European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00047.16M.0406.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
Zwischen den Parteien bestand im Zeitpunkt des Unfallereignisses ein Unfallversicherungsvertrag mit einer Versicherungssumme von 78.540 EUR. Diesem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung (AUVB 1995) zugrunde.
Art 7.6. der AUVB 1995 lautet:
„ Steht der Grad der dauernden Invalidität nicht eindeutig fest, sind sowohl der Versicherte als auch der Versicherer berechtigt, den Invaliditätsgrad jährlich bis vier Jahre ab dem Unfalltag ärztlich neu bemessen zu lassen, und zwar ab zwei Jahren ab dem Unfalltag auch durch die Ärztekommission. “
Am 21. 5. 2011 stürzte der Kläger von einer Leiter. Die Beklagte erbrachte auf Basis ihres Abrechnungsschreibens vom 12. 6. 2012 unter Zugrundelegung einer körperliche Funktionsminderung von 15 % bezogen auf den Gesamtkörperwert eine Zahlung von 11.781 EUR an den Kläger.
Mit E‑Mail vom 20. 5. 2015 übermittelte die mit der Vertretung des Klägers beauftragte V***** GmbH der Beklagten eine gutachterliche medizinische Stellungnahme. Darin wies sie darauf hin, dass sich die Unfallfolgen beim Kläger verschlechtert hätten und eine Invalidität von 25 % von 100 % bestehe. Die Beklagte wurde um Abrechnung und Überweisung des weiteren Entschädigungsbetrags ersucht, in eventu die bedingungsgemäß vorgesehene Nachuntersuchung zur Neubemessung des Invaliditätsgrades beantragt.
Der Kläger begehrt mit der am 7. 9. 2015 beim Erstgericht eingebrachten Klage von der Beklagten eine weitere Zahlung von 7.854 EUR sA.
Die Beklagte beantragte im Hinblick auf den Ablauf der vierjährigen Frist für das Verlangen nach Neubemessung nach Art 7.6. AUVB 1995 die Abweisung des Klagebegehrens.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Es folgte der Rechtsansicht in der Entscheidung 7 Ob 195/14y, vermisste jedoch infolge der Änderung der Rechtsansicht in einem deutschen Kommentar und im Hinblick auf den Sachverhalt der Entscheidung 7 Ob 117/15d eine eindeutige Klärung der Frage, ob die bloße Antragstellung des Versicherten auf Neubemessung binnen der vierjährigen Frist zur Abwendung der „Verjährung“ ausreicht oder nicht.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen diesem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision des Klägers mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):
1. Mit Art 7.6. AUVB 1995 wortgleiche oder vergleichbare Klauseln waren bereits Gegenstand zahlreicher oberstgerichtlicher Entscheidungen. Derartige Klauseln enthalten eine Ausschlussfrist: Wird die Antragstellung auf Neubemessung innerhalb von vier Jahren ab dem Unfalltag versäumt, bleibt es bei der bisherigen Bemessung des Invaliditätsgrades (RIS‑Justiz RS0122119 [T2]). Ein allenfalls von der Erstbemessung abweichender Invaliditätsgrad ist nur dann zu bemessen und zu berücksichtigen, wenn dies bis zu vier Jahre ab dem Unfalltag vom Versicherten oder vom Versicherer begehrt wird (RIS‑Justiz RS0082173 [T1]; RS0082292 [T11]; RS0109447 [T2]).
Der Zweck der Regelung liegt in der möglichst raschen Herstellung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden (RIS‑Justiz RS0082216 [T1]). Beide Parteien ‑ Versicherungsnehmer/Versicherter und auch Versicherer -sollen innerhalb eines überblickbaren Zeitraums Klarheit über den Grad der Invalidität erlangen können, um letztlich Beweisschwierigkeiten zu vermeiden und eine alsbaldige Klärung der Ansprüche herbeizuführen. Die durch Setzung der Ausschlussfrist vorgenommene Risikobegrenzung soll also im Versicherungsrecht eine Ab‑ und Ausgrenzung schwer aufklärbarer und unübersehbarer (Spät‑)Schäden herbeiführen. Maßgeblich ist der Invaliditätsgrad bis maximal zum Ablauf der (Vierjahres‑)Frist (7 Ob 117/15d mwN):
Die Neubemessung der Invalidität innerhalb der vereinbarten Frist setzt voraus, dass die dauernde Invalidität bereits grundsätzlich feststand, ärztlich bemessen wurde und der Versicherer dazu eine entsprechende Erklärung abgegeben hat (RIS‑Justiz RS0122859 [T1]).
2. In der Entscheidung 7 Ob 195/14y sprach der Oberste Gerichtshof zu einer mit Art 7.6. AUVB 1995 inhaltsgleichen Klausel aus, dass bereits nach dem allgemeinen Sprachgebrauch die Formulierung „ärztlich neu bemessen zu lassen“ auf die tatsächliche Durchführung und nicht auf das darauf gerichtete Begehren abstellt. Ein allenfalls von der Erstbemessung abweichender Invaliditätsgrad ist nach dieser Klausel nur dann neu zu bemessen und zu berücksichtigen, wenn dies bis zu vier Jahre ab dem Unfalltag vom Versicherten oder vom Versicherer begehrt (beantragt) wird. Fristgerecht ist der Antrag des Versicherers (und auch des Versicherten) aber nur dann, wenn er so rechtzeitig gestellt wird, dass die ärztliche Untersuchung nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge noch vor Ablauf der Frist möglich ist (so bereits 7 Ob 153/12v). Wird die Antragstellung auf Neubemessung vom Versicherer (oder Versicherten) innerhalb von vier Jahren ab dem Unfalltag versäumt oder erfolgt sie nicht fristgerecht, bleibt es bei der bisherigen Bemessung des Invaliditätsgrades (RIS‑Justiz RS0129970).
3. Aus dem Wortlaut von Art 7.6. AUVB 1995 und der Rechtsprechung dazu ergibt sich hinsichtlich der Antragstellung keine unterschiedliche Behandlung zwischen Versichertem und Versicherer. Die Voraussetzungen für eine fristgerechte Antragstellung gelten für beide Parteien gleich (vgl RIS‑Justiz RS0122119). Wenn der Kläger mit der neueren deutschen Bedingungslage argumentiert, ist darauf zu verweisen, dass diese von der hier zu beurteilenden Klausel abweicht. Nach Z 9.4 der deutschen Musterbedingungen AUB 2010 muss nämlich das Recht des Versicherungsnehmers auf Vornahme der Neubemessung „vor Ablauf der Frist ausgeübt werden“. Infolge abweichender Bedingungslage kann insofern nicht auf deutsche Literatur zurückgegriffen werden.
4. Im Verfahren 7 Ob 117/15d hat der Versicherer ‑ anders als hier ‑ den Einwand der verspäteten Antragstellung des Versicherungsnehmers nach Art 7.6. AUVB 2008 nicht erhoben. Von Amts wegen ist der Ablauf der Ausschlussfrist aber nicht wahrzunehmen, liegt es doch im Ermessen einer Partei, ob sie sich auf eine für sie günstige Vertragsbestimmung beruft.
5. Der Unfall ereignete sich am 21. 5. 2011. Den Antrag auf Neubemessung stellte die Vertreterin des Klägers erst am 20. 5. 2015. Zutreffend führte das Berufungsgericht aus, dass nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht innerhalb eines Tages eine ärztliche Untersuchung stattfinden kann und daher die Antragstellung am Vortag des Ablaufs der vierjährigen Frist des Art 7.6. AUVB 1995 verspätet ist.
6. Zusammengefasst folgt, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts der zitierten Judikatur des Obersten Gerichtshofs entspricht. Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO stellt sich daher nicht. Die Revision ist somit unzulässig und zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 und 40 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision nicht hingewiesen, sodass ihr mangels zweckentsprechender Rechtsverteidigung kein Kostenersatz zusteht (RIS‑Justiz RS0035962 [T16]; RS0035979 [T9]).
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