OGH 7Ob187/10s

OGH7Ob187/10s15.12.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Höhne, In der Maur & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei *****GmbH, *****, vertreten durch Prof. Dr. Johannes Hintermayr und andere Rechtsanwälte in Linz, wegen 36.000 EUR (sA), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 9. August 2010, GZ 1 R 29/10f-11, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 30. November 2009, GZ 4 Cg 170/09a-7, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Die Beklagte ist Inhaberin der registrierten Wortmarke „A*****“ und war Herausgeberin einer Musikzeitschrift gleichen Namens. Am 18. 4. 2008 schloss sie mit der Klägerin eine „Lizenzvereinbarung“ für drei Jahre - mit einer Option für ein weiteres Jahr - folgenden wesentlichen Inhalts ab:

Einerseits räumte die Beklagte als Lizenzgeberin der Klägerin als Lizenznehmerin die Nutzungsrechte an ihrer Wortmarke ein; andererseits vereinbarte man, dass die Klägerin die Beklagte an dem von ihr neu gegründeten Plattenlabel „A*****“ im Umfang von 30 % beteilige. In Punkt 3. des Vertrags wurde festgelegt, dass im ersten Jahr der Kooperation zwischen zwei und fünf Produktionen, zuzüglich zweier „A***** Sampler“ geplant seien. In Punkt 4. verpflichtete sich die Klägerin, das Plattenlabel in branchenüblicher und angemessener Weise zu bewerben. Die Beklagte wiederum werde der Klägerin in ihrer periodisch erscheinenden Musikzeitschrift „für die Bewerbung der auf dem A*****-Label erscheinenden Künstler Platz im Umfang von zwei ganzen Seiten pro Ausgabe“ einräumen. In Punkt 5. der Vereinbarung ist festgehalten, dass eine vorzeitige Kündigung durch den Lizenzgeber möglich sei, wenn in einem Jahr keine Produktion erfolge.

Am 21. 11. 2008 stellte die Beklagte aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage, insbesondere aufgrund des stetigen Rückgangs der verkauften Auflage und der immer weniger werdenden Leser und Interessenten die Musikzeitschrift „A*****“ mit der Ausgabe für Dezember 2008/Jänner 2009 ein. Mit Schreiben vom 15. 12. 2008 erklärte sie die Lizenzvereinbarung wegen schwerwiegender Vertragsverstöße der Klägerin mit sofortiger Wirkung für aufgelöst. Es existiere nur eine „Demoproduktion“; es habe keinen Verkauf gegeben und die Beklagte habe kein Lizenzentgelt erhalten. Die Klägerin habe daher gegen Punkt 3. der Lizenzvereinbarung verstoßen. Sie habe auch keine angemessene Werbung durchgeführt.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Klägerin, bei der noch keine Einnahmen angefallen waren, keine Lizenzgebühr bezahlt. Sie hatte im Juni 2008 eine „Promo-CD“ mit der Musikgruppe „G*****“ mit einer Auflage von 700 Stück produziert, die für Werbezwecke und den Eigenbedarf der Musikgruppe verwendet worden war. Von dieser CD wurden im März 2009 weitere 1.500 Stück gepresst, die anschließend in den Handel kamen. Ebenfalls im März 2009 brachte die Klägerin eine Single des Interpreten „C***** H*****“ mit einer Stückzahl von 200 auf den Markt. Nicht festgestellt werden konnte, ob die Klägerin eine Ersatzwerbung in anderen Zeitschriften oder Medien geschaltet hat.

Die Klägerin begehrt den Zuspruch von 36.000 EUR. Sie sei ihren Verpflichtungen aus der Lizenzvereinbarung nachgekommen und habe die Auflösungserklärung als unberechtigt zurückgewiesen; sie mache nun Schadenersatzansprüche geltend. Sie habe von der Beklagten lediglich in vier Ausgaben der Musikzeitschrift die ihr zustehende Doppelseite unentgeltlich zu Verfügung gestellt bekommen. Insgesamt belaufe sich ihr Schaden an unterbliebenen Werbeeinschaltungen in vier Jahren auf 252.480 EUR. Davon werde ein Teilbetrag von 36.000 EUR geltend gemacht.

Die Beklagte wendete im Wesentlichen ein, zur sofortigen Auflösung der Lizenzvereinbarung berechtigt gewesen zu sein, weil die Klägerin ihre Verpflichtungen aus der Kooperationsvereinbarung nicht erfüllt habe. Die Einstellung der Musikzeitschrift sei wirtschaftlich bedingt gewesen. Daraus könne die Klägerin daher keinen Schadenersatzanspruch ableiten. Die Klägerin habe weder einen positiven Schaden noch einen Gewinnentgang erlitten. Sie habe keine Werbeausgaben gehabt und auch keine Ersatzwerbung vorgenommen, da sie nichts produziert und somit nichts zu bewerben gehabt habe. Der von ihr geltend gemachte Schaden sei lediglich fiktiv. Die Klägerin habe ihre Verpflichtung zur Bewerbung des Plattenlabels „A*****“ unterlassen und die Lizenz rechtswidrig ausgedehnt. Dadurch habe sie Lizenzeinnahmen der Beklagten vorsätzlich vereitelt und nie abgerechnet. Die Beklagte wende die ihr wegen der Vertragsverletzungen der Klägerin zustehenden Schadenersatzansprüche in Höhe von 90.000 EUR als Gegenforderung ein.

Die Klägerin erwiderte, da die Beklagte ihren vertraglichen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei, mache sie das Erfüllungsinteresse geltend. Da sie keine Ersatzvornahme getätigt habe, sei der Schaden abstrakt zu berechnen, wobei der von der Beklagten angegebene Inseratpreis als Marktwert angenommen werde.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Klägerin sei es nicht gelungen, das Vorliegen eines Schadens zu beweisen; es sei weder ein positiver Schaden noch ein entgangener Gewinn der Klägerin gegeben. Zum einen könne der Schaden nicht mit 9.030 EUR pro Doppelseite festgesetzt werden, da die Klägerin selbst vorgebracht habe, dass die Bewerbung in der Zeitschrift kostenlos erfolgen habe sollen. Zum anderen stehe nicht fest, dass die Klägerin eine alternative Werbung für ihr Label in anderen Medien geschaltet hätte. Im Lizenzvertrag finde sich keine Vereinbarung, der zufolge die Beklagte verpflichtet wäre, die Zeitschrift „A*****“ auf Dauer herauszugeben. Die Beklagte habe keine (bestimmte) Auflage des Mediums garantiert. Vielmehr sei die Vereinbarung so zu verstehen, dass der Lizenzgeber bis zum Zeitpunkt der Einstellung der Zeitschrift die doppelseitige Werbung gewährleiste. Nach der wirtschaftlich bedingten Einstellung des „A*****“ sei die Schaltung einer Werbung nicht mehr möglich gewesen. Zu einem etwaigen Verdienstentgang mangels Werbung gebe es kein Vorbringen der Klägerin.

Das von der Klägerin angerufene Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung der ersten Instanz. Die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass kein Schaden nachgewiesen worden sei, sei für die Klägerin nicht überraschend gewesen, weil die Beklagte ja einen entsprechenden Einwand erhoben habe. Ein nunmehr von der Klägerin geltend gemachter Verdienstentgang sei in erster Instanz nicht behauptet worden, stelle eine neue Anspruchsgrundlage dar und würde somit eine Klagsänderung bedeuten, weshalb der in diesem Zusammenhang von der Klägerin behauptete Anleitungsmangel nicht vorliege. Der Klägerin sei kein Schaden entstanden. Nach konkreter Schadensberechnung betrage die Differenz zwischen dem Vermögen der Klägerin vor und nach Einstellung der Zeitschrift null Euro, da sie für die Werbeeinschaltungen nichts bezahlen hätte müssen und eine Alternativwerbung im Sinn eines tatsächlich getätigten Aufwands nicht nachgewiesen habe. Das Unterbleiben der Werbeeinschaltungen durch die Beklagte stelle für die Klägerin keinen Schaden dar. Einen Verdienstentgang als möglichen entgangenen Gewinn habe die Klägerin im Verfahren erster Instanz nicht vorgebracht und könne dies zufolge des Neuerungsverbots auch nicht im Berufungsverfahren nachholen. Mit dem Lizenzvertrag seien unentgeltliche Werbeeinschaltungen der Beklagten einerseits und das Abführen von 30 % Lizenzgebühr vom Rohertrag jeder Produktion der Klägerin andererseits vereinbart worden. Die Klägerin sei ihrer vertraglichen Verpflichtung in Form von Lizenzgebührenzahlungen letztlich nicht nachgekommen, während die Beklagte vier Werbeeinschaltungen im „A*****“ vorgenommen habe, bevor dieser eingestellt worden sei. Die wechselseitige Kooperationsvereinbarung sei daher beiderseits erfolglos geblieben. Daraus einzelne Verpflichtungen gesondert einzuklagen, sei nicht möglich. Mangels Vorliegens eines Schadens erübrige es sich, auf die von der Klägerin noch vorgebrachten Fragen der Rechtswidrigkeit und Kausalität einzugehen. Ebenso lägen keine sekundären Feststellungsmängel betreffend die Schadensberechnung und die Vertragsauslegung vor.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nach § 502 Abs 2 ZPO nicht zulässig sei. Die Frage, ob ein bestimmtes Vorbringen Anlass zu einer Erörterung oder Anleitung durch das Gericht geben könnte, sei einzelfallbezogen.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin, die unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, das außerordentliche Rechtsmittel ihrer Prozessgegnerin entweder als unzulässig zurück- oder als unbegründet abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Klägerin ist zulässig, weil den Vorinstanzen eine Fehlbeurteilung unterlaufen ist, die im Interesse der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof wahrgenommen werden muss. Sie ist im Sinn des Aufhebungsantrags der Revisionswerberin deshalb auch berechtigt.

Die Parteien haben einen Lizenzvertrag abgeschlossen, der wie jedes Dauerschuldverhältnis aus wichtigen Gründen vor Ablauf der vereinbarten Zeit aufgelöst werden konnte (7 Ob 515/95 mwN, RIS-Justiz RS0018305 [T38]). Eine Kündigungsmöglichkeit der Beklagten als Lizenzgeberin aus einem bestimmten Grund ist in Punkt 5. der Vereinbarung auch ausdrücklich vorgesehen. Die Beklagte behauptet nun, die Lizenzvereinbarung wegen schwerwiegender Vertragsverstöße der Klägerin aufgelöst zu haben, also aus wichtigen Gründen vom Vertrag zurückgetreten zu sein. Die Klägerin behauptet dagegen, dass der Vertragsrücktritt der Beklagten nicht berechtigt gewesen sei. Während sie sich vertragsgemäß verhalten habe, habe die Beklagte durch die Einstellung der Musikzeitschrift die vereinbarten Werbeeinschaltungen unmöglich gemacht und damit die Lizenzvereinbarung verletzt. Der ihr durch die Nichterfüllung des Vertrags entstandene Schaden sei ihr zu ersetzen.

Die Vorinstanzen haben die Klage ohne weiteres abgewiesen, weil sie meinten, eine Schädigung der Klägerin sei, da die Werbeeinschaltungen kostenlos sein sollten, zu verneinen. Sie übersehen dabei, dass die Klägerin nicht ihren vertraglichen Leistungsanspruch geltend macht, sondern - analog dem Differenzanspruch des vom Vertrag Zurückgetretenen nach § 921 ABGB - den Ersatz des Schadens fordert, den sie durch das Unterbleiben des Austauschs der beiden Leistungen erlitten hat. Das Erfüllungsinteresse besteht im Geldwert der nicht erbrachten Gegenleistung. Besitzt die Gegenleistung einen Marktpreis, so kann der Gläubiger zwischen der konkreten und - wie hier die Klägerin - der abstrakten Schadensberechnung wählen. Der Differenzanspruch, der gleichfalls konkret oder abstrakt berechnet werden kann, besteht in der Differenz zwischen dem Schaden, der dem Gläubiger durch das Unterbleiben des Leistungsaustauschs entstanden ist, und dem Wert der ersparten eigenen Leistung des Gläubigers (5 Ob 157/73, SZ 46/109 = JBl 1975, 34 mwN; RIS-Justiz RS0018454 [T1]).

Zu Recht macht die Revisionswerberin daher geltend, dass die von den Vorinstanzen vertretene Rechtsansicht, es liege kein (Nichterfüllungs-)Schaden vor, unrichtig ist und oberstgerichtlicher Judikatur widerspricht. Der Klägerin ist durch das Unterbleiben der vereinbarten Werbeeinschaltungen objektiv ein Schaden in Höhe des Marktwerts solcher Werbeeinschaltungen entstanden. Der Preis solcher Inserate wurde von der Beklagten mit 9.030 EUR pro Ausgabe beziffert. Von diesem Wert ist auch die Klägerin ausgegangen. Dass diese keine Ersatzwerbung betrieben beziehungsweise nachgewiesen hat, ist, da sie (nur) einen - als Minimum zustehenden (RIS-Justiz RS0030075) - objektiv-abstrakt berechneten Schaden ersetzt verlangt, entgegen der Ansicht der Vorinstanzen und der Revisionsgegnerin nicht entscheidungsrelevant.

Wäre der Lizenzvertrag wie vereinbart abgewickelt worden, hätte allerdings auch die Klägerin für die Nutzungsrechte an der Wortmarke und die Werbeeinschaltungen in der Musikzeitschrift der Beklagten Leistungen zu erbringen gehabt; nämlich unter anderem Zahlungen von 30 % der Erlöse der von ihr vertragsgemäß zu produzierenden Tonträger. Ob die Klägerin ungeachtet dieser ihrerseits zumindest teilweise nicht erfüllten Verpflichtungen den ihr durch das Unterbleiben der Werbeeinschaltungen in der Musikzeitschrift entstandenen Schaden (ganz oder teilweise) ersetzt verlangen kann, hängt davon ab, wer für das Scheitern der Lizenzvereinbarung verantwortlich war; ob der Vertragsrücktritt der Beklagten also berechtigt war oder nicht. Hätte die Beklagte, wie die Klägerin behauptet, die Auflösung der Lizenzvereinbarung zu Unrecht erklärt und weitere eigene Leistungen daher zu Unrecht verweigert, wäre sie in Schuldnerverzug geraten. Selbst wenn die Klägerin eine unberechtigte Vertragsaufhebung (nolens volens) akzeptieren hätte müssen, wäre dies einem Rücktritt ihrerseits gleichzusetzen, der entsprechend § 921 S 1 ABGB die Ersatzpflicht der Beklagten als schuldhaft handelndem Partner unberührt ließe (vgl P. Bydlinski in KBB3 § 918 ABGB Rz 10).

Die Vorinstanzen haben aufgrund ihrer nicht zu billigenden Rechtsansicht die Entscheidungserheblichkeit der Frage der Berechtigung des Vertragsrücktritts der Beklagten nicht erkannt und diese Frage daher nicht weiter releviert. Das Verfahren ist deshalb mangelhaft geblieben; es liegen sekundäre Feststellungsmängel vor, die die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen notwendig machen. Das Erstgericht wird nach Erörterung der Sache und Verfahrensergänzung im aufgezeigten Sinn die Sachverhaltsbasis so zu verbreitern haben, dass eine verlässliche Beurteilung möglich ist, ob beziehungsweise inwieweit sich jede der Parteien vertragsgetreu verhalten hat oder nicht. Zu der sich im Zusammenhang mit der Frage der Berechtigung einer Vertragsaufhebung stellenden Frage der Vertragskonformität der Einstellung des Musikmagazins bedarf es einer näheren Vertragsauslegung, allenfalls auch einer Vertragsergänzung. (Nur) für den Fall der (etwa zufolge geteilten Verschuldens möglicherweise auch teilweisen) Berechtigung der Klagsforderung werden noch ergänzende Feststellungen zur Anspruchshöhe, allenfalls auch zur von der Beklagten eingewendeten Gegenforderung zu treffen sein.

Der Ausspruch über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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