OGH 9Ob50/18w

OGH9Ob50/18w28.11.2018

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Dehn als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula in der Rechtssache der klagenden Partei P* B*, vertreten durch Dr. Peter Reitschmied, Rechtsanwalt in Neulengbach, gegen die beklagte Partei B* M*, vertreten durch Dr. Maria In der Maur-Koenne, Rechtsanwältin in Wien, wegen Unterhalt, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 4. Mai 2018, GZ 23 R 102/18z‑92, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Bezirksgerichts Neulengbach vom 22. Dezember 2017, GZ 9 C 19/14m‑74, nicht Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E123733

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Die Streitteile waren von 2. 2. 2000 bis 22. 12. 2017 verheiratet. Zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung am 22. 12. 2017 war die Ehe noch aufrecht. Die Ehe wurde mit Urteil des Bezirksgerichts Neulengbach vom selben Tag zu 9 C 15/14y – mittlerweile rechtskräftig (10 Ob 60/18y) – aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten geschieden. Der Ehe entstammen die vier Kinder N* M*, geboren am * 2000, N* M*, geboren am * 2002, L* M*, geboren am * 2004, und L* M*, geboren am * 2006.

Das Eheleben der Streitteile war zunächst grundsätzlich so gestaltet, dass der Beklagte als gut verdienender Angestellter die finanzielle Versorgung der Familie sicherstellte und die Klägerin sich um die Kinder und den Haushalt kümmerte. Sie hatte daher insbesondere in den ersten Ehejahren so gut wie keine sozialen Außenkontakte. In seiner Freizeit widmete sich der Beklagte auch der Familie. Begünstigt durch eine größere Geldschenkung der Mutter des Beklagten und dessen vor allem in den letzten Jahren hohes Einkommen hatte die Familie teilweise einen hohen Lebensstandard. Im Jahr 2002 kauften die Streitteile die Ehewohnung in S..

...

Im Jahr 2007 zeigte der Beklagte der Klägerin ein Schreiben seines Arbeitgebers, wonach er von diesem aus einen Golfkurs absolvieren müsse. Nach einigen Monaten musste die Klägerin feststellen, dass ihr Ehegatte das Schreiben gefälscht hatte und er den Golfkurs rein privat absolvierte. Grund für die Lüge des Beklagten war seine Befürchtung, die Klägerin würde damit nicht einverstanden sein, weil er dadurch weniger Zeit für die Familie hätte. Ab 2007 widmete sich der Beklagte immer mehr dem Golfspiel. Dieses war für ihn aber auch beruflich interessant, weil dabei Geschäftsbeziehungen angebahnt und vertieft wurden. Er log die Klägerin aber immer wieder an, er sei in einem Meeting oder sonst beruflich unterwegs, obwohl er tatsächlich Golf spielte. Um ihm das nachweisen zu können, legte die Klägerin dem Beklagten einmal ein ortungsfähiges Handy ins Auto.

Im Zuge des Hausumbaus im Jahr 2010, den überwiegend die Klägerin organisierte, weil der Beklagte berufsbedingt dafür keine Zeit hatte, kam die Klägerin mehr und mehr mit den Leuten vom Ort und der Umgebung in Kontakt. Der Beklagte entwickelte daraufhin eine extreme Eifersucht und einen regelrechten Kontrollwahn. Die Klägerin gab dem Beklagten jedoch keinen begründeten Anlass für seine Eifersucht, insbesondere näherte sie sich nicht anderen Männern an. Bis Sommer 2013 traf sich die Klägerin lediglich vereinzelt mit Freundinnen, zum Teil zum Kaffeetrinken, zum Teil abends in einem Lokal, wobei sie dann aber spätestens um 22:00 Uhr, zweimal im Jahr auch erst später wieder nach Hause kam. Der Beklagte „bombardierte“ die Klägerin mit SMS und Anrufen, fuhr ihr mit dem Auto nach, machte ihr Vorhaltungen und vermutete hinter jedem sozialen Kontakt eine Affäre, sodass sie sich ständig rechtfertigen musste. Die Eifersucht des Beklagten und sein fehlendes Vertrauen belasteten die Klägerin massiv. Die Eifersucht des Beklagten ging so weit, dass er im Jahr 2010/2011 begann, sie über ihr Mobiltelefon, später über die Handys ihrer Töchter, die meist bei ihr waren, ständig zu orten. Bereits im Jahr 2012 war die Klägerin durch die ewigen Kontrollen, Überwachungen, Beschuldigungen und Vorhaltungen des Beklagten so verzweifelt, dass die Streitteile erstmals über Scheidung sprachen, eine solche aber wegen der Kinder wieder verwarfen. Die Eifersucht des Beklagten führte jedoch weiterhin zu Auseinandersetzungen und intensiven Streits zwischen den Streitteilen. Anfang 2013 war das Thema Scheidung daher wieder aktuell. Im Mai 2013 kamen die Streitteile jedoch überein, der Ehe eine letzte Chance zu geben.

Im Juni 2013 traten jedoch die für die Klägerin so belastenden Verhaltensweisen des Beklagten erneut zu Tage und er beschuldigte sie wieder einer Affäre, die es nicht gab. Aufgrund eines neuerlichen Streits Ende Juni 2013 und einer emotionalen Reaktion einer Tochter ist die Ehe für die Klägerin seitdem beendet. Beim Beklagten wechselten sich danach die Phasen, in denen er an der Ehe festhalten wollte, mit jenen, wo er sich ein Scheitern der Ehe eingestand, ab. Die Streitteile kamen überein, ab sofort an den Wochenenden allein wegzugehen und jeder sein Leben zu leben; dies insbesondere auch deshalb, um Streitereien vor den Kindern möglichst zu vermeiden, da es bei Aufeinandertreffen immer wieder zu Vorhaltungen, Anschuldigungen und Druckausüben von Seiten des Beklagten und zum Teil derben Beschimpfungen, vor allem von Seiten der Klägerin, kam. Die Beschimpfungen der Klägerin waren im Wesentlichen eine Reaktion auf das erwähnte Verhalten des Beklagten. Seit dem Streit Ende Juni 2013 haben die Streitteile getrennte Schlafzimmer. Bei der Kinderbetreuung am Wochenende wechselten sich die Streitteile ab.

Im August 2013 erkundigten sich beide Streitteile beim Bezirksgericht Neulengbach wegen einer möglichen Scheidung. Vom 16. 9. 2013 bis 28. 11. 2013 waren die Streitteile bei einer Familienberatungsstelle, um zu erfahren, wie sie den Kindern am besten die beabsichtigte Scheidung beibringen könnten. Dabei wurde den Streitteilen auch empfohlen, sich zur Gänze aus dem Weg zu gehen, damit sie nicht mehr persönlich aufeinandertreffen. Die Streitteile begannen nun auch, ihre Lebensbereiche immer mehr zu trennen. Es wurde genau vereinbart, wer wann zu Hause ist, um ein Zusammentreffen weitgehend auszuschließen.

Am 30. 10. 2013 eröffnete die Beklagte ein eigenes Konto, auf das der Beklagte bereits ab November 2013 immer wieder Geld überwies, damit die Klägerin und die Kinder finanziell versorgt sind, wobei die Klägerin noch bis Anfang Jänner 2014 Zugriff auf das Konto des Beklagten hatte. Jedenfalls ab Anfang Dezember 2013 beschränkte die Klägerin die Einkäufe auf ihre Bedürfnisse und jene der Kinder und ließ den Beklagten daran nicht mehr teilhaben. So räumte sie auch teilweise den Kühlschrank aus und nahm den Inhalt mit, als der Beklagte den Abend zu Hause allein mit den Kindern verbrachte. Die Klägerin wusch auch seither nicht mehr die Wäsche des Beklagten und kochte auch nicht mehr für ihn. Der Beklagte mietete sich ab 1. 12. 2013 eine kleine Wohnung, um für die Zeit nach der Scheidung eine Wohnmöglichkeit zu haben. Er ließ im Dezember 2013 auch bei seiner Rechtsanwältin einen Scheidungsvergleichsentwurf erstellen. Der Termin für eine einvernehmliche Scheidung wurde für den 19. 12. 2013 vereinbart. Nach einer Beratung durch ihre Rechtsanwältin sagte die Klägerin allerdings diesen Termin kurzfristig ab. Ein gänzlicher Auszug des Beklagten im Sinne eines endgültigen Verlassens der Ehewohnung erfolgte mangels Scheidung nicht, seine Anwesenheit wurde aber sukzessive weniger.

Am 14. 3. 2014 wurde ein polizeiliches Betretungsverbot gegenüber dem Beklagten ausgesprochen.

Die Klägerin lernte im September 2013 während des Ausgehens in einer Diskothek C. B. kennen. Das Verhältnis war zunächst freundschaftlich. Mitte Dezember 2013 küsste sie ihren Freund erstmals, seit Ende Dezember 2013 befinden sie sich in einer Beziehung und er ist auch der Vater ihres im November 2017 geborenen Kindes.

Der Beklagte lernte im Dezember 2013 M. G. kennen und befindet sich seit April 2014 mit ihr in einer Beziehung.

Die Klägerin instrumentalisierte die gemeinsamen Kinder nicht gegen den Beklagten. Diese weigern sich jedoch, ihren Vater zu besuchen. Die Klägerin führte aufgrund des zugesprochenen einstweiligen Unterhalts sowohl im eigenen Namen als auch in jenem der Kinder Exekution gegen den Beklagten.

Sowohl die durch „Stalking“-Anzeigen der Klägerin in den Jahren 2014 und 2015 eröffneten Ermittlungsverfahren gegen den Beklagten als auch die Verfahren infolge einer Verleumdungsanzeige des Beklagten gegenüber der Klägerin wurden von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Es kann nicht festgestellt werden, dass es sich dabei jeweils um bewusste Falschanzeigen handelte.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten Ehegattenunterhalt bei aufrechter Ehe, und zwar für die Zeit von 1. 1. 2014 bis 31. 5. 2014 iHv 800 EUR, von 1. 6. 2014 bis 31. 8. 2014 iHv 785 EUR, von 1. 9. 2014 bis 31. 4. 2015 iHv 955 EUR, von 1. 5. 2015 bis 31. 7. 2015 iHv 870 EUR und ab 1. 8. 2015 von 860 EUR monatlich. Die Ehe der Streitteile sei aus dem Alleinverschulden des Beklagten seit Juni 2013 unheilbar zerrüttet, weil der Beklagte am 1. 12. 2013 aus der Ehewohnung ausgezogen sei und die Ehe systematisch mit blinder Eifersucht, Kontrollverhalten, Egoismus, Desinteresse an ihr und den Kindern, Geldverschwendung für Casinos und teure Hobbies, während sie mit den Kindern an Geldmangel gelitten habe, über vier Jahre zerstört habe. Eine Unterhaltsverwirkung liege nicht vor, weil die lose Beziehung zu einem Freund in einem Zeitpunkt (Ende 2013) begonnen habe, in dem die Ehe bereits vollständig zerstört und kaputt gewesen sei.

Der Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ua ein, dass die Klägerin rechtsmissbräuchlich Unterhalt begehre, weil sie die Ehe schuldhaft ablehne und jeden Ehewillen verloren habe. Dadurch, dass die Klägerin im Herbst 2013 eine außereheliche Beziehung eingegangen sei und den Beklagten zur Scheidung gedrängt habe, habe die Klägerin die Ehe unheilbar zerrüttet und dadurch sowie durch zahlreiche andere (im Verfahren näher bezeichnete) Verhaltensweisen zudem einen allfälligen Unterhaltsanspruch verwirkt.

Beide Parteien erstatteten zudem ein umfangreiches Vorbringen zur Höhe des Klagebegehrens.

Das Erstgericht erkannte den Beklagten im zweiten Rechtsgang mit Zwischenurteil nach § 393 Abs 1 ZPO dem Grunde nach schuldig, der Klägerin Unterhalt zu zahlen. Die unbegründete Eifersucht des Beklagten im Zusammenhang mit den damit einhergehenden Anschuldigungen und seinem Kontrollverhalten gegenüber der Klägerin habe zum Streit Ende Juni 2013 und zur Zerrüttung der Ehe der Streitteile geführt, die für die Klägerin ab diesem Zeitpunkt bereits unheilbar gewesen sei. Die objektive unheilbare Zerrüttung sei faktisch aber erst Anfang Dezember 2013 durch die sukzessive Entflechtung zwischen den Eheleuten eingetreten, als die Klägerin nicht mehr für den Beklagten die Wäsche gewaschen, nicht mehr für ihn gekocht und nicht mehr für ihn eingekauft habe und sich beide konsequent abgesprochen hätten, wer wann nach Hause komme, damit sie nicht aufeinandertreffen konnten. Auch wenn bis Anfang Dezember 2013 noch kein Ehebruch stattgefunden habe, sei der fortgesetzte Umgang der Klägerin mit ihrem Freund, der schließlich in einer Beziehung und in einem gemeinsamen Kind gemündet habe, zwar als Eheverfehlung bei der Frage ihres Unterhaltsanspruchs zu berücksichtigen, trete jedoch angesichts des für die Zerrüttung ursächlichen Verhaltens des Beklagten in den Hintergrund, sodass jedenfalls keine vollständige Unterhaltsverwirkung durch die Klägerin vorliege. Ob überhaupt und falls ja, wie hoch eine allfällige Minderung ihres Unterhaltsanspruchs durch ihr Verhalten einzutreten hat, werde im weiteren Verfahren über die Höhe des Unterhaltsanspruchs zu klären sein.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge. Die Klägerin stütze ihr Klagebegehren auf ihren Unterhaltsanspruch in aufrechter Ehe gemäß § 94 ABGB. Dieser Unterhaltsanspruch des den gemeinsamen Haushalt führenden Ehegatten bleibe gemäß § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB auch nach Aufhebung der Haushaltsgemeinschaft bestehen, sofern nicht die Geltendmachung, besonders wegen der Gründe, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts geführt haben, ein Missbrauch des Rechts wäre. Nicht jede schwere Eheverfehlung bedeute schon die Rechtsmissbräuchlichkeit des Unterhaltsbegehrens, vielmehr würden gesetzliche Unterhaltsansprüche nur in besonders krassen Fällen erlöschen, in denen die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs wegen des Verhaltens des betreffenden Ehegatten grob unbillig erschiene. Grundsätzlich stellten ehewidrige Beziehungen und ein fortgesetztes sexuelles Liebesverhältnis schwere Verletzungen der ehelichen Verhaltenspflichten dar, die die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs rechtfertigen könnten, es sei denn, die dem unterhaltspflichtigen Ehegatten angelasteten Eheverfehlungen wären geeignet, die Zerrüttung der Ehe herbeizuführen. Im vorliegenden Fall habe der Beklagte durch sein eifersüchtiges und kontrollierendes Verhalten den entscheidenden Anteil am Scheitern der Ehe gehabt und diese sei schon schwer belastet gewesen, als die Klägerin ihre ehewidrige Beziehung zu ihrem Freund aufgenommen habe. Die unheilbare objektive Zerrüttung der Ehe sei jedoch erst mit Aufnahme und Fortsetzung des ehewidrigen Verhältnisses zwischen der Klägerin und ihrem Freund eingetreten, mit dem sie seit Ende Dezember 2013 in einer Beziehung lebe und der ein gemeinsames, Anfang Dezember 2017 geborenes Kind entstamme. Bei der nach einer umfassenden Interessensabwägung im jeweiligen Einzelfall vorzunehmenden Beurteilung des Rechtsmissbrauchs nach § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB seien nach dem Vorbild des § 68a EheG die Schwere der Eheverfehlung eines Unterhaltsberechtigten und das Verhalten des Unterhaltspflichtigen, aber auch die Dauer der Ehe und das Wohl der Kinder heranzuziehen und zu berücksichtigen, inwieweit der Unterhalt begehrende Ehegatte seine Bedürfnisse durch eigene Erwerbstätigkeit befriedigen könne. Um Wertungswidersprüche zu § 68a Abs 3 EheG zu vermeiden, sei auch die Verminderung der Unterhaltshöhe möglich. Die Rechtsansicht des Erstgerichts, eine gänzliche Unterhaltsverwirkung sei zwar zu verneinen, aber eine allfällige Minderung des Unterhaltsanspruchs der Klägerin infolge ihres aufrechten außerehelichen Verhältnisses im fortgesetzten Verfahren zu prüfen, sei nicht zu beanstanden. Zudem sei im weiteren Verfahren zu klären, welche konkreten Unterhaltsbeiträge der Klägerin ab 1. 1. 2014 zustünden.

In seiner dagegen gerichteten außerordentlichen Revision beantragt der Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision des Beklagten ist zulässig; sie ist im Sinne des eventualiter gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.

1. Gemäß § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB steht dem bisher haushaltsführenden Ehegatten nach Aufhebung des gemeinsamen Haushalts ein Unterhaltsanspruch dann nicht mehr zu, wenn dessen Geltendmachung, besonders wegen der Gründe, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts geführt haben, ein Missbrauch des Rechts wäre.

2.1. Nach nunmehr herrschender Rechtsprechung und Lehre soll vor dem Hintergrund des § 68a Abs 3 EheG auch bei einem auf § 94 Abs 2 ABGB gestützten Unterhaltsanspruch die Bejahung der rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung nicht mehr nur zur gänzlichen Versagung des Unterhaltsanspruchs führen können, sondern es solle auch die Minderung dieses Unterhaltsanspruchs möglich sein (RIS‑Justiz RS0121740; Schwimann/Kolmasch, Unterhalts-recht8 231; Schwimann/Ferrari in Schwimann/Kodek, ABGB4 I § 94 Rz 30; Smutny in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON 1.05 § 94 Rz 60; Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth, Ehe- und Partnerschaftsrecht, Rz 312). Es soll der Zuspruch von Unterhalt verhindert werden, wenn der Berechtigte eklatant gegen eheliche Gebote verstößt und ein solcher Verstoß nach dem objektiven Gerechtigkeitsempfinden mit dem Zuspruch von Unterhalt unvereinbar ist (RIS‑Justiz RS0117457), also die Geltendmachung und Gewährung eines Unterhaltsanspruchs wegen des Verhaltens des betreffenden Ehegatten als grob unbillig erschiene (RIS‑Justiz RS0009766). Es bedarf einer umfassenden Interessenabwägung, in welche – ohne dass ein „theoretisches Unterhaltsverfahren nach § 68a EheG“ erforderlich wäre – neben den zur Bejahung des Rechtsmissbrauchs führenden Eheverfehlungen jedenfalls auch das Verhalten des unterhaltspflichtigen Ehepartners, die Dauer und die Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft, das Wohl vorhandener Kinder sowie der Bedarf des Unterhalts ansprechenden Ehegatten einzubeziehen sind (RIS‑Justiz RS0121740). Dabei sind das objektive Gewicht der ehewidrigen Verhaltensweisen sowie das Maß der subjektiven Verantwortlichkeit des betreffenden Ehegatten in Betracht zu ziehen (RIS‑Justiz RS0005919).

2.2. Eine vollständige Unterhaltsverwirkung, an die ein strenger Maßstab anzulegen ist (vgl RIS‑Justiz RS0009759), setzt regelmäßig einen völligen Verlust oder eine ihm nahekommende Verflüchtigung des Ehewillens des (vormals) unterhaltsberechtigten Ehegatten voraus, der sich schuldhaft über alle Bindungen aus der ehelichen Partnerschaft hinwegzusetzen bereit ist (1 Ob 85/17g Pkt 1. mwN). Die Behauptungs- und Beweislast hinsichtlich jener besonderen Umstände, die ein solches Unterhaltsbegehren als Rechtsmissbrauch erscheinen lassen, trifft grundsätzlich den unterhaltspflichtigen Ehegatten (RIS‑Justiz RS0009772; vgl RS0057400). Soweit jedoch der unterhaltsberechtigte Ehegatte – unter Heranziehung der Wertungen des § 68a Abs 2 EheG (vgl 2 Ob 152/07b Pkt 2.) – behauptet, die Aufnahme einer Erwerbsmöglichkeit sei ihm aus bestimmten Gründen, etwa wegen der notwendigen Betreuung der im gemeinsamen Haushalt lebenden Kinder, nicht zumutbar, wird er dies nach den allgemeinen Beweislastregeln unter Beweis zu stellen haben (vgl RIS‑Justiz RS0037797).

3. Die übereinstimmende Rechtsansicht der Vorinstanzen, jedenfalls eine gänzliche Unterhaltsverwirkung sei im Anlassfall zu verneinen, ist nicht zu beanstanden (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Die dagegen erhobenen Ausführungen des Revisionswerbers lassen insbesondere dessen eigenes Fehlverhalten gänzlich außer Acht, das mit zur Zerrüttung der Ehe der Streitteile geführt hat und bei der hier vorzunehmenden umfassenden Interessenabwägung nicht unberücksichtigt bleiben darf.

4. Zu der von der Klägerin in ihrer Revisionsbeantwortung vertretenen Rechtsauffassung, ihre ehewidrige Beziehung könne zu keiner Unterhaltsverwirkung iSd § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB führen, weil sie diese Beziehung erst nach Eintritt der unheilbaren Zerrüttung der Ehe eingegangen sei, ist Folgendes auszuführen:

4.1. In der Entscheidung 6 Ob 108/08p wurde von der bislang ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, auch ein sonst als besonders schwere Eheverfehlung zu wertendes Verhalten begründe keine Rechtsmissbräuchlichkeit des Unterhaltsbegehrens mehr, wenn die Ehe aufgrund vorangegangener schwerwiegender Ehewidrigkeiten des anderen, also des Unterhaltspflichtigen, bereits zerrüttet war, nach Kritik in der Literatur ausdrücklich abgegangen. Es sei nicht zu begründen, warum etwa ein Mordanschlag des Unterhaltsberechtigten gegen den Unterhaltspflichtigen zwar nach Zerrüttung nicht zur Unterhaltsverwirkung führe, wohl aber gemäß § 74 EheG nach der Scheidung. Diese „Rechtsschutzlücke" lasse sich dadurch schließen, dass ein Unterhaltsberechtigter seinen Anspruch auch nach Zerrüttung, jedoch vor Scheidung der Ehe verwirke, wenn sein Verhalten den Verwirkungstatbestand des § 74 EheG erfüllen würde. Die Verwirkungstatbestände des § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB, des § 68a Abs 3 EheG und des § 74 EheG sollten an sich in ihrem Zusammenspiel ein durchgängiges Rechtsschutzsystem zugunsten von Unterhaltspflichtigen darstellen. Dieses soll dabei verhindern, dass ein (vormaliger) Ehegatte vom anderen die Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dem (früheren) Eheverhältnis– also Unterhaltsleistungen – begehrt, obwohl er selbst nicht nur einzelne dieser Verpflichtungen hintansetzt, sondern sich schlechthin über alle Bindungen aus der (früheren) ehelichen Partnerschaft zu seinem persönlichen Eigennutzen hinwegzusetzen bereit ist. Dass die (grundsätzlich unterhaltsberechtigte) Frau die erwähnten Verhaltensweisen zu einem Zeitpunkt gesetzt hat, zu dem die Ehe der Parteien bereits unheilbar zerrüttet war, entbindet daher grundsätzlich nicht von der Prüfung der Frage, ob die Frau nicht ihre Unterhaltsansprüche unter Berücksichtigung des Maßstabs des § 74 EheG verwirkt hat; Voraussetzung für eine derartige Prüfung ist aber jedenfalls die Herbeiführung der Zerrüttung durch den an sich unterhaltspflichtigen Mann (6 Ob 108/08p Pkt 2.2.). An dieser Rechtsauffassung wurde auch in jüngerer Zeit festgehalten (3 Ob 152/16y Pkt 2.3. = RIS‑Justiz RS0123713 [T4]).

4.2. Eine schwere Verfehlung im Sinne des § 74 EheG muss aber gravierender sein als jene nach § 49 EheG (RIS‑Justiz RS0078153). Die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs soll nur die Folge eines besonders gravierenden Verhaltens der Frau sein, durch das sie sich der Unterstützung des Mannes unwürdig gemacht hat (RIS‑Justiz RS0057410). Im Führen einer Lebensgemeinschaft allein liegt kein ehrloser oder unsittlicher Lebenswandel (RIS‑Justiz RS0114056; vgl RS0057407). Eine erst nach Zerrüttung vom unterhaltsberechtigten Ehegatten aufgenommene Beziehung wurde dann als keine derart krasse Eheverfehlung gesehen, die seinen Unterhaltsanspruch verwirkte, wenn angesichts des vorausgehenden Verhaltens des unterhaltspflichtigen Ehegatten die Aufrechterhaltung seiner Unterhaltspflicht weder als grob unbillig noch als rechtsmissbräuchlich erscheint (3 Ob 43/11m Pkt 2.4.; vgl RIS‑Justiz RS0107416).

5.1. Der Revisionswerber zeigt aber zutreffend auf, dass die Fällung eines Zwischenurteils gemäß § 393 Abs 1 ZPO über den Grund des von der Klägerin nach § 94 Abs 2 ABGB geltend gemachten Unterhaltsanspruchs die Beurteilung erfordert, in welchem Ausmaß allenfalls der Unterhaltsanspruch nach § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB schon dem Grunde nach zu mindern ist.

5.2. Das Zwischenurteil nach § 393 Abs 1 ZPO soll Gewissheit über das Bestehen des Anspruchs schaffen, weshalb diese Frage daher auch nicht bloß teilweise dem anschließenden Verfahren über die Höhe des Anspruchs überlassen werden darf (RIS‑Justiz RS0040851). Zur Erlassung eines Zwischenurteils nach § 393 Abs 1 ZPO ist es erforderlich, dass alle rechtserzeugenden Tatsachen, aus denen der Anspruch abgeleitet wird, und alle Einwendungen, die den Bestand berühren, geklärt werden (RIS‑Justiz RS0122728; RS0040743 [T5, T6]; RS0040990). Dazu zählt ua auch die Frage des Mitverschuldens des Geschädigten (RIS‑Justiz RS0106185; RS0122728 [T2]; RS0040743 [T7]). Nach einem Zwischenurteil über den Anspruchsgrund ist nur mehr die Höhe des Klageanspruchs zu ermitteln (vgl RIS‑Justiz RS0126666; vgl RS0040750).

5.3. Diese Grundsätze sind auch auf das Zwischenurteil über den Grund des von der Klägerin nach § 94 Abs 2 ABGB geltend gemachten Unterhaltsanspruchs bei aufrechter Ehe anzuwenden. Wird in diesem Zwischenurteil nicht über das Ausmaß der vom Beklagten behaupteten Minderung (Verwirkung) des Unterhaltsanspruchs endgültig abgesprochen, müsste im fortgesetzten Verfahren über die Berechnung der Höhe des Unterhaltsanspruchs zunächst (wieder) die – oben genannte – erforderliche Interessenabwägung stattfinden, um beurteilen zu können, in welchem Ausmaß der Unterhaltsanspruch der Klägerin dem Grunde nach überhaupt besteht. Dies würde aber dem Zweck des Zwischenurteils nach § 393 Abs 1 ZPO, durch eine qualitative Gliederung des Prozessstoffs den Prozess zu beschleunigen (Rechberger in Rechberger, ZPO4 § 393 Rz 1; Deixler-Hübner in Fasching/Konecny 3 III/2 § 393 ZPO Rz 4; vgl 5 Ob 212/10b Pkt 3.), widersprechen.

Der Revision des Beklagten war daher Folge zu geben, das angefochtene Urteil aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung aufzutragen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

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