OGH 7Ob193/16g

OGH7Ob193/16g9.11.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache der Bewohnerin A* Ö*, vertreten durch das Institut für Sozialdienste ifs Bewohnervertretung (Bewohnervertreterin B* K*), 6850 Dornbirn, Poststraße 2/4, vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, Sachwalterin H* A*; Einrichtungsleiter der Werkstätte L* W* S*; Einrichtungsleiterin der Kleinwohnanlage L*, über den Revisionsrekurs des Vereins gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 30. August 2016, GZ 1 R 231/16b‑11, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Dornbirn vom 11. Juli 2016, GZ 27 Ha 2/16s‑7, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2019:E116693

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie wie folgt zu lauten haben:

„1. Der Antrag auf Überprüfung der Zulässigkeit der an der Bewohnerin A* Ö*, in der Werkstätte L* und in der Kleinwohnanlage L* vorgenommenen Maßnahme des Hinderns am Verlassen des Rollstuhls mittels Sitzgurtes und der in der Werkstätte L* vorgenommenen Maßnahme der Anlegung/Anbringung von Stoffhandschuhen wird abgewiesen.

2. Die an der Bewohnerin A* Ö*, in der Kleinwohnanlage L* vorgenommene Maßnahme des Hinderns am Verlassen des Bettes mittels Seitenteilen wird für die Dauer von sechs Monaten für zulässig erklärt.

3. Die an der Bewohnerin, A* Ö*, in der Werkstätte L* vorgenommenen Maßnahmen des Hinderns am Verlassen des Bettes mittels Seitenteilen und des Auflegens eines schweren Kissens auf die Hände/Arme werden für unzulässig erklärt.“

 

Begründung:

Die am 10. 2. 1989 geborene Bewohnerin lebt ganzjährig in der Kleinwohnanlage L* (in der Folge Kleinwohnanlage). Während der Woche wird sie in der Einrichtung der Werkstätte L* (in der Folge Werkstätte) betreut. Sie leidet an einer cerebralen Parese samt einem schweren psychomotorischen Entwicklungsrückstand.

Die Bewohnerin ist zu willkürlichen auf Ortsveränderung gerichteten Bewegungen im Sinne einer Fortbewegung nicht in der Lage. Sie kann Teile ihres Körpers, insbesondere ihre Arme bewegen, jedoch geschieht dies unwillkürlich und unkoordiniert. Willentlich kann sie keine Bewegungsmuster ausführen. Rollende Bewegungen entstehen bei ihr durch unwillkürliche Bewegungen der Arme und Beine.

Die Bewohnerin leidet an einer starken Neurodermitis. Diese Hauterkrankung tritt oft schubweise verbunden mit starkem Juckreiz auf. Sie versucht sich dann insbesondere im Gesicht zu kratzen, wobei sie dazu aber lediglich eine schlagende Bewegung mit den Armen zu jenen Stellen am Körper macht, wo sie den Juckreiz verspürt. Auch das führt dazu, dass die Haut aufgekratzt wird. Wenn sich die Bewohnerin in der Werkstätte aufhält und gerade starken Juckreiz hat, werden ihr phasenweise von den Mitarbeitern Stoffhandschuhe angezogen, um das Aufkratzen der Haut zu verhindern. Fallweise wird ihr auch ein schweres mit Sand gefülltes Kissen auf die Hände oder Arme gelegt, damit sie diese nicht anheben kann, wodurch ebenfalls verhindert werden soll, dass sie sich aufkratzt. Dieses Kissen kann die Bewohnerin durch Anheben der Arme mit Mühe selbst entfernen.

Insbesondere aufgrund des starken Juckreizes ist die Bewohnerin oft sehr unruhig. In solchen Fällen wird sie in der Werkstätte in ein Pflegebett gebracht, da dies häufig zu einer Beruhigung führt. Dabei werden die Seitenteile samt Bettgitter am Bett hochgezogen, da sonst die Gefahr besteht, dass die Bewohnerin aufgrund ihrer unwillkürlich gesetzten, unkoordinierten Bewegungen aus dem Bett fällt. Eine Beruhigung tritt meist nach ca einer halben Stunde ein, wonach sie dann wieder aus dem Bett geholt wird. Manchmal lässt sie sich durch diese Maßnahme aber nicht beruhigen oder gibt eindeutig zu erkennen, dass sie nicht in das Pflegebett gebracht werden will. Dann wird sie meist nach 15 Minuten oder sofort wieder aus dem Bett geholt.

In der Kleinwohnanlage schläft die Bewohnerin in einem Standardpflegebett mit ca 55 cm Liegehöhe. Auch dort werden über Nacht aus demselben Grund wie in der Werkstätte die Seitenteile samt Bettgitter am Pflegebett hochgezogen. Die Bewohnerin liegt in ihrem Pflegebett grundsätzlich am Rücken. Sie führt dabei aber oftmals unwillkürliche und unkoordinierte Bewegungen aus, insbesondere streckt sie und beugt sie ihre Beine immer wieder, wodurch sie sich manchmal im Kreis oder auf den Bauch und wieder zurück dreht. Aufgrund dieser Bewegungen besteht die Gefahr, dass sie ohne hochgezogene Seitenteile bzw Bettgitter aus dem Pflegebett fallen würde. Sie ist körperlich und geistig nicht in der Lage, ein Sturzrisiko zu erkennen und sich darauf einzustellen. Bei einem Sturz aus dem Bett besteht die ernstliche und erhebliche Gefahr, dass sie sich schwer am Körper verletzen würde.

In der Kleinwohnanlage kann diese Gefahr nicht anders als durch Anbringen und Hochziehen von Seitenteilen samt Bettgittern abgewendet werden. Ein Niederflurbett mit vorgelegter Sturzmatte würde Verletzungen zwar mit Sicherheit verhindern, die Bewohnerin würde dann aber mit unkoordinierten Bewegungen über diese Sturzmatte hinaus gelangen. Eine Alarmanlage würde das Betreuungspersonal informieren. Die Bewohnerin müsste dann jedes Mal mit dem Hebelift in ihr Bett gehoben werden, wodurch ihre Ruhe‑ und Schlafenszeiten ständig unterbrochen und gestört würden.

In der Werkstätte könnte die Notwendigkeit der Anbringung von Seitenteilen samt Bettgitter am Pflegebett zur Vermeidung von Stürzen durch Verwendung eines Niederflurbettes mit vorgelegter Sturzmatte abgewendet werden, da sich die Bewohnerin nur sehr kurz im Pflegebett aufhält. Diese Alternative würde im Bereich der Werkstätte eine schonendere Betreuungs‑ und Pflegemaßnahme darstellen.

Die Bewohnerin kann sich nur mittels Rollstuhls oder einer speziellen Sitzschale an anderen Orten als im Bett aufhalten, sofern sie nicht am Boden liegt. Der Rollstuhl/die Sitzschale werden dafür verwendet, damit die Bewohnerin am sozialen Leben der Werkstätte und in der Kleinwohnanlage teilhaben kann. Es ist ihr dadurch beispielsweise möglich, sich im Garten aufzuhalten, am Esstisch mit den anderen Bewohnern zu sitzen und sich mit ihnen auf Augenhöhe zu befinden. Wenn die Bewohnerin im Rollstuhl/der Sitzschale sitzt, besteht die ernstliche und erhebliche Gefahr, dass sie aufgrund ihrer unwillkürlichen, unkoordinierten Bewegungen aus dem Rollstuhl/der Sitzschale fällt, indem sie nach unten rutscht, zur Seite oder nach vorne kippt und sich dabei schwere Verletzungen zuzieht. Sie ist weder körperlich noch geistig in der Lage, das Sturzrisiko zu erkennen und sich darauf einzustellen. Aus diesem Grund wird die Bewohnerin in der Kleinwohnanlage und in der Werkstätte in ihrem Rollstuhl/ der Sitzschale mit einem speziellen Gurt im Bereich des Beckens fixiert. Durch den Sitzgurt wird der Beckengürtel der Bewohnerin stabilisiert und sie kann ihre Bewegungen ausführen, ohne ständig die Balance zu verlieren.

Die Bewohnerin beantragte die gerichtliche Überprüfung der in der Werkstätte und der Kleinwohnanlage angeordneten und angewandten Maßnahmen des Hinderns am Verlassen des Bettes mittels Seitenteilen, des Hinderns am Verlassen des Rollstuhls mittels Sitzgurtes und des Anlegens/ Anbringens von Stoffhandschuhen oder eines schweren Kissens auf Händen/Armen.

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Da der Bewohnerin die Möglichkeit zur willkürlichen körperlichen Bewegung und Ortsveränderung fehle, seien die getroffenen Maßnahmen nicht als Freiheitsbeschränkung im Sinn des Heimaufenthaltsgesetzes anzusehen.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Die Anbringung eines Sitzgurtes, der den drohenden Sturz eines gelähmten Menschen aus dem Rollstuhl verhindern solle, sei ebenso wenig als Freiheitsbeschränkung zu qualifizieren wie die Anbringung von Schutzgittern, um das Herausfallen der Bewohnerin durch unwillkürliche Bewegungen zu verhindern. Durch das Anziehen der Stoffhandschuhe werde nicht bewirkt, dass die Bewohnerin keine Ortsveränderung vornehmen könne. Auf die Unzulässigkeit der Anbringung eines schweren Kissens auf den Händen und Armen der Bewohnerin komme die Rekurswerberin nicht zurück.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Vereins mit einem Abänderungsantrag.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist teilweise berechtigt.

1. Vorweg ist festzuhalten, dass der Revisionsrekurs hier ein einseitiges Rechtsmittel ist (RIS‑Justiz RS0121226). Das Recht zur Erstattung einer Rekurs‑ oder Revisionsrekursbeantwortung steht nur dem Bewohner, seinem Vertreter und seiner Vertrauensperson gegen Rechtsmittel des Leiters der Einrichtung zu (§ 17a HeimAufG iVm § 16 Abs 3 HeimAufG).

2. Nach § 3 Abs 1 HeimAufG liegt eine Freiheitsbeschränkung vor, wenn eine Ortsveränderung einer betreuten oder gepflegten Person gegen oder ohne ihren Willen mit physischen Mitteln, insbesondere durch mechanische, elektronische oder medikamentöse Maßnahmen, oder durch deren Androhung unterbunden wird.

§ 4 HeimAufG normiert, dass eine Freiheitsbeschränkung nur vorgenommen werden darf, wenn 1. der Bewohner psychisch krank oder geistig behindert ist und im Zusammenhang damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben und die Gesundheit anderer ernstlich und erheblich gefährdet, 2. sie zur Abwehr dieser Gefahr unerlässlich und geeignet sowie in ihrer Dauer und Intensität im Verhältnis zur Gefahr angemessen ist sowie 3. diese Gefahr nicht durch andere Maßnahmen, insbesondere schonendere Betreuungs‑ und Pflegemaßnahmen, abgewendet werden kann.

3. Bei der Prüfung, ob eine Freiheitsbeschränkung im Sinn des Heimaufenthaltsgesetzes vorliegt, ist zunächst die Beschränkung der Bewegungsfreiheit auf einen bestimmten räumlich abgegrenzten Bereich wesentlich. Der räumliche Umfang der Beschränkung spielt für die Freiheitsbeschränkung keine Rolle. Auch die Bewegungseinschränkung auf die Einrichtung in ihrer Gesamtheit unter Wahrung freier Bewegungsmöglichkeiten innerhalb des Areals der Einrichtung ist daher eine Freiheitsbeschränkung (RIS‑Justiz RS0121662), wie auch die Beschränkung auf einzelne Bereiche der Einrichtung, die Beschränkung auf ein einzelnes Zimmer oder die Beschränkung innerhalb eines Raumes (7 Ob 134/14b mwN).

Mechanische Mittel der Freiheitsbeschränkung sind etwa unmittelbare körperliche Zugriffe mit dem Ziel, den Bewohner zurückzuhalten. Hiezu zählt der Gebrauch von speziellen Möbeln, von Kleidung oder Vorrichtungen, die verhindern, dass der Bewohner seinen Körper bewegt oder einen bestimmten Ort oder Raum verlässt (7 Ob 134/14b mwN).

Nach den ErläutRV (353 BlgNr 22. GP  8 ff) liegt keine Freiheitsbeschränkung vor, wenn sich die betreute oder gepflegte Person auch ohne die Maßnahmen nicht fortbewegen könne. So sei die Anbringung eines Sitzgurtes, die den drohenden Sturz eines gelähmten Menschen aus dem Rollstuhl verhindern soll, nicht als Freiheitsbeschränkung zu qualifizieren, wenn die Anbringung des Gurtes in einer notwendigen Gesamtbetrachtung in Wahrheit seinen Bewegungs‑ und Handlungsspielraum (zB durch Einnahme der Mahlzeiten im Speisesaal) erhöhe. Wenn weiter einem Bewohner – namentlich bei Bewusstlosigkeit – überhaupt die Möglichkeit einer willkürlichen körperlichen Bewegung fehle, könne ebenfalls nicht von einer Freiheitsbeschränkung gesprochen werden. Schutzgitter die an einem Bett angebracht würden, um das Herausfallen durch unwillkürliche Bewegungen des Betroffenen (zB spastische Bewegungen oder unwillkürliche Bewegungen im Schlaf) zu verhindern, seien also keine freiheitsentziehenden Maßnahmen.

Dem Willen des Gesetzgebers entsprechend kann eine Freiheitsbeschränkung im Sinn des Heimaufenthaltsgesetzes also nur an jemandem vorgenommen werden, der grundsätzlich (noch) über die Möglichkeit zur willkürlichen körperlichen (Fort‑)Bewegung (mit Ortsveränderung) verfügt. Auf die Bildung eines (vernünftigen) Fortbewegungswillens und darauf, ob sich der betroffene Bewohner der Einschränkung seiner Bewegungsfreiheit bewusst ist, kommt es hingegen nicht an. Außerdem kann die Bewegungsfreiheit nicht selbständig, sondern auch mit fremder Hilfe (zB durch Schieben eines Rollstuhls) in Anspruch genommen werden. Die Freiheitsentziehung kann daher gegenüber jedermann erfolgen, der – sei es durch die Hilfe Dritter – die Möglichkeit körperlicher Bewegung und Ortsveränderung hat (7 Ob 33/14z mwN). Keine Freiheitsbeschränkung im Sinn des Heimaufenthaltsgesetzes kann demnach nur an jemandem vorgenommen werden, der überhaupt keine Möglichkeit zur willkürlichen Bewegungssteuerung mehr hat, das heißt, dem die Fortbewegungsfähigkeit völlig fehlt und der auch keinen Fortbewegungswillen bilden kann. Für die Beurteilung, dass eine der Überprüfung nach dem Heimaufenthaltsgesetz gar nicht unterliegende Maßnahme vorliegt, kann es schon zum Schutz der Bewohner nicht auf die (Un‑)Wahrscheinlichkeit der Äußerung eines Fortbewegungswillens ankommen; vielmehr steht die nicht völlig ausgeschlossene Möglichkeit dazu einer solchen Annahme entgegen (7 Ob 33/14z).

4. Nicht gefolgt wird daher der Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass eine Freiheitsbeschränkung an der Bewohnerin überhaupt nicht vorgenommen werden kann. Der Bewohnerin fehlt es zwar an der Fortbewegungsfähigkeit, aber sie kann zu erkennen geben, dass sie nicht ins Pflegebett gebracht werden möchte. Die gänzliche Unmöglichkeit, einen Fortbewegungswillen zu fassen und zu zeigen, steht demnach nicht fest.

Nunmehr ist zu prüfen, ob es sich bei den einzelnen Maßnahmen um (un‑)zulässige Freiheitsbeschränkungen nach dem HeimAufG handelt:

5. Der Bewohnerin wurden fallweise Stoffhandschuhe angezogen, um das Aufkratzen der Haut zu verhindern. Eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit durch irgendeine Form des Festbindens („Fixierens“) ist damit nicht verbunden. Die Bewohnerin kann sich – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – bewegen. Eine Freiheitsbeschränkung im Sinn des § 3 Abs 1 HeimAufG liegt nicht vor (vgl 7 Ob 209/13f zu einem Overall).

6. Das Einsetzen des Rollstuhls – verbunden mit dem unverzichtbaren Anbringen des Gurtes –, um der Bewohnerin die Teilnahme am sozialen Leben zu ermöglichen, schränkt die Bewegungsfreiheit der Bewohnerin, die sich sonst überhaupt nicht fortbewegen könnte, gerade nicht ein. Vielmehr wird dadurch der Bewegungs‑ und Handlungsspielraum und somit die Mobilität sogar erhöht. In diesem Fall geht der Gesetzgeber – wie die oben dargestellten Erläuterungen zeigen – nicht von einer Freiheitsbeschränkung im Sinn des § 3 Abs 1 HeimAufG aus (so auch Barth/Engel, Heimrecht [2004] § 3 Anm 12; Strickmann, Heimaufenthaltsrecht2, 131).

Zusammengefasst bedeutet dies, dass keine Freiheitsbeschränkung im Sinn des Heimaufenthaltsgesetzes vorliegt, wenn sich der Bewohner ohne Rollstuhl überhaupt nicht fortbewegen kann, das Anbringen eines Sitzgurtes nur dazu dient, einen drohenden Sturz zu verhindern und die Maßnahme dazu eingesetzt wird, den Bewegungs‑ und Handlungsspielraum, insbesondere durch das Ermöglichen der Teilnahme am sozialen Leben, zu vergrößern. Für das Vernachlässigen eines Lagerungswechsels bestehen keine Anhaltspunkte.

7.1.1 Im Unterschied zum Einsatz des Rollstuhls mit Anbringung eines Sitzgurtes wird durch die Unterbringung im Pflegebett und dem Hochziehen der Schutzgitter die Bewegungsfreiheit grundsätzlich räumlich beschränkt. Diese Maßnahme ist als Freiheitsbeschränkung nach § 3 Abs 1 HeimAufG zu qualifizieren.

7.1.2 Im Revisionsrekursverfahren ist zugestanden, dass im Zusammenhang mit der in der Kleinwohnanlage gesetzten Maßnahme des Hochziehens der Seitenteile die Voraussetzungen des § 4 HeimAufG vorliegen. Die Maßnahme war für zulässig zu erklären und gemäß § 15 Abs 2 HeimAufG eine Frist von sechs Monaten zu setzen.

7.1.3 Anders verhält es sich im Hinblick auf die durch die Werkstätte gesetzte Maßnahme. Hier kann nämlich nach den Feststellungen die Notwendigkeit des Hochziehens der Seitenteile durch eine schonendere Betreuungs- und Pflegemaßnahme, nämlich die Verwendung eines Niederflurbetts mit vorgelegter Sturzmatte abgewendet werden, sodass die Voraussetzungen des § 4 HeimAufG nicht vorliegen.

8.1 Ein verfehlter Rekursantrag schadet nicht, wenn das Rechtsmittel durch Anfechtungserklärung und Ausführung genügend deutlich bestimmt wird (RIS‑Justiz RS0043912). Dies ist hier der Fall, da der Rekurs ausdrücklich Ausführungen gegen die Maßnahme des Auflegens von Sandkissen auf die Hände der Bewohnerin enthält. Die Bekämpfung der Abweisung des darauf gerichteten Überprüfungsantrags war damit – entgegen der Ansicht des Rekursgerichts – aus dem Rekursverfahren nicht ausgeschieden.

8.2 Um die Bewohnerin daran zu hindern, sich aufzukratzen, wird fallweise ein schweres mit Sand gefülltes Kissen auf ihre Hände/Arme gelegt. Mit Mühe kann die Bewohnerin das Kissen durch Anheben der Arme entfernen.

Die Bewohnerin ist – wie aus den Feststellungen ersichtlich – nahezu bewegungsunfähig. Durch unwillkürliches Bewegen der Arme und Beine entstehen jedoch Rollbewegungen. Durch das Auflegen der Sandkissen auf ihre Hände/Arme werden nicht nur ihre Armbewegungen, sondern auch die Rollbewegungen zwangsläufig unterbunden. Hier ist von einer Freiheitsbeschränkung nach § 3 HeimAufG auszugehen. Die Voraussetzungen des § 4 HeimAufG liegen nicht vor, weil das Aufkratzen der Haut durch die schonendere Maßnahme des Anziehens von Stoffhandschuhen verhindert werden kann. Die Maßnahme ist unzulässig.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte