European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00091.24H.1121.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die außerordentlichen Revisionen der erstbeklagten Partei sowie der zweit- und drittbeklagten Parteienwerden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1. Die Eintrittsberechtigung in den Mietvertrag nach dem Tod des Hauptmieters einer Wohnung setzt ua voraus, dass die in § 14 Abs 3 MRG eintrittsberechtigten Personen ein dringendes Wohnbedürfnis an dieser Wohnung haben und schon bisher im gemeinsamen Haushalt mit dem Mieter in der Wohnung gewohnt haben.
[2] 2.1. Nach der Rechtsprechung setzt ein gemeinsamer Haushalt ua ein auf Dauer angelegtes gemeinsames Wohnen und Wirtschaften voraus (RS0069741 [T2]; RS0069534 [T2]). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Vorliegens eines gemeinsamen Haushalts ist der Tod des Mieters (RS0069744).
[3] 2.2. Mit der Behauptung und dem Beweis des Vorliegens aller Eintrittsvoraussetzungen gemäß § 14 Abs 3 MRG ist derjenige belastet, der behauptet, eintrittsberechtigt zu sein, oder der vorbringt, dass der vom Vermieter geltend gemachte Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG wegen einer eintrittsberechtigten Person nicht verwirklicht sei (RS0069504; RS0107852).
[4] 2.3. Die Beurteilung, ob die Eintrittsvoraussetzung des gemeinsamen Haushalts nach § 14 Abs 3 MRG vorliegt, hängt typisch von den Umständen des Einzelfalls ab. Eine solche Beurteilung wirft daher nur dann eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO auf, wenn dem Berufungsgericht eine vom Obersten Gerichtshof aus Gründen der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (RS0107188; 5 Ob 241/20g Rz 1). Das ist hier nicht der Fall. Den Beklagten ist der Beweis der Eintrittsvoraussetzungen nicht gelungen.
[5] 2.4. Nach den Feststellungen benutzte der verstorbene, seit ca 2005 in Pension befindliche Mieter H* senior, die aufgekündigte Wohnung bis zu seinem Tod im Jahr 2018 regelmäßig im Durchschnitt betrachtet zumindest einmal in der Woche, wenn er in Wien seinen familiären und anderen sozialen Tätigkeiten nachging und in der Wohnung übernachtete. Im Übrigen hielt er sich mit seiner Ehegattin (der mittlerweile verstorbenen Erstbeklagten) in einem Haus in * auf, das seine Ehegattin 1972 geerbt hatte. Bis zu seinem Tod zahlte H* senior den Mietzins sowie die Kosten für Strom und Gas. Der zweitbeklagte Sohn übernahm die Zahlung von Internet- und Telefonkosten, ging einkaufen und übernahm Aufräumarbeiten. H* senior und seine Ehegattin bereiteten in der Wohnung manchmal Frühstück zu. Mittags und Abends aßen sie oft auswärts.
[6] 2.5. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, der verstorbene Mieter habe mit den dort ständig wohnenden nahen Angehörigen (den beklagten Söhnen und der mittlerweile verstorbenen Ehegattin) keinen gemeinsamen Haushalt gebildet, weil er sich selbst nur (aus Bequemlichkeit) fallweise in der aufgekündigten Wohnung aufgehalten habe, sodass die Söhne und die Ehegattin des Verstorbenen auch nicht eintrittsberechtigt im Sinne des § 14 Abs 3 MRG seien und damit der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 5 MRG erfüllt sei, ist jedenfalls vertretbar. Richtig ist zwar, dass H* senior in der aufgekündigten Wohnung ein eigenes Schlafzimmer hatte und er in Wien regelmäßig familiären und anderen sozialen Tätigkeiten nachging. Selbst wenn aus dem festgestellten Sachverhalt geschlossen werden könnte, H* senior hätte die Wohnung zwei Tage genutzt (weil er ja übernachtet habe), ist die Beurteilung des Berufungsgerichts unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des konkreten Falls nicht zu beanstanden. Aus der Entscheidung 4 Ob 166/23z (Zurückweisung einer außerordentlichen Revision) ist für die Revisionswerber nichts zu gewinnen, weil dieser andere, nicht mit dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbare Umstände zugrunde lagen. Auch von einer vorübergehenden Abwesenheit, worauf die zitierten Entscheidungen MietSlg 44.335 und 48.255 abstellten, kann hier nicht gesprochen werden.
[7] 3.1. Der Grundsatz, dass Auflösungs- und Kündigungsgründe ohne unnötigen Aufschub geltend zu machen sind (RS0014427), muss unter dem Blickwinkel eines nachträglichen schlüssigen Verzichts auf einen Auflösungs- oder Kündigungsgrund geprüft werden (RS0014427 [T5]). Ein stillschweigender Verzicht des Vermieters auf einen Kündigungsgrund kann nach § 863 ABGB nur dann angenommen werden, wenn das Zuwarten des Vermieters mit der Aufkündigung oder der Räumungsklage unter Umständen erfolgt, aus denen mit Überlegung aller Umstände kein vernünftiger Grund daran zu zweifeln übrig bleibt, dass der Vermieter den ihm bekannten Sachverhalt nicht mehr als Auflösungs‑ oder Kündigungsgrund geltend machen will. Es ist daher erforderlich, dass der Mieter weiß oder aus dem Verhalten des Vermieters doch mit Recht ableiten kann, dass dieser den vollen Sachverhalt, der die Auflösung oder die Kündigung rechtfertigt, kennt und dem Mieter keine Umstände bekannt sind, die ein Zuwarten des Vermieters mit der Kündigung oder einer Räumungsklage aus einem anderen Grund als dem eines Verzichts auf das Auflösungs‑ bzw Kündigungsrecht erklärlich erscheinen lassen (RS0014423). Dabei kommt es immer auf die Umstände des einzelnen Falls und nicht allein darauf an, dass der Vermieter mit der Kündigung längere Zeit zugewartet hat (RS0014423 [T7]).
[8] 3.2. Die Beweislast für das Vorliegen eines solchen Verzichts trifft den Mieter (RS0102001). Den Vermieter trifft weder eine Erkundungspflicht hinsichtlich der zur Verwirklichung des Kündigungstatbestands tauglichen Fakten (RS0070551 [T2]) noch eine Obliegenheit zur Anstellung von Nachforschungen oder zur Ermittlung der tatsächlichen Voraussetzungen für die erfolgreiche Geltendmachung eines Kündigungsgrundes (RS0014423 [T12]).
[9] 3.3. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein schlüssiger Verzicht auf ein Recht vorliegt, ist besondere Zurückhaltung und Vorsicht geboten. Er darf immer nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände darauf hinweisen, dass er ernstlich gewollt ist (RS0014190 [T3]; RS0014229). Im Zweifel ist ein konkludenter Verzicht des Vermieters auf das Kündigungsrecht nicht anzunehmen (RS0102001). Ob nach den Umständen des Einzelfalls ein Verzicht anzunehmen ist oder nicht, ist im Regelfall – und auch hier – keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0107199).
[10] 3.4. Aus der bloßen Tatsachenfeststellung, der Drittbeklagte habe seit dem Tod seines Vaters den Mietzins und der Zweitbeklagte die Kosten für Strom und Gas bezahlt, kann noch nicht unzweifelhaft geschlossen werden, dass die Klägerin in Kenntnis sämtlicher wesentlichen Umstände auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 5 MRG verzichten wollte. Die Beklagten behaupteten im Verfahren auch gar nicht, dass (und aus welchen Gründen) sie berechtigt annehmen durften, dass der klagenden Vermieterin die hier wesentlichen Lebensumstände ihres verstorbenen Vaters bekannt waren.
[11] 4. Aus diesen Gründen kann auch von einer konkludenten Übernahme des Mietvertragsverhältnisses durch sämtliche (oder einen der) Beklagten nicht gesprochen werden.
[12] 5. Die in der außerordentlichen Revision des Zweit- und Drittbeklagten geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde vom Senat geprüft; sie liegt jedoch nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
[13] Mangels Darstellung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO waren die beiden außerordentlichen Revisionen der Erstbeklagten sowie der Zweit- und Drittbeklagten zurückzuweisen.
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