Normen
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art133 Z4
MRK Art6 Abs2
MRK Art10
RundfunkG §2 Abs1 Z1 lita
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
B-VG Art133 Z4
MRK Art6 Abs2
MRK Art10
RundfunkG §2 Abs1 Z1 lita
Spruch:
Die Beschwerde wird abgewiesen
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1.1. Am 25. September 1985 um 18.00 Uhr wurde in den Nachrichten des Programms Ö 3 des Hörfunks des Österreichischen Rundfunks folgende Meldung gebracht:
"Zwei Mitglieder der bei der Oberösterreichischen Landtagswahl kandidierenden Gruppe 'Die Grünen Österreichs' sind heute gewaltsam in die Redaktion der 'Oberösterreichischen Nachrichten' in Linz eingedrungen.
Die Redakteure teilten mit, sie seien vom Sprecher der Gruppe, A B, und seiner Begleiterin beschimpft worden. B und die Frau hätten ihnen vorgeworfen, die Grünen Österreichs als rechtsextremistisch bezeichnet zu haben. Die Eindringlinge hätten auch versucht, in das Büro des Chefredakteurs vorzudringen, seien daran aber gehindert worden. B sei handgreiflich gegen den Lokalchef der Zeitung vorgegangen. Die beiden konnten schließlich aus dem Verlagshaus gewiesen werden. Sie wurden auf freiem Fuß angezeigt, die Staatspolizei untersucht den Vorfall. Die Grünen Österreichs stehen in keiner Weise mit den Vereinten Grünen Österreichs in Verbindung."
1.1.2.1. Am 7. November 1985 langte bei der Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes eine am 6. November 1985 zur Post gegebene Beschwerde des Dr. A B und der von ihm vertretenen wahlwerbenden Partei "Die Grünen Österreichs" ein. Darin wurde geltend gemacht, daß die eingangs wiedergegebene Nachricht gegen das dem Österreichischen Rundfunk auferlegte Gebot der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung verstoße.
1.1.2.2. Die Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes entschied über diese Beschwerde mit Bescheid vom 5. Dezember 1985, GZ 387/1-RFK/86, wie folgt:
"Gemäß §29 Abs1 RFG wird festgestellt, daß §2 Abs1 Z1 lita dieses Gesetzes dadurch verletzt wurde, daß in den am 25. September 1985 um 18.00 Uhr im Programm Ö 3 des Hörfunks gesendeten Nachrichten eine Meldung enthalten war, wonach Dr. A B, ein Mitglied der wahlwerbenden Partei 'Die Grünen Österreichs', gewaltsam in die Redaktion der Oberösterreichischen Nachrichten in Linz eindrang.
Gemäß §29 Abs4 RFG wird dem Österreichischen Rundfunk aufgetragen, diesen Teil dieses Bescheides innerhalb von drei Tagen nach Zustellung an einem Werktag in den um 18.00 Uhr im Programm Ö 3 des Hörfunks ausgestrahlten Nachrichten zu veröffentlichen."
Begründend hieß es ua:
"In der hier bekämpften Meldung ist ein Vorwurf deliktischen Verhaltens und damit eine schwerwiegende Beschuldigung enthalten. Wenn sich die verantwortlichen Mitarbeiter des Österreichischen Rundfunks nicht in der Lage oder veranlaßt sahen, die Stellungnahme des Betroffenen einzuholen oder wiederzugeben, und auch die Gründe hierfür nicht bekanntgaben, hätte die Nachricht wenigstens insgesamt aber in einer Form ausgestrahlt werden müssen, die im Durchschnittshörer nicht den Eindruck erwecken mußte, der inkriminierte Sachverhalt sei bereits erwiesen. Dieser Forderung wurde zwar im zweiten Teil der Nachricht dadurch entsprochen, daß die APA-Meldung, welche teilweise im Indikativ, teilweise im Konjunktiv gehalten war, im Zusammenhang mit verschiedenen Vorwürfen strafbaren Verhaltens ausschließlich im Konjunktiv wiedergegeben wurde. Im ersten Teil der oben wörtlich zitierten Meldung wurde demgegenüber im Indikativ festgehalten, daß zwei Mitglieder der 'Grünen Österreichs' (darunter der Erstbeschwerdeführer, wie sich aus dem weiteren Text ergibt) gewaltsam in die Redaktion der Oberösterreichischen Nachrichten in Linz eingedrungen sind. Dadurch mußte beim durchschnittlichen Hörer der Eindruck entstehen, daß das gewaltsame Eindringen bereits erwiesen sei. Tatsache ist jedoch, daß zum Zeitpunkt der Meldung noch keine rechtskräftige Verurteilung des Erstbeschwerdeführers vorlag und daher für ihn noch die Unschuldsvermutung zu gelten hatte. Es wäre hier zu beachten gewesen, daß nach Punkt 1.3.11. der Allgemeinen Richtlinien der Beschuldigte oder Angeklagte bis zur gerichtlichen Feststellung seiner Schuld als unschuldig zu behandeln ist. Diese für die Berichterstattung über gerichtliche Strafverfahren aufgestellte Forderung gilt selbstverständlich allgemein für Meldungen oder Berichte über ein mit Strafe bedrohtes Verhalten einer Person.
Durch den ersten Teil der bekämpften Nachrichtenmeldung wurde somit aus den dargelegten Gründen das Gebot zur Objektivität und daher §2 Abs1 Z1 lita RFG verletzt."
1.2.1. Dagegen ergriffen die Bescheidadressaten, nämlich der Generalintendant des österreichischen Rundfunks G B für den Österreichischen Rundfunk, der Hörfunkintendant E G, der Chefredakteur U B und der Redakteur Dr. F O, eine - gemeinsam ausgeführte - Beschwerde nach Art144 (Abs1) B-VG an den VfGH, und zwar mit der Behauptung, sie seien durch den angefochtenen Verwaltungsakt in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, so ua. im Recht auf freie Meinungsäußerung (Art10 MRK), verletzt worden. Zugleich wird die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheids begehrt.
1.2.2. Die Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes als bel. Beh. legte die Administrativakten vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ausdrücklich Abstand.
2. Über die Beschwerde wurde erwogen:
2.1.1. Die Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes ist eine nach Art133 Z4 B-VG eingerichtete Verwaltungsbehörde. Ihre Entscheidungen unterliegen nach §29 Abs5 RFG nicht der Aufhebung oder Abänderung im Verwaltungsweg. Der administrative Instanzenzug ist also erschöpft (vgl. zB VfSlg. 8320/1978, 8906/1980).
2.1.2. Den Umständen nach besteht die - für die Beschwerdeberechtigung vor dem VfGH essentielle - Möglichkeit, daß die Bf. (Generalintendant für den Österreichischen Rundfunk - §§1 Abs1, 30 Abs1 Satz 2 RFG; weiters die für die streitverfangene Sendung verantwortlichen Bediensteten des Rundfunks (Hörfunksendung: Chefredakteur, Redakteur) - §§12, 17 RFG iVm. §§8 AVG, 30 RFG) durch den angefochtenen Bescheid - dessen Adressaten sie alle sind - in irgendeinem subjektiven Recht verletzt wurden (s. VfSlg. 3669/1959; ferner VfSlg. 6716/1972, 7226/1973, 9107/1981, 9354/1982, 10627/1985).
2.1.3. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Beschwerde zulässig.
2.2.1. Die Meldung vom 25. September 1985 schließt nach Wortlaut und Sinngehalt die - deutlich herauszulesende - Behauptung in sich, der Verfahrensbeteiligte Dr. B habe das Vergehen des Hausfriedensbruchs (nach §109 Abs1 und 3 Z1 StGB) begangen. Denn in dieser Meldung wurde einleitend und betont festgestellt, daß Mitglieder der Gruppe "Die Grünen Österreichs" gewaltsam in die Redaktion eindrangen, und nur ergänzend hinzugefügt, Dr. B - das ist den Umständen nach unverkennbar eines dieser (laut Meldungsinhalt) gewaltsam eingedrungenen Mitglieder - sei nach Mitteilung der dort anwesenden Redakteure "handgreiflich gegen den Lokalchef der Zeitung vorgegangen". Wenn auch das Merkmal der Gewaltausübung im Rauminnern (vgl. §109 Abs3 Z1 (erster Fall) StGB) bloß in die Form der Wiedergabe einer dem ORF zugegangenen Mitteilung gekleidet wurde - dieser Teil der Meldung wurde in den Spruch des bekämpften Bescheids nicht aufgenommen -, besteht an der Konstatierung der tatsächlichen Verübung eines strafbaren Deliktes allein im Hinblick auf den (ausschlaggebenden) tatfeststellenden Primärvorwurf (gewaltsames Eindringen in die Redaktion - §109 Abs1, Abs3 StGB) kein vernünftigerweise zu hegender Zweifel, zumal hier das Gesamtbild, das diese - die Täterschaft des Verfahrensbeteiligten als feststehende Tatsache hinstellende - Meldung bietet, (mit) zu beachten ist.
2.2.2.1. Ausgehend davon, daß die in Rede stehende Behauptung "inhaltlich wahr" gewesen sei, werfen die Bf. der bel. Beh. in weitwendigen Darlegungen in erster Linie Willkür, und zwar infolge gehäufter Verkennung der Rechtslage, somit eine Verletzung des Gleichheitsrechts (Art7 Abs1 B-VG, Art2 StGG) vor.
Sie sind damit aber aus folgenden Erwägungen nicht im Recht:
Vorweg ist festzuhalten, daß das gerichtliche Strafverfahren (AZ 17 Vr 2735/85 des Landesgerichtes Linz), das die Staatsanwaltschaft gegen Dr. A B wegen des den Gegenstand der Rundfunkmeldung bildenden Vorwurfs anstrengte, in der Folge gemäß §90 StPO eingestellt wurde, sodaß schon die in der Beschwerdeargumentation gewählte Prämisse nicht zutrifft.
Davon abgesehen kommt es hier auf den Ausgang des Strafverfahrens gar nicht an, weil Dr. B im Zeitpunkt der Meldung jedenfalls als unschuldig zu gelten hatte:
Nach der - dem Abschnitt I des RFG in geltender Fassung (: "Aufgaben und Einrichtung des Österreichischen Rundfunks") zugeordneten - Norm des §2 Abs1 Z1 lita hat der "Österreichische Rundfunk ... durch die Herstellung und Sendung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen sowie durch die Planung, die Errichtung und den Betrieb der hiefür notwendigen technischen Einrichtungen, insbesondere von Studios und Sendeanlagen, vor allem zu sorgen für 1. die umfassende Information der Allgemeinheit über alle wichtigen politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sportlichen Fragen durch a) objektive Auswahl und Vermittlung von Nachrichten und Reportagen, einschließlich der Berichterstattung über die Tätigkeit der gesetzgebenden Organe und der Übertragung ihrer Verhandlungen ...". Mit diesem hier statuierten Objektivitätsgebot läßt es sich - vor dem Hintergrund des die gesamte österreichische Rechtsordnung beherrschenden Grundsatzes der Unschuldsvermutung (Art6 MRK) - nicht vereinbaren, wenn der Österreichische Rundfunk jemanden öffentlich ausdrücklich oder auch bloß der Sache nach als Täter einer strafbaren Handlung kennzeichnet, der dieses Delikts von den hiezu verfassungsmäßig berufenen Instanzen (noch) gar nicht schuldig gesprochen wurde. Ob die mit der Sache befaßten Rundfunkorgane den Wahrheitsgehalt der strittigen Meldung - wie in der Beschwerdeschrift behauptet - den Umständen nach sorgsam genug nachprüften, ist, so gesehen, rechtlich belanglos: Die öffentliche Brandmarkung eines (nicht einmal gehörten) Verdächtigen als Täter war im damaligen Stadium des Strafverfahrens - es wurde ja gerade erst Anzeige erstattet - keinesfalls zulässig.
Soll nicht ein bloß Verdächtiger in Ausübung einer Art von "Medienjustiz" vorzeitig als Schuldiger hingestellt werden, müssen Meldungen der hier relevanten Art - dem Objektivitätsgebot entsprechend - in einer den Entscheidungen der Strafgerichte nicht vorgreifenden Form klar und deutlich zum Ausdruck bringen, daß es sich (keineswegs um die tatsächliche Begehung einer strafbaren Handlung, sondern) nur um Verdachts gründe handelt, über die der Öffentlichkeit berichtet wird. Das war hier - wie die bel. Beh. im Ergebnis richtig erkannte - nicht der Fall:
Die bel. Beh. unterstellte also dem RFG - der in der Beschwerdeschrift verfochtenen Meinung zuwider - (auch) keinen gleichheitswidrigen und Art10 MRK widersprechenden Inhalt, wenn sie der Auffassung anhing, die Meldung - die sich ja keineswegs in der Wiedergabe der Meinungen Dritter erschöpfte - hätte zufolge des Objektivitätsgebots des (die "Rechte anderer" iS des Art10 Abs2 MRK sichernden) §2 RFG nicht den Eindruck entstehen lassen dürfen, daß das inkriminierte Verhalten bereits erwiesen sei.
Das Verfahren bietet insgesamt nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür, daß die bel. Beh. in Vollziehung des RFG (: §2 Abs1 Z1 lita) gleichheitswidrig (willkürlich) vorgegangen sei.
2.2.2.2. Die - gleichfalls vornehmlich der Behauptung eines (das Gleichheitsrecht verletzenden) Willkürakts gewidmete - Einrede, vor der bel. Beh. sei ausschließlich Dr. A B als Bf. aufgetreten, findet in den vorgelegten Administrativakten keine Deckung. Nach der Textierung der schriftlichen Beschwerde schritt Dr. B nämlich nicht nur im eigenen Namen, sondern auch als Vertreter der Partei "Die Grünen Österreichs" ein. Demgemäß nennt die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der bel. Beh. am 5. Dezember 1985 als Bf. "Die Grünen Österreichs" und "Dr. A B". Dies ließen die jetzt als Bf. im verfassungsgerichtlichen Verfahren auftretenden Parteien - laut Protokollinhalt - unwidersprochen.
2.2.3. Das die eingangs ausgebreitete Sach- und Rechtslage (s. Punkt 2.2.2.1.) vernachlässigende weitere Beschwerdevorbringen konnte unerörtert auf sich beruhen.
2.3. Angesichts des Umstandes, daß schließlich auch keine Verletzung eines anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder eine Rechtsverletzung infolge Anwendung einer rechtswidrigen generellen Rechtsnorm hervorkam, mußte die Beschwerde als unbegründet abgewiesen werden.
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