OGH 8ObS15/03v

OGH8ObS15/03v13.11.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Robert Hauser als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Katharina K*****, Behindertenbetreuerin, ***** vertreten durch Mairhofer & Gradl, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei IAF-Service GmbH, Geschäftsstelle L*****, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1010 Wien, Singerstraße 17-19, wegen Insolvenz-Ausfallgeld in Höhe von EUR 793,30 netto, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. Juni 2003, GZ 11 Rs 55/03t-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgericht vom 13. September 2002, GZ 25 Cgs 3/02y-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 266,69 (darin enthalten EUR 44,45 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war ab 3. 4. 1989 als Arbeiterin im Unternehmen der späteren Gemeinschuldnerin in der Abteilung Gießerei vollzeitbeschäftigt. Über Wunsch ihrer Arbeitgeberin vereinbarte die Klägerin eine Reduktion der wöchentlichen Normalarbeitszeit ab 1. 1. 1997 auf 30 Wochenstunden. Die Arbeitgeberin sicherte der Klägerin zu, dass ihr die bereits erworbenen Abfertigungsansprüche auf Basis der Vollzeitbeschäftigung erhalten bleiben. Nach Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Gemeinschuldnerin am 5. 3. 2001 erklärte die Klägerin am 29. 5. 2001 ihren begründeten vorzeitigen Austritt gemäß § 25 KO.

Legt man der Berechnung der der Klägerin zustehenden Abfertigung das zuletzt bezogene Bruttoentgelt von EUR 1.231,92 zugrunde, so errechnet sich ein Abfertigungsanspruch von netto EUR 4.823,08, für den die Beklagte Insolvenz-Ausfallgeld zuerkannte. Unter Berücksichtigung der Vereinbarung, dass der Klägerin die bereits erworbenen Abfertigungsansprüche auf Basis der Vollzeitbeschäftigung erhalten bleiben, errechnet sich ein um netto EUR 793,30 höherer Abfertigungsanspruch der Klägerin (drei Monatsentgelte auf Basis einer Vollzeitbeschäftigung vom 3. 4. 1989 bis 31. 12. 1996; ein Monatsentgelt auf Basis der Teilzeitbeschäftigung vom 1. 1. 1997 bis 29. 5. 2001). Die Zuerkennung dieser zusätzlichen Abfertigung in Höhe von EUR 793,30 netto lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 5. 6. 2002 ab.

Die Klägerin begehrt die Zahlung von EUR 793,30 netto mit der Begründung, sie habe aufgrund der Vereinbarung mit ihrer Arbeitgeberin auch für diesen Teil Anspruch auf Insolvenz-Ausfallgeld. Im Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung und der Umstellung von Vollzeit- auf Teilzeitbeschäftigung habe sie bereits den Anspruch auf Abfertigung von drei Monatsentgelten auf Basis der Vollzeitbeschäftigung erworben. Die Vereinbarung mit der Arbeitgeberin entspreche tatsächlichen Beschäftigungszeiten, in denen auch tatsächlich ein entsprechendes Entgelt erzielt worden sei. Die Zuerkennung dieses Teiles der Abfertigung entspreche der Judikatur des Obersten Gerichtshofes zu kollektivvertraglichen Regelungen im Zusammenhang mit der Anrechnung von Mutterschaftskarenzzeiten.

Die Beklagte wendet ein, dass nach § 1 Abs 4a IESG nur der Abfertigungsanspruch nach § 2 Abs 1 ArbAbfG und § 23 Abs 1 AngG gesichert sei. Dieser Anspruch könne weder durch Kollektivvertrag noch durch einzelvertragliche Vereinbarungen erweitert werden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging rechtlich davon aus, dass es zwar Argumente für die Zuerkennung des Abfertigungsanspruches gebe, dass die Zuerkennung aber letztlich deshalb ausscheide, weil eine der einzelvertraglichen Vereinbarung vergleichbare gesetzliche Abfertigungsregelung fehle.

Das Berufungsgericht gab der dagegen von der Klägerin erhobenen Berufung Folge und änderte das Urteil im Sinne einer gänzlichen Klagestattgebung ab. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zu der hier entschiedenen Frage der Sicherung des Abfertigungsanspruches unter Berücksichtigung der einzelvertraglichen Vereinbarung keine oberstgerichtliche Judikatur vorliege. Rechtlich ging das Berufungsgericht davon aus, dass zwar grundsätzlich die Abfertigung vom zuletzt bezogenen Gehalt zu bemessen sei. § 23 Abs 1 AngG nehme die Bemessung der Abfertigung nach dem für den letzten Monat gebührenden Entgelt vor. Auch bei Änderung von Vollzeit- auf Teilzeitbeschäftigung errechne sich der Abfertigungsanspruch nach dieser Gesetzesstelle nach dem zuletzt bezogenen Gehalt. Dem Gesetzgeber sei es darum gegangen, freiwillige über das gesetzliche Ausmaß hinausgehende Ansprüche zu begrenzen. Allerdings sei von der Rechtsprechung bei der Mutterschaftskarenz schon die Wirksamkeit einer kollektivvertraglichen Regelung über die Anrechnung anerkannt worden. Zwar sei hinsichtlich der Zuerkennung von zwei zusätzlichen Monatsentgelten durch den Kollektivvertrag eine Sicherung verneint worden; andererseits sei aber auch die einzelvertragliche Anrechnung von Vordienstzeiten für die Abfertigung als zulässig angesehen worden, wenn es sich um die Anrechnung von tatsächlich geleisteten Beschäftigungszeiten, für die noch keine Abfertigung bezahlt worden sei, gehandelt habe.

In seiner Entscheidung 8 ObS 13/01x habe der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass auch für eine Vollzeitbeschäftigte, die nach ihrem Karenzurlaub unter der Voraussetzung als Halbtagsbeschäftigte weiter arbeitete, dass im Falle einer Kündigung die Abfertigung auf Basis der Ganztagsbeschäftigung zuerkannt werde, eine Absicherung des Abfertigungsanspruches gegeben sei. Der Oberste Gerichtshof habe festgehalten, dass es den Arbeitsvertragsparteien im gewissen Umfang frei stehe, die Grundlagen für die Entstehung des gesetzlichen Abfertigungsanspruches zu bestimmen, wenn diese nur von den tatsächlich geleisteten Zeiten und Entgelten ausgingen und sich insgesamt im Rahmen der gesetzlichen Regelung bewegten. Die damals getroffene Vereinbarung habe der vergleichbaren Konstellation des § 23 Abs 8 AngG entsprochen. Die hier zu beurteilende einzelvertragliche Vereinbarung stelle lediglich eine Berechnungsmodalität für den gesetzlichen Abfertigungsanspruch hinsichtlich des Monatsentgeltes dar und entspreche den tatsächlichen Beschäftigungszeiten und verdienten Entgelten. Unter Berücksichtigung des von der Judikatur herausgearbeiteten Aspektes der Symmetrie von Beitragsleistung und Sozialversicherungsleistung sei hier eine Sicherung anzunehmen.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene Revision der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt. Das Berufungsgericht bejahte den Anspruch der Klägerin auf Zuerkennung von Insolvenz-Ausfallgeld für die unter Berücksichtigung der einzelvertraglichen Vereinbarung berechneten Abfertigungsansprüche zutreffend. Es reicht daher insoweit aus, auf die Begründung des Berufungsgerichtes zu verweisen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Zutreffend ist nun grundsätzlich, dass das IESG nur die gesetzlichen Abfertigungsansprüche, nicht aber etwa freiwillige, über das gesetzliche Ausmaß hinausgehende Ansprüche absichern soll (vgl RIS-Justiz RS0076826 mwN; zuletzt etwa 8 ObS 257/01d). Der Oberste Gerichtshof hat aber in der genannten Entscheidung vom 25. 1. 2001 zu 8 ObS 13/01x (= Arb 12.087 = SSV-NF 15/12) ausgesprochen, dass es den Parteien des Arbeitsvertrages in gewissem Umfang freisteht, die Grundlagen für die Entstehung des gesetzlichen Abfertigungsanspruches zu bestimmen. Die wesentliche Grenze in diesem Zusammenhang liegt darin, dass diese Bestimmung von tatsächlich geleisteten Zeiten und Entgelten auszugehen hat und sich insgesamt im Rahmen der gesetzlichen Regelungen bewegen muss. Dazu hat das Berufungsgericht auch bereits zutreffend darauf verwiesen, dass die Bestimmungen des IESG im Kern eine "sozialversicherungsrechtliche" Sicherung von Entgeltansprüchen bewirken sollen (RIS-Justiz RS0076409 mwN etwa SZ 64/54; SZ 65/15 uva). Unter diesem Aspekt wurde auch berücksichtigt, inwieweit durch das Verhalten der Arbeitsvertragsparteien der Zusammenhang zwischen den zu leistenden Beiträgen an den Insolvenzausfallgeldfonds und dem Sicherungsanspruch verhindert wird (vgl dazu RIS-Justiz RS0114474 mwN, insbesondere OGH 9. 11. 2000, 8 ObS 204/00h). Auch aus § 3 Abs 3 IESG, worin festgelegt wird, dass aus der Anrechnung von Vordienstzeiten resultierende Ansprüche insoweit gesichert sind, als es sich um tatsächlich geleistete Beschäftigungszeiten handelt, die nicht bereits bei früheren Beendigungsansprüchen berücksichtigt wurden, ergibt sich ein Anhaltspunkt in diesem Sinne.

Im Zusammenhang mit der gesetzlichen Abfertigung und der Regelung der Grundlagen für den gesetzlichen Abfertigungsanspruch hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung zu 8 ObS 13/01x auf das Modell des § 23 Abs 8 AngG verwiesen. Danach ist dann, wenn das Dienstverhältnis während einer Teilzeitbeschäftigung im Sinne des Mutterschutzgesetzes oder Elternkarenzurlaubsgesetze durch bestimmte Beendigungsformen beendet wird, bei Ermittlung des Entgeltes die frühere Normalarbeitszeit des Angestellten zugrundezulegen. Im Zusammenhang mit der Bildungskarenz, dem Solidaritätsprämienmodell bzw der Sterbebegleitung finden sich in den §§ 11 Abs 4, 13 Abs 2, 14 Abs 4 und 14a Abs 7 AVRAG Regelungen, die ebenfalls darauf abzielen, dass dann wenn das Arbeitsverhältnis während der Inanspruchnahme dieser Modelle beendet wird, der Berechnung der Abfertigung die frühere Arbeitszeit des Arbeitnehmers zugrundezulegen ist bzw eine Durchschnittsbetrachtung anzustellen ist.

Die hier von den Arbeitsvertragsparteien vorgenommene Regelung hält sich im Rahmen dieser gesetzlichen Modelle und entspricht der Vorgabe, dass nur von den tatsächlich geleisteten Zeiten und Entgelten auszugehen ist.

Das Berufungsgericht hat daher zutreffend eine Sicherung des Abfertigungsanspruches auch insoweit bejaht, als er den hier noch strittigen Betrag von EUR 793,30 netto betrifft (vgl dazu auch 8 ObS 14/03x).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 ASGG.

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