OGH 7Ob28/12m

OGH7Ob28/12m19.12.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Familienrechtssache des Antragstellers H***** P*****, vertreten durch Dr. Francisco Rumpf, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegnerin M***** P*****, wegen Unterhaltsherabsetzung, über den Revisionsrekurs des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 25. Oktober 2011, GZ 45 R 375/11x‑33, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 18. Mai 2011, GZ 2 Fam 39/10b-26, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Familienrechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Das Erstgericht hat den Antrag des Vaters vom 9. 11. 2010 auf Herabsetzung des monatlichen Unterhalts für seine volljährige Tochter auf monatlich 40 EUR ab 1. 10. 2010 im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass seine nunmehrige Anstellung bei der saudi-arabischen Botschaft (als Chauffeur) den Unterhaltsanspruch nicht mindere. Er beziehe ein monatliches Bruttoeinkommen von 1.250 EUR zwölfmal jährlich und bezahle sowohl den Dienstgeber- als auch den Dienstnehmeranteil (265,38 EUR und 226,50 EUR) selbst an die Sozialversicherung. Da er den Dienstgeberanteil vom Dienstgeber zurückerhalten müsse, bilde der Betrag von 1.023,50 EUR (1.250 EUR abzüglich 226,50 EUR) die Unterhaltsbemessungsgrundlage. Die Tochter habe Anspruch auf 20 % des anrechenbaren Durchschnittsnettoeinkommens des Unterhaltspflichtigen (22 % minus 2 % für ihren Bruder). Der bisher festgesetzte Unterhaltsbeitrag von 123 EUR liege daher weiterhin in der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und ließ den Revisionsrekurs zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob ein österreichischer Dienstnehmer den von ihm selbst an die Sozialversicherung geleisteten Dienstgeberanteil vom ausländischen Dienstgeber zurückfordern könne und wie sich dies ‑ gegebenenfalls ‑ auf die Unterhaltsbemessung auswirke.

Gegen die Rekursentscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Antragstellers, der die Herabsetzung der monatlichen Unterhaltsbeiträge „bis auf weiteres“ auf 40 EUR begehrt.

Die Antragsgegnerin hat von der Möglichkeit der Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung nicht Gebrauch gemacht.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig und im Sinn des im Abänderungsantrag enthaltenden Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Für den vorliegenden Fall ist die Bestimmung des § 53 Abs 3 lit a ASVG maßgebend, wonach ein Dienstnehmer mit österreichischer Staatsangehörigkeit (vgl zu diesem Erfordernis für die sogenannte „Vollversicherung“: § 5 Abs 1 Z 9 ASVG und VwGH 2007/08/0207) ‑ wie der Antragsteller (laut Meldeauskunft ON 8) ‑ die Beiträge zur Gänze zu entrichten hat, wenn die Beiträge vom Dienstgeber, der die Vorrechte der Exterritorialität genießt oder dem im Zusammenhang mit einem zwischenstaatlichen Vertrag oder der Mitgliedschaft Österreichs bei einer internationalen Organisation besondere Privilegien oder Immunitäten eingeräumt sind, nicht entrichtet werden.

Im Anwendungsbereich des § 53 Abs 3 lit a ASVG sind daher zwei ‑ hier offenbar erfüllte ‑ Voraussetzungen erforderlich, damit sowohl Beitragspflicht als auch Beitragsschuld auf den Dienstnehmer übergehen:

Der Dienstgeber muss zum einen die Vorrechte der Exterritorialität oder die sonstigen, im Gesetz genannten Privilegien genießen und zum anderen die (gesamten) Beiträge (Beitragsschulden gemäß § 58 Abs 2 ASVG) an den Sozialversicherungsträger auf Grund seiner Sonderstellung nicht entrichten. Dabei reicht eine vom Dienstgeber gegenüber dem Dienstnehmer eingegangene Verpflichtung, die auf den Dienstgeber entfallenden Anteile der Beitragslast dem Dienstnehmer rückzuvergüten, nicht aus, um die Anwendung des § 53 Abs 3 lit a ASVG auszuschalten. Auch bei einer Refundierungszusage des Dienstgebers hat der Dienstnehmer die gesamten Beiträge selbst zu zahlen (Derntl in Sonntag, ASVG³ [2012] § 53 Rz 5 mit Hinweis auf VwGH 2001/08/0132).

In Umkehrung der Kostentragungsregel des § 51 Abs 3 ASVG, wonach bestimmte Anteile des allgemeinen Beitrags in der Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung „unbeschadet des § 53 ASVG“ auf den Versicherten und den Dienstgeber entfallen, wird hier der auf den Dienstgeber entfallende Beitragsteil auf den Dienstnehmer überwälzt. Dabei stellt § 53 Abs 3 lit a ASVG trotz des Gebrauchs der Wendung „der Dienstnehmer hat ... zu entrichten“ (vgl dazu Teschner/Widlar/Pöltner, MGA-ASVG 114. Erg-Lfg § 53 Anm 3) primär eine Durchbrechung der grundsätzlichen Beitragslast nach § 51 Abs 3 ASVG und erst in Konsequenz dessen, dass unter den Voraussetzungen des § 53 Abs 3 lit a ASVG den Dienstnehmer die gesamte Beitragslast trifft, auch eine solche der Regelung des § 58 Abs 2 ASVG über die Beitragsschuld (VwSlg 5442 A/1960) dar.

Der Rechtsmittelwerber beruft sich darauf, dass seine Tätigkeit als Chauffeur darin bestehe, Hoheitsträger zu Terminen zu führen, bei denen sie hoheitlich tätig würden. Eine Einschränkung seiner Tätigkeit würde die saudi‑arabische Botschaft in ihrer diplomatischen Funktion einschränken. Auch wenn sein Dienstvertrag mit der Botschaft privatrechtlicher Natur sein sollte, bestehe daher hinsichtlich seiner Tätigkeit die Immunität von Saudi-Arabien bzw der saudi-arabischen Botschaft. Auf Grund der Immunität könne er einen Anspruch auf Bezahlung der Dienstgeberbeiträge zu seiner Sozialversicherung, soweit ein solcher überhaupt bestehen sollte, nicht vor österreichischen Arbeitsgerichten durchsetzen. Bei der Ermittlung des Nettoeinkommens seien sowohl der Dienstgeber- als auch der Dienstnehmerbeitrag, insgesamt somit 491,88 EUR vom Bruttoeinkommen des Antragstellers (in Höhe von 1.250 EUR) abzuziehen, woraus sich ein monatliches Nettoeinkommen von 758,12 EUR ergebe.

Dem ist zu erwidern:

Nach ständiger auf die Entscheidungen 1 Ob 167/49 und 1 Ob 171/50, SpR 28 = SZ 23/143 zurückreichender Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann ein ausländischer Staat (hier: Saudi-Arabien) etwa bei Abschluss eines Arbeitsvertrags über im Inland zu verrichtende Arbeit als Privatrechtsträger auch im Inland aus diesem Arbeitsverhältnis belangt werden; dabei ist nicht auf den Zweck der Arbeiten, sondern auf die Erbringung der Arbeitsleistungen an sich abzustellen. Hinsichtlich der Rechtsstreitigkeiten aus Privatrechtsverhältnissen (acta iure gestionis) besteht für ausländische Staaten daher keine Exemption (2 Ob 32/08g mwN = EvBl 2009/40 [J. Mair] = Zak 2009/159, 103 [Spitzer]; RIS-Justiz RS0045581 [T8, T11]; 9 ObA 170/89 = ZfRV 1990, 300 [Seidl-Hohenveldern] 1 Ob 100/98g; so auch Matscher in Fasching² Art IX EGJN Rz 222 ff, Der ausländische Staat als Dienstgeber [wo privatrechtlich zu beurteilende Dienstverhältnisse, etwa bloße Hilfsdienste wie zB der Botschaftschauffeur, als Beispiele dafür angeführt werden, dass der Staat als Privatrechtssubjekt handelt und demgemäß keine Immunität genießt]).

Nichts anderes kann für die allein privatrechtlich zu beurteilende Frage der Rückforderung der vom Dienstnehmer (zunächst) allein getragenen Dienstgeberanteile zur Sozialversicherung gelten (vgl insb die Argumentation in VwGH 15. 3. 2005, 2001/08/0132). Im vorliegenden Fall stellt sich daher die Frage, wie der Begriff „Brutto“ in der dem verfahrenseinleitenden Antrag beigehefteten Bestätigung des saudi-arabischen Dienstgebers zu verstehen ist, wonach der Antragsteller „ein Gehalt von 1.250 Euro Brutto (12 mal im Jahr) bekommen wird“; der dieser Bestätigung zugrunde liegende Dienstvertrag ist dem Akt nämlich nicht zu entnehmen.

Geht man mit der Lehre davon aus, dass die Dienstgeberanteile zur Sozialversicherung im Fall der Pflichtversicherung nicht zum (Brutto-)Entgelt zählen (so etwa Krejci in Rummel, ABGB³ § 1152 Rz 17), hat der Antragsteller Anspruch auf Rückerstattung der von ihm für den Dienstgeber abgeführten Sozialversicherungsbeiträge. Die Anspruchsgrundlage hiefür ergibt sich aus § 1042 ABGB, weil es sich letztlich um einen auf ihn übergeleiteten öffentlich-rechtlichen Anspruch handelt (vgl 1 Ob 195/10y; 3 Ob 15/96; 9 ObA 19/87; RIS-Justiz RS0031505 [T3] = RS0030847 [T3]). Zur näheren Klärung dieser Frage ist jedoch erforderlich, dass der Antragsteller den Dienstvertrag vorlegt.

Sollte die Bestätigung (AS 3) hingegen so zu verstehen sein, dass der Antragsteller mit diesem „Brutto“‑Gehalt tatsächlich auch die Dienstgeberanteile zu tragen hat, sodass er weit unter 1.250 EUR (netto) verdient, stellt sich die (weiter zu erörternde) Frage, ob er nicht ohnehin auf das vom Erstgericht angenommene Nettoeinkommen anzuspannen ist:

Trifft doch jeden Unterhaltspflichtigen die Obliegenheit, im Interesse der ihm gegenüber Unterhaltsberechtigten alle persönlichen Fähigkeiten, insbesondere seine Arbeitskraft so gut wie möglich einzusetzen. Tut er dies nicht, wird er so behandelt, als bezöge er Einkünfte, die er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit hätte erzielen können (1 Ob 599/90; 1 Ob 81/10h ua; RIS‑Justiz RS0047686; RS0047550; 5 Ob 204/11b).

Ob die Voraussetzungen für eine Anspannung des Unterhaltspflichtigen vorliegen, ist nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zu beurteilen und stellt keine erhebliche Rechtsfrage dar (RIS-Justiz RS0113751 [T9]); auch ist die Art der Anspannung jeweils eine Frage des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0007096).

Mehrfach wurde bereits ausgesprochen, dass die Anspannungstheorie auch dann zur Anwendung kommt, wenn der Unterhaltspflichtige es unterlässt, einer seiner Ausbildung und seinen Fähigkeiten entsprechenden Tätigkeit nachzugehen (1 Ob 75/12d; 7 Ob 210/05s mwN).

Die Anspannungstheorie ist demnach nicht auf die Fälle bloßer Arbeitsunwilligkeit beschränkt, sondern greift auch Platz, wenn dem Unterhaltspflichtigen die Erzielung eines höheren als des tatsächlichen Einkommens zugemutet werden kann (RIS-Justiz RS0047550), wenn sich der Unterhaltspflichtige also mit einem geringeren Einkommen begnügt, als ihm möglich wäre (1 Ob 75/12d mwN).

Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Verzicht auf die Erzielung eines höheren Einkommens nicht durch besondere berücksichtigungswürdige Umstände erzwungen ist (RIS-Justiz RS0047566). Das Recht auf freie Berufswahl darf das Recht des Unterhaltsberechtigten auf angemessenen Unterhalt nicht völlig in den Hintergrund drängen. Die Anforderungen an die Anspannung steigen dabei mit dem Umfang der Sorgepflichten (1 Ob 81/10h; 1 Ob 2/02d).

Die Beschlüsse der Vorinstanzen sind daher aufzuheben. Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht die dargestellte Rechtslage mit den Parteien zu erörtern und die erforderlichen ergänzenden Feststellungen zu treffen haben. Auf deren Grundlage wird sodann über das Herabsetzungsbegehren des Antragstellers für den Zeitraum ab Oktober 2010 neuerlich zu entscheiden sein.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 78 AußStrG.

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