OGH 9ObA73/23k

OGH9ObA73/23k23.11.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, den Hofrat Dr. Hargassner und die Hofrätin Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Martin Lotz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Karin Koller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei V*, vertreten durch Dr. Ulrich Schwab & Dr. Georg Schwab, Rechtsanwälte in Wels, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen 7.398,07 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 21. Juni 2023, GZ 11 Ra 24/23p‑20, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 6. Februar 2023, GZ 16 Cga 65/22t‑16, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:009OBA00073.23K.1123.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Arbeitsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.000,75 EUR (darin 166,79 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin war vom 1. 12. 2017 bis 31. 3. 2022 beim beklagten Sozialversicherungsträger beschäftigt. Auf das Dienstverhältnis waren die Bestimmungen des Angestelltengesetzes (AngG) sowie der Dienstordnung A für die Angestellten bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO.A) anzuwenden.

[2] Die Klägerin befand sich vom 16. 2. 2021 bis 10. 3. 2022 aufgrund einer Erkrankung durchgehend im Krankenstand. Die Beklagte leistete (nur) bis 6. 8. 2021 Entgeltfortzahlung gemäß § 60 Abs 1 DO.A.

[3] Die Klägerin begehrt von der Beklagten 7.398,07 EUR brutto an Entgeltfortzahlung ab 1. 12. 2021, und zwar für die Dauer von acht Wochen volles Entgelt und für vier Wochen halbes Entgelt. Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf § 8 Abs 2 AngG idF BGBl I 2017/153 (idF kurz: nF). Nach der gegenüber § 60 Abs 2a DO.A günstigeren (Art X Abs 2 Z 17 und Z 18 AngG) Regelung des § 8 Abs 2 AngG nF entstehe mit Beginn eines neuen Arbeitsjahres ein neuerlicher Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Aufgrund der getrennten Anführung des § 8 Abs 1 AngG in Art X Abs 2 Z 17 AngG und des § 8 Abs 2 AngG in Art X Abs 2 Z 18 AngG seien bei der Prüfung des Günstigkeitsvergleichs beide Regelungen getrennt zu untersuchen. Selbst bei der Durchführung eines Gruppenvergleichs beider Regelungen sei der gesetzliche Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 8 AngG günstiger als jener nach § 60 DO.A.

[4] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren dem Grunde nach und beantragte Klagsabweisung. Sie wandte zusammengefasst ein, dass § 8 Abs 1 und 2 AngG nF aufgrund der Übergangsbestimmungen in Art X Abs 2 Z 17 und Z 18 AngG nicht anzuwenden sei, weshalb mit Beginn des neuen Arbeitsjahres für die Klägerin kein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch entstanden sei. Der hier vorzunehmende Gruppengünstigkeitsvergleich zwischen § 8 AngG aF und den Entgeltfortzahlungsbestimmungen der DO.A führe dazu, dass § 8 AngG aF und die kollektivvertraglichen Besserstellungen der DO.A für den Anspruch der Klägerin maßgebend seien.

[5] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es gelangte nach Durchführung eines Gruppengünstigkeitsvergleichs, bei dem es insbesondere die Regelungen des § 60 Abs 1, 2 und 2a DO.A dem § 8 Abs 2 AngG nF gegenüberstellte, zur Ansicht, dass die Bestimmungen der DO.A zur Entgeltfortzahlung insgesamt gegenüber jenen des AngG günstiger seien. Der Klägerin stehe daher mit Beginn des neuen Arbeitsjahres (1. 12. 2021) kein neuerlicher Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 8 Abs 1 AngG nF zu. Generell sei eine Kombination einer Beanspruchung der Entgeltfortzahlung nach den Bestimmungen der DO.A und jenen des AngG nicht möglich.

[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Die in § 60 Abs 1 DO.A enthaltene Regelung, welche für ein weniger als fünf Jahre dauerndes Dienstverhältnis eine Entgeltfortzahlung für drei Monate im Umfang von 100 % vorsehe, sei jedenfalls günstiger als die in § 8 Abs 1 AngG nF enthaltene, weshalb sie nach Art X Abs 2 Z 17 AngG aufrecht bleibe und hier anzuwenden sei. Für die Beurteilung der Günstigkeit zur Klärung der Frage, ob § 8 Abs 2 AngG weiterhin in der Fassung vor oder nach der durch BGBl I 2017/153 erfolgten Änderung anzuwenden sei, habe ausschließlich ein Gruppenvergleich zwischen den in der DO.A und den in § 8 Abs 2 aF enthaltenen Wiedererkrankungsregelungen zu erfolgen, weil diese den ausschließlichen Regelungsinhalt des bisherigen § 8 Abs 2 AngG bildeten. Die Wiedererkrankungsregelung in § 60 Abs 2 DO.A sei günstiger als die Wiedererkrankungsregelung nach § 8 Abs 2 AngG aF. Dies ergebe sich schon allein aus der angeordneten Ausweitung des ersten Kontingents bzw „Topfs“ nach § 8 Abs 1 AngG aF für den Wiedererkrankungsfall. Darüber hinaus ordne § 60 Abs 2 Satz 2 DO.A – ohne Bezugnahme auf den Wiedererkrankungsfall – an, dass nach Ausschöpfung des vorliegend drei Monate dauernden Anspruchs auf 100 %ige Entgeltfortzahlung nach § 60 Abs 1 DO.A auf alle weiteren Dienstverhinderungen infolge Krankheit ausschließlich § 8 Abs 1 und Abs 2 AngG anzuwenden sei. Aufgrund der klaren Anordnung des Art X Abs 2 Z 18 AngG – wonach dann, wenn Normen der kollektiven Rechtsgestaltung für Dienstnehmer günstigere Regelungen zur Entgeltfortzahlung vorsehen als § 8 Abs 2 AngG aF, § 8 Abs 2 AngG für die vom Kollektivvertrag erfassten Dienstnehmer bis zu einer Neuregelung durch die Kollektivvertragspartner weiterhin in dieser alten Fassung zu gelten habe – führe dies dazu, dass § 8 Abs 2 AngG nF mit der darin enthaltenen Regelung zur Auffüllung des Jahreskontingents mit Beginn des Arbeitsjahres bis zu einer bislang nicht erfolgten Neuregelung des Kollektivvertrags durch die Kollektivvertragsparteien noch nicht anzuwenden sei.

[7] Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil der Oberste Gerichtshof zur Interpretation, Bedeutung und den Konsequenzen der Übergangsbestimmungen der Novellierung des AngG durch BGBl I 2017/153 noch nicht Stellung genommen habe.

[8] In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Klägerin die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision der Klägerin nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

[11] 1. § 8 AngG regelt den Anspruch des Angestellten bei Dienstverhinderung.

[12] 1.1. In der bis 30. 6. 2018 geltenden Fassung lauteten dessen Abs 1 uns 2 wie folgt:

„(1) Ist ein Angestellter nach Antritt des Dienstverhältnisses durch Krankheit oder Unglücksfall an der Leistung seiner Dienste verhindert, ohne dass er die Verhinderung vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat, so behält er seinen Anspruch auf das Entgelt bis zur Dauer von sechs Wochen. Beruht die Dienstverhinderung jedoch auf einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit im Sinne der Vorschriften über die gesetzliche Unfallversicherung, so verlängert sich die Frist von sechs Wochen um die Dauer dieser Dienstverhinderungen, höchstens jedoch um zwei Wochen. Der Anspruch auf das Entgelt beträgt, wenn das Dienstverhältnis fünf Jahre gedauert hat, jedenfalls acht Wochen; es erhöht sich auf die Dauer von zehn Wochen, wenn es fünfzehn Jahre, und auf zwölf Wochen, wenn es fünfundzwanzig Jahre ununterbrochen gedauert hat. Durch je weitere vier Wochen behält der Angestellte den Anspruch auf das halbe Entgelt.

(2) Tritt innerhalb eines halben Jahres nach Wiederantritt des Dienstes abermals eine Dienstverhinderung ein, so hat der Angestellte für die Zeit der Dienstverhinderung, soweit die Gesamtdauer der Verhinderungen die im Absatz 1 bezeichneten Zeiträume übersteigt, Anspruch nur auf die Hälfte des ihm gemäß Absatz 1 gebührenden Entgeltes.“

[13] 1.2.1. Durch die mit 1. 7. 2018 in Kraft getretene Neuregelung des § 8 AngG wurde der Entgeltfort-zahlungsanspruch der Angestellten an den der Arbeiter nach dem EFZG angeglichen (BGBl I 2017/153). Hauptpunkte der Neuregelung waren unter anderem (soweit im vorliegenden Verfahren relevant), dass der Anspruch auf Entgeltfortzahlung bis zur Dauer von acht Wochen im Unterschied zur alten Rechtslage bereits nach einjähriger Dauer des Dienstverhältnisses entsteht sowie der Entfall der Wiedererkrankungsregelung des § 8 Abs 2 AngG. Letzterer Punkt bedeutet, dass mit Beginn eines neuen Arbeitsjahres der Anspruch wieder in vollem Umfang entsteht. Reicht daher eine Arbeitsverhinderung von einem Arbeitsjahr ins nächste Arbeitsjahr, steht nunmehr mit Beginn des neuen Arbeitsjahres wieder der volle Entgeltfortzahlungsanspruch zu; dies gilt auch dann, wenn im alten Arbeitsjahr wegen Ausschöpfung des Anspruchs keine Entgeltfortzahlung mehr bestand (Erläut zum IA 2306/A XXV. GP , 7; Drs in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 8 AngG Rz 98/1; Burger in Reissner, Angestelltengesetz4 § 8 Rz 52a; Glowacka, Angleichung Arbeiter – Angestellte bei der Entgeltfortzahlung, ZAS 2017/66, 339 [340]).

[14] 1.2.2. § 8 Abs 1 und 2 AngG idF BGBl I 2017/153 lauten:

„(1) Ist ein Angestellter nach Antritt des Dienstverhältnisses durch Krankheit oder Unglücksfall an der Leistung seiner Dienste verhindert, ohne dass er die Verhinderung vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat, so behält er seinen Anspruch auf das Entgelt bis zur Dauer von sechs Wochen. Der Anspruch auf das Entgelt beträgt, wenn das Dienstverhältnis ein Jahr gedauert hat, jedenfalls acht Wochen; es erhöht sich auf die Dauer von zehn Wochen, wenn es fünfzehn Jahre, und auf zwölf Wochen, wenn es fünfundzwanzig Jahre ununterbrochen gedauert hat. Durch je weitere vier Wochen behält der Angestellte den Anspruch auf das halbe Entgelt.

(2) Bei wiederholter Dienstverhinderung durch Krankheit (Unglücksfall) innerhalb eines Arbeitsjahres besteht ein Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts nur insoweit, als die Dauer des Anspruches gemäß Abs. 1 noch nicht erschöpft ist.“

[15] 1.3.1. Die Bestimmungen über das Inkrafttreten und die Übergangsbestimmungen zur Neuregelung des § 8 AngG lauten:

„Art X Z 14: § 8 Abs. 1 bis 2a und 9 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 153/2017, treten mit 1. Juli 2018 in Kraft und sind auf Dienstverhinderungen anzuwenden, die in nach dem 30. Juni 2018 begonnenen Arbeitsjahren eingetreten sind. Für zu diesem Zeitpunkt laufende Dienstverhinderungen gilt § 8 Abs. 1 bis 2a in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 153/2017 ab Beginn dieses Arbeitsjahres.

Art X Z 17: Normen der kollektiven Rechtsgestaltung, die für Dienstnehmer günstigere Regelungen auf Entgeltfortzahlung als nach § 8 Abs. 1 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 153/2017 vorsehen, bleiben aufrecht.

Art X Z 18: Sehen Normen der kollektiven Rechtsgestaltung für Dienstnehmer günstigere Regelungen zur Entgeltfortzahlung als nach § 8 Abs. 2 in der Fassung vor den Änderungen durch das BGBl. I Nr. 153/2017 vor, gilt für die erfassten Dienstnehmer § 8 Abs. 2 bis zu einer Neuregelung weiterhin in der Fassung vor den Änderungen durch das BGBl. I Nr. 153/2017.“

[16] 1.3.2. Nach der Übergangsregelung des Art X Z 17 AngG bleiben somit Normen der kollektiven Rechtsgestaltung (KollV, BV), die bereits vor Inkrafttreten der Neuregelung für die Angestellten bei Ersterkrankungen günstigere Regelungen auf Entgeltfortzahlung vorsahen (zB längere Entgeltfortzahlungsdauer), aufrecht. Es ist daher jeweils zu prüfen, ob bereits bestehende Regelungen des KollV bzw der BV günstiger sind als die gesetzliche Neuregelung (Drs in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 Art X AngG Rz 4).

[17] 1.3.3. Nach der Übergangsregelung des Art X Z 18 AngG gilt darüber hinaus für den Fall, dass der KollV bzw die BV für die Angestellten eine günstigere Regelung für den Fall der Wiedererkrankung vorsieht (zB Zuschuss zum gesetzlichen Krankengeld), § 8 Abs 2 für die vom KollV bzw die BV erfassten Arbeitnehmer (egal, ob das Arbeitsverhältnis bei Inkrafttreten der Neuregelung schon bestanden hat) bis zu einer Neuregelung des KollV bzw der BV weiterhin in der alten Fassung (dh vor den Änderungen durch das BGBl I 2017/153). Diese Sonderbestimmung ist notwendig, da das neue Entgeltfortzahlungsrecht bei einer Wiedererkrankung auf das Arbeitsjahr abstellt, während das Altrecht von einer Wiedererkrankung sprach, wenn die Dienstverhinderung binnen eines halben Jahres ab Wiederantritt des Dienstes nach einer Ersterkrankung eintrat und diese beiden Systeme nicht zusammenpassen (Drs in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 Art X AngG Rz 5). Stegmüller (Angleichung der Entgeltfortzahlungssysteme: Auswirkungen auf kollektiv-vertragliche Entgeltfortzahlungsansprüche, ZAS 2017/67, 343 [346]) bezeichnet diese Übergangsbestimmung als ungewöhnlich. Seiner Ansicht nach sei der sozialpolitische Hintergrund der neuen Bestimmung der, dass manche kollektivvertraglichen Regelungen und Betriebsvereinbarungen derart eng mit dem Entgeltfortzahlungssystem des AngG verbunden seien, dass sie mit der neuen Gesetzeslage nur schwer kompatibel seien. Wachter (Die neuen Regelungen der Entgeltfortzahlung, in Wachter, Arbeits‑ und Sozialrecht, Jahrbuch 2018, 77 [84]) erklärt diese „merkwürdig anmutende Gesetzestechnik“ damit, dass Regelungsgegenstand des Art X Z 18 AngG nicht (wie in Art X Z 17 AngG) das Weitergelten der Normen der kollektiven Rechtsgestaltung sei. Vielmehr werde das Inkrafttreten des diesbezüglichen Gesetzesparagrafen, nämlich des neuen § 8 Abs 2 AngG für bestimmte Arbeitnehmer bis zu einer Neuregelung der Normen der kollektiven Rechtsgestaltung aufgeschoben. Für die von den Normen der kollektiven Rechtsgestaltung erfassten Arbeitnehmer wird – bis zur Neuregelung durch eine kollektivvertragliche Regelung – nicht auf den Anspruchszeitraum Arbeitsjahr umgestellt.

[18] 2. Die Dienstordnung A für Angestellte bei den Sozialversicherungsträgern Österreichs (DO.A), ein Kollektivvertrag (RS0054394), regelt in ihrem § 60 die Bezüge des Angestellten bei Erkrankung. Diese Bestimmung (idF 2021) lautet in ihren hier interessierenden Punkten wie folgt:

„(1) Ist der Angestellte durch Krankheit oder Unglücksfall an der Leistung seiner Dienste verhindert, werden die Dienstbezüge weitergezahlt, und zwar

1. die ständigen Bezüge gemäß § 35 Abs 2 Z 1 bis 10 – mit Ausnahme der Erschwerniszulage gemäß § 46 Abs 1 Z 3 lit l bis lit n – nach einer anrechenbaren Dienstzeit (§ 15) von

a) weniger als 5 Jahren ...... 3 Monate zu 100 %,

b) 5 Jahren .................... 6 Monate zu 100 %,

c) 10 Jahren .................... 6 Monate zu 100 %

und ............................ 6 Monate zu 75 %,

d) 15 Jahren .................... 9 Monate zu 100 %

und ............................ 3 Monate zu 75 %,

e) 20 Jahren .................. 12 Monate zu 100 %;

2. die übrigen Dienstbezüge nach einer anrechenbaren Dienstzeit (§ 15) von weniger als 10 Jahren

durch ........................................ 3 Monate,

10 Jahren durch ........................... 4 Monate,

wie folgt:

(2) Tritt innerhalb von sechs Monaten nach Wiederantritt des Dienstes abermals eine Dienstverhinderung infolge Krankheit ein, so gilt diese als Fortsetzung der ersten Erkrankung. Ist der Anspruch nach Abs 1 erschöpft, sind auf alle weiteren Dienstverhinderungen infolge Krankheit ausschließlich § 8 Abs 1 und 2 AngG anzuwenden.

(2a) Ein neuerlicher Anspruch nach Abs 1 entsteht erst

1. nach sechs durchgehenden Monaten ohne Dienstverhinderung infolge Krankheit, oder

…“

[19] 3. Im Fall der Klägerin gilt zunächst – insoweit zwischen den Parteien unstrittig – § 8 Abs 1 und 2 AngG idF BGBl I 2017/153 (Art X Abs 2 Z 14 AngG). Für die Anspruchsberechtigung der Klägerin sind aber die Übergangsbestimmungen maßgebend. Danach ist eine Günstigkeitsprüfung vorzunehmen, und zwar zwischen den Normen der DO.A und § 8 Abs 1 AngG nF (Art X Abs 2 Z 17 AngG) einerseits und § 8 Abs 2 AngG aF (Art X Abs 2 Z 18 AngG) andererseits. Damit ordnet das Gesetz selbst eine punktuelle Günstigkeitsprüfung im jeweiligen Regelungsteil an (Reissner, Die Neuerungen aufgrund der „Arbeiter‑Gleichstellungsnovelle“ BGBl I 2017/153 in Reissner/Mair, Innsbrucker Jahrbuch zum Arbeitsrecht und Sozialrecht 2018, 33, [42]). Nach Auffassung des Senats erscheint daher eine normenbezogene Günstigkeitsprüfung geboten, wobei die jeweils objektiv günstigere Regelungsgruppe (Art X Abs 2 Z 17 AngG bzw Art X Abs 2 Z 18 AngG) als solche gilt (vgl inofern auch Schrank, „Arbeitnehmer‑Angleichungspaket“: Inkrafttretens-, Anwartschafts‑, Günstigkeits‑ und Umgehungsschutzfragen, RdW 2018/32, 33 [35], der aber dann für einen Gruppengünstigkeitsvergleich im Sinne des § 3 Abs 2 ArbVG [ohne Vermischung von alt und neu] eintritt).

[20] 4. Die Revision teilt grundsätzlich die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass die Regelung des § 60 Abs 2 DO.A günstiger sei, als § 8 Abs 2 AngG aF, dies aber mit der Einschränkung, dass sich die Günstigkeit nur auf das erste Erkrankungsjahr mit jahresübergreifendem Krankenstand beziehe, weil nach der Rechtsprechung bei ununterbrochen fortdauernder krankheitsbedingter Arbeitsverhinderung mit Beginn des nächsten Arbeitsjahres ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch auch dann entstehe, wenn der Arbeitnehmer zuerst wegen Ausschöpfung des Entgeltfortzahlungsanspruchs kein Entgelt mehr erhalten hatte.

[21] Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass sich diese von der Revisionswerberin zitierte Rechtsprechung (RS0111429) nur auf das EFZG bezieht. Vor der Novelle BGBl I 2017/153 galt das Arbeitsjahrprinzip für das AngG nicht. Dies war ja auch ein wesentlicher Grund für die Angleichung der (insoweit günstigeren) Entgeltfort-zahlungsbestimmungen der Arbeiter und der Angestellten.

[22] 5. Soweit die Revisionswerberin ihren – auf § 8 Abs 2 AngG nF gestützten – Anspruch aus § 60 Abs 2 Satz 2 DO.A ableiten will, übersieht sie, dass § 60 Abs 2 DO.A auf ihren Krankenstand gar nicht anwendbar ist. Diese Bestimmung regelt den Fall einer abermaligen Dienstverhinderung nach Wiederantritt des Dienstes (§ 60 Abs 1 Satz 1 DO.A). Die ausschließliche Anwendbarkeit des § 8 Abs 1 und 2 AngG nach Erschöpfung des Anspruchs gemäß § 60 Abs 1 DO.A betrifft daher nach dem Wortlaut des § 60 Abs 2 Satz 2 auch nur „alle weiteren Dienstverhinderungen infolge Krankheit“. Wie die Klägerin in ihrer Revision aber selbst betont, sind sämtliche Bestimmungen, die sich inhaltlich auf eine Wiedererkrankung beziehen, schon inhaltlich nicht auf den gegenständlichen Fall anwendbar, weil bei ihr ein durchgehender Krankenstand vorlag. Demzufolge ist im vorliegenden Fall auch kein (abschließender) Günstigkeitsvergleich zwischen den Wiedererkrankungsregelungen der DO.A und des § 8 Abs 2 AngG aF (vgl Art X Abs 2 Z 18 AngG) vorzunehmen.

[23] 6. Wie bereits erwähnt, stützt die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren ihren Klagsanspruch auf § 8 Abs 2 AngG nF, welche Bestimmung sie gemäß § 60 Abs 2 und 2a DO.A angewendet wissen möchte. Auf die Bestimmung des § 60 Abs 2a DO.A (iVm § 60 Abs 1 DO.A) nimmt die Beklagte in ihrer Revision – anders als in der Klage – zwar nicht mehr Bezug. Dennoch ist zu prüfen (RS0043352), ob der Klagsanspruch aus diesem Grund oder anderen rechtlichen Erwägungen nicht doch berechtigt ist.

[24] 7.1. Geht man davon aus, dass das durch die Novelle BGBl I 2017/153 eingeführte Arbeitsjahrprinzip, wonach die Kontingente der Entgeltfortzahlung bei Krankheiten nunmehr auf das Arbeitsjahr bezogen werden, (auch) in § 8 Abs 1 AngG nF verankert ist, weil auch bei einer Ersterkrankung, die ins nächste Arbeitsjahr reicht, nach der neuen Rechtslage mit Beginn des neuen Arbeitsjahres wieder der volle Entgeltfortzahlungsanspruch zusteht, selbst wenn im alten Arbeitsjahr wegen Ausschöpfung des Anspruchs keine Entgeltfortzahlung mehr bestand, dann kann Grundlage für den Klagsanspruch nur § 8 Abs 1 AngG nF sein. Nach Art X Abs 2 Z 17 AngG kommt § 8 Abs 1 AngG nF aber nur zur Anwendung, wenn die kollektivvertraglichen Bestimmungen der DO.A im Zusammenhang mit Ersterkrankungen keine günstigeren Regelungen vorsehen.

[25] 7.2. Vergleicht man nun § 60 Abs 1, 2a DO.A mit § 8 Abs 1 AngG nF, so ist zunächst das in § 8 Abs 1 AngG nF normierte Arbeitsjahrprinzip gegenüber dem nach § 60 Abs 2a Z 1 DO.A herrschenden Anlassfallprinzip für den Angestellten dann günstiger, wenn seine (Erst‑)Erkrankung über ein Arbeitsjahr hinausgeht, weil mit Beginn des neuen Arbeitsjahres das Entgeltfortzahlungskontingent wieder aufgefüllt wird. Treten jedoch beim Angestellten innerhalb eines Arbeitsjahres zwei Ersterkrankungen auf, dann ist das Anlassfallprinzip insofern günstiger, als nach sechs durchgehenden Monaten ohne Dienstverhinderung infolge Krankheit (§ 60 Abs 2a Z 1 DO.A) wieder das volle Entgeltfortzahlungskontingent nach § 60 Abs 1 DO.A zur Verfügung steht, wohingegen nach § 8 Abs 1 AngG nF innerhalb eines Arbeitsjahres das Kontingent nur einmal zusteht. Ein Vergleich der Bezugsdauer fällt jedoch eindeutig zugunsten der DO.A aus. § 60 Abs 1 Z 1 lit a DO.A sieht schon nach einer anrechenbaren Dienstzeit von weniger als fünf Jahren eine Weiterzahlung des Entgelts für drei Monate im Ausmaß von 100 % bestimmter ständiger Dienstbezüge (§ 60 Abs 1 Z 1 DO.A) vor, während dem Angestellten nach § 8 Abs 1 AngG nF nur ein voller Entgeltanspruch bis zur Dauer von sechs Wochen und nach einer einjährigen Dauer des Dienstverhältnisses von acht Wochen zusteht. Erst wenn das Dienstverhältnis des Angestellten 25 Jahre ununterbrochen gedauert hat, hat er einen vollen Entgeltfortzahlungsanspruch von zwölf Wochen. Durch je weitere vier Wochen behält der Angestellte jeweils den Anspruch auf das halbe Entgelt. Zudem sind die in § 60 Abs 1 Z 1 lit a) bis e) DO.A normierten Verlängerungen der Entgeltfortzahlungszeiträume nach der Dauer der Dienstzeit für Angestellte, die der DO.A unterliegen, viel günstiger, als für jene Angestellten, die in den Geltungsbereich des § 8 Abs 1 AngG fallen.

[26] 7.3. Dies führt zusammengefasst zum Ergebnis, dass (auch) § 8 Abs 1 AngG nF auf den (Erst‑)Erkrankungsfall der Klägerin nicht zur Anwendung kommt, weil der insoweit zu vergleichende Regelungsgegenstand der DO.A in seiner Gesamtheit unter Anlegung eines objektiven Maßstabs (vgl 9 ObA 53/18m Pkt 1.3. mwN) günstigere Entgeltfortzahlungs-regelungen aufweist.

[27] Der Revision der Klägerin war daher nicht Folge zu geben.

[28] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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