OGH 9ObA54/24t

OGH9ObA54/24t23.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Hargassner und Dr. Stiefsohn sowie die fachkundigen Laienrichter Helmut Purker (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerald Fida (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei DI T*, vertreten durch die Dr. Helene Klaar Dr. Norbert Marschall Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei R* GmbH, *, vertreten durch die Forsthuber & Partner Rechtsanwälte (OG) in Baden, wegen zuletzt 1.217,35 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. April 2024, GZ 7 Ra 23/24i‑16, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 18. Dezember 2023, GZ 6 Cga 164/23i‑10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:009OBA00054.24T.0723.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

I. Der Antrag auf Anberaumung einer Revisionsverhandlung wird abgewiesen.

II. Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 453,17 EUR (darin 75,53 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] I. Gemäß § 509 Abs 1 ZPO entscheidet der Oberste Gerichtshof über die Revision grundsätzlich in nichtöffentlicher Sitzung ohne vorherige mündliche Verhandlung. Da der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz ist und auch sonst keine Gründe für eine Revisionsverhandlung erkennbar sind, besteht kein Anlass, im Sinn des § 509 Abs 2 ZPO ausnahmsweise eine solche Verhandlung anzuberaumen. Der diesbezügliche Antrag des Beklagten, der nicht näher begründet ist, ist daher abzuweisen (RS0043679 [T5]; vgl RS0043689).

[2] II. Der Kläger war bei der Beklagten von 6. 3. 2019 bis 28. 2. 2023 als Arbeiter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch einvernehmliche Auflösung mit 28. 2. 2023. Die einvernehmliche Auflösung erfolgte während eines Krankenstands des Klägers, der von 17. 1. 2023 bis 14. 5. 2023 dauerte. Die Beklagte zahlte dem Kläger das Entgelt bis einschließlich 5. 3. 2023 fort.

[3] Der Kläger begehrte von der Beklagten zuletzt 1.217,35 EUR brutto sA Entgeltfortzahlung für die Zeit von 6. 3. 2023 bis 6. 4. 2023. Es steht außer Streit, dass es sich dabei um den richtig berechneten Entgeltfortzahlungsbetrag bis zur Erschöpfung der gesetzlichen Entgeltfortzahlungsdauer für das am 6. 3. 2022 begonnene Arbeitsjahr (§ 2 Abs 1, Abs 4 EFZG) handelt.

[4] Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und entgegnete, der Entgeltfortzahlungsanspruch sei jeweils als Kontingent eines Arbeitsjahres zu sehen. Da der 5. 3. 2023 der letzte Tag des am 6. 3. 2022 begonnenen Arbeitsjahres des Klägers gewesen sei, ende die Entgeltfortzahlung an diesem Tag.

[5] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses beginne kein neues Arbeitsjahr mehr, sodass auch kein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entstehe. Allerdings könne ein noch nicht ausgeschöpfter Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus dem alten Arbeitsjahr auch nicht erlöschen.

[6] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die Revision mit der Begründung zu, es gebe keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage, ob der Entgeltfortzahlungsanspruch mit dem fiktiven Beginn eines neuen Arbeitsjahres ende, auch wenn im alten Arbeitsjahr noch ein Entgeltfortzahlungsanspruch offen gewesen sei.

[7] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, das Klagebegehren abzuweisen, und hilfsweise mit einem Aufhebungsantrag.

[8] Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen und hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

[10] 1. § 5 EFZG geht davon aus, dass das Arbeitsverhältnis auch während einer Arbeitsverhinderung oder im Hinblick auf eine Arbeitsverhinderung gemäß § 2 EFZG beendet werden kann (vgl bereits 9 ObA 36/10z, 9 ObA 139/09w und 9 ObA 59/10g: „dass ein Krankenstand der Auflösung des Arbeitsverhältnisses während der Dauer der Arbeitsverhinderung nicht entgegensteht“). In den in § 5 EFZG genannten Fällen – darunter die einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses während einer Arbeitsverhinderung gemäß § 2 EFZG – bleibt aber der Entgeltfortzahlungsanspruch „für die nach diesem Bundesgesetz vorgesehene Dauer“ bestehen, „wenngleich das Arbeitsverhältnis früher endet“.

[11] 2. Die Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs bei einer nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführten Arbeitsverhinderung durch Krankheit (Unglücksfall) ergibt sich aus § 2 Abs 1 EFZG. Bei wiederholter Arbeitsverhinderung durch Krankheit (Unglücksfall) innerhalb eines Arbeitsjahres besteht der Entgeltfortzahlungsanspruch gemäß § 2 Abs 4 EFZG nur insoweit, als die Dauer gemäß Abs 1 noch nicht erschöpft ist. Diese Bestimmung hat (lediglich) die folgende Konsequenz: Die Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs nach Abs 1 verringert sich um alle innerhalb desselben Arbeitsjahres gelegenen Zeiträume, für die der Arbeitnehmer bereits einen Entgeltfortzahlungsanspruch nach Abs 1 hatte. Mit anderen Worten: Die in Abs 1 geregelte Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs darf innerhalb eines Arbeitsjahres nicht überschritten werden.

[12] 3. Eine darüber hinausgehende „Arbeitsjahrbezogenheit“ des Entgeltfortzahlungsanspruchs sieht das Gesetz nicht vor. Weder aus §§ 2, 5 EFZG noch aus einer sonstigen Bestimmung des EFZG ergibt sich, dass der Arbeitnehmer im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses während einer Arbeitsverhinderung oder im Hinblick auf eine Arbeitsverhinderung gemäß § 2 EFZG eine Entgeltfortzahlung nur bis zu jenem Zeitpunkt beanspruchen könnte, in dem das bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses laufende Arbeitsjahr (fiktiv) geendet hätte, wenn das Arbeitsverhältnis in diesem Zeitpunkt noch aufrecht gewesen wäre. Der Senat kommt damit zum selben Auslegungsergebnis wie die Vorinstanzen sowie Drs (Entgeltfortzahlung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses, DRdA 2011, 285 [Punkt 2.2.2. aE]) und Schimanko (Zur Grenze der Entgeltfortzahlung nach dem EFZG, RdW 2011/104, 98 [103 f]).

[13] 4. Die in der Revision für die gegenteilige Ansicht der Beklagten ins Treffen geführten Argumente – die den Ausführungen von Rauch folgen (Jüngste Judikatur zum Krankenstand, ASoK 2005, 122; EFZG2 § 5 Rz 2.3) – überzeugen den Senat nicht:

[14] 4.1. Der Oberste Gerichtshof betonte – den Gesetzesmaterialien folgend (RV 1105 BlgNR 13. GP  14) – wiederholt, dass mit Beginn eines neuen Arbeitsjahres ein „neuer Anspruch“ auf Entgeltfortzahlung entstehe (8 ObA 163/98y; 8 ObA 215/98w). Bei ununterbrochen fortdauernder krankheitsbedingter Arbeitsverhinderung entstehe mit Beginn des nächsten Arbeitsjahres ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch auch dann, wenn der Arbeitnehmer zuerst wegen Ausschöpfung des Entgeltfortzahlungsanspruchs kein Entgelt mehr erhalten habe (RS0111429 [Abgehen von 8 ObA 2132/96d]). Ende das Arbeitsverhältnis vor Beginn des neuen Arbeitsjahres und könne daher kein neues Arbeitsjahr zu laufen beginnen, so gebe § 5 EFZG trotz weiterdauernden Krankenstandes „keine geeignete Grundlage“ dafür ab, einen neuen Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 2 Abs 1 EFZG entstehen zu lassen (RS0126339 [Abgehen von 9 ObA 115/05k]). Diese Entscheidungen sind hier aber von vornherein nicht einschlägig, weil der Kläger keinen „neuen“ Entgeltfortzahlungsanspruch geltend macht, sondern nur die „alte“ Entgeltfortzahlung jenes Arbeitsjahres ausschöpft, in dem die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses erfolgte.

[15] 4.2. Der Oberste Gerichtshof bezeichnete die Regelungen des § 2 Abs 1, 4 EFZG mehrmals als „Kontingentsystem“ (8 ObA 163/98y; 8 ObA 215/98w; 9 ObA 144/03x; 8 ObA 44/08s; 9 ObA 174/08s). Der Entgeltfortzahlungsanspruch sei „auf das Arbeitsjahr abgestellt“ (8 ObA 163/98y; 8 ObA 215/98w; 9 ObA 144/03x). Jüngst hielt er (auch) zur vergleichbaren Bestimmung des § 8 Abs 1 AngG fest, dass sie „die Kontingente der Entgeltfortzahlung“ auf das Arbeitsjahr beziehe (9 ObA 73/23k). Die Beklagte nennt das „Grundsatz der Jahreskontingenz“. Daraus folgt aber nicht, dass der Arbeitnehmer in einem Fall des § 5 EFZG eine Entgeltfortzahlung nur bis zum (fiktiven) Ende seines letzten Arbeitsjahres beanspruchen könnte. Eine solche „Arbeitsjahrbezogenheit“ des Entgeltfortzahlungsanspruchs sieht das Gesetz nicht vor. Vielmehr gewährleistet § 5 EFZG in den darin geregelten Fällen die Ausschöpfung des noch nicht verbrauchten Kontingents des Entgeltfortzahlungsanspruchs für das laufende Arbeitsjahr (8 ObA 53/17b; 9 ObA 25/21y; 9 ObA 22/21g). Dem kranken Arbeitnehmer soll „der volle Anspruch auf Ausschöpfung des nicht verbrauchten Kontingents an Entgeltfortzahlung aus dem laufenden Arbeitsjahr auch dann gewahrt bleiben, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses während der Arbeitsverhinderung erfolgt“ (9 ObA 36/10z; 9 ObA 139/09w; 9 ObA 59/10g). Die Ansicht der Beklagten, der Arbeitnehmer könne die Entgeltfortzahlung nur bis zum (fiktiven) Ende des letzten Arbeitsjahres beanspruchen, würde diesen Zweck des § 5 EFZG aushöhlen und stünde auch mit dem oben wiedergegebenen Wortlaut des § 5 und des § 2 Abs 1, 4 EFZG in Widerspruch.

[16] 5. Der Revision war daher nicht Folge zu geben. Der Anregung der Revisionswerberin, die Sache vor einen verstärkten Senat des Obersten Gerichtshofs zu bringen, war mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 8 OGHG nicht zu folgen (vgl RS0071080).

[17] 6. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte