OGH 7Ob153/22h

OGH7Ob153/22h13.12.2022

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein *, vertreten durch Kosesnik-Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei A*-Aktiengesellschaft, *, vertreten durch die Schönherr Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die Revisionen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 18. Mai 2022, GZ 1 R 20/22a-13, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 25. November 2021, GZ 17 Cg 9/21m-8, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00153.22H.1213.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiete: Klauselentscheidungen, Versicherungsvertragsrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Den Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit 1.571,28 EUR (darin enthalten 261,88 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der klagende Verein ist nach § 29 KSchG klagebefugt. Die beklagte Partei ist ein Versicherungsunternehmen und schließt im gesamten Bundesgebiet Lebensversicherungsverträge mit Verbrauchern ab, denen die „Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Lebensversicherung mit Kapitalzahlung“ zugrunde liegen.

[2] Diese enthalten in § 15 folgende Bestimmung (idF: Klausel 1):

Der Bezugsberechtigte hat das Recht, anstelle der Auszahlung von Versicherungssumme und Gewinnbeteiligung die Zahlung einer lebenslänglichen Rente zu verlangen. Neben dem zur Verfügung stehenden Kapital, richtet sich die Höhe der Rente nach dem Alter der zu versichernden Person bei Rentenbeginn und den zu diesem Zeitpunkt gültigen Rententarifen. Es finden die dann gültigen Versicherungsbedingungen für Rentenversicherungen Anwendung.

[3] Die Beklagte übermittelt jenen Kunden, deren Verträge die Klausel 1 enthalten, zum Ende der Vertragslaufzeit einen „Änderungsvorschlag für eine Sofortrente gegen Einmalprämie“ zur Ausübung des Rentenwahlrechts.

Dieser Vorschlag enthält ua folgenden Text (idF: Klausel 2):

„Die kalkulatorischen Abschlusskosten werden einmalig zu Beginn Ihres Versicherungsvertrags fällig. Die kalkulatorischen Abschlusskosten betragen 5,00 % der bei Abschluss vereinbarten Nettoprämiensumme.“

Weiter unten im selben Dokument steht:

„Die kalkulatorischen Verwaltungskosten während der Rentenzahlungsdauer betragen 1,00 % der laufenden Rente.“

[4] Der Kläger begehrt, die Beklagte zur Unterlassung der Verwendung der Klausel 1 sowie zur Unterlassung der Berufung auf diese oder sinngleiche Klauseln zu verpflichten. Er begehrt weiters, der Beklagten als unzulässige Geschäftspraxis zu verbieten, mit Verbrauchern nach Fälligkeit des Kapitals aus der Kapitalversicherung über die Rentenauszahlung einen neuen Vertrag bzw Änderungsvertrag auf Basis eines Angebots zu schließen, welches die Beklagte nach ihrem eigenen Ermessen gestalte, obwohl der Versicherungsnehmer aus der Klausel 1 das Recht habe, einen solchen Vertrag einseitig zustande zu bringen. Hilfsweise begehrt der Kläger, der Beklagten die Verwendung des „Änderungsvorschlags für eine Sofortrente gegen Einmalprämie“ zu verbieten und ihr zu verbieten, sich auf diese zu berufen. Weiters begehrt er, der Beklagten die Verwendung der Klausel 2zu verbieten.

[5] Zudem stellt er jeweils ein Veröffentlichungsbegehren.

[6] Die Klauseln würden gegen § 6 Abs 3 KSchG und § 879 Abs 3 ABGB verstoßen. Klausel 1 enthalte weder einen Verweis auf einen Richtwert, noch lege sie die Tarifgrundlagen für die Rentenberechnung offen. Sie räume der Beklagten ein uneingeschränktes einseitiges Leistungsbestimmungsrecht ein und stelle die Wahl der Tarifgrundlage in ihr freies Ermessen. Dies sei sachlich nicht gerechtfertigt. Die Klausel lege auch nicht offen, zwischen welchen Rentenformen der Verbraucher wählen könne. Die Verwendung des „Änderungsvorschlags für eine Sofortrente gegen Einmalprämie“ suggeriere dem Verbraucher, seine (einseitige) Erklärung genüge nicht für die wirksame Begründung eines Anspruchs auf Auszahlung der Versicherungsleistung als Rente. Es werde vielmehr der Eindruck vermittelt, die Auszahlung als Rente sei vom Abschluss eines neuen Rentenversicherungsvertrags abhängig, dessen Rechnungsgrundlagen und Versicherungsbedingungen die Beklagte in einem von ihr gestalteten Vertragsanbot einseitig festsetzen könne. Damit greife die Beklagte auch ohne sachliche Rechtfertigung in die Rechte des Verbrauchers ein. Die in dem Änderungsvorschlag enthaltene Klausel 2 sei aus den erwähnten Gründen intransparent und jedenfalls auch aufgrund der Höhe der Kosten gröblich benachteiligend.

[7] Die Beklagte wendete zusammengefasst ein, die beanstandeten Klauseln seien transparent und sachlich gerechtfertigt. Klausel 1 räume dem Verbraucher eine ihn begünstigende Option ein. Ohne die Option müsste er bei Ablauf einen neuen Rentenversicherungsvertrag abschließen, um eine Rente zu erhalten. Dies würde aber erneut 4 % Versicherungssteuer auslösen. Um das zu vermeiden, räume sie ihm eine Option ein, die den Anfall der Versicherungsteuer auf zulässige Art vermeide. Die Klausel solle keine Parameter für die Berechnung der Rente festlegen oder Rentenhöhe und Rentenzahlungsdauer vorbestimmen.

[8] Die Verwendung des „Änderungsvorschlags für eine Sofortrente gegen Einmalprämie“ und die weitere Vorgangsweise sage nichts anderes, als dass sie dem Versicherungsnehmer einen Änderungsvorschlag mache, eine Sofortrente zu erhalten und der Versicherungsnehmer diesen Vorschlag annehmen könne oder nicht.

[9] Klausel 2 in dem Änderungsvorschlag sei nicht gröblich benachteiligend, weil für die Auszahlung der Rente bei der Beklagten Kosten anfielen; dies habe mit der Steuerersparnis nichts zu tun und könne erst gemeinsam mit dem konkreten Rentenangebot übermittelt werden.

[10] Das Erstgericht gab den Hauptbegehren statt. Beide Klauseln würden den Verbraucher gröblich benachteiligen (§ 879 Abs 3 ABGB). Klausel 1 sei überdies intransparent (§ 6 Abs 3 KSchG).

[11] Klausel 1 lege dem Versicherungsnehmer die Zusammensetzung der Rechnungsgrundlage nicht offen.

[12] Die Beklagte berufe sich bei Unterbreitung des „Änderungsvorschlags für eine Sofortrente gegen Einmalprämie" auf die nichtige Klausel 1. Der Durchschnittsverbraucher verstehe das Angebot so, dass ein neuer Vertrag geschlossen werde. Damit werde ihm die wahre Rechtslage verschleiert, wonach ihm eigentlich ein Gestaltungsrecht zustehe. Da bereits beim Vertragsabschluss die wesentlichen Parameter für die Rentenoption determiniert sein müssten, bleibe für ein solches Angebot kein Raum.

[13] In der im Änderungsvorschlag enthaltenen Klausel 2 würden dem Versicherungsnehmer – zusätzlich zu laufenden Kosten iHv 1 % der laufenden Rente („kalkulatorische Verwaltungskosten“) – einmalig 5 % Bearbeitungsgebühren der Nettoprämiensumme verrechnet. Das stelle ein grobes Missverhältnis dar.

[14] Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung im Bezug auf Klausel 1 und 2, wobei es Klausel 2 als ungewöhnlich iSd § 864a ABGB ansah.

[15] Hinsichtlich der Einstufung der Verwendung eines „Änderungsvorschlags für eine Sofortrente gegen Einmalprämie"als unzulässige Geschäftspraxis änderte es das Ersturteil im Sinn der Abweisung des Klagebegehrens ab. Unabhängig von einer Transparenz der Klausel 1 sei die Mitwirkung der Beklagten an der Gestaltungsmöglichkeit des Versicherungsnehmers jedenfalls erforderlich und damit als solche nicht unzulässig. Es werde damit auch nicht suggeriert, dass der Versicherungsnehmer einen neuen Vertrag abschließen müsse. Das ergebe sich bereits aus der Verwendung des Wortes „Änderungsvorschlag“. Auch das darauf bezogene Eventualbegehren wies es ab.

[16] Es sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil es sich zum Teil um vom Obersten Gerichtshof noch nicht beurteilte Klauseln einer Geschäftsbranche handle, die regelmäßig einen größeren Personenkreis betreffen würden.

[17] Gegen den abweisendenTeil der Entscheidung [inkriminierte Geschäftspraktik] richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Wiederherstellung des dem Klagebegehren stattgebenden Ersturteils.

[18] Gegen den bestätigenden Teil der Entscheidung [Klausel 1 und 2] richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abweisung der Klagebegehren; hilfsweise stellt die Beklagte einen Aufhebungsantrag.

Rechtliche Beurteilung

[19] In ihren Revisionsbeantwortungen beantragen die Parteien wechselseitig, die Revision der Gegenseite zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

1. Voranzustellen sind folgende Grundsätze ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs im Verbandsprozess:

[20] 1.1. Gemäß § 28 Abs 1 KSchG kann auf Unterlassung geklagt werden, wer im geschäftlichen Verkehr in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), die er von ihm geschlossenen Verträgen zugrunde legt, oder in hiebei verwendeten Formblättern für Verträge Bedingungen vorsieht, die gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten verstoßen, oder wer solche Bedingungen für den geschäftlichen Verkehr empfiehlt. Der Unterlassungsanspruch ist nicht allein auf die Kontrolle und Durchsetzung der Verbote des § 6 KSchG und des § 879 ABGB beschränkt, sondern umfasst auch die Verletzung weiterer zivilrechtlicher wie auch öffentlich-rechtlicher Vorschriften (RS0110990 [T4]). Nach der Rechtsprechung sind unter Allgemeinen Geschäftsbedingungen alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen zu verstehen, die eine Vertragspartei (Verwender) der anderen Vertragspartei bei Abschluss eines Vertrags stellt und die seinen Inhalt determinieren (8 Ob 125/21x Rz 20 mwN).

[21] 1.2. Die Geltungskontrolle nach § 864a ABGB geht der Inhaltskontrolle gemäß § 879 ABGB vor (RS0037089). Objektiv ungewöhnlich nach § 864a ABGB ist eine Klausel, die von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht, mit der er also nach den Umständen vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht. Der Klausel muss ein „Überrumpelungseffekt“ innewohnen (RS0014646). Entscheidend ist, ob die Klausel beim entsprechenden Geschäftstyp üblich ist und ob sie den redlichen Verkehrsgewohnheiten entspricht (RS0105643 [T3]). Die Geltungskontrolle ist nicht allein auf Nebenabreden beschränkt, sondern umfasst auch Vertragsbestimmungen über die Begründung, Umgestaltung bzw Erweiterung der Hauptpflichten (RS0014603).

[22] 1.3. Nach § 879 Abs 3 ABGB ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung, die nicht eine der beiderseitigen Hauptleistungen festlegt, nichtig, wenn sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls einen Teil gröblich benachteiligt. Diese Beurteilung orientiert sich am dispositiven Recht, das als Leitbild eines ausgewogenen und gerechten Interessenausgleichs für den Durchschnittsfall dient (RS0014676). Bei der Abweichung einer Klausel von dispositiven Rechtsvorschriften liegt gröbliche Benachteiligung eines Vertragspartners schon dann vor, wenn sie unangemessen ist (RS0016914; vgl auch RS0014676). Maßgeblich ist, ob es für die Abweichung eine sachliche Rechtfertigung gibt (vgl RS0016914 [T2, T3]; RS0014676 [T21]). Im Versicherungsvertragsrecht sind der Kontrollmaßstab für die Leistungsbeschreibung außerhalb des Kernbereichs die berechtigten Deckungserwartungen des Versicherungsnehmers. Gröbliche Benachteiligung iSd § 879 Abs 3 ABGB liegt nicht nur dann vor, wenn der Vertragszweck geradezu vereitelt oder ausgehöhlt wird, sondern bereits dann, wenn die zu prüfende Klausel eine wesentliche Einschränkung gegenüber dem Standard bringt, den der Versicherungsnehmer von einer Versicherung dieser Art erwarten kann (RS0128209 [insb T2]).

[23] 1.4. Nach § 6 Abs 3 KSchG ist eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsformblättern enthaltene Vertragsbestimmung unwirksam, wenn sie unklar oder unverständlich abgefasst ist. Das Transparenzgebot soll es dem Kunden ermöglichen, sich aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Vertragsbestandteilen zuverlässig über seine Rechte und Pflichten bei der Vertragsabwicklung zu informieren (RS0115217 [T41]). Es soll eine durchschaubare, möglichst klare und verständliche Formulierung Allgemeiner Geschäftsbedingungen sicherstellen, um zu verhindern, dass der für die jeweilige Vertragsart typische Verbraucher von der Durchsetzung seiner Rechte abgehalten wird oder ihm unberechtigt Pflichten abverlangt werden. Das setzt die Verwendung von Begriffen voraus, deren Bedeutung dem typischen Verbraucher geläufig ist oder von ihm jedenfalls festgestellt werden kann. Das können naturgemäß auch Fachbegriffe sein, nicht aber Begriffe, die so unbestimmt sind, dass sich ihr Inhalt jeder eindeutigen Festlegung entzieht. Der durch ihre Verwendung geschaffene weite Beurteilungsspielraum schließt es aus, dass der Verbraucher Klarheit über seine Rechte und Pflichten gewinnen kann (RS0115217 [T3]). Das Transparenzgebot begnügt sich nicht mit formeller Textverständlichkeit, sondern verlangt, dass Inhalt und Tragweite vorgefasster Vertragsklauseln für den Verbraucher „durchschaubar“ sind (RS0122169). Mit dem Verbandsprozess soll nicht nur das Verbot von gesetzwidrigen Klauseln erreicht, sondern es sollen auch jene Klauseln beseitigt werden, die dem Verbraucher ein unzutreffendes oder auch nur unklares Bild seiner vertraglichen Position oder ein unrichtiges Bild der Rechtslage vermitteln (vgl RS0115219 [T14, T21]; RS0121951 [T4]).

[24] 1.5. Im Verbandsprozess nach § 28 KSchG hat die Auslegung der Klauseln im „kundenfeindlichsten“ Sinn zu erfolgen (RS0016590). Das der Klausel vom Verwender der AGB beigelegte Verständnis ist im Verbandsprozess nicht maßgeblich (RS0016590 [T23]). Auf eine etwaige teilweise Zulässigkeit der beanstandeten Klausel kann nicht Rücksicht genommen werden, weil eine geltungserhaltende Reduktion im Verbandsprozess nicht möglich ist (RS0038205).

I. Zur Revision des Klägers:

[25] 1. Die RevisiondesKlägers ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.

[26] 2. Der Kläger argumentiert, die Beklagte nehme mit dem von ihr übermittelten Änderungsvorschlag für sich das Recht in Anspruch, die Rechtsgrundlagen für die Ausübung des Rentenwahlrechts des Versicherungsnehmers nach ihren Erwägungen selbst festzusetzen. Würde die Beklagte dagegen die Rentenwahlklausel transparent gestalten, wäre die Ausübung des Rentenwahlrechts ein Vorgang, bei dem die Beklagte keinerlei Ermessensspielraum habe. Die Beklagte lege die Parameter hier einseitig fest. Der Sache nach komme es damit zu einem neuen Vertragsschluss; auf die Bezeichnung der angebotenen Vereinbarung könne es dabei nicht ankommen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer verstehe das Anbot so, dass ein neuer Vertrag geschlossen werden solle, was für ihn die wahre Rechtslage – nämlich ein Gestaltungsrecht – verschleiere. Die Geschäftspraxis sei im Übrigen auch bereits deshalb unzulässig, weil sie sich auf eine unzulässige Klausel stütze.

[27] 3.1. Nach § 28a Abs 1 KSchG kann, wer im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern im Zusammenhang mit der Vereinbarung von missbräuchlichen Vertragsklauseln gegen ein gesetzliches Gebot verstößt, und dadurch jeweils die allgemeinen Interessen der Verbraucher beeinträchtigt, unbeschadet des § 28 Abs 1 KSchG auf Unterlassung geklagt werden. § 28a KSchG erweitert den Anwendungsbereich der Verbandsklagen auf gesetzwidrige Geschäftspraktiken von Unternehmen im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern, beschränkt auf die in § 28a Abs 1 KSchG angeführten Vertragsverhältnisse und außervertraglichen Rechtsverhältnisse. Der Unterlassungsanspruch gemäß § 28a KSchG setzt (unter anderem) voraus, dass das beanstandete Verhalten die „allgemeinen Interessen der Verbraucher“ beeinträchtigt. Die beanstandete Verhaltensweise muss daher für eine Vielzahl von Verträgen oder außervertraglichen Rechtsverhältnissen von Bedeutung sein, was vor allem bei gesetzwidrigen Verhaltensweisen im Massengeschäft der Fall ist (RS0121961).

[28] 3.2. Wie der erkennende Senat jüngst zu 7 Ob 97/22y zu einer vergleichbaren Geschäftspraxis ausgeführt hat, kann die Berufung auf eine missbräuchliche Klausel einen Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot darstellen. In der Entscheidung 4 Ob 143/14d bejahte der Oberste Gerichtshof einen „Zusammenhang“ zwischen einem beanstandeten Verhalten eines Unternehmens und der Vereinbarung einer missbräuchlichen Vertragsklausel, wenn sich die Missbräuchlichkeit einer Klausel gerade aus ihrer Unvereinbarkeit mit einer bestimmten Norm oder einer insofern bestehenden Unklarheit (Intransparenz) ergibt. Eine solche Unklarheit wird regelmäßig dann anzunehmen sein, wenn sich der Unternehmer der Klausel zur Rechtfertigung einer rechtswidrigen Vorgangsweise bedient.

[29] 3.3. Die hier zu beurteilende und nach § 1 Abs 1 Satz 2 VersVG zulässige Kapitalversicherung mit Rentenwahlrecht sieht im Versicherungsfall die Zahlung eines Kapitalbetrags vor, jedoch mit der Möglichkeit für den Versicherten, statt des Kapitalbetrags die Zahlung einer im Wert entsprechenden Geldrente zu verlangen (7 Ob 97/22y; vgl BGH IV b ZB 887/80 = VersR 1984, 51). Das – in der Klausel 1 genannte – Rentenwahlrecht ist das Recht des Versicherungsnehmers oder Bezugsberechtigten aus einem Lebensversicherungsvertrag, anstatt der einmaligen Ablaufleistung eine entsprechende Rente zu beziehen. Mit dem Rentenwahlrecht verbunden ist der vollkommene oder teilweise Verzicht des Versicherers auf eine erneute Belastung des Versicherungsvertrags mit Abschlusskosten für die Rentenleistung (vgl Wagner, Gabler Versicherungslexikon2 Stichwort: Rentenwahlrecht; von Fürstenwerth/Weiß, VersicherungsAlphabet10 [2001] 527). Zudem soll mit dem Rentenwahlrecht – so die Beklagte – der Anfall neuerlicher Versicherungssteuer vermieden werden. Das Rentenwahlrecht bedeutet damit bei kapitalbildenden Lebensversicherungen, dass der Versicherungsnehmer anstelle einer einmaligen Kapitalleistung eine Auszahlung in Form einer regelmäßigen Rente wählen kann.

[30] 3.3.1. Entgegen der Ansicht des Klägers verlangt die Beklagte mit dem Änderungsvorschlag nicht den Abschluss eines neuen Rentenversicherungsvertrags (vgl auch dazu jüngst 7 Ob 97/22y). Das widerspräche gerade einem Grundelement für das zu beurteilende Rentenwahlrecht, anstelle der Kapitalauszahlung und kostenträchtigem Neuabschluss (insbesondere neuer Versicherungssteuer) mittels desselben Vertrags die Kapital‑ in eine Rentenleistung überzuführen. Es besteht auch kein Anhaltspunkt, dass die Beklagte in Zukunft den Abschluss eines neuen Vertrags verlangen würde, sodass es schon an einer diesbezüglichen Wiederholungs‑ oder Erstbegehungsgefahr fehlt. Vielmehr handelt es sich bei der Vereinbarung über eine Rentenleistung um eine Vertragsänderung.

[31] 3.3.2. Das Begehren und das Vorbringen des Klägers lassen insgesamt den Standpunkt erkennen, dass es nur der Optionserklärung des Versicherungsnehmers bedürfte und schon daraus dessen bezifferbarer Rentenanspruch resultierte, also allein anhand der seinerzeitigen Vertragslage und ohne Erfordernis einer weiteren vertraglichen Ausgestaltung. Allerdings enthalten der Versicherungsvertrag und die Rentenwahlklausel keine ausreichende Ausgestaltung der vereinbarten Rentenhöhe. Der Versicherungsnehmer hat zwar grundsätzlich das Wahlrecht auf eine Rente, die diesbezügliche Vereinbarung erfordert aber gerade eine entsprechende beiderseitige Einigung auf die später zum Tragen kommenden Konditionen. Daher kann auch die Prämisse des Klägers, dass bereits die Optionserklärung einen konkreten Rentenanspruch auslöse, infolge betraglicher Unbestimmtheit eines solchen Anspruchs nicht geteilt werden. Ausgehend von der mangelnden betraglichen Bestimmtheit des Rentenanspruchs, kann nicht erkannt werden, warum ein später konkretisiertes Angebot der Beklagten zur Ausübung des Rentenwahlrechts durch den Versicherungsnehmer als eine die Verbraucherinteressen beeinträchtigende verpönte Geschäftspraxis nach § 28a KSchG zu beurteilen sein soll. Der Versicherer bedient sich damit auch nicht der Klausel zur Rechtfertigung einer rechtswidrigen Vorgangsweise; eine individuelle betragliche Festsetzung der Rente als Voraussetzung für eine Transparenz einer Rentenwahlklausel – wie die hier zu beurteilende Klausel 1 – wird selbst vom Kläger nicht eingefordert und ließe sich auch nicht bewerkstelligen.

[32] 3.3.3. Aus demselben Grund kann auch hier nicht erkannt werden, warum – im Sinn des Eventualbegehrens – die Formulierung „Änderungsvorschlag für eine Sofortrente gegen Einmalprämie“ der Klauselkontrolle nicht Stand halten soll. Die Unbestimmtheit der Rentenhöhe aufgrund der seinerzeitigen Vertragslage erfordert eine – von beidseitigem Konsens getragene – spätere Einigung. Warum eine solche Vereinbarung nicht durch ein diesbezügliches Angebot der Beklagten zustandekommen darf, ist nicht erkennbar.

[33] 3.3.4. Der von beiden Parteien im Zusammenhang mit der Rentenwahlklausel verwendete Begriff der Option wäre ein Vertrag, durch den einem Vertragsteil das Recht eingeräumt wird, ein inhaltlich bereits festgelegtes Schuldverhältnis durch einseitige Erklärung in Gang zu setzen. Der Optionsberechtigte kann das Schuldverhältnis durch einseitige Erklärung ohne neuerlichen Vertragsabschluss begründen (RS0019191 [T1, T2]; RS0115633 [T2]). Mit der vorliegenden Rentenwahlklausel soll dem Versicherungsnehmer nicht ein Gestaltungsrecht in dem Sinn, dass ein inhaltlich bereits festgelegtes Schuldverhältnis durch einseitige Erklärung in Gang gesetzt wird, eingeräumt werden, sondern dieser erhält das Recht, sich das angesparte Kapital bei Fälligkeit statt in der vereinbarten Form einer Einmalzahlung in Form einer Rente auszahlen zu lassen. Da aber die konkrete Rentenhöhe im Vorhinein nicht festgelegt werden kann und für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer wohl auch dann nicht errechenbar wäre, wenn die Rentenwahlklausel die Sterbetafel und den Zinsfuß enthalten würde, ist dem Versicherungsnehmer die Ausübung des Wahlrechts ohne Mitwirkung der Beklagten gar nicht möglich. Aus diesem Grund ist die Mitwirkung der Beklagten an der Entscheidung des Versicherungsnehmers das Rentenwahlrecht auszuüben, nicht nur zulässig, sondern geboten. Das erkennt der Kläger auch selbst, fordert er doch auch in seiner Revision, die Beklagte müsse unter Berücksichtigung der in einer gesetzeskonform abgefassten Rentenwahlklausel die Rechnungsgrundlagen und die Rentenhöhe ermitteln. Warum der Versicherer das Ergebnis seiner Berechnungen dann dem Versicherungsnehmer nicht im Rahmen eines Änderungsvorschlags – den der Versicherungsnehmer auch nicht annehmen muss – bekanntgeben darf, ist nicht ersichtlich. Das führt zu keiner erkennbaren Beeinträchtigung der allgemeinen Interessen der Verbraucher, zumal die durch die Ausübung des Rentenwahlrechts bewirkte Umwandlung der ursprünglich vereinbarten Kapitalauszahlung in eine Rentenzahlung tatsächlich eine Vertragsänderung erfordert (7 Ob 97/22y).

[34] Der Revision des Klägers war daher keine Folge zu geben.

II. Zur Revision der Beklagten:

[35] 1. Die Revisionder Beklagten ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof mit einer der Klausel 2 vergleichbaren Klausel im Verbandsprozess noch nicht zu befassen hatte; sie ist aber nicht berechtigt.

[36] 2. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft, sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

3. Zu Klausel 1:

[37] 3.1. Die von der Beklagten in ihrer Revisionvorgetragenen Argumente wurden vom Obersten Gerichtshof bereits in der Entscheidung 7 Ob 97/22y unter Verweis auf die Vorentscheidung 7 Ob 186/20h zu einer vergleichbaren Klausel eingehend behandelt. Hiersind dieselben Erwägungen maßgeblich:

[38] 3.2. Es fehlen die gemäß § 2 Abs 1 Z 4 der Lebensversicherung Informationspflichtenverordnung 2018, BGBl II 2018/247, erforderlichen Parameter Sterbetafel und Rechnungszins. Die Bezugnahme auf einen Tarif in einer Klausel, die den Versicherungsnehmer über die Rechnungsgrundlagen zur Berechnung einer auszuzahlenden Rente informieren soll, könnte nur dann iSd § 6 Abs 3 KSchG als klar und verständlich angesehen werden, wenn die Zusammensetzung der Rechnungsgrundlage dem Versicherungsnehmer offengelegt wird. Dies trifft aber nicht zu, wenn – wie hier – die „zu diesem Zeitpunkt gültigen Rententarife“ in Klausel 1 überhaupt keine Erläuterung erfahren. Dasselbe hat für die „dann gültigen Versicherungsbedingungen“ zu gelten.

[39] 3.3. Der Oberste Gerichtshof hat sich in dem Zusammenhang auch mit der Kritik von Perner/Spitzer (Rentenoption und Rentenberechnung in der Lebensversicherung, VersRdSch H 7–8/2021, 37 ff) und Schauer (Transparenzgebot, die Wievielte?, Vom Rentenwahlrecht zur Kinderprämie, ZVers 2022, 1 ff) auseinandergesetzt (vgl 7 Ob 97/22y mwN).

[40] 3.4. Die hier zu beurteilende Klausel ist aufgrund des Fehlens derselben entscheidenden Faktoren wie bei der in der Entscheidung 7 Ob 97/22y zu beurteilenden Klausel iSd § 6 Abs 3 KSchG intransparent und damit unwirksam. Auf eine Prüfung iSd § 879 Abs 3 ABGB kommt es daher nicht mehr an.

4. Zu Klausel 2:

[41] 4.1. Diese Klausel genügt bereits dem Transparenzgebot nicht. Ausgehend von einem schon abgeschlossenen (und damit auch „begonnenen“) Versicherungsvertrag, erschließt sich nicht, ob im Fall der Annahme des Änderungsvorschlags (neuerlich?) 5 % an „kalkulatorischen Abschlusskosten“ fällig werden. Eine derartige Vorgehensweise ließe sich mit einer bloßen Vertragsänderung nicht in Einklang bringen. Die Klausel ist damit geeignet, dem Verbraucher ein unklares Bild seiner vertraglichen Position zu vermitteln und ihn dadurch von der Durchsetzung seiner Rechte abzuhalten.

[42] 4.2. Auf die Frage, ob die erstmalige Beurteilung der Klausel 2 als ungewöhnlich und damit iSd § 864a ABGB unzulässig durch das Berufungsgericht überraschend ist, braucht daher nicht eingegangen zu werden.

[43] Die Verwendung dieser Klausel wurde der Beklagten daher im Ergebnis zu Recht untersagt.

[44] 5. Zu dem von der Beklagten in erster Instanz erhobenen – in der Revision wiederholten – Einwand, das Unterlassungsbegehren sei zu weit gefasst, weil § 6 Abs 3 KSchG erst am 1. 1. 1997 in Kraft getreten sei und bei ihr noch „einige kapitalbildende Lebensversicherungsverträge mit Rentenwahlrecht“ vor diesem Zeitpunkt existierten, enthielt schon ihre Berufung keine inhaltlichen Ausführungen. Dieser selbständige zu beurteilende Einwand ist daher im Revisionsverfahren nicht mehr zu prüfen (RS0043338 [insb T4, T10, T13, T27]; vgl RS0043352 [T31, T33]).

6. Zur Leistungsfrist:

[45] Nach gefestigter Rechtsprechung ist die Verpflichtung, Allgemeine Geschäftsbedingungen zu ändern, keine reine Unterlassung, sodass das Gericht gemäß § 409 Abs 2 ZPO eine angemessene Leistungsfrist zu setzen hat (RS0041260 [T2]; RS0041265 [T2, T3]). Nach der Rechtsprechung ist eine Leistungsfrist von drei Monaten zur Umgestaltung des Klauselwerks grundsätzlich angemessen (RS0041265 [T5]). In zahlreichen Entscheidungen wurde dem AGB‑Verwender eine Frist von drei Monaten gewährt (vgl etwa 7 Ob 44/13s). Für die Gewährung einer längeren, sechsmonatigen Leistungsfrist waren stets besondere Umstände ausschlaggebend, die hier bei der Abänderung bloß zweier Klauseln nicht vorliegen. Eine Leistungsfrist von drei Monaten zur Änderung der als unzulässig erkannten Klauseln 1 und 2 ist angemessen. Dem beklagten Versicherungsunternehmen ist zuzumuten, den Änderungsbedarf wegen des Wegfalls dieser Klauseln binnen drei Monaten zu bewältigen.

[46] Der Revision der Beklagten war daher insgesamt keine Folge zu geben.

[47] III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Beide Parteien haben jeweils Anspruch auf Ersatz der Kosten ihrer Revisionsbeantwortung. Aufgrund des höheren Revisionsinteresses der Beklagten ergibt sich nach Saldierung der im Spruch ausgewiesene Kostenersatzanspruch des Klägers.

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