OGH 7Ob16/98y

OGH7Ob16/98y5.5.1998

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Niederreiter, Dr.Schalich, Dr.Tittel und Dr.Huber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei prot. Einzelfirma Bauunternehmung Friedrich T*****, vertreten durch Dr.Sieglinde Lindmayr ua Rechtsanwälte in Liezen, wider die beklagte Partei Rosa T*****, vertreten durch Dr.Norbert Bergmüller, Rechtsanwalt in Schladming, wegen Aufkündigung, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Leoben als Berufungsgericht vom 28.November 1997, GZ 3 R 245/97d-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Schladming vom 25.September 1997, GZ 1 C 111/97p-12, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben. Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt: Das Urteil des Erstgerichtes wird mit der Maßgabe wiederhergestellt, daß es lautet:

"Die gerichtliche Aufkündigung vom 18.Februar 1997 wird aufgehoben.

Das Klagebegehren des Inhaltes, die beklagte Partei sei schuldig, die von ihr im Haus ***** S*****, K*****weg *****, bewohnte Wohnung Nr 3 im Erdgeschoß im Ausmaß von ca 80 m2, bestehend aus Küche, Wohnzimmer, zwei Schlafzimmern, Vorraum, Bad und WC sowie Loggia und Kellerabteil bis spätestens 31.3.1997 oder 31.10.1998 zu räumen und der klagenden Partei geräumt zu übergeben, wird abgewiesen."

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit insgesamt S 7.440,-- (darin enthalten S 1.240,-- USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Firma Bauunternehmung Friedrich T*****, Zimmermeister, kaufte 1974 die im Haus K*****weg ***** in S***** gelegene Eigentumswohnung Nr 3 als Betriebswohnung.

Das Unternehmen wurde im Jahr 1982 von Ing.Herbert T***** von seinem Vater Friedrich T***** übernommen und unter der Bezeichnung der klagenden Partei fortgeführt. Zum übernommenen Unternehmen gehörte auch die Eigentumswohnung.

Bis 1979 wurde die Wohnung vom Dienstnehmer Johann S***** als Dienstwohnung benützt. Anschließend wohnten darin Leiharbeiter der Firma S*****, denen die Wohnung von der klagenden Partei kostenlos zur Verfügung gestellt wurde. Danach wurde die Wohnung einige Monate hindurch von einem namentlich nicht mehr bekannten Arbeiter der klagenden Partei benützt. In den Jahren von 1983 bis 1991 wurde die Wohnung an den Arzt Dr.Karl M*****, einem Schwager des Ing.Herbert T*****, als Ordination vermietet. Der monatliche Mietzins betrug S 3.000 zuzüglich Betriebskosten. Ab 1997 mietete die Beklagte die Wohnung. Ein schriftlicher Mietvertrag wurde nicht geschlossen. Ob der Beklagten anläßlich ihres Einzuges in die Wohnung mitgeteilt wurde, daß es sich um eine Betriebswohnung handle, kann nicht festgestellt werden.

Mit am 18.2.1992 beim Erstgericht eingelangter Aufkündigung kündigte die klagende Partei der Beklagten die Wohnung zum 31.3.1997 auf. In diesem Zeitpunkt benötigte die klagende Partei die Wohnung dringend für ihre Dienstnehmerin Gabriele A*****, die jedoch in der Folge das Dienstverhältnis mit der klagenden Partei beendete. Nunmehr braucht die Dienstnehmerin Sabine G***** die im Stadtzentrum gelegene Wohnung, weil sie derzeit etwa 3 km von Schladming entfernt wohnt und einen gehbehinderten Mann hat.

Die klagende Partei machte als Kündigungsgrund geltend, daß sie den Mietgegenstand dringend zur Unterbringung einer Angestellten ihres Betriebes benötige. Der Mietgegenstand sei schon vor der Kündigung zur Unterbringung von Dienstnehmern bestimmt gewesen, und zwar ab deren Erwerb im Jahr 1974. Die Beklagte sei vor Bezug der Wohnung davon in Kenntnis gesetzt worden, daß die Wohnung eine Betriebswohnung sei und nur zwischenzeitlich bis auf Widerruf zu privaten Zwecken vermietet werde. Die Wohnung sei nur vorübergehend an Betriebsfremde vermietet worden.

Die Beklagte wendete ein, daß die Wohnung nicht als Betriebswohnung gewidmet sei. Die Beklagte sei auch nicht dahin informiert worden, daß es sich um eine Dienstwohnung handle. Es liege keine Betriebskontinutät vor. Es bestehe kein dringender Bedarf für Betriebsangehörige. Die Aufkündigung sei lediglich eine Reaktion auf die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien über die Betriebskostenabrechnung gewesen.

In der Tagsatzung vom 28.5.1997 änderte die klagende Partei ihr Kündigungsbegehren dahin, daß die Wohnung für den 31.10.1998 (anstatt für den 31.3.1997) aufgekündigt werde. Der Dienstvertrag mit Gabriele A*****, für die die Wohnung zunächst dringend benötigt worden sei, sei zwar durch deren Kündigung gelöst worden. Nunmehr werde die Wohnung aber für Sabine G*****, mit der am 26.5.1997 ein Dienstverhältnis begründet worden sei, dringend benötigt. Sabine G***** wohne derzeit in einer anderen Wohnung, doch sei das betreffende Mietverhältnis bis 31.10.1998 befristet.

Die beklagte Partei bestritt dieses Vorbringen und wendete überdies ein, daß eine unzulässige Klagsänderung vorliege.

Das Erstgericht wies das Begehren auf Räumung der Wohnung "bis spätestens 31.7.1997" ab. Es stellte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest und führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß zwar die Betriebskontinuität seitens der klagenden Partei zu bejahen sei, daß aber durch die Vermietung von ehemals zur Unterbringung von Dienstnehmern verwendeten Räumen zu geschäftlichen Zwecken die Widmung zur Dienstnehmerunterbringung nicht bloß vorübergehend, sondern auf Dauer außer Kraft gesetzt werde (MietSlg 43.272). Ab Beginn des Mietverhältnisses mit dem Arzt Dr.M***** liege daher keine Betriebswohnung im Sinn des § 30 Abs 2 Z 10 MRG mehr vor.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der klagenden Partei Folge, hob das Urteil des Erstgerichtes auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, daß der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (in jüngster Zeit 8 Ob 576/93) liege ein Abgehen von der Zweckwidmung einer Betriebswohnung im Sinn des § 30 Abs 2 Z 10 MRG nur vor, wenn der Betriebsinhaber die Wohnung in der Absicht vermietet habe, sie in Zukunft nicht mehr zur Unterbringung von Dienstnehmern zu verwenden. Das Berufungsgericht trete dieser Rechtsprechung bei und nicht jener vereinzelt gebliebenen Entscheidung, die das Erstgericht zitiert habe. Im fortgesetzten Verfahren werde zu prüfen sein, warum die Wohnung jahrelang nicht als Betriebswohnung verwendet worden sei und in welcher Absicht die klagende Partei die Wohnung an betriebsfremde Personen vermietet habe. Sodann sei zu beurteilen, ob eine stillschweigende Widmungsänderung erfolgt sei oder ob die Wohnung ihren Charakter als Betriebswohnung behalten habe. Weiters fehlten präzise Feststellungen über die Lage des Betriebes und über den genauen Wohnort der in der Wohnung unterzubringenden Dienstnehmerin, um den dringenden Bedarf im Sinn des § 30 Abs 2 Z 10 MRG beurteilen zu können, bei dem auf die Betriebsnotwendigkeit und nicht auf den persönlichen Bedarf der Dienstnehmerin abzustellen sei. Die von der klagenden Partei vorgenommene Verbesserung des Kündigungstermines sei zwar unzulässig, aber lediglich unbeachtlich und führe nicht zur Zurückweisung der Aufkündigung.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil dieser in einer Entscheidung von seiner bisherigen Judikatur abgewichen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Beklagten ist zulässig und berechtigt.

Es ist zwar richtig, daß nach ständiger Rechtsprechung das Abgehen von der Zweckwidmung einer Wohnung als Betriebswohnung und damit ein Verzicht auf den diesbezüglichen Kündigungsgrund vorliegt, wenn der Hauseigentümer den Mietgegenstand einer betriebsfremden Person in der Absicht vermietet, die Wohnung künftig nicht mehr zur Unterbringung von Angehörigen seines Betriebes zu verwenden. Eine nicht ausdrücklich geäußerte diesbezügliche Absicht kann zwar gemäß den §§ 863, 914 ABGB auch aus den besonderen, zum Mietvertragsabschluß führenden Umständen hervorgehen. Bei Annahme einer Widmungsänderung ist aber nach der Rechtsprechung zu Lasten des Mieters ein sehr großzügiger Maßstab anzulegen (8 Ob 576/93 mwN).

Die vom Erstgericht zitierte Entscheidung 6 Ob 1605/91 = MietSlg 43.272 steht dazu aber nicht im Widerspruch. Sie behandelt vielmehr den Sonderfall, daß eine bislang als Betriebswohnung gewidmete und auch als solche benützte Wohnung nunmehr zu Geschäftszwecken und nicht, wie in 8 Ob 576/93, zu Wohnzwecken Betriebsfremder, vermietet wird. Für diesen Fall hat der Oberste Gerichtshof in 6 Ob 1605/91 ausgesprochen, daß damit die Widmung zur Dienstnehmerunterbringung für Dauer außer Kraft gesetzt werde (vgl auch Würth/Zingher, Miet- und Wohnrecht20, Rz 52 zu § 30 MRG). Daß unter den Begriff der Geschäftsraummiete auch Arztpraxen fallen, ist - im Gegensatz zu den Ausführungen der klagenden Partei in ihrer Rekursbeantwortung - nicht zweifelhaft (vgl Würth in Rummel ABGB2, II, Rz 3, 3a zu § 1 MRG).

Der Umstand, daß nicht die aufgekündigte Beklagte, sondern ihr Vormieter die Bestandräume als Geschäftsräume benützte, läßt nach der zitierten Begründung der Entscheidung 6 Ob 1605/91 die Widmung als Betriebswohnung nicht wieder aufleben, auch wenn dieser Entscheidung der Fall zugrundelag, daß der aufgekündigte Mieter selbst die Räume als Geschäftsräume verwendete. Die Vermietung zunächst als Geschäftsraum und in der Folge als Wohnung an eine betriebsfremde Person macht vielmehr umso deutlicher, daß eine dauernde Widmungsänderung erfolgte und eine Rückwidmung als Betriebswohnung vor der Aufkündigung des Mietverhältnisses mit der Beklagten nicht stattfand. Die Beklagte weist zudem zutreffend darauf hin, daß das strittige Mietobjekt bereits seit 1983, also bis zum Zeitpunkt der Aufkündigung 14 Jahre hindurch nicht als Betriebswohnung verwendet wurde. Selbst bei Anlegung eines strengen Maßstabes bei Annahme einer Widmungsänderung zu Lasten des Mieters sprechen daher im vorliegenden Fall alle Umstände für eine längst vorgenommene Änderung der Zweckwidmung des ursprünglich als Betriebswohnung genützten Mietgegenstandes. Damit kommt aber der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 10 MRG nicht in Betracht.

Da schon aus diesem Grund der Aufkündigung kein Erfolg beschieden sein kann, erübrigt sich eine Verfahrensergänzung in dem vom Berufungsgericht aufgezeigten Sinn. Es kann auch dahingestellt bleiben, welche Folgen die Änderung des Kündigungstermines seitens der klagenden Partei hat, weil die Aufkündigung mangels Vorliegens des geltend gemachten Kündigungsgrundes jedenfalls verfehlt ist.

Wegen Spruchreife konnte der Oberste Gerichtshof gemäß § 519 Abs 2 letzter Satz ZPO durch Urteil in der Sache selbst erkennen. Es war die zutreffende abweisende Entscheidung des Erstgerichtes wiederherzustellen, wobei jedoch der Spruch im Sinn des § 572 ZPO zu modifizieren war.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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