OGH 9ObA12/16d

OGH9ObA12/16d18.3.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Peter Schleinbach als weitere Richter in den verbundenen Arbeitsrechtssachen der klagenden Partei G***** N*****, vertreten durch Gerlach Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei A***** W*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Mag. Dr. Johannes Winkler, Rechtsanwalt in Linz, wegen Anfechtung von Entlassungen, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 7. Juli 2015, GZ 11 Ra 40/15d‑33, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 5. Jänner 2015, GZ 9 Cga 67/13t‑28, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00012.16D.0318.000

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der Beschluss des Berufungsgerichts wird aufgehoben und in der Sache selbst dahin erkannt, dass das klagestattgebende Urteil des Erstgerichts einschließlich der Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.845,08 EUR (darin 474,18 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war bei der Beklagten seit 1. 10. 1991 beschäftigt. Als Prokurist des Unternehmens war er im Wesentlichen für die Betreuung der EDV zuständig.

Im Jahr 2009 vereinbarte der Kläger mit dem Geschäftsführer der Beklagten, Ing. A. W., eine jährliche (bezogen auf das Geschäftsjahr) Prämie von 25.000 EUR. Diese sogenannte Augustprämie wurde dem Kläger und im Übrigen auch der weiteren Geschäftsführerin der Beklagten und Tochter des Geschäftsführers Ing. A. W., C. W., erstmals im Jahr 2009 (für das Geschäftsjahr 2008/2009) und danach auch in den Folgejahren 2010 und 2011 ausbezahlt.

Im Jahr 2012 verweigerte die Beklagte die Auszahlung der Augustprämie. Da der Kläger die Prämie dennoch einforderte, wurde er von der Beklagten am 17. 4. 2013 dienstfrei gestellt. Nach Ende der Dienstfreistellung und des Krankenstands nahm der Kläger am 6. 5. 2013 seine Tätigkeit bei der Beklagten wieder auf.

Am 22. 5. 2013 forderte die ‑ zum damaligen Zeitpunkt bereits rechtsfreundlich vertretene ‑ Beklagte vom Kläger die für die beiden Vorjahre 2010 und 2011 geleistete Augustprämie bis 5. 6. 2013 zurück, andernfalls eine Entlassung wegen Vertrauensunwürdigkeit vorbehalten bleibe. Der Kläger, ebenfalls bereits anwaltlich vertreten, forderte mit Schreiben vom 27. 5. 2013 hingegen die Auszahlung der Augustprämie 2012 bis spätestens 4. 6. 2013. In der Folge wurde der Kläger erneut dienstfrei gestellt. Ab 31. 5. 2013 befand sich der Kläger im Krankenstand.

Mit Schreiben vom 31. 5. 2013 forderte die Beklagte vom Kläger die Rückgabe des in seinem Besitz befindlichen Firmeneigentums, insbesondere der wichtigsten Schlüssel, bis 5. 6. 2013. Der Kläger übergab die wesentlichen Gegenstände seinem Anwalt, der am 5. 6. 2013 versuchte, mit dem Vertreter der Beklagten die Übergabe der Gegenstände zu koordinieren.

Dennoch wurde der Kläger von der Beklagten am darauffolgenden Tag, dem 6. 6. 2013, mit der Begründung entlassen, dass er das Firmeneigentum nicht rechtzeitig retourniert und auch die für die Jahre 2010 und 2011 geleisteten Prämien nicht zurückbezahlt habe.

Am 11. 7. 2013 sprach die Beklagte neuerlich und zwar für den Fall, dass die bereits vom Kläger bei Gericht eingebrachte Entlassungsanfechtung erfolgreich sein sollte, die Entlassung aus. Ihr sei nunmehr zur Kenntnis gelangt, dass der Kläger Daten gelöscht und mittels einer installierten Software eine Wiederherstellung der Daten unmöglich gemacht habe.

Der Kläger hat nicht mit Dritten über die strittige Augustprämie 2012 bzw über die Differenzen zwischen ihm und der Beklagten gesprochen. Als der Kläger einmal mit seinem ehemaligen Arbeitskollegen K. B. über die Zukunft der Beklagten sprach, meinte er, das Unternehmen werde in der Kombination mit der Geschäftsführerin der Beklagten, C. W., an die Wand gefahren. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Kläger ansonsten mit Außenstehenden schlecht oder abwertend über die Geschäftsführerin oder deren fachliche Kompetenz gesprochen hat. K. B. war früher längere Zeit bei der Beklagten beschäftigt gewesen und arbeitet nun bei einem wichtigen Kunden der Beklagten.

Die beiden Entlassungen des Klägers erfolgten, weil der Kläger von der Beklagten die Bezahlung der Augustprämie für 2012 verlangt hatte. Zum Zeitpunkt der beiden Entlassungen gab es kein anderes Motiv für die Entlassungen des Klägers.

Mit den beiden verbundenen Klagen begehrt der Kläger die Unwirksamerklärung der Entlassungen vom 6. 6. 2013 und 11. 7. 2013. Die Entlassungen seien unzulässige Motiventlassungen, weil er die ihm zustehende Augustprämie eingefordert habe. Die von der Beklagten geltend gemachten Entlassungsgründe seien bloß vorgeschoben. Darüber hinaus seien die Entlassungen sozial ungerechtfertigt.

Die Beklagte bestritt die Klagebegehren und beantragte Klagsabweisung. Die Entlassungen seien wegen zahlreicher Fehlverhalten des Klägers berechtigt erfolgt. Soweit für das Revisionsverfahren noch relevant, stützte die Beklagte die Entlassungen auch auf eine ‑ nachträglich durch die Aussage des Zeugen K. B. in der mündlichen Verhandlung des gegenständlichen Rechtsstreits vom 16. 9. 2014 hervorgekommene ‑ Äußerung des Klägers, mit der er die Geschäftsführer der Beklagten schlecht gemacht habe. Dadurch habe der Kläger auch die Geschäftsbeziehung zwischen der Beklagten und einem ihrer Kunden, bei der K. B. beschäftigt ist, vorsätzlich gefährdet. Der schwere Verstoß des Klägers gegen seine Verschwiegenheits‑ und Treuepflicht verwirkliche die Entlassungsgründe der Untreue und Vertrauensunwürdigkeit.

Das Erstgericht erklärte beide Entlassungen für rechtsunwirksam. Die Beklagte habe das Arbeitsverhältnis wegen der Prämienforderung des Klägers und somit aus einem verpönten Motiv iSd § 105 Abs 3 Z 1 lit i ArbVG ausgesprochen. Entlassungsgründe lägen nicht vor. Die Äußerung des Klägers gegenüber K. B. stelle lediglich seine subjektive Ansicht in einem Gespräch mit einem ehemaligen Arbeitskollegen dar. Der Kläger habe nicht beabsichtigt, die Geschäftsführerin der Beklagten damit zu diffamieren. Jedenfalls wiege die Äußerung des Klägers nicht so schwer, dass das Vertrauen der Beklagten derart heftig erschüttert worden wäre, dass ihr eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden hätte können.

Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Beklagten erhobenen Berufung Folge und hob das Ersturteil zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung auf. Auch die erfolgreiche Anfechtung der Entlassung wegen eines verpönten Motivs iSd § 106 Abs 2, § 105 Abs 3 Z 1 ArbVG setze voraus, dass kein Entlassungsgrund vorliege. Entlassungsgründe könnten auch im Anfechtungsverfahren wegen eines verpönten Motivs nachgeschoben werden. Die Entlassungen durch die Beklagte seien zwar wegen eines verpönten Motivs erfolgt, die Äußerung des Klägers gegenüber K. B., das Unternehmen der Beklagten werde in Kombination mit der Geschäftsführerin an die Wand gefahren, erfülle jedoch den Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit iSd § 27 Z 1 AngG. Der Kläger habe durch seinen damit erhobenen Vorwurf der Unfähigkeit der Geschäftsführer deren Autorität massiv untergraben, wodurch auf die moralische Unzuverlässigkeit des Klägers zu schließen sei, die eine Vertrauensverwirkung nach sich gezogen habe. Zur abschließenden Beurteilung der Frage nach der Verfristung bzw Verwirkung des Entlassungsgrundes fehlten jedoch noch ausreichende Feststellungen.

Das Berufungsgericht erklärte den Rekurs an den Obersten Gerichtshof für zulässig, weil sowohl hinsichtlich der Frage, ob dem Erfolg einer Entlassungsanfechtung trotz eines nachgewiesen verpönten Motivs ein vom Dienstnehmer gesetzter (anderer) Entlassungsgrund entgegenstehe, als auch zur Frage, ob ein derartiger, erst nach der Entlassung bekannt gewordener Entlassungsgrund, auch im Anfechtungsprozess wegen Motiventlassung nachgeschoben werden könne, keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts richtet sich der „ordentliche Revisionsrekurs“ (richtig: Rekurs [§ 519 Abs 1 Z 2 ZPO]) des Klägers mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Ersturteils.

Die Beklagte beantragt in ihrer Rekursbeantwortung , den Rekurs des Klägers als unzulässig zurückzuweisen; hilfsweise, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Klägers ist zulässig; er ist auch berechtigt, weil das Berufungsgericht zu Unrecht vom Vorliegen eines Entlassungsgrundes ausgegangen ist.

1. Als ein wichtiger Grund, der den Arbeitgeber zur vorzeitigen Entlassung berechtigt, ist nach § 27 Z 1 erster Fall AngG anzusehen, wenn der Angestellte im Dienst untreu ist. „Untreue im Dienst“ setzt einen vorsätzlichen und pflichtwidrigen Verstoß gegen die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers voraus; Fahrlässigkeit genügt nicht (RIS‑Justiz RS0029375).

Die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe durch die inkriminierte Äußerung vorsätzlich die Geschäftsbeziehung zwischen der Beklagten und einem ihrer Kunden gefährdet, war jedoch nicht erweislich. Es ist auch kein Grund ersichtlich, weshalb dem zum damaligen Zeitpunkt in einem aufrechten Arbeitsverhältnis bei der Beklagten stehenden Kläger an der Gefährdung dieser Geschäftsbeziehung gelegen sein sollte, hatte er doch selbst durch seinen Anspruch auf BilanzgeldAnteil am Erfolg des Unternehmens. Der Entlassungsgrund der Untreue ist daher nach der Lage des Falls nicht verwirklicht.

2. Der Tatbestand der Vertrauensunwürdigkeit iSd § 27 Z 1 letzter Fall AngG, auf den sich die Beklagte auch stützte, erfasst Handlungen oder Unterlassungen eines Angestellten, die mit Rücksicht auf ihre Beschaffenheit und auf ihre Rückwirkung auf das Arbeitsverhältnis den Angestellten des dienstlichen Vertrauens seines Arbeitgebers unwürdig erscheinen lässt, weil dieser befürchten muss, dass der Angestellte seine Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen werde, sodass dadurch die dienstlichen Interessen des Arbeitgebers gefährdet sind (RIS‑Justiz RS0029547). Entscheidend ist, ob das Verhalten des Angestellten nach den gewöhnlichen Anschauungen der beteiligten Kreise ‑ also nicht nach dem subjektiven Empfinden des einzelnen Arbeitgebers, sondern nach objektiven Grundsätzen ‑ als so schwerwiegend angesehen werden muss, dass das Vertrauen des Arbeitgebers derart heftig erschüttert wird, dass ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann und daher eine sofortige Abhilfe erforderlich ist (RIS‑Justiz RS0029323; RS0029009). Das jedem Entlassungstatbestand immanente Merkmal der Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers ermöglicht die Abgrenzung zwischen einem in abstracto wichtigen Entlassungsgrund und einem in concreto geringfügigen Sachverhalt (9 ObA 111/14k; RIS‑Justiz RS0029009; vgl auch RS0029020). Es ist daher weder jede Ordnungswidrigkeit noch zwingend jeglicher Verstoß gegen die Treuepflicht bereits ein Entlassungsgrund (RIS‑Justiz RS0029095; RS0029600).

Die beanstandete Äußerung des Klägers im vorliegenden Fall ist, soweit damit die unternehmerischen Fähigkeiten der Geschäftsführerin C. W. in Frage gestellt werden, zweifellos herabsetzend (vgl 9 ObA 169/08h; Kuderna, Entlassungsrecht² 89). Insbesondere schon aufgrund seiner hierarchischen Stellung im Unternehmen der Beklagten ist vom Kläger gegenüber Dritten ein loyales Verhalten zur Geschäftsleitung des Unternehmens zu erwarten. Mit dem der Entscheidung 8 ObA 207/02b zugrunde liegenden Sachverhalt, auf den das Berufungsgericht verwiesen hat, ist der hier zu beurteilende dennoch nicht vergleichbar. In der Entscheidung 8 ObA 207/02b wurde die Berechtigung der Entlassung einer Arbeitnehmerin wegen Vertrauensunwürdigkeit bejaht, weil diese eine Vielzahl von großteils wichtigen Weisungen des Geschäftsführers nicht befolgte und damit ganz offensichtlich darauf abzielte, die Autorität des Geschäftsführers erheblich zu untergraben. Die dortige Arbeitgeberin musste daher tatsächlich befürchten, dass die Arbeitnehmerin ihre Pflichten nicht mehr getreulich erfüllen, sondern weiterhin die Autorität des Geschäftsführers ständig in Frage stellen werde.

Demgegenüber steht im vorliegenden Fall die bloß einmalige abfällige Bemerkung des Klägers, der bei der Beklagten zu den Entlassungszeitpunkten nahezu 22 Jahre beschäftigt war, ohne dass er in der Vergangenheit wegen einer ihm unterlaufenen Pflichtwidrigkeit auch nur einmal ermahnt worden wäre. Die für das Vorliegen eines Entlassungsgrundes beweispflichtige Beklagte (RIS‑Justiz RS0029127) konnte auch nicht nachweisen, dass der Kläger sonst schlecht oder abwertend über die Geschäftsführerin gesprochen hätte. Die Geschäftsführerin der Beklagten mag nun durch die später bekannt gewordene abfällige Äußerung des Klägers aus subjektiver Sicht betroffen gewesen sein. Aus objektiver Sicht musste aber bei der erforderlichen Berücksichtigung des bisherigen Gesamtverhaltens des Klägers (RIS‑Justiz RS0029790) aufgrund seiner bloß einmaligen verbalen Entgleisung in einem Gespräch mit einem ehemaligen Arbeitskollegen noch nicht befürchtet werden, dass der Kläger seinen arbeitsvertraglichen Pflichten in Hinkunft nicht mehr nachkommen werde.

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass schon aus der einmaligen Äußerung des Klägers auf dessen „moralische Unzuverlässigkeit“ zu schließen sei, die „unzweifelhaft“ eine Vertrauensverwirkung nach sich gezogen habe, wird nicht geteilt. Der Senat geht vielmehr davon aus, dass die Äußerung des Klägers nach der Lage des Falls noch nicht als so schwerwiegend angesehen werden muss, dass der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger nicht mehr zugemutet werden kann.

Dem Rekurs des Klägers war daher Folge zu geben, der berufungsgerichtliche Aufhebungsbeschluss aufzuheben und zufolge Spruchreife durch Endurteil in der Sache selbst im Sinne einer Wiederherstellung des erstinstanzlichen klagestattgebenden Urteils zu entscheiden (§ 519 Abs 2 letzter Satz ZPO). Auf die Auseinandersetzung mit den vom Berufungsgericht iSd § 502 Abs 1 ZPO weiter aufgeworfenen Rechtsfragen kommt es nicht mehr an.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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