European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E117962
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rekursverfahrens bilden weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Begründung:
Die Klägerin ist aufgrund eines genossenschaftlichen Nutzungsvertrags mit der Beklagten, einer Bauvereinigung nach dem WGG, seit 1981 Mieterin eines Reihenhauses in einer Anlage der Beklagten, die in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts erbaut wurde. Nach dem Tod des in einem anschließenden Haus wohnenden Ehepaars mietete dieses Haus im Oktober 2010 * S*. Das Haus wurde etwa ein Jahr lang umgebaut, ehe sie mit ihrem Mann und den beiden Kindern dort einzog.
Sowohl während der Umbauarbeiten als auch nach dem Einzug der Familie beklagte sich die Klägerin bei der Beklagten über Lärmbelästigungen aus dem Nachbarhaus, wobei sie diese Lärmbeeinträchtigungen unter anderem auf die baulichen Veränderungen im Nachbarhaus zurückführte.
Im Herbst 2013 stellte die Familie S* das Haus wieder an die Beklagte zurück. Seit November 2013 wohnt dort eine neue Mieterin. Aufgrund des Nutzerverhaltens der neuen Nachbarn ist die Schallübertragung aus Sicht der Klägerin derzeit besser. Alltäglichen Lärm oder spielende Kinder hört man aber auch jetzt in das Haus der Klägerin durch. Nach dem Empfinden der Klägerin ist die Lärmsituation gegenüber dem Zustand, als die ursprünglichen Nachbarn das Haus noch bewohnten, weiterhin verschlechtert.
Die Klägerin begehrt, die Beklagte schuldig zu erkennen, „den vertragsgemäß bedungenen Gebrauch des Hauses, der durch Lärmbelästigung aufgrund der baulichen Veränderungen im Nachbarhaus beeinträchtigt sei“, durch im Einzelnen genannte technische Maßnahmen (zB Wiederaufbau und schallschutztechnische Dämmung der durch die gemeinsame Trennmauer gehende Unterzüge unter den Decken, Wiederherstellung der gemeinsamen Ziegeltrennwand, Einbau einer Trittschalldämmung und Lärmschutzisolierung auf den Böden) oder durch gleich wirksame Maßnahmen nach Wahl der Beklagten herzustellen.
Sie bringt vor, durch die Arbeiten im Nachbarhaus, etwa Herausreißen der Zwischenwände, Zerschlagen der Unterzüge und Anschlagen bzw Anbohren der Trennwände zu ihrem Haus sei es bereits während der Arbeiten zu einer Lärmbelästigung der Klägerin und des bei ihr wohnenden, erwachsenen schwer behinderten Sohnes gekommen. Die Beklagte habe entgegen dem Ersuchen der Klägerin die Arbeiten nicht nur genehmigt, sondern auch keine Vorgaben in Richtung Lärm‑ bzw Schallschutz gemacht. Nach Einzug der Familie S* sei es zu einer permanenten Lärmbelästigung gekommen. Trotz zahlreicher Beschwerden und Vorliegen eines Gutachtens sei die Klägerin immer wieder vertröstet worden. Letztlich habe sie sich an die Baupolizei gewandt, die einen Bauauftrag zur Wiederherstellung des konsens‑ und bauordnungsgemäßen Zustands im Bereich der Unterzüge erteilt habe. Am 7. 10. 2013 sei das Haus an die neue Mieterin übergeben worden, die Lärmbelästigung bestehe jedoch weiterhin. Die Lärmübertragung übersteige das ortsübliche Ausmaß, das vor den Umbauarbeiten bestanden habe, bei weitem und beeinträchtige die ortsübliche Nutzung wesentlich. Die Beklagte sei als Vermieterin verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Mieter im bedungenen Gebrauch des Bestandgegenstands nicht gestört werde.
Die Beklagte bestreitet und bringt vor, dass die Substanz des Bestandobjekts im Wesentlichen nicht verändert worden sei. Die Umbauarbeiten seien von der MA 37 bewilligt gewesen. Es sei im Haus der Klägerin zu keiner Verschlechterung der Standard‑Schallpegeldifferenz und zu keiner erhöhten Lärmbeeinträchtigung gekommen. Selbst wenn man von einer Störung ausgehe, obliege es dem Bestandgeber, über die geeigneten Maßnahmen zur Behebung zu entscheiden. Die von der Klägerin begehrten Maßnahmen seien weder technisch möglich, noch würden sie umgebaute Teile des Objekts betreffen, teilweise seien sie schon durchgeführt worden. Insgesamt sei es jedenfalls durch die Bauarbeiten zu keiner relevanten Veränderung der Lärmbeeinträchtigung im Bestandobjekt der Klägerin gekommen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Dabei traf es neben den schon eingangs wiedergegebenen noch nachstehende wesentliche Feststellungen:
Die vom Sachverständigen ermittelten Schalldämmwerte entsprechen deutlich den heutigen Anforderungen an den Schallschutz in Wohngebäuden. Die vorhandene Bausubstanz weist somit einen ausreichenden und guten Schallschutz im Bestand auf. Luftschallimmissionen (Sprache) in normaler Lautstärke sind nicht wahrnehmbar. Wird lauter (angeregter) gesprochen, ist dies gering wahrzunehmen. (...) Die Immissionen der Nutzgeräusche sind für Gebäude dieses Alters und Bauart aufgrund der zuvor genannten Tatsachen als üblich anzusehen. Aufgrund der Messergebnisse und der Erfahrung des Sachverständigen mit den akustischen Eigenschaften von alten Häusern ist anzunehmen, dass die Umbauarbeiten zu keiner wesentlichen Verschlechterung der akustischen Qualität der Bausubstanz führten.
Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass der Bestandgeber nach § 1096 Abs 1 ABGB zur Verschaffung und Erhaltung des bedungenen Gebrauchs verpflichtet sei. Auch eine Lärmeinwirkung könne eine Störung des bedungenen Gebrauchs bilden. Bei der Beurteilung der Beeinträchtigung seien die Grundsätze des § 364 Abs 2 ABGB analog heranzuziehen. Die in der Wohnung der Klägerin gemessene Lärmimmission halte die Grenzwerte für Luft‑ und Trittschall sowohl für Wohnungen als auch Reihenhäuser ein. Allfällige Lärmeinwirkungen in das Haus der Klägerin überschritten das gewöhnliche Maß nicht und beeinträchtigten nicht die ortsübliche Benützung des Objekts. Daher komme es auch nicht darauf an, ob die Umbauarbeiten zu einer Änderung gegenüber dem Zustand davor geführt hätten.
Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht Folge, hob das angefochtene Ersturteil auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Ohne Eingehen auf die von der Klägerin geltend gemachte Mangelhaftigkeit des erstgerichtlichen Verfahrens und ihre Tatsachenrüge verwies auch das Berufungsgericht rechtlich auf § 364 Abs 2 ABGB, der analog zur Beurteilung der Frage heranzuziehen sei, welches Maß an Lärmbeeinträchtigung der Mieter noch hinnehmen müsse. Auch Einwirkungen, die sich als eine Änderung gegenüber dem tatsächlichen Zustand zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags darstellten, seien zu dulden, wenn sie das nach dieser Bestimmung zulässige Maß nicht überschreiten. Dies könne jedoch dann nicht gelten, wenn die Änderungen, die der Dritte mit Zustimmung des Bestandgebers durchgeführt habe, zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der anderen Mieter führe. Die Duldungspflicht des Vermieters nach § 9 Abs 1 MRG sei an die Voraussetzung einer einwandfreien, dem jeweiligen Stand der Technik entsprechenden Ausführung der Veränderungsarbeiten geknüpft. Habe der Bestandgeber diesbezüglich seine Schutz‑ und Sorgfaltspflichten verletzt, habe der Mieter Anspruch auf Wiederherstellung des Zustands vor Durchführung der Änderungen. Zu prüfen sei daher, ob durch die Umbauarbeiten die Voraussetzungen des § 9 Abs 1 MRG eingehalten worden seien und ob eine erhebliche Belästigung der Klägerin vorliege, die einer durchschnittlich empfindlichen Person nicht zugemutet werden könne. Ob eine wesentliche Verschlechterung der akustischen Qualität der Bausubstanz eingetreten sei und ob diese von der Klägerin noch hinzunehmen sei, könne jedoch nicht überprüft werden, weil das Erstgericht nur festgestellt habe, dass „anzunehmen“ sei, dass es zu keiner Verschlechterung gekommen sei. Es seien daher ergänzende Feststellungen dazu zu treffen, weshalb das Ersturteil aufzuheben sei.
Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht zu, weil es sich bei der Frage, ob ein Mieter eine durch Umbauarbeiten an einem anderen Bestandobjekt eingetretene Verschlechterung der Bausubstanz auch dann zu dulden habe, wenn die Voraussetzungen des § 9 Abs 1 MRG und die aktuellen Grenzwerte für Luft‑ und Trittschall eingehalten seien, um eine über den konkreten Rechtsstreit hinausgehende Rechtsfrage handle.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag das Ersturteil wiederherzustellen, in eventu den Beschluss des Berufungsgerichts aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt in ihrer Rekursbeantwortung der Klage stattzugeben, in eventu den Rekurs zurück‑ oder abzuweisen.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der Beklagten ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig und im Sinn des Eventualantrags auf Aufhebung des Beschlusses des Berufungsgerichts auch berechtigt.
1. Nach dem – in diesem Umfang auch im Bereich des WGG – anwendbaren § 1096 Abs 1 ABGB ist der Bestandgeber verpflichtet, den Bestandnehmer im Gebrauch des Bestandgegenstands in zumutbarer Weise gegen wesentliche Störungen durch Dritte, insbesondere auch durch im selben Haus wohnende Mitmieter zu schützen (3 Ob 2413/96s ua; vgl auch RIS‑Justiz RS0020999). Die Wahl der Abhilfemittel muss dabei aber grundsätzlich dem Bestandgeber überlassen bleiben (RIS‑Justiz RS0020979 [T3]).
Der Bestandgeber hat dem Bestandnehmer jenen Gebrauch und jene Nutzung zu gewährleisten, die ausdrücklich oder nach dem Zweck des Vertrags oder nach der Verkehrssitte bedungen sind. Mangels anderer Vereinbarung ist eine mittlere (durchschnittliche) Brauchbarkeit anzunehmen (RIS‑Justiz RS0020926).
Bei der Miete von Räumen zu Wohnzwecken kann auch eine Lärmeinwirkung eine Störung des bedungenen Gebrauchs bilden (RIS‑Justiz RS0118572; 10 Ob 38/03s mwN; 3 Ob 2413/96s mwN). Ist vertraglich nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart, kann in der Regel nicht die Beseitigung jeder Lärmeinwirkung vom Vermieter verlangt werden. Bei Beurteilung des Maßes der Lärmbeeinträchtigung, die der Mieter noch hinnehmen muss, sind die Grundsätze des § 364 Abs 2 ABGB analog heranzuziehen. Auch Einwirkungen, die sich als eine Änderung gegenüber dem tatsächlichen Zustand zum Zeitpunkt des Abschlusses des Mietvertrags darstellen, sind vom Mieter zu dulden, wenn sie das nach § 364 Abs 2 ABGB zulässige Maß nicht überschreiten (RIS‑Justiz RS0010567). Dementsprechend darf die Einwirkung das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß nicht überschreiten und die ortsübliche Benützung des Objekts nicht wesentlich beeinträchtigen. Diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen (vgl RIS‑Justiz RS0010587 [T8]).
Bei der Beurteilung, ob eine wesentliche Beeinträchtigung der ortsüblichen Benützung der Wohnung vorliegt, ist nicht auf die besondere Empfindlichkeit der betroffenen Person, sondern auf das Empfinden eines Durchschnittsmenschen in der Lage des Beeinträchtigten abzustellen (RIS‑Justiz RS0010557 [T4]; 7 Ob 286/03i; 9 Ob 62/09x). So fordert der nach dem Nachbarrecht gebotene sozialrelevante Interessenausgleich, die Frage nach der Wesentlichkeit der Beeinträchtigung vom Standpunkt eines verständigen Durchschnittsmenschen aus zu beantworten, der auf die allgemeinen Interessen und die gesellschaftlich bedeutsamen Gesichtspunkte wenigstens auch Bedacht nimmt. Es kommt also nicht auf die individuelle Person des mehr oder minder sensiblen Nachbarn, sondern auf das Empfinden des Durchschnittsmenschen an, der sich in der Lage des Gestörten befindet (vgl RIS‑Justiz RS0010607).
Da die Beurteilung der Beeinträchtigung, die der Mieter hinnehmen muss, von den Kriterien des § 364 ABGB abhängt, kommt es grundsätzlich nicht auf die Ursache der Lärmbeeinträchtigung an. Es ist daher im Allgemeinen nicht von Bedeutung, ob diese Beeinträchtigung aus geändertem Umgebungslärm, Umbauarbeiten oder geändertem Wohnverhalten der benachbarten Mieter resultiert.
Dementsprechend kommt es aber auch nicht darauf an, ob der Vermieter nach § 9 Abs 1 MRG verpflichtet war, Umbauarbeiten eines anderen Mieters zuzustimmen oder über diese Zustimmungspflicht hinaus mit einer Veränderung eines anderen Bestandobjekts einverstanden war. Richtig ist, dass die Zustimmungspflicht des Vermieters nach § 9 Abs 1 MRG voraussetzt, dass durch die beabsichtigte Veränderung schutzwürdige Interessen anderer Mieter nicht beeinträchtigt werden. Ungeachtet eigener Möglichkeiten, gegen einen Störer vorzugehen, haben Mieter – wie dargelegt – zufolge § 1096 ABGB den Anspruch, dass der Vermieter Störungen vorbeugt. Der Vermieter handelt insoweit auch im eigenen Interesse, als er verpflichtet ist, im Rahmen des § 9 Abs 1 Z 5 MRG Interessenbeeinträchtigungen seiner Mieter bei Ausübung ihres Bestandrechts zu verhindern. Eine stattgebende Entscheidung im Verfahren nach § 9 MRG würde einer allfälligen auf § 1096 ABGB gestützten Klage des beeinträchtigten Mieters entgegenstehen (5 Ob 69/13b). Der durch § 9 Abs 1 MRG gewährleistete Schutz der anderen Mieter geht aber grundsätzlich nicht über § 1096 ABGB hinaus, kann doch der Vermieter gegenüber Dritten (anderen Mietern) nicht zu einer weitergehenderen Interessenwahrung verpflichtet sein als gegenüber dem Vertragspartner selbst.
Wenn das Berufungsgericht aus § 9 MRG eine Einschränkung der Grundsätze des § 364 Abs 2 ABGB ableiten will, als danach der benachbarte Mieter wesentliche Beeinträchtigungen, insbesondere aufgrund einer nicht einwandfreien und dem Stand der Technik entsprechenden Ausführung von Arbeiten, nicht hinnehmen müsse, so liegt ein solcher Widerspruch zu § 364 Abs 2 ABGB tatsächlich nicht vor, da dieser ja gerade (iVm § 1096 ABGB) Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche des benachbarten Mieters bei wesentlichen Beeinträchtigungen eröffnet.
Damit kommt es letztlich nur darauf an, ob die Einwirkungen, die die Klägerin als Störung ansieht, das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschreiten und die ortsübliche Benützung des Objekts wesentlich beeinträchtigen. Ist dies zu bejahen, ist die Ursache dafür nur hinsichtlich der Möglichkeit und Zumutbarkeit von Abwehrmaßnahmen des Vermieters von Relevanz. Ist dies zu verneinen, kommt es nicht darauf an, ob Umbauarbeiten eine Verschlechterung der akustischen Qualität der Bausubstanz zur Folge hatten. Insoweit ist die vom Berufungsgericht als wesentlich angesehene und zu unpräzise gefasste Feststellung des Erstgerichts nicht von Relevanz.
Eine abschließende Beurteilung der Rechtssache ist aber derzeit nicht möglich, da das Berufungsgericht die zu den übrigen wesentlichen Feststellungen erhobene Beweisrüge ausgehend von seiner, vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht, nicht behandelt hat.
Dem Rekurs der Beklagten war daher Folge zu geben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zur Behandlung der übrigen Berufungsgründe zurückzuverweisen.
Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.
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