OGH 4Ob8/19h

OGH4Ob8/19h29.1.2019

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.‑Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. G* A*, geboren * 2009, 2. P* A*, geboren * 2011, 3. M* A*, geboren * 2012, alle *, vertreten durch die Mutter S* A*, vertreten durch Dr. Alexandra Dosch, Rechtsanwältin in Salzburg, wegen Unterhaltsverpflichtung des Vaters P* A*, vertreten durch Dr. Ingrid Stöger und Dr. Roger Reyman, Rechtsanwälte in Salzburg, über den Revisionsrekurs der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 30. November 2018, GZ 21 R 284/18p‑25, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Salzburg vom 12. Juli 2018, GZ 44 Pu 25/18w-20, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E124194

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Rekursgerichts wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

 

Begründung:

Die Eltern der drei mj Kinder leben seit Jänner 2018 getrennt. Sie schlossen vor Gericht eine Vereinbarung darüber, dass sich der Hauptaufenthalt der Kinder beim Vater befindet und die Betreuung der Kinder in etwa gleichem Ausmaß erfolgt. Die Familienbeihilfe für die drei Kinder wird seit Juli 2018 an den Vater angewiesen. Der Vater verdient monatlich durchschnittlich knapp 3.000 EUR. Die Mutter bezieht AMS‑Leistungen.

Die von der Mutter vertretenen Minderjährigen machen gegen den Vater die Leistung eines einstweiligen Unterhalts im Ausmaß von 340 EUR jeweils für G* und P* und von 315 EUR für M* geltend.

Unstrittig ist, dass der Unterhaltsanspruch der Kinder nach der Prozentsatzmethode folgendes Ausmaß betragen würde:

Gegenüber dem Vater: G* und P* jeweils 468 EUR; M* 409 EUR.

Gegenüber der Mutter: G* und P* jeweils 77 EUR; M* 66 EUR.

Das Erstgericht bestimmte den einstweiligen Unterhalt mit monatlich 320 EUR (jeweils für G* und P*) und mit 300 EUR für M*. Die Abweisung des Mehrbegehrens erwuchs in Rechtskraft.

Das Erstgericht wandte zur Berücksichtigung der Familienbeihilfe samt Kinderabsetzbetrag (im Folgenden nur: Familienbeihilfe) von gerundet 197 EUR pro Kind das in der Entscheidung 1 Ob 158/15i entwickelte Berechnungsmodell an. Nach der Intention des Obersten Gerichtshofs müsse der schlechter verdienende Elternteil den gleichen Geldbetrag für die Kinder zur Verfügung haben, und zwar unabhängig davon, wer die Transferleistungen tatsächlich bezieht. Das Erstgericht ging zunächst von den nach der Prozentwertmethode sich ergebenden Beträge eines fiktiven Unterhaltsbetrags aus. Die fiktiven Unterhaltsbeträge der Eltern stünden dabei im Verhältnis 1/7 (Mutter) zu 6/7 (Vater), weshalb 6/7 der Familienbeihilfe zugunsten des Vaters pro Kind zu berücksichtigen seien. Das Erstgericht zog vom fiktiven Unterhaltsanspruch der Kinder gegenüber dem Vater jeweils 169 EUR (= 6/7 der Familienbeihilfe) sowie den fiktiven Unterhaltsbeitrag der Mutter ab, rechnete 29,20 EUR (Unterhaltsabsetzbetrag) hinzu und halbierte den ermittelten Betrag. Zum so ermittelten Ausgleichsbetrag rechnete das Erstgericht jeweils noch die Familienbeihilfe (in vollem Umfang) hinzu und ermittelte so den Restunterhaltsanspruch der Kinder gegenüber dem Vater.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Vaters statt und sprach aus, dass dieser schuldig sei, für G* und P* monatlich (nur) jeweils 210 EUR und für M* 185 EUR an einstweiligem Unterhalt zu leisten. Die Berücksichtigung der Transferleistungen müsse im Sinn der Entscheidung 1 Ob 158/15i erfolgen, allerdings „in umgekehrter Weise“, wenn – wie hier – der Besserverdiener die Familienbeihilfe erhalte.

Das Rekursgericht bemaß den Unterhalt dabei wie folgt: Von der unstrittigen fiktiven Unterhaltsleistung des Vaters zog es jene der Mutter ab und rechnete den auf die Mutter entfallenden Anteil an der Familienbeihilfe (1/7 von 197 EUR = rund 28 EUR) pro Kind hinzu. Anschließend halbierte es die Beträge.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs zur Klarstellung zu, wie die vom Obersten Gerichtshof in der Entscheidung 1 Ob 158/15i für den Fall der gleichwertigen Betreuungs- und Naturalleistungen, aber unterschiedlichen Einkommen der Eltern entwickelte Berechnungsmethode zur Ermittlung des Restgeldunterhaltsanspruchs gegen den leistungsfähigeren Elternteil anzuwenden ist, wenn die Familienbeihilfe an den Besserverdiener ausbezahlt wird.

Dagegen richtet sich der Revisionsrekurs der Minderjährigen mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne des erstgerichtlichen Beschlusses abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Vater beantragt, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung zulässig. Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

1. Nach der Entscheidung 1 Ob 158/15i ist beim betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell die Familienbeihilfe im Verhältnis der (fiktiv) zu ermittelnden Geldunterhaltsansprüche des Kindes gegenüber beiden Elternteilen aufzuteilen. Dem Fall lag ein Verhältnis der fiktiven Unterhaltsansprüche des Kindes gegenüber Vater und Mutter von 3 : 1 zugrunde, weshalb der 1. Senat im dortigen Fall den fiktiven Unterhaltsanspruch des Kindes gegenüber dem besserverdienenden Vater um 75 % der (von der Mutter bezogenen) Familienbeihilfe reduzierte. Dieser Betrag wurde halbiert – weil die Betreuung jeweils die Hälfte der Zeit im Haushalt der Mutter und des Vaters erfolgt – und dem halben Unterhaltsanspruch des Kindes gegen die Mutter gegenübergestellt. Der so ermittelte Differenzbetrag war Grundlage für die Bemessung des vom Vater zu leistenden Ausgleichsbetrags für die Zeit der Betreuung im Haushalt der Mutter und der damit für das Kind verbundenen verminderten Teilnahme an seinem Lebensstandard.

Diese Methode wurde auch in späteren Entscheidungen angewandt (10 Ob 23/18g; vgl auch 8 Ob 89/17x).

2.1 Die Rechtsmittelwerber gehen davon aus, dass es bei Anwendung des höchstgerichtlichen Berechnungsmodells betragsmäßig zu keinem anderen Ergebnis führen könne, wenn der Besserverdiener die Transferleistung bezieht. Auch der Vater vertritt den Standpunkt, es wäre unsachlich, wenn danach differenziert werden müsste, ob die Familienbeihilfe vom besser oder schlechter verdienenden Elternteil bezogen wird.

2.2 Nach Schwimann/Kolmasch (Unterhaltsrecht9 123) müsste die Berücksichtigung der Familienbeihilfe „in umgekehrter Weise“ erfolgen, wenn sie der Besserverdiener erhalte. Insoweit damit gemeint ist, dass es für den Unterhaltsanspruch des Kindes keinen Unterschied machen darf, welcher Elternteil die Familienbeihilfe erhält, schließt sich der Senat dieser Aussage an. Der oft von Zufälligkeiten geprägte Umstand, wer die Familienbeihilfe bezieht, soll das Ergebnis ihrer Berücksichtigung beim betreuungsrechtlichen Unterhaltsmodell nicht beeinflussen.

3. Das Ergebnis des Rekursgerichts zeigt aber, dass es bei dessen Methode zur Berücksichtigung der Familienbeihilfe entscheidend darauf ankommt, an welchen der beiden Elternteile die Transferleistung ausbezahlt wird.

3.1 Würde im Anlassfall die schlechterverdienende Mutter die Familienbeihilfe beziehen, käme man in Anschluss an die (auch vom Rekursgericht geteilte) Entscheidung 1 Ob 158/15i zB bei den beiden älteren Kindern zu folgendem Unterhaltsanspruch: 468 EUR minus 169 EUR (Anteil Familienbeihilfe Vater) minus 77 EUR (Unterhaltsanspruch gegenüber der Mutter) = 222 EUR, halbiert somit 111 EUR (Variante 1). In dieser Variante wäre der Vater wirtschaftlich stärker belastet als nach dem angefochtenen Ergebnis. Nach dem Ergebnis des Rekursgerichts (Variante 2) ist der Vater schuldig, den älteren Kindern jeweils 210 EUR zu zahlen. Dabei ist aber noch zu berücksichtigen, dass der Vater die Familienbeihilfe im Ausmaß von 197 EUR erhält, sodass er insgesamt nur mit der Auszahlung eines saldierten Geldbetrags von jeweils 13 EUR belastet und damit gegenüber der Variante 1 (111 EUR) wesentlich besser gestellt wäre.

3.2 Hingegen führt die vom Erstgericht gewählte Methode auch im Fall des Bezugs der Transferleistungen durch den Besserverdiener zu keiner anderen Belastung und entspricht den in der Entscheidung 1 Ob 158/15i entwickelten Vorgaben.

Der Umstand, dass die in der Entscheidung 1 Ob 158/15i vorgenommene Rechnung bereits nach der Halbierung der Differenz der fiktiven Unterhaltsbeiträge beider Eltern „endet“, liegt darin begründet, dass der dort zum „Ausgleichsbetrag“ verpflichtete Vater keine Familienbeihilfe bezog. Die vom Erstgericht gewählte Methode, nach der am Ende der Rechnung die vom Vater bezogene Familienbeihilfe unterhaltserhöhend hinzuzurechnen ist, nimmt auf die Unterschiede im konkreten Fall Rücksicht.

4. Die vom 1. Senat skizzierte Rechenformel ist daher auch für den vorliegenden Fall mit den vom Erstgericht gewählten Anpassungen anzuwenden. In zwei Bereichen ist die Berechnungsmethode des 1. Senats allerdings modifizierend weiterzuentwickeln:

5.1 Es ist nicht nur die reine Familienbeihilfe, sondern auch der Kinderabsetzbetrag zu berücksichtigen. Dieser wird mit der Familienbeihilfe zusammen ausbezahlt, eine unterschiedliche Behandlung dieser Transferleistung kann nicht begründet werden (zutreffend Neuhauser, iFamZ 2015/201 [Entscheidungsanmerkung]; Gitschthaler, Das betreuungsrechtliche Unterhaltsmodell bei Einkommens-differenzen, EF‑Z 2016/3).

5.2 Die Nichtberücksichtigung des Unterhalts-absetzbetrags durch das Rekursgericht wird im Rechtsmittel nicht aufgegriffen. Auf diesen Umstand kommt es im Anlassfall auch nicht an (vgl unten).

5.3 Weiters ist vor der Differenzrechnung der Unterhaltsbeträge nicht nur der fiktive Unterhaltsbetrag des Vaters, sondern auch jener der Mutter um den jeweiligen Anteil an der Familienbeihilfe zu reduzieren (zutreffend Neuhauser, iFamZ 2015/201 [Entscheidungsanmerkung], auf dessen Überlegungen die in 1 Ob 158/15i entwickelte Methode beruht). Die Familienbeihilfe soll als Betreuungshilfe im Ergebnis beide Elternteile entlasten, weshalb es sich schwer begründen lässt, dass bei der Berechnung der fiktiven Unterhaltsbeträge beider Eltern ausschließlich der dem Besserverdiener zugeordnete Anteil berücksichtigt werden soll (idS auch Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht9 124).

6. Damit ergibt sich für den Anlassfall, der davon geprägt ist, dass der Besserverdiener die Familienbeihilfe bezieht, folgende rechnerische Ableitung des jeweiligen Ausgleichsbetrags für die beiden älteren Kinder:

a. 468 EUR fiktive Unterhaltsleistung des Vaters abzüglich seines Anteils an der Familienbeihilfe von 169 EUR ergibt eine reduzierte fiktive Unterhaltsleistung des Vaters von 299 EUR.

b. 77 EUR fiktive Unterhaltsleistung der Mutter abzüglich ihres Anteils an der Familienbeihilfe von 28 EUR ergibt eine reduzierte fiktive Unterhaltsleistung der Mutter von 49 EUR.

c. Differenz der beiden reduzierten fiktiven Unterhaltsleistungen = 250 EUR, davon die Hälfte 125 EUR.

d. Erhöhung des sich aus c ergebenden Betrags um den Bezug der Familienbeihilfe (197 EUR) ergibt 322 EUR.

Damit beträgt der für G* und P* monatlich zu leistende Betrag gerundet 320 EUR. Nach der gleichen Methode ergibt sich ein Betrag für M* von monatlich gerundet 300 EUR. Dieses Ergebnis entspricht dem Ergebnis des Erstgerichts.

7. Inwieweit zu Lasten des Vaters auch der Unterhaltsabsetzbetrag zu berücksichtigen ist, kann dahinstehen. Im Hinblick auf die rechtskräftige Abweisung des Mehrbegehrens durch das Erstgericht, kann den Kindern kein Betrag zugesprochen werden, der 320 EUR bzw 300 EUR übersteigt.

8. Insgesamt hält die angefochtene Entscheidung der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof nicht stand. Der angefochtene Beschluss war daher in Stattgebung des Revisionsrekurses der Minderjährigen abzuändern.

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