European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00226.16B.1025.000
Spruch:
I. Der Revision der klagenden Partei wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 335,64 EUR (davon 55,94 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
II. Der Revision der beklagten Partei wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden, soweit sie dem Unterlassungsbegehren stattgeben, aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten der Revision der beklagten Partei und jene der Revisionsbeantwortung der klagenden Partei sind weitere Verfahrenskosten.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist die Witwe des am 24. 2. 2015 in ***** verstorbenen R***** A*****. Die Beklagte war bis 31. 5. 2015 Medieninhaberin der Website www.a *****‑derprozess.at, auf welcher im Zeitraum von 16. 3. 2015 bis 9. 4. 2015 die näher dargestellten, A***** betreffenden Inhalte abrufbar waren.
A***** war ein ***** Politiker und Diplomat. Ab 2002 war er als Botschafter in Österreich, nach 2005 bekleidete er das Amt des Vizeaußenministers, bis er im Februar 2007 erneut als Botschafter nach Österreich entsandt wurde.
Ende Mai 2007 erließen die kasachischen Behörden einen Haftbefehl gegen A***** und ersuchten Österreich um Auslieferung. Mit Beschluss vom 7. 8. 2007 erklärte das Landesgericht für Strafsachen Wien die Auslieferung mit der Begründung für unzulässig, dass das StrafverfahreUn gegen A***** in Kasachstan weder den Art 3 und 6 EMRK entspreche, noch die zu erwartende Strafe in einer den Erfordernissen des Art 3 EMRK entsprechenden Weise vollstreckt würde.
Mit Urteil eines kasachischen Bezirksgerichts vom 15. 1. 2008 wurde A***** in Abwesenheit unter anderem wegen Gründung und Leitung einer organisierten kriminellen Vereinigung, Entführung und Misshandlung von Personen am 18. und 19. 1. 2007 sowie am 31. 1. 2007, zahlreicher Vermögensdelikte, insbesondere der Aneignung von fremden Geldern und Wertgegenständen, die sich in Safe‑Schließfächern der N*****bank, deren Hauptaktionär A***** war, befunden hätten, sowie der Aneignung diverser Immobilien durch Erpressung und Urkundenfälschung für schuldig gesprochen und zu insgesamt 20 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Dem Schuldspruch liegen unter anderem die in den Punkten a), b), e), h), j), k) und l) des Klagebegehrens angeführten Taten zugrunde.
Am 27. 8. 2008 ersuchten die kasachischen Behörden Österreich neuerlich um Auslieferung A*****s, diesmal zur Vollstreckung der in Kasachstan verhängten Strafe. Mit Beschluss vom 16. 6. 2011 erklärte das Landesgericht für Strafsachen Wien die Auslieferung für unzulässig, weil nicht auszuschließen sei, dass der Auszuliefernde im ersuchenden Staat wegen seiner politischen Anschauungen einer Verfolgung ausgesetzt wäre oder aus diesem Grund andere schwerwiegende Nachteile zu erwarten hätte.
Im Juli 2011 begann auch die österreichische Justiz gegen den zwischenzeitig in M***** aufhältigen A***** wegen Mordes und Geldwäsche zu ermitteln. Am 6. 6. 2014 wurde er auf dem Flughafen Wien‑Schwechat verhaftet. Bis zu seinem Tod befand er sich in Untersuchungshaft.
Ende Dezember 2014 erhob die Staatsanwaltschaft Wien Anklage gegen A***** wegen zweifachen Mordes, Freiheitsentziehung, Vergewaltigung, schwerer Nötigung, schwerer Erpressung und gefährlicher Drohung. Im Wesentlichen wurde ihm vorgeworfen, dass er zusammen mit anderen Mittätern zwischen 18. 1. und 19. 1. 2007 zwei Personen widerrechtlich gefangen gehalten und durch gefährliche Drohung zu bestimmten Handlungen, insbesondere zur Überschreibung von Aktien sowie zur Übertragung eines Bürogebäudes genötigt habe; außerdem dass er ab 31. 1. 2007 zwei Personen widerrechtlich gefangen gehalten und gequält, sie durch gefährliche Drohung zu verschiedenen Handlungen, einen der Gefangenen auch zu einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung genötigt und schließlich die beiden Gefangenen am 9. 2. 2007 durch Erdrosseln mit einer Schnur getötet habe.
Vor Durchführung der Hauptverhandlung wurde A***** erhängt in seiner Zelle aufgefunden, die Indizien sprachen für Selbstmord. Sämtlich gegen ihn anhängigen Straf‑ bzw Ermittlungsverfahren wurden daraufhin wegen Todes beendet. Eine Verurteilung A*****s in Österreich wegen einer der genannten kriminellen Tathandlungen ist daher nie erfolgt. Das Verfahren gegen die beiden als Mittäter Angeklagten wurde fortgeführt und endete in erster Instanz für einen mit Freispruch und für den anderen mit einem Teilschuldspruch. Letzterer wurde für schuldig erkannt, zusammen mit A***** von 31. 1. bis 9. 2. 2007 eine Person unter Zufügung besonderer Qualen gefangen gehalten zu haben. Vom Mordvorwurf und allen übrigen Anklagepunkten wurde er freigesprochen.
Der Fall A***** rief über Jahre hinweg großes Medieninteresse hervor. Es handelte sich um einen der aufsehenerregendsten Justizfälle der letzten Jahre, über den in zahlreichen Medien laufend berichtet wurde.
Durch die auf der Website der beklagten Partei abrufbaren Inhalte wurde A***** – auch wenn man diese im Gesamtzusammenhang sämtlicher auf der Website veröffentlichten Inhalte betrachtet – unmissverständlich als Täter der dort geschilderten und als Straftaten dargestellten Handlungen bezeichnet. Insgesamt wurde auf der Website der klare Eindruck erweckt, dass trotz oder gerade wegen des Selbstmordes von A***** kein Zweifel an seiner Täterschaft hinsichtlich der angeführten kriminellen Handlungen bestehen könne.
Die Klägerin begehrt, der Beklagten die Behauptung und/oder Verbreitung der Äußerungen, dass A*****
a) der Kopf eines kriminellen Netzwerks zur Erpressung von Geldern und/oder Übertragung von Besitz gewesen sei;
b) die Übertragung von Geldern und/oder Immobilien an seine Person und/oder ihm zugehörige Unternehmen erpresst und/oder genötigt habe;
c) eine [namentlich genannte] Person zur Übergabe von Geld und/oder einer Immobilie erpresst und/oder genötigt habe;
d) eine [namentlich genannte] Person durch Erpressung und/oder Drohung von Gewaltanwendung ein bestimmtes Unternehmen abgepresst habe;
e) eine [namentlich genannte] Person durch Erpressung und/oder Androhung von Gewalt zum Verkauf eines Gebäudes an von A***** kontrollierte Unternehmen gezwungen habe;
f) eine [namentlich genannte] Person durch Androhung von Freiheitsentziehung genötigt habe, ihm deren Aktienanteile an der N*****bank zu übertragen;
g) eine [namentlich genannte] Person mit Morddrohungen gezwungen habe, eine Firma zu verkaufen;
h) den Inhalt von Schließfächern einer Bank gestohlen habe;
i) eine [namentlich genannte] Person zu Falschaussagen gezwungen habe;
j) eine [namentlich genannte] Person unter Todesdrohung und/oder physischer Gewalt zu Besitzübertragungen gezwungen habe;
k) zwei [namentlich genannte] Personen entführt, festgehalten, mit dem Tode bedroht und/oder misshandelt habe;
l) eine [namentlich genannte] Person ein zweites Mal und/oder eine weitere [namentlich genannte] Person entführt, festgehalten, mit dem Tode bedroht und/oder misshandelt habe;
m) eine [namentlich genannte] Person und/oder eine weitere [namentlich genannte] Person ermordet habe,
oder sinngleiche Äußerungen zu verbieten. Außerdem begehrte sie die Veröffentlichung des Urteils. Bei Verletzung der Unschuldsvermutung stünden dem Betroffenen Ansprüche nach § 16 ABGB zu. Aus dieser Bestimmung folge auch der Schutz eines postmortalen Persönlichkeitsrechts, wodurch das Fortwirken des Lebensbildes eines Verstorbenen gegen grob rechtswidrige Beeinträchtigungen geschützt werden solle. Dieses Recht könne von nahen Angehörigen durchgesetzt werden.
Die Beklagte wandte ein, die Klägerin könne sich nicht auf die Verletzung der Unschuldsvermutung, die nur Lebende schütze, berufen. A***** sei wegen schwerster Verbrechen bereits in Kasachstan rechtskräftig verurteilt und wegen Entführung und Ermordung zweier Bankmanager sowie einer Reihe anderer schwerster Verbrechen in Österreich rechtskräftig angeklagt worden. Er habe sich dem Strafverfahren wenige Wochen vor Prozessbeginn durch Selbstmord entzogen, was in Anbetracht der Umstände nur als Schuldeingeständnis gewertet werden könne. Die inkriminierten Äußerungen seien wahr.
Das Erstgericht gab der Klage statt, wobei es die Unterlassungsverpflichtung auf die Behauptung und/oder Verbreitung der Äußerungen „in einem Medium“ und die Veröffentlichungspflicht einschränkte.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten insoweit Folge, dass es das Urteilsveröffentlichungsbegehren abwies. Die zu Gunsten A*****s bestehende Unschuldsvermutung sei weder durch dessen Tod noch die daran anschließende Beendigung des gegen ihn geführten Strafverfahrens beseitigt worden. Die Unschuldsvermutung sei ein durch § 16 ABGB geschütztes Persönlichkeitsrecht. In § 7b MedienG sei für Medien eine unmittelbare Drittwirkung des Grundrechts auf Unschuldsvermutung angeordnet, aus der Unterlassungspflichten resultierten. Daraus und aus dem Umstand, dass die Unschuldsvermutung nach dem Tod der betroffenen Person fortwirke und durch die Verletzung des Rechts auf Unschuldsvermutung das Recht auf Ehre berührt sei, sei abzuleiten, dass grundsätzlich ein postmortaler Schutz des Rechts auf Unschuldsvermutung zuzuerkennen sei. Angesichts des Rechts auf freie Meinungsäußerung sowie des Informationsinteresses der Öffentlichkeit stehe das Recht der Beklagten, über die fraglichen Geschehnisse und den A***** betreffenden Tatverdacht wahrheitsgemäß zu berichten, außer Frage. Der Schutz der Unschuldsvermutung hindere kein Medium daran, eine dringende Verdachtslage im Einzelnen darzulegen. Dennoch sei die Wahrung der Unschuldsvermutung geboten. Ob die Tat tatsächlich verübt worden sei, spiele im Verfahren nach § 7b MedienG ebenso wenig eine Rolle wie der Umstand, ob der als Täter bezeichnete Verdächtige die Tat begangen habe oder nicht. Die Beklagte habe durch ihre Berichterstattung die zu Gunsten von A***** auch nach dessen Tod fortwirkende Unschuldsvermutung verletzt. Die Klägerin als Witwe des Verletzten sei zur Durchsetzung des postmortalen Persönlichkeitsschutzes, der auch auf den Schutz der Unschuldsvermutung auszudehnen sei, berechtigt. Das Urteilsveröffentlichungsbegehren sei hingegen nicht berechtigt.
Das Berufungsgericht sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den rechtserheblichen Fragen, ob der bestehende Schutz der Persönlichkeit eines Verstorbenen auch den postmortalen Schutz der von Medieninhabern zu wahrenden Unschuldsvermutung umfasse, sowie ob Angehörigen in diesem Fall ein Unterlassungsanspruch und/oder ein Anspruch auf Urteilsveröffentlichung zukomme, nicht bestehe.
Rechtliche Beurteilung
Die Revisionen beider Streitteile sind zwar zulässig, es ist aber nur jene der Beklagten im Sinn des gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.
A. Zur Revision der Klägerin:
1.1. Entgegen der Meinung der Beklagten ist das Rechtsmittel der Klägerin, mit dem die Abweisung des von der Klägerin mit 1.000 EUR bewerteten Urteilsveröffentlichungsbegehrens bekämpft wird, nicht absolut unzulässig.
1.2. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Entscheidungsgegenstand 30.000 EUR übersteigt, und bewertet das Unterlassungs- und das Veröffentlichtungs-begehren nicht gesondert.
1.3. Nach § 500 Abs 3 ZPO iVm § 55 Abs 1 Z 1 JN sind mehrere Ansprüche (hier: Unterlassungsanspruch und Urteilsveröffentlichung) dann zusammenzurechnen, wenn sie in einem tatsächlichen oder rechtlichen Zusammenhang stehen. Der Anspruch auf Urteilsveröffentlichung steht immer in einem rechtlichen Zusammenhang mit den jeweiligen Unterlassungsansprüchen, weil der Unterlassungsanspruch der Rechtsgrund für den – von ihm abhängigen – Anspruch auf Urteilsveröffentlichung ist (vgl 4 Ob 105/88; 4 Ob 67/11y). Einer gesonderten Bewertung der einzelnen Teilansprüche bedarf es daher nicht.
2.1. Nach dem Standpunkt der Revisionswerberin ergibt sich der Anspruch auf Urteilsveröffentlichung aus § 7b MedienG. Hätte A***** vor seinem Tod ein medienrechtliches Verfahren nach dieser Bestimmung vor dem Strafgericht angestrengt und gewonnen, wäre gemäß § 8a Abs 6 iVm § 34 MedienG auf Urteilsveröffentlichung zu erkennen gewesen. Deshalb müsse der Klägerin das Recht auf Veröffentlichung des Zivilurteils wegen Verletzung der Unschuldsvermutung zustehen.
2.2. Dem ist zu erwidern:
In der Entscheidung 6 Ob 287/02b hat der Oberste Gerichtshof in Analogie zu § 85 UrhG einen Anspruch auf Veröffentlichung des Urteils über ein auf § 16 ABGB gestütztes Unterlassungsbegehren zuerkannt, weil die geltend gemachte Verletzung, die in der Imitation der Stimme und Sprechweise der Kläger bestand, mit einer Verletzung des Bildnisschutzes im Sinn des § 78 UrhG vergleichbar war; wie das Bild diene auch die Stimme einer Person ihrer Identifikation.
Weder aus dieser Entscheidung noch jener zu 4 Ob 203/13a, die eine Urteilsveröffentlichung nach § 85 UrhG aufgrund einer Verletzung der §§ 77 f UrhG betraf, ist für die Revisionswerberin etwas zu gewinnen.
2.3. Eine Person, die einer gerichtlich strafbaren Handlung verdächtig, aber nicht rechtskräftig verurteilt ist und in einem Medium als überführt oder schuldig hingestellt oder als Täter dieser strafbaren Handlung und nicht bloß tatverdächtig bezeichnet wird, hat gegen den Medieninhaber Anspruch auf eine Entschädigung für die erlittene Kränkung (§ 7b Abs 1 MedienG), es sei denn, es liegt einer der Ausschlussgründe des § 7b Abs 2 MedienG vor.
Da dieser Anspruch auf Ersatz immateriellen Schadens eine erlittene Kränkung ausgleichen soll, handelt es sich um einen höchstpersönlichen Anspruch, der unvererblich ist, es sei denn, der Betroffene hat ihn schon vor seinem Tod gerichtlich geltend gemacht (vgl RIS‑Justiz RS0131156 zu § 78 UrhG; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll, MedienG³ vor §§ 6–8a Rz 32 mwN: bei den medienrechtlichen Ansprüchen auf eine Entschädigung für die erlittene Kränkung handelt es sich „um höchstpersönliche Ansprüche und nicht um über den Tod hinauswirkende, postmortale Persönlichkeitsrechte“). Ein Anspruch Angehöriger auf Ersatz immaterieller Schäden aus einer postmortalen Persönlichkeitsverletzung ist insoweit ausgeschlossen, weil beim Verstorbenen kein Gefühlsschaden eingetreten ist (vgl RIS‑Justiz RS0131156).
2.4. Da § 7b MedienG nicht dem Schutz der Unschuldsvermutung in Beziehung auf Verstorbene dient, kann § 8a Abs 6 MedienG keine taugliche Basis einer Analogie bilden, mit der ein Anspruch auf Veröffentlichung des von der Klägerin begehrten Unterlassungsurteils bejaht werden könnte.
Im Übrigen sieht weder Abs 1 noch Abs 2 des § 1330 ABGB einen Anspruch auf Veröffentlichung des Unterlassungsurteils vor (4 Ob 338/87; vgl 6 Ob 283/01p).
B. Zur Revision der Beklagten:
Die Beklagte macht zusammengefasst geltend, die Auffassung des Berufungsgerichts von der – mangels einer rechtskräftigen Verurteilung des Betroffenen – immerwährenden Unschuldsvermutung sei verfehlt, führe sie doch zu einer unerträglichen Einschränkung der Meinungsäußerungsfreiheit. Die Meinung des Berufungsgerichts, der Wahrheitsbeweis sei nicht zulässig, widerspreche der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs; die Unschuldsvermutung gelte nicht über den Tod einer Person hinaus.
Hierzu wurde erwogen:
1. Nach gefestigter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wirkt der Schutz der Persönlichkeit eines Menschen über dessen Tod hinaus. So besteht der Schutz der Ehre auch nach dem Tod in einem gewissen Maße weiter und kann von nahen Angehörigen geltend gemacht werden (6 Ob 283/01p; RIS‑Justiz RS0116720). Gestützt auf § 16 iVm § 1330 ABGB anerkennt die Rechtsprechung zum Schutz des Ansehens und des fortwirkenden Lebensbildes eines Verstorbenen Unterlassungsansprüche jedenfalls gegen grobe ehrverletzende Beeinträchtigungen (6 Ob 283/01p). Es bedarf keiner nähren Begründung, dass die Veröffentlichung der Beklagten über schwere und schwerste Verbrechen des verstorbenen Ehemanns der Klägerin geeignet sind, diesen im öffentlichen Ansehen herabzusetzen.
2.1. Nach Art 6 Abs 2 EMRK wird bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld vermutet, dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig sei. Die damit verankerte Unschuldsvermutung ist in allen Strafverfahren im Sinn des Art 6 EMRK zu beachten, aber nicht nur vom Gericht, das über die Schuld des Angeklagten entscheidet, sondern von allen staatlichen Behörden (4 Ob 184/97f mwN; Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 24 Rz 141 f mN).
2.2. Die Unschuldsvermutung ist zum einen Garantie für das Strafverfahren, zum anderen erstreckt sich das Prinzip der Unschuldsvermutung nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auf den Schutz von Personen, die freigesprochen wurden oder hinsichtlich derer das Strafverfahren eingestellt wurde, vor einer Behandlung durch staatliche Organe, als wären sie ungeachtet dessen schuldig (EGMR [Große Kammer] Allen./.GBR, Nr 25424/09 Rz 92 f; Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 24 Rz 141 f).
3. § 7b MedienG wurde durch die MedienG-Novelle 1992, BGBl 1993/20, in Umsetzung der staatlichen Pflicht, aktiv für den Schutz der Unschuldsvermutung auch gegenüber privaten Dritten tätig zu werden (vgl VfGH G 294/94 ua VfSlg 14260; B 193/86 VfSlg 11062; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll, MedienG³ § 7b Rz 3 f), zum Schutz der Persönlichkeit des von einer Vorverurteilung in einem Medium betroffenen Tatverdächtigen auch schon vor dem Beginn eines (gerichtlichen) Strafverfahrens und zum Schutz der Unabhängigkeit der Justiz in das Gesetz eingefügt (vgl VfGH G 294/94 ua; Berka in Berka/Heindl/Höhne/Noll, MedienG³ § 7b Rz 6).
4. Wie schon ausgeführt (A.2.3.) schützt § 7b Abs 1 MedienG nicht vor einer postmortalen Verletzung der Unschuldsvermutung. Die Wertung des Gesetzgebers, medienspezifisches Sonderrecht für Veröffentlichungen, in der ein Verstorbener, der einer Straftat nicht rechtskräftig verurteilt wurde, als Täter einer strafbaren Handlung bezeichnet wird, nicht vorzusehen – also solche Veröffentlichungen medienrechtlich nicht zu verbieten –, ist dahin zu berücksichtigen, dass das hier in Rede stehende postmortale Persönlichkeitsrecht nicht schon davor schützt, in einem Bericht als Täter einer Straftat bezeichnet zu werden, wenn der Verstorbene wegen dieser strafbaren Handlung nicht rechtskräftig verurteilt wurde. Ob es zulässig ist, in einem Medium einen in einem Strafverfahren rechtskräftig Freigesprochenen nach seinem Tod dennoch als Täter zu bezeichnen (vgl EGMR [Große Kammer] Allen./.GBR, Nr 25424/09 zur Wirkung der Unschuldsvermutung über das durch Freispruch beendete Strafverfahren hinaus), wenn die Täterschaft bewiesen werden kann, muss hier nicht erörtert werden.
5. Davon ausgehend ist die Sache noch nicht entscheidungsreif:
5.1. Die Freiheit der Meinungsäußerung findet nicht nur auf „Nachrichten“ oder „Ideen“ Anwendung, die günstig aufgenommen oder als nicht offensiv oder als indifferent angesehen werden. Der Presse muss es möglich sein, ihre vitale Rolle eines „public watchdog“ in einer demokratischen Gesellschaft zu erfüllen (RIS‑Justiz RS0123667).
5.2. Bei der gebotenen Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit der beklagten Medieninhaberin einerseits und dem postmortalen Persönlichkeitsrecht des Ehemanns der Klägerin andererseits (vgl Art 10 Abs 2 EMRK) ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Veröffentlichungen keine mediale Untergrabung des Rechts des Ehemanns der Klägerin auf ein von Medieneinwirkungen unbeeinflusstes faires Verfahren vor den zuständigen Gerichten (VfGH G 294/94 ua) sein können, weil das Strafverfahren mit seinem Tod beendet war (11 Os 41/87; 12 Os 8/95). Außerdem ist zu beachten, dass es sich beim Strafverfahren des Ehemanns der Klägerin, der schwerster Verbrechen angeklagt war, um einen der aufsehenerregendsten Justizfälle der letzten Jahre handelte, über den in zahlreichen Medien laufend berichtet wurde. Die inkriminierten Äußerungen fielen zudem in großer zeitlicher Nähe zu dem durch den Tod des Ehemanns der Klägerin beendeten Strafverfahren. Die Veröffentlichungen der Beklagten können somit als Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem gesellschaftlichen Interesse angesehen werden (vgl 4 Ob 121/08k; RIS‑Justiz RS0123987). Wahre Tatsachenbehauptungen in diesem Zusammenhang müssen grundsätzlich hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind (vgl § 1330 Abs 2 ABGB; 6 Ob 14/03g; RIS‑Justiz RS0112084; RS0009003) Bei Tatsachenberichten hängt demnach die Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen vom Wahrheitsgehalt, ab.
5.3. Nach diesen Erwägungen hängt die Entscheidung somit davon ab, ob der Beklagten der von ihr angebotene Beweis der Wahrheit ihrer Tatsachenbehauptungen gelingt. Sie trägt die volle Beweislast dafür (vgl RIS‑Justiz RS0031798). Da das Erstgericht die notwendige Beweisaufnahme nicht durchführte, war mit Aufhebung vorzugehen.
Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung der Beklagten beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Entscheidung über die Kosten der Revision der Beklagten und jene der Revisionsbeantwortung der Klägerin war gemäß § 52 Abs 1 ZPO vorzubehalten.
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