OGH 6Ob231/11f

OGH6Ob231/11f16.2.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. H***** F*****, als Masseverwalter im Konkursverfahren über das Vermögen des W***** K***** (AZ ***** des Bezirksgerichts Innsbruck), gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17-19, wegen Feststellung (Streitwert 35.137,64 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 7. Juni 2011, GZ 1 R 406/10b-11, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 21. September 2011, GZ 16 C 258/10k-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der außerordentlichen Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger die mit 1.962 EUR (darin 327 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Bezirksgericht Innsbruck eröffnete am 1. 9. 2006 zu AZ ***** das Konkursverfahren über das Vermögen des Gemeinschuldners W***** K***** und bestellte den Kläger zum Masseverwalter.

Der Gemeinschuldner war vom 25. 2. 1995 bis 1. 2. 2005 Geschäftsführer der K***** GmbH gewesen und ist seit 1. 2. 2005 deren Liquidator. Mit Haftungsbescheiden vom 24. 11. 2008 und 13. 10. 2009 nahm das Finanzamt Innsbruck den Gemeinschuldner in seiner Funktion als Liquidator für nicht entrichtete Abgaben der Gesellschaft in Höhe von letztlich 35.137,64 EUR gemäß §§ 9, 80 BAO in Anspruch und meldete diesen Betrag im Konkursverfahren des Gemeinschuldners als Masseforderung an. Bei den nicht entrichteten Abgaben handelt es sich um im Zeitraum 16. 10. 2006 bis 15. 10. 2008 fällig gewordene Umsatz- und Körperschaftssteuern der Gesellschaft.

Die Vorinstanzen stellten fest, dass die vom Finanzamt Innsbruck geltend gemachten Beträge nicht als Masseforderungen im Konkursverfahren über das Vermögen des Gemeinschuldners zu qualifizieren sind; das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nicht zu. Die Beantwortung der Frage, ob eine konkrete Forderung Masseforderung sei, richte sich nach insolvenzrechtlichen Bestimmungen, bei geltend gemachten Abgabenforderungen insbesondere nach § 46 Abs 1 Z 2 KO. Für das Vorliegen einer Masseforderung müssten kumulativ sowohl eine sachliche als auch eine zeitliche Komponente erfüllt sein, wobei das sachliche Kriterium darauf abstelle, ob die geltend gemachte Forderung die Masse betrifft; dies sei dann der Fall, wenn das Steuerobjekt ein in die Masse gehöriges Vermögen oder dessen Ertrag ist oder wenn die Abgabe zwar den Gemeinschuldner persönlich trifft, aber wirtschaftlich auf der Masse oder ihren Erträgnissen lastet. Für die Annahme der letztgenannten Voraussetzung müsse die so genannte „Massemehrung“ zu bejahen sein, also die Frage, ob eine Abgabe auf ein anderes als das für die Konkursmasse nach Konkurseröffnung erzielte Einkommen entfällt. Diese Frage sei hier jedoch zu verneinen; die Abgaben beträfen ausschließlich die Gesellschaft.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage der Behandlung von Forderungen der Abgabenbehörden in Insolvenzverfahren aufgrund von Haftungsbescheiden fehlt; sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat der Insolvenzverwalter ein rechtliches Interesse an der alsbaldigen Feststellung, dass eine als Masseforderung geltend gemachte Forderung nicht zu den vorrangig zu befriedigenden Forderungen gehört, also nicht Masseforderung ist (RIS-Justiz RS0064644).

2. Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat das Gericht die Frage, ob eine Abgabenforderung eine Masseforderung ist, nach Maßgabe der Bestimmungen des Insolvenzrechts zu entscheiden (RIS-Justiz RS0064683, jüngst 3 Ob 103/11k; ebenso VwGH 90/16/0205). Dies gilt auch für die Frage, ob eine von der Abgabenbehörde geltend gemachte Forderung überhaupt im Insolvenzverfahren zu berücksichtigen ist (vgl 8 Ob 92/02s SZ 2002/162 = ZIK 2003/82 [Kristen, 38]; 3 Ob 103/11k).

3. Das Finanzamt Innsbruck gründete seine als Masseforderung qualifizierte Forderung auf gemäß §§ 9, 80 BAO gegen den Gemeinschuldner erlassene Haftungsbescheide. Nach diesen Bestimmungen haftet unter anderem der Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung neben der abgabenpflichtigen Gesellschaft für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der dem Geschäftsführer auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Die Haftung des Geschäftsführers wird mit Erlassung des Haftungsbescheids konstitutiv begründet (VwGH 2002/14/0123), wodurch die Gesellschaft und der Geschäftsführer Gesamtschuldner werden (VwGH 89/16/0009; vgl auch Stoll, BAO [1994] § 9 Seite 132). Die Haftung ist einem zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch nachgebildet, hat doch die begründete Mitschuld ein pflichtwidriges Verhalten des Geschäftsführers und einen dadurch bewirkten (zu befürchtenden) Einnahmeausfall der Abgabenbehörde zur Voraussetzung; durch die Normierung dieser Mithaftung im Abgabenverfahren ist die Einbringung einer Schadenersatzklage entbehrlich (VwGH [verstSenat] 96/15/0049; vgl auch 7 Ob 45/01w ZIK 2002/54 [Nebeneinander einer abgabenrechtlichen und einer zivilrechtlichen Zahlungspflicht]).

4. Nach herrschender Auffassung (4 Ob 139/79; 9 ObA 127/05z; Konecny in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze [1997] § 102 KO Rz 17; G. Kodek in Bartsch/Pollak/Buchegger, Österreichisches Insolvenzrecht4 [2006] § 102 KO Rz 35) sind nach Insolvenzeröffnung entstandene Ersatzansprüche gegen den Gemeinschuldner aus seinen persönlichen rechtswidrigen Handlungen nach der Insolvenzordnung weder Insolvenz- noch Masseforderungen. Soweit sich die in RIS-Justiz RS0124734 indizierten Entscheidungen mit schadenersatzrechtlichen Feststellungsbegehren gegenüber dem Insolvenzverwalter befassen, fand das haftungsbegründende Fehlverhalten des Gemeinschulders jeweils vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens statt.

Angesichts der rechtlichen Qualifikation der durch Bescheide nach §§ 9, 80 BAO entstehenden Mithaftung des Vertreters einer juristischen Person (3.) infolge dessen rechtswidrigen, schuldhaften Verhaltens (vgl dazu Ritz, BAO4 [2011] § 9 Rz 18 ff) erscheint es nicht zweifelhaft, dass die dargestellte herrschende Auffassung auch auf Forderungen aus Haftungsbescheiden Anwendung zu finden hat.

5. Die den Haftungsbescheiden zugrunde liegenden Abgabenverpflichtungen der vom Gemeinschuldner vertretenen Gesellschaft entstanden ausschließlich nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Damit sind aber die diesem Verfahren zugrunde liegenden Forderungen des Finanzamts Innsbruck weder Masseforderungen noch Insolvenzforderungen (hinsichtlich der Verneinung von Insolvenzforderungen daher zutreffend VwGH 2002/14/0123; der in der Revision daraus gezogene Umkehrschluss, dann müsse es sich um Masseforderungen handeln, ist nicht zwingend).

6. Darüber hinaus bedarf es einer zeitlichen und einer sachlichen Voraussetzung, um iSd § 46 Abs 1 Z 2 IO (ebenso § 46 Abs 1 Z 2 KO vor dem IRÄG 2010) davon sprechen zu können, dass eine öffentliche Abgabe „die Masse trifft“ (5 Ob 219/73; 2 Ob 243/06h ZIK 2007/330). Die Arbeitskraft des Gemeinschuldners bildet jedoch keinen Massebestandteil (8 Ob 7/06x GesRZ 2006, 195), weshalb - unter Berücksichtigung der Pfändungsfreigrenzen - in die Insolvenzmasse nur der Erwerb fällt, der dem Gemeinschuldner während der Insolvenz zufließt, und zwar der reine Erlös aus seiner Erwerbstätigkeit, also der Nettoerwerb (8 Ob 7/06x mwN). Hieraus hat der Oberste Gerichtshof bereits abgeleitet, dass nur jene nach den persönlichen Verhältnissen des Gemeinschuldners bemessenen öffentlichen Abgaben Masseforderungen sein können, die auf das für die Insolvenzmasse nach Insolvenzeröffnung erzielte Einkommen entfallen (8 Ob 7/06x), hier also etwa ein Entgelt als Geschäftsführer der Gesellschaft (durch die Insolvenzeröffnung wird ja dessen Geschäftsführungsbefugnis nicht berührt [RIS-Justiz RS0059495]). Eine bloß an die Tätigkeit anknüpfende Zahlungspflicht (wie eben eine Haftung nach §§ 9, 80 BAO) verschafft aber in keiner Weise Vermögenswerte, die der Masse zugute kommen können (vgl 8 Ob 7/06x).

7. Damit haben die Vorinstanzen im Ergebnis zutreffend dem Klagebegehren des Masseverwalters stattgegeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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