OGH 9Ob18/24y

OGH9Ob18/24y18.3.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Fichtenau als Vorsitzende, die Hofrätin und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. M*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 6.600 EUR sA und Feststellung (Streitwert 2.000 EUR), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 29. November 2023, GZ 53 R 154/23p‑42, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Seekirchen am Wallersee vom 12. Juni 2023, GZ 3 C 613/20h‑36, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00018.24Y.0318.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Der Rekurs der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 602,54 EUR (darin 100,42 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger erwarb am 5. 4. 2013 den Gebrauchtwagen Seat Alhambra Style 2,0 Turbodiesel CR mit der Fahrzeugidentifikationsnummer * mit einem Kilometerstand von etwa 22.000 bis 25.000 km um einen Preis von 22.000 EUR. In diesem Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor EA189 der Abgasklasse Euro 5 verbaut.

[2] Die in der Motorsteuerung des Fahrzeugs ursprünglich enthaltene Umschaltlogik, die einen Prüfstandlauf erkannte, um im normalen Fahrbetrieb die Abgasrückführung zu reduzieren, wurde mit dem Software‑Update vom 13. 2. 2017 entfernt. Das Software‑Update bedient sich eines „Thermofensters“. Ende 2019/Anfang 2020 entnahm der Kläger Medienberichten, dass nach dem Software‑Update möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer temperaturabhängigen Abschalteinrichtung („Thermofenster“) im Fahrzeug implementiert sei. Der theoretische Wert des Fahrzeugs ohne Typengenehmigung lag im Ankaufszeitpunkt bei 14.000 EUR.

[3] Der Kläger begehrt mit seiner am 1. 10. 2020 eingebrachten Schadenersatzklage den Ersatz des Minderwerts des Fahrzeugs von 6.600 EUR samt 4 % Zinsen seit 5. 4. 2013 sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden im Zusammenhang mit dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung. Die Beklagte habe den Kläger vorsätzlich darüber getäuscht, dass das Fahrzeug nicht den geltenden Zulassungsvorschriften entspreche. Das von der Beklagten durchgeführte Software‑Update habe den rechtswidrigen Zustand nicht beseitigt. Bei Kenntnis der wahren Sachlage hätte der Kläger das Fahrzeug um einen um 30 % verminderten Kaufpreis erworben. Aufgrund des durchgeführten Updates seien zukünftige Schäden im Bereich des Abgasrückführungssystems (insbesondere AGR‑Ventil, AGR‑Kühler und Injektoren) nicht ausgeschlossen.

[4] Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass die Ansprüche bereits verjährt seien, weil dem Kläger im Oktober 2015 ein Schreiben zugegangen sei, mit welchem er darüber informiert worden sei, dass sein Fahrzeug vom Abgasskandal betroffen sei, und er daraufhin ein Software‑Update durchführen habe lassen, um die in der Motorsteuerung enthaltene Umschaltlogik zu entfernen. Durch das Software-Update sei ein rechtskonformer Zustand hergestellt worden. Die Beklagte habe weder vorsätzlich noch arglistig gehandelt. Da sie gegenüber dem KBA das Thermofenster offengelegt habe, könne ihr nicht einmal ein fahrlässiger Verstoß gegen unionsrechtliche Bestimmungen angelastet werden. Jedenfalls liege ein entschuldbarer Rechtsirrtum vor. Der Kläger habe keinen Vermögensnachteil erlitten. Das Feststellungsbegehren sei wegen fehlenden Feststellungsinteresses unzulässig.

[5] Das Erstgerichtgab dem Leistungsbegehren mit 2.200 EUR samt 4 % Zinsen seit 5. 4. 2013 sowie dem Feststellungsbegehren statt und wies das Mehrbegehren auf Zahlung von 4.400 EUR sA ab. Das Fahrzeug des Klägers weise auch nach dem Software‑Update eine unzulässige Abschalteinrichtung („Thermofenster“) auf. Ausgehend vom theoretischen Wert des Fahrzeugs ohne Typengenehmigung im Ankaufszeitpunkt habe der Kläger einen Vermögensschaden in Höhe von 10 % des Kaufpreises (2.200 EUR) erlitten. Das Feststellungsinteresse sei zu bejahen, weil mit dem Einbau einer temperaturabhängigen Abschalteinrichtung die Möglichkeit zukünftiger Schäden nicht ausgeschlossen werden könne. Verjährung sei nicht eingetreten, weil zwischen dem Zeitpunkt, ab welchem für den Kläger erkennbar gewesen sei, dass die unzulässige Abschalteinrichtung durch das Software‑Update nicht behoben wurde, und der Klagseinbringung keine drei Jahre vergangen seien.

[6] Das Berufungsgericht gab der gegen den klagestattgebenden Teil der Entscheidung von der Beklagten erhobenen Berufung Folge und hob das Ersturteil in diesem Umfang zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung auf. Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass durch das Software-Update zwar die Umschaltlogik beseitigt worden sei, doch auch das nun vorhandene „Thermofenster“ eine unzulässige Abschaltrichtung iSd Art 5 der VO 715/2007/EG darstelle. Da für den Kläger frühestens Ende 2019/Anfang 2020 erkennbar gewesen sei, dass die Rechtsbeständigkeit der EG‑Typengenehmigung aufgrund des Thermofensters gefährdet sei, seien die geltend gemachten Ansprüche nicht verjährt. Die Rechtsprechung des EuGH zur Schutzgesetzverletzung des „Herstellers“ bei Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung betreffe nur den Fahrzeughersteller, nicht aber den Motorhersteller. Letzterer hafte aber bei Vorliegen der Voraussetzungen nach den §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB. Diesbezüglich fehlten jedoch Feststellungen, weshalb noch Beweisaufnahmen und Feststellungen zu diesen vom Kläger geltend gemachten Haftungsansätzen erforderlich seien. Hinsichtlich des Feststellungsbegehrens werde mit den Parteien insbesondere die Entscheidung 10 Ob 17/23g zu erörtern sein.

[7] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 5.000 EUR, nicht jedoch 30.000 EUR übersteigt. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde für zulässig erklärt, weil die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob bereits die Kenntnis von der „Betroffenheit“ eines Fahrzeugs vom „Abgasskandal“ den Beginn der Verjährungsfrist auslöse, uneinheitlich sei.

[8] Gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem Antrag den berufungsgerichtlichen Beschluss aufzuheben und zufolge Spruchreife der Streitsache durch Urteil in der Sache selbst im Sinne einer vollständigen bzw teilweisen Klagsabweisung (Feststellungsbegehren, Zinsenbegehren) zu entscheiden. Hilfsweise wird der Antrag auf Aufhebung des Aufhebungsbeschlusses und die Zurückverweisung der Rechtssache an eine der Unterinstanzen beantragt.

[9] Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung, den Rekurs der Beklagten als unzulässig zurückzuweisen; in eventu, ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Der Rekurs ist entgegen dem – nicht bindenden – Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig, weil der Oberste Gerichtshof zu den maßgeblichen Rechtsfragen bereits eingehend Stellung genommen hat (vgl RS0112769 [T12]) und im Übrigen keine erhebliche Rechtsfrage aufgezeigt wird.

[11] 1. Dass sowohl die im gegenständlichen Motortyp EA189 verbaut gewesene Umschaltlogik als auch das – nach Durchführung des Software‑Updates (weiterhin) implementierte – „Thermofenster“ eine gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotene Abschalteinrichtung darstellt (vgl jüngst 8 Ob 118/23w Rz 11), zieht der Rekurs nicht mehr begründet in Zweifel, sodass darauf nicht mehr näher einzugehen ist (RS0043352 [T30]).

[12] 2.1. Der Oberste Gerichtshof geht in seiner jüngeren Rechtsprechung auch im Zusammenhang mit deliktischen Schadenersatzansprüchen (gegen die auch hier Beklagte) davon aus, dass die dreijährige Verjährungsfrist gemäß § 1489 erster Satz ABGB für den Käufer erst zu dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, zu dem er davon Kenntnis erlangte, dass trotz des Software‑Updates nach wie vor vom Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen ist, weil er davor mit gutem Grund annehmen durfte, dass der aufgetretene Schaden zur Gänze behoben wurde und daher die Geltendmachung weiterer Ansprüche nicht in Betracht komme (RS0034951 [T42]).

[13] 2.2. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen zur Verjährung steht im Einklang mit dieser – auch vom erkennenden Senat als zutreffend erachteten – Rechtsprechung. Stichhaltige Gründe, davon abzugehen, zeigt die Revision nicht auf. Die insoweit gegenteilige Entscheidung 6 Ob 160/21d, auf die sich die Rekurswerberin stützt, die für den Beginn der Verjährung ausschließlich auf die Kenntnis der Betroffenheit vom Abgasskandal abstellt, ist insoweit vereinzelt geblieben und aufgrund der aktuellen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs überholt (6 Ob 181/23w Rz 15; 2 Ob 3/24s Rz 15 uva).

[14] 3.1. Der Oberste Gerichtshof hat zuletzt mehrfach ausgesprochen, dass eine deliktische Haftung der vom Gerichtshof der Europäischen Union beurteilten Schutzgesetzverletzung im Zusammenhang mit der VO 715/2007/EG wegen des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung (nur) den Fahrzeughersteller trifft (RS0134616). Hingegen haftet der Motorenhersteller wegen einer solchen Schutzgesetzverletzung nicht (2 Ob 139/23i Rz 13 mwN). Wenn das Berufungsgericht aber einen durch nationales Recht determinierten Schadenersatzanspruch gegen die beklagte Motorenherstellerin wegen arglistiger Irreführung und absichtlicher Schadenszufügung (§§ 874, 1295 Abs 2 ABGB) für möglich hält, entspricht das der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (2 Ob 139/23i Rz 14 mwN). Dies wird auch im Rekurs der Beklagten nicht weiter in Zweifel gezogen.

[15] 3.2. Der Rekurs behauptet (zutreffenderweise) nicht, dass ausreichende Feststellungen vorlägen, die eine Beurteilung der Berechtigung des Klagebegehrens auf den Anspruchsgrundlagen von § 874 und § 1295 Abs 2 ABGB zuließen.

[16] 3.3. Ein vom Fahrzeugkäufer gegenüber dem Motorhersteller verursachter Schaden wird nach den allgemeinen Regeln gemäß der relativen Berechnungsmethode zu ermitteln sein (vgl 2 Ob 139/23i Rz 24 f; 4 Ob 204/23p Rz 50 mwN).

[17] 3.4. Die Beklagte vertritt in ihrem Rechtsmittel – unter Berufung auf die Rechtsprechung des BGH (VIa ZR 335/21 Rz 80) – den Standpunkt, dass der mit dem Erwerb des Fahrzeugs verbundene Vorteil anzurechnen sei, weil der Kläger das Fahrzeug knapp 11 Jahre lang uneingeschränkt nutzen habe können.

[18] Ein allfälliger Vorteilsausgleich im Zusammenhang mit einem Nutzungsvorteil im Sinn eines Benützungsentgelts kann schon deshalb nicht stattfinden, weil ein solcher nicht von Amts wegen, sondern nur über Einwendungen des insoweit behauptungs- und beweispflichtigen Schädigers zu erfolgen hat (RS0036710). Dass die im Rekurs genannten Umstände im Rahmen eines Vorteilsausgleichs zu berücksichtigen wären, wurde von der Beklagten im Verfahren erster Instanz aber nicht eingewendet, sodass darauf schon wegen des Neuerungsverbots nicht weiter einzugehen ist (vgl 2 Ob 3/24s Rz 20).

[19] Soweit die Beklagte (nur) die Berücksichtigung einer allfälligen Aufwertung des Fahrzeugs durch die „technische Maßnahme“, die der Beseitigung der Prüfstandserkennungssoftware gedient habe, im Rahmen der Vorteilsausgleichung forderte, genügt der Hinweis, dass das Software-Update schon deswegen keinen gegenüber dem Schadenersatzanspruch der Klägerin anrechenbaren Vorteil darstellen kann, weil eine unzulässige Abschalteinrichtung weiterhin besteht (10 Ob 46/23x Rz 24).

[20] 3.5. Irrelevant ist, ob der Beklagten (auch) hinsichtlich des „Thermofensters“ ein Verschulden anzulasten ist, zumal der bereits durch die „Umschaltlogik“ eingetretene Schaden (des Bestehens einer unzulässigen Abschalteinrichtung mit der damit verbundenen latenten Unsicherheit in Bezug auf die Möglichkeit, das Fahrzeug anzumelden, zu verkaufen oder in Betrieb zu nehmen) damit nicht beseitigt wurde. Schlägt – wie hier – der Versuch einer Schadensbeseitigung (verschuldet oder unverschuldet) fehl, hat es bei der Haftung des Schädigers zu bleiben (6 Ob 133/23m Rz 8 mwN). Im Rekurs wird nicht behauptet, dass die Schutzgesetzverletzung in Bezug auf die Umschaltlogik unverschuldet erfolgte (vgl 6 Ob 197/23y Rz 22 f).

[21] 4. Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 Ob 17/23g (Rz 26 ff) ausgesprochen hat, dass die von der dortigen Klägerin im Rahmen des Feststellungsbegehrens geltend gemachten Spät- und Dauerfolgen nicht im Rechtswidrigkeitszusammenhang mit den hier gegenständlichen unionsrechtlichen Schutzgesetzen, die nicht die Vermeidung solcher Schäden (auch nur mit‑)bezwecken, stehen. Dennoch ist der vom Berufungsgericht erachtete Erörterungsbedarf des hier erhobenen Feststellungsbegehrens gegeben. Im Verfahren 10 Ob 17/23g war der Fahrzeughersteller beklagt, hier wird der Schadenersatzanspruch gegen den Motorhersteller geltend gemacht, der nach nunmehr ständiger Rechtsprechung nicht auf eine Schutzgesetzverletzung (Verletzung des Art 5 VO 715/2007/EG ) gestützt werden kann (9 Ob 10/23w Rz 23; 10 Ob 31/23s Rz 48 f; 4 Ob 204/23p Rz 34 uva). Zu berücksichtigen ist auch, dass der Kläger die (deliktische) Haftung der Beklagten für sämtliche aus dem Update resultierende Schäden festzustellen begehrt. Ganz allgemein ist ein Feststellungsbegehren dann zulässig, wenn der Eintritt künftiger Schäden nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann (RS0039018 [T6, T20, T28]). Schon die Möglichkeit künftiger Schäden rechtfertigt daher die Erhebung einer Feststellungsklage (vgl auch 2 Ob 277/08m Pkt I.1. mwN zur Verletzung vertraglicher Pflichten).

[22] 5. Für den Fall eines Klagszuspruchs wird für den Zinsenzuspruch zu beachten sein, dass ein Anspruch auf Schadenersatz erst mit der zahlenmäßig bestimmten Geltendmachung durch Mahnung, Klage oder Klageerweiterung fällig wird, sodass Verzugszinsen auch erst ab diesem Zeitpunkt mit Erfolg gefordert werden können. Da es sich um eine empfangsbedürftige Willenserklärung handelt, ist der Zugang der Mahnung, im Fall der Klage also deren Zustellung maßgeblich (RS0023392 [T6]; RS0024386; 6 Ob 197/23y Rz 27).

[23] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Das Rekursinteresse beträgt lediglich 4.200 EUR. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses der Beklagten in seiner Rekursbeantwortung hingewiesen (RS0123222).

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