OGH 1Ob2/02d

OGH1Ob2/02d29.1.2002

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Kinder Thomas, geboren am 10. Juli 1987, Lucas, geboren am 21. Juni 1989, und Jacob P*****, geboren am 19. Juni 1994, infolge Rekurses der Kinder, vertreten durch Mag. Huberta Gheneff-Fürst, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 1. Oktober 2001, GZ 44 R 353/01i-29, mit dem infolge der Rekurse des Vaters sowie der Kinder der Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom 10. Juli 2001, GZ 2 P 89/99d-24, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Rekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 14 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung

In dem anlässlich der Scheidung der Eltern geschlossenen (in der Folge pflegschaftsgerichtlich genehmigten) Vergleich vom 18. 3. 1999 verpflichtete sich der Vater, für die Kinder bis auf weiteres monatliche Unterhaltsbeträge von S 6.000, 5.000 und 4.000, insgesamt daher von S 15.000, zu zahlen; dieser Zahlungspflicht wurde ein Einkommen des Vaters von S 43.000 (netto 12-mal jährlich) zu Grunde gelegt. Der Vater hatte seit 1987 eine berufliche Tätigkeit als Hotelmanager ausgeübt, im Jahr 1999 bis zum Jänner 2001 war er als kaufmännischer Leiter der Dorfhotel Betriebs GmbH in Villach tätig. Mit Beginn des Jahres 2001 trat er - vorerst auf Probe - in ein Dienstverhältnis als Assistent des Vorstands der Austria Österreichische Hotel Betriebs AG in Wien ein, das jedoch vom Dienstgeber im April 2001 beendet wurde.

Unter Berufung darauf, dass er seither monatlich nur S 14.000 an Arbeitslosengeld beziehe, aber bemüht sei, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, beantragte er die Herabsetzung der Unterhaltsbeträge auf je S 1.700 je Kind, somit auf insgesamt S 5.100 monatlich. Sein Dienstverhältnis in Villach mit einem Einkommen von etwa 41.000 S monatlich habe er gelöst, weil er in Wien habe arbeiten wollen. Sein neues Dienstverhältnis mit einem vergleichbaren Nettoeinkommen sei vom Dienstgeber am Ende der Probezeit ohne Angabe von Gründen gelöst worden.

Das Erstgericht setzte die Unterhaltsverpflichtung des Vaters ab 1. 5. 2001 bis auf weiteres auf je S 3.830 monatlich für Thomas und Lucas sowie auf S 3.330 monatlich für Jacob herab und wies das darüber hinausgehende Herabsetzungsbegehren des Vaters ab. Ohne auf den Einwand der Kinder einzugehen, dass der Vater jederzeit wieder eine adäquate Arbeitsstelle bekommen könnte und deshalb bis zur Höhe seines bisherigen Einkommens "anzuspannen" sei, verwies das Erstgericht nur darauf, dass der Vater anlässlich der Scheidung mehr als 5 Mio S erhalten und in der Folge eine Eigentumswohnung im Ausmaß von 124 m2 um rund S 5,2 Mio gekauft habe, die mit einem Pfandrecht der Bausparkasse in der Höhe von S 1,19 Mio belastet sei; darüber hinaus besitze er laut eigenen Angaben Barvermögen in der Höhe von ca S 200.000. In Anbetracht des Vermögens des Vaters könne nicht die Prozentsatzkomponente als Berechnungsmethode und der reine Arbeitslosengeldbezug als Bemessungsgrundlage herangezogen werden. Vielmehr sei es auf Grund der vorliegenden Situation gerechtfertigt, den Kindern zumindest den Durchschnittsbedarfssatz zu gewähren. Der Vater werde daher auch seinen Vermögensstamm heranziehen müssen, um zumindest diese Durchschnittsbedarfssätze zahlen zu können.

Das Rekursgericht hob diese Entscheidung infolge der Rekurse des Vaters sowie der Kinder unter Rechtskraftvorbehalt auf. Der Eintritt der Arbeitslosigkeit wäre dem Vater nur vorwerfbar, wenn der vorübergehende Charakter der Beschäftigung in Wien von vornherein absehbar gewesen und von ihm bewusst in Kauf genommen worden wäre, weil angesichts seines Alters von 48 Jahren ein Neueinstieg in eine gehobene Position sehr schwierig sei; er selbst betone, dass derartige Leitungspositionen meist firmenintern langfristig aufgebaut und vergeben würden. In solchen Fällen bestehe daher im Rahmen der Anspannungsverpflichtung auch die Pflicht, einen Arbeitsplatz nicht freiwillig zu wechseln, leichtfertig aufs Spiel zu setzen oder gar schuldhaft durch Entlassung zu verlieren. Die bloße Suche nach einem Ersatzarbeitsplatz reiche zumindest für jene unterhaltspflichtigen unselbständig tätigen Personen nicht aus, für die ein Ersatzarbeitsplatz nur schwer realisierbar sei. Die Kinder verwiesen auch zu Recht darauf, dass der Vater den Stamm seines Vermögens, der ihm nach dem Erwerb seiner Eigentumswohnung in Wien verblieben ist oder bei Anschaffung einer seinen Lebensverhältnissen angemessenen billigeren Wohnung verblieben wäre, zur Deckung der Unterhaltsansprüche einsetzen müsste. Gerade im Hinblick auf die geplante Übersiedlung von Villach nach Wien habe dem Vater klar sein müssen, dass ein solcher Wechsel unter Umständen mit einer vorübergehenden Einkommenseinbuße verbunden sein könnte, sodass er verpflichtet gewesen wäre, einen derartigen Zeitraum finanziell zu überbrücken und nicht sein Vermögen in eine überdurchschnittlich teure Wohnung zu investieren. Angesichts der teilweisen Finanzierung des Wohnungserwerbs mit einem Darlehen von 1,2 Mio S müssten dem Vater auch rund 1 Mio S verblieben sein. Da es in einem Fall wie dem vorliegenden nicht primär auf die Höhe des laufenden monatlichen Einkommens ankomme, somit auch nicht nur auf allfällige Erträgnisse aus Vermögensanlagen, wäre auf die Lebensverhältnisse abzustellen. Die Anschaffung und Ausstattung einer luxuriösen Wohnung um rund S 5,2 Mio bei einer Wohnfläche von nur 124 m2 könne durchaus als Luxusaufwand bezeichnet werden. Die Beschaffung einer Wohnung dieses Ausmaßes in einer Lage in Wien, die eine Kontaktaufnahme mit den Kindern leicht möglich macht, wäre auch mit weit geringeren Mitteln möglich gewesen. Der Vater dürfe nun seine Lebensverhältnisse trotz seiner Einkommenseinbuße nicht weiterhin luxuriös gestalten, wenn er zur Erleichterung der Finanzierung der dennoch eingegangenen Verpflichtungen aber die Unterhaltsansprüche der Kinder kürzen müsste.

Im fortzusetzenden Verfahren sei nun zu klären, ob der Vater seine Einkommenseinbuße infolge Auflösung des Probedienstverhältnisses vorhersehen habe können und in Kauf genommen habe, obwohl er wissen musste, dass die Auffindung eines Ersatzarbeitsplatzes sehr schwierig und zeitaufwändig sein würde. Sollte sich ergeben, dass die dem Vater nach Anschaffung seiner Wohnung verbliebenen Vermögenswerte ausreichen, um aus ihren Erträgnissen gemeinsam mit dem Arbeitslosengeld die bisher festgesetzten Unterhaltsansprüche zu decken, wären Feststellungen zum Wechsel des Arbeitsplatzes entbehrlich. Sollte sich hingegen herausstellen, dass der Vater seine Einkommenseinbuße nicht vorhersehen habe können und damit nicht in Kauf genommen habe, sodass ihm die Notwendigkeit der Anlegung von ausreichenden Reserven zur Überbrückung dieser Deckungslücke nicht erkennbar war, und sollten auch keine höheren Kapitalreserven nachweisbar sein als die festgestellten S 200.000, käme eine Verminderung der Unterhaltspflicht in Betracht. Diese setze allerdings auch eine der angestrebten Unterhaltsminderung entsprechende Minderung des Lebensstandards des Vaters voraus.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zuzulassen, da das Rekursgericht bei der Intensität der Anspannungsverpflichtung von der Rechtsprechung des Höchstgerichts abgewichen sei; danach reiche "zur Erfüllung des Anspannungsprinzips" die Suche nach einem Ersatzarbeitsplatz aus.

Das Rechtsmittel der Kinder ist nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Richtig ist zwar, dass zu den (typischen) Fällen des Arbeitsplatzverlustes eines Unterhaltspflichtigen judiziert wird, der damit verbundene Einkommensentfall löse auch bei verschuldetem Arbeitsplatzverlust in der Regel nur die Obliegenheit aus, alle nach den konkreten persönlichen und Arbeitsmarktverhältnissen sinnvollen Anstrengungen zu unternehmen, wieder einen Arbeitsplatz mit entsprechenden Verdienstmöglichkeiten zu finden (RIS-Justiz RS0047503; zuletzt 1 Ob 165/01y). Zum (freiwilligen) Arbeitsplatzwechsel wird hingegen die Auffassung vertreten, ein mit einem "unerzwungenen" Berufswechsel verbundener Einkommensverlust führe zur Anspannung des betreffenden Elternteils und bewirke keine Schmälerung des Unterhaltsanspruchs des Kindes (4 Ob 518/91 = EFSlg 65.176, 5 Ob 1571/92, 4 Ob 2327/96a ua). Das Recht des Vaters auf freie Berufswahl darf jedenfalls das Recht seines Kindes auf angemessenen Unterhalt nicht völlig in den Hintergrund drängen (9 Ob 316/97d). Ein Berufswechsel mag dem Vater im Rahmen seiner Erwerbsfreiheit zwar unbenommen bleiben; er darf aber Änderungen in seinen Lebensverhältnissen, die mit Einschränkungen seiner Unterhaltspflicht verbunden wären, nur insoweit vornehmen, als dies bei gleicher Sachlage ein pflichtbewusster Familienvater getan hätte (7 Ob 78/00x). Diese Grundsätze hat das Rekursgericht in der Sache zu Recht auch auf den vorliegenden Fall angewendet, weil bei Eingehen eines von vornherein auf Probe angelegten Dienstverhältnisses, von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängt, mit welcher Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden muss, dass es nach Ende der Probezeit vom Dienstgeber nicht fortgesetzt wird. Bei Beurteilung der Frage, ob dem Vater die Aufgabe seines bisherigen Arbeitsplatzes in Villach und die Begründung eines bloßen Probedienstverhältnisses in Wien in diesem Sinne "vorwerfbar" sei, ist vor allem auch zu berücksichtigen, dass umso strengere Anforderungen an die Anspannung des Unterhaltspflichtigen zu stellen sind, je umfangreicher dessen Sorgepflichten sind (1 Ob 595/91, 6 Ob 2360/96v, 7 Ob 78/00x ua). Nach den Verfahrensbehauptungen des Vaters in erster Instanz könnte unter Berücksichtigung der von ihm vorgelegten Urkunden (ON 11) entweder ein von vornherein auf drei Monate befristetes Dienstverhältnis mit einer Probezeit während des ersten Monats vorliegen (zur Zulässigkeit einer solchen Vertragskonstruktion etwa Arb 10.094); möglich wäre aber auch ein einmonatiges Probedienstverhältnis gemäß § 19 Abs 2 AngG, an das sich ein (neuer) auf zwei Monate befristeter Dienstvertrag anschloss (Arb 8208).

Dies wird vom Erstgericht zu prüfen sein. Sollte sich ergeben, dass der Entschluss des Vaters, in ein - möglicherweise unsicheres, weil befristetes - (Probe)Dienstverhältnis zu wechseln, unter den konkreten - im zweiten Rechtsgang noch näher zu erhebenden - Umständen noch als mit dem Maßstab eines pflichtgemäßen und rechtschaffenen Familienvaters vereinbar anzusehen war, wäre der Vater jedenfalls gehalten gewesen, das Risiko einer Beeinträchtigung der Unterhaltsansprüche der Kinder durch andere Maßnahmen zu minimieren und zumindest eine nahezu sein gesamtes Vermögen aufzehrende Investition so lange aufzuschieben, bis über das weitere Schicksal seines Arbeitsplatzes Klarheit herrscht. Auch ein Unterhaltspflichtiger, der erhebliche Teile seines freien Vermögens in den Erwerb einer luxuriösen Wohnmöglichkeit investiert, unterliegt nämlich dem Anspannungsgrundsatz; seiner Unterhaltspflicht sind dann zumindest jene Vorteile zu Grunde zu legen, die er bei (vorübergehender) Inanspruchnahme einer billigeren Wohnmöglichkeit erlangt hätte (vgl nur 4 Ob 557/94, 9 Ob 261/97a). Ganz allgemein ist die im Sinne des Anspannungsgrundsatzes zu bestimmende Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen danach zu bemessen, wie ein pflichtbewusster Familienvater in der konkreten Lage des Unterhaltspflichtigen die ihm zur Erzielung von Einkommen zur Verfügung stehenden Mittel an Arbeitskraft und Vermögen vernünftigerweise einsetzen würde (6 Ob 116/00b, 6 Ob 228/00y).

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