Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung
Die klagenden Parteien sind je zur Hälfte Eigentümer einer Liegenschaft, auf der sich ein unter Denkmalschutz stehendes Kirchengebäude mit weiteren Räumlichkeiten sowie ein Pfarr‑ und Schulhaus befinden. Im Pfarr- und Schulhaus wird eine Volksschule betrieben. Dort befinden sich auch weitere von der Pfarre genutzte Räumlichkeiten sowie Wohnräumlichkeiten. Ursprünglich befanden sich im Pfarr‑ und Schulhaus zwei Dienstwohnungen, weil die Evangelische Pfarrgemeinde Wien‑Gumpendorf als größte evangelische Gemeinde in Wien zwei Pfarrstellen aufweist. Da die Volksschule ab Herbst 2008 aus betriebswirtschaftlichen Gründen sukzessive auf jeweils zwei Klassen pro Schulstufe erweitert werden sollte, wurden die Räumlichkeiten der Wohnung top 3 nach Auszug des Pfarrers Mag. N***** Ende Juni 2008 in die Volksschule integriert. Seit diesem Zeitpunkt stehen im Pfarr- und Schulhaus nur mehr zwei Wohnungen zur Verfügung. In der (früher zweiten) Dienstwohnung top 8 wohnt die amtsführende Pfarrerin und in der Wohnung top 9 der Beklagte.
In der Wohnung top 9 mit einer Nutzfläche von 102,40 m² wohnte früher auch ein Pfarrer der Evangelischen Pfarrgemeinde, der im Jahr 1969 aus dieser Wohnung auszog. In der Folge wurde diese Wohnung von 1969 bis Herbst 1971 von G***** bewohnt, der damals alleine in der Wohnung lebte und eine ehrenamtliche Funktion bei der Zweitklägerin ausübte. Nach seinem Auszug aus der Wohnung wurde diese an Studenten der Evangelischen Fakultät überlassen. Im Herbst 1973 zog sodann der (bei der Zweitklägerin bis 31. 12. 2010) als Organist und zudem als Musiklehrer tätige Beklagte in die Wohnung ein; eine Verknüpfung zwischen dem Mietverhältnis und der Tätigkeit des Beklagten als Organist bestand nicht. In Pkt XIV des Mietvertrags wurde folgende Bestimmung aufgenommen: „Im Sinn des § 19 Abs 6 MG wird folgende für den Vermieter (seine nahen Angehörigen, sein Unternehmen) in Bezug auf die Kündigung als wichtig und bedeutsam anzusehende Tatsache als Auflösungsgrund dieses Vertrages vereinbart: Einverständlich wird festgehalten, dass der Mietgegenstand bisher zur Unterbringung von Kirchenangestellten verwendet wurde und dass als Eigenbedarf im Sinne des Mietengesetzes das Erfordernis der Unterbringung kirchlicher Angestellter zu gelten hat.“
Mit Schreiben vom 27. 1. 2009 teilte die Zweitklägerin dem Beklagten mit, dass er die Wohnung top 9 bis spätestens 30. 6. 2009 räumen müsse, damit die Wohnung bei Amtsantritt des neuen Pfarrers als Pfarrer‑Dienstwohnung übergeben werden könne. Mit Schreiben vom 29. 5. 2009 wies die Zweitklägerin auf die Dringlichkeit hin, dass die Wohnung bis spätestens 30. 6. 2009 geräumt sei. Der Beklagte, der finnischer Staatsbürger ist und sich in den Sommermonaten in Finnland aufhält, zog aus der Wohnung nicht aus und suchte auch nicht weiter nach einer geeigneten Ersatzwohnung. Er setzte auch nach Erreichen des 65. Lebensjahrs seine Tätigkeit als Musiklehrer fort. Bis zur Aufgabe seiner Unterrichtstätigkeit will er in der Wohnung bleiben. Danach will er endgültig nach Finnland zurückkehren.
Mit Aufkündigung vom 23. 6. 2009 kündigten die klagenden Parteien die vom Beklagten gemietete Wohnung aus den Kündigungsgründen des § 30 Abs 2 Z 10 und Z 13 MRG unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist zum 31. 10. 2009 auf. Die Wohnung top 3 sei ab 1. 3. 2008 der Volksschule zur Verfügung gestellt worden. Die aufgekündigte Wohnung top 9 sei schon vor der Anmietung durch den Beklagten immer für Mitarbeiter der Zweitklägerin verwendet worden. Im Mietvertrag mit dem Beklagten vom 6. 5. 1974 sei dies auch ausdrücklich festgehalten worden. Der im Mietvertrag vereinbarte Eigenbedarf für die Unterbringung kirchlicher Angestellter sei gegeben, weil die zweite Pfarrstelle zwischenzeitlich nachbesetzt worden sei.
Der Beklagte erhob gegen die Aufkündigung fristgerecht Einwendungen. Bei Anmietung sei ihm zugesagt worden, dass er die Mietwohnung benützen dürfe, solange er wolle. Der Zusatz in Pkt XIV des Mietvertrags, dessen Bedeutung er nicht genau verstanden habe, sei erst nachträglich in den Vertrag eingefügt worden. Der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 10 MRG könne nicht herangezogen werden, weil der Normzweck nur eine vorübergehende Vermietung an betriebsfremde Personen umfasse. Bei einer Mietdauer von 35 Jahren könne davon nicht mehr gesprochen werden. Durch die lange Mietdauer sei auch eine Änderung der Widmung von Dienstwohnung auf Mietwohnung erfolgt.
Das Erstgericht erkannte die Aufkündigung als rechtswirksam und verurteilte den Beklagten daher zur Räumung. Die in Rede stehende Wohnung sei an den Beklagten nicht in der Absicht vermietet worden, dass diese künftig nicht mehr zur Unterbringung von Angestellten der Pfarrgemeinde verwendet werden solle. Es sei daher kein Abgehen von der bisherigen Zweckwidmung erfolgt, weil im Mietvertrag das Erfordernis der künftigen Unterbringung kirchlicher Angestellter als Eigenbedarf vereinbart worden sei. Da sowohl die Betriebskontinuität als auch der dringende Bedarf der klagenden Parteien an der aufgekündigten Wohnung zu bejahen sei, zumal kein anderes Objekt als mögliche Dienstwohnung zur Verfügung stehe, sei der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 10 MRG gegeben. Auf den vereinbarten Kündigungsgrund nach § 30 Abs 2 Z 13 MRG müsse daher nicht mehr eingegangen werden.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Eine Absicht auf Vermieterseite, die Zweckwidmung als Dienstwohnung bei der Überlassung an den Beklagten aufzugeben, sei aus dem Verhalten der für die klagenden Parteien handelnden Personen nicht ableitbar. Auf eine Aufkündigung bei Vorliegen eines Bedarfs für einen Dienstnehmer hätten die klagenden Parteien demnach nicht verzichtet. Anhaltspunkte dafür, dass sich während des aufrechten Mietverhältnisses des Beklagten die Absicht der Vermieter, die Wohnung bei Bedarf als Dienstwohnung zu verwenden, geändert habe, bestünden nicht. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil die Frage, ob von der seinerzeitigen Zweckwidmung schlüssig abgegangen worden sei, von den Umständen des Einzelfalls abhänge.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Beklagten, die darauf abzielt, die gerichtliche Kündigung als unwirksam aufzuheben und das Räumungsbegehren abzuweisen.
Mit ihrer durch den Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung beantragen die klagenden Parteien, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision zulässig, weil sich die Beurteilung des Berufungsgerichts zur Verwirklichung des Kündigungsgrundes nach § 30 Abs 2 Z 10 MRG als korrekturbedürftig erweist. Die Revision ist dementsprechend im Sinn eines Aufhebungsantrags berechtigt.
1. Nach der Rechtsprechung ist für den von den Vorinstanzen herangezogenen Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 10 MRG vorausgesetzt, dass die aufgekündigte Wohnung seinerzeit tatsächlich der Unterbringung von Dienstnehmern des eigenen Betriebs (hier von kirchlichen Angestellten) gedient hat, wobei die Rechtsform (Dienstwohnung oder Vermietung) gleichgültig ist, sowie dass die Wohnung nur vorübergehend an Betriebsfremde vermietet wurde. In der Regel bedarf es bei der vorübergehenden Vermietung einer Dienstwohnung an Betriebsfremde keines Hinweises auf die bestehende Widmung (2 Ob 217/03f).
Ein Abgehen von der Zweckwidmung und damit eine Widmungsänderung ist dann anzunehmen, wenn der Hauseigentümer den Mietgegenstand einer betriebsfremden Person in der Absicht vermietet, die Wohnung künftig nicht mehr zur Unterbringung von Angehörigen seines Betriebs zu verwenden. Eine nicht ausdrücklich geäußerte Absicht kann gemäß §§ 863, 914 ABGB auch aus den besonderen zum Mietvertragsabschluss führenden Umständen hervorgehen, wobei für die Annahme einer Widmungsänderung ein (strenger) Maßstab zu Lasten des Mieters anzulegen ist (7 Ob 16/98y; 2 Ob 217/03f; vgl auch RIS‑Justiz RS0070673). Dadurch, dass eine bisher als Betriebswohnung gewidmete und benützte Wohnung nicht mehr zu Wohnzwecken, sondern zu Geschäftszwecken vermietet wird (Geschäftsraummiete), wird die Widmung zur Dienstnehmerunterbringung auf Dauer außer Kraft gesetzt (7 Ob 16/98y).
2.1 Für das Bestehen des in Anspruch genommenen Kündigungsgrundes ist zunächst vorausgesetzt, dass die Wohnung tatsächlich der Unterbringung von Dienstnehmern gedient hat. Die bloße Widmung zum angeführten Zweck reicht nicht aus (RIS‑Justiz RS0068236). Es muss somit tatsächlich die ursprüngliche Widmung des aufgekündigten Bestandobjekts als Dienstwohnung bestanden haben.
Dazu hat das Erstgericht festgestellt, dass in der aufgekündigten Wohnung früher auch ein Pfarrer der Evangelischen Pfarrgemeinde gewohnt habe, der im Jahr 1969 aus der Wohnung ausgezogen sei. Nach den Feststellungen und ebenso nach dem Vorbringen der klagenden Parteien waren die früher im Pfarr‑ und Schulhaus befindlichen zwei Dienstwohnungen für die zwei Pfarrstellen der Evangelischen Pfarrgemeinde Wien‑Gumpendorf vorgesehen. Dementsprechend soll die aufgekündigte Wohnung auch dem zweiten Pfarrer dieser Pfarrgemeinde nach dessen Neuanstellung und mit Rücksicht auf seine Residenzpflicht zur Verfügung gestellt werden.
Den Feststellungen lässt sich nun nicht entnehmen, ob der Pfarrer, der früher einmal in der aufgekündigten Wohnung gewohnt hatte, als Pfarrer der Pfarrgemeinde Wien‑Gumpendorf tätig war. Es ist daher schon fraglich, ob ursprünglich die von den klagenden Parteien behauptete Widmung als Dienstwohnung für kirchliche Angestellte (Pfarrer und Vikare) der Pfarrgemeinde Wien‑Gumpendorf überhaupt bestanden hat.
2.2 Davon abgesehen ist zugunsten des Beklagten letztlich auch eine schlüssige Widmungsänderung (von Dienstwohnung zu Mietwohnung) anzunehmen.
Darf der Mieter bei Vertragsabschluss aus den Umständen schließen, dass ihm der Vermieter die Wohnung, die bisher widmungsgemäß als Dienstwohnung verwendet wurde, nicht bloß vorübergehend mangels betrieblichen Eigenbedarfs, sondern aus anderen Gründen vermietet hat, so muss zur Erhaltung des Charakters als Dienstwohnung ein Hinweis auf die bestehende Zweckwidmung gegeben werden (2 Ob 217/03f; vgl auch RIS‑Justiz RS0070669). In dieser Hinsicht ist den Vorinstanzen darin beizupflichten, dass die Bestimmung in Pkt XIV des Mietvertrags als derartiger Hinweis zu deuten ist.
Allerdings ist darüber hinaus zu beachten, dass eine schlüssige Widmungsänderung auch während des Mietverhältnisses mit der betriebsfremden Person, der die Wohnung nicht als Dienstwohnung zur Verfügung gestellt wurde, denkbar ist. Dafür ist maßgebend, ob der Beklagte aus den Umständen schließen durfte, dass der Vermieter ‑ trotz Hinweises auf den Charakter als Dienstwohnung im Mietvertrag ‑ auf die Widmung als Dienstwohnung verzichtet hat. In der Entscheidung 7 Ob 16/98y hat der Oberste Gerichtshof, wenn auch im Rahmen einer Hilfsbegründung, im gegebenen Zusammenhang beurteilt, dass der Umstand, dass das aufgekündigte Mietobjekt bis zur Aufkündigung 14 Jahre lang nicht mehr als Betriebswohnung verwendet worden sei, selbst bei Anlegung eines strengen Maßstabs für die Annahme einer Widmungsänderung zu Lasten des Mieters für eine Änderung der Zweckbestimmung des ursprünglich als Betriebswohnung genützten Mietgegenstands sprechen würde.
Im Anlassfall stand die aufgekündigte Wohnung dem Beklagten bis zur Aufkündigung mehr als 35 Jahre zur Verfügung. Nach einer derart langen Zeitspanne konnte er ‑ ohne gegenteilige Informationen, für die nach den Feststellungen keine Anhaltspunkte bestehen ‑ berechtigt davon ausgehen, dass die klagenden Parteien ungeachtet des Hinweises im Mietvertrag auf die Widmung als Dienstwohnung verzichtet haben. Nach der Rechtsprechung ist für den von den Vorinstanzen herangezogenen Kündigungsgrund typisch, dass die aufgekündigte Wohnung mangels eines entsprechenden Eigenbedarfs nur vorübergehend an einen Betriebsfremden vermietet wurde. Auch wenn es zunächst auf die Willenslage des Vermieters bei Abschluss des Mietvertrags ankommt, liegt bei außergewöhnlich langer Vermietung einer Wohnung an einen Nicht‑Dienstnehmer doch die Annahme nahe, dass das Merkmal als Interimslösung, das den mangelnden Eigenbedarf überbrücken soll, verloren gegangen ist.
3.1 Zusammenfassend ergibt sich:
Für die Inanspruchnahme des Kündigungsgrundes des § 30 Abs 2 Z 10 MRG muss tatsächlich die ursprüngliche Widmung des aufgekündigten Bestandobjekts als Dienstwohnung bestanden haben. Ein Abgehen von dieser Zweckwidmung ist dann anzunehmen, wenn das Objekt einer betriebsfremden Person in der ausdrücklich geäußerten oder schlüssigen Absicht vermietet wird, die Wohnung künftig nicht mehr zur Unterbringung von Angehörigen seines Betriebs zu verwenden. Eine schlüssige Widmungsänderung kommt dabei auch während des Mietverhältnisses mit der betriebsfremden Person in Betracht. Wurde das aufgekündigte Mietobjekt bis zur Aufkündigung mehr als 35 Jahre lang nicht mehr als Betriebswohnung verwendet, so sprechen die Umstände im Allgemeinen für eine Widmungsänderung von Betriebswohnung auf Mietwohnung.
3.2 Die Beurteilung der Vorinstanzen hält einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof somit nicht Stand. Ausgehend von den dargestellten Grundsätzen ist aufgrund der besonderen Konstellation des Anlassfalls davon auszugehen, dass der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 10 MRG nicht verwirklicht ist. Dementsprechend muss im fortgesetzten Verfahren der von den klagenden Parteien zusätzlich in Anspruch genommene Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 13 MRG geprüft werden.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher in Stattgebung der Revision aufzuheben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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