Der dagegen erhobenen Berufung gab der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 18. Juli 2007, gestützt auf § 21 Abs. 1 und 2 NAG, keine Folge.

Begründend führte die belangte Behörde - auf das Wesentliche zusammengefasst - aus, dass der gegenständliche Antrag nach den nunmehr maßgeblichen Bestimmungen des NAG als Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" zu werten sei. Dieser Antrag habe zwar gemäß dem bei Antragstellung geltenden Fremdengesetz 1997 rechtmäßig im Inland gestellt werden dürfen. Spätestens mit Inkrafttreten des NAG ab 1. Jänner 2006 hätte der Beschwerdeführer jedoch gemäß § 21 NAG das Bundesgebiet verlassen und die Entscheidung über seinen Antrag im Ausland abwarten müssen. Demgegenüber sei er auch während der Gültigkeit des NAG im Inland verblieben.

Zwar könne die Behörde - so die belangte Behörde weiter - aus besonders berücksichtigungswürdigen humanitären Gründen gemäß § 74 NAG die "Inlandsantragstellung" zulassen. Im Fall des Beschwerdeführers könnten jedoch "keinerlei" besonders berücksichtigungswürdigen humanitäre Gründe erkannt werden. Er sei berufstätig gewesen bzw. wolle wieder berufstätig werden und habe eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet, die - so sein Vorbringen - als Mutter zweier Kinder an Epilepsie leiden würde. Für die "angebliche" Erkrankung seiner Ehefrau habe er jedoch keine medizinischen Unterlagen vorgelegt. Seine diesbezügliche Behauptung könne somit nicht nachvollzogen werden. Auch die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin stelle keinen "verwertbaren" humanitären Grund dar, weil der Aufenthalt des Beschwerdeführers seit Abschluss des Asylverfahrens noch immer unrechtmäßig sei. Eine "Inlandsantragstellung" bzw. die daraus resultierende Entgegennahme des Aufenthaltstitels im Inland werde daher gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen. Der Gesetzgeber habe bereits "bei Erlassung der Bestimmungen" auf die persönlichen Verhältnisse der Antragsteller Rücksicht genommen und die Regelung eines geordneten Zuwanderungswesens über die persönlichen Verhältnisse gestellt. Es könne daher davon ausgegangen werden, dass ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, entbehrlich sei.

Die Behandlung der gegen diesen Bescheid an ihn erhobenen Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 5. März 2008, B 1721/07-7, abgelehnt. Zugleich hat er die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten, der über die ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, dass er noch nie über einen Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt hat. Die Auffassung der belangten Behörde, dass es sich bei dem gegenständlichen Antrag um einen Erstantrag handle, begegnet somit keinen Bedenken. Es trifft auch zu, dass der noch im Geltungsbereich des Fremdengesetzes 1997 gestellte Antrag gemäß § 81 Abs. 1 NAG nach dem Inkrafttreten des NAG mit 1. Jänner 2006 nach dessen Bestimmungen zu behandeln war.

Gemäß § 21 Abs. 1 NAG sind Erstanträge vor der Einreise im Ausland einzubringen und ist deren Erledigung dort abzuwarten. Dass der Beschwerdeführer die ihn demnach ab dem 1. Jänner 2006 treffende Verpflichtung, die Entscheidung über den von ihm gestellten Antrag im Ausland abzuwarten, nicht erfüllt hat, ist unstrittig. Es liegt auch keiner der insoweit eine Ausnahme vorsehenden Tatbestände des § 21 Abs. 2 NAG (in der hier anzuwendenden Stammfassung) vor.

Das Recht, die Entscheidung über den Antrag im Inland abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 NAG (in der Stammfassung) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG (ebenfalls in der Stammfassung) vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland - einschließlich des hier relevanten Abwartens der Entscheidung über den Antrag im Inland - zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. aus jüngerer Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2010, Zl. 2008/21/0519).

Die belangte Behörde ist zwar ansatzweise auf die vor dem Hintergrund des Art. 8 EMRK relevanten persönlichen und familiären Verhältnisse des Beschwerdeführers in Österreich eingegangen. Einer näheren Auseinandersetzung mit diesen Verhältnissen hat sie sich allerdings im Hinblick darauf entzogen, dass sie ein weiteres Eingehen darauf ausdrücklich für "entbehrlich" erachtete. Diese Auffassung ist nach dem Gesagten nicht zutreffend. Im Rahmen der geforderten Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK hätte sich die belangte Behörde vielmehr, ähnlich wie in den den hg. Erkenntnissen je vom 9. November 2010, Zl. 2007/21/0493 und Zl. 2009/21/0031, zugrunde liegenden Fällen, insbesondere mit den näheren Lebensverhältnissen des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau und (allenfalls) mit der Frage auseinander setzen müssen, ob der österreichischen Ehefrau des Beschwerdeführers und ihren - nach der Aktenlage 1996 und 2000 geborenen - Kindern ein Familiennachzug in das Herkunftsland des Beschwerdeführers möglich und zumutbar ist. Es hätte in einer Gesamtbetrachtung auch darauf Bedacht genommen werden müssen, dass dem Beschwerdeführer nach der im Zeitpunkt der Eheschließung und der Antragstellung im Jahr 2005 geltenden Rechtslage als Ehemann einer Österreicherin ein Anspruch auf Ausstellung einer Niederlassungsbewilligung und das Recht zur Inlandsantragstellung zugekommen war.

Die zuvor genannten Erkenntnisse vom 9. November 2010 ergingen zwar jeweils zu einer Ausweisung nach § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005. Die Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK im Ausweisungsverfahren entspricht aber jener, die im Rahmen des § 74 NAG vorzunehmen ist (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. September 2008, Zl. 2008/22/0264).

Die in Verkennung der Rechtslage nur unzureichend erfolgte Auseinandersetzung mit den Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich belastet den bekämpften Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 22. März 2011

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