OGH 6Ob18/22y

OGH6Ob18/22y18.3.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Nowotny, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer, Dr. Faber und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen G*, geboren am * 2007, vertreten durch die Mutter S*, vertreten durch Hornek Hubacek Lichtenstrasser Epler Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 22. November 2021, GZ 43 R 367/21w‑71, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom 29. Juli 2021, GZ 57 Pu 44/18b‑62, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0060OB00018.22Y.0318.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Die Zurückweisung eines ordentlichen Revisionsrekurses wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 AußStrG).

[2] Die Vorinstanzen haben über Antrag des Kindes gemäß § 231 ABGB dessen Unterhaltsansprüche – ausgehend von einer völlig gleichteiligen Betreuung der Eltern in deren jeweiligen Haushalten – für den Zeitraum ab 1. 1. 2018 bis laufend mit jeweils monatlich 250 EUR bzw 220 EUR bzw 215 EUR festgelegt; darüber hinaus hat das Rekursgericht dem Vater M* für den gesamten Zeitraum 1.000 EUR an bereits für diverse von ihm für das Kind getragenen Aufwendungen als unterhaltsmindernd angerechnet.

[3] 1. Das Rekursgericht ließ zwar den Revisionsrekurs zu, weil sich der Oberste Gerichtshof bislang noch nicht konkret mit der Anrechnung von höheren Leistungen eines Elternteils im Rahmen des sogenannten betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodells beschäftigt habe. Allerdings ist ein Revisionsrekurs trotz an sich berechtigter Zulässigerklärung durch das Gericht zweiter Instanz zurückzuweisen, wenn das Rechtsmittel dann – wie hier – nur solche Gründe geltend macht, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt (RS0102059).

[4] 2. Der Revisionsrekurs vermag aber auch sonst keine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen:

[5] 2.1. Im Hinblick auf die völlig gleichteilige Betreuung des Kindes durch beide Elternteile ist es im vorliegenden Fall nicht strittig, dass die Unterhaltsbemessung nach dem sogenannten betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell zu erfolgen hat (siehe dazu die Nachweise aus der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bei Gitschthaler, Unterhaltsrecht4 Rz 96 ff). Auf die von den Entscheidungen 8 Ob 69/15b und 7 Ob 172/16v (EF‑Z 2017/35 [Gitschthaler]) aufgeworfene Problematik, das sogenannte betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell sei ganz grundsätzlich nur bei völlig gleichwertigen Betreuungs- und Naturalleistungen der Eltern anwendbar (vgl auch Stabentheiner/Reiter in Rummel/Lukas, ABGB4 § 231 Rz 28; Tews, Berechnung des betreuungsrechtlichen Unterhaltsanspruchs, EF‑Z 2016/110), braucht hier somit nicht weiter eingegangen zu werden, abgesehen davon, dass in der jüngeren Rechtsprechung zutreffend von „in etwa“ gleichwertigen Leistungen ausgegangen wurde (1 Ob 9/19h), die auch noch bei einem Verhältnis von 4 : 3 Betreuungstagen angenommen wurden (4 Ob 45/19z; 5 Ob 141/19z EF‑Z 2020/36 [Gitschthaler]).

[6] 2.2.1. Verfügen die Eltern über annähernd gleiche Einkommen, was auch noch dann angenommen wird, wenn das Einkommen des einen Elternteils das des anderen lediglich bis zu einem Drittel übersteigt (4 Ob 16/13a EF‑Z 2013/115 [Gitschthaler]; 1 Ob 158/15i iFamZ 2015/201 [Neuhauser]), besteht kein (Regel‑)Geldunterhaltsanspruch des Kindes gegenüber seinen Eltern (stRsp, s bloß 4 Ob 74/10a); andernfalls bleibt der besser verdienende Elternteil geldunterhaltspflichtig (6 Ob 11/13f; 10 Ob 17/15w; 1 Ob 158/15i): In diesem Fall steht dem Kind weiterhin ein Restgeldunterhaltsanspruch gegen den leistungsfähigeren Elternteil zu, der den geringeren Lebensstandard, an dem das Kind beim anderen Elternteil partizipieren kann, ausgleicht (10 Ob 17/15w; 1 Ob 158/15i; 9 Ob 57/17y; 4 Ob 45/19z).

[7] 2.2.2. Der Oberste Gerichtshof hat in den Entscheidungen 1 Ob 158/15i, 4 Ob 8/19h und 10 Ob 23/18g bereits dargelegt, dass dieser (laufende) Restgeldunterhaltsanspruch des Kindes gegenüber dem leistungsfähigeren Elternteil dadurch zu ermitteln ist, dass zunächst (fiktiv) die Ansprüche des Kindes gegenüber beiden Elternteilen nach der Prozentwertmethode zu ermitteln, sodann diese Ansprüche zu saldieren und schließlich der Saldo zu halbieren ist. Geht man nun im vorliegenden Fall von einem Monatsnettoeinkommen des Vaters von rund 4.700 EUR und einem solchen der Mutter von rund 2.300 EUR aus, so würden sich (bei einem jeweils 18%igen Anspruch des Kindes) fiktive Unterhaltsansprüche in Höhe von rund 850 bzw 420 EUR und somit ein Saldo von 430 EUR ergeben, der schließlich zu halbieren ist: Dem Kind stehen an Regelunterhaltsleistungen gegenüber dem leistungsfähigeren Vater monatlich rund 215 EUR zu; unter Berücksichtigung von Ungenauigkeiten und Schwankungen haben die Vorinstanzen aber – jedenfalls im Ergebnis – in etwa Monatsbeträge in dieser Höhe festgelegt.

[8] 2.2.3. Im Hinblick auf die Einführung des Familienbonus Plus ab 1. 1. 2019 durch den Gesetzgeber (§ 33 Abs 3a EStG idF BGBl I 2018/62) geht der Oberste Gerichtshof seit der Entscheidung 4 Ob 150/19s in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine (teilweise) Anrechnung der Transferleistungen Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag auf Geldunterhaltsansprüche nicht mehr zu erfolgen hat, sodass die in den Entscheidungen 1 Ob 158/15i und 4 Ob 8/19h in diesem Zusammenhang getätigten Berechnungsschritte nunmehr zu entfallen haben.

[9] Zwar hat die Entscheidung 10 Ob 23/18g bereits klargestellt, dass „im [betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell] mit gleichwertigen Betreuungs- und Naturalleistungen die Funktion der Familienbeihilfe als Abgeltung von Betreuungsleistungen in den Vordergrund [tritt]; die Familienbeihilfe und der gemeinsam ausgezahlte Kinderabsetzbetrag dienen bei gleichwertigen Betreuungsleistungen primär der Unterstützung der Betreuenden in finanzieller Sicht“. Wenn nun beim betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell beide Elternteile „nahezu gleichwertig“ betreuen, dann kann dies im hier interessierenden Zusammenhang nur bedeuten, dass die Transferleistungen beiden Elternteilen (rechnerisch) jeweils zur Hälfte zugutekommen müssen (Gitschthaler, Unterhaltsrecht4 Rz 100e/3). Für den vorliegenden Fall würde dies bedeuten, dass der regelunterhaltspflichtige Vater zusätzlich zum ermittelten Unterhaltsbeitrag von 215 EUR noch weitere rund 100 EUR (= halbe Familienbeihilfe plus halber Kinderabsetzbetrag) dem Kind leisten müsste, bezieht doch er nach den Feststellungen der Vorinstanzen diese Transferleistungen. Daraus ist für das Kind hier jedoch nichts gewonnen, wurde doch im maßgeblichen Scheidungsfolgenvergleich vereinbart, dass der Vater die Transferleistungen zur teilweisen Abdeckung des Unterhaltsbedarfs des Kindes, wie etwa das Jausengeld, verwendet und Geldbeträge auf das „Jugendkonto“ des Kindes überweist, womit er – insofern unbestritten – die Transferleistungen ohnehin dem Kind zukommen lässt.

[10] 2.3. Die Vorinstanzen haben somit – wenn auch mit anderer Begründung – im Ergebnis Regelunterhaltsleistungen festgesetzt, die angesichts der konkreten Betreuungs-, Einkommens- und Lebenssituation des Kindes und der Eltern den vom Obersten Gerichtshof bereits vorgegebenen Leitlinien entsprechen; dass Unterhaltsentscheidungen grundsätzlich Ermessens-entscheidungen und keine reinen Rechenexempel sind (RS0047419 [T23]) und deshalb gerade beim sogenannten betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell gewisse Bandbreiten im Einzelfall bestehen, haben die Vorinstanzen richtig erkannt.

[11] 2.4. Es entspricht weiters dem sogenannten betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell, dass im Fall der gleichteiligen Betreuung beider Eltern nicht nur die mit der Betreuung zusammenhängenden alltäglichen Kosten, sondern auch die zusätzlich notwendigen Aufwendungen zu gleichen Teilen zu tragen sind, soweit sie Unterhaltscharakter haben; andernfalls entsteht ein Ausgleichsanspruch gegen den minderleistenden Elternteil. Die von einem Elternteil erbrachten Naturalleistungen sind dann insofern auf einen Geldunterhaltsanspruch anzurechnen, als die Aufwendungen des einen Elternteils jene des anderen Elternteils im Verhältnis zur Betreuungssituation übersteigen (4 Ob 16/13a EF‑Z 2013/115 [Gitschthaler]).

[12] Im vorliegenden Fall haben die Vorinstanzen einen über das Jausengeld hinausgehenden Überhang des Vaters an derartigen Leistungen im Ausmaß von rund 3.000 EUR angenommen, was auch den Überlegungen im Revisionsrekurs zugrundgelegt wird. Ausgehend vom Verhältnis der Leistungsfähigkeiten der beiden Elternteile (2 : 1 zu Lasten des Vaters) gingen die Vorinstanzen davon aus, dass der Vater hievon zwei Drittel zu bezahlen habe, und rechneten ihm als (bereits erbrachten Geldunterhalt) hievon folgerichtig 1.000 EUR an (in diesem Sinn auch Gitschthaler, Unterhaltsrecht4 Rz 102/4). Dass die Entscheidung 4 Ob 16/13a demgegenüber von einer Aufteilung im Verhältnis 1 : 1 ausging und sich der Vater somit sogar 1.500 EUR anrechnen lassen hätte können, kann mangels Anfechtung der zweitinstanzlichen Entscheidung durch den Vater nicht aufgegriffen werden.

[13] 2.5. Der Revisionsrekurs, der zum Teil nicht von den Feststellungen der Vorinstanzen ausgeht und dessen Ausführungen sich mehrfach wiederholen, meint, die Ansicht des Rekursgerichts führe dazu, dass Elternteilen bei gleichteiliger Betreuung quasi eine Rechnungslegungspflicht aufgebürdet werde, weil sie ansonsten Gefahr liefen, Unterhaltsansprüche der von ihnen betreuten Kinder zu verlieren. Die dargestellte Ansicht führt jedoch nicht zu einer Rechnungslegungspflicht der Elternteile, sondern müssen nach allgemeinen Grundsätzen auch ein Unterhaltsanspruch sowie Einwände dagegen behauptet und bewiesen werden. Dass jeder Elternteil über die von ihm für das Kind getragenen (und daher unterhaltsrechtlich relevanten) finanziellen Aufwendungen Aufzeichnungen führt und Beweismittel sammelt, ist nicht unzumutbar. Im Übrigen geht es nicht – wie die Formulierung des Rechtsmittels es vermuten ließe – um Unterhaltsansprüche der betreuenden Elternteile, sondern um solche des Kindes.

[14] 2.6. Wie bereits erwähnt (2.2.3.), ist der Familienbonus Plus nicht in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen; eine Anrechnung von Transferleistungen findet ab dem Kalenderjahr 2019 nicht (mehr) statt: Familienbonus Plus und Unterhaltsabsetzbetrag bleiben damit unterhaltsrechtlich neutral (RS0132928). Die im Rechtsmittel in diesem Zusammenhang zitierte Rechtsprechung bezieht sich auf die Rechtslage davor und ist ab 2019 insoweit nicht mehr anzuwenden. Richtig ist zwar, dass hier auch noch Zeiträume vor dem Kalenderjahr 2019 zu beurteilen waren; allerdings enthält der Revisionsrekurs keinerlei konkrete Ausführungen, wie sich die frühere Rechtslage auf die Geldunterhaltsverpflichtung des Vaters – zugunsten des Kindes – ausgewirkt hätte.

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