European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:E130728
Spruch:
Die außerordentlichen Revisionen werden gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
[1] 1.1 Aufgrund der – aus dem zwischen der Klägerin und dem erstbeklagten Augenarzt bestehenden Behandlungsvertrag resultierenden – Schutz‑ und Sorgfaltspflichten hatte der Erstbeklagte für die gefahrlose Benützung des Zu‑ und Abgangs zu und von der Ordination zu sorgen und die Klägerin vor im Stiegenhaus drohenden Gefahren zu schützen, soweit ihm diese unter Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennbar waren (vgl 7 Ob 250/10f mwN).
[2] 1.2 Auch jeder Hauseigentümer ist aufgrund der ihn treffenden allgemeinen Verkehrssicherungspflichten verpflichtet, alle Gänge, Treppen oder Teile des Hauses, die zu der ordnungsgemäßen Benützung erforderlich und einem größeren, mit den Besonderheiten des Hauses weniger vertrauten Kreis von Personen zugänglich sind, in einem verkehrssicheren und gefahrlosen Zustand zu erhalten (2 Ob 216/03h mwN).
[3] 1.3 Die Annahme einer Verkehrssicherungspflicht setzt voraus, dass eine Gefahrenquelle bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennbar ist (vgl RS0023801, RS0023442). Der Verkehrssicherungspflichtige hat die verkehrsübliche Aufmerksamkeit anzuwenden und die notwendige Sorgfalt zu beachten, die aber nicht überspannt werden darf (RS0023893 [T2]). Sie findet daher ihre Grenze in der Zumutbarkeit möglicher Maßnahmen zur Gefahrenabwehr (RS0023397 [T11]). Umfang und Intensität von Verkehrssicherungspflichten richten sich daher vor allem danach, in welchem Maß der Verkehrsteilnehmer selbst vorhandene Gefahren erkennen und ihnen begegnen kann (RS0023726).
[4] 1.4 Die Lösung der Frage, ob im konkreten Fall die Beklagten alles Zumutbare zur Verhütung der Gefahren der vorliegenden Art vorgekehrt haben, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0029874, RS0110202) und bildet daher regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage gemäß § 502 Abs 1 ZPO (RS0110202 [T28]).
[5] 2.1 Nach den – teils disloziert innerhalb der rechtlichen Beurteilung getroffenen – den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen stürzte die Klägerin über eine einzelne, eine sonst ebene Fläche unterbrechende, Stufe, die an dieser Stelle nicht zu erwarten und für die Klägerin nicht leicht zu erkennen war, weil sich die Stufe von der ebenen Fläche optisch nicht abhob und der von hinten einfallende Lichtschein von der Klägerin blockiert wurde, sodass die Stufe nicht ausgeleuchtet war.
[6] Vor diesem Hintergrund ist es unbedenklich, wenn die Vorinstanzen davon ausgingen, dass die Klägerin mit der Gefahr eines Sturzes nicht zu rechnen brauchte, die Beklagten hingegen auch ohne technische Ausbildung, die von der baulichen Ausgestaltung der Unfallsörtlichkeit ausgehende Gefahr erkennen und ihr mit einfachen Abwehrmaßnahmen – etwa der Anfügung einer farblichen Markierung – begegnen hätten können. Die Bejahung der Haftung des Erstbeklagten wegen Verletzung von vertraglichen Schutz‑ und Sorgfaltspflichten und jener der zweitbeklagten Hauseigentümerin wegen Verletzung der allgemeinen Verkehrssicherungspflichten stellt keine im Interesse der Rechtssicherheit aufzugreifende Fehlbeurteilung dar.
[7] 2.2 Ein Eingehen auf die von der Zweitbeklagten und den Erst‑ und Drittnebenintervenientinnen als erheblich erachteten Frage einer Haftung der Zweitbeklagten nach § 1319 ABGB (analog) oder § 1319a ABGB und den in diesem Zusammenhang gerügten Verfahrensmangel erübrigt sich.
[8] 3.2 Nur der Erstbeklagte strebt eine günstigere Verschuldensteilung an. Das Mitverschulden nach § 1304 ABGB setzt weder ein Verschulden in technischem Sinn noch die Rechtswidrigkeit des Verhaltens voraus. Es genügt die Sorglosigkeit gegenüber den eigenen Gütern (RS0032045, RS0022681). Ob einem Geschädigten demnach ein Mitverschulden anzulasten ist, hängt regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0022681 [T7]). Dasselbe gilt für die Frage nach dem Ausmaß des Mitverschuldens (RS0022681 [T11]).
[9] 3.2 Auch in dieser Frage liegt keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung vor. Die von den Vorinstanzen getroffene Verschuldensteilung beruht auf der Abwägung, dass vom Erstbeklagten trotz erheblichen Niveauunterschieds an einer unüblichen Stelle keine Vorsichtsmaßnahmen ergriffen wurden, obwohl dies einfach und kostengünstig möglich gewesen wäre, wohingegen der Klägerin vorgeworfen wurde, dass sie sich – trotz Augenprobleme – nicht bei ihrer Begleitperson eingehängt hatte. Die Auffassung der Vorinstanzen, dass das frühere sturzfreie Passieren der Stelle durch die Klägerin nicht zu ihrem überwiegenden oder gar Alleinverschulden führe, begegnet keinen Bedenken. Den vom Erstbeklagten zur Stützung seines Standpunkts herangezogenen Entscheidungen lagen keine vergleichbaren Sachverhalte zugrunde.
[10] 4. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)