OGH 9Ob137/03t

OGH9Ob137/03t21.4.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Cornelia B*****, geboren am 6. Dezember 1994, und der mj Victoria B*****, geboren am 20. Mai 1997, ***** infolge Revisionsrekurses des Vaters Dr. Hermann B*****, vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger ua, Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Korneuburg als Rekursgericht vom 10. September 2003, GZ 20 R 51/03w-24, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Klosterneuburg vom 3. April 2003, GZ 1 P 115/01v-19, infolge Rekurses abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird, soweit nicht bereits eine rechtskräftige Teilabweisung des Erstgerichtes vorliegt, aufgehoben. Dem Rekursgericht wird die neuerliche Entscheidung über den Rekurs aufgetragen.

Text

Begründung

Mit Beschluss des Erstgerichtes vom 8. 11. 2001, 3 C 89/99g, wurde die Ehe der Eltern nach § 55a EheG geschieden. Mit Scheidungsfolgenvergleich selben Datums vereinbarten sie, dass die beiden Kinder in der alleinigen Obsorge der Mutter bleiben (Pkt 8 a), und verpflichtete sich der Vater, für den Unterhalt der Kinder, beginnend ab 1. 10. 2001, Unterhalt zu zahlen, und zwar für die mj Cornelia ATS 8.500 (EUR 617,72) monatlich und für die mj Victoria ATS 6.500 (EUR 472,37) monatlich (Pkt 8b). Der Vergleich wurde vom Erstgericht mit Beschluss vom 19. 11. 2001 pflegschaftsbehördlich genehmigt.

Mit Antrag vom 19. 12. 2002 und Ergänzung vom 23. 1. 2003 begehrte der Vater ab 1. 10. 2001 die Herabsetzung des Unterhalts hinsichtlich der mj Cornelia auf EUR 500 (monatlich) und hinsichtlich der mj Victoria auf EUR 375 (monatlich). Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zu 3 Ob 141/02k müsse gemäß der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zumindest die Hälfte der Unterhaltsleistungen bei getrennt lebenden Unterhaltspflichtigen steuerfrei gestellt werden.

Das Erstgericht setzte hierauf die Unterhaltsverpflichtung des Vaters gegenüber dem Vergleich vom 8. 11. 2001 herab und verpflichtete ihn ab 1. 10. 2002 bis auf weiteres, längstens jedoch bis zur Selbsterhaltungsfähigkeit, hinsichtlich der mj Cornelia zu einem Unterhaltsbeitrag von EUR 500 monatlich und hinsichtlich der mj Victoria zu einem Unterhaltsbeitrag von EUR 375 monatlich. Das Mehrbegehren des Vaters auf Herabsetzung seiner monatlichen Unterhaltsleistung auch schon für die Zeit vom 1. 10. 2001 bis 30. 9. 2002 wurde hingegen abgewiesen. Unter Zugrundelegung eines Jahresbruttoeinkommens des Vaters laut Einkommenssteuerbescheid 2001 von EUR 241.887 bzw eines Jahresnettoeinkommens von EUR 130.011 (monatlich EUR 10.800 netto) vertrat es die Rechtsauffassung, dass im Hinblick auf das überdurchschnittlich hohe Einkommen des Vaters (zur Vermeidung einer Überalimentierung) nicht die Prozentberechnung auf der Grundlage des Nettoeinkommens zum Tragen komme. Es sei vielmehr ein "Unterhaltsstopp" beim Zweifachen des Regelbedarfes Gleichaltriger vorzunehmen, weil die Kinder noch unter zehn Jahren seien. Die sich dabei ergebenden monatlichen Beträge von EUR 510 für die mj Cornelia und EUR 396 für die mj Victoria seien nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes durch entsprechende Berücksichtigung der Transferzahlungen (Unterhaltsabsetzbetrag, Familienbeihilfe) steuerlich zu entlasten. Eine rückwirkende Herabsetzung bereits ab 1. 10. 2001 sei jedoch durch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht gedeckt; sie komme erst ab der Kundmachung des (§ 12a FLAG teilweise) aufhebenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes am 13. 9. 2002 in BGBl I 2002/152 in Betracht. Jeder Unterhaltsfestsetzung wohne die Umstandsklausel inne, sodass ungeachtet der von der Mutter geltend gemachten Vergleichsrelationen eine Neuberechnung des Kindesunterhalts gerechtfertigt erscheine.

Das Rekursgericht änderte infolge des von der Mutter erkennbar namens der Kinder erhobenen Rekurses gegen den die Unterhaltsverpflichtung des Vaters herabsetzenden Teil des erstgerichtlichen Beschlusses die angefochtene Entscheidung dahin ab, dass der Herabsetzungsantrag des Vaters abgewiesen wurde. Im pflegschaftsbehördlich genehmigten Scheidungsvergleich sei der zweieinhalbfache Regelbedarf als Unterhalt festgesetzt worden. Dieser sei daher auch als Luxusgrenze heranzuziehen, und nicht der zweifache Regelbedarf wie vom Erstgericht angenommen. Die vom Erstgericht vorgenommene steuerliche Entlastung des Vaters sei nicht berechtigt. Die Besonderheit des Falles liege hier darin, dass der Unterhalt nicht nach der Prozentsatzmethode, sondern mit einem bestimmten Vielfachen des Regelbedarfs begrenzt worden sei. Erste Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes (2 Ob 37/02h, 4 Ob 52/02d, 1 Ob 79/02b) seien dahin gegangen, auch im Falle der Luxusgrenze die steuerliche Entlastung durch Berücksichtigung der Transferzahlungen vorzunehmen. Zu 2 Ob 5/03d sei jedoch ausgesprochen worden, dass es keinen allgemeinen Unterhaltsstopp bei einem bestimmten Vielfachen des Regelbedarfs gebe, sondern die konkrete Ausmittlung immer von den Umständen des Einzelfalls abhänge. Nach 5 Ob 67/03v bedürfe jede Abweichung vom Ergebnis der Prozentsatzmethode einer besonderen Rechtfertigung. Es genüge daher nicht die Angabe eines bestimmten Vielfachen des Regelbedarfs als starre Rechengröße. Wenn - wie im vorliegenden Fall - die Ergebnisse der Prozentsatzmethode weit über der Luxusgrenze liegen, wäre es unbillig, den Vater noch einmal steuerlich zu entlasten, zumal die Luxusgrenze pädagogische Ziele verfolge und nicht der Entlastung des Unterhaltspflichtigen diene. Die steuerliche Entlastung könne kein Argument dafür sein, dass der Unterhaltsberechtigte plötzlich weniger verbrauchen dürfe. Auch den Steuergesetzen (zB § 18 Abs 3 EStG) sei zu entnehmen, dass bei besonders hohen Einkommen Belastungen nicht bzw nicht vollständig steuerentlastend berücksichtigt werden müssen. Nur wenn das Ergebnis der Prozentsatzmethode nach Anrechnung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages unter die Luxusgrenze falle, sei ein geringerer Unterhaltsbeitrag auszumessen. Im Hinblick auf das dargelegte "Spannungsfeld" und mangels Einheitlichkeit der oberstgerichtlichen Rechtsprechung sei der ordentliche Revisionsrekurs zuzulassen.

Gegen den Beschluss des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Kinder äußerten sich dahin, dass dem Revisionsrekurs nicht Folge gegeben werden möge.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne des Aufhebungsantrages berechtigt.

Grundsätzlich kann eine Neufestsetzung des Unterhalts bei rechtskräftig entschiedenen Unterhaltsansprüchen nur bei geänderter Sachlage, bei Änderung der dem Unterhaltsanspruch zugrundeliegenden Gesetzesregelungen oder einer derart tiefgreifenden Änderung der bisherigen, den Unterhaltstitel bestimmenden Rechtsgrundsätze durch die Rechtsprechung, die in ihrer Tragweite praktisch einer Gesetzesänderung gleichkommt, erfolgen (6 Ob 45/02i; 1 Ob 135/02p; 8 Ob 139/03d; RIS-Justiz RS0047398 ua). Unterhaltsvergleiche, auch solche nach § 55a EheG (6 Ob 18/99m; RIS-Justiz RS0057146 ua), werden ebenfalls regelmäßig unter der clausula rebus sic stantibus geschlossen, weshalb auch in diesen Fällen der Unterhaltsanspruch bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse neu bestimmt werden kann (RIS-Justiz RS0009636, RS0018984 ua).

Die vom Vater begehrte Herabsetzung der Geldunterhaltspflicht durch Anrechnung von Transferleistungen (Familienbeihilfe etc) zum Zwecke der steuerlichen Entlastung beruht auf einer Gesetzesänderung (1 Ob 135/02p; 8 Ob 139/03d ua); sie kann als eine wesentliche Änderung im vorgenannten Sinn betrachtet werden, die eine Neufestsetzung des Unterhalts rechtfertigt. Zu beachten ist jedoch im vorliegenden Fall, dass der Vater seinen Herabsetzungsantrag ausschließlich auf die steuerliche Entlastung stützte; eine Überalimentierung wurde von ihm in erster Instanz ebenso wenig als Herabsetzungsgrund geltend gemacht wie eine sonstige wesentliche Änderung der Verhältnisse gegenüber der Vergleichslage vom 8. 11. 2001. Auch im Bereich des vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verfahrens außer Streitsachen (§ 2 Abs 2 Z 5 AußStrG) sind subjektive Behauptungs- und Beweislastregeln jedenfalls dann heranzuziehen, wenn über vermögensrechtliche Ansprüche, in denen sich die Parteien in verschiedenen Rollen gegenüberstehen, zu entscheiden ist (RIS-Justiz RS0006261 ua). Der Unterhaltspflichtige ist für alle seine Unterhaltsverpflichtung aufhebenden oder vermindernden Umstände behauptungs- und beweispflichtig (7 Ob 92/03k; 4 Ob 185/03i; RIS-Justiz RS0106533, RS0111084 ua). Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass im außerstreitigen Verfahren Neuerungen im Rekurs nur so weit zulässig sind, als das Tatsachenvorbringen oder die Vorlage der Beweismittel in erster Instanz nicht möglich war (4 Ob 185/03i mwN). Auch im Außerstreitverfahren müssen Tatsachen, auf die ein Antrag gestützt werden soll, bereits in erster Instanz vorgebracht werden (7 Ob 92/03k; RIS-Justiz RS0006790 ua). Auf Überlegungen zur Überalimentierung bzw zur Frage, ob die "Luxusgrenze" im vorliegenden Fall beim Zwei- oder beim Zweieinhalbfachen des Regelbedarfes zu ziehen sei, ist daher nicht einzugehen.

Mit der Frage, wie nach dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 19. 6. 2002, G 7/02 ua, mit dem ein Teil des § 12a FLAG als verfassungswidrig aufgehoben wurde, die Bemessung des Unterhalts von Kindern getrennt lebender Eltern erfolgen muss, hat sich der Oberste Gerichtshof bereits in einer ganzen Reihe von Entscheidungen auseinandergesetzt (RIS-Justiz RS0117015, RS0117016, RS0117023 ua). Nach den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofes muss der Geldunterhaltspflichtige für die Hälfte des von ihm gezahlten Unterhalts steuerlich entlastet werden. Da der Unterhaltsstopp die Funktion des Unterhalts berücksichtigt, die - an den Lebensverhältnissen des Unterhaltspflichtigen orientierten - Lebensbedürfnisse des Kindes zu decken, erhält das Kind mit einem Unterhalt in dieser Höhe den ihm zustehenden Unterhalt (RIS-Justiz RS0117017 ua). Die Argumentation des Rekursgerichtes bildet keinen Anlass, von dieser Judikatur abzugehen. Richtig weist es selbst darauf hin, dass der Oberste Gerichtshof bereits mehrmals - unter Ablehnung der Ansicht von Gitschthaler, JBl 2003, 9 (16) - ausgesprochen hat, dass der Geldunterhaltspflichtige auch dann darauf Anspruch hat, durch entsprechende Berücksichtigung der Transferzahlungen steuerlich entlastet zu werden, wenn die Prozentkomponente auf Grund des Unterhaltsstopps bei einem überdurchschnittlichen Einkommen nicht voll ausgeschöpft wird (2 Ob 37/02h; 4 Ob 52/02d; RIS-Justiz RS0117017 ua). Die nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben notwendige steuerliche Entlastung hat sich stets an jenem Unterhaltsbetrag zu orientieren, der unter Zugrundelegung der schon bisher anerkannten zivilrechtlichen Grundsätze geschuldet wird. Damit hat im Ergebnis der Unterhaltsberechtigte stets - sowohl in den Fällen durchschnittlichen Einkommens des Unterhaltsverpflichteten als auch bei weit überdurchschnittlichem - eine gewisse Einbuße hinzunehmen. Die Rechtsauffassung des Rekursgerichtes würde hingegen dazu führen, dass in den Fällen des Unterhaltsstopps der Unterhaltspflichtige - mit Ausnahme des gesetzlichen Unterhaltsabsetzbetrags - keine steuerliche Entlastung erfahren könnte, was gerade zu der verfassungsrechtlich unzulässigen Schlechterstellung gegenüber vergleichbaren Einkommensbeziehern ohne Sorgepflichten führte. Dieses Ergebnis kann auch nicht als unbillig angesehen werden, zumal gerade in den Fällen des Unterhaltsstopps nicht gesagt werden kann, dass die (verhältnismäßig geringfügige) Kürzung des Unterhaltsanspruchs dazu führen würde, dass die Möglichkeit des Unterhaltsberechtigten, seine Bedürfnisse zu befriedigen, in erheblicher Weise beeinträchtigt wäre (9 Ob 27/03s).

Davon ist der Oberste Gerichtshof entgegen der Annahme des Rekursgerichtes auch nicht in den Entscheidungen 2 Ob 5/03d und 5 Ob 67/03v abgegangen; im Gegenteil: der vorstehende Grundsatz wurde neuerlich bekräftigt. Richtig ist, dass auch darauf hingewiesen wurde, dass das jeweilige Vielfache des Regelbedarfs bei einem überdurchschnittlich hohen Einkommen des Unterhaltspflichtigen keine absolute Obergrenze ist, dass es also keinen allgemeinen, für jeden Fall geltenden Unterhaltsstopp bei einem bestimmten Vielfachen des Regelbedarfs gibt. Die konkrete Ausmittlung hängt vielmehr immer von den Umständen des Einzelfalles ab. Maßgebend ist hiebei die Verhinderung einer pädagogisch schädlichen Überalimentierung. Darauf kommt es aber hier, wie bereits ausgeführt, nicht an, weil der Vater in erster Instanz gegenüber der seinerzeit mit der Mutter hinsichtlich der Kinder getroffenen vergleichsweisen Unterhaltsregelung, die in der Folge auch pflegschaftsbehördlich genehmigt wurde, als Herabsetzungsgrund ausschließlich die bisher nicht erfolgte steuerliche Entlastung als Änderung der Verhältnisse geltend machte.

Das Rekursgericht wird daher bei seiner neuerlichen Entscheidung unter Zugrundelegung der Unterhaltsverpflichtung des Vaters auf Grund des Vergleiches vom 8. 11. 2001 dem berechtigten Einwand des Revisionsrekurswerbers, in der Rekursentscheidung sei die ihm gebührende steuerliche Entlastung durch Anrechnung der Transferleistungen zu Unrecht nicht berücksichtigt worden, Rechnung zu tragen haben. Die konkrete Bemessung (siehe zur Berechnungsformel etwa 2 Ob 5/03d mwN) ist vom Obersten Gerichtshof nicht selbst durchzuführen (§ 16 Abs 4 AußStrG iVm § 510 Abs 1 letzter Satz ZPO; 9 Ob 27/03s; 1 Ob 208/03z ua).

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