European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:009OBA00020.21P.0429.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.307,52 EUR (darin 217,92 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens sowie die mit 1.568,52 EUR (darin 261,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin war bei der Beklagten von 1. 8. 2014 bis 31. 3. 2018 mit einem Sondervertrag nach dem Tiroler Landesbedienstetengesetz beschäftigt.
[2] Im Verfahren AZ 46 Cga 74/19m des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht begehrte die Klägerin mit ihrer am 24. 9. 2019 eingebrachten Stufenklage
1. die Ausstellung und Aushändigung einer Gehaltsvergleichsrechnung zwischen der tatsächlichen Entlohnung der Klägerin im Zeitraum 1. 1. 2017 bis 31. 3. 2018 einerseits und einer Entlohnung nach dem Vergütungssystem neu gemäß den §§ 35 ff LBedG andererseits für denselben Zeitraum sowie
2. die Bezahlung des sich aus dem Gehaltsvergleich ergebenden Guthabenbetrags zuzüglich 8,58 % Zinsen ab Fälligkeit, wobei sich die Klägerin die ziffernmäßige Festsetzung des Zahlungs- und Zinsenbegehrens bis zur Ausstellung und Aushändigung der begehrten Gehaltsvergleichsrechnung vorbehielt.
[3] Die Klagebegehren wurden mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 27. 7. 2020 abgewiesen. Das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen gab der Berufung der Klägerin mit Urteil vom 25. 3. 2021 keine Folge. Die ordentliche Revision wurde nicht zugelassen. Die Klägerin erhob am 26. 4. 2021 eine außerordentliche Revision. Das Verfahren ist somit noch nicht rechtskräftig beendet.
[4] Mit der vorliegenden Klage vom 3. 9. 2020 stellte die Klägerinein zum Punkt 1. der Stufenklage identes Begehren betreffend Ausstellung und Aushändigung der Gehaltsvergleichsrechnung. In beiden Verfahren stützt sich die Klägerin auf eine ausdrückliche Zusage der Beklagten. Da das Erstgericht im Verfahren AZ 46 Cga 74/19m erörtert habe, dass ein Stufenbegehren voraussetze, dass der zu Punkt 2. angestrebte Leistungsanspruch bereits fällig sei, dies jedoch mangels ausgeübten Optionsrechts der Klägerin nicht der Fall sei, sei aus anwaltlicher Vorsicht der subjektive Rechtsanspruch der Klägerin auf Ausstellung und Aushändigung einer Gehaltsvergleichsrechnung mit (einfacher) Leistungsklage gesondert geltend zu machen.
[5] Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und beantragte, die Klage wegen Streitanhängigkeit zurück-, in eventu abzuweisen.
[6] Das Erstgericht wies die Klage aufgrund des Vorliegens des Prozesshindernisses der Streitanhängigkeit gemäß § 233 Abs 1 ZPO zurück. Im Rahmen einer Stufenklage sei das Verfahren über den Rechnungslegungsanspruch vom Verfahren über den Leistungsanspruch getrennt zu führen. Damit liege aber im gegenständlichen Fall bis zur rechtskräftigen Entscheidung über das Manifestationsbegehren im Parallelverfahren Streitanhängigkeit vor.
[7] Das Rekursgericht gab dem gegen diese Entscheidung gerichteten Rekurs der Klägerin Folge und änderte den angefochtenen Beschluss dahin ab, dass die Einrede der Streitanhängigkeit verworfen und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufgetragen wurde. Der im gegenständlichen Verfahren geltend gemachte, behauptetermaßen auf einer entsprechenden vertraglichen Zusage gegründete, solitäre Rechnungslegungsanspruch sei von der tatsächlichen Ausübung des Optionsrechts zu unterscheiden und bestehe daher auch unabhängig davon, ob die Klägerin das Optionsrecht tatsächlich ausübe und ihr ein Entgeltdifferenzanspruch zukomme. Daher würde die Klägerin in den beiden Verfahren mit ihren auf unterschiedlichen Klagstypen beruhenden Begehren unterschiedliche Rechtsschutzziele verfolgen, sodass nicht vom Vorliegen des Prozesshindernisses der Streitanhängigkeit auszugehen sei.
[8] Das Rekursgericht hat den Revisionsrekurs mit der Begründung zugelassen, dass zu „einer Konstellation wie der vorliegenden“ bisher keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.
[9] In ihrem dagegen gerichteten Revisionsrekurs beantragt die Beklagte die Entscheidung des Rekursgerichts dahin abzuändern, dass der erstgerichtliche Beschluss wiederhergestellt werde.
[10] Die Klägerin beantragt in ihrerRevisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs der Beklagten als unzulässig zurückzuweisen, in eventu, ihm nicht Folge zu geben.
[11] Der Revisionsrekurs der Beklagten ist zur Wahrung der Rechtssicherheit zulässig und im Sinne einer Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
[12] 1. Nach § 233 Abs 1 ZPO hat die Streitanhängigkeit die Wirkung, „dass während ihrer Dauer über den geltend gemachten Anspruch weder bei demselben noch bei einem anderen Gerichte ein Rechtsstreit durchgeführt werden darf“.Streitanhängigkeit setzt neben der Parteienidentität die Identität des Anspruchs voraus (vgl RS0039473). Derselbe Anspruch liegt dann vor, wenn der in der neuen Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch sowohl hinsichtlich des Begehrens als auch des rechtserzeugenden Sachverhalts, also des Klagegrundes, ident ist mit jenem des Vorprozesses (RS0039473 [T2]; RS0039347). Von einer Gleichheit der Ansprüche kann nur dann ausgegangen werden, wenn sich aus den vorgebrachten rechtserzeugenden Tatsachen und dem daraus abgeleiteten Begehren ergibt, dass beide Sachanträge dasselbe Rechtsschutzziel anstreben (RS0039196 [T1, T5]; Ziehensack in Höllwerth/Ziehensack ZPO‑Takom § 233 ZPO Rz 5). Selbst bei einer Verschiedenheit der Begehren (zB unterschiedliche Klagstypen oder unterschiedlicher Inhalt der begehrten Leistung, Feststellung oder Rechtsgestaltung), ist Streitanhängigkeit gegeben, wenn der Inhalt der Begehren in einem solchen Verhältnis zueinander steht, dass die Entscheidung über die erste Klage auch das zweite Verfahren vollständig erledigen würde (Mayr in Fasching/Konecny 3 III/1 § 233 ZPO Rz 8 unter Hinweis auf 10 Ob 29/15k).
[13] 2. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Parteien der beiden Verfahren sind ident, zur Begründung des Anspruchs auf Ausstellung und Aushändigung der Gehaltsvergleichsrechnung wird der gleiche Sachverhalt, nämlich die Zusage der Beklagten, vorgebracht, das Manifestationsbegehren der Stufenklage ist wortgleich dem gegenständlichen Leistungsbegehren und mit beiden Sachanträgen wird dasselbe Rechtsschutzziel, nämlich die Durchsetzung der (vertraglichen) Zusage der Beklagten angestrebt.
[14] 3.1. Dieser Beurteilung liegt zugrunde, dass der erste Anwendungsfall des Art XLII EGZPO keinen neuen materiell‑rechtlichen Anspruch auf Vermögensangabe, Rechnungslegung oder Auskunftserteilung begründet, sondern vielmehr voraussetzt, dass eine solche Verpflichtung – hier nach den Behauptungen der Klägerin die vertragliche Zusage – schon nach bürgerlichem Recht besteht (RS0034986 [T1]; vgl RS0106851). Bei der Stufenklage handelt es sich um die Möglichkeit, eine Klage auf Leistung mit einer Klage gemäß Art XLII Abs 1 EGZPO zu verbinden, wobei die bestimmte Angabe der begehrten Leistung vorbehalten werden kann, bis die eidliche Angabe über das Vermögen gemacht worden ist (Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka 5 Art XLII EGZPO Rz 4; vgl RS0034902). Die Stufenklage kann dogmatisch als objektive Klagehäufung im Sinne des § 227 ZPO verstanden werden, bei der beide Ansprüche den Streitgegenstand bilden (6 Ob 5/02g; Konecny in Fasching/Konecny 3 II/1 Art XLII EGZPO Rz 111) und zugleich streitanhängig werden (Hagen, Probleme der Stufenklage, ÖJZ 1971, 511 [512]).
[15] 3.2. Im Rahmen der Stufenklage ist daher das rechtliche Schicksal des Manifestationsbegehrens grundsätzlich unabhängig von demjenigen des Herausgabebegehrens zu beurteilen (4 Ob 243/17i Pkt. 3.3.). Das Gericht hat das Manifestationsverfahren vom Verfahren über den Leistungsanspruch getrennt zu führen und bejahendenfalls zunächst ein Teilurteil über den erstgenannten Anspruch zu fällen (RS0035069 [T1]; RS0108687 [T1]). Über das Leistungsbegehren ist erst im Endurteil zu entscheiden (9 ObA 50/11k; Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka 5 Art XLII EGZPO Rz 4). Die Bindungswirkung des rechtskräftigen Urteils über die Rechnungslegung schließt die Verhandlung, Beweisaufnahme und neuerliche Prüfung des bereits rechtskräftig entschiedenen Klageanspruchs aus (RS0035069), ist doch gemäß § 392 Abs 1 ZPO jedes Teilurteil im Betreff der Rechtsmittel und der Exekution als ein selbständiges Urteil zu betrachten (4 Ob 182/13p Pkt 4.; vgl 8 ObA 19/11v Pkt 5.; Konecny in Fasching/Konecny 3 II/1 Art XLII EGZPO Rz 122). Wird das Manifestationsbegehren abgewiesen, ist gleichzeitig auch der für sich allein unzulässige unbestimmte Leistungsanspruch abzuweisen (RS0035113 [T1]).
[16] 4. Im Ergebnisbesteht somit zwischen dem Streitgegenstand des Manifestationsbegehrens im Verfahren AZ 46 Cga 74/19m des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht und dem des gegenständlichen Begehrens auf Ausstellung und Aushändigung der Gehaltsvergleichsrechnung Identität. Die Klagszurückweisung durch das Erstgericht gemäß § 233 Abs 1 Satz 2 ZPO erfolgte daher zu Recht.
[17] Dem Revisionsrekurs der Beklagten war daher Folge zu geben und die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.
[18] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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