OGH 8ObA215/98w

OGH8ObA215/98w18.3.1999

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Langer und Dr. Adamovic sowie die fachkundigen Laienrichter OLWR Dr. Hans Lahner und Walter Scheed als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Brigitte A*****, Angestellte, ***** vertreten durch Dr. Markus Orgler und Dr. Josef Pfurtscheller, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei S***** AG, ***** vertreten durch Dr. Alfons Klaunzer und Dr. Josef Klaunzer, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen S 13.306,15 brutto sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2. Juni 1998, GZ 15 Ra 84/98k-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 23. Februar 1998, GZ 47 Cga 247/97z-10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die mit S 3.248,64 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 541,44 USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war vom 15. 6. 1982 bis 30. 6. 1997 als Angestellte der beklagten Partei beschäftigt und verdiente zuletzt brutto S 28.830,--. Das Arbeitsverhältnis endete durch Arbeitgeberkündigung.

Die Klägerin war vom 1. 2. bis 6. 2. 1997 und sodann vom 10. 2. bis 30. 6. 1997 infolge Krankheit arbeitsunfähig. Der zweite Krankenstand ab 10. 2. 1997 ist eine Wiedererkrankung im Sinne von § 8 Abs 2 AngG. Vom 10. 2. bis 30. 6. 1997 war die Klägerin durchgehend im Krankenstand. Mit 14. 6. 1997 vollendete die Klägerin ihr 15. Arbeitsjahr.

Die Klägerin begehrte den Zuspruch des (zusätzlichen) Krankenentgelts in der Höhe des Klagebegehrens, das sich durch den "Stufensprung" während ihres Krankenstandes, nämlich mit der Vollendung des 15. Arbeitsjahres verbundene Vermehrung des Anspruches um 2 Wochen (von 10 auf 12), ergebe.

Die beklagte Partei bestritt zwar nicht das Klagsvorbringen, beantragte jedoch die Abweisung des Klagebegehrens; die Erhöhung des Krankenentgeltes nach Ausschöpfung des Entgeltfortzahlungsanspruches bewirke keinen neuerlichen Anspruch.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren samt 4,5 % Zinsen seit 1. 7. 1997 ab, wobei es von den eingangs wiedergegebenen unstrittigen Feststellungen ausging.

Rechtlich führte es aus, Voraussetzung eines Entgeltfortzahlungsanspruches zu Beginn eines neuen Arbeitsjahres sei das Bestehen eines Entgeltanspruches; sei der Entgeltfortzahlungsanspruch bereits zur Gänze verbraucht, entstehe zu Beginn eines neuen Arbeitsjahres kein neuerlicher Anspruch. Dies ergebe sich aus dem Wort "behalten" in § 2 Abs 1 EFZG und aus der Wortfolge "bleibt der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bestehen" in § 5 EFZG. § 8 Abs 2 AngG sei ebenso auszulegen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge und änderte dieses Urteil - abgesehen von der Abweisung eines Zinsenmehrbegehrens von 0,5 % - im klagsstattgebenden Sinne ab.

In rechtlicher Hinsicht führte es aus, die Erhöhung des Entgeltfortzahlungsanspruches während eines laufenden Krankenstandes - hier durch Vollendung des 15. Arbeitsjahres durch die Klägerin - bewirke einen zusätzlichen Anspruch auf 2 Wochen Krankenentgelt. In

der Entscheidung vom 16. 2. 1982, 4 Ob 96/81 = ZAS 1982/32, 227

(Andexlinger) = Arb 10.077 (diese Entscheidung ist überdies

veröffentlicht in SZ 55/11 sowie in DRdA 1983/15, 275 mit Anm Csebrenyak) sei entschieden worden, daß bei Erreichen der Anwartschaft auf eine längere Anspruchsdauer des Krankenentgelts während einer Wiedererkrankung des Angestellten diesem ab Erfüllung der entsprechenden Dienstzeit gemäß § 8 Abs 1 AngG das volle Entgelt für weitere zwei Wochen und gemäß § 8 Abs 2 AngG auch das halbe Entgelt für weitere zwei Wochen zustehe. Begründet wurde diese Entscheidung im wesentlichen damit, daß dem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis bereits längere Zeit gedauert habe und der daher mit dem Betrieb enger verbunden sei, ein erweiterter Anspruch gegenüber jenen Arbeitnehmern gewährt werden solle, die weniger lange im Betrieb beschäftigt seien. Es sei nicht einzusehen, daß Arbeitnehmern, welche die längere Arbeitszeit unmittelbar vor dem Eintritt der Erkrankung erfüllt hätten, besser gestellt werden sollten als jene, bei denen dies erst während des Krankenstandes der Fall sei. Das Erstgericht habe sich auf die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 17. 4. 1997, 8 ObA 2132/96d (ecolex 1997, 686 = DRdA 1998/4, 42 mit kritischer Anm von Pfeil) bezogen. In dieser werde zu § 2 EFZG dargelegt, daß Voraussetzung für das Entstehen eines Entgeltfortzahlungsanspruches im Krankheitsfall am Beginn des neuen Arbeitsjahres das Bestehen eines Entgeltanspruches sei. In dieser Entscheidung werde zwar auf die frühere Entscheidung 4 Ob 96/81 Bezug genommen, ohne auf diese Argumentation einzugehen. In der im wesentlichen auf eine Wortauslegung gestützten Entscheidung gehe der Oberste Gerichtshof dann auch auf § 8 Abs 2 AngG ein und führe hiezu aus, daß der Arbeiter gegenüber dem Angestellten nicht günstiger gestellt werden solle, da das Angestelltengesetz bei Wiedererkrankung auf den Wiederantritt des Dienstes innerhalb eines halben Jahres abstelle. Aus dieser Entscheidung sei nicht klar zu erkennen, ob der Oberste Gerichtshof von seiner früheren Rechtsprechung zu § 8 AngG (4 Ob 96/81) abweiche. Im übrigen erscheine die frühere Auslegung, die sich am Sinn und Zweck der Regelung orientiere, sachgerechter als seine Wortinterpretation, zumal gerade die Formulierung des § 8 AngG - insbesondere das Verhältnis des Abs 1 zu Abs 2 - schwierig sei. Aus der Formulierung des § 8 AngG könne nicht zweifelsfrei abgeleitet werden, daß ein Stufensprung bei dem Zeitraum, für welchen Entgeltfortzahlung zu leisten sei und der nach Eintritt der Erkrankung bzw Wiedererkrankung erreicht werde, nicht mehr zum Tragen kommen solle. Zudem wäre dann auch noch zu beruteilen, ob ein Stufensprung nach Eintritt der Dienstunfähigkeit infolge Erkrankung aber noch vor Ausschöpfung des Entgeltfortzahlungsanspruches gleichfalls unbeachtlich sein solle oder ob ein voller oder nur halbierter oder geviertelter Anspruch entstehe. Das Berufungsgericht halte somit an der am Gesetzestext orientierten Entscheidung 4 Ob 96/81, die von der Lehre gebilligt werde (s ua Schwarz/Löschnigg, Arbeitsrecht6, 461), fest.

Der um 0,5 % höhere Zinsenanspruch gemäß § 49a ASGG gebühre der Klägerin nicht; die beklagte Partei könne sich aufgrund der neuen Rechtsprechung auf eine durchaus vertretbare Rechtsansicht stützen.

Die ordentliche Revision sei gemäß § 46 Abs 1 ASGG zulässig, da eine gesicherte Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht vorliege bzw die Rechtsprechung in sich widersprüchlich erscheine.

Gegen den stattgebenden Teil der Berufungsentscheidung richtet sich die aus dem Grund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, sie abzuändern und das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist wegen des vom Berufungsgericht angenommenen Widerspruchs zur Entscheidung vom 17. 4. 1997, 8 ObA 2132/96d zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

Der vom Berufungsgericht in der Begründung zur Zulässigkeit der Revision angenommene Widerspruch zwischen der Entscheidung 4 Ob 96/81 und 8 Ob 2132/96d ist inzwischen in der Weise ausgeräumt, daß der erkennende Senat die in der Entscheidung 8 ObA 2132/96d vertretene Rechtsansicht, ein Entgeltfortzahlungsanspruch könne nur dann fortbestehen, wenn am Beginn des neuen Arbeitsjahres (oder danach) ein Entgeltanspruch überhaupt bestanden hat, nicht mehr aufrechterhalten hat. In der Entscheidung vom 28. 1. 1999, 8 ObA 163/98y hat der erkennende Senat hiezu unter anderem ausgeführt:

Wie in der Entscheidung 8 ObA 2132/96d ausgeführt, spricht der Wortlaut des Gesetzes, insbesondere der im Gesetz wiederholt gebrauchte Begriff "Entgeltfortzahlung" und die Wortfolge "so behält er seinen Anspruch auf das Entgelt" in § 2 Abs 1 Satz 1 EFZG gegen das Entstehen eines neuen Entgeltfortzahlungsanspruches während einer nach Auslaufen der Entgeltfortzahlung andauernden krankheitsbedingten Arbeitsverhinderung. Nach den Gesetzesmaterialien (RV 1105 BlgNR 13. GP, 14) ist der Entgeltfortzahlunganspruch auf das Arbeitsjahr abgestellt; mit Beginn eines neuen Arbeitsjahres entsteht ein neuer Anspruch. Geht man nun unter Beachtung dieser Materialien von der Systematik des Gesetzes aus, wonach für die Entgeltfortzahlung infolge Krankheit oder Unglücksfalles nicht auf die Dauer der einzelnen Arbeitsverhinderung, sondern nur darauf abgestellt wird, ob im betreffenden Arbeitsjahr das Höchstausmaß an Entgeltfortzahlung bereits ausgeschöpft ist, dann spricht dieses Kontingentsystem (siehe Schrank, Arbeitsrecht und Sozialrecht, 336) eher für den Standpunkt des Revisionswerbers, unabhängig von der Dauer der Arbeitsverhinderung im vorangegangenen Jahr und der damit verbundenen Erschöpfung des Entgeltfortzahlungsanspruches entstehe mit Beginn des neuen Arbeitsjahres auch ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Zutreffend weist der Revisionswerber darauf hin, daß das Erfordernis eines Anspruches auf Entgelt oder Entgeltfortzahlung zu Beginn des neuen Arbeitsjahres zu willkürlichen Ergebnissen führen würde; es würde - mangels einer Wartezeit nach Wiederantritt des Dienstes, wie sie etwa im § 8 Abs 2 AngG mit einem halben Jahr vorgesehen ist - schon die Arbeitsleistung an einem einzigen Tag des neuen Arbitsjahres einen neuen Entgeltfortzahlungsanspruch auslösen. Wie der Revisionswerber zutreffend aufzeigt, läßt der Wortlaut des § 2 Abs 1 Satz 1 EFZG "so behält er seinen Anspruch auf das Entgelt" auch eine Auslegung dahin zu, daß damit lediglich auf das vor der Erkrankung tatsächlich ins Verdienen gebrachte Entgelt Bezug genommen

und zum Ausdruck gebracht wird, daß das Entgelt in dieser Höhe

während der Erkrankung beibehalten wird und nicht nur dahin, daß der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht auf einen Zeitraum folgen könnte, in dem weder Entgelt noch Entgeltfortzahlung geleistet wurde. Ebenso kann der Begriff "Entgeltfortzahlung" dahin verstanden werden, daß er - anders als das Krankengeld - grundsätzlich in Höhe des vor der Erkrankung erzielten Verdienstes zusteht, zumal die Angleichung an den Entgeltfortzahlungsanspruch der Angestellten in dieser Hinsicht die wesentlichste Neuerung dieses Gesetzes war.

Der erkennende Senat hält daher nicht an der in der Entscheidung 8 ObA 2132/96d vertretenen Auffassung fest, die Entstehung eines weiteren Entgeltfortzahlungsanspruches zu Beginn oder im Laufe dieses Arbeitsjahres voraus, sondern schließt sich der schon bisher von Cerny (in Entgeltfortzahlungsgesetz2 § 2 Anm 20), Adametz (in Adametz/Basalka/Krejci/Mayr/Stummvoll, Kommentar zum Entgeltfortzahlungsgesetz § 2 Rz 25), Tomandl (in Arbeitsrecht 22 und 3, 141) und Scherff (im Handbuch der Entgeltfortzahlung zu § 2 Abs 5 EFZG) vertretenen Auffassung an, mit Beginn des nächsten Arbeitsjahres entstehe bei ununterbrochen fortdauernder krankheitsbedingter Arbeitsverhinderung ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch auch dann, wenn der Arbeitnehmer wegen Ausschöpfung des Entgeltanspruches nach dem EFZG zuvor kein Entgelt mehr erhalten hatte.

Auch unabhängig von der somit vereinzelt gebliebenen Entscheidung 8 ObA 2132/96d ist im Sinne der Vorentscheidung 4 Ob 96/81 der zweite Krankenstand der Klägerin ab 10. 2. 1997 als Wiedererkrankung im Sinne des § 8 Abs 2 AngG zu verstehen, sodaß ihr der zusätzliche Anspruch auf Krankenentgelt zusteht.

Die Ausführungen im Rechtsmittel der beklagten Partei wiederholen überwiegend die in der inzwischen abgelehnten Entscheidung 8 ObA 2132/96d gebrauchten Argumente, wonach das Behalten eines Entgeltanspruches einen solchen am Beginn des neuen Arbeitsjahres voraussetzt. Zusätzlich zu den in der Entscheidung 4 Ob 96/81 (und 8 ObA 163/98y gebrauchten Argumenten ist noch auf die Ausführungen von Schrank, aaO, 331 zu verweisen, wonach bei Angestellten der Lauf des Arbeitsjahres überhaupt keine Rolle spielt, sieht von den "Anwartschaftssprüngen" ab. Das Angestelltengesetz differenziert vielmehr (nur) nach Erst- und Wiedererkrankung. Aus all diesen Erwägungen erweist sich daher der Anspruch der Klägerin als berechtigt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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