European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0070OB00034.16Z.0706.000
Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung aufgetragen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Der Kläger (Landwirt) hat als Versicherungsnehmer über den Nebenintervenienten (selbstständiger Versicherungsmakler) bei der Beklagten (Versicherer) eine Landwirtschaftsversicherung (ua) gegen das Risiko Feuer mit Neuwertentschädigung abgeschlossen. Versichert werden sollten – soweit hier relevant – alle wohn‑ und landwirtschaftlich genutzten Gebäude auf den Liegenschaften in G***** und in E*****.
Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen Bedingungen für die Landwirtschaftsversicherung (ABL 2010) und die Besondere Vereinbarung für IGV‑Versicherungsmakler zugrunde. Diese lauten auszugsweise:
ABL 2010:
„ Artikel 1 – Anzeige von Gefahrenumständen bei Vertragsabschluss
Der Versicherungsnehmer hat bei Abschluss des Vertrages alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer wahrheitsgemäß und vollständig anzuzeigen. Ein Umstand, nach welchem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, gilt im Zweifel als erheblich. Bei schuldhafter Verletzung dieser Pflichten kann der Versicherer nach Maßgabe der §§ 16 bis 21 Versicherungsvertragsgesetz (VersVG) vom Vertrag zurücktreten und wird diesfalls nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen von der Verpflichtung zur Leistung frei sein.“
IGV:
„ Anerkennungsklausel
Sach- und Vermögensversicherung allgemein
Der Versicherer erkennt an, dass ihm bei Abschluss des Vertrages alle Umstände bekannt waren, die für die Beurteilung des Risikos erheblich sind, es sei denn, dass irgendwelche Umstände arglistig verschwiegen wurden.
Unbeabsichtigte Fehler beim Abschluss des Versicherungsvertrages, etwa versehentlich unterbliebene Anzeigen oder Anmeldungen, beeinträchtigen die Ersatzpflicht nicht, sie sind jedoch nach Bekanntwerden unverzüglich zu berichtigen. […] “
Die Landwirtschaft des Klägers war zunächst bei der K*****versicherung und der G***** Versicherung versichert. Im Jahr 2009 erfolgte ein Wechsel zur U***** Versicherung, wobei dieser Versicherungsantrag vom Nebenintervenienten nach konkreter Besprechung mit dem Kläger ausgefüllt worden war. Der Kläger erwähnte dabei gegenüber dem Nebenintervenienten nicht, dass sich im Wirtschaftsgebäude in E***** auch eine damals von V***** O***** betriebene Tischlerei befand. Der Nebenintervenient besichtigte vor Vertragsabschluss die Liegenschaft nicht.
Aufgrund eines Schadenfalls wechselte der Kläger im Jahr 2011 zur Beklagten. Den Versicherungsantrag füllte eine Mitarbeiterin des Nebenintervenienten in Abwesenheit des Klägers aus und unterschrieb ihn auch aufgrund einer erteilten Vollmacht.
Im Versicherungsantrag war eine Begutachtung bzw Bewertung der als „Geflügellandwirtschaft“ beschriebenen Landwirtschaft durch einen Sachverständigen gewünscht, von der Beklagten jedoch aus Kostengründen nicht durchgeführt worden.
Der Kläger hatte das Wirtschaftsgebäude und das angrenzende Wohngebäude auf der Liegenschaft in E***** vor vielen Jahren verpachtet. Im Keller des Wirtschaftsgebäudes befand sich ein Schweinestall, der bis etwa 2008 genutzt worden war; danach blieb er unbenutzt. Der Dachboden (Obertenne) diente zum Abstellen bzw Aufbewahren landwirtschaftlicher Geräte und zum Aufbewahren von Zaunmaterial.
Im Mittelteil des Wirtschaftsgebäudes betrieb V***** O***** ab 1997 mit Wissen und Zustimmung des Klägers eine Tischlerei, für die er (ua) wegen der Unmöglichkeit, Brandabschnitte zu bilden, keine Betriebsanlagengenehmigung erlangen konnte und für die er auch keine Versicherung hatte. Nach der Insolvenz von V***** O***** im Februar 2012 übernahm dessen Sohn F***** die Tischlerei. Von diesem Betriebsübergang hatte der Kläger keine Kenntnis. Auch F***** O***** hatte keine Betriebsanlagengenehmigung für die Tischlerei.
In der Nacht vom 1. auf den 2. 2. 2013 brach im Wirtschaftsgebäude aus nicht mehr feststellbarer Ursache ein Brand aus, bei dem dieses in seinen brennbaren Teilen samt Inventar vollkommen vernichtet und auch das angrenzende Wohnhaus schwer beschädigt wurde. Von den Brandermittlern konnte nur ein Defekt im Bereich der Elektroinstallationen als einzige objektive Brandursache festgestellt werden. Für andere Zündquellen objektiver als auch subjektiver Art ergaben sich keine konkreten Anhaltspunkte.
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung von 150.000 EUR sA sowie die Feststellung der Deckungspflicht nach Maßgabe des abgeschlossenen Feuerversicherungsvertrags für den beschriebenen Schadenfall. Der Kläger beruft sich – soweit für das Revisionsverfahren relevant – betreffend den Einwand, das Wirtschaftsgebäude sei auch als Tischlerei genutzt worden, auf die vereinbarte Anerkennungsklausel. Überdies sei im Versicherungsantrag eine Begutachtung bzw Bewertung durch einen Sachverständigen gewünscht, von der Beklagten aber aus Kostengründen unterlassen worden. Er habe der Beklagten den Betrieb der Tischlerei im Wirtschaftsgebäude nicht arglistig verschwiegen.
Die Beklagte lehnt – soweit für das Revisionsverfahren relevant – die Deckung der Schäden am Wirtschaftsgebäude mit der Begründung ab, die Anerkennungsklausel greife nicht, weil der Kläger der Beklagten den Tischlereibetrieb im Wirtschaftsgebäude arglistig verschwiegen habe. Die Information über den Tischlereibetrieb habe der Kläger vorsätzlich zurückgehalten, weil ihm bewusst gewesen sei, dass eine Versicherung sonst nicht möglich gewesen wäre.
Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab, wobei es im Rahmen seiner Beweiswürdigung überdies ausführte: „Es ist nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon auszugehen, dass das Vorhandensein einer Tischlerei in einem an sich landwirtschaftlichen Wirtschaftsgebäude zumindest eine höhere Prämie vom Versicherungsnehmer erfordert hätte, unter Umständen sogar den Abschluss einer zusätzlichen Versicherung. [...] Umgekehrt musste es aber auch dem Kläger bewusst sein, dass die Erwähnung der Tischlerei zu den genannten Folgen (höhere Prämien und Selbstbehalte und damit verbunden auch höhere Provisionen an den Nebenintervenienten) führen könnte, was durchaus einen Anreiz für ihn dargestellt haben kann, diesen Umstand im Zuge des Abschlusses des Versicherungsvertrages zu verschweigen.“
Im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, „dem Kläger musste bewusst sein, dass das Vorhandensein einer solchen Tischlerei zumindest die von ihm zu leistenden Prämien und/oder Selbstbehalte erhöhen, unter Umständen überhaupt den Abschluss des Versicherungsvertrages verhindern würde“. Das Erstgericht folgerte daraus, dass der vom Kläger unterlassene Hinweis auf den Tischlereibetrieb das arglistige Verschweigen eines risikoerhöhenden Umstands durch den Kläger darstelle. Die Beklagte berufe sich daher zu Recht auf ihre Leistungsfreiheit. Der Gegenbeweis, dass jede mögliche Mitursache des falsch angezeigten oder verschwiegenen Umstands am Eintritt des Versicherungsfalls und dem Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ausgeschlossen werden könne, sei dem Kläger nicht gelungen. Die Brandursache habe zwar nicht festgestellt werden können, doch sei keinesfalls auszuschließen, dass gerade der Betrieb der Tischlerei das Brandgeschehen wahrscheinlicher gemacht habe als eine rein landwirtschaftliche Nutzung.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es teilte die Auffassung des Erstgerichts, dass dem Kläger arglistiges Verhalten vorzuwerfen sei. Die Beklagte habe daher mit Recht die Deckung des Schadenfalls abgelehnt.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu lösen gewesen sei. Ob ein arglistiges Verschweigen Einfluss auf die Willensbildung des anderen Vertragspartners gehabt habe, sei keine Rechts-, sondern eine nicht revisible Tatfrage.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der gänzlichen Stattgebung der Klagebegehren. Hilfsweise stellt der Kläger auch einen Aufhebungsantrag.
Die Beklagte erstattete eine – ihr freigestellte – Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision des Klägers nicht zuzulassen, hilfsweise dieser keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und in ihrem Aufhebungsantrag auch berechtigt, weil die Vorinstanzen bei der Beurteilung der Frage, ob der Kläger einen risikoerhöhenden Umstand arglistig verschwiegen hat, von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen sind.
1. Nach Art 1 ABL 2010 hatte der Versicherungsnehmer bei Abschuss des Vertrags alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer wahrheitsgemäß und vollständig anzuzeigen. Bei schuldhafter Verletzung dieser Pflicht sollte der Versicherer nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen von der Verpflichtung zur Leistung frei sein.
2. Erheblich sind Gefahrenumstände, die geeignet sind, auf den Entschluss des Versicherers, den Vertrag überhaupt oder zu dem vereinbarten Inhalt abzuschließen, Einfluss auszuüben (RIS‑Justiz RS0080637 [T2]). Der Versicherungsnehmer hat selbst nicht nachgefragte Umstände dem Versicherer dann mitzuteilen, wenn ihre Mitteilung als selbstverständlich erscheint (RIS‑Justiz RS0119955 [T3]).
3. Im vorliegenden Fall hat der Kläger (Versicherungsnehmer) nicht angezeigt, dass er ein Wirtschaftsgebäude an einen Tischler verpachtet hatte, der dort eine Tischlerei betrieb, für die (ua) mangels tauglicher Brandschutzmöglichkeiten keine Betriebsanlagengenehmigung erlangt werden konnte. Dass es sich dabei – wie (entgegen der Ansicht des Klägers) von der Beklagten in erster Instanz auch behauptet – um einen erheblichen und selbstverständlich mitteilungspflichtigen Gefahrenumstand handelte, liegt auf der Hand.
4. Der Beweis der fehlenden Kausalität zwischen dem nicht oder falsch angezeigten erheblichen Gefahrenumstand und dem Eintritt des Versicherungsfalls sowie dem Umfang der Leistungspflicht des Versicherers obliegt dem Versicherungsnehmer (RIS‑Justiz RS0080771; vgl auch RS0081313). Dieser Beweis ist dem Kläger nicht gelungen.
5. Die Beklagte erhob die für sie relevanten Umstände durch einen Fragebogen (Blg ./A). Hat der Versicherungsnehmer die Gefahrenumstände an Hand von vom Versicherer in geschriebener Form gestellter Fragen anzuzeigen, so kann der Versicherer wegen unterbliebener Anzeige eines Umstands, nach dem nicht ausdrücklich und genau umschrieben gefragt worden ist, nach § 18 VersVG nur im Fall arglistiger Verschweigung zurücktreten. Gleiches galt nach der von den Parteien vereinbarten Anerkennungsklausel, die dann nicht greifen sollte, wenn Gefahrenumstände arglistig verschwiegen wurden. Der Versicherer kann sich dann auch ohne Vertragsauflösung auf Leistungsfreiheit berufen, wenn er von der Verletzung der betreffenden vorvertraglichen Obliegenheit (Anzeigeobliegenheit) erst nach dem Versicherungsfall erfahren hat (RIS‑Justiz RS0129732).
6. Arglist ist eine besonders qualifizierte Form des Vorsatzes, die die Kenntnis des Versicherungsnehmers von den gefahrerheblichen Tatsachen sowie auch vom Irrtum des Versicherers und seiner Relevanz für dessen Vertragsentschluss erfordert (RIS‑Justiz RS0014765; Heiss/Lorenz in Fenyves/Schauer , §§ 18 VersVG Rz 13). Im vorliegenden Kontext bedeutet dies, dass der Versicherungsnehmer durch die Nichtbekanntgabe beurteilungswesentlicher Umstände auf die Entscheidung des Versicherers Einfluss nehmen will und sich bewusst ist, dass der Versicherer möglicherweise seinen Antrag nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen wird, wenn er (vollständig) die Wahrheit sagt (RIS‑Justiz RS0080027; vgl auch 7 Ob 36/07f). Für die arglistige Täuschung reicht bedingter Vorsatz (dolus eventualis) aus (7 Ob 70/12p; RIS‑Justiz RS0130762; Heiss/Lorenz , aaO, § 22 VersVG Rz 4). Die vom Erstgericht dazu getroffenen Feststellungen genügen zur Beurteilung einer beim Kläger vorgelegenen Arglist nicht:
7. In dem als Sachverhalt ausgewiesen Teil des Ersturteils findet sich zur Tatsachengrundlage für eine fragliche Arglist des Klägers keine konkrete Feststellung. In der Beweiswürdigung wird ausgeführt, dass es dem Kläger bewusst sein musste, dass die Erwähnung der Tischlerei zu den genannten Folgen (höhere Prämien und Selbstbehalte …) führen könnte. Diese Ausführungen dienen wohl zur Begründung des vom Erstgericht gezogenen Schlusses, „dass der Kläger tatsächlich dem Nebenintervenienten und somit im Endeffekt der Beklagten gegenüber das Vorhandensein der Tischlerei verschwiegen hat“. In der rechtlichen Beurteilung wird dann wiederholt, dass „dem Kläger bewusst sein (musste), dass das Vorhandensein einer Tischlerei zumindest die von ihm zu leistenden Prämien und/oder Selbstbehalte erhöhen, unter Umständen überhaupt den Abschluss des Versicherungsvertrags verhindern würde“. Entscheidend muss aber sein, was der Kläger wusste/was ihm bewusst war und nicht, was er wissen musste/was ihm bewusst sein musste. Insoweit fehlt, wie in der Revision mit Recht geltend gemacht wird, die Tatsachengrundlage um eine gegebenenfalls vorgelegene Arglist des Klägers beurteilen zu können. In diesem Punkt erweist sich daher die Entscheidung des Erstgerichts als ergänzungsbedürftig.
7.1. Das Erstgericht wird im Rahmen seiner neuerlichen Entscheidung in tatsächlicher Hinsicht unmissverständlich festzustellen haben, ob der Kläger durch das Verschweigen des im Wirtschaftsgebäude geführten Tischlereibetriebs auf die Entscheidung der Beklagten im dargelegten Sinn Einfluss nehmen wollte und sich bewusst war, dass diese im Fall der Bekanntgabe dieses Umstands seinen Antrag nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen annehmen werde. Erst danach wird sich die zwischen den Parteien noch allein strittige Frage, ob die Beklagte infolge arglistigen Verschweigens eines Gefahrenumstands durch den Kläger leistungsfrei ist, abschließend beurteilen lassen. Ob für diese Ergänzung der Tatsachengrundlage auch eine Ergänzung des Beweisverfahrens erforderlich ist, bleibt der Beurteilung des Erstgerichts überlassen.
7.2. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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