European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00038.21W.0428.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden mit der Maßgabe bestätigt, dass Punkt 2 des Spruchs der Einstweiligen Verfügung vom 18. Mai 2020 entfällt.
Die Gegnerin der gefährdeten Parteien ist schuldig, den gefährdeten Parteien die mit 551,86 EUR (darin enthalten 91,98 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Erstantragstellerin ist die Mutter der Zweitantragstellerin. Die Antragstellerinnen und die Antragsgegnerin bewohnen jeweils eine Wohnung ineinem im Alleineigentum der Schwiegertochter der Antragsgegnerin stehenden Haus.
[2] Ab Februar 2019 verschlechtert sich das – vormals gute – Verhältnis zwischen den Antragstellerinnen und der Antragsgegnerin. Bis zuletzt beschimpfte und beleidigte die Antragsgegnerin die Antragstellerinnen. So äußerte sie ihnen gegenüber: „Schleichts euch“, „Scheiß Ausländer“ oder „Ich lasse euch nicht in Ruhe, bis ihr ausgezogen seid“.
[3] Sie diskriminierte die Zweitantragstellerin als „Ausländerfratz“, „Ungarnfratz“, „Ungarn‑Bua“ oder „Ungarn‑Dirndln“. Zudem stellte sie sich der Zweitantragstellerin wiederholt in den Weg. Sie ließ auch den Hund ihres Sohnes auf die Zweitantragstellerin los und meinte, „der Hund soll den Ausländerfratz“ fressen.
[4] Mitte November 2019 betratdie Antragsgegnerin vor den Antragstellerinnen das Stiegenhaus, das von außen über eine schwere Feuerschutztür erreichbar ist. Die Zweitantragstellerin huschte an der Antragsgegnerin vorbei, über die Treppe hinauf zur Wohnung der Schwiegertochter. Die Erstantragstellerin fragte die Antragsgegnerin, ob sie nicht ihre Tochter und sie endlich in Ruhe lassen könnte. Daraufhin kam die Antragsgegnerin auf die Erstantragstellerin zu, schubste sie vor die Tür und schlug die schwere Eingangstür zu. Dabei wurde die Handtasche der Erstantragstellerin in der Tür eingeklemmt und der Türgriff traf die Erstantragstellerin am linken Oberarm. Bei diesem Vorfall zog sich die Erstantragstellerin eine Prellung des linken Oberarms sowie Hämatome zu.
[5] Aufgrund des Verhaltens der Antragsgegnerin begann die Zweitantragstellerin bereits wiederholt zu weinen und lief zurück in die Wohnung. Sie hatte große Angst vor der Antragsgegnerin und traute sich kaum noch alleine die Wohnung zu verlassen. Wenn sie ohne Begleitung auf die Antragsgegnerin trifft, ist sie nach wie vor verängstigt. Die derzeitige Situation ist für beide Antragstellerinnen belastend, sie befürchten weitere Übergriffe der Antragsgegnerin.
[6] Die Antragstellerinnen begehrten die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382e EO mit dem Inhalt, der Antragsgegnerin aufzutragen, das Zusammentreffen und die Kontaktaufnahme mit den Antragstellerinnen zu vermeiden (Punkt 1.) und es künftig zu unterlassen, den Antragstellerinnen den Weg zu versperren sowie Beschimpfungen auszusprechen (Punkt 2.). Die Antragsgegnerin mache durch ihr Verhalten (rassistische Beschimpfungen und Beleidigungen, Versperren des Weges, Drohungen, körperliche Übergriffe) das weitere Zusammentreffen unzumutbar. Die beantragten Maßnahmen seien zur Wahrung der psychischen und physischen Gesundheit der Antragstellerinnen erforderlich. Schwerwiegende Interessen der Antragsgegnerin stünden der antragsgemäßen Erlassung der einstweiligen Verfügung nicht entgegen.
[7] Die Antragsgegnerin begehrte die Abweisung der Erlassung der einstweiligen Verfügung.
[8] Mit Beschluss vom 18. Mai 2020 erließ das Erstgericht im zweiten Rechtsgang – nach Aufhebung der im ersten Rechtsgang ergangenen einstweiligen Verfügung vom 17. Dezember 2019 und Zurückverweisung der Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung durch das Rekursgericht mit Beschluss vom 28. März 2020 – die einstweilige Verfügung neuerlich für die Dauer von einem Jahr. Es trug der Antragsgegnerin auf, die Kontaktaufnahme mit den Antragstellerinnen zu vermeiden und es künftig zu unterlassen, den Antragstellerinnen den Weg zu versperren sowie Beschimpfungen auszusprechen. Das Verhalten der Antragsgegnerin mache den Antragstellerinnen ein weiteres Zusammentreffen unzumutbar. Durch die Aufträge an die Antragsgegnerin, die Kontaktaufnahme zu vermeiden, sowie sich den Antragstellerinnen nicht in den Weg zu stellen und diese zu beschimpfen, werde die Einschränkung für die Antragsgegnerin vor dem Hintergrund, dass sie im gleichen Haus wohnen, so gering wie möglich gehalten und ihr im Wesentlichen „nur“ das aktive Zusammentreffen untersagt; ein zufälliges – nicht vermeidbares – Aufeinandertreffen sei davon nicht umfasst.
[9] Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Die Verhaltensweisen der Antragsgegnerin seien als qualifiziertes Fehlverhalten im Sinn des § 382e EO anzusehen, seien doch neben einer tätlichen Entgleisung auch insgesamt aggressive Verhaltensweisen hervorgekommen, die aufgrund ihrer Häufigkeit und Intensität für die Antragstellerinnen die Unzumutbarkeit des Zusammentreffens begründen.
[10] Gegen diesen Beschluss wendet sich der Revisionsrekurs der Antragsgegnerin mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[11] Die Antragstellerinnen begehren in der ihnen freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, dem Revisionsrekurs nicht Folge zu geben.
[12] Ein Ausspruch des Rekursgerichts über den Wert des Entscheidungsgegenstands war hier nicht erforderlich (RS0105351 [T2]); die Zulässigkeit des Revisionsrekurses hängt vielmehr nur vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO ab (RS0097221; 7 Ob 17/15y).
Rechtliche Beurteilung
[13] Der Revisionsrekurs ist in diesem Sinn zulässig, er ist aber nicht berechtigt.
[14] 1.1 Bei der Entscheidung über einen Revisionsrekurs ist der Oberste Gerichtshof auch im Provisorialverfahren nur Rechtsinstanz und nicht Tatsacheninstanz und hat von demjenigen Sachverhalt auszugehen, den das Rekursgericht als bescheinigt angesehen hat (RS0002192).
[15] 1.2 Die Berücksichtigung „überschießender Feststellungen“ ist zulässig, wenn sie sich im Rahmen des geltend gemachten Klagsgrundes oder der erhobenen Einwendungen halten (RS0040318). Die Feststellung des Erstgerichts zum Vorfall mit dem Hund findet im Rahmen des geltend gemachten Antragsgrundes, dass nämlich bestimmte Verhaltensweisen der Antragsgegnerin die weitere Kontaktaufnahme unzumutbar machen, Deckung.
[16] 2.1 Nach § 382e Abs 1 EO hat das Gericht einer Person, die einer anderen Person durch einen körperlichen Angriff, eine Drohung mit einem solchen oder ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten das weitere Zusammentreffen unzumutbar macht, auf deren Antrag – soweit dem nicht schwerwiegende Interessen des Antragsgegners zuwiderlaufen – den Aufenthalt an bestimmt zu bezeichnenden Orten zu verbieten (Z 1) und aufzutragen, das Zusammentreffen sowie die Kontaktaufnahme mit dem Antragsteller zu vermeiden (Z 2).
[17] 2.2 Für die Beurteilung der Unzumutbarkeit nach § 382b EO – ebenso wie jener nach § 382e EO (RS0110446 [T16]) – sind Ausmaß, Häufigkeit und Intensität der bereits – auch schon länger zurückliegenden – angedrohten oder gar verwirklichten Angriffe sowie bei – ernst gemeinten und als solche verstandenen – Drohungen die Wahrscheinlichkeit deren Ausführung maßgeblich (RS0110446). Nach § 382e EO ist zwingend eine Interessenabwägung vorzunehmen (RS0113699 [T1]; RS0127363 [T1]; 7 Ob 34/17a). Der Sicherungsantrag nach dieser Bestimmung ist abzuweisen, wenn die Interessenabwägung zu Gunsten des Antragsgegners ausgeht, das heißt, wenn schwerwiegende Interessen des Antragsgegners dem Antrag entgegenstehen (RS0112179 [T2]). Die Gründe für die Unzumutbarkeit eines weiteren Zusammenlebens nach § 382b – und für die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen nach § 382e – EO sind verschuldensunabhängig; objektiver Beurteilungsmaßstab sind die Umstände des Einzelfalls (RS0110444 [insbesondere T1, T6, T9 und T10]).
[18] 2.3 Nach ständiger Rechtsprechung soll ein effektiver körperlicher Angriff oder die Drohung mit einem solchen und darüber hinaus auch ein sonstiges Verhalten („Psychoterror“) derartige Maßnahmen ermöglichen, wenn es eine Schwere erreicht, die die strenge Maßnahme der einstweiligen Verfügung angemessen erscheinen lässt (7 Ob 34/17a mwN). Von Bedeutung ist aber nicht ein Verhalten, welches der Durchschnittsmensch als „Psychoterror“ empfände, sondern die Wirkung eines bestimmten Verhaltens gerade auf die Psyche des Antragstellers (RS0110446 [T4, T8, T15]). Die Ausübung von „Psychoterror“ rechtfertigt die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382e EO dann, wenn dadurch die psychische Gesundheit des Antragstellers erheblich beeinträchtigt wird (RS0121302 [T1]).
[19] 2.4 Im vorliegenden Fall hat die Antragsgegnerin die Antragstellerinnen wiederholt und ohne ersichtlichen Grund beschimpft, beleidigt und rassistisch herabgewürdigt; der Erstantragstellerin gegenüber ist sie zusätzlich tätlich geworden, die Zweitantragstellerin hat sie mit dem Loslassen des Hundes bedroht und ihr den Weg versperrt. Dieses immer wieder aggressive – die psychische Gesundheit der Antragstellerinnen evidentermaßen belastende –Gesamtverhalten der Antragsgegnerin rechtfertigt die Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382e EO.
[20] 2.5 Ein berücksichtigendes Interesse der Antragsgegnerin an ihrer Vorgangsweise ist nicht ersichtlich. Dem Umstand, dass die Streitteile im gleichen Haus wohnen und daher (zufällige) Zusammentreffen nicht verhindert werden können, haben bereits die Vorinstanzen Rechnung getragen, indem sie der Antragsgegner ausdrücklich – und unbekämpft – nur die Kontaktaufnahme verboten.
[21] 3.1 Nach § 382e Abs 2 EO ist keine Frist zur Einbringung der Klage (§ 391 Abs 2 EO) zu bestimmen, wenn die einstweilige Verfügung für längstens ein Jahr getroffen wird.
[22] 3.2 Die Bestimmung der Zeit, für welche die einstweilige Verfügung getroffen wird, kann durch die Bezeichnung eines Kalendertags, mit welchem die angeordneten Sicherungsmittel ihre Wirksamkeit verlieren oder durch Bestimmung eines Ereignisses, Vorfalls oder Umstands angegeben werden, bis zu dessen Eintritt die Sicherung der Partei zugutekommen soll (RS0004925; RS0004907). Auch gegen die Erlassung einer einstweiligen Verfügung für eine nach Tagen, Wochen, Monaten oder Jahren bestimmte Dauer ist nichts einzuwenden, weil der Endzeitpunkt hinreichend bestimmbar ist (vgl bspw 7 Ob 87/20z – Erlassung einer einstweiligen Verfügung für die Dauer von sechs Monaten).
[23] 3.3 Die einstweilige Verfügung nach § 382e Abs 1 EO kann bis zur Höchstdauer von einem Jahr getroffen werden. Zu beurteilen ist dabei allein, ob die im Rechtsmittelverfahren konkret zu überprüfende einstweilige Verfügung dieser gesetzlichen Vorgabe entspricht. Dabei muss die Höchstdauer nicht in jedem Fall ausgeschöpft werden. Es ist vielmehr konkret unter Berücksichtigung des Einzelfalls die notwendige Dauer zu ermitteln.
[24] 3.4 Vor dem Hintergrund, dass nach den Feststellungen die Verhaltensweisen der Antragsgegnerin selbst während des anhängigen Verfahrens andauerten, ist im vorliegenden Fall die Erlassung der einstweiligen Verfügung für die – im Übrigen in Kürze zu Ende gehende – Höchstdauer durch die Vorinstanzen nicht zu beanstanden.
[25] 4.1 Die einstweilige Verfügung nach § 382e EO schützt das Recht einer Person, an Orten, an denen sie sich regelmäßig aufhält, nicht von einem gewalttätigen oder psychisch erheblich belastenden Verhalten einer anderen Personausgesetzt zu sein. Die Bestimmung gibt dem Gericht die Möglichkeit, dem Antragsgegner den Aufenthalt an gewissen bestimmten Orten zu verbieten, ihm aber auch allgemein den Auftrag zu geben, ein Zusammentreffen sowie die Kontaktaufnahme mit dem Antragsteller möglichst zu vermeiden. Die beiden Aufträge können auch kumulativ erlassen werden (7 Ob 34/17a mwN, Kodek in Angst/Oberhammer, EO3 § 382e EO Rz 3; Sailer in Deixler/Hübner, Exekutionsordnung [31. Lfg – Dezember 2020] § 382e EO Rz 10 f).
[26] 4.2 Die Antragstellerinnen haben ihren Antrag ausdrücklich auf § 382e EO gestützt. Die Antragsgegnerin meint, das in Punkt 2. des erstgerichtlichen Beschlusses genannte Verbot (Versperren des Weges, Aussprechen von Beschimpfungen) sei nichtig, weil diese Wortfolge im Gesetz so nicht vorgesehen sei. Die dort angeführten Verhaltensweisen sind aber im vorliegenden Fall ungeachtet ihrer Aufnahme in einen gesonderten Punkt sowohl nach dem Begehren als auch nach den Entscheidungen der Vorinstanzen klar als beispielhafte, spezifische Ausprägungen der Kontaktaufnahme aufzufassen und bereits im allgemeinen Kontaktaufnahmeverbot nach Punkt 1. des erstinstanzlichen Beschlusses enthalten, sodass sich eine gesonderte (neuerliche) Entscheidung darüber erübrigt und der Ausspruch daher zu entfallen hat. Da es sich nur um eine Präzisierung und nicht um eine inhaltliche Änderung der Vorentscheidungen handelt, ist mit einer Maßgabebestätigung vorzugehen.
[27] 5. Die Kostenentscheidung gründet auf § 41 ZPO iVm § 393 Abs 2 EO.
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