European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00013.23X.0322.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiete: Klauselentscheidungen, Versicherungsvertragsrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
Der Revision der klagenden Partei wird teilweise Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, dass es insgesamt zu lauten hat:
„1. Die beklagte Partei ist schuldig,
a. im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie von ihr geschlossenen Verträgen zugrunde legt und/oder in hiebei verwendeten Vertragsformblättern die Verwendung der Klausel:
'Statt der Kapitalzahlung kann eine lebenslange Rente verlangt werden. Die Höhe der Rente ist vom Alter des Rentenempfängers und den zu diesem Zeitpunkt gültigen tariflichen Grundlagen abhängig.'
oder die Verwendung sinngleicher Klauseln binnen 6 Monaten zu unterlassen; sie ist ferner schuldig, es ab sofort zu unterlassen, sich auf die vorstehend genannte Klausel oder sinngleiche Klauseln zu berufen.
2. a. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, es im geschäftlichen Verkehr im Zusammenhang mit Vertragsverhältnissen mit Verbrauchern, denen die Klausel
'Statt der Kapitalzahlung kann eine lebenslange Rente verlangt werden. Die Höhe der Rente ist vom Alter des Rentenempfängers und den zu diesem Zeitpunkt gültigen tariflichen Grundlagen abhängig.'
oder eine sinngleiche Klausel zugrunde gelegt wurde, zu unterlassen, von Verbrauchern, die das in dieser Klausel vereinbarte Recht auf Auszahlung der Versicherungsleistung als lebenslange Rente in Anspruch nehmen wollen, als Voraussetzung dafür den Abschluss eines neuen Rentenversicherungsvertrags zu verlangen, dessen Inhalt sich nach von der Beklagten vorformulierten Formblättern und Vertragsklauseln bestimmt, obwohl die genannte Klausel oder eine sinngleiche Klausel dem Verbraucher ein Gestaltungsrecht zur Inanspruchnahme der Versicherungsleistung als lebenslange Rente einräumt und die beklagte Partei daher unmittelbar durch eine einseitige Erklärung des Verbrauchers verpflichtet wird;
sowie
b. das Eventualbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, es im geschäftlichen Verkehr im Zusammenhang mit Vertragsverhältnissen mit Verbrauchern, denen die Klausel
'Statt der Kapitalzahlung kann eine lebenslange Rente verlangt werden. Die Höhe der Rente ist vom Alter des Rentenempfängers und den zu diesem Zeitpunkt gültigen tariflichen Grundlagen abhängig.'
oder eine sinngleiche Klausel zugrunde gelegt wurde, gegenüber Verbrauchern, die das in dieser Klausel vereinbarte Recht auf Auszahlung der Versicherungsleistung als lebenslange Rente in Anspruch nehmen wollen, in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie von ihr geschlossenen Verträgen zugrundelegt und/oder in hiebei verwendeten Vertragsformblättern die Verwendung der Klausel:
'Angebot Klassische Lebensversicherung'
oder die Verwendung sinngleicher Klauseln zu unterlassen; sie sei ferner schuldig, es zu unterlassen, sich auf die vorstehend genannte Klausel oder sinngleiche Klauseln zu berufen;
werden abgewiesen.
3. Der klagenden Partei wird die Ermächtigung erteilt, den klagsstattgebenden Teil des Urteilsspruchs im Umfang des Unterlassungsbegehrens und der Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung binnen sechs Monaten ab Rechtskraft einmal in einer Samstagsausgabe des redaktionellen Teiles der 'Kronen-Zeitung', bundesweit erscheinende Ausgabe, auf Kosten der beklagten Partei mit gesperrt geschriebenen Prozessparteien und in Fettdruckumrandung in Normallettern, somit in gleich großer Schrift wie der Fließtext redaktioneller Artikel, zu veröffentlichen.
4. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 7.632,99 EUR (darin 1.012,83 EUR USt und 1.556 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie die mit 1.792,58 EUR bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 1.371,96 EUR (darin 228,66 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
[1] Der Kläger ist ein klageberechtigter Verein im Sinn des § 29 Abs 1 KSchG.
[2] Die Beklagte betreibt ein Versicherungsunternehmen. Sie ist unter anderem Gesamtrechtsnachfolgerin durch Verschmelzung der R* AG. Sie schließt im gesamten Bundesgebiet Lebensversicherungsverträge mit Verbrauchern ab, denen die „Versicherungsbedingungen für die Kapitalversicherung auf den Todesfall (R*)“ zugrunde liegen. Diese enthalten die folgende Rentenwahlklausel:
„ § 21
In welcher Form kann die Versicherungs -leistung in Anspruch genommen werden?
Statt der Kapitalzahlung kann eine lebenslange Rente verlangt werden. Die Höhe der Rente ist vom Alter des Rentenempfängers und den zu diesem Zeitpunkt gültigen tariflichen Grundlagen abhängig.“
[3] Die Beklagte sendet jenen Kunden, deren Verträge die Klausel enthalten, zum Ende der Vertragslaufzeit einen Vorschlag zur Ausübung des Rentenwahlrechts zu („Angebot Klassische Lebensversicherung“).
[4] Der Kläger begehrt, die Beklagte zur Unterlassung der Verwendung der Rentenwahlklausel sowie zur Unterlassung der Berufung auf diese oder sinngleiche Klauseln zu verpflichten. Er begehrt weiters, der Beklagten als unzulässige Geschäftspraxis zu verbieten, mit Verbrauchern nach Fälligkeit des Kapitals aus der Kapitalversicherung über die Rentenauszahlung einen neuen Vertrag auf Basis eines Angebots zu schließen, welches die Beklagte nach ihrem eigenen Ermessen gestalte, obwohl der Versicherungsnehmer aus der Rentenwahlklausel das Recht habe, einen solchen Vertrag einseitig zustande zu bringen. Hilfsweise begehrt der Kläger, der Beklagten die Verwendung des „Angebots Klassische Lebensversicherung“ zu verbieten und ihr zu verbieten, sich auf diese zu berufen. Zudem stellt er jeweils ein Veröffentlichungsbegehren. Die Klauseln würden gegen § 6 Abs 3 KSchG und § 879 Abs 3 ABGB verstoßen. Die Rentenwahlklausel enthalte weder einen Verweis auf einen Richtwert, noch lege sie die Tarifgrundlagen für die Rentenberechnung offen. Die Verwendung des „Angebots Klassische Lebensversicherung“ suggeriere dem Verbraucher, seine (einseitige) Erklärung genüge nicht für die wirksame Begründung eines Anspruchs auf Auszahlung der Versicherungsleistung als Rente. Es werde vielmehr der Eindruck vermittelt, die Auszahlung als Rente sei vom Abschluss eines neuen Rentenversicherungsvertrags abhängig, dessen Rechnungsgrundlagen und Versicherungsbedingungen die Beklagte in einem von ihr gestalteten Vertragsanbot einseitig festsetzen könne. Damit greife die Beklagte auch ohne sachliche Rechtfertigung in die Rechte des Verbrauchers ein.
[5] Die Beklagte beantragt Klagsabweisung. Die beanstandeten Klauseln seien transparent und sachlich gerechtfertigt. Die Rentenwahlklausel räume dem Verbraucher eine ihn begünstigende Option ein. Ohne die Option müsste er bei Ablauf einen neuen Rentenversicherungsvertrag abschließen, um eine Rente zu erhalten. Dies würde aber erneut 4 % Versicherungssteuer auslösen. Um das zu vermeiden, räume sie ihm eine Option ein, die den Anfall der Versicherungssteuer auf zulässige Art vermeide. Die Klausel solle keine Parameter für die Berechnung der Rente festlegen oder Rentenhöhe und Rentenzahlungsdauer vorbestimmen. Im Übrigen sei ein allfälliges Unterlassungsgebot auf jene Lebensversicherungsverträge zu beschränken, die nach dem 1. Jänner 1997 (Inkrafttreten von § 6 Abs 3 KSchG) bzw 1. Jänner 1979 (Inkrafttreten von § 879 Abs 3 ABGB) abgeschlossen worden seien.
[6] Das Erstgericht gab den Hauptbegehren statt. Die Rentenwahlklausel sei intransparent, weil sie dem Versicherungsnehmer die Zusammensetzung der Rechnungsgrundlage nicht offenlege. Die Beklagte berufe sich bei Unterbreitung des „Angebots Klassische Lebensversicherung“ auf die nichtige Klausel. Der Durchschnittsverbraucher verstehe das Angebot so, dass ein neuer Vertrag geschlossen werde. Damit werde ihm die wahre Rechtslage verschleiert, wonach ihm eigentlich ein Gestaltungsrecht zustehe. Da bereits beim Vertragsabschluss die wesentlichen Parameter für die Rentenoption determiniert sein müssten, bleibe für ein solches Angebot kein Raum.
[7] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge. Die Rentenwahlklausel sei intransparent, nicht jedoch gröblich benachteiligend. Da § 6 Abs 3 KSchG nur auf Verträge, die ab dem 1. Jänner 1997 geschlossen worden seien, zur Anwendung komme, sei das Unterlassungsgebot in zeitlicher Hinsicht entsprechend einzuschränken. Das Haupt‑ und Eventualbegehren auf Verwendung des „Angebots Klassische Lebensversicherung“ als unzulässige Geschäftspraxis wies es ab. Unabhängig von einer Transparenz der Rentenwahlklausel sei die Mitwirkung der Beklagten an der Gestaltungsmöglichkeit des Versicherungsnehmers jedenfalls erforderlich und damit als solche nicht unzulässig. Es werde damit auch nicht suggeriert, dass der Versicherungsnehmer einen neuen Vertrag abschließen müsse.
[8] Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil einerseits die Entscheidung 7 Ob 186/20h in der Lehre auf Kritik gestoßen sei und andererseits eine vom Obersten Gerichtshof noch nicht beurteilte Geschäftspraktik einer Branche zu beurteilen sei, die regelmäßig einen größeren Personenkreis betreffe.
[9] Gegen den abweisenden Teil der Entscheidung [inkriminierte Geschäftspraktik und zeitliche Beschränkung des Unterlassungsanspruchs] richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Wiederherstellung des dem Klagebegehren stattgebenden Ersturteils.
[10] Gegen den bestätigenden Teil der Entscheidung [Rentenwahlklausel] richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abweisung der Klagebegehren; hilfsweise stellt die Beklagte einen Aufhebungsantrag.
[11] Die Revision des Klägers ist zulässig, sie ist auch teilweise berechtigt; jene der Beklagten ist nicht zulässig.
I. Allgemeines
Rechtliche Beurteilung
[12] Für Klauseln sind im Verbandsprozess folgende Grundsätze maßgeblich:
[13] 1. Nach § 879 Abs 3 ABGB ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt. Das dadurch geschaffene bewegliche System berücksichtigt einerseits die objektive Äquivalenzstörung und andererseits die „verdünnte Willensfreiheit“ (RS0016914). § 879 Abs 3 ABGB will vor allem den Missbrauch der Privatautonomie durch Aufdrängen benachteiligender vertraglicher Nebenbestimmungen seitens eines typischerweise überlegenen Vertragspartners, vor allem bei Verwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen, bekämpfen (RS0016914 [T50]). Eine gröbliche Benachteiligung ist jedenfalls stets dann anzunehmen, wenn die dem Vertragspartner zugedachte Rechtsposition in auffallendem Missverhältnis zur vergleichbaren Rechtsposition des anderen steht (RS0016914 [T4, T32]).
[14] 2. Nach § 6 Abs 3 KSchG ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist. Das Transparenzgebot soll es dem Kunden ermöglichen, sich aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsbestandteilen zuverlässig über seine Rechte und Pflichten bei der Vertragsabwicklung zu informieren (RS0115217 [T41]). Es soll eine durchschaubare, möglichst klare und verständliche Formulierung Allgemeiner Geschäftsbedingungen sicherstellen, um zu verhindern, dass der für die jeweilige Vertragsart typische Verbraucher von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten wird oder ihm unberechtigt Pflichten abverlangt werden. Das setzt die Verwendung von Begriffen voraus, deren Bedeutung dem typischen Verbraucher geläufig ist oder von ihm jedenfalls festgestellt werden kann. Das können naturgemäß auch Fachbegriffe sein, nicht aber Begriffe, die so unbestimmt sind, dass sich ihr Inhalt jeder eindeutigen Festlegung entzieht. Der durch ihre Verwendung geschaffene weite Beurteilungsspielraum schließt es aus, dass der Verbraucher Klarheit über seine Rechte und Pflichten gewinnen kann (RS0115217 [T3]). Das Transparenzgebot begnügt sich nicht mit formeller Textverständlichkeit, sondern verlangt, dass Inhalt und Tragweite vorgefasster Vertragsklauseln für den Verbraucher „durchschaubar“ sind (RS0122169). Mit dem Verbandsprozess soll nicht nur das Verbot von gesetzwidrigen Klauseln erreicht, sondern es sollen auch jene Klauseln beseitigt werden, die dem Verbraucher ein unzutreffendes oder auch nur unklares Bild seiner vertraglichen Position oder ein unrichtiges Bild der Rechtslage vermitteln (RS0115219 [T14, T21]; RS0121951 [T4]).
[15] 3. Im Verbandsprozess nach § 28 KSchG hat die Auslegung der Klauseln im „kundenfeindlichsten“ Sinn zu erfolgen (RS0016590). Auf eine etwaige teilweise Zulässigkeit der beanstandeten Klausel kann nicht Rücksicht genommen werden, weil eine geltungserhaltende Reduktion im Verbandsprozess nicht möglich ist (RS0038205 [insb T20]).
II. Revision der Beklagten
[16] 1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).
[17] 2.1. Der Oberste Gerichtshof hat in der Entscheidung 7 Ob 186/20h die zu den Rückkaufswertklauseln entwickelten Grundsätze auf Rentenwahlklauseln – wie die hier zu beurteilende Klausel – übertragen und das Fehlen eines Hinweises darauf bemängelt, dass sich die Rentenberechnung nach zwei Faktoren richtet, nämlich Sterbetafel und Rechnungszins. Über diese ist nämlich der Versicherungsnehmer nach § 2 Abs 1 Z 4 der Lebensversicherung Informationspflichtenverordnung 2018, BGBl II 2018/247 (vormals § 2 Abs 1 Z 4 der Lebensversicherung Informationspflichtenverordnung, BGBl II 2015/294), der die produktbezogenen Aufklärungspflichten nach § 135c Abs 1 Z 1 VAG 2016 in der Fassung BGBl I 2018/16 (vormals § 253 Abs 1 Z 1 VAG 2016 in der Fassung BGBl I 2015/34) konkretisiert, vor Vertragsabschluss zu informieren. Ausgehend davon kann der Verweis auf einen Tarif in einer Klausel, die den Versicherungsnehmer über die Rechnungsgrundlagen zur Berechnung einer auszuzahlenden Rente informieren soll, nur dann im Sinn des § 6 Abs 3 KSchG als klar und verständlich angesehen werden, wenn die Zusammensetzung der Rechnungsgrundlage dem Versicherungsnehmer offengelegt wird. An dieser Rechtsansicht hat der Oberste Gerichtshof trotz kritischer Stimmen in der Lehre (vgl etwa Perner/Spitzer,Rentenoption und Rentenberechnung in der Lebensversicherung, VersRdSch H 7–8/2021, 37; Schauer Transparenzgebot, die Wievielte?, Vom Rentenwahlrecht zur Kinderprämie, ZVers 2022, 1) in den Entscheidungen 7 Ob 97/22y, 7 Ob 153/22h und 7 Ob 159/22s festgehalten.
[18] 2.2. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die Klausel sei intransparent im Sinn des § 6 Abs 3 KSchG, ist daher nicht korrekturbedürftig, weil darin nichtdie im Anfallszeitpunkt geltenden Rechnungsgrundlagen, die der Versicherer der Berechnung der auszuzahlenden Rente zugrundelegt, angeführt werden, sodassdem Versicherungsnehmer durch eine unvollständige Information kein klares Bild seiner vertraglichen Position vermittelt wird.
[19] 3. Die Revision ist daher zurückzuweisen.
III. Revision des Klägers
[20] 1.1. Nach § 28a Abs 1 KSchG kann, wer im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern im Zusammenhang mit der Vereinbarung von missbräuchlichen Vertragsklauseln gegen ein gesetzliches Gebot verstößt und dadurch jeweils die allgemeinen Interessen der Verbraucher beeinträchtigt, unbeschadet des § 28 Abs 1 KSchG auf Unterlassung geklagt werden. § 28a KSchG erweitert den Anwendungsbereich der Verbandsklagen auf gesetzwidrige Geschäftspraktiken von Unternehmern im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern, beschränkt auf die in § 28a Abs 1 KSchG angeführten Vertragsverhältnisse und außervertraglichen Rechtsverhältnisse. Der Unterlassungsanspruch gemäß § 28a KSchG setzt (unter anderem) voraus, dass das beanstandete Verhalten die „allgemeinen Interessen der Verbraucher“ beeinträchtigt. Die beanstandete Verhaltensweise muss daher für eine Vielzahl von Verträgen oder außervertraglichen Rechtsverhältnissen von Bedeutung sein, was vor allem bei gesetzwidrigen Verhaltensweisen im Massengeschäft der Fall ist (RS0121961).
[21] 1.2. Der Oberste Gerichtshof hat in vergleichbaren Fällen bereits das Vorliegen einer gesetzwidrigen Geschäftspraktik verneint (vgl 7 Ob 97/22y; 7 Ob 153/22h), sodass die Abweisung dieses Klagebegehrens (sowie des dazu erhobenen Eventualbegehrens) durch das Berufungsgericht zu Recht erfolgte.
[22] 2.1. Rentenwahlklauseln – wie die von der Beklagten verwendete – hat der Oberste Gerichtshof in den bisher ergangenen Entscheidungen als intransparent gemäß § 6 Abs 3 KSchG beurteilt (vgl 7 Ob 97/22y, 7 Ob 153/22h und 7 Ob 159/22s). Gemäß § 41a Abs 3 KSchG trat § 6 Abs 3 KSchG mit 1. Jänner 1997 in Kraft und ist gemäß § 41a Abs 4 Z 2 KSchG nicht auf Verträge anzuwenden, die vor dem 1. Jänner 1997 geschlossen worden sind. Es ist im Verfahren nicht strittig, dass bei der Beklagten zahlreiche kapitalbildende Lebensversicherungsverträge mit Rentenwahlrecht existieren, die vor dem 1. Jänner 1997 abgeschlossen wurden (vgl RS0121557 [T3]). Es stellt sich daher die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob das Unterlassungsgebot auf Verträge, die ab dem 1. Jänner 1997 geschlossen wurden, einzuschränken ist. Dies ist hier schon deshalb zu verneinen, weil die Klausel auch gegen § 879 Abs 3 ABGB verstößt:
[23] 2.2. Die Ausnahme von der im § 879 Abs 3 ABGB verankerten Inhaltskontrolle – die Festlegung der beiderseitigen Hauptleistungspflichten – ist möglichst eng zu verstehen (RS0016908 [T24]). Es sind damit aber nicht alle Vertragsbestimmungen aus dessen Geltungsbereich ausgenommen, die die Leistung und das Entgelt betreffen. Durch die Formulierung des Relativsatzes „die nicht die beiderseitigen Hauptleistungen festlegen“, soll vielmehr ausgedrückt werden, dass mit der Ausnahme nur die individuelle, zahlenmäßige Umschreibung der beiderseitigen Leistungen gemeint ist, nicht aber etwa Bestimmungen, welche die Preisberechnung in allgemeiner Form regeln oder die vertragstypischen Leistungen generell näher umschreiben. Die Ansicht, der Ausdruck „Hauptleistung“ sei möglichst eng zu verstehen, entspricht auch der Absicht des historischen Gesetzgebers. Nur Leistungsbeschreibungen, die Art, Umfang und Güte der geschuldeten Leistung festlegen, sollen der Inhaltskontrolle entzogen sein, nicht jedoch Klauseln, die das eigentliche Leistungsversprechen einschränken, verändern oder aushöhlen (6 Ob 253/07k mwN; 7 Ob 227/12a; vgl auch RS0016908 [T5, T8, T16, T32]). Für Versicherungsverträge gibt es einen Kernbereich der Leistungsbeschreibung, der kontrollfrei ist. Kontrollfrei in Allgemeinen Versicherungsbedingungen ist jedenfalls die Festlegung der Versicherungsart und die Prämienhöhe (RS0128209).
[24] Daher betrifft eine Klausel, die dem Versicherungsnehmer ein Rentenwahlrecht anstelle der grundsätzlich vereinbarten einmaligen Kapitalabfindung einräumt und die Rechnungsgrundlagen dieser Rente regelt nicht die „Hauptleistung“ eines kapitalbildenden Lebensversicherungsvertrags mit Rentenwahlrecht.
[25] 2.3. Das Berufungsgericht führt zutreffend aus, dass die Rentenwahlrechtsklausel nicht deshalb gemäß § 879 Abs 3 ABGB unwirksam ist, weil sich der Versicherer in ihr das Recht vorbehält, die Rechnungsgrundlagen der Rente erst im Zeitpunkt der Ausübung des Wahlrechts festzulegen. Anders als bei einer Rentenversicherung sollen nämlich hier bei Vertragsabschluss keine garantierten Rechnungsgrundlagen für die Rente vereinbart werden. Der Verstoß gegen § 879 Abs 3 ABGB ergibt sich aber daraus, dass die Rentenwahlklausel keine ausreichenden Vorgaben für die Festlegung der Rechnungsgrundlagen enthielt. Dieser Mangel macht die Klausel inhaltlich unangemessen, weil sie es dem Versicherer ermöglicht, das bei Vertragsabschluss bestehende Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung zulasten des Versicherungsnehmers nach seinem Willen zu verschieben. Ein solcher einseitiger Gestaltungsspielraum ist sachlich nicht gerechtfertigt und dadurch gröblich benachteiligend im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB.
[26] 2.4. Das Unterlassungsgebot ist daher in zeitlicher Hinsicht nicht auf ab 1. Jänner 1997 abgeschlossene Lebensversicherungsverträge einzuschränken. Auf die weitere zeitliche Einschränkung (ab 1. Oktober 1979) hat sich die Beklagte in ihrer Berufung nicht (mehr) gestützt, sodass darauf im Rahmen der Revisionsentscheidung nicht mehr einzugehen ist (vgl RS0043338 [T13]).
[27] 3. Die Revision des Klägers ist daher teilweise berechtigt.
IV. Ergebnis und Kostenentscheidung
[28] 1. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern.
[29] 2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41, 43 Abs 1 und 2 ZPO. Die Kosten des Verfahrens erster Instanz sind in zwei Abschnitte zu gliedern. Bis zur Klagsausdehnung mit Schriftsatz vom 24. Juni 2021 hat die Klägerin zur Gänze obsiegt. Ab der Klagsausdehnung, für die mangels Bewertung der Zweifelsstreitwert von 5.000 EUR gilt (§ 56 Abs 2 JN), sowie im Berufungsverfahren, ist der Streitwert des Veröffentlichungsbegehrens auf beide Unterlassungsbegehren aufzuteilen; dies ergibt eine Obsiegensquote des Klägers von rund 85 % und damit einen Anspruch des Klägers auf 70 % seiner Vertretungskosten. Im Berufungsverfahren sind davon 15 % der Pauschalgebühren der Berufungswerberin abzuziehen. Darüber hinaus hat der Kläger Anspruch auf die Kosten seiner erfolgreichen Revisionsbeantwortung. Mit seiner Revision hat der Kläger aber nur zu einem verhältnismäßig geringfügigen Teil obsiegt, sodass die Beklagte gemäß § 43 Abs 2 ZPO Anspruch auf Ersatz der Kosten ihrer Revisionsbeantwortung auf Basis des ersiegten Betrags (vgl 9 Ob 91/04d) hat.
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