Spruch:
Die Revision und der Rekurs werden zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 742,27 EUR (davon 123,71 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung
Die am 8. 1. 1972 geschlossene Ehe der Parteien wurde am 12. 9. 1986 im Einvernehmen gemäß § 55a EheG geschieden. Im Scheidungsvergleich verpflichtete sich der Mann, der Frau für die Zeit vom 1. 1. 1987 bis 31. 12. 1992 einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 1.000 ATS zu bezahlen. Im Übrigen verzichteten die Antragsteller „und zwar die Erstantragstellerin ab 1. Jänner 1993, der Zweitantragsteller ab Rechtswirksamkeit dieser Vereinbarung auf jedweden Unterhalt, auch für den Fall geänderter Verhältnisse, geänderter Rechtslage, Krankheit oder unverschuldeter Not".
Der ältere, 1971 geborene Sohn der Streitteile wohnt in der Wohnung der Klägerin. Er beteiligt sich an den Wohnungskosten und erbringt für seine Mutter Naturalleistungen durch persönliche Unterstützung.
Mit ihrer am 27. 12. 2001 beim Erstgericht eingelangten Unterhaltsklage begehrt die Klägerin zuletzt die Zahlung eines Unterhaltsrückstands von 26.889,48 EUR, laufenden Unterhalts von 726,72 EUR monatlich ab 1. 1. 2002 und eines Einmalbetrags von 12.500 EUR für Zahnersatz in Form von Porzellanbrücken für 18 schadhafte Zähne.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren auch im dritten Rechtsgang ab. Es beurteilte den Sachverhalt rechtlich im Wesentlichen dahin, die monatlichen Fixkosten der Klägerin von rund 600 EUR seien durch ihr Einkommen (ohne Pflegegeld) gedeckt. Nicht gedeckt seien die krankheitsbedingten Mehraufwendungen in Höhe von rund 915 EUR monatlich. Deshalb sei sie in einer existenzbedrohenden Not und sei das Beharren des Beklagten auf den Unterhaltsverzicht sittenwidrig. Der Klägerin stehe grundsätzlich ein Unterhaltsanspruch nach § 69 Abs 3 EheG zu; allerdings nur insoweit, als keine unterhaltspflichtigen Verwandten vorhanden seien oder diese im Einzelfall keinen oder keinen ausreichenden Unterhalt schuldeten. Teile man den Mehrbedarf der Klägerin auf die beiden Söhne auf, hätte jeder von ihnen zwischen 450 EUR und 550 EUR an Unterhalt zu leisten. Jedem der Söhne, die keine weiteren Sorgepflichten träfen, würde selbst unter strengster Rechnung ein Betrag von mindestens 1.200 EUR zur freien Verfügung verbleiben. Das Einkommen des Beklagten übersteige das der Söhne auch nicht um ein Vielfaches, sodass es auch unter Beachtung des Grundsatzes der Billigkeit bei der Subsidiarität der Unterhaltsverpflichtung des Beklagten gegenüber jener der Söhne bleibe. Im Ergebnis gelte dies auch für die Zeit, als der jüngere Sohn noch kein eigenes Einkommen gehabt habe.
Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung des auf Zahlung des Unterhaltsrückstands und laufenden Unterhalts gerichteten Klagebegehrens. In Ansehung des auf Zahlung von 12.500 EUR gerichteten Klagebegehrens hob es das Urteil auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Der gesamte krankheitsbedingte Sonderbedarf der Klägerin betrage (maximal) 259,74 EUR pro Monat. Er setze sich aus 52 Stunden Psychotherapie pro Jahr (58,20 EUR x 52/12 = 252,20 EUR) und 7,54 EUR monatlich für Spezial-BH, Brustprothese und Mieder zusammen. Die existenzielle Notlage der Klägerin bestehe damit in einem ungedeckten krankheitsbedingten Sonderbedarf von rund 270 EUR monatlich. Die notwendige Fremdbetreuung habe die Klägerin von ihrem älteren Sohn tatsächlich erhalten und erhalte sie nach wie vor. Dieser Sohn komme dadurch seiner Unterhaltspflicht gegenüber seiner Mutter (allenfalls - in Geldwert gesehen - über das gesetzlich vorgegebene Ausmaß hinaus) nach. Deshalb könne nur der jüngere Sohn zu Geldunterhaltsleistungen für seine Mutter herangezogen werden. Dieser habe ab Juli 2000 ein monatliches Einkommen von 1.750 EUR. Selbst wenn man das (von der Klägerin von August 2000 bis Ende 2004 ohnedies nicht bezogene) Pflegegeld unberücksichtigt lasse, machten 270 EUR nur knapp 15 % des Einkommens des Sohnes aus. Dieser könne daher den geldwerten Mehrbedarf der Klägerin jedenfalls finanzieren. Eine Pflicht des Beklagten zur Zahlung des laufenden Unterhalts sei daher nicht gegeben. Für die Zeit vor dem Juli 2000 sei darauf zu verweisen, dass der jüngere Sohn bis zu seinem Auszug am 30. 1. 1999 neben der Familienbeihilfe 72,67 EUR seiner Mutter und seine Lebensgefährtin überdies 363,37 EUR pro Monat bezahlt hätten. Der jüngere Sohn habe die Wohnung über Aufforderung der Klägerin verlassen, sodass sie sich den Entfall dieser Beiträge zu ihrem Unterhalt selbst zurechnen lassen müsse. Außerdem habe die Klägerin neben der Berufsunfähigkeitspension und der Ausgleichszulage bis Juli 2000 Pflegegeld in Höhe von 145,35 EUR monatlich bezogen, das auf die krankheitsbedingten Mehraufwendungen jedenfalls anzurechnen sei. Wiewohl vom Gesetz nicht verpflichtet, zahle der ältere Sohn seiner Mutter überdies auch 400 EUR pro Monat. Der ältere Sohn trage die Hauptlast des krankheitsbedingten Mehrbedarfs der Klägerin, vor allem durch die von ihm erbrachten Naturalleistungen. Werde aber ein Bedarf tatsächlich befriedigt, könne er nicht zur Begründung einer existenziellen Notlage herangezogen werden, die ihrerseits Voraussetzung für ein „Wiederaufleben" der Unterhaltspflicht des Beklagten wäre.
Die Abweisung des auf Zahlung von 12.500 EUR gerichteten Begehrens hob das Berufungsgericht mit der Begründung auf, es entspreche durchaus nicht der Lebenserfahrung, dass die Krankenkasse sämtliche Heilbehelfe oder Hilfsmittel (voll) bezahle, auch wenn diese medizinisch indiziert seien. Das Erstgericht werde daher die Beweisgrundlage zur Notwendigkeit des Zahnersatzes und Nichtübernahme der Kosten durch die Krankenkasse zu verbreitern haben. Nach der Aktenlage sei das Gebiss der Klägerin schwerst geschädigt. Ein saniertes Gebiss zähle wohl zu den elementarsten Grundbedürfnissen. Wenn ein Mensch ein „normales" künstliches Gebiss nicht vertrage, habe er - selbst wenn er nur den notwendigen Unterhalt beanspruchen dürfe - bei entsprechender Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen Anspruch auf einen entsprechenden Zahnersatz. Aus dem laufenden Einkommen - einschließlich der angemessenen Unterhaltsleistungen der Söhne - könne die Klägerin einen solchen Zahnersatz nicht finanzieren. Im bisherigen Beweisverfahren fänden sich Anzeichen dafür, dass die Klägerin „herkömmliche" Zahnersätze nicht vertrage und eine Porzellanbrücke 12.850 EUR kosten würde.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung zu der Frage nicht vorliege, ob eine Unterhaltspflicht nach § 69a Abs 2 EheG mit einem Bedarf begründet werden könne, der tatsächlich von einem Dritten gedeckt werde. Den Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss ließ es mit der Begründung zu, es sei Rechtsprechung zum Umfang des notwendigen Unterhalts - über den Ausgleichszulagenrichtsatz hinaus - im Falle krankheitsbedingten Mehrbedarfs „auch in diesem Zusammenhang" nicht auffindbar gewesen.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen den den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Aussprüchen des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1, § 526 Abs 3 ZPO) sind die Revision der Klägerin gegen das Teilurteil und der Rekurs des Beklagten gegen den Aufhebungsbeschluss mangels einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
1. Zur Revision der Klägerin:
1.1. Die Rechtsmittelwerberin vertritt im Wesentlichen den Standpunkt, die von ihrem Sohn erbrachten Pflegeleistungen (Unterstützung bei der Haushaltsführung und Angelegenheiten des täglichen Bedarfs, Einkaufen, Waschen, Hilfestellung beim Kochen und der täglichen Körperpflege) seien nach den Grundsätzen der Billigkeit weder als der Klägerin zurechenbares Einkommen noch als Beseitigung ihrer Notlage anzusehen.
1.2. Das Beharren auf den Unterhaltsverzicht (Verzicht auf die Umstandsklausel) kann aus besonderen Gründen sittenwidrig sein (RIS-Justiz RS0016554). Die Frage, ob Sittenwidrigkeit vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0016554 [T10]), weshalb der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs keine Bedeutung zukommen kann, die über den zu entscheidenden Fall hinausgeht. Anders wäre es nur, wenn dem Berufungsgericht eine auffallende Fehlbeurteilung unterlaufen wäre (RIS-Justiz RS0016554 [T14]). Um zu verhindern, dass der an sich zulässige Ausschluss der Umstandsklausel im Nachhinein ohne zwingenden Grund aufgehoben wird, ist ein strenger Maßstab anzulegen (RIS-Justiz RS0016554 [T2]). Die Sittenwidrigkeit kann nur bejaht werden, wenn der Unterhaltsberechtigte in existenzbedrohende Not gerät, bei einem hypothetisch nachzuvollziehenden Scheidungsverfahren zumindest ein gleichteiliges (oder überwiegendes oder Allein-)Verschulden des anderen Ehegatten festgestellt worden wäre und wenn krasse Einkommensunterschiede bestehen (6 Ob 163/04w mwN).
1.2.1. Der Oberste Gerichtshof hat in seinem im ersten Rechtsgang ergangenen Beschluss 6 Ob 163/04w für den Fall, dass eine Unterhaltsvereinbarung nach § 55a EheG wegen Sittenwidrigkeit unwirksam ist, bereits ausgeführt, dass nur der Billigkeitsunterhalt nach § 69a Abs 2 EheG zusteht, der identisch ist mit demjenigen nach § 69 Abs 3 EheG. Der Unterhaltsanspruch nach § 69 Abs 3 EheG ist sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach von Billigkeitsüberlegungen abhängig, in deren Rahmen die Bedürfnisse und Vermögensverhältnisse und Erwerbsverhältnisse der geschiedenen Ehegatten und der nach § 71 EheG unterhaltspflichtigen Verwandten des Unterhaltsberechtigten zu berücksichtigen sind (RIS-Justiz RS0114829). Da der Unterhalt nach Billigkeit zu bemessen ist, hängt die Entscheidung ganz von den Umständen des Einzelfalls ab, sodass eine im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erhebliche Rechtsfrage regelmäßig nur im Fall einer krassen Fehlbeurteilung vorliegt.
1.2.2. Der Anspruch auf Unterhalt nach Billigkeit (§ 69 Abs 3, § 69a Abs 2 EheG) gegen den geschiedenen Ehegatten steht nur insoweit zu, als keine unterhaltspflichtigen Verwandten vorhanden sind oder diese den Unterhalt überhaupt nicht oder nur unter Gefährdung ihres eigenen angemessenen Unterhalts gewähren könnten. Der Grundsatz der Subsidiarität der Unterhaltsverpflichtung des geschiedenen Ehegatten gilt dann nicht, wenn er nicht der Billigkeit entspricht. Dies ist dann der Fall, wenn der geschiedene Ehegatte über ein derart hohes Einkommen verfügt, das jenes der primär unterhaltspflichtigen Kinder um ein Vielfaches übersteigt (RIS-Justiz RS0114831). Ob die Subsidiarität der Billigkeit entspricht, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0114832).
1.2.3. Die Auffassung des Berufungsgerichts, dass im Anlassfall eine existenzgefährdende Notlage der Klägerin, die ein Eigeneinkommen in etwa in Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes hat, insoweit nicht gegeben ist, als krankheitsbedingte Mehrbedürfnisse durch Leistungen der primär unterhaltspflichtigen Söhne, von denen einer im gemeinsamen Haushalt mit der Klägerin lebt, gedeckt werden oder gedeckt werden können, ist jedenfalls vertretbar. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Söhne ihrer Mutter Unterhalt ohne Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts gewähren können, bedarf keiner Korrektur.
1.3. Wenn die Revisionswerberin von einem durch anrechenbare Unterhaltsbeiträge der Söhne nicht gedeckten medizinischen Sonderbedarf von 908 EUR monatlich ausgeht, so ist dies nicht nachvollziehbar. Von der Anrechnung „eines möglichen, aber gesetzlich nicht garantierten öffentlich rechtlichen Zuschusses" hängt die Entscheidung nicht ab.
1.4. Insgesamt zeigen die Ausführungen der Rechtsmittelwerberin keine erheblichen Rechtsfragen auf.
2. Zum Rekurs des Beklagten:
2.1. Der Oberste Gerichtshof hat im Anlassfall bereits in der Entscheidung 6 Ob 163/04w ausgeführt, dass die Notlage des einen Unterhaltsbeitrag ansprechenden Ehegatten nicht nur für die Bejahung der Sittenwidrigkeit des Beharrens auf einem vereinbarten Unterhaltsverzicht, sondern auch für die Höhe des allfälligen Unterhaltsanspruchs entscheidend ist.
2.2. Dass auch beim nachehelichen Unterhalt krankheitsbedingte Sonderbedarfskosten deckungspflichtig sein können, hat der Oberste Gerichtshof schon ausgesprochen (8 Ob 503/94; 3 Ob 144/99v).
2.3. Dass nach § 70 Abs 1 EheG der Unterhalt durch Zahlung einer Geldrente zu gewähren ist, schließt eine Einmalzahlung, wie sie für nicht chronisch anfallende Sonderbedarfskosten typisch ist, nicht aus, wie § 70 Abs 2 EheG zeigt.
2.4. Es kann keine Rede davon sein, dass es Aufgabe der Klägerin gewesen wäre, mit den monatlich ihr zur Verfügung stehenden Unterhaltsbeträgen die Ausgabe für den behauptetermaßen unentbehrlichen Zahnersatz zu bestreiten, sind doch nur marginale Beträge im Verhältnis zum monatlichen Unterhalt aus dem laufenden Unterhalt zu decken (vgl RIS-Justiz RS0009530).
2.5. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass in Bezug auf die Kosten des Zahnersatzes die Subsidiarität der Unterhaltsverpflichtung des Beklagten nicht der Billigkeit entspricht, ist angesichts seines festgestellten Einkommens (Jänner 2003 bis März 2006 rund monatlich 3.730 EUR netto, ab April 2006 monatlich 3.800 EUR brutto) und des Einkommens der Söhne (monatlich 2.100 EUR netto bzw monatlich 1.750 EUR netto) sowie des Umstands, dass die Söhne den krankheitsbedingten Mehrbedarf der Klägerin decken müssen, vertretbar.
2.6. Ebenso ist es keine korrekturbedürftige Beurteilung des Berufungsgerichts im Einzelfall, dass es der Billigkeit entspricht, wenn der Beklagte, dessen Einkommen ein Vielfaches jenes der Klägerin beträgt, zur Deckung der Kosten der Sanierung eines behauptetermaßen schwerstgeschädigten Gebisses der Klägerin, die die Kosten ohne Gefährdung ihrer Existenz nicht aufbringen kann, im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit beiträgt.
2.7. Ob eine Verfahrensergänzung tatsächlich notwendig ist, kann der Oberste Gerichtshof nicht überprüfen, wenn die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht richtig ist (RIS-Justiz RS0042179).
3. Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO). Gleiches gilt für die Zurückweisung eines gemäß § 519 Abs 1 Z 2 ZPO zugelassenen Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0043691).
4. Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Bemessungsgrundlage ist das Einfache der Jahresleistung (§ 9 Abs 3 RATG); Rückstände haben auch hier keinen Einfluss auf die Bemessungsgrundlage (1 Ob 25/04i).
Die Entscheidung über die Kosten der Rekursbeantwortung der Klägerin beruht auf §§ 40, 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat die Unzulässigkeit des Rechtsmittels nicht geltend gemacht.
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